12Rs20/25k – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. und Dr. Dieter Weiß als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Herwig Mayer, MBA (Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Michael Dorrer (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **straße **, vertreten durch die Adam Felix Rechtsanwälte KG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch deren Angestellten Mag. B*, Landesstelle Salzburg, wegen Berufsunfähigkeitspension , infolge Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. November 2024, Cgs1*-42, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die klagende Partei selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 11. Juli 2023 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 22. Mai 2023 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab und sprach aus, dass auch vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von mindestens sechs Monaten nicht vorliege und kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung sowie auf medizinische und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Klage mit dem Begehren auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension, in eventu von Rehabilitationsgeld im gesetzlichen Ausmaß ab dem Stichtag. Der Kläger habe innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in weit mehr als 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit als Angestellter ausgeübt. Aufgrund seines physischen und psychischen Gesundheitszustands sei er nicht mehr imstande, einer Tätigkeit am Arbeitsmarkt nachzugehen; er sei dauernd berufsunfähig.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, dass der Kläger noch in der Lage sei, eine Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klage ab. Seiner Entscheidung legte es folgenden (zusammengefassten) Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger erwarb in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. Juni 2023) 31 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit als Assistent des Logistikleiters und 49 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit als Bereichsleiter in der Entwicklung und Kundenberater. Insgesamt erwarb der Kläger bislang 426 Versicherungsmonate, davon 79 Beitragsmonate der Pflichtversicherung in der Teilversicherung (APG), 183 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit, 69 Monate einer Ersatzzeit sowie 95 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit nach dem GSVG.
Aufgrund seines Gesundheitszustands sind dem Kläger drittelzeitig Tragebelastungen bis zu 10 kg und Hebebelastungen bis zu 15 kg zumutbar. Tätigkeiten kann er im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten. Gehende und stehende Tätigkeiten können für max 20 Minuten am Stück durchgeführt werden. Bei Auftreten von Beschwerden sollte ein Haltungswechsel vom Gehen und Stehen in ein Sitzen erfolgen. Der Haltungswechsel muss 15 Minuten andauern. Ausgeschlossen sind dauernde Überkopfarbeiten, Tätigkeiten im permanenten Knien und Hocken sowie in konstant vorgebeugter Körperhaltung, Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und in schwindelexponierten Lagen sowie Arbeiten, welche abruptes Ziehen, Drücken oder Stoßen verlangen. Arbeiten sind möglich bei einem durchschnittlichem und zeitweise überdurchschnittlichem Zeitdruck im Sinne eines fallweise forcierten Arbeitstempos. Akkordarbeiten und Schichtarbeiten sind ausgeschlossen. Ansonsten bestehen keine weiteren Einschränkungen in Bezug auf soziale, persönliche oder situationsbedingte Kompetenz. Bei Tätigkeiten im Freien ist auf Nässe, Schutz und Kälteschutz [gemeint wohl: Nässe- und Kälteschutz] zu achten. Ansonsten bestehen keine Einschränkungen. Ausgeschlossen sind Arbeiten, die mit einem erhöhten Verletzungsrisiko einhergehen, wie an schnell laufenden Großgeräten. Arbeiten an kleinen Geräten (zB Küchengeräten) sind allerdings möglich.
Der Kläger kann 20 Stunden pro Woche, aufgeteilt auf fünf Tage zu je vier Stunden, arbeiten. Zusätzliche Arbeitspausen sind nicht erforderlich.
Ein öffentliches Verkehrsmittel kann benützt werden und es gibt keine Einschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs. Eine Wohnsitzverlegung und ein Wochenauspendeln sind dem Kläger möglich. Eine Wegstrecke von 500 m kann in einer Zeit von 25 Minuten zurückgelegt werden.
Bei Einhaltung des Leistungskalküls sind regelmäßige leidensbedingte Krankenstände im Ausmaß von drei Wochen pro Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Regelmäßige Kuraufenthalte sind nicht unbedingt notwendig. Eine kalkülsrelevante Verbesserung und/oder eine Reduzierung der Krankenstandsprognose des Klägers ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten.
