JudikaturOGH

6Ob120/25b – OGH Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
16. September 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Faber, Mag. Pertmayr, Dr. Weber und Mag. Nigl LL.M. als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj M*, und A*, vertreten durch das Land Niederösterreich (Bezirkshauptmannschaft M*) als Kinder und Jugendhilfeträger, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 24. April 2025, GZ 23 R 134/25s 16, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Melk vom 28. Februar 2025, GZ 1 Pu 179/23m 12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die beiden Minderjährigen sind die Kinder von Mag. M* und B*. Seit November 2023 leben die Eltern getrennt, die Kinder befinden sich in Pflege und Erziehung ihrer Mutter. Die Geldunterhaltsverpflichtung des Vaters wurde aufgrund einer Vereinbarung mit dem Kinder und Jugendhilfeträger (in der Folge KJHT) am 28. 6. 2024 in Höhe von jeweils monatlich 570 EUR festgesetzt; dies ausgehend von einer Bemessungsgrundlage des Vaters von monatlich durchschnittlich netto 4.569 EUR unter Berücksichtigung eines 15%igen Abzugs vom Prozentwertanspruch wegen des überdurchschnittlichen Kontaktrechts des Vaters.

[2] Die Minderjährigen (vertreten durch den KJHT) begehren die Erhöhung des monatlichen Unterhalts von 1. 7. 2024 bis 31. 8. 2024 auf jeweils 775 EUR und ab 1. 9. 2024 auf 870 EUR für den minderjährigen A* und auf 730 EUR für die minderjährige M*. Der Minderjährige habe mit 1. 9. 2024 das 10. Lebensjahr erreicht. Das Einkommen des Vaters betrage 4.569 EUR, es gebühre aber kein Abzug für ein überdurchschnittliches Kontaktrecht.

[3] Der Vater stimmte einer Neubemessung des Unterhalts des Minderjährigen aufgrund des Alterssprungs zu. Allerdings stehe ihm sehr wohl ein Abzug für ein überdurchschnittliches Kontaktrecht bei beiden Kindern zu.

[4] In der Folge äußerte sich die Mutter zu den Ausführungen des Vaters und beantragte überdies „eine Nachberechnung bzw forderung des Kindesunterhalts ab der polizeilichen Wegweisung von November 2023“.

[5] Das Erstgericht erhöhte mit dem angefochtenen Beschluss die Unterhaltsleistung für die Minderjährige im Zeitraum von 1. 7. 2024 bis 31. 8. 2024 auf monatlich 710 EUR und ab 1. 9. 2024 auf monatlich 670 EUR sowie für den Minderjährigen im Zeitraum von 1. 7. 2024 bis 31. 8. 2024 auf 715 EUR und ab 1. 9. 2024 auf 800 EUR. Die Mehrbegehren für den Zeitraum ab 1. 7. 2024 wies es ab.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Minderjährigen keine Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich zu.

[7] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen.

[8] Der Vater beteiligte sich nicht am Revisionsrekursverfahren.

Rechtliche Beurteilung

[9]Da die Minderjährigen in ihrem Revisionsrekurs das Vorliegen der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zu begründen vermögen, ist der Revisionsrekurs entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG):

1. Vertretungsbefugnis

[10]1.1. Gemäß § 208 Abs 2 ABGB ist der Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT) Vertreter des Kindes für die Festsetzung und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen des Kindes, wenn die schriftliche Zustimmung des sonstigen gesetzlichen Vertreters vorliegt.

[11]Nach § 208 Abs 4 ABGB wird die Vertretungsbefugnis des sonstigen gesetzlichen Vertreters dadurch jedoch nicht eingeschränkt (konkurrierende Vertretungsbefugnis), wobei zur Vermeidung einander widersprechender Vertretungsakte eine gegenseitige Verpflichtung besteht, einander über die (jeweiligen) Vertretungshandlungen in Kenntnis zu setzen. Zudem wird die sinngemäße Geltung des § 169 ABGB angeordnet.

