JudikaturOLG Graz

3R34/25g – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
20. März 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat als Berufungsgericht durch den Richter Mag. Tanczos (Vorsitz) und die Richterinnen Dr. in Steindl-Neumayr und Mag. a Binder in der Rechtssache der klagenden Partei A*, geb. am **, Pensionist, **, vertreten durch Peissl Partner Rechtsanwälte OG in Köflach, gegen die beklagten Parteien 1. B*, geb. am **, Arbeiter, **, und 2. C*-AG , FN 34004g, **, beide vertreten durch Prutsch-Lang Damitner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen EUR 25.613,24 s.A. (Leistung EUR 20.613,24 s.A. und Feststellung EUR 5.000,--) über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 13.266,34 s.A.) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 10. Jänner 2025, **-35, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit EUR 1.865,31 (darin enthalten EUR 310,89 USt.) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt insgesamt EUR 5.000,--, nicht aber EUR 30.000,--.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE :

Text

Am Nachmittag des 7. Juni 2023 ereignete sich in D* in der E* auf Höhe der Liegenschaft mit der Hausnummer 22 ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker und Halter eines E-Bikes sowie der Erstbeklagte als Lenker und Halter des im Unfallzeitpunkt bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW mit dem behördlichen Kennzeichen F* beteiligt waren.

Die Unfallstelle befindet sich im Ortsgebiet von D* (…) Die E* verläuft im näheren Unfallbereich vollkommen gerade von Westen in Richtung Osten. Das Haus Nr. 22 befindet sich südlich der E*, wobei die Einfahrt mit einer abgesenkten Betonrandleiste abgesichert ist. (…) Durch den westlichen Rand der Einfahrt wird die Bezugslinie als Normale zum Fahrbahnrand der E* angenommen. Es gibt keine ausgeschilderte Geschwindigkeitsbeschränkung. (…) Die E* weist zwischen der südlichen und der nördlichen Betonrandleiste prinzipiell eine Breite von 3,4m auf. Vom Norden ragen die Äste einer Buchenhecke weit in die Fahrbahn, sodass zum heutigen Zeitpunkt - vom südlichen Fahrbahnrand aus gemessen - nur eine nutzbare Breite von ca. 2,5m zur Verfügung steht. Die E* führt dann bis ca. 90m östlich der „Bezugshöhe“ (gemeint: Bezugslinie) und geht dann in eine Linkskurve über. Die Einfahrt des Hauses Nr. 22 erstreckt sich von der Bezugslinie bis knapp 7m östlich der Bezugslinie. (…) Die Schnittlinie der Ausfahrt mit der E* wird als Verschneidungslinie bezeichnet. Von 1m südlich der Verschneidungslinie lässt sich mittig der Einfahrt (…) die E* bis 80m östlich der Bezugslinie überblicken. Von 1,5m südlich der Verschneidungslinie ist eine Sicht bis 60m östlich der Bezugslinie gegeben. Von 2m südlich der Verschneidungslinie reicht die Sicht bis 20m östlich der Bezugslinie.

Am Unfallstag befuhr der Kläger mit seinem E-Bike die E*. (…) Er fuhr von Osten in Richtung Westen mit der höchsten Unterstützungsstufe, sohin mit 25 km/h, in der Fahrbahnmitte. Der Erstbeklagte fuhr mit dem Beklagtenfahrzeug aus seiner Hauseinfahrt rückwärts in die E* ein. Er blickte in Richtung Westen und in Richtung Osten, während er „zügig“ auf die E* reversierte. Als er den Kläger erkannte, bremste er umgehend und brachte sein Fahrzeug zum Stillstand.

Als der Kläger das Beklagtenfahrzeug erkannte, befand er sich 15m östlich der Bezugslinie und reagierte maximal 10 bis 11m vor dem Kollisionspunkt mit einer Bremsung. Er betätigte nur den rechten Bremshebel (die Hinterradbremse) und reagierte zwischen 1,4 und 1,8 Sekunden vor der Kollision. Durch die Bremsung betrug die Kollisionsgeschwindigkeit ca. 15 bis 20 km/h. Bei der Kollision befand sich das Beklagtenfahrzeug im Stillstand.

