21Bs323/25s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hat am 3. Oktober 2025 durch die Senatspräsidentin Mag. Wilder als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Maruna und Mag. Frigo als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* B* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Berufung wegen Strafe und des Privatbeteiligtenanspruches gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 20. März 2025, GZ **-31.5, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Wallenschewski sowie in Anwesenheit des Angeklagten A* B* und seines Verteidigers Mag. Thomas Müller durchgeführten öffentlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen (im Erkenntnis nicht untergliederten) Urteil wurde der am ** in ** geborene österreichische Staatsbürger A* B* des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB, der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 3 StGB schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG nach dem ersten Strafsatz des § 203 Abs 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt, welche gemäß § 43a Abs 4 StGB im Ausmaß von zwei Jahren unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Unter einem wurde der Angeklagte gemäß § 366 Abs 2 iVm § 369 Abs 1 StPO schuldig erkannt, binnen vierzehn Tagen einen Betrag in Höhe von 36.240 Euro an die Privatbeteiligte C* B* zu bezahlen. Mit ihren weiteren Ansprüchen wurde die Privatbeteiligte gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Nach dem Schuldspruchs hat A* B* im Zeitraum Sommer 2006 bis (richtig:) 14. August 2009 (US 3) in ** mit seiner ** geborenen Schwester C* B*, demnach mit einer unmündigen Person, wiederholt den Beischlaf unternommen, indem er den vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzog, was bei der Genannten eine Dysthymie und einer posttraumatische Belastungsstörung verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, sohin eine schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zur Folge hatte.
Bei der Strafbemessung wertete das Schöffengericht das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit mehreren Vergehen und den langen Tatzeitraum als erschwerend, mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel und das lange Wohlverhalten seit den Taten.
Nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des A* B* mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 5. August 2025, GZ 12 Os 77/25b-5, ist über die Berufung des Angeklagten (ON 31.4, 58; ON 35) zu entscheiden, mit der er eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe und deren gänzlich bedingte Nachsicht sowie eine Verweisung der Privatbeteiligten mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg begehrt.
Rechtliche Beurteilung
Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.
Zunächst sind die vom Erstgericht aufgelisteten Strafzumessungsparameter dahingehend zu ergänzen, dass dem Angeklagten zusätzlich das „zarte Alter“ des Opfers D* B* erschwerend anzulasten ist.
Pönalisiert sind in §§ 206, 207 und 207a StGB nämlich Übergriffe auf Unmündige, sohin auf Kinder, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Da das geringe Alter des Opfers nicht die Strafdrohung des § 206 Abs 1 StGB bestimmt, sondern diese Bestimmung nur die Unmündigkeit des Opfers, also die Nichtvollendung des 14. Lebensjahres (§ 74 Abs 1 Z 1 StGB) voraussetzt, kann dieser Umstand ohne Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot als erschwerend herangezogen werden (RIS-Justiz RS0090958 [T4]).
Im vorliegenden Fall erfolgten die sexuellen Übergriffe in einem Zeitraum, als D* B* sechs bis neun Jahre alt war, sodass dieser Umstand zusätzlich erschwerend zur Last fällt ( Mayerhofer , StGB 6 § 32 E 32b).
Überdies ist im Rahmen der Schuld der - für das Opfer mit höherem Risiko verbundene - ungeschützte Geschlechtsverkehr (siehe dazu die kontradiktorische Vernehmung des Opfers ON 17, 7 [ON 31.4, 18]), der eine Erhöhung des Erfolgs und Handlungsunwerts des verurteilten Sexualdeliktes darstellt, aggravierend zu werten ( Riffel , WK 2 § 32 Rz 78).
Sofern der Berufungswerber vermeint, das Schöffengericht hätte den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 18 StGB, sohin das lange Wohlverhalten nach der Tat von bislang 15 Jahren sowie seinen ordentlichen Lebenswandel nach § 34 Abs 1 Z 2 StGB, weil er in geordneten Verhältnissen lebe und einer Beschäftigung nachgehe, stärker berücksichtigen müssen, ist ihm zu erwidern, dass diesen Milderungsgründen gewichtige erschwerende Parameter, vor allem das Zusammentreffen zahlreicher Verbrechen über einen langen Deliktszeitraum sowie das „zarte Alter“ des Opfers C* B* gegenüberstehen, sodass eine Reduktion der Freiheitsstrafe vor dem Hintergrund der korrigierten Strafzumessungskriterien dem Unrechts- und Schuldgehalt der Taten nicht gerecht wird.
