JudikaturJustiz7Ob80/14m

7Ob80/14m – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Mai 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** H*****, vertreten durch Dr. Günther Medweschek Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, gegen die beklagten Parteien 1. Verein *****, 2. S***** W*****, 3. H***** H*****, 4. A***** G*****, und 5. J***** K*****, alle vertreten durch Holzer Kofler Mikosch Kasper Rechtsanwälte OG in Klagenfurt, wegen 930,80 EUR sA und Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 15. Jänner 2014, GZ 2 R 258/13p 151, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 10. September 2013, GZ 16 C 2221/08k 147, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision und die Revisionsbeantwortung werden zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision nachträglich zu. Zur Frage, ob eine besonders sensible Person im Rahmen eines sozialrelevanten Interessenausgleichs durch einen herkömmlichen alten Brauch, durch den kein Schutzgesetz verletzt werde und der Durchschnittsmenschen nicht gefährde, eine psychische gesundheitliche Beeinträchtigung hinnehmen müsse, bestehe keine Judikatur. Zudem rechtfertige die Auslegung „der konkreten Schutzgesetze“ durch Heranziehung allgemeiner zivilrechtlicher Kriterien, wie der ortsüblichen Nutzung und der Maßgeblichkeit des Durchschnittsmenschen und nicht des besonders sensiblen Menschen, die Änderung des Zulassungsausspruchs.

Weder die Begründung des Berufungsgerichts, an die der Oberste Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht gebunden ist, noch die Revision des Klägers zeigen erhebliche Rechtsfragen auf.

1. Das vom Kläger bewohnte Haus liegt direkt an der Landesstraße im Ortskern der Gemeinde R*****, in der seit mindestens 50 Jahren zu Ostern ein Böllerschießen stattfindet. Dieses wird (neben anderen Gruppen) vom erstbeklagten Verein, dessen Mitglieder die Zweit bis Fünftbeklagten sind, am Karsamstag von 16:00 Uhr bis 22:00 Uhr oder 22:30 Uhr sowie am Ostersonntag von 05:00 Uhr bis gegen Mittag veranstaltet. Die Böller werden auf einem von der Liegenschaft des Klägers zwischen 410 bis 460 m Luftlinie entfernten Grundstück abgeschossen.

Die Vorinstanzen wiesen sowohl das Schadenersatzbegehren als auch die Unterlassungsbegehren, die darauf gerichtet sind, dass es durch das Abfeuern von Böllern auf der Liegenschaft des Klägers zu keinen Lärmemissionen von mehr als 65 dB kommt, ab.

2. Rechtsgrundlage für den Unterlassungsanspruch des Klägers, der die Verletzung seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit behauptet, ist § 364 Abs 2 ABGB. Das Verbot, fremde Liegenschaften durch ortsunübliche Immissionen zu beeinträchtigen, hat auch den Zweck, Gesundheitsschäden des Eigentümers dieser Liegenschaft hintanzuhalten (1 Ob 5/06a = SZ 2006/54). Bereits das Erstgericht, gebilligt vom Berufungsgericht, gab die maßgebenden Grundsätze der höchstgerichtlichen Judikatur zu dieser Bestimmung ausführlich und zutreffend wieder.

2.1. Lärmeinwirkungen sind mittelbare Immissionen, die nur soweit, als sie das ortsübliche Ausmaß überschreiten und die ortsübliche Benutzung wesentlich beeinträchtigen, untersagt werden können. Der Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB setzt daher voraus, dass die Beeinträchtigung (Immission) sowohl ortsunüblich als auch unzumutbar ist (RIS Justiz RS0010587).