Trotz seines eingeschränkten Leistungskalküls ist der Kläger noch in der Lage, etwa die Tätigkeiten eines Portiers, Parkgaragenkassiers, Montagearbeiters kleinerer Werkstücke, Museumsaufsehers oder Telefonisten auszuüben. Dabei handelt es sich um körperlich und geistig einfache Tätigkeiten, die immer wiederkehrend sind und das Leistungskalkül des Klägers nicht übersteigen. Die angeführten Verweisungstätigkeiten kommen bundesweit auf dem allgemeinen (Teilzeit-)Arbeitsmarkt zahlreich vor, zumindest in einer Anzahl von 100 Arbeitsstellen und mehr.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, dass der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag weniger als 90 Versicherungsmonate erworben habe, weshalb die Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeitspension nach § 273 Abs 1 ASVG nicht vorliegen würden. Gemäß § 273 Abs 2 iVm § 255 Abs 3 ASVG sei der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Da der Kläger die festgestellten Verweisungstätigkeiten, für die ein ausreichend großer bundesweiter (Teilzeit-)Arbeitsmarkt bestehe, noch ausüben könne, liege Berufsunfähigkeit nicht vor.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem auf Klagsstattgabe gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Darüber hinaus erhebt der Kläger eine Berufung im Kostenpunkt.
Die Beklagte hat keine Berufungsbeantwortung erstattet.
Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
1Der Kläger erachtet das angefochtene Urteil für nichtig im Sinne des § 477 Abs 1 Z 1 und Z 9 ZPO.
1.1 Wenn der Kläger eine Voreingenommenheit des Vorsitzenden im erstinstanzlichen Verfahren ins Treffen führt, ist er auf den rechtskräftigen Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 20. März 2025 zu Nc* zu verweisen, mit welchem eine Befangenheit verneint und der in der Berufung enthaltene Ablehnungsantrag zurückgewiesen wurde.
1.2Die Nichtigkeitsberufung bezieht sich zudem auf die gegen die Person des [gemeint wohl: neurologisch-psychiatrischen] Sachverständigen erhobenen Einwendungen vom 20. Oktober 2024 [richtig: 20. Oktober 2023]. Da mit diesen die Befangenheit des Sachverständigen wegen seiner Bestellung im Vorverfahren gerügt worden sei, treffe der Befangenheitsgrund iSd § 19 JN auch bezüglich der Person des Sachverständigen zu und werde § 477 Abs 1 Z 1 abermals verletzt. Die Berufung übergeht mit diesen Ausführungen, dass die Heranziehung von Befund und Gutachten eines befangenen Sachverständigen keine Nichtigkeit bewirkt (vgl RIS-Justiz RS0040667 [T5]; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO 5 §§ 355-356 Rz 6 mwN).
1.3Der Kläger stützt sich zudem auf den Tatbestand des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO ohne näher darauf einzugehen. Dieser Nichtigkeitsgrund betrifft nur das Urteil, nicht aber das vorangegangene Verfahren ( Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO 5§ 477 Rz 37) und ist dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RIS-Justiz RS0007484); dabei muss ein Widerspruch im Spruch selbst oder ein Fehlen von Gründen überhaupt vorliegen (RIS-Justiz RS0042133). Beides ist nicht gegeben.
1.4 Die Berufung wegen Nichtigkeit ist daher zu verwerfen.
2Als Verfahrensmangel rügt der Kläger, dass im erstinstanzlichen Verfahren weder ein psychiatrisches noch ein berufskundliches Sachverständigengutachten eingeholt worden sei; das Erstgericht die Beilagen ./B - ./S nicht berücksichtigt habe und „keine Erörterung der beigeschafften widersprüchlichen Fachmeinungen zu den einzelnen aktuellen Krankheitsbildern“ stattgefunden habe, ohne jedoch anzugeben, welche für ihn günstigeren Verfahrensergebnisse zu erwarten gewesen wären, wenn die Verfahrensfehler nicht unterlaufen wären. Damit gelangt der Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens aber nicht zur gesetzmäßigen Ausführung, muss doch der Rechtsmittelwerber in der Berufung nachvollziehbar aufzeigen, in welcher Hinsicht sich bei Unterbleiben des behaupteten Verfahrensfehlers eine abweichende Sachverhaltsgrundlage ergeben hätte (RIS-Justiz RS0043039 [T5]).
