JudikaturOLG Wien

32Bs149/25h – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Immaterieller Schaden
30. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterinnen Dr. Vetter und Mag. Marchart als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, über dessen Berufung wegen Strafe und des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 13. November 2024, GZ ** 30, in der in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Salfelner, LL.M, der Privatbeteiligtenvertreterin Mag. Sarah Mayrhofer sowie in Anwesenheit des Angeklagten A* und seines Verteidigers Mag. Zaid Rauf durchgeführten Berufungsverhandlung am 30. Juni 2025 zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wegen Strafe wird nicht, hingegen jener gegen den Ausspruch über die Ansprüche der Privatbeteiligten dahin Folge gegeben, dass das Feststellungserkenntnis aufgehoben und die Privatbeteiligte diesbezüglich auf den Zivilrechtsweg verwiesen wird.

Im Übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde A* der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/ und II/2/) und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II/1/) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III/) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem Strafsatz des § 202 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde der Vollzug eines Teils der Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurde er zudem schuldig erkannt, der Privatbeteiligten B* einen Betrag von 4.597 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen. Weiters wurde festgestellt, dass er für künftige, aus diesen Vorfällen resultierende Schäden hafte.

Danach hat er in **

I/ im Juli 2021 an seiner unmündigen Nichte B* (geboren am **) außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, indem er sich nackt zu ihr legte, seinen erigierten Penis gegen ihren Körper drückte, ihre Vagina unter der Unterhose betastete, ihre Brust unter dem T-Shirt massierte und ihre Hand auf seinen erigierten Penis legte, um den Handverkehr an ihm durchzuführen (US 4);

II/1/ am 28. Oktober 2021 außer den Fällen des § 201 StGB die Genannte mit Gewalt zur Vornahme und zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie am Handgelenk packte, festhielt, mit ihrer Hand seinen erigierten Penis umschloss, zunächst selbst mit ihrer Hand Auf- und Abbewegungen durchführte, sie danach durch Aufforderung dazu brachte, ihre Hand selbstständig zu bewegen, und ihre Vagina unter der Unterhose betastete;

II/2/ durch die unter II/1/ dargelegte Tat außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen;

III/ durch die zu I/ und II/ beschriebenen Handlungen mit einer minderjährigen Person, die zu den Tatzeitpunkten seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von dieser Person an sich vornehmen lassen.

Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen als erschwerend, mildernd hingegen den bisherigen ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten.

Nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 30. April 2025, GZ 15 Os 13/15p 4 (ON 34.3), ist nunmehr über dessen Berufung wegen Strafe und des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche (ON 31.2) zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung wegen Strafe ist nicht im Recht.

Zunächst sind die Strafzumessungsgründe dahingehend zu konkretisieren, dass das Zusammentreffen von drei Verbrechen mit zwei Vergehen erschwerend zu werten war.

Die vom Angeklagten reklamierte Unbesonnenheit (§ 34 Abs 1 Z 7 StGB), worunter die spontane Tatbegehung aufgrund eines augenblicklichen Willensimpulses, der aus besonderen Gründen der Lenkung durch das ruhige Denken entzogen ist und ohne diese unterdrückt werden würde, zu verstehen ist, wurde schon im Hinblick auf die wiederholte Tatbegehung ( Riffel in WK² § 34 Rz 18) zu Recht nicht berücksichtigt. Darüber hinaus steht bei schwereren Delikten - wie hier vorliegend - der Annahme des angesprochenen Milderungsgrundes die damit verbundene höhere Hemmschwelle einem Verständnis für eine allenfalls aus dem Augenblick entstandene Tatbegehung entgegen ( Riffel aaO Rz 19).

Die Annahme des Milderungsgrundes nach § 35 StGB kommt wiederum nur in Betracht, wenn ein Rauschzustand vorliegt, der die Diskretions- und/oder Dispositionsfähigkeit beeinträchtigt hätte. Ein solcher Zustand ist den Urteilsannahmen nicht zu entnehmen und wird auch im Berufungsvorbringen nicht behauptet.

Dass B* zu den Tatzeitpunkten zwölf Jahre alt gewesen und damit die Grenze der Unmündigkeit nicht erheblich unterschritten worden sei, vermag – entgegen der Rechtsansicht des Angeklagten - den Schuldgehalt der Tat nicht zu mindern. Vielmehr fiele ein noch geringeres Alter des Opfers erschwerend ins Gewicht (RIS-Justiz RS0090958).

Sofern der Angeklagte weiters ein längeres Wohlverhalten seit der Tat für sich ins Treffen führt, ist dem zu erwidern, dass als „längere Zeit“ im Sinne des besonderen Milderungsgrundes des § 34 Abs 1 Z 18 StGB eine Zeitspanne zu verstehen ist, die sich an der fünfjährigen Rückfallsverjährungszeit des § 39 Abs 2 StGB orientiert und daher gegenständlich mit Blick auf die im Jahr 2021 liegenden Tatangriffe nicht vorliegt ( Riffel in WK 2 § 32 Rz 46).

