JudikaturJustiz7Ob255/07m

7Ob255/07m – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach der am 15. September 2006 verstorbenen Christine P*****, vertreten durch Dr. Guido Kollmann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei K*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Prof. Haslinger Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen 88.138,59 EUR s.A. und Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. September 2007, GZ 2 R 70/07p-52, mit dem das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 9. Februar 2007, GZ 5 Cg 65/05v-43, infolge Berufung der klagenden Partei im angefochtenen Umfang aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Am 19. 11. 1987 wurde die (nach Klagseinbringung verstorbene, hier weiter so bezeichnete) Klägerin in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus operiert. Dabei unterlief den Bediensteten der Beklagten insofern ein Kunstfehler, als ein Bauchtuch im Bauchraum der Klägerin vergessen wurde. In den folgenden Jahren wurde die Klägerin wegen verschiedener Leiden und Krankheiten insgesamt 11-mal im Krankenhaus der Beklagten stationär behandelt, ohne dass ein Zusammenhang mit dem in ihrem Bauch zurückgebliebenen Tuch gesehen worden wäre. Anlässlich der operativen Behandlung eines Darmverschlusses wurde das Tuch schließlich am 3. 1. 2004 aus dem Bauch der Klägerin entfernt. Die Klägerin erhob ein (rechtskräftig abgewiesenes) Feststellungsbegehren und begehrte zuletzt (nach Klagsausdehnung) den Zuspruch von 88.138,59 EUR s.A. (85.000 EUR an Schmerzengeld und 3.138,59 EUR an Heilbehandlungskosten). Wie sich nun herausgestellt habe, seien ihre seither erlittenen Krankheiten und Leidenszustände auf den Kunstfehler vom 19. 11. 1987 zurückzuführen, für den die Beklagte als Spitalerhalter hafte.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Sie wendete unter anderem ein, der Klagsanspruch sei verjährt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, dass ein „möglicher Zusammenhang" zwischen fünf der vom Erstgericht festgestellten Erkrankungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin und dem in deren Bauch eingelagerten Fremdkörper bestanden habe. Abschließend müsse dies aber nicht geklärt werden, weil die Forderung verjährt sei.

Das Berufungsgericht hob die erstinstanzliche Entscheidung auf und trug dem Erstgericht auf, nach Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden. Der Anspruch der Klägerin sei zum Zeitpunkt der Klagseinbringung am 1. 6. 2005 nicht verjährt gewesen. Entgegen der Meinung der Beklagten und des Erstgerichts habe die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB nicht schon mit der Information vom Vorhandensein des Fremdkörpers im Jahr 1991, sondern - entsprechend dem Rechtssatz, dass die Verjährungsfrist nicht vor Kenntnis des Kausalzusammenhangs zu laufen beginne - erst mit Kenntnis des Kausalzusammenhangs begonnen, die der Klägerin nicht vor 2004 unterstellt werden könne. Damit sei die Sache aber noch nicht spruchreif, da das Erstgericht die konkreten Zusammenhänge noch nicht abschließend geklärt habe. Es werde Feststellungen zu treffen haben, ob im Sinn des Anscheinsbeweises ein typischer Geschehensablauf für die Kausalität des Kunstfehlers für bestimmte Erkrankungen der Klägerin spreche. Der Beklagten werde Gelegenheit zu geben sein, den Gegenbeweis anzutreten, also unter Beweis zu stellen, dass ein typischer Geschehensablauf im konkreten Fall nicht zwingend sei und die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs bestehe. Die Einwände der Beklagten, die Klägerin habe ihre Schadensminderungspflicht verletzt und weiters, sie müsse sich ein Mitverschulden ihres Ehemannes (und zugleich Hausarztes) als dessen Erbin anrechnen lassen, seien unberechtigt.