3.1 Die Berufung bekämpft die – sich aus dem textlichen Zusammenhang eindeutig auf den Punkt der atmosphärischen und klimatischen/umweltbedingten Arbeitsbedingungen beziehende – Feststellung, wonach ansonsten keine Einschränkungen bestehen würden. Wenn die Ersatzfeststellung begehrt wird, dass beim Kläger massive Einschränkungen aufgrund seines Krampfsyndroms, der orthopädischen Probleme und der massiven psychischen Alteration bestehen würden, sodass Berufsunfähigkeit vorliege, lässt dies nicht erkennen, worin neben der Notwendigkeit eines Nässe- und Kälteschutzes bei Arbeiten im Freien die konkretenLeistungseinschränkungen liegen sollen, sodass daraus für den Kläger nichts gewonnen ist. Ob eine Berufsunfähigkeit vorliegt, stellt zudem keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage dar. Überdies ist die Feststellung von Diagnosen bzw die Feststellung, an welchen gesundheitlichen Problemen ein Versicherter leidet, nicht von rechtlicher Relevanz, ist doch das Leistungskalkül maßgeblich (vgl RIS-Justiz RS0084399).
3.2 Weiters wendet sich die Berufung gegen die Feststellungen zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, zur Zurücklegung einer Wegstrecke von 500 m und zur Wohnsitzverlegung bzw zum Wochenauspendeln. Stattdessen strebt der Kläger die Feststellungen an, dass es ihm unzumutbar sei, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen, er eine Wegstrecke von maximal 100 m zurücklegen könne und eine Wohnsitzverlegung und ein Wochenauspendeln nicht möglich seien.
3.2.1 Zusammenfassend argumentiert der Kläger damit, dass sich die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus dem Gutachten und den Schreiben des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen (Blg ./P1, ./Q und ./R) ergebe. Diese Urkunden seien vom Erstgericht und vom Sachverständigen nicht ausreichend gewürdigt worden; die fachliche Eignung des orthopädischen Sachverständigen zieht die Berufung ebenfalls in Zweifel.
3.2.2 Im Gesamtgutachten, welches der orthopädische Sachverständige erstellte, werden die vom Kläger angeführten Urkunden (Blg ./P1, ./Q und ./R) auszugsweise wiedergegeben. In der mündlichen Gutachtenserörterung am 17. September 2024 (ON 36.2) nimmt der orthopädische Sachverständige (wenn auch nur kurz) Bezug auf das Gutachten des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen und verweist auf die Erstellung durch einen Allgemeinmediziner bzw darauf, dass hier andere Kriterien heranzuziehen seien. Dass sich der Sachverständige nicht mit dem Gutachten des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen auseinandersetzte oder dieses überging, ist damit nicht zutreffend. Zudem vermag die Berufung nicht darzulegen, warum dem von einem Allgemeinmediziner erstellten Gutachten des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen eher Glauben zu schenken gewesen wäre als dem orthopädischen Sachverständigengutachten. So geht auch das vom Kläger vorgelegte, im Verfahren Cgs2* des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht eingeholte orthopädische Sachverständigengutachten vom 23. Februar 2021 (Blg ./E) von der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus. Das vom Kläger vorgelegte orthopädische Attest vom 23. Oktober 2023 (Blg ./J) enthält diesbezüglich ebenfalls keine Einschränkung, sondern deckt sich im Wesentlichen mit dem vom orthopädischen Sachverständigen erstellten Gesamtleistungskalkül.
3.2.3 Mit Ausnahme der Gutachten des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen (Blg ./H und ./P1), in welchen aber auch nur auf die Angaben des Klägers zur Gehstrecke Bezug genommen wird, ist den vorliegenden Krankenunterlagen nicht zu entnehmen, dass der Kläger eine Wegstrecke von maximal 100 m zurücklegen könnte. Ausschließlich das neurologische Attest des den Kläger behandelnden Facharztes vom 16. Oktober 2023 (Blg ./K) führt aus, dass nach 150 bis 300 m aufgrund der Krämpfe eine Pause einzulegen sei, schließt jedoch die Zurücklegung einer Wegstrecke von 500 m in einer Zeit von 25 Minuten genauso wenig aus wie die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Diese Urkunde vermag die begehrte Ersatzfeststellung ebenfalls nicht zu tragen. Ein Ausschluss einer Wohnsitzverlegung oder eines Wochenauspendelns lässt sich nicht einmal aus den Gutachten des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen (Blg ./H und ./P1) ableiten.
