JudikaturJustiz7Ob113/23b

7Ob113/23b – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wohnungseigentümergemeinschaft *, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* Versicherungs-Aktiengesellschaft, *, verteten durch Dr. Nikolaus Friedl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 91.301,61 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teil-Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. April 2023, GZ 3 R 220/22b 23, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. November 2022, GZ 31 Cg 23/22z 17, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Zwischen den Streitteilen bestand im Jahr 2021 ein Bündelversicherungsvertrag mit der Sparte Sturmschaden, dem (unter anderem) die Allgemeinen Bedingungen für die Sturmversicherung (AStB 1998) sowie die Besondere Bedingung Nr 6808 Sturmversicherung „REAL-Star“ (BB 6808) zugrundelagen.

Die AStB 1998 lauten auszugsweise:

„Artikel 1

Versicherte Gefahren und Schäden

1. Versicherte Gefahren:

1.1 Sturm: [...]

[...]

Artikel 2

Nicht versicherte Schäden

Nicht versichert sind, auch nicht als unvermeidliche Folge eines Schadensereignisses:

[...]

2. Schäden durch Lawinen und Lawinenluftdruck, Sturmflut, Hochwasser, Überschwemmung und Vermurung.

[...]

4. Schäden durch Wasser

Schäden durch Schmelz- oder Niederschlagswasser sind aber versichert, wenn das Wasser dadurch in ein Gebäude eindringt, dass feste Baubestandteile oder ordnungsgemäß verschlossene Fenster oder Außentüren durch ein Schadenereignis beschädigt oder zerstört wurden.

[…]“

Die BB 6808 lautet auszugsweise:

„Es gelten folgende Ergänzungen bzw. Erweiterungen zu den Allgemeinen Bedingungen für die Sturmversicherung (AStB 1998):

1. Versicherte Gefahren und Schäden

[...]

1.3. Schäden durch Witterungsniederschläge an Gebäudeinnenteilen

In Abänderung von Artikel 2 (Pkt. 4) der AStB 1998 leistet der Versicherer auch dann Entschädigung, wenn Gebäudeteile im Inneren der versicherten Gebäude durch Witterungsniederschläge (Niederschlagswasser, Schnee oder Hagel) beschädigt oder zerstört werden, welche durch Dach- oder Mauerteile bzw durch ordnungsgemäß geschlossene Fenster oder Außentüren ins Gebäude eindringen, ohne dass ein Ereignis gemäß Artikel 1 der AStB 1998 einwirkt.“

[2] Auf der versicherten Liegenschaft befindet sich ein ca 15 Jahre altes, unterkellertes, mehrstöckiges, in Massivbauweise errichtetes Mehrfamilienhaus.

[3] Am 17. Juli 2021 kam es auf der versicherten Liegenschaft aufgrund eines Unwetters mit Starkregen bei den Erdgeschosswohnungen auf vier Stiegen zu Wassereintritten und Schäden. Es handelt sich um zweigeschossig ausgeführte Erdgeschosswohnungen, deren unteres Geschoss unter dem Straßenniveau im Keller des Gebäudes liegt. Es gibt eigene Lichthöfe, die mit einem Bodenablauf und mit einem Rigol in Kellerbodenniveau ausgeführt sind. Diese haben eine Fläche von jeweils rund 5 m² (vgl RS0121557 [T3]) und dienen der Ableitung von Witterungsniederschlägen.

[4] Am Schadenstag gab es derart heftige und schwere Niederschläge, dass sich das Niederschlagswasser in den Lichthöfen ansammelte und nicht mehr abfließen konnte, sodass das aufgestaute Wasser in den Bodenaufbau und in das Mauerwerk eindrang.

[5] Die Schäden entstanden nicht dadurch, dass das Regenwasser direkt in die Wohnungen eindrang.

