E624/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Dem BVwG lag zwar noch kein Urteil eines türkischen Strafgerichtes vor. Allerdings brachte der Beschwerdeführer unter Vorlage von Urkunden vor, gegen ihn laufe in der Türkei ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes der Propaganda für eine terroristische Organisation (PKK/YPG). Die Authentizität der vorgelegten Urkunden wird vom BVwG nicht angezweifelt. Selbst unter der Annahme eines gegen den Beschwerdeführer in der Türkei anhängigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens verneint das BVwG eine asylrelevante Verfolgungsgefahr. Diese nicht weiter begründete Annahme steht jedoch in offenem Widerspruch zu den Länderberichten, die das BVwG zwar zu Feststellungen erhebt, in seinen Erwägungen jedoch nur punktuell heranzieht und insbesondere mit Blick auf den vorliegenden Fall zentrale Passagen unberücksichtigt lässt. Das BVwG wäre gehalten gewesen, sich nachvollziehbar mit den Länderfeststellungen auseinanderzusetzen, denen zufolge die Missachtung grundlegender Verfahrensgarantien in der Türkei bei Fällen von Terrorismusverdacht zu einem Grad an Willkür geführt habe, der das Wesen des Rechtsstaates gefährde.
Überdies unterlässt es das BVwG, die dem Beschwerdeführer konkret angelasteten Tathandlungen in Verhältnis zu den gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen zu setzen. Die bei der Prüfung nach §3 AsylG 2005 im Einzelfall gebotene Abgrenzung zwischen rechtsstaatlich legitimer Strafverfolgung ("prosecution") und Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK ("persecution") erübrigt sich nicht schon mit dem bloßen Hinweis auf die Strafbarkeit der Gutheißung terroristischer Straftaten gemäß §282a Abs2 StGB sowie einer abstrakten Gegenüberstellung der Strafrahmen dieser Bestimmung des österreichischen mit jener des türkischen Rechts. Allein aus diesen pauschalen Hinweisen lässt sich– insbesondere vor dem Hintergrund der Länderberichte zur Rechtsstaatlichkeit und zum Justizwesen in der Türkei – weder die Legitimität der Strafverfolgung noch die Verhältnismäßigkeit einer allenfalls drohenden strengen Bestrafung des Beschwerdeführers ableiten.