10Bs74/25s – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Henhofer als Vorsitzende und Mag. Höpfl sowie den Richter Mag. Graf in der Strafsache gegen A* B*und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufungen der Angeklagten A* B*, C* D* und E* jeweils wegen des Ausspruchs über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Jugendschöffengericht vom 4. Oktober 2024, GZ Hv*-280, nach der in Anwesenheit des Ersten Staatsanwalts Mag. Holzleitner als Vertreter des Leitenden Oberstaatsanwalts sowie der Angeklagten A* B*, C* D* und E* und deren Verteidiger Mag. Pföstl, Dr. Essl und Mag. Schmiedl durchgeführten Berufungsverhandlung am 24. April 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen den Angeklagten A* B*, C* D* und E* die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen – auch Vorhaftanrechnungen, unbekämpft gebliebene Beschlüsse nach § 494 Abs 1 StPO und in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche betreffend die Mitangeklagten F* B*, G*, H* und I* enthaltenden – Urteil wurden A* B* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (A./) und der Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 2 StGB (B./ und C./) sowie C* D* und E* jeweils des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 Abs 2 (iVm Abs 1 Z 2 zweiter Fall) StGB (A./) und der Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 2 StGB (A./, B./ und C./) schuldig erkannt und hiefür jeweils unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB bestraft wir folgt:
A* B* unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG und des § 43a Abs 3 StGB nach der Bestimmung des § 87 Abs 2 erster Strafsatz StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, wovon ein Teil im Ausmaß von 16 Monaten unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehen wurde, C* D* unter Anwendung des § 19 Abs 4 Z 1 JGG und des § 43 Abs 1 StGB nach § 85 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten und E* unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG und des § 43 Abs 1 StGB nach § 85 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, wobei die beiden zuletzt genannten Sanktionsaussprüche jeweils unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehen wurden.
Im Adhäsionserkenntnis wurden A* B*, F* B*, G*, H*, I*, C* D* und E* gemäß § 369 Abs 1 StPO zur ungeteilten Hand verpflichtet, nachfolgenden Privatbeteiligten nachfolgende Schmerzengeldteilbeträge binnen 14 Tagen zu bezahlen, und zwar J* K* EUR 5.000,00, L* K* EUR 500,00 und M* EUR 300,00.
Nach dem Schuldspruch haben A* B*, F* B*, G*, H*, I*, C* D* und E* am 23. Juni 2024 in ** „in verabredeter Verbindung und im bewussten und gewollten Zusammenwirken“
A./ J* K* eine an sich schwere Verletzung am Körper sowie eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung, nämlich ein schweres Schädelhirntrauma mit multiplen intrakraniellen Blutungen und einen Schädelbasisbruch, zugefügt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Dauerfolge, und zwar eine auffallende Verunstaltung in Form einer 30 cm langen Narbe an der Kopfhaut, bei diesem herbeigeführt, indem sie ihn mit Fäusten schlugen und traten sowie A* B* versuchte, dem bewusstlos am Boden liegenden J* K* einen Fußtritt gegen den Kopfbereich zu versetzen, wobei es A* B*, H* und I* darauf ankam, den Genannten schwer am Körper zu verletzen;
B./ L* K* am Körper verletzt, indem sie ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht und gegen den Oberkörper versetzten, wodurch L* K* Schwellungen und Prellungen im Bereich des Gesichts und des Rückens sowie am Oberkörper erlitt;
C./ M* am Körper verletzt, indem sie ihm einen Fußtritt gegen die Beine und teils wuchtige Faustschläge gegen den Kopf und den Oberkörperbereich versetzten, wodurch M* Prellungen im Bereich des Kopfes erlitt.