3.3Was der Kläger mit seinen Ausführungen unter den Überschriften „2. Fehlerhafte Verweisbarkeit“, „3. Unzureichende Auseinandersetzung mit berufskundlichen Aspekten“ und „4. Unzureichende Bewertung der medizinischen Gutachten“ zu erreichen versucht, lässt sich der Berufung nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Unklar ist, ob der Kläger damit die Feststellungen zu den Verweisungstätigkeiten angreift. In solch einem Fall liegt aber keine gesetzmäßig ausgeführte Beweisrüge vor, ist doch ua nicht klar ersichtlich, welche Ersatzfeststellung begehrt wird (vgl RIS-Justiz RS0041835). Zudem geht der Kläger in seinen Ausführungen zur rechtlichen Relevanz der begehrten Feststellung zum Thema Anmarschweg selbst davon aus, dass er weiterhin am allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar ist (ON 43 S 11). Diese Ansicht deckt sich auch damit, dass das Erstgericht am Ende der Tagsatzung am 4. November 2024 offenkundige Verweisungstätigkeiten erörterte und der Kläger darauf nicht reagierte.
3.4Dem Berufungssenat ist auch nicht verständlich, inwiefern die Gutachtensergänzungs- und Gutachtenserörterungsanträge des Klägers „unzureichend gewürdigt“ worden sein sollen. Mit sämtlichen medizinischen Sachverständigen fand eine Gutachtenserörterung statt (vgl ON 36.2 und 39.2). Die Zielrichtung der allgemein gehaltenen Berufungsausführungen zur Erörterungspflicht gemäß § 75 Abs 2 ASGG ist daher unklar.
3.5Die Beweisrüge geht unter Bezugnahme auf ein „Vorverfahren Cgs3* des LG Innsbruck als ASG und das vorgelegte Ergänzungsgutachten vom 16.5.2023 Beilage 5“ und § 87 Abs 1 ASGG davon aus, dass das Erstgericht verpflichtet gewesen wäre, ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen.
3.5.1 Inwiefern es sich beim Verfahren Cgs3* des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht um ein „Vorverfahren“ handeln soll, ist völlig unerklärlich, war der Kläger an diesem Verfahren doch gar nicht beteiligt. Bei der Beilage ./5 handelt es sich gegenständlich auch nicht um ein Ergänzungsgutachten vom 16. Mai 2023, sondern um eine chefärztliche Stellungnahme vom 10. Juli 2023.
3.5.2Ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten wurde im Verfahren eingeholt, ergänzt und erörtert. Der Kläger zielt aber offenbar darauf ab, der Person des Sachverständigen die fachliche Eignung abzusprechen. Wenn sich die Berufung daran stößt, dass der im Verfahren bestellte neurologisch-psychiatrische Sachverständige lediglich im Fachgebiet Neurologie, nicht jedoch im Fachgebiet Psychiatrie in der Sachverständigenliste eingetragen sei, so mag dies zutreffend sein. Das Berufungsgericht stellte aber in jüngster Vergangenheit zu 12 Rs 82/24d und 11 Rs 27/25g bereits klar, dass die Bestellung der konkreten Person zum neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen auf keine Bedenken stößt. Der Sachverständige weist aufgrund seiner Ausbildung und Berufserfahrung jedenfalls entsprechendes Wissen im Fachbereich der Psychiatrie auf. Die Nichteintragung einer Person in die Sachverständigenliste für ein bestimmtes Fachgebiet ist kein Indiz, dass ihr die zur Erfüllung eines Gutachtensauftrags erforderliche Kompetenz fehlt (RIS-Justiz RS0040607 [T25]). Es besteht gerade keine Verpflichtung des Gerichts, nur solche Personen heranzuziehen, die zur Erstattung von Gutachten über ein bestimmtes Thema öffentlich bestellt sind (RIS-Justiz RS0040607 [T8]). Das Gericht ist bei der in seinem Ermessen liegenden Auswahl des Sachverständigen weder an die Vorschläge der Parteien, noch an konkrete gesetzliche Vorgaben, noch an die Eintragung des Sachverständigen in die Sachverständigenliste für ein bestimmtes Fachgebiet gebunden (RIS-Justiz RS0040607 [insb T7, T8, T24, T25]; OGH 8 Ob 20/22g, 9 ObA 33/23b).