Die Sicht war für den Erstbeklagten beim Reversieren in die E* in beide Richtungen „ungünstig“. Der Erstbeklagte fuhr „relativ rasch“ - ohne sich vorzutasten - aus der Einfahrt hinaus, wobei vom Überfahren der Verschneidungslinie bis zum Stillstand, noch vor der Kollision, etwa 3 Sekunden vergingen. Die „gemessene“ Zeit lag hierbei zwischen 2,5 und 3 Sekunden. Der Erstbeklagte (erkennbar gemeint: Kläger) hätte den herausfahrenden PKW zumindest ca. 3 bis 3,5 Sekunden vor der Kollision sehen können, wobei um das Herausfahren zu erkennen ca. 0,5 bis 0,8 Sekunden erforderlich sind.

Die Kollision ereignete sich etwa 5m östlich der Bezugslinie. Der Kläger stieß bei der Kollision mit dem linken Lenkerstummel (...) gegen die linke hintere Seitenwand des Beklagtenfahrzeugs, wodurch der Lenker nach links verschob und dann schräg rechts nach vorne lenkte. Der Kläger stürzte auf die rechte Körperseite. (...)

Der Erstbeklagte hätte langsamer und intermittierend aus der Einfahrt reversieren können, denn dann wäre es ihm möglich gewesen, aus einer noch ausreichend weiter südlich gelegenen Position das von Osten heranfahrende Fahrrad des Klägers sehen können. Der Beklagte hätte nur einen halben bis dreiviertel Meter weiter südlich mit seinem Fahrzeug stehen bleiben müssen, um die Kollision zu verhindern. Von den Sichtmöglichkeiten hätte der Beklagte bei aufmerksamer Beobachtung die Möglichkeit gehabt, außerhalb der Fahrlinie des Klagsfahrzeugs noch rechtzeitig anzuhalten. (...)

Andererseits ergibt sich mit dem Stillstand des Beklagtenfahrzeugs vor der Kollision, dass der Kläger das Herausfahren des PKW jedenfalls bereits 3 bis 3,5 Sekunden, möglicherweise sogar 4sec vor der Kollision hätte sehen können. Um das Herausfahren des PKW erkennen zu können, ist zumindest eine Zeitspanne von 0,5 bis 0,8 Sekunden erforderlich. Ein längerer Zeitraum war nicht erforderlich, weil der PKW in einem Zug kontinuierlich heraus gelenkt wurde. Wenn der Kläger in seiner Reaktionsposition „kompromisslos“ eine Vollbremsung mit beiden Bremsen durchgeführt hätte und nicht gleichzeitig ausgewichen wäre, hätte er aus seiner Reaktionsposition noch kontaktfrei stehen bleiben können. Wenn er nur wenige Zehntelsekunden früher reagiert hätte, hätte er auch mit seiner Variante (Bremsen nur mit dem Hinterrad) kontaktfrei stehen bleiben können.

Beim Erstbeklagten ergibt sich ein Beobachtungsfehler bzw eine Einfahrvariante, mit der er ohne ausreichende Beobachtung der E* in Richtung Osten heraus fuhr. Er hätte aus einer weiter südlich gelegenen Position und bei langsamem Einfahren die Möglichkeit gehabt, den Kläger zu sehen und soweit südlich anzuhalten, dass der Radfahrer bei seiner Fahrweise noch vor Kontakt hinter dem PKW hätte vorbeifahren können. Andererseits hätte der Kläger zumindest 1 Sekunde früher reagieren, mit beiden Bremsen bremsen und den Unfall vermeiden können. Auch mit einer kompromisslosen Bremsung ohne gleichzeitiger Ausweichbewegung wäre das kontaktfreie Anhalten möglich gewesen.

Der Kläger begehrt von den Beklagten zuletzt EUR 20.613,24 s.A. für im Einzelnen aufgeschlüsselte (nach Anrechnung vorprozessualer Zahlungen der Zweitbeklagten sowie unter Berücksichtigung des Heilbehandlungskostenersatzes der Sozialversicherung) noch offene Schäden und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall, die Haftung der Zweitbeklagten beschränkt mit der im Haftpflichtversicherungsvertrag für das Beklagtenfahrzeug genannten Versicherungssumme.

Der Kläger bringt (soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung) vor, den Erstbeklagten treffe das Alleinverschulden am Unfall, weil er trotz Sichtbehinderungen ohne die notwendige Aufmerksamkeit und ohne sich vorzutasten von seiner Hauseinfahrt rückwärts in die bevorrangte E* eingefahren sei. Für den Kläger sei das Beklagtenfahrzeug erst unmittelbar vor der Kollision wahrnehmbar gewesen. Der Kläger habe sofort ein Bremsmanöver eingeleitet und ausgelenkt, den Unfall jedoch nicht verhindern können.

