JudikaturOGH

1Ob38/25g – OGH Entscheidung

Entscheidung
Vertragsrecht
24. Juni 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* K*, vertreten durch die MMag. Dr. Kazim Yilmaz Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei R* GmbH, *, vertreten durch Mag. Michael Stuxer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 56.400 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Jänner 2025, GZ 3 R 176/24k 39, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 22. August 2024, GZ 23 Cg 24/23i 33, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird insoweit bestätigt, dass sie als Teilurteil lautet:

„1. Die Klageforderung besteht mit 56.400 EUR zu Recht.

2. Die Gegenforderung von 3.000 EUR besteht nicht zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 56.400 EUR samt Zinsen von 9,2 % über dem Basiszinssatz aus 27.600 EUR seit 21. November 2022 und aus 28.800 EUR seit 12. Februar 2023 samt Zinseszinsen von 4 % seit 12. Mai 2023 binnen 14 Tagen zu zahlen.

4. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Im Übrigen – hinsichtlich der Entscheidung über Gegenforderungen von 24.000 EUR – wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe und Begründung:

[1] Die Beklagte beauftragte den Kläger – einen Schlosser und Stahlbauer – bei einem Bauvorhaben mit der Errichtung einer Stahlkonstruktion für das Dachgeschoss um einen Pauschalpreis von 86.400 EUR brutto (erster Auftrag). Sie leistete eine Teilzahlung von 30.000 EUR brutto.

[2] Sie beauftragte den Kläger weiters mit der Errichtung einer Stahlkonstruktion für die Balkone der Wohnung Top 17 und der hofseitigen Dachgeschosswohnung um einen Pauschalpreis von 10.625 EUR netto (zweiter Auftrag). Dass die Beklagte beim Kläger eine Stahlkonstruktion für weitere Balkone bestellte, konnte nicht festgestellt werden.

[3] Der Kläger begehrt von der Beklagten den restlichen Werklohn von 56.400 EUR sA für die Errichtung der Stahlkonstruktion für das Dachgeschoss (erster Auftrag), dessen Berechtigung im Revisionsverfahren nicht (mehr) strittig ist.

[4] Die Beklagte wendete gegen die Klageforderung Gegenforderungen von insgesamt 27.000 EUR aufgrund von fünf näher bezeichneten Mängeln ein. Sie habe den Kläger bei diesem Bauvorhaben auch mit der Errichtung von Stahlkonstruktionen für Balkone beauftragt. Dabei habe der Kläger Mängel zu vertreten und Schäden verursacht.

[5] Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nur mehr die Gegenforderungen der Beklagten.

[6] Das Erstgericht stellte die Klageforderung mit 56.400 EUR als zu Recht, die eingewandte Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend fest und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger 56.400 EUR sA zu bezahlen.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die vom Kläger beantwortete außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig, weil dem Berufungsgericht ein wesentlicher Verfahrensmangel unterlaufen ist; sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch teilweise berechtigt.

[9] 1. Die Beklagte macht in der Revision geltend, das Berufungsgericht habe ihre Mängelrüge, mit der sie die Unterlassung der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Mängeln gerügt habe, mit einer nicht durch die Aktenlage gedeckten Begründung verworfen. Das Berufungsgericht sei aktenwidrig davon ausgegangen, dass sie den Sachverständigenbeweis nur zur Branchenüblichkeit der Abrechnung beantragt habe, nicht jedoch zu den behaupteten Mängeln.

[10] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung kann eine in zweiter Instanz verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz nicht mehr an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RS0042963). Dies gilt nur dann nicht, wenn sich das Berufungsgericht mit einem geltend gemachten Mangel zu Unrecht nicht befasst (RS0043144) oder die Mängelrüge auf vom Akteninhalt abweichender Grundlage erledigt hat (RS0043086 [T7]; RS0043092 [T1]; RS0043166). Hat das Berufungsgericht die Unterlassung einer Beweisaufnahme für unbegründet erachtet, weil ein taugliches Beweisthema in erster Instanz nicht angegeben worden sei, und widerspricht die Begründung den Prozessakten, weil das Beweisthema ausreichend bezeichnet worden war, ist der Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO verwirklicht (vgl RS0043092 zur unterlassenen Zeugenvernehmung).

[11] 1.2. Die Beklagte beantragte zum Beweis für das Vorliegen der eingewendeten Mängel und deren Kosten die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus einem bestimmten Fachbereich (Verhandlung vom 2. 10. 2023, ON 9.2, Seite 4). Das Erstgericht nahm diesen Beweis nicht auf. Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen einer Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens mit der Begründung, die Beklagte habe zu den Mängeln an den Balkonen kein Sachverständigengutachten beantragt.

[12] 1.3. Die Begründung des Berufungsgerichts widerspricht dem Akteninhalt, da die Beklagte den Sachverständigenbeweis auch zu den Mängeln an der Stahlkonstruktion für die Balkone und die Beschädigung des Bodenbelags der Terrasse der Wohnung Top 9 geführt hat.

[13] 1.4. Ein Verfahrensmangel nach § 503 Z 2 ZPO kann nur dann zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts führen, wenn er wesentlich für die Entscheidung war und sich auf diese auswirken konnte (RS0116273). Relevant könnte die – in der Berufung der Beklagten relevierte – Einholung des Sachverständigengutachtens für vier behauptete Mängel sein (unzureichender Stahlsteher im Bereich der Wohnung Top 13, der den Balkon der Wohnung Top 17 stützen soll, und zu kurz ausgeführte Bodenplatte im Bereich der Wohnung Top 17 [Behebungs- kosten 15.000 EUR]; Beschädigung des Bodenbelags der Wohnung Top 9 im Rahmen von Schweißarbeiten des Klägers [Reparaturkosten 5.000 EUR]; keine Grundierung der Stahlkonstruktion [Behebungskosten 4.000 EUR] ). Diese Mängel betreffen Gegenforderungen von insgesamt 24.000 EUR.