Gegen dieses Urteil richten sich – nach Zurückweisung der Nichtigkeitbeschwerden und der wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobenen Berufung eines Angeklagten durch den Obersten Gerichtshof (ON 321.3) – die wegen der Strafaussprüche von A* B*, C* D* und E* angemeldeten- und auch ausgeführten (ON 297, 299, 301) Berufungen, mit denen die Angeklagten primär eine Herabsetzung der ausgesprochenen Freiheitsstrafen (A* B* auch deren gänzlich bedingte Nachsicht bzw E* den Ausspruch einer gänzlich bedingt nachgesehenen Geldstrafe) anstreben. Zudem beantragen sie mit ihren Berufungen gegen das Adhäsionserkenntnis, die Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.
Rechtliche Beurteilung
Bei der Strafbemessung werteten die Erstrichter bei allen Angeklagten mildernd deren bisherigen ordentlichen Lebenswandel, erschwerend hingegen das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen .
Dem Angeklagten A* B* ist - den erstgerichtlichen Strafzumessungskatalog ergänzend – mit Blick auf die aktenkundige Alkoholisierung (ON 32, AS 15 in ON 237, AS 25 in ON 237) eine zumindest geringfügige Herabsetzung seiner Dispositions- und Diskretionsfähigkeit bei den Tatbegehungen zuzugestehen. Ihm kann in Hinblick auf seine Unbescholtenheit und den Umstand, dass er bislang wegen rechtsgutgefährdenden Verhaltens nach Alkoholkonsum nicht aufgefallen ist, kein die Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit aufhebender Vorwurf an der Herbeiführung dieses Zustands gemacht werden, sodass der Anwendung des § 35 StGB kein Grund entgegensteht (vgl Ebner in WK 2StGB § 35 Rz 2).
Seiner Berufungskritik zuwider liegt die Konstellation, wonach der Angeklagte zum Tatzeitpunkt erst seit kurzem strafmündig und wegen seines besonders jungen Alters auch besonders unbesonnen war nicht vor, sodass zu Recht das jugendliche Alter nicht zusätzlich als mildernd herangezogen wurde ( Riffel in Höpfel/Ratz,WK2 StGB § 34 Rz 2). Die vorgebrachten bestehenden beruflichen Bindungen begründen ebensowenig einen Milderungsumstand, wie das in der Hauptverhandlung zum Ausdruck gebrachte Bedauern über die Folgen seiner strafbaren Handlungen.
Ausgehend davon und vor dem Hintergrund der allgemeinen Kriterien der Strafbemessung nach § 32 Abs 2 und 3 StGB erweist sich unter Berücksichtigung des Strafrahmens von bis zu sieben Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe - trotz der geringgradigen Modifikation im Strafzumessungskatalog - eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten als keinesfalls zu hoch ausgemessen, entspricht dies doch nicht einmal einem Drittel des höchstmöglichen Sanktionsausspruchs.
Entscheidend für die Anwendung bedingter Strafnachsicht ist allein der Umstand, ob die in Schwebe bleibende Strafdrohung aus besonderen Gründen kriminalpolitisch als das zweckmäßigere Mittel anzusehen ist, um den Täter in Hinkunft von der Wiederholung gleicher oder ähnlicher Straftaten abzuhalten bzw ihn dadurch zu resozialisieren (vgl RIS-Justiz RS0091501). Wie bereits vom Erstgericht zutreffend dargelegt (US 45f), stehen auf Grund der hohen Tatneigung des Angeklagten (er demonstrierte ein äußerst aggressionsgeladenes und gewalttätiges Vorgehen zum Nachteil mehrerer Personen und nahm nicht einmal davon Abstand, mit dem Fuß in Richtung des Kopfes des J* K* zu treten, als dieser bereits schwer verletzt und bewusstlos am Boden lag [US 15] ), spezialpräventive Gründe einer gänzlich bedingten Strafnachsicht entgegen.
