E944/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Damit unterlässt es das BVwG, sich unter Bezugnahme auf entsprechende Länderinformationen mit der im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Einberufungs- bzw Rekrutierungssituation von im wehrdienstfähigen Alter befindlichen männlichen syrischen Staatsangehörigen auseinanderzusetzen. So ist den zugrunde gelegten Länderfeststellungen (Länderinformationsblatt vom 10.08.2023, Version 7) unter anderem zu entnehmen, dass für männliche syrische Staatsangehörige im Alter von 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines zweijährigen Wehrdienstes gesetzlich verpflichtend sei und auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehrten, mit Zwangsrekrutierungen rechnen müssten. In Syrien bestehe keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. In den Länderfeststellungen hält das BVwG fest, es seien Fälle von Rückkehrern dokumentiert, die auf Grund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen worden seien. Es gebe verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden; Gefängnis bedeute immer auch Folter.
Das BVwG setzt sich in seiner Entscheidung nicht mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers als im wehrdienstfähigen Alter befindlichen Mannes (Registrierung von den syrischen Militärbehörden im Jahr 2011, bisher habe der Beschwerdeführer aber keinen Einberufungsbefehl erhalten), der seinen Angaben zufolge den Wehrdienst beim syrischen Militär noch nicht abgeleistet hat, auseinander. Es stellt weder fest, ob dem - aus der Stadt Al Hasaka stammenden - Beschwerdeführer insbesondere angesichts seines Alters von 30 Jahren bei seiner Rückkehr nach Syrien eine Einberufung oder zwangsweise Einziehung drohe, noch welche Auswirkungen eine Rückkehr des Beschwerdeführers als potentiell zukünftiges Mitglied der syrischen Armee vor dem Hintergrund des herrschenden Bürgerkrieges in Syrien hätte. Aus der Entscheidung geht auch nicht hervor, ob der Beschwerdeführer als potentiell zukünftiges Mitglied der syrischen Armee Gefahr liefe, selbst an der Begehung von Kriegsverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen beteiligt zu werden.