2.2. Bei der Beurteilung, ob die ortsübliche Nutzung der Liegenschaft des Klägers wesentlich beeinträchtigt ist, ist nicht auf eine besondere Empfindlichkeit der betroffenen Person, sondern auf das Empfinden eines durchschnittlichen Bewohners des betroffenen Grundstücks abzustellen (RIS Justiz RS0010557). Maßgeblich ist demnach nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen, der sich in der Lage des Gestörten befindet (RIS Justiz RS0010607). Gefährdet jedoch die Einwirkung die Gesundheit davon betroffener Menschen, so kann sie nicht als ortsüblich beurteilt werden (7 Ob 286/03i). Ist allerdings die Gesundheitsgefährdung oder gesundheitliche Beeinträchtigung nur auf eine besondere Sensibilität des Nachbarn zurückzuführen, so kann dies für sich allein noch nicht zum Anlass genommen werden, die Einwirkung gänzlich zu untersagen. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Immission überhaupt und nicht nur für übersensible Menschen gesundheitsgefährdend oder gesundheits beeinträchtigend ist. Dafür trifft den betroffenen Nachbarn (Kläger) die Beweislast (10 Ob 25/11s; 6 Ob 166/13z, jeweils mwN).

2.3. Nach den Feststellungen des Erstgerichts verursacht das zumindest 410 m Luftlinie von der Liegenschaft des Klägers entfernte Böllerschießen auf dieser einen Immissionsspitzenpegel von 62 bis 72 dB. Die Spitzenpegel der Böllerschüsse liegen durchschnittlich um 3,3 dB unter den Spitzen der am Grundstück des Klägers vorbeifahrenden Kraftfahrzeuge, deren Immissionsspitzen pegel zwischen 63 und 84 dB liegen. Gegenüber diesen 2010 gemessenen Werten waren die im Jahr 2009 durch das Böllerschießen des Erstbeklagten verursachten Immissionen am Grundstück des Klägers geringfügig lauter und bedingt durch die Abschussrichtung in den Jahren 2007 und 2008 wiederum gegenüber 2009 geringfügig lauter wahrnehmbar, ohne dass exakte Lautstärkenangaben in Dezibel gemacht werden können. Für einen Durchschnittsmenschen ist durch das Böllerschießen eine Gesundheitsgefährdung aus umweltmedizinischer Sicht ausgeschlossen. In den Jahren 2007 und 2008 bestand beim (erwachsenen und im Berufsleben stehenden) Kläger eine behandlungsbedürftige Angststörung. Ein Lärmereignis wie das Osterböllerschießen kann bei ihm zu Schlafstörungen, Reizbarkeit und Nervosität geführt haben.

2.4. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass eine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzbarkeit als Wohngrundstück nicht vorliegt, ist zumindest vertretbar. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers, den die Vorinstanzen als besonders sensibel charakterisierten und der nur auf seine Person Bezug nimmt, ist auf die gesundheitliche Beeinträchtigung eines Durchschnittsbenützers des betroffenen Grundstücks abzustellen. Berücksichtigt man, dass das Böllerschießen zeitlich eingeschränkt an zwei Tagen des Jahres am Abend des Karsamstags und am Morgen des Ostersonntags stattfindet, die einzelnen Schussereignisse den gesundheitsgefährdenden Grenzwert nicht erreichen und die gemessene Lärmintensität im Vergleich zum täglichen Straßenlärm der Landesstraße geringer ist, ist in der nach den konkreten Umständen des Falls vorgenommenen Abwägung der Vorinstanzen keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

2.5. Soweit der Kläger auf die Anzahl der anlässlich der Messung am Karsamstag 2010 festgestellten Böllerschüsse abstellt, ist er darauf zu verweisen, dass diese nicht allein den Beklagten zugeordnet werden können, weil zur selben Zeit auch andere Gruppen Böllerschüsse abgaben.

3. Dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Bestimmungen des Verwaltungsrechts fehlt, begründet für sich allein noch keine erhebliche Rechtsfrage (RIS Justiz RS0123321). Geben die Vorinstanzen die Entscheidungspraxis der zuständigen Behörden oder die Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts richtig wieder und ziehen sie daraus keine unvertretbaren Schlussfolgerungen, so liegt im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage vor (RIS Justiz RS0123321 [T1]; 9 Ob 4/10v). Das ist hier der Fall.