Die Beklagten beantragen die Abweisung der Klage und wenden (hier relevant) ein, der Erstbeklagte habe sich mit einer äußerst geringen Geschwindigkeit in die E* vorgetastet und das zu diesem Zeitpunkt etwa 1m in die E* ragende Beklagtenfahrzeug unverzüglich zum Stillstand gebracht, als er den Kläger noch weit entfernt wahrgenommen habe. Dem Kläger wäre es bei Einhaltung der notwendigen Aufmerksamkeit und Sorgfalt möglich gewesen, das Beklagtenfahrzeug lange vor der Kollision wahrzunehmen und eine unfallverhindernde Reaktion zu setzen. Der Kläger habe trotz der ihm bekannten schwierigen Sichtverhältnisse bei der Liegenschaft des Erstbeklagten weder seine Geschwindigkeit verringert noch eine Fahrlinie auf der rechten Fahrbahnseite gewählt. Ihn treffe das Alleinverschulden, jedenfalls aber ein erhebliches Mitverschulden am Unfall. Hilfsweise wenden die Beklagten Kosten von EUR 849,44 für die beabsichtigte Reparatur des Beklagtenfahrzeugs und EUR 70,-- an unfallskausalen Spesen als Gegenforderung aufrechnungsweise ein.

Mit dem angefochtenen Urteil stellte das Erstgericht ausgehend vom gleichteiligen Verschulden der Beteiligten die Klagsforderung als mit EUR 10.306,62 (1.) und die Gegenforderung als mit EUR 459,72 zu Recht bestehend fest (2.) und es erkannte die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger EUR 9.846,90 samt 4 % Zinsen ab Klagszustellung binnen 14 Tagen zu bezahlen (3.). Außerdem stellte das Erstgericht fest, dass die Beklagten dem Kläger zur ungeteilten Hand für 50 % der künftigen Schäden, die dieser aufgrund des Verkehrsunfalls vom 7. Juni 2023 erleiden wird, ersatzpflichtig sind, hinsichtlich der Zweitbeklagten jedoch nur bis zur Höhe der für den PKW der Marke Opel mit dem amtlichen Kennzeichen F* vereinbarten Haftpflichtversicherungssumme. Das auf Zahlung weiterer EUR 10.766,34 sowie auf Feststellung der Haftung der Beklagten für weitere 50% der künftigen Schäden gerichtete Mehrbegehren wurde abgewiesen (5.).

Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus legte das Erstgericht dieser Entscheidung die auf den Seiten 3 bis 7 des Urteils ersichtlichen Tatsachenfeststellungen zugrunde, auf die das Berufungsgericht verweist (§ 500a Satz 1 ZPO).

Daraus folgerte das Erstgericht rechtlich, dass jeder der Streitteile den Unfall verhindern hätte können. Der Erstbeklagte sei ohne ausreichende Beobachtung in die E* eingefahren, wobei er aus einer weiter südlichen Position und bei langsamem Einfahren die Möglichkeit gehabt hätte, den Kläger zu sehen und sein Fahrzeug anzuhalten, um dem Kläger ein Vorbeifahren zu ermöglichen. Der Kläger hätte zumindest 1 Sekunde früher reagieren und den Unfall so ebenso verhindern können wie durch eine kompromisslose Bremsung ohne gleichzeitige Ausweichbewegung. Davon ausgehend erachtete das Erstgericht eine von gleichteiligem Verschulden ausgehende Schadensteilung für angemessen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Kläger insgesamt EUR 20.631,24 samt 4% Zinsen ab Klagszustellung zuerkannt werden und die Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 7.6.2023 - hinsichtlich der Zweitbeklagten beschränkt mit der Haftpflichtversicherungssumme - festgestellt wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt (ON 36).

Die Beklagten beantragen in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben (ON 38).

Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden konnte, ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Berufungswerber wendet sich ausschließlich gegen die Verschuldensteilung. Er bemängelt, dass das Erstgericht neben dem Beobachtungsfehler und dem Verstoß gegen ein vortastendes Einfahren die vom Erstbeklagten zu vertretende, schwerer wiegende Vorrangverletzung nicht berücksichtigt habe. Die dem Kläger vorgeworfene Reaktionsverspätung von zumindest einer Sekunde könne nicht nachvollzogen werden. Es sei unzulässig, im Rahmen der im Urteil angeführten Zeitangaben (wonach der Kläger zwischen 1,4 bis 1,8 Sekunden vor der Kollision auf das Einfahren reagiert habe, der Kläger den herausfahrenden Pkw zumindest 3 bis 3,5 Sekunden vor der Kollision sehen hätte können und für die Erkennbarkeit des Vorgangs des Herausfahrens 0,5 bis 0,8 Sekunden erforderlich seien) von einem Mittelwert der jeweiligen Zeitspannen bzw der für den Kläger nachteiligsten Betrachtung auszugehen, sondern es seien als Folge der Beweislastregeln die für den Kläger günstigsten Zeitintervalle heranzuziehen. Daraus ergebe sich eine Reaktionsverspätung von nur 0,4 Sekunden, sodass im Zusammenhalt mit der weiteren Feststellung zur für den Kläger möglichen Unfallverhinderung bei einer „wenige Zehntelsekunden“ früheren Reaktion zudem unklar sei, ob der Unfall vom Kläger überhaupt vermieden werden hätte können. Jedenfalls sei die Reaktionsverspätung nicht vorwerfbar und zu vernachlässigen. Das unrichtige Bremsverhalten des Klägers stelle eine entschuldbare Schreckreaktion dar. Den Erstbeklagten treffe daher das Alleinverschulden am Unfall.

2. Gemäß § 19 Abs 6 StVO haben Fahrzeuge im fließenden Verkehr den Vorrang gegenüber Fahrzeugen, die von (hier relevant) Haus- oder Grundstücksausfahrten kommen. Der Wartepflichtige hat sich bei schlechten Sichtverhältnissen äußerst vorsichtig vorzutasten, bis er die notwendige Sicht gewinnt ( Pürstl , StVO-ON 16§ 19 E 176 [Stand 15.9.2023, rdb.at]). Gerade das der allgemeinen Fahrordnung zuwiderlaufende Rückwärtsfahren erfordert besondere Vorsicht und Rücksichtnahme auf den übrigen Verkehr (RIS-Justiz RS0073932).

Der Erstbeklagte verstieß gegen diese Pflichten, indem er bei ungünstigen Sichtverhältnissen ohne ausreichende Beachtung des fließenden Verkehrs mit seinem Fahrzeug von seiner Grundstücksausfahrt „zügig“ in die E* reversierte. Entgegen der Berufungskritik hat das Erstgericht dem Erstbeklagten damit eine Vorrangverletzung angelastet, stellen doch die im Ersturteil berücksichtigten Verstöße des Erstbeklagten die wesentlichen Elemente der Vorrangverletzung dar.

3. Soweit der Berufungswerber von einer Reaktionsverspätung von nur 0,4 Sekunden ausgeht, entfernt er sich prozessordnungswidrig vom festgestellten Sachverhalt (RIS-Justiz RS0043603, RS0043605), wonach der Kläger um zumindest 1 Sekunde früher reagieren und den Unfall vermeiden hätte können (US 6 erster Absatz).

Eine Tatsachenrüge wurde in Bezug auf diese (entscheidende) Feststellung nicht erhoben. Die im Rechtsmittel unter Hinweis auf allgemeine Beweislastregeln aufgestellte Forderung nach der Anwendung der für den Kläger günstigsten Zeitintervalle (innerhalb der vom Sachverständigen ermittelten, im Ersturteil dargestellten Bandbreiten) geht fehl. Selbst wenn man die damit begründete Kritik an der festgestellten Reaktionsverspätung von zumindest einer Sekunde samt der Argumentation, warum diese nur 0,4 Sekunden betragen soll, als (gerade noch) ausreichend für die inhaltliche Ausführung einer Beweisrüge wertet (zur Unmaßgeblichkeit der Bezeichnung des Rechtsmittelgrunds: RIS-Justiz RS0041851, RS0036258 [T19]), ist dem Berufungswerber zu erwidern, dass der bloße Umstand, dass nach den Beweisergebnissen allenfalls auch andere Feststellungen möglich gewesen wären, oder, dass es einzelne Beweisergebnisse gibt, die für den Prozessstandpunkt der Rekurswerberin sprechen, nicht ausreicht, um eine unrichtige oder bedenkliche Beweiswürdigung aufzuzeigen (RIS-Justiz RI0100099). Es entspricht dem Wesen der freien Beweiswürdigung, dass die Tatsacheninstanz sich begründet für eine von mehreren widersprechenden Darstellungen aufgrund ihrer Überzeugung, dass diese mehr Glaubwürdigkeit beanspruchen kann, entscheidet (RIS-Justiz RS0043175). Beweislastfragen stellen sich nur, wenn das Gericht keine eindeutige positive oder negative Feststellung trifft (RIS-Justiz RS0039904 [T1]).

