JudikaturOGH

2Ob103/25y – OGH Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
26. Juni 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2024 verstorbenen R*, über den Revisionsrekurs des Sohnes Ru*, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 19. März 2025, GZ 16 R 379/24k 15, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 6. November 2024, GZ 7 A 209/24g 10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass dem Gerichtskommissär die Errichtung eines Inventars aufgetragen wird.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Text

Begründung:

[1] Der 2024 ohne letztwillige Verfügung verstorbene Erblasser hinterlässt seine Ehefrau und zwei volljährige Kinder.

[2] Die Witwe beantragte, ihr die vorhandenen Aktiven des überschuldeten Nachlasses an Zahlungs statt zur teilweisen Abdeckung der von ihr getragenen Begräbniskosten zu überlassen.

[3] Der Sohn ( Pflichtteilsberechtigte ) beantragte nach Zustellung des Verteilungsentwurfs unter Hinweis auf sein Pflichtteilsrecht die Inventarisierung. Eine Erbantrittserklärung beabsichtige er derzeit nicht abzugeben.

[4] Das Erstgericht wies den Antrag zurück.

[5] Das Rekursgerichtgab einem Rekurs des Pflichtteilsberechtigten nicht Folge. Zwar sei ein Pflichtteilsberechtigter gemäß § 165 Abs 1 Z 6 AußStrG iVm § 804 ABGB berechtigt, einen Inventarisierungsantrag zu stellen. Als gesetzlichem Erben stehe es dem Pflichtteilsberechtigten aber ohnehin frei, eine bedingte Erbantrittserklärung abzugeben, was zur Inventarisierung führe. Die Inventarisierung bezwecke nicht, dem potentiellen gesetzlichen Erben Informationen über den Vermögensstand des Nachlasses zu verschaffen. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zur Frage zu, ob dem Pflichtteilsberechtigten, der zugleich Miterbe sei, aber keine bedingte Erbantrittserklärung abgebe, das Recht auf Inventarisierung zukomme.

[6] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Pflichtteilsberechtigten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem Abänderungsantrag, dem Gerichtskommissär die Inventarisierung aufzutragen.

[7] Die Witwe beteiligte sich nicht am Revisionsrekursverfahren.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig , er ist auch berechtigt .

[9] 1. Ein Beschluss, mit dem das Gericht den Antrag auf Errichtung eines Inventars überhaupt ab- oder (hier:) zurückweist, ist selbstständig anfechtbar ( 2 Ob 64/18b Pkt 1.2. mwN).

[10]2. Gemäß § 165 Abs 1 Z 6 AußStrG ist ein Inventar zu errichten, soweit eine dazu berechtigte Person oder der Verlassenschaftskurator dies beantragt.

[11]3. Nach §§ 778 Abs 1, 804 ABGB sind Pflichtteilsberechtigtegrundsätzlich zur Stellung eines Inventarsierungsantrags legitimiert. Zweck dieser im ABGB enthaltenen Vorschriften ist es, dem Pflichtteilsberechtigten eine Grundlage für die Berechnung des Pflichtteils zu geben, ihm also die Geltendmachung seiner Pflichtteilsforderung überhaupt erst zu ermöglichen (2 Ob 188/23w Rz 11 mwN). Bei der Entscheidung über den Antrag des Pflichtteilsberechtigten auf Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses ist nur die Eigenschaft als Pflichtteilsberechtigter iSd § 762 ABGB zu prüfen, nicht aber, ob und in welchem Ausmaß seine Pflichtteilsforderung materiell zu Recht besteht ( 2 Ob 183/15y Pkt 1.4 mwN).

[12] 4. Dem (bloß) präsumtiven Erbenkommt hingegen kein Antragsrecht nach § 165 Abs 1 Z 6 AußStrG zu. Die Materialien (Erläut RV 224 BlgNR 22. GP 107) halten dazu ausdrücklich fest, dass es als zu weitgehend empfunden wurde, ein Inventar ohne Abgabe einer Erbantrittserklärung für eine Partei errichten zu lassen, die dadurch erst die Entscheidungsgrundlagen dafür schaffen möchte, ob sie überhaupt – und ob sie unbedingt – erklärt, das Erbe anzutreten. Die Inventarisierung bezweckt daher nicht, dem potentiellen Erben zur bloßen Abwägung des Risikos einer erst abzugebenden bedingten oder unbedingten Erbantrittserklärung den Vermögensstand des Nachlasses bekannt zu machen ( Höllwerth , Checkliste – Verlassenschaftsinventar, EF-Z 2010/93; Oswald in Schneider/Verweijen, AußStrG § 165 Rz 23). Ein solches Bedürfnis wurde nur insoweit abgedeckt, als § 184 Abs 3 AußStrG die Möglichkeit vorsieht, das ohnedies im Sinne des § 165 Abs 1 Z 5 AußStrG zu errichtende Inventar den zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufgeforderten Parteien zuzustellen, wenn diese innerhalb der Abgabefrist zwar keine Erbantrittserklärung abgegeben, aber einen Antrag auf Zustellung des Inventars gestellt haben (Erläut RV 224 BlgNR 22. GP 107) .