Dem Angeklagten, der durch die Taten dokumentierte, dass er eine verfestigte Negativeinstellung gegenüber den rechtlich geschützten Werten unserer Gesellschaft hat, insbesondere gegenüber der körperlichen Integrität und sexuellen Selbstbestimmung Dritter, soll deutlich vor Augen geführt werden, dass derartige, der ungestörten kindlichen Entfaltung massiv abträgliche Angriffe auch nach vielen Jahren der Tatbegehung streng geahndet werden und nicht mit der Milde im Einzelfall spekuliert werden kann.
Ebensowenig wie der Forderung des Berufungswerbers auf Verkürzung der Sanktion, kann seinem Begehren auf gänzlich bedingte Strafnachsicht Erfolg beschieden sein.
Der Vollzug zumindest eines Teils der Freiheitsstrafe von einem Jahr ist spezialpräventiv erforderlich, um eine dauerhaft abhaltende Wirkung auf den Angeklagten zu erzielen und um ihm aufzuzeigen, dass für sexuelle Übergriffe zur Befriedigung eigener sexueller Gelüste in unserer Gesellschaft kein Raum besteht, mag dieser sich auch seit der letzten Tathandlung im Jahr 2009 wohl verhalten haben.
Die vom Jugendschöffengericht verhängte Sanktion, die nicht einmal die Hälfte der Strafobergrenze ausschöpft, erweist sich bei dem zur Verfügung stehenden Strafrahmen von bis zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe sohin insgesamt als tat- und schuldadäquat.
Schließlich dringt auch die Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche nicht durch.
Gemäß § 1328 ABGB gebührt jemandem, der durch die strafbare Handlung zur Beiwohnung oder sonst zu einer geschlechtlichen Handlung missbraucht wird, nicht nur der Ersatz des erlittenen Schadens und des entgangenen Gewinns, sondern – zusätzlich – eine angemessene Entschädigung für die erlittene Beeinträchtigung.
Daher geht auch der Einwand fehl, dass nach den – verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissenen - Angaben des Sachverständigen es theoretisch möglich sei, „dass in ein paar Jahren alles gut sein könne“, weil sich der Privatbeteiligtenzuspruch auf die erlittene Beeinträchtigung und nicht auf zukünftige Schäden stützt.
Zur Höhe ist nach ständiger Judikatur in Zivilrechtssachen das Schmerzengeld nach freier Überzeugung im Sinne des § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls als einmalige Gesamtentschädigung für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden hat, grundsätzlich global festzusetzen (vgl RIS-Justiz RS0031307). Tendenziell erscheint es geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen (vgl 2 Ob 295/01y; 7 Ob 281/02b; 2 Ob 83/14s). Die inkriminierten Tathandlungen des schweren sexuellen Missbrauchs einer Unmündigen stellen massive Übergriffe auf die Integrität des Opfers dar, welche nach den getroffenen Feststellungen beim Opfer C* B* zu einer chronifizierten psychischen Folgereaktion von Krankheitswert in Form einer Dysthymie (ICD-10 F.34) und einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10 F.43) mit 24 Tage bei weitem überschreitender Gesundheitsbeeinträchtigung, führten. Der auf Grundlage im Sachverständigengutachten Dr. D* festgestellten Schmerzperioden (ON 14.2, 22) – jeweils gerafft auf den 24-Stunden-Tag von 20 Tagen starke Schmerzen, 65 Tage mittelstarke Schmerzen und 112 Tage leichte Schmerzen - erweist sich der Zuspruch in Höhe von 36.240 Euro für die erlittene Beeinträchtigung rechtskonform und keineswegs als überhöht.
Der Berufung ist daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.