13Os95/25g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Oktober 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. SetzHummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Schiener in der Strafsache gegen I* D* und eine weitere Angeklagte wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten I* D* und * B* sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 27. März 2025, GZ 26 Hv 132/24a 55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden I* D* und * B* jeweils mehrererVerbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, „2“, 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB (I A 1 und II A) und Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I C [teils iVm § 15 StGB] und II B), Erstere zudem einesVergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, „2“ StGB (I A 2) sowie eines Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und 2 Z 2 StGB (I D) und Letztere zudem eines Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (II C) schuldig erkannt.
[2] Danach haben in K* und an anderen Orten
I) I* D *
A) gegen andere Personen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, nämlich
1) jedenfalls vom Jahr 2019 bis zum 14. Mai 2023 gegen ihre Enkelkinder M* D*, geboren am * 2013, und S* D*, geboren am * 2015, indem sie diese zumindest mehrmals wöchentlich durch Schläge mit der flachen Hand gegen Gesicht und Körper sowie Ziehen an den Haaren misshandelte, verletzte und dies versuchte, wodurch sie Schmerzen, Rötungen und Hämatome am g anzen Körper sowie blutende Lippen erlitten, und indem sie diese in einer Vielzahl von Fällen in einen Dachboden sperrte, wobei sie die Gewalt gegen die unmündigen Personen länger als ein Jahr ausübte, und
2) jedenfalls vom Winter des Jahres 2021 bis zum 17. November 2022 gegen * B*, indem sie diese zumindest mehrmals wöchentlich durch Schläge mit der flachen Hand gegen das Gesicht sowie Ziehen an den Haaren misshandelte, verletzte und dies versuchte, wodurch diese Schmerzen, Kratzer am g anzen Körper sowie Nasenbluten erlitt,
C) Mi* D * vorsätzlich am Körper verletzt und dies versucht (1), indem sie
1) am 13. Mai 2023 einen Teller in sein Gesicht warf, mit ihrem Knie in seinen Schritt stieß und ihn durchs Haus zerrte, sowie
2) am 14. Mai 2023 in sein Gesicht und an seinen Hals griff, im Bereich des Mundes zudrückte, auf seinen Oberkörper schlug und in seinen Schritt und gegen seine Beine trat, wodurch er im Mundbereich blutete sowie Kratzer am Hals und Hämatome am Oberarm erlitt, weiters
D) Mi* D * vom 15. Mai 2023 bis jedenfalls Mitte September 2023 widerrechtlich beharrlich verfolgt, indem sie „mehrmals täglich bzw. mehrmals wöchentlich“ (US 14) durch Übermittlung zahlreicher Text , Sprach und E Mail Nachrichten im Wege einer Telekommunikation gegen seinen ausdrücklichen Willen Kontakt zu ihm herstellte,
II) * B *
A) jedenfalls vom Jahr 2019 bis zum 17. November 2022 gegen ihre beiden zu I A 1 genannten Kinder eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem sie diese zumindest mehrmals wöchentlich durch Schläge mit der flachen Hand gegen Gesicht und Körper sowie Ziehen an den Haaren misshandelte, verletzte und dies versuchte, wodurch sie Schmerzen, Rötungen und Hämatome am g anzen Körper sowie blutende Lippen erlitten, und indem sie diese in einer Vielzahl von Fällen in einen Dachboden sperrte, wobei sie die Gewalt gegen die unmündigen Personen länger als ein Jahr ausübte,
B) andere vorsätzlich am Körper verletzt, nämlich
1) am 4. Februar 2024
a) M* D*, indem sie ihn mit der flachen Hand mehrmals im Bereich des Gesäßes, der Oberschenkel und des Rückens schlug, wodurch er Rötungen und Hämatome erlitt,
b) M* D* und S* D*, indem sie beide am Körper kratzte, wodurch S* D* blutende Kratzer an der Brust und M* D* Rötungen im Bereich der Schulter und am Oberarm erlitt, sowie
2 ) am 23. Februar 2024 S* D*, indem sie sie an den Haaren packte und vom Bett zog, wobei sie ihr einige Haare aus riss und die Genannte Rötungen und Hämatome im Bereich des Rückens erlitt, ferner
C) am 23. Februar 2024 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten * G* fremde Sachen verunstaltet und beschädigt, indem sie rohe Eier auf die Wohnungstür samt Wand, die Fußmatte und das Türgesteck des Mi* D* warf.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich die von I* D* auf Z 4, 5 und 9 lit a, von * B* auf Z 4, 5, 9 lit a undb und 11 je des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der I* D*:
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) hatte die beantragte Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens betreffend die beiden unmündigen Opfer (ON 54.1 S 52 f) schon deshalb zu unterbleiben, weil seitens der Vertreterin des für die Vertretung und Wahrung der Interessen der beiden Opfer im gegenständlichen Verfahren gerichtlich bestellten Kollisionskurators (vgl ON 13) die Zustimmung zur Begutachtung ausdrücklich nicht erteilt worden war (ON 54.1 S 53; RISJustiz RS0118956).