Dass die Information über den Kunstfehler nicht schriftlich, sondern nur mündlich erfolgt sei, könne der Beklagten entgegen der Ansicht der Klägerin allerdings nicht als Aufklärungsfehler angelastet werden.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil der Frage des Beweismaßes des für den Beweis des Kausalzusammenhangs bei ärztlicher Kunstfehlerhaftung genügenden Anscheinsbeweises („hohe" Wahrscheinlichkeit oder bloß „überwiegende" Wahrscheinlichkeit) über den vorliegenden Rechtsstreit hinaus Bedeutung zukomme. Bei Lösung dieser Rechtsfrage sei das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen.

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung eines nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zugelassenen Rekurses an den Obersten Gerichtshof kann sich wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführungen der Zurückweisungsgründe beschränken (§§ 510 Abs 3, 528a ZPO). Entgegen der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts hat dieses die von ihm als erheblich erachtete, das Beweismaß betreffende Frage ohnehin im Einklang mit der Judikatur des Obersten Gerichtshofes beantwortet. Danach ist zwar der Patient grundsätzlich für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und seine Kausalität in Bezug auf den eingetretenen Schaden beweispflichtig. Bei mit - wie hier - erwiesenen Behandlungsfehlern möglicherweise zusammenhängenden Gesundheitsschäden von Patienten wird vom Obersten Gerichtshof aber in ständiger Rechtsprechung wegen der besonderen Schwierigkeiten des exakten Beweises gerade für den Kausalitätsbeweis der Anscheinsbeweis (prima-facie-Beweis) als ausreichend angesehen (RIS-Justiz RS0038222). Beim Anscheinsbeweis werden Erfahrungssätze herangezogen, um auf wesentliche tatbestandsrelevante Tatsachen, die direkt nicht erwiesen werden können, zu schließen. Der Anscheinsbeweis beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RIS-Justiz RS0040266). Nach ständiger Rechtsprechung genügt es beim Anscheinsbeweis, dass „überwiegende Gründe" für die Verursachung des Schadens sprechen (RIS-Justiz RS0022782).

Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 2 Ob 590/92, die auch für den prima-facie-Beweis zur Klärung der Kausalität eines ärztlichen Kunstfehlers für eine Gesundheitsschädigung hohe Wahrscheinlichkeit fordert, ist vereinzelt geblieben. Sie geht offenbar von der überholten Ansicht aus, das Regelbeweismaß der ZPO sei eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Demgegenüber hat sich in der jüngeren Rechtsprechung die Auffassung durchgesetzt, dass das Regelbeweismaß der ZPO die hohe Wahrscheinlichkeit ist (RIS-Justiz RS0110701). Die zweite vom Berufungsgericht genannte Entscheidung 7 Ob 321/00g steht mit der obzitierten oberstgerichtlichen Judikatur insofern nicht in Widerspruch, als dort für den Nachweis des Kausalzusammenhangs (gemessen an entsprechenden medizinischen Erfahrungswerten) grundsätzlich auch schon die (bloße) Wahrscheinlichkeit als ausreichend bezeichnet wird. Andere oberstgerichtliche Entscheidungen, die für den Beweis des Kausalzusammenhangs einen (sehr) hohen Grad der Wahrscheinlichkeit verlangen, betreffen keine Anscheinsbeweise.

Demnach hält sich die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts, bei dem die Kausalitätsfrage betreffenden Anscheinsbeweis sei das reduzierte Beweismaß einer bloß „deutlich überwiegenden" Wahrscheinlichkeit anzulegen, in dem von der oberstgerichtlichen Judikatur vorgegebenen Rahmen. Die betreffende Rechtsfrage erfüllt deshalb die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht.

Während die Zulässigkeit einer Beweiserleichterung durch einen Anscheinsbeweis - ebenso wie das dafür notwendige Beweismaß - eine Frage der rechtlichen Beurteilung ist, fällt die Wertung, ob ein solcher Beweis im konkreten Einzelfall erbracht wurde, in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0112460). Die Frage, ob die Gründe, die für die Ursächlichkeit eines Kunstfehlers in Bezug auf Gesundheitsstörungen eines Patienten sprechen, ausreichend deutlich überwiegen, um den Anscheinsbeweis im Einzelfall als erbracht ansehen zu können, ist daher als Frage der Beweiswürdigung grundsätzlich nicht revisibel (vgl RIS-Justiz RS0022782).

