E1754/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Eine drohende Verfolgungsgefahr darf nicht allein mit dem Hinweis verneint werden, dass derzeit noch keine Verurteilung des Beschwerdeführers erfolgt sei, ohne zu prüfen, womit er bei einer Rückkehr in die Türkei voraussichtlich rechnen müsste. Nicht tragfähig ist die pauschale Annahme des BVwG, dass der Beschwerdeführer durch die Teilnahme an Versammlungen der Gülen‑Bewegung kurz vor seiner Ausreise ein in der Türkei strafbares Verhalten gesetzt habe (das Verbrechen, Mitglied der bewaffneten Terrororganisation "FETÖ/PDY" zu sein) und das Strafverfahren daher legitim sei. Soweit das BVwG hiezu schlicht ausführt, es sei nicht in der Position, eine Grenze zwischen "verurteilenswerten" und "nicht-verurteilenswerten" Taten zu ziehen, verkennt es, dass es bei der Prüfung nach §3 AsylG 2005 gerade darauf ankommt, ob rechtsstaatlich legitime Strafverfolgung ("prosecution") vorliegt oder es sich um Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK ("persecution") handelt. Diese im Einzelfall gebotene Abgrenzung zwischen legitimer Strafverfolgung und asylrelevanter Verfolgung erübrigt sich auch nicht schon mit dem bloßen Hinweis auf die Strafbarkeit der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung gemäß §278b Abs2 StGB.
Zudem unterlässt das BVwG, die dem Beschwerdeführer konkret angelasteten Tathandlungen in Verhältnis zu den gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen zu setzen. Das BVwG legt seinen Feststellungen zwar zugrunde, dass der Beschwerdeführer an Versammlungen der Gülen-Bewegung teilgenommen habe, wobei die Teilnahme an diesen nicht auf einer politischen Motivation des Beschwerdeführers gegründet hätte. Mit dem konkreten Verhalten des Beschwerdeführers und den näheren Umständen seiner Teilnahme an diesen Versammlungen sowie deren Charakter setzt sich das BVwG in weitere Folge jedoch nicht auseinander.
Das BVwG hätte sich weiters nachvollziehbar mit den Länderfeststellungen auseinanderzusetzen gehabt, denen zufolge die Missachtung grundlegender Verfahrensgarantien in der Türkei bei Fällen von Terrorismusverdacht zu einem Grad an Willkür geführt habe, der das Wesen des Rechtsstaates gefährde. Das BVwG lässt auch die von ihm zugrunde gelegten Länderfeststellungen außer Acht, wonach der Ausgang der Strafverfahren wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, insbesondere hinsichtlich des Strafausmaßes, willkürlich sei.