[5] Der Antrag auf Vernehmung der ehemaligen Lebensgefährtin des Kindesvaters, die mit diesem und der Beschwerdeführerin mehrere Monate im gemeinsamen Haushalt gelebt habe , zum Beweis dafür, dass die Beschwerdeführerin „jedenfalls im Zeitraum 2022 bis Mai 2023“ ihren Enkelkindern gegenüber nicht gewalttätig war (ON 54.1 S 53), ließ – insbesondere im Hinblick auf den nicht näher konkretisierten und bloß wenige Monate innerhalb des Tatzeitraums umfassenden Beobachtungszeitraum – nicht erkennen, weshalb er das behauptete Ergebnis bringen sollte. Solcherart war er auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RISJustiz RS0118444 und RS0099453 [T1]).
[6] Gleiches gilt, soweit der Antrag mit dem Ziel der Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Zeugen Mi* D* zum Beweis dafür gestellt wurde, dass der Genannte „die von i hm vorgelegten Videos pro vozierte und seine Kinder manipulierte […] und er Überlegungen anstrengte, wie er der Erstangeklagten möglichst großen Schaden zufügen kann“ (ON 54.1 S 53).
[7] Der Einwand (nominell Z 5 dritter Fall, der Sache nach Z 10), ausgehend von den Feststellungen, wonach zwischen den gewalttätigen Übergriffen und Freiheitsentzügen durch die Beschwerdeführerin maximal drei Monate gelegen hätten (US 11), treffe die Beurteilung der Tatrichter, dass es nie längere Pausen gegeben hätte (US 11), nicht zu, leitet nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RISJustiz RS0116565), weshalb bei der festgestellten Dauer, Dichte und Intensität der Gewaltausübung während des sonstigen Tatzeitraums von rund vier Jahren die für die Erfüllung des Tatbestands des § 107b StGB erforderliche Regelmä ß igkeit nicht vorliegen sollte (vgl RISJustiz RS0129716 [T1 und T2]).
[8] Zum Schuldspruch I A 2 enthält das angefochtene Urteil – entgegen dem Beschwerdevorbringen – keine Feststellung bezüglich der konkreten Dauer der zeitlichen Unterbrechungen zwischen den Gewaltakten (vgl US 12 f), sodass auf dieses Vorbringen nicht weiter einzugehen ist.
[9] Die Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem objektiven Geschehensablauf ( US 33 ) ist der Beschwerdeansicht (Z 5 vierter Fall) zuwider unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden. Sie ist vielmehr bei einem leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen (RISJustiz RS0116882 [T1]).
[10] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) kritisiert das Fehlen von Feststellungen „zur Willens sowie zur Wissenskomponente hinsichtlich der Fortsetzung“ ohne sich an d en gerade dazu getroffenen Feststellungen des Erstgerichts ( U S 11) zu orientieren. Damit verfehlt sie die prozessordnungsgemäße Darstellung materieller Nichtigkeit (RISJustiz RS0099810).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der * B*:
[11] Zur Verfahrensrüge (Z 4) wird auf die Erledigung des inhaltsgleichen Vorbringens der Angeklagten I* D*, deren Anträgen sich die Beschwerdeführerin angeschlossen hatte (ON 54.1 S 53), verwiesen.
[12] Hinsichtlich des Antrags auf Vernehmung der ehemaligen Lebensgefährtin des Kindesvaters als Zeugin ist überdies hinzuzufügen, dass dieser – soweit er auf den Nachweis dafür abzielte, dass die Angeklagte I* D* gegenüber ihren Enkelkindern nicht gewalttätig war – nicht erkennen ließ, weshalb er in Ansehung der Beschwerdeführerin für die L ösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage von Bedeutung sein sollte (dazu Ratz , WKStPO § 281 Rz 327).
[13] Entgegen der eine Undeutlichkeit der Feststellungen zum Beginn des Tatzeitraums behauptenden Mängelrüge (Z 5 erster Fall) geht aus der Gesamtheit der Entscheidungsgründe klar hervor, dass die insoweit angesprochene Einschulung des M* D* im Jahr 2019 stattfand (US 8).
[14] DemEinwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider waren die Tatrichter, die ausdrücklich berücksichtigten, dass die Opfer bei späteren Vernehmungen mehr Übergriffe schilderten als bei ihrer ersten Befragung (US 21), nicht verpflichtet, sich mit jeder einzelnen Ergänzung im Detail auseinanderzusetzen. Dies hätte vielmehr dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) widersprochen (RISJustiz RS0098778).