Bei C* D* wurde von den Erstrichtern zusätzlich dessen Alter unter 21 Jahren als mildernd berücksichtigt. Zu den bei ihm attestierten „als untergeordnet zu wertenden Tathandlungen“ ist festzuhalten, dass es sich bei C* D* um jenen Täter handelte, der gemeinsam mit F* B* als erster den Bahnsteig betrat, und – um das Gelingen des zuvor beschlossenen Tatplans (nämlich in verabredeter Verbindung auf die Kontrahenten einzuschlagen und diese zu verletzen) zu gewährleisten – sich in aggressiver Haltung den Opfern annäherte (US 11). Er war jener Angeklagter, der bereits am Anfang der Auseinandersetzung (im Wissen um die Unterstützung der durch die auf den Bahnsteig stürmenden Mitangeklagten) dem Opfer L* K* (dieser versuchte anfänglich bloß sich zu verteidigen [US 12]) wuchtige Schläge gegen den Kopf- bzw. Nackenbereich versetzte. Auch später nahm er von der Durchführung des gemeinsamen Tatentschlusses nicht Abstand sondern verfolgte (gemeinsam mit I*, E* und einer weiteren unbekannten Person) den flüchtenden M* (US 12f), sodass seine Tathandlungen nicht als untergeordnet eingestuft werden können.
Dass die Erstrichter den Milderungsgrund des bisher ordentlichen Lebenswandels (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) wegen vorangegangener diversioneller Erledigung in Zweifel gezogen hätten, erschließt sich aus dem Urteilsinhalt nicht (US 45, 46). Der in Anspruch genommene Milderungsgrund eines (teilweisen) Geständnisses (Körperverletzung zum Nachteil des L* K*) wurde vom Erstgericht zu Recht nicht herangezogen, trugen die Aussagen des C* D* doch in Ansehung der entlarvenden Videoaufzeichnungen weder wesentlich zur Wahrheitsfindung bei, noch (er verantwortete sich mit Notwehr [AS 126ff in ON 237]) beinhalteten diese ein rückhaltloses, alle subjektive und objektive Tatbestandselemente umfassendes Bekenntnis zu den im Schuldspruch festgestellten Taten (RIS-Justiz RS0091565).
Unter diesen Prämissen erweist sich mit Blick auf den Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe die von den Erstrichtern festgesetzte Sanktion in Form einer (ohnedies bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten als keinesfalls zu streng bemessen und daher keiner Reduktion zugänglich.
Der Berufungskritik des E* zuwider wurden dessen Tathandlungen im Vergleich zu den Tathandlungen der anderen Angeklagten ohnedies als untergeordnet gewertet. Er befand sich zum Tatzeitpunkt bereits längere Zeit im 15. Lebensjahr, sodass auch bei ihm das jugendliche Alter nicht zusätzlich als mildernd berücksichtigt werden konnte. Entgegen seinen Ausführungen im Rechtsmittel war auch ihm der Milderungsgrund des Geständnisses nicht zuzubilligen, behauptete er doch bis zuletzt, dass seine Tätlichkeiten aus einem Angriff der Opfer resultierten und von ihm bzw von seinen Mitangeklagten anfänglich keine Aggressionen ausgegangen seien (AS 11 in ON 235). Eine für den Milderungsgrund des reumütigen Geständnisses erforderliche innere Umkehr ist somit auch bei ihm nicht zu erblicken (RISJustiz RS0091465 [T4]; Ebnerin WK² StGB § 34 Rz 38).Warum der Erschwerungsgrund nach § 33 Abs 1 Z 1 StGB in Ansehung der zum gemeinsamen Tatentschluss und zur vorherigen Willenseinigung getroffenen Feststellungen nicht vorliegen sollte, erschließt sich aus der Berufungsschrift, die sich in weiten Strecken in unzulässiger Weise vom (rechtskräftigen) Schuldspruch entfernt, nicht.Die im Rechtsmittel relevierte Unbesonnenheit (§ 34 Abs 1 Z 7 StGB) setzt voraus, dass der Tat keine kriminelle Neigung oder grundsätzliche Geringschätzung fremder Interessen zugrunde liegt (vgl RIS-Justiz RS0091026). Davon kann auf Grund des im bewussten und gewollten Zusammenwirken gesetzten Vorgehens – verbunden mit massiven Eingriffen in die körperliche Integrität anderer - nicht gesprochen werden.