Der Kläger leitet seine Ansprüche auch aus einem Verstoß der Beklagten gegen § 2 Kärntner Landessicherheitsgesetz (LGBl 1977/74 idgF; K LSiG) ab. Nach § 2 Abs 1 iVm § 4 K LSiG ist die Erregung ungebührlicherweise störenden Lärms eine zu bestrafende Verwaltungsübertretung. Nach § 2 Abs 2 K LSiG sind unter störendem Lärm die wegen ihrer Lautstärke für das menschliche Empfindungsvermögen unangenehm in Erscheinung tretenden Geräusche zu verstehen. Nach Abs 3 leg cit wird Lärm dann ungebührlicherweise erregt, wenn das Tun oder Unterlassen, das zur Erregung des Lärms führt, jene Rücksichten vermissen lässt, die im Zusammenleben mit anderen Menschen verlangt werden müssen.

Keiner der Beklagten wurde nach diesem Verwaltungsstraftatbestand verurteilt. Nach einer vom Kläger im Jahr 2007 erstatteten Anzeige sah die zuständige Behörde von der Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens ab und verfügte die Einstellung, weil infolge Ausübung ortsüblichen Brauchtums kein strafbarer Tatbestand vorliege.

Der Verwaltungsgerichtshof (85/10/0105 = ZfVB 1988/533) sprach zu § 2 K LSiG aus, entscheidend sei, dass die Lärmerregung nach einem objektiven Maßstab geeignet erscheine, von unbeteiligten Personen als ungebührlich und störend empfunden zu werden, und dass zur Beurteilung der Frage, ob der hervorgerufene Lärm geeignet gewesen sei, das Wohlbefinden normal empfindender Menschen zu beeinträchtigen, es nicht darauf ankomme, ob sich bestimmte Personen gestört fühlten oder nicht.

Die Beurteilung der Vorinstanzen, die die Verwirklichung dieses Verwaltungsstraftatbestands verneinten, weil das Osterböllerschießen zum ortsüblichen Brauchtum gehöre, der verursachte Lärm im Bereich des Verkehrslärms liege und damit nicht ungebührlich sei, entspricht der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung sowie der behördlichen Entscheidungspraxis und ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht des Klägers ist dabei nicht auf die einzelne konkrete Person abzustellen, sondern auf einen normal empfindenden Menschen, der nach einem objektiven Maßstab in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt sein muss, was hier zur verneinen ist.

Mangels Verwirklichung des Verwaltungsstraftatbestands ist weder auf dessen Indizwirkung für das Unterlassungsbegehren (vgl RIS Justiz RS0037188; RS0037195; 2 Ob 221/11f) einzugehen, noch muss im Hinblick auf das Schadenersatzbegehren geklärt werden, ob selbst wenn man wie die Vorinstanzen § 2 K LSiG als Schutzgesetz ansieht der Kläger vom Schutzzweck der Norm erfasst ist.

4. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

5. Die Beklagten haben die Revisionsbeantwortung entgegen § 507a Abs 3 Z 1 ZPO beim Erstgericht und nicht beim Berufungsgericht eingebracht, wo sie am 18. 4. 2014 und damit außerhalb der Frist des § 507a Abs 1 ZPO einlangte. Da die Zeit der Übersendung an das zuständige Gericht auch bei Einbringung von Schriftsätzen im elektronischen Rechtsverkehr nicht in die Frist zur Rechtsmittelbeantwortung einzurechnen ist (vgl RIS Justiz RS0041584 [T22]), ist dieser Schriftsatz verspätet und daher zurückzuweisen (RIS Justiz RS0035958 [T2]; RS0043688 [T1]).

Rechtssätze
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