JudikaturJustiz9Ob51/23z

9Ob51/23z – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, MMag. Sloboda und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Gernot Lehner, Rechtsanwalt in Neumarkt im Hausruckkreis, gegen die beklagte Partei H*, vertreten durch Dr. Bernhard Birek, Rechtsanwalt in Schlüßlberg, wegen 19.500 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. Juni 2023, GZ 2 R 76/23v 22, mit dem das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 7. April 2023, GZ 1 Cg 40/22p 18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.599,90 EUR (darin 266,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Streitteile waren von 2010 bis 2019 Lebensgefährten und bewohnten gemeinsam ein Einfamilienhaus, das seit 2016 in deren Hälfteeigentum steht. Etwa seit 2016 sind dort zwei Wohnungen vorhanden, nämlich eine ca 73 m² große im Erdgeschoß und eine etwa 61 m² große im Dachgeschoß. Zunächst bewohnten die Lebensgefährten die Wohnung im Erdgeschoß. Aufgrund von Schwierigkeiten in der Beziehung der Streitteile zog der Beklagte im ersten Halbjahr 2019 über Aufforderung der Klägerin in das Dachgeschoß.

[2] In einem vom Beklagten gegen die Klägerin wegen Versetzung einer Tür angestrengten Besitzstörungsverfahren schlossen die Streitteile am 16. 12. 2019 einen Vergleich, in dem sich die Klägerin verpflichtete, bis 31. 12. 2019 die Wohnung im Erdgeschoß des gemeinsamen Hauses zu räumen und in weiterer Folge nicht mehr zu benützen sowie dem Beklagten sämtliche Schlüssel auszuhändigen. Der Beklagte verpflichtete sich in diesem Vergleich, ab 1. 1. 2020 alle im Zusammenhang mit der Liegenschaft stehenden Kosten alleine zu tragen. Diese vorübergehende Einigung sollte bis zur endgültigen Aufteilung der Liegenschaft gelten . Darüber hinaus, insbesondere die Nutzung des Hauses betreffend, trafen die Parteien keine weiteren Vereinbarungen.

[3] Im Zuge der tatsächlichen Räumung übergab die Klägerin dem Beklagten den Schlüssel und erklärte , nicht damit einverstanden zu sein, dass „er hier alleine hause, er solle es mit den anderen Frauen nicht so machen wie mit ihr“.

[4] Der Beklagte nutzte in der Folge die Wohnung im Erdgeschoß nur in der Weise , dass er ca einmal wöchentlich die dortige Badewanne benützte und die Gartenmöbel im Wohnzimmer aufbewahrte. Außerdem erlaubte er einem Bekannten, im Carport einen Oldtimer unterzustellen.

[5] Am 23. 12. 2019 erhob die Klägerin eine Zivilteilungsklage.

[6] Mit der vorliegenden Leistungsklage vom 15. 9. 2022 begehrt die Klägerin vom Beklagten wegen titelloser Benützung ihrer Liegenschafts hälfte die Zahlung eines angemessenen Benützungsentgelts für den (in der Folge ausgedehnten) Zeitraum Jänner 2020 bis März 2023 von 19.500 EUR. Sie habe dem Beklagten die Liegenschaft nicht freiwillig zum Gebrauch überlassen, sondern sie sei wegen des unleidlichen Verhaltens des Beklagten aus dem Haus ausgezogen. Sie habe der alleinigen Benützung der Liegenschaft durch den Kläger widersprochen.

[7] Der Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Die in dem im Besitzstörungsverfahren abgeschlossenen Vergleich enthaltene vertragliche Regelung über die vorübergehende Nutzung der Liegenschaft stehe dem geltend gemachten Bereicherungsanspruch entgegen. Seit dem freiwilligen Auszug der Klägerin aus dem Haus benütze er überdies nur jenen Teil der Liegenschaft, der ihm demgemäß zur Verfügung stehe und nicht auch den, den die Klägerin benützt habe. Die Reparaturkosten der von der Klägerin im Haus verursachten Schäden von 20.000 EUR wendete der Beklagte compensando gegen die Klagsforderung ein.

[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein Benützungsentgelt stehe der Klägerin nicht zu, weil der Beklagte die Liegenschaft nicht übermäßig genutzt habe. Auch habe die Klägerin der alleinigen Benützung durch den Beklagten weder ausdrücklich noch schlüssig widersprochen.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts, dass der Beklagte die Liegenschaft nicht übermäßig, genutzt habe. Auf die Frage, ob die Klägerin der alleinigen Benützung der Liegenschaft durch den Beklagten widersprochen habe, habe daher nicht mehr eingegangen werden müssen. Aus dem Umstand, dass die Klägerin faktisch die gemeinsame Liegenschaft nach der Räumung nicht mehr betreten habe können, folge noch nicht das alleinige Nutzungsrecht des Beklagten und damit seine übermäßige Nutzung.