[12]§ 169 Abs 1 ABGB bestimmt, dass in zivilgerichtlichen Verfahren nur ein obsorgebetrauter Elternteil allein zur Vertretung des Kindes berechtigt ist und dies – in Ermangelung einer Einigung oder Bestimmung durch das Gericht – jener ist, der die erste Verfahrenshandlung setzt.

[13]1.2. Hat daher der KJHT als Vertreter des Kindes nach § 208 Abs 2 ABGB die erste Verfahrenshandlung gesetzt, ist er gemäß § 208 Abs 4 iVm § 169 Abs 1 ABGB der alleinige gesetzliche Vertreter des Kindes bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den jeweiligen Antrag (3 Ob 123/18m; vgl RS0048110), es sei denn, die Vertretung des KJHT wäre gemäß § 208 Abs 5 ABGB beendet worden. Hinter dieser Regelung steht die Absicht des Gesetzgebers, im Unterhaltsbemessungsverfahren Doppelvertretungshandlungen zu vermeiden (vgl RV 887 BlgNR 17. GP 9 zum damaligen § 212 Abs 4 ABGB).

[14]1.3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Doppelvertretungshandlungen dann nicht vorliegen, wenn der (spätere) Antrag des sonstigen gesetzlichen Vertreters einen anderen Bemessungszeitraum betrifft als der (frühere) Antrag des KJHT. Von einer Doppelvertretung kann diesfalls schon deshalb nicht die Rede sein, weil die einen anderen Zeitraum betreffende Unterhaltsfestsetzung in aller Regel neues Vorbringen über Bedarf und Leistungsfähigkeit voraussetzt, sind doch die Grundlagen der Bemessung (Bedarf des Berechtigten und Leistungsfähigkeit des Verpflichteten) einer ständigen Änderung unterworfen. Gegenstand der zu führenden Verfahren ist in einem solchen Fall die Unterhaltsbemessung für jeweils unterschiedliche Zeiträume, für die anhand des Vorbringens der Antragsteller die Bemessungsgrundlagen zu erforschen sind. Die Gefahr unnötiger oder widersprechender Vertretungshandlungen stellt sich in diesem Fall nicht (4 Ob 28/98s = RS0109600; vgl auch 7 Ob 614/90 = RZ 1991/55; Kathreinin Klang³ § 212 ABGB Rz 27).

[15] 1.4. Daraus folgt, dass der KJHT Vertreter der Minderjährigen für den Erhöhungsantrag ab 1. 7. 2024 und die Mutter Vertreterin der Minderjährigen für den Erhöhungsantrag von 1. 11. 2023 bis 30. 6. 2024 ist. Die Vorinstanzen haben bislang nur über den vom KJHT (in Vertretung der Minderjährigen) gestellten Antrag abgesprochen. Über den von der Mutter (in Vertretung der Minderjährigen) gestellten Antrag hat das Erstgericht bislang nicht inhaltlich entschieden; es hat ausreichend klar erkennbar einen Teilbeschluss (nur) über den Zeitraum ab 1. 7. 2024 gefasst. Nur diesen hat das Rekursgericht überprüft.

[16] Das Erstgericht wird daher über den von der Mutter (in Vertretung der Minderjährigen) gestellten Erhöhungsantrag von 1. 11. 2023 bis 30. 6. 2024 ein Verfahren abzuführen und (gegebenenfalls) eine Entscheidung zu treffen haben. Insoweit kann daher das bisher durchgeführte Verfahren auch nicht mangelhaft sein. Damit spielt auch keine Rolle, ob der KJHT dem von der Mutter gestellten Unterhaltsantrag „beigetreten“ ist.