Ausgehend von diesen Strafzumessungskriterien (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweist sich bei ihm - vor dem Hintergrund eines Strafrahmens von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe - die vom Erstgericht ausgemessene (bedingt nachgesehene) Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten tat- und schuldangemessen und ebenso keiner Reduktion zugänglich. Die begehrte Verhängung einer Geldstrafe (nach § 37 Abs 1 StGB) scheitert fallbezogen an spezialpräventiven Hindernissen, weil eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe nachhaltiger verhaltenssteuernd wirkt und die Verhängung einer bloßen Geldstrafe ihre Warnfunktion verfehlen würde (siehe Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari,StGB14 § 37 Rz 2). Dem Ausspruch der begehrten gänzlich bedingten Geldstrafe stünde im Übrigen § 43a Abs 1 StGB entgegen. Die Probezeit war jeweils mit drei Jahren zu bestimmen, um einen ausreichenden Beobachtungszeitraum zu gewährleisten.
Zum Adhäsionserkenntnis:
Nach § 1301 ABGB haften mehrere Täter für einen widerrechtlich zugefügten Schaden gemeinsam. Nach § 1302 ABGB verantwortet jeder nur den durch sein Versehen verursachten Schaden, wenn die Beschädigung in einem Versehen gegründet ist und die Anteile sich bestimmen lassen. Wenn aber der Schaden vorsätzlich zugefügt worden ist oder wenn die Anteile der Einzelnen an der Beschädigung sich nicht bestimmen lassen, so haften alle für einen und einer für alle (Solidarhaftung, vgl 9 Ob 52/18i). Der Vorwurf, vorsätzlich gemeinsam ein unerlaubtes Ziel verfolgt zu haben, rechtfertigt es, alle Beteiligten zunächst ohne weitere Prüfung ihrer Kausalität für den entstandenen Schaden verantwortlich zu machen (RIS-Justiz RS0112574). Nur in den Fällen, in denen sich die mangelnde Kausalität des Verhaltens des in Anspruch genommenen „Mittäters“ ausdrücklich nachweisen lässt, wird die Haftung nach §§ 1301, 1302 ABGB ausgeschlossen (2 Ob 97/16b). Bei dieser Rechtslage erweist sich die Kritik an den jeweiligen Haftungsaussprüchen als nicht berechtigt.
Die Angeklagten (C* D* tr otz dessen teilweisen Anerkenntnis in der Hauptverhandlung [AS 15 in ON 253]) bekämpfen die Schmerzengeldzusprüche zudem mit der Begründung, Verletzungen, Verletzungsfolgen oder erlittene Schmerzen seien nicht ausreichend objektiviert. Bei der Berechnung von Schmerzensgeld sind einerseits Art, Dauer und Stärke der Schmerzen, andererseits die Schwere der Verletzung und der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes sowie die damit verbundenen Unlustgefühle zu beachten. Wenn auch für die Bemessung des Schmerzengeldes unter anderem die Dauer der Schmerzen von Bedeutung ist, so ist es doch nicht nach Tagessätzen oder anderen auf Zeitperioden aufbauenden Sätzen zu bemessen, da diese viel zu schematisch sind (vgl Reischauer in RummelABGB³ § 1325 Rz 45). Nach der herrschenden Rechtsprechung kann daher im Strafverfahren zur Beurteilung von Schmerzengeldansprüchen auf § 273 ZPO zurückgegriffen werden (vgl RIS-Justiz RS0031614). Unter Berücksichtigung der – durch Aktenfundstellen belegten – Konstatierungen des Erstgerichts zu den bei J* K*, L* K* und M* eingetretenen Verletzungsfolgen (US 15) sind die Zusprüche an die Privatbeteiligten keinesfalls unangemessen oder überhöht, wobei auch weitergehende Feststellungen durch das Erstgericht nicht erforderlich waren.