[10] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zur Frage zugelassen, ob allein das Verunmöglichen der Benützung durch einen Miteigentümer, etwa durch unleidliches Verhalten des anderen, bereits als übermäßige Nutzung durch Letzteren angesehen werden und einen Anspruch des Weichenden auf Benützungsentgelt begründen könnte. Dem schloss sich die Revisionswerberin zwecks Begründung der Zulässigkeit ihres Rechtsmittels nach § 502 Abs 1 ZPO an. Die Revision sei aber auch deshalb zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts von der oberstgerichtlichen Judikatur (ua 7 Ob 86/13t) abweiche. Dem gegenüber bestritt der Revisionsgegner das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte die Zurückweisung der Revision der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

[12] 1. Nach § 829 ABGB ist jeder Teilhaber vollständiger Eigentümer seines Anteils, wobei die Anteile nicht als reale, sondern als ideelle Teile verstanden werden ( Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 829 Rz 1). Jeder Miteigentümer hat daher auch Anspruch auf eine annähernd seinem Miteigentumsanteil entsprechende Nutzung der Sache, wenn er auch einen persönlichen Bedarf an einer solchen Nutzung hat (RS0013612; RS0013575). Solange keine Benützungsregelung erfolgt ist, hat er allerdings nicht das Recht auf ausschließliche Nutzung eines bestimmten realen Teiles. Eine von den übrigen Teilhabern ohne (bzw bis zu einem) allfälligen Widerspruch geduldete überproportionale Benützung – selbst Alleinbenützung der ganzen Liegenschaft (Einfamilienhaus) – ist weder titellos noch rechtswidrig (3 Ob 65/18g Pkt 1.1).

[13] 2. Nach § 839 ABGB werden Nutzungen und Lasten gemeinschaftlichen Eigentums nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile ausgemessen und im Zweifel jeder Anteil als gleich groß angesehen. Wird einem Miteigentümer ein seinen Miteigentumsanteil übersteigender Teil der gemeinschaftlichen Sache zur persönlichen Benützung überlassen, ist die ihm dadurch zukommende, verhältnismäßig größere Nutzung durch eine entsprechende Gegenleistung auszugleichen (RS0013617). Nach der Rechtsprechung kann der Miteigentümer für die übermäßige Nutzung der gemeinsamen Sache durch einen anderen Miteigentümer ab Zugang des ausdrücklichen oder schlüssigen Widerspruchs gegen die übermäßige Benützung ein anteiliges Benützungsentgelt verlangen (RS0013617 [T3]), weil ab diesem Zeitpunkt die übermäßige Nutzung mangels Einigkeit im Sinne des § 828 Abs 1 ABGB nicht mehr rechtmäßig ist (vgl Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 839 Rz 2).

[14] 3. Die Revision der Klägerin stellt die Beurteilung der Vorinstanzen, der Beklagte habe die gemeinsame Liegenschaft (auch) nach ihrem Auszug aus dem Haus tatsächlich nicht übermäßig genutzt, nicht weiter in Frage. Vielmehr sieht sie die übermäßige Nutzung des Beklagten an der gemeinsamen Liegenschaft darin gelegen, dass ihr die Mitbenützung der gemeinsamen Liegenschaft aufgrund der Gegebenheiten verunmöglicht und sie seit ihrem Auszug im Dezember 2019 von deren Nutzung faktisch ausgeschlossen sei. Es sei daher rechtlich irrelevant, ob und in welchem Ausmaß der Beklagte persönlich die ursprünglich von der Klägerin bewohnten Räume benutze oder nicht. Entscheidend sei vielmehr, dass die Klägerin entgegen ihrem Mitbenützungswillen von der Nutzung ausgeschlossen sei.

[15] 4. Mit diesen Ausführungen lässt die Revisionswerberin außer Betracht, dass sie durch den Abschluss des Vergleichs im Besitzstörungsverfahren selbst (aus freien Stücken) ihren Mitbenützungswillen an der gemeinsamen Liegenschaft aufgegeben hat. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich daher von dem der Entscheidung 7 Ob 86/13t zugrunde liegenden maßgeblich dadurch, dass die dortige Klägerin ihren ernsthaften Mitbenützungswillen an der im Miteigentum stehenden Liegenschaft zum Ausdruck brachte und der dortige beklagte Miteigentümer ihr die Betretung der gemeinsamen Liegenschaft dadurch unmöglich machte, dass er ihr keinen Schlüssel aushändigte.

[16] 5. Unabhängig von der Frage seiner tatsächlichen Benützung der Liegenschaft durfte der Beklagte im vorliegenden Verfahren daher aufgrund des Vergleichs davon ausgehen, dass seine (selbst übermäßige) Nutzung der Liegenschaft rechtmäßig ist (§ 828 Abs 1 ABGB). Derjenige Miteigentümer, dem vom anderen die Benützung des gemeinschaftlichen Gutes überlassen wird und der von der ihm dadurch eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, handelt nicht rechtswidrig ( Weixelbaum in Fenyves/Kerschner/Vonkilch [Hrsg], ABGB 3 [Klang; 2022] § 839 ABGB Rz 10). Von einer „Verunmöglichung der Benützung der gemeinsamen Liegenschaft“ durch den Beklagten (anders 7 Ob 86/13t) kann aufgrund des abgeschlossenen Räumungsvergleichs (zur Doppelnatur des gerichtlichen Vergleichs als Rechtsgeschäft und Prozesshandlung vgl RS0032587 [T12]) keine Rede sein.

[17] 6. Das von der Klägerin behauptete unleidliche Verhalten des Beklagten, das sie zum Auszug aus dem Haus bewogen hätte, ändert an der Rechtswirksamkeit des Räumungsvergleichs (eine Anfechtung durch die Klägerin erfolgte nicht) nichts. Die bloße Möglichkeit des Beklagten, die gemeinsame Liegenschaft aufgrund des von der Klägerin aufgegebenen Mitbenützungswillen übermäßig nutzen zu können, begründet daher den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Benützungsentgelt nicht. Die in den Revisionsausführungen enthaltenen Überlegungen der Klägerin zu dem von ihr (einseitig) erklärten Widerspruch sind daher nicht weiter relevant.

[18] Die Revision der Klägerin ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[19] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Klägerin in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

Rechtssätze
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