[15] Mit dem Aussageverhalten der beiden Opfer haben sich die Tatrichter eingehend auseinandergesetzt (US 20 ff). Wie oft M* D* seinem Vater blaue Flecken gezeigt hat, stellt der Beschwerdeansicht (Z 5 zweiter Fall) zuwider kein für die Feststellung entscheidender Tatsachen erhebliches Verfahrensergebnis dar (vgl Ratz , WKStPO § 281 Rz 421, zum Begriff Rz 409 ff). Solcherart waren die Tatrichter zur Erörterung der diesbezüglich abweichenden Angaben des M* D* (ON 25 S 11 und S 21) und seines Vaters (ON 54.1 S 41) nicht verpflichtet.
[16]Der Sache nach wendet sich die Rüge diesbezüglich bloß mit eigenen Erwägungen nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).
[17] Inwiefern sich aus der mehrere Seiten der Beschwerdeausführung umfassenden wörtlichen Wiedergabe von Aussagen der beiden Angeklagten sowie des Zeugen Mi* D* die von der Beschwerde behaupteten erörterungsbedürftigen Widersprüche (Z 5 zweiter Fall) betreffend zeitliche Unterbrechungen der Tathandlungen zu II A ergeben sollten, wirdnicht deutlich und bestimmt aufgezeigt (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO).
[18] Der weiteren Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen keineswegs darauf gegründet, dass die Beschwerdeführerin ihr Aussageverweigerungsrecht in Anspruch nahm oder nach Ansicht des Schöffensenats kurz davor stand, „reinen Tisch“ zu machen (siehe US 19 ff und 28 f). Das Beschwerdevorbringen geht solcherart ins Leere.
[19]Aktenwidrig im Sinn der Z 5 fünfter Fall ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431 [T1]). Ein derartiges Fehlzitat zeigt die Beschwerde zu A II mit der Behauptung, die Opfer hätten die Beschwerdeführerin in ihrer ersten Vernehmung entgegen der Darstellung im Urteil (US 21) in Bezug auf Schläge und das Einsperren am Dachboden nicht „schwer“ belastet, nicht auf.
[20] Zum Schuldspruch II B stehen die Angaben der Beschwerdeführerin sowie der beiden Opfer über das Motiv für die Übergriffe nicht in erörterungsbedürftigem Widerspruch (Z 5 zweiter Fall) zur Feststellung entscheidender Tatsachen. Weshalb die Tatrichter verpflichtet gewesen wären zu erörtern, dass die Lichtbildbeilage in ON 10.2.9 undatiert und „die Identität der Abgelichteten unklar“ sei, bleibt offen.
[21] Soweit die Beschwerde zu II A (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) vorbringt, das Überschreiten eines Tatzeitraums von einem Jahr sei mangels Feststellungen zum Beginn ausgeschlossen, geht sie nicht von den – wie im Rahmen der Erledigung der Mängelrüge dargestellt – klaren Urteilsfeststellungen (US 8)aus (RIS-Justiz RS0099810).
[22] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) leitet nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (siehe aber RISJustiz RS0116565), weshalb es für die rechtsrichtige Subsu mtionnach § 107b StGB Feststellungen dazu erfordert hätte, wie oft die Beschwerdeführerin die Opfer am Dachboden eingesperrt, somit (auch) eine vor sätzliche mit Strafe bedrohte Handlung gegen die Freiheit (hier nach§ 99 StGB) gesetzt habe.
[23] Die Rechtsrüge (Z 9 lit b, nominell auch Z 5 zweiter und dritter Fall) fordert der Sache nach Feststellungen zu einem Fehlen der Dispositions und Diskretionsfähigkeit zur Tatzeit. Sie leitet nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RISJustiz RS0116565), weshalb die bei der Beschwerdeführerin diagnostizierte depressive Symptomatik und Anpassungsstörung (ON 9.10 iVm ON 54.1 S 54 f), die Notwendigkeit des Abbruchs der ersten polizeilichen Vernehmung (ON 2.7 S 5 iVm ON 54.1 S 54 f), das Gedächtnisprotokoll des Mi* D* über den Umgang s einer Mutter mit der Beschwerdeführerin (ON 3.4 iVm ON 54.1 S 54 f) oder die Angaben Letzterer über den Umgang der Angeklagten I* D* mit ihr sowie deren Ehemann eine Aufhebung der Schuldfähigkeit indizieren sollten .
[24] Mit d er Kritik(nominell Z 11 dritter Fall) am Unterbleiben einer außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 Abs 1 Z 3 StGB wird sachlich lediglich ein Berufungsgrund, nicht aber geltend gemacht, dass das Erstgericht beim Ausspruch über die Strafe in unvertretbarer Weise gegen Bestimmungen der Strafbemessung versto ß en h abe (RISJustiz RS0091303 [T1 und T2] und RS0099911 [T12]).
[25]Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentliche n Beratung sofort zurückzuweisen.
[26]Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[27]Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.