[13]5. Auch der Pflichtteilsberechtigte, der gleichzeitig als gesetzlicher Miterbe in Betracht kommt, aber (noch) keine bedingte Erbantrittserklärung abgegeben hat, ist zur Antragstellung nach § 165 Abs 1 Z 6 AußStrG legitimiert. Dies aus folgenden Gründen:

[14]5.1. Der Wortlaut des § 804 ABGB differenziert nicht danach, ob der Pflichtteilsberechtigte auch als gesetzlicher Erbe zum Zug käme. Ihn vom Antragsrecht auszuschließen, würde daher eine Einschränkung des Gesetzeswortlauts bedeuten und erfordern, dass diese Fallkonstellation von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht betroffen wird und dass sie sich von den „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen so weit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre (RS0008979).

[15]5.2. Der Zweck des Inventars, eine Grundlage für die Pflichtteilsberechnung zu schaffen, rechtfertigt keine Einschränkung des Antragsrechts, sondern erfordert vielmehr, dem Pflichtteilsberechtigten auch dann ein Antragsrecht nach § 165 Abs 1 Z 6 AußStrG einzuräumen, wenn er als gesetzlicher Miterbe zum Zug käme, aber (noch) keine Erbantrittserklärung abgegeben hat (so auch Verweijen , Verlassenschaftsverfahren³ 257).

[16]5.2.1. Auch der gesetzliche Erbe kann sich nämlich auf seine Pflichtteilsberechtigung stützen und einen Pflichtteilsanspruch erheben (RS0012882). Zwar ist es nicht möglich, eine pflichtteilsdeckende Zuwendung abzulehnen und stattdessen ihren (pflichtteilsdeckenden) Wert in Geld zu verlangen ( Koglerin Klang³ § 758 ABGB Rz 40; Nemeth in Schwimann/Kodek 5§ 761 ABGB Rz 2). Allerdings ist die Pflichtteilsberechtigung dann von Bedeutung, wenn bei gewillkürter Erbfolge der Erbteil den Pflichtteil nicht deckt oder sich der Pflichtteil durch die Hinzurechnung von Schenkungen derart erhöht, dass der Erbe selbst unter Bedachtnahme auf den ihm aufgrund des Erbrechts zukommenden Anteil an der Verlassenschaft im Pflichtteil verkürzt ist (vgl Welser, Erbrechts-Kommentar § 758 ABGB Rz 9).

[17] 5.2.2. Im vorliegenden Fall der gesetzlichen Erbfolge käme – wie auch vom Pflichtteilsberechtigten im Rahmen seines Inventarisierungsantrags behauptet – daher eine Berufung auf das Pflichtteilsrecht im Rahmen der Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen in Betracht.

[18]Zwar ist das Inventar nach § 166 Abs 1 AußStrG nur ein vollständiges Verzeichnis der Verlassenschaft (§ 531 ABGB), also aller körperlichen Sachen und aller vererblichen Rechte und Verbindlichkeiten des Verstorbenen und ihres Werts im Zeitpunkt seines Todes , sodass vom Erblasser schon vor seinem Tod schenkungsweise übertragene Sachen nicht ins Inventar aufzunehmen sind.

[19] Der Pflichtteilsanspruch ist aber einheitlich derart zu berechnen, dass die Schenkungen dem reinen Nachlass hinzugerechnet, die einzelnen Pflichtteile ziffernmäßig ermittelt und beim Pflichtteilsberechtigten eine anzurechnende Schenkung von seinem Pflichtteil abgezogen wird ( Welser, Erbrechts-Kommentar § 787 ABGB Rz 1). Eine Nachlassüberschuldung ist von der Bemessungsgrundlage abzuziehen, weil der Berechtigte nach dem Zweck der Hinzurechnung im Grundsatz so zu stellen ist, wie er stünde, wenn die pflichtteilswidrige Verfügung unterblieben wäre (2 O b 124/20d Rz 42).

[20] Daraus folgt aber, dass der Pflichtteilsberechtigte auch bei gesetzlicher Erbfolge und (praktischer) Relevanz seiner Pflichtteilsberechtigung nur für den sich aus der Hinzu- und Anrechnung ergebenden Pflichtteilsanspruch dennoch berechtigt ist, einen Inventarisierungsantrag zu stellen, weil er auch zur Berechnung des sich aus der Hinzu- und Anrechnung ergebenden Pflichtteils Kenntnis vom reinen Nachlass bzw einer Nachlassüberschuldung haben muss.

[21] 5.2.3. Soweit Oswald (in Schneider/VerweijenAußStrG § 165 FN 38) unter Hinweis darauf, dass der potentielle Erbe nicht auf seinen Pflichtteilsanspruch beschränkt sei, sodass er zu seinem Schutz der Inventarisierung nicht bedürfe, Gegenteiliges vertritt, ist dem aus den dargelegten Gründen nicht zuzustimmen.

[22]6. Der angefochtene Beschluss war daher dahin abzuändern, dass dem Gerichtskommissär (§ 1 Abs 1 Z 1 lit b GKG) die Errichtung eines Inventars aufzutragen war.

[23]7. Der Kostenausspruch beruht auf § 185 AußStrG, wonach im Verlassenschaftsverfahren – außer im Verfahren über das Erbrecht – kein Ersatz von Vertretungskosten stattfindet.