JudikaturOLG Linz

10Bs111/25g – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
Immaterieller Schaden
02. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Henhofer als Vorsitzende und Mag. Höpfl sowie den Richter Mag. Graf in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 vierter Fall StGB und weiteren strafbaren Handlungen über die Berufung des Angeklagten wegen Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 18. November 2024, Hv*-70, nach der in Anwesenheit des Ersten Oberstaatsanwalts Mag. Winkler, LL.M., des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Weiß durchgeführten Berufungsverhandlung am 2. Juni 2025 zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene A* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 vierter Fall StGB (I./), des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II./), des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 84 Abs 4 StGB (III.1./) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III.2./) schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 StGB nach § 201 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Jahren verurteilt. Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wurde die Vorhaft vom 23. März 2024, 3:11 Uhr bis 23. März 2024, 4:50 Uhr sowie vom 7. August 2024, 8:00 Uhr bis 18. November 2024, 14:34 Uhr auf die verhängte Strafe angerechnet und der Angeklagte im Adhäsionserkenntnis ferner verpflichtet, den Privatbeteiligten B* C* EUR 2.000,00 und D* E* EUR 500,00 je an Teilschmerzengeld zu bezahlen.

Nach dem Schuldspruch hat A*

I./ in ** am 12. November 2023 B* C* mit Gewalt zur Vornahme des Oralverkehrs und Duldung des Vaginal- und Analverkehrs, mithin des Beischlafes und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen, genötigt, indem er sie mit einer Hand am Oberarm packte, seine zweite Hand auf ihrem Rücken hatte und sie in die Damentoilette schob, sie dort in eine Kabine drängte und die Türe versperrte, sie mit beiden Händen stark nach unten drückte und auf die Knie zwang, ihren Kopf festhielt, wobei er seine Hände auf ihrem Hinterkopf verschränkte und ihren Mund auf seinen Penis schob, seinen Penis mehrfach in ihren Mund bis tief in den Rachen rammte, wodurch B* C* erbrechen musste, ihr daraufhin eine Ohrfeige versetzte, sie in weiterer Folge hochhob, sie gegen die Wand drückte, sie mit seinen Fingern an der Vagina berührte und versuchte mit seinem Penis vaginal in sie einzudringen, was ihm nicht gelang, weil sich B* C* mit Körperspannung dagegen wehrte, mehrfach weg zuckte und sich verkrampfte, sie sodann auf den Boden setzte, umdrehte, sie am Rücken hinunterdrückte, ihre Hüfte nach oben zog sowie sich auf ihr abstützte und anal in sie eindrang, ihren Schmerzenslaut ignorierte, sie danach erneut am linken Arm zog und sie umdrehte und neuerlich zum Oralverkehr zwang, indem er wiederum ihren Kopf erfasste, festhielt und dabei seinen Penis wiederum mehrmals in ihren Mund rammte, wodurch B* C* sich neuerlich übergeben musste, sie nochmals mit seiner Hand drückte und sie umdrehte und erneut anal in sie eindrang, während sie sich in die Toilette erbrach, und B* C* durch die Tat in besonderer Weise erniedrigt wurde;

II./ am 25. März 2024 in F* G* H* zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um diesen in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er mit einem Freund des H* telefonierte und diesem gegenüber äußerte: „Bring ihn mir, ich will ihn umbringen.“ und in weiterer Folge mit einem ca. 40 cm langen und 5x5 cm breiten Vierkantholz in der Hand an dessen Zimmertüre klopfte und sich beim Cousin des H* nach ihm erkundigte;

III./ am 23. März 2024 in F* nachgenannte Personen am Körper verletzt, und zwar

1./ D* E* schwer am Körper zu verletzen versucht, indem er diesem eine Bierflasche gegen den Kopf warf, ihn damit im Gesicht traf, wodurch er eine Prellung im Bereich der rechten Gesichtshälfte und Schläfe erlitt;

2./ I* J* durch Faustschläge in Form einer Prellung im Bereich der linken Wange.

Gegen dieses Urteil richtet sich – nach Zurückweisung der Nichtigkeitbeschwerde durch den Obersten Gerichtshof (ON 79.3) – die Berufung des Angeklagten wegen Strafe und gegen das Adäsionserkenntnis mit der er die Reduktion des Strafmaßes und die Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg anstrebt.