Mit dem Monitum, dass den Feststellungen nicht zu entnehmen sei, inwiefern er sein Autoritätsverhältnis ausgenutzt habe, um die Taten zu I/ zu begehen, orientiert sich der Angeklagte nicht an den Urteilsannahmen (US 5; vgl auch ON 34.3 Rz 10).

Ausgehend von den dargestellten Strafzumessungskriterien (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) ist auf Basis der Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) sowie unter Berücksichtigung spezial- und generalpräventiver Erwägungen die Freiheitsstrafe von 18 Monaten tat- und schuldangemessen, zumal sie einerseits dem Täter das Unrecht seiner Handlungen vor Augen führt und andererseits tatgeneigten Personen zu verstehen gibt, dass strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität von Minderjährigen spürbare Konsequenzen habe. Mit seinem Vorbringen, dass die zum Schuldspruchfaktum II/1/ angewandte Gewalt hinter dem deliktstypischen Ausmaß der Begehungsweisen nach § 202 Abs 1 StGB zurückliege und bei Ausnutzung des Autoritätsverhältnisses keine Überschreitung der deliktstypischen Begehungsweise erblickt werden könne, vermag der Angeklagte keine Umstände aufzuzeigen, die eine Milderung der ausgehend von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe ohnedies moderat bemessenen Sanktion zu bewirken vermögen.

Der Anwendung der geforderten Rechtswohltat gänzlich bedingter Nachsicht stehen bereits Belange der Generalprävention entgegen. Denn die in Rede stehenden, teils mit Gewalt begangenen strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität zum Nachteil eines zwölfjährigen Opfers sind von solchem Gewicht und solcher Sozialschädlichkeit, dass eine gänzlich bedingte Strafnachsicht geeignet wäre, einen der generellen Normtreue abträglichen Eindruck einer Bagatellisierung derartiger Delinquenz entstehen zu lassen und damit gegenüber anderen potenziell tatgeneigten Rechtsbrechern nicht die erforderliche tatabhaltende Wirkung zu erzielen. Im Übrigen widerspricht die vom Angeklagten monierte Berücksichtigung der Tatbegehung gegen eine Unmündige bei der Verweigerung gänzlich bedingter Nachsicht - wie bereits vom Obersten Gerichtshof festgehalten (ON 34.3 Rz 13) - nicht dem Doppelverwertungsverbot.

Gemäß § 1328 ABGB hat derjenige, der jemandem unter anderem durch eine strafbare Handlung, Drohung oder Ausnützung eines Abhängigkeits- oder Autoritätsverhältnisses zur Beiwohnung oder sonst zu geschlechtlichen Handlungen missbraucht, dem Opfer den erlittenen Schaden, entgangenen Gewinn und eine angemessene Entschädigung für die erlittene Beeinträchtigung zu leisten. Dabei sind auch Beeinträchtigungen des Opfers zu entschädigen, die noch nicht als Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit verstanden werden können, wie etwa bloße „Ungemach-“ oder „Unlustgefühle“. Demnach sind die Zusprüche an die Privatbeteiligte im Zusammenhalt mit § 273 ZPO jedenfalls angemessen, zumal etwa nach dem Gleichbehandlungsgesetzfür jegliche Form der sexuellen Belästigung ein Mindestbetrag von 1.000 Euro zugrunde zu legen ist.

Gemäß § 228 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder Rechtes erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass jenes Rechtsverhältnis oder Recht durch eine gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Gemäß § 1489 ABGB ist jede Entschädigungsklage grundsätzlich in drei Jahren von der Zeit an verjährt, zu welcher der Schade und die Person des Beschädigers dem Beschädigten bekannt wurde. In diesem Sinne ist das Feststellungsinteresse zu bejahen, wenn feststeht, dass nach Ablauf der dreijährigen Frist weitere Schäden auftreten können. Ist hingegen – wie im vorliegenden Fall – der Schaden aus einer gerichtlich strafbaren Handlung entstanden, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, so erlischt das Klagerecht gemäß § 1489 zweiter Satz ABGB erst nach 30 Jahren. Im Falle dieser langen Verjährungsfrist fehlt aber vorerst das rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung, weil der Geschädigten hier ein ausreichend langer Zeitraum zur Geltendmachung ihrer Ansprüche zur Verfügung steht (RIS-Justiz RS0039277; 9 ObA 227/94; OLG Wien, 132 Bs 235/19g, 17 Bs 254/19g, 21 Bs 122/25g uva; OLG Linz 7 Bs 26/23g).

Dementsprechend war das Feststellungerkenntnis aufzuheben und die Privatbeteiligte diesbezüglich auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.