Davon ausgehend bestehen keine Bedenken gegen die vom Erstgericht aufgrund der Ergebnisse des kfz-technischen Sachverständigengutachtens getroffenen Feststellungen zum kausalen Reaktionsverzug des Klägers von (zumindest) 1 Sekunde. Der Sachverständige nahm bei seinen Ausführungen konkret auf die Aussagen der Parteien Bezug (ON 17.2, AS 6ff), wobei der Kläger selbst beschrieben hatte, dass das Beklagtenfahrzeug – als er dieses zum ersten Mal gesehen habe – bereits 2m (bezogen auf die festgestellte nutzbare Fahrbahnbreite [2,5m] also sehr weit) in die Fahrbahn gefahren gewesen sei (ON 17.2, AS 3 vgl dazu auch SV-Gutachten ON 17.2, AS 9). Unter diesen Umständen ist nicht korrekturbedürftig, dass das Erstgericht jener vom Sachverständigen dargelegten weiteren - mit den Aussagen keiner der Parteien in Einklang zu bringenden - (theoretischen) Variante, wonach dann, wenn das Beklagtenfahrzeug gerade mit der Kollision zum Stillstand gekommen wäre, keine Reaktionsverspätung vorläge (vgl ON 17.2, AS 9), nicht folgte, sondern feststellte, dass der Kläger zumindest 1 Sekunde früher unfallvermeidend reagieren hätte können (US 6).

4. Bei der Verschuldensabwägung entscheidet vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift (RIS-Justiz RS0027389, RS0026861) sowie der Grad der Fahrlässigkeit des einzelnen Verkehrsteilnehmers (RIS-Justiz RS0027466). Ein Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen über den Vorrang wiegt aufgrund der besonderen Wichtigkeit für die Verkehrssicherheit zwar in der Regel schwerer als andere Verkehrswidrigkeiten (RIS-Justiz RS0026775 [T3, T6]). Das bedeutet aber nicht, dass jede Verletzung einer Vorrangregel bei der Verschuldensabwägung schwerer ins Gewicht fallen muss als irgend ein anderer Verstoß gegen sonstige Verkehrsvorschriften (RIS-Justiz RS0026775 [T1]).

Der wesentliche Aspekt der vom Erstbeklagten zu vertretenden Vorrangverletzung beim Ausfahren aus der Grundstücksausfahrt ist ein Beobachtungsfehler. Er hätte den Kläger nämlich bei einer (wegen der ungünstigen Sichtverhältnisse bei der Ausfahrt gebotenen) tastenden Fahrweise aus einer weiter südlich gelegenen Position sehen und das Beklagtenfahrzeug einen halben bis dreiviertel Meter weiter südlich – somit noch außerhalb der Fahrlinie des Klägers - zum Stillstand bringen können. Der Kläger, der den Pkw vor der Kollision mindestens 3 Sekunden lang sehen konnte, hat seinerseits einen erheblichen unfallkausalen Beobachtungsfehler zu verantworten, indem er mit einer Verspätung von (zumindest) 1 Sekunde auf das für ihn - von 0,5 bis 0,8 Sekunden für das Auffälligwerden des Herausfahrens abgesehen - über den gesamten Ausfahrvorgang erkennbare Reversieren des Beklagtenfahrzeugs reagierte. Bei einer Abwägung des Gewichts der dargestellten Verstöße erscheint nach den Umständen des konkreten Einzelfalls die vom Erstgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Verschuldensteilung angemessen. An dieser Beurteilung ändert auch nichts, dass dem Kläger nicht (zusätzlich) als Mitverschulden anzulasten ist, dass er unter dem Eindruck der plötzlich auftretenden Gefahr – rückschauend betrachtet – eine unrichtige Maßnahme traf (RIS-Justiz RS0023292), indem er nicht sofort beide Bremsen betätigte, wodurch er sogar aus seiner (verspäteten) Reaktionsposition die Kollision noch verhindern hätte können.

5. Die Berufung hat daher keinen Erfolg.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der unterlegene Kläger hat den Beklagten die richtig verzeichneten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

Der Bewertungs- und Zulässigkeitsausspruch gründet auf § 500 Abs 2 ZPO. Der Berufungssenat sieht sich nach der Aktenlage nicht dazu veranlasst, von der in erster Instanz vorgenommenen Bewertung des Feststellungsbegehrens in der Klage (mit EUR 5.000,00) abzugehen. Es war demnach aufgrund der Höhe des Leistungsbegehrens auszusprechen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt EUR 5.000,00, nicht jedoch EUR 30.000,00 übersteigt.

Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten war. Fragen der Verschuldensteilung sind von den Umständen des Einzelfalls abhängig (RIS-Justiz RS0087606).