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht die bisherige Unbescholtenheit, den Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb und die teilweise geständige Verantwortung mildernd; hingegen das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit zwei Vergehen, die Tatbegehung während anhängigem Verfahren und die Verwendung einer Waffe (hinsichtlich Faktum II./) erschwerend.

Zur Berufung wegen Strafe:

Zur Unbesonnenheit:

Unbesonnen iSd § 34 Abs 1 Z 7 StGB handelt, wer spontan einem augenblicklichen Willensimpuls folgt, der aus besonderen Gründen der Lenkung durch das ruhige Denken entzogen ist und ohne diese unterdrückt worden wäre (RIS-Justiz RS0091000 [T11]; Birklbauer/Stiebellehner in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer , SbgK-StGB § 34 Rz 59). In der meist sich unvermutet ergebenden Tatsituation wird die Gefährlichkeit der Handlung nicht näher bedacht. Die Rechtsprechung verweigert diesen Milderungsgrund, wenn der Tat eine kriminelle Neigung des Täters oder eine grundsätzliche Geringschätzung fremder Interessen zugrunde liegt ( Riffel in Höpfel/Ratz , WK 2 StGB § 34 Rz 18; RIS-Justiz RS0091026). Der wichtigste Anwendungsbereich dieses Milderungsgrundes liegt im kleinen, allenfalls mittleren Kriminalitätsbereich (mit Strafdrohungen bis zu fünf Jahren) vor ( Riffel , aaO § 34 Rz 19).

Mit Blick auf die durch die Tat zum Ausdruck kommende Geringschätzung fremder Interessen, nämlich der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung des Opfers, und darauf, dass bei (wie hier zu Faktum I./) schwereren (mit Strafdrohung von fünf bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe bewehrten) Delikten die damit verbundene höhere Hemmschwelle einem Verständnis für die aus dem Augenblick entstandene Tatbegehung entgegensteht (RIS-Justiz RS0091025 [T1]; OLG Linz 8 Bs 98/15s [ebenfalls zu § 201 StGB]; Birklbauer/Stiebellehner , aaO § 34 Rz 60), kommt dem Angeklagten der Milderungsgrund der Tatbegehung aus Unbesonnenheit nicht zugute. Daran vermögen mangelnde Deutschkenntnisse nichts zu ändern.

Wenn der Angeklagte zudem vermeint, der vorgenommene Beischlaf sei vom Opfer offenbar gewollt gewesen, entfernt er sich von den gegenteiligen erstgerichtlichen Feststellungen.

Zur Verwendung einer Waffe:

Erschwerend nach § 33 Abs 2 Z 6 StGB ist, wenn der Täter die strafbare Handlung unter Einsatz oder Drohung mit einer Waffe begangen hat. Maßgebend ist der funktionale Waffenbegriff; Waffen sind demnach neben technischen Waffen iSd WaffG waffengleiche Mittel, die geeignet sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen durch unmittelbare Einwirkung zu beseitigen oder herabzusetzen, wozu ua auch Stöcke, Zaunlatten oder Holzknüppel zählen ( Riffel in Höpfel/Ratz , WK 2 StGB § 33 Rz 35 f mwN).

Entgegen der Ausführungen des Angeklagten in seiner Berufung bezog sich die Feststellung des Erstgerichtes, wonach „ das vom Zeugen entsprechend beschriebene Vierkantholz im hinteren Hosenbund des Angeklagten vorgefunden “ worden war (Faktum II./), auf den Zeitpunkt des Einschreitens der Polizeibeamten, nicht jedoch auf den Tatzeitpunkt selbst (US 11 in ON 70). Vielmehr stellte das Erstgericht fest, dass sich der Angeklagte „ mit einem 5 x 5 cm breiten und 40 cm langen Vierkantholz bewaffnet in die Asylunterkunft “ begab (US 6 in ON 70) und (laut Schuldspruch) mit diesem in der Hand an die Zimmertüre klopfte. Darüber hinaus beging der Angeklagte auch die unter Faktum III.1./ dargestellte Tathandlung unter Verwendung einer Waffe, indem er das Opfer durch das Werfen einer Bierflasche – sohin einem Gegenstand, der einer Waffe im technischen Sinn (nach § 1 WaffG) nach Anwendbarkeit und Wirkung gleichkommt (11 Os 91/14p; Eder-Rieder in Höpfel/Ratz , WK 2 StGB § 143 Rz 18) – schwer am Körper zu verletzen versuchte.