[14] 1.5. Die Beklagte machte weiters als Gegenforderung geltend, dass ein Stahlträger zu lang ausgeführt worden sei; für die Entfernung der Überlänge entstünden Kosten von 3.000 EUR.

[15] Nach den getroffenen Feststellungen wurde dieser Stahlträger um ein paar Zentimeter zu lang ausgeführt. Der Kläger hatte sich gegenüber der Beklagten bereit erklärt, die Überlänge abzuschneiden. Seitens der Beklagten wurde ihm jedoch mitgeteilt, dass ein Abschneiden der Überlänge nicht nötig ist.

[16] Daraus ergibt sich ein Verzicht der Beklagten auf die Verbesserung und den Behebungsaufwand, auf den sich der Kläger auch beruft. Die Gegenforderung von 3.000 EUR ist daher bereits aus diesem Grund nicht berechtigt, sodass es auf den relevierten Verfahrensmangel nicht ankommt.

[17] 2. Wenn der Kläger argumentiert , die Gegenforderungen bestünden selbst dann nicht zu Recht, wenn die behaupteten Mängel feststünden, weil ihn die Beklagte nicht zur Behebung der Mängel aufgefordert habe, so trifft das nicht zu.

[18] Nach der Rechtsprechung kann der Übernehmer auch dann, wenn er dem Veräußerer (Werkunternehmer) keine Verbesserungsmöglichkeit eröffnet hat, sondern die Sache selbst verbesserte oder (im Regelfall) durch einen Dritten verbessern ließ, jedenfalls jene Kosten begehren, die der Veräußerer (Werkunternehmer) hätte aufwenden müssen, wenn ihm die im Gesetz grundsätzlich vorgesehene „Chance zur zweiten Andienung“ eingeräumt worden wäre (RS0123968 [T2]; RS0123969 [T2]; 6 Ob 81/20k [Pkt 5.] mwN).

[19] 3. Nach § 391 Abs 3 ZPO ist die Fällung eines Teilurteils auch dann möglich, wenn der Beklagte mittels Einrede eine Gegenforderung geltend gemacht hat, sofern diese mit der in der Klage geltend gemachten Forderung nicht in einem rechtlichen Zusammenhang steht.

[20] 3.1. Ein rechtlicher Zusammenhang zwischen Klage- und Gegenforderung liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn beide Ansprüche auf demselben Rechtsgeschäft oder Rechtsverhältnis beruhen, einander bedingen oder wenn die Aufrechnung beider Forderungen vereinbart war (RS0040760; vgl auch RS0040702); er wird auch bejaht, wenn zwischen beiden Ansprüchen ein so „inniger wirtschaftlicher Zusammenhang“ besteht, dass die Durchsetzung des Klageanspruchs ohne Rücksicht auf den Gegenanspruch dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspräche (RS0040692).

[21] Eine ständige Geschäftsbeziehung zwischen Unternehmungen bewirkt für sich allein noch nicht, dass die daraus entstandenen Ansprüche in einem rechtlichen Zusammenhang stehen (RS0040692 [T2]), selbst dann nicht, wenn die Geschäftspartner über einen längeren Zeitraum hinweg gleichartige Verträge mit im Wesentlichen gleichartigen Bedingungen abschließen (RS0040836 [T1]; 5 Ob 41/22y [Rz 9] mwN).

[22] 3.2. Die (im Revisionsverfahren) unstrittige Klageforderung von 56.400 EUR betrifft den offenen Werklohn für den ersten Auftrag der Beklagten an den Kläger, der die Errichtung einer Stahlkonstruktion für das Dachgeschoss umfasste.

[23] Die restlichen Gegenforderungen der Beklagten von 24.000 EUR stützen sich auf insgesamt vier Mängel. Drei Mängeln liegt eine behauptete mangelhafte Leistungserbringung des Klägers bei der Ausführung des zweiten Auftrags (Stahlkonstruktion für die Balkone der Wohnung Top 17 und der hofseitigen Dachgeschosswohnung) zugrunde. Der vierte Mangel liegt nach dem Vorbringen der Beklagten darin, dass der Kläger im Rahmen von Schweißarbeiten den Bodenbelag der Terrasse der Wohnung Top 9 beschädigt habe. Dass dieser Schaden bei der Durchführung der Arbeiten für den ersten Auftrag eingetreten sei, behauptet die Beklagte gerade nicht.

[24] Da damit zwischen der Klageforderung und den Gegenforderungen keine Konnexität besteht (vgl zu einem ähnlichen Sachverhalt 5 Ob 41/22y), ist die Fällung eines Teilurteils zulässig (§ 391 Abs 3 ZPO).

[25] 4. Auf dieser Grundlage ist die angefochtene Entscheidung im Ausspruch über die Klageforderung von 56.400 EUR und dem (zu Punkt 1.5.) genannten Teil der Gegenforderung von 3.000 EUR sowie im Zuspruch des Klagebetrags als Teilurteil zu bestätigen .

[26] In Bezug auf die weiteren Gegenforderungen von insgesamt 24.000 EUR ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und diesem insofern die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen.

[27] Erweisen sich die restlichen Gegenforderungen ganz oder teilweise als berechtigt, wäre im Endurteil auszusprechen, dass die Klageforderung im entsprechenden Umfang erloschen ist (RS0033853).

[28] 5. Die Kostenentscheidung beruht in Bezug auf das Teilurteil auf § 52 Abs 4 ZPO und in Bezug auf den Aufhebungsbeschluss auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.