2. Neuerungsverbot

[17]2.1. Nova reperta sind nach § 49 Abs 2 AußStrG dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie von der Partei schon vor der Erlassung des Beschlusses vorgebracht hätten werden können, es sei denn, die Partei kann dartun, dass es sich bei der Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens um eine entschuldbare Fehlleistung handelt (vgl auch RS0110773 [T6]). Bei unvertretenen Parteien ist dieser Sorgfaltsmaßstab weniger streng zu deuten als – wie hier – bei vertretenen Parteien (5 Ob 140/09p). Sofern die betreffenden Umstände nicht ohnehin schon eindeutig und zweifelsfrei dem Akteninhalt zu entnehmen sind, hat die Partei diejenigen besonderen Umstände darzutun und erforderlichenfalls auch zu bescheinigen, welche die begünstigende Regelung der ausnahmsweisen Berücksichtigung von nova reperta rechtfertigen können (RS0110773 [T9]). Der Rechtsmittelwerber hat sohin die Zulässigkeit der Neuerungen zu behaupten und schlüssig darzulegen, dass es sich bei der Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens um eine entschuldbare Fehlleistung handelt (vgl RS0006810 [T17]; RS0079200 [T2]; 10 Ob 69/14s). Soweit sich der Rechtsmittelwerber bloß auf ein „schlichtes Vergessen“ und fehlende Anleitung durch das Erstgericht beruft, kann dies allein keine entschuldbare Fehlleistung darstellen (6 Ob 148/05s = RS0006810 [T17]; 3 Ob 217/13b).

[18] 2.2. Der KJHT brachte im Rekurs nicht vor, aus welchen Gründen er das behauptete weitere Einkommen des Vaters vor der Beschlussfassung in erster Instanz nicht anführen und die dem Rekurs beigefügte Urkunde (Auszug des Dachverbands der Sozialversicherungsträger) nicht vorlegen hätte können; derartiges ist auch dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Die Nichtberücksichtigung der Neuerung durch das Rekursgericht ist daher nicht korrekturbedürftig.

3. Mündliche Verhandlung

[19] 3.1. Der Revisionsrekurs macht erstmals geltend, dass das Erstgericht eine mündliche Verhandlung durchführen hätte müssen.

[20]3.2. Gemäß § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG kann in einem Revisionsrekurs unter anderem geltend gemacht werden, dass ein Fall des § 58 AußStrG gegeben ist. § 58 Abs 1 Z 3 AußStrG erfasst aber nur das völlige Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung, sofern nach besonderen gesetzlichen Vorschriften eine solche Verhandlung zwingend vorgesehen ist. Die Bestimmung ist daher im Unterhaltsverfahren nicht einschlägig (vgl die Aufzählung bei Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I 2 § 18 Rz 23 ff). Allein deshalb kann somit ein Mangel des Rekursverfahrens nicht vorliegen.

[21]Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinn des § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG macht der Revisionsrekurs nicht geltend; eine solche ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.

4. Unterhaltsbemessung

[22]4.1. Die Beweiswürdigung und die Tatsachenfeststellungen sind vor dem Obersten Gerichtshof nicht anfechtbar (RS0069246 [T1]). Die Feststellungen zu den Kontakten des Vaters sind daher bindend.

[23]4.2. Die Rechtsrüge ist nicht gesetzmäßig ausgeführt, wenn sich der Revisionsrekurs mit den Argumenten des Rekursgerichts bzw dessen tragender Begründung nicht auseinandersetzt (RS0043603 [T9, T16, T17]). Die Revisionsrekurswerber gehen mit keinem Wort auf die Begründung der Vorinstanzen ein, sondern behaupten lediglich, das festgestellte Ausmaß des Kontaktrechts sei kein überdurchschnittliches Kontaktrecht. Damit ist die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt. Im Übrigen bedarf der von den Vorinstanzen vorgenommene Abzug für das festgestellte überdurchschnittliche Kontaktrecht des Vaters keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof (vgl RS0047452 [insb auch T17, T22]).

5. Ergebnis

[24] Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.