Zur Tatbegehung während anhängigem Verfahren:

Wie das Erstgericht zutreffend ausführte, wirkt sich im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungserwägungen weiters die Tatbegehung während anhängigem Verfahren schuldaggravierend aus, da der Angeklagte zum Vorwurf der Vergewaltigung vom 12. November 2023 am 15. Februar 2024 als Beschuldigter einvernommen worden war (ON 9.2) und er bereits am 23. und 25. März 2024 neuerlich Straftaten (konkret eine gefährliche Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, eine schwere Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 84 Abs 4 StGB sowie eine Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB) begangen hat. Entgegen den Ausführungen des Berufungswerbers ist es für diesen Erschwerungsgrund ohne Belang, ob die begangenen Straftaten miteinander in Zusammenhang stehen. Schließlich kommt dem bereits (bekannten) laufenden Verfahren (hins Faktum I./) eine Warnfunktion zu, deren fehlende Beachtung infolge neuerlicher Delinquenz (Faktum II./ und III./) von einer gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnenden oder gleichgültigen Einstellung des Angeklagten zeugt (vgl RIS-Justiz RS0119271).

Ausgehend von den vom Erstgericht zutreffend erfassten Strafzumessungslgründen und der allgemein iSd § 32 Abs 2 und 3 StGB anzustellenden Erwägungen erweist sich bei einem zur Verfügung stehenden Strafrahmen von fünf bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe die vom Erstgericht verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Jahren durchaus dem Schuld- und Unrechtsgehalt der Taten sowie generalpräventiven Erwägungen (RIS-Justiz RS0090600) als gerecht werdend und ist daher nicht korrekturbedürftig.

Zum Adhäsionserkenntnis:

Der Angeklagte moniert in seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche, dass sich die genaue Höhe der zugesprochenen Beiträge nicht zweifelsfrei aus dem Beweisverfahren ergeben hätte und der Zuspruch daher zu Unrecht erfolgt sei.

Zum Ausgleich des erlittenen, mit einem sexuellen Übergriff notwendig verbundenen immateriellen Schadens steht der Privatbeteiligten C* ein Ersatzanspruch nach § 1328 ABGB zu, bei dessen – global vorzunehmender – Bemessung iSd § 273 ZPO auf eine Schätzung zurückgegriffen werden kann (vgl RIS-Justiz RS0031614, RS0111431). Für einen auf § 1328 ABGB gestützten Zuspruch von immateriellem Schadenersatz bedarf es daher nicht der Feststellung von behandlungsbedürftigen Krankheiten, erlittenen Schmerzen oder Schmerzperioden oder gar der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu diesen Fragen. Zieht man als Richtmaß für die Höhe der danach zu leistenden Entschädigung den schon in Fällen (bloßer) sexueller Belästigung gemäß § 38 Abs 2 GlBG gebührenden Mindestschadenersatz von EUR 1.000,00 heran (OLG Wien 18 Bs 84/25x), erweist sich der zugesprochene Ersatzbetrag von EUR 2.000,00 in Anbetracht der zu Faktum I./ geschilderten Tathandlung sowie des dadurch erlittenen psychischen Ungemaches und der erlittenen Schmerzen als keineswegs überhöht.

Wenn auch für die Bemessung des Schmerzengeldes unter anderem die Dauer der Schmerzen von Bedeutung ist, so ist es doch nicht nach Tagessätzen oder anderen auf Zeitperioden aufbauenden Sätzen zu bemessen, da diese viel zu schematisch sind (vgl Reischauer in Rummel , ABGB³ § 1325 Rz 45). Nach herrschender Rechtsprechung kann somit zur Beurteilung von Schmerzengeldansprüchen auch hinsichtlich des Privatbeteiligten E* auf § 273 ZPO zurückgegriffen werden (vgl RIS-Justiz RS0031614; OLG Linz 10 Bs 74/25s). Unter Berücksichtigung der eingetretenen Prellung im Bereich der rechten Gesichtshälfte und der Dauer seiner Schmerzen (US 5, 14; AS 5 f in ON 69) ist auch der Zuspruch an den Privatbeteiligten E* iHv EUR 500,00 keinesfalls unangemessen oder überhöht.