Entgegen der Ansicht der Beklagten wird im Rekurs auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt: Die Frage des Beginns der Verjährung hat das Berufungsgericht im Einklang mit den von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätzen beantwortet, wonach (unter anderem) die dreijährige Verjährungszeit des § 1489 ABGB (schon) dann beginnt, wenn dem Geschädigten der Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis (hier den der Beklagten anzulastenden Kunstfehler) und dem eingetretenen Schaden (hier den von der Klägerin erlittenen Gesundheitsstörungen) erkennbar war oder sein musste (RIS-Justiz RS0034366). An der Richtigkeit der Ansicht, dies sei jedenfalls nicht vor der operativen Entfernung des Tuches im Jänner 2004 der Fall gewesen, kann angesichts der Erklärung des beigezogenen medizinischen Sachverständigen, Zusammenhänge zu Krankheitsbildern könnten (selbst von einem Experten!) erst jetzt hergestellt werden, kein Zweifel bestehen.

Die von der Rekurswerberin weiters für erheblich erachtete Frage einer Verletzung der Schadensminderungspflicht hängt davon ab, ob der Klägerin ungeachtet des Umstands, dass sie zunächst keinerlei Beschwerden hatte und auch in der Folge von den Ärzten kein Zusammenhang zwischen ihren Gesundheitsstörungen und dem vergessenen Bauchtuch gesehen wurde, eine „Sanierungsoperation" schon früher zumutbar war. Dies hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und wäre daher (nur) dann revisibel, wenn dem Berufungsgericht eine erhebliche Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die aus Gründen der Rechtssicherheit und der Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste. Das ist nicht der Fall. Eine Fehlbeurteilung, die die Zulassung des Rechtsmittels der Beklagten rechtfertigen würde, liegt schließlich auch hinsichtlich der Frage einer Mithaftung des Ehemanns und Hausarztes der Klägerin nicht vor. Der Beklagten ist zwar einzuräumen, dass vom Berufungsgericht übersehen wurde, dass die Vereinigung von Gläubiger- und Mitschuldnerstellung den übrigen Mitschuldnern die Regressansprüche lässt, die sie gegen die weiterbestehende Forderung kompensieren können (Reischauer in Rummel³ § 1445 Rz 1 unter Hinweis auf oberstgerichtliche Judikatur). Eine den Anspruch der Klägerin mindernde Mithaftung ihres Hausarztes und Ehemanns würde allerdings voraussetzen, dass diesem insofern ein Aufklärungsfehler unterlaufen wäre, als er der Klägerin ungeachtet deren Beschwerdefreiheit zu einer sofortigen Sanierungsoperation raten hätte müssen. Abgesehen davon, dass diesbezüglich keine Feststellungen getroffen wurden, müsste dieser Vorwurf aber zuerst und vor allem die Beklagte selbst treffen, die jedoch eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch ihre Ärzte in Abrede stellte. Im Ergebnis ist die Ablehnung der Berücksichtigung einer Mithaftung des Hausarztes der Klägerin daher nicht zu beanstanden und liegt auch in diesem Zusammenhang kein tauglicher Grund für die Zulassung des Rekurses vor. Die Klägerin macht in der Rekursbeantwortung ihrerseits als erhebliche Rechtsfrage geltend, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Notwendigkeit der schriftlichen Belehrung analog § 29 Abs 3 OÖKAG 1976 fehle. Abgesehen davon, dass eine Gesetzeslücke, die durch Analogieschluss aufzufüllen wäre, aus den schon vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zu verneinen ist, würde selbst eine Aufklärungspflichtverletzung - wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - an der im fortgesetzten Verfahren zu klärenden Kausalitätsproblematik nichts ändern. Mangels erheblicher Rechtsfragen ist der Rekurs daher zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO. Die Klägerin hat in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels ihrer Prozessgegnerin nicht hingewiesen, weshalb ihr die Kosten der Rechtsmittelgegenschrift nicht zu ersetzen sind.

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