[6] Die Klägerin begehrt Zahlung von 91.301,61 EUR sA für bereits durchgeführte Sanierungsarbeiten und die Verpflichtung der Beklagten, ihr Versicherungsschutz für alle zukünftigen, unmittelbar durch den Schadensfall vom 17. Juli 2021 verursachten Schäden bis zur vereinbarten Versicherungssumme zu gewähren. Aus dem von der Beklagten beauftragten Gutachten gehe hervor, dass sich das Wasser aufgrund außergewöhnlich heftiger Niederschläge im Bereich der Lichthöfe angesammelt habe und in den Bodenaufbau eingedrungen sei. Somit sei die Ursache für die Schäden nicht eine Überschwemmung, sondern das Niederschlagswasser, sodass die Beklagte die Schäden gemäß Art 1.3. BB 6808 zu decken habe.

[7] Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Sie wendet – soweit für das Revisionsverfahren relevant – ein, auch n ach Art 1.3. BB 6808 seien nur solche Schäden gedeckt, die durch direkte Einwirkung von Witterungsniederschlägen, und nicht durch Ansammlung von Wasser, das in das Gebäude eindringe, verursacht worden seien. Außerdem seien die Schäden durch eine Überschwemmung entstanden, sodass der Risikoausschluss gemäß Art 2.2. AStB 1998 greife.

[8] Das Erstgericht wies das Leistungs und das Feststellungsbegehren ab. Art 1.3. BB 6808 sei für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer so zu verstehen, dass Niederschlagswasser unmittelbar eindringen müsse und nicht dadurch, dass es durch ein Aufstauen des Wassers – welches nicht mehr auf normalem Weg abfließen könne – zu einer Überschwemmung komme.

[9] Das Berufungsgericht gab infolge der Berufung der Klägerin dem Leistungsbegehren mit Teil Zwischenurteil dem Grunde nach statt und hob das angefochtene Urteil im Übrigen zur Verfahrensergänzung durch das Erstgericht auf. Es bestehe Versicherungsdeckung gemäß Art 1.3. BB 6808, weil sich aufgrund heftiger Regenfälle und der begrenzten Aufnahmefähigkeit des Abflusses Niederschlagswasser in einem Lichthof aufgestaut habe und sodann durch das Mauerwerk in das Gebäudeinnere eingedrungen sei . Da der Begriff „Überschwemmung“ nicht definiert sei, sich aber in einer Aufzählung mit schweren Naturkatastrophen finde, werde der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer darunter nur eine großräumige Überflutung und nicht ein derart kleinräumiges Ereignis wie in kleinen Lichthöfen stehen bleibendes Regenwasser verstehen, sodass der Risikoausschluss nicht greife. Das Leistungsbegehren bestehe daher dem Grund nach zu Recht. Da die Beklagte die Höhe des Zahlungsbegehrens ausdrücklich bestritten, das Erstgericht aber dazu ausgehend von seiner rechtlichen Beurteilung keine F eststellungen getroffen habe, sei das Ersturteil darüber hinaus aufzuheben.

[10] Gegen das Teil Zwischenurteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinn einer Klageabweisung abzuändern.

[11] In der vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

[13] 1.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert ( RS0107031 ).

[14] 1.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen ( RS0080166 [T10]; vgl RS0080068 ).

[15] 2.1. Gemäß Art 2.4. AStB 1998 sind Schäden „durch Wasser“ nicht versichert, und zwar auch nicht als unvermeidliche Folge eines Schadensereignisses. Versichert sind aber Schäden durch Schmelz- oder Niederschlagswasser, wenn das Wasser dadurch in ein Gebäude eindringt, dass feste Baubestandteile oder ordnungsgemäß verschlossene Fenster oder Außentüren durch ein Schadensereignis beschädigt oder zerstört wurden. Ein solcher Fall liegt unstrittig nicht vor.

2.2. Allerdings sieht Art 1.3. BB 6808 eine Abänderung von Art 2.4. AStB 1998 vor und schließt