4 Wenn die Rechtsrüge ebenfalls die oben angeführten Feststellungen zum Anmarschweg bekämpft und idente Ersatzfeststellungen wie in der Beweisrüge begehrt, verkennt die Berufung das Wesen eines sekundären Feststellungsmangels, der dann vorliegt, wenn zu einem materiell-rechtlich relevanten Thema keine Feststellung getroffen wurde. Ein Feststellungsmangel liegt aber nicht vor, wenn das Gericht zu einem bestimmten Thema ohnehin Feststellungen traf, diese den Vorstellungen des Berufungswerbers aber zuwiderlaufen. Die dazu erstatten Berufungsausführungen sind daher der Beweisrüge zuzuordnen (vlg Pochmarski/Tanczos/Kober, Berufung in der ZPO 4 187 f mwN). Mangels einer (gesetzmäßig ausgeführten) Rechtsrüge kommt dem Berufungssenat in weiterer Folge aber keine materiell-rechtliche Überprüfungsbefugnis des angefochtenen Urteils zu.
5 Wenn der Kläger „nunmehr auch die Befangenheit“ des orthopädischen Sachverständigen „einwendet“, ist dies nicht als Ablehnungsantrag zu werten, führt doch die Berufung dafür keinerlei Gründe ins Treffen. Bedenken gegen die persönliche Eignung des Sachverständigen und gegen die Qualität des Gutachtens, die Behauptung mangelnder Sachkenntnis oder überhaupt eine unrichtige Begutachtung stellen jedenfalls keinen Ablehnungsgrund dar ( Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO 5§§ 355-356 Rz 2 mwN). Sollten die Berufungsausführungen jedoch tatsächlich als Ablehnung des bestellten orthopädischen Sachverständigen zu verstehen sein, so ist eine solche zwar auch noch im Verfahren zweiter Instanz möglich (vgl RIS-Justiz RS0040667), doch fehlt es im vorliegenden Fall schon an einer Behauptung iSd § 355 Abs 2 ZPO, dass dem Kläger die Geltendmachung des Ablehungsgrundes nicht früher möglich gewesen wäre.
6.1Das Sonderkostenersatzrecht des § 77 ASGG regelt in seinem Abs 1 Z 2 lit b den Kostenersatzanspruch des Versicherten bei Unterliegen. Nach dem Wortlaut der Bestimmung setzt ein Kostenersatz nach Billigkeit voraus, dass sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen als auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten einen Kostenersatz nahe legen ( Neumayrin ZellKomm³ § 77 ASGG Rz 13 mwN). Die Voraussetzungen des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG müssen kumulativ vorliegen ( Sonntag in Köck/Sonntag, ASGG § 77 Rz 21 mwN). Es ist aber Sache des Versicherten, Umstände, die einen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit rechtfertigen können, vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatz unmittelbar vorangehenden Verhandlung geltend zu machen, es sei denn, sie ergeben sich aus dem Akteninhalt ( Neumayrin ZellKomm³ § 77 ASGG Rz 13 mwN).
6.2 Der Kläger legte in erster Instanz keine Gründe für einen ausnahmsweisen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit dar. Allfällige wirtschaftliche Gründe sind dem Akteninhalt nicht zu entnehmen und hing die Entscheidung etwa auch nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung ab. Die Einholung medizinischer Sachverständigengutachten aus mehreren Fachbereichen sowie deren Ergänzung und Erörterung sind in einem Sozialrechtsverfahren wegen Leistungen bei geminderter Arbeitsfähigkeit gängig; ebenso, dass sich die Parteien des Verfahren mit den Ergebnissen nicht einverstanden zeigen. Dies begründet jedoch keinen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit.
7 Der Berufung musste daher insgesamt ein Erfolg versagt bleiben.
8Die Kostenentscheidung des Berufungsverfahrens beruht ebenfalls auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände für einen Kostenersatz nach Billigkeit trotz vollständigen Unterliegens wurden vom Kläger weder dargelegt noch ergeben sich diese aus der Aktenlage; insbesondere haben im Verfahren weder tatsächliche noch rechtliche Schwierigkeiten bestanden.
9Die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist nicht zulässig, weil nur Tat- und keine Rechtsfragen zur Beurteilung vorlagen.