12Os77/25b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 5. August 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als Vorsitzende sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Oshidari, Dr. Setz-Hummel LL.M., Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Artner in der Strafsache gegen M* U* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 20. März 2025, GZ 151 Hv 53/24g-31.5, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht Wien zu.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1]Mit dem angefochtenen (im Erkenntnis nicht untergliederten) Urteil wurde der Angeklagte M* U* eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB, mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und mehrerer Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 3 StGB schuldig erkannt.
[2]Danach hat er im Zeitraum Sommer 2006 bis (richtig:) 14. August 2009 (US 3) in W* mit seiner 2000 geborenen Schwester K* U*, demnach mit einer unmündigen Person, wiederholt den Beischlaf unternommen, indem er den vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzog, was bei der Genannten eine Dysthymie und eine posttraumatische Belastungsstörung verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, sohin eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zur Folge hatte.
Rechtliche Beurteilung
[3]Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
[4] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung (ON 31.4, 55) des Antrags auf Beiziehung eines gynäkologischen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass die dem Angeklagten angelasteten Handlungen beim Opfer Verletzungen im Vaginalbereich, wie insbesondere Blutungen massiven Ausmaßes, zwingend zur Folge gehabt hätten, und somit zum Beweis dafür, dass die belastenden Angaben des Opfers nicht glaubhaft seien (ON 31.4, 54), Verteidigungsrechte nicht verletzt.
[5]Denn der (der Sache nach zur Beweisführung hinsichtlich der Beweiskraft schulderheblicher Beweismittel gestellte [vgl dazu im Detail RIS-Justiz RS0028345; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350]) Beweisantrag bezieht sich – soweit er leichte Verletzungen beim Opfer zum Thema hat – auf vom Erstgericht als erwiesen angenommene Tatsachen (US 6; vgl RIS-Justiz RS0099135). Hinsichtlich darüber hinausgehender Verletzungen und Blutungen „massiven Ausmaßes“ als zwingende Folge der Handlungen des Angeklagten entbehrt der Antrag einerDarlegung, weshalb die Durchführung des Sachverständigenbeweises das behauptete Ergebnis erwarten lasse (vgl RIS-Justiz RS0099453).
[6]Das in der Rechtsmittelschrift zur Antragsfundierung nachträglich erstattete Vorbringen unterliegt dem sich aus dem Wesen dieses Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbot und ist insoweit unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).
[7] Indem sich die Mängelrüge (Z 5 erster und vierter Fall) gegen die Erwägungen der Tatrichter zur Glaubwürdigkeit des Opfers (insbesondere unter dem Aspekt physischer Verletzungsfolgen ) und dessen Mutter richtet, verfehlt sie denBezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0106588, RS0106268).
[8]Der Aussage der Mutter des Opfers sprach das Erstgericht den Beweiswert ab (US 5). Zu einer Auseinandersetzung mit ihren Angaben in allen Einzelheiten war es entgegen dem von der Mängelrüge erhobenen Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) schon mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten (RIS-Justiz RS0106642, RS0098642).
[9]Gegen welche Feststellung entscheidender Tatsachen (vgl zu diesem Begriff RIS-Justiz RS0117264) sich der weitere Einwand unterbliebener Erörterung der Einschätzungen des psychiatrischen Sachverständigen zu Verletzungen der Vagina und (körperlichen) Schmerzen des Opfers bei den Taten (ON 31.4, 28) richtet, wird nicht deutlich (vgl aber RIS-Justiz RS0130729). Im Übrigen gingen die Tatrichter von Verletzungen im „Vaginalbereich“ und Schmerzen beim Opfer im Zuge der Begehung der Taten aus (US 6).
[10] Die prozessförmige Dars tellung der Tatsachenrüge (Z 5a) setzt voraus, die dafür ins Treffen geführten (aktenkundigen) Beweismittel in Hinsicht auf ihre Eignung, erhebliche Bedenken hervorzurufen, an der Gesamtheit der beweiswürdigenden Erwägungen zu messen (RISJustiz RS0118780 [insbes T1]). Diesen Bezugspunkt verfehlt die Beschwerde, soweit sie für die Behauptung einer anderen Ursache der Tatfolgen, der verringerten Gefahr pädophiler Handlungen von Personen, die – wie der Angeklagte – bereits geschlechtliche Erfahrungen mit Gleichaltrigen gemacht haben, der geringeren „geschlechtlichen Anziehung“ in „innerfamiliärer Nähe“ und das Fehlen einer Gelegenheit zur Tatbegehung in einem Fall (vgl aber RISJustiz RS0116736) isoliert einzelne Beweisergebnisse herausgreift, ohne auf die Entscheidungsgründe Bedacht zu nehmen.
[11] Gleiches gilt für das gegen die Erwägungen der Tatrichter zum Beweiswert der Aussage der Mutter des Opfers gerichtete Vorbringen (vgl RISJustiz RS0117961) sowie für den mit dem Inhalt von Therapiegesprächen begründeten Einwand der Unglaubwürdigkeit der K* U* (vgl RISJustiz RS0099649).
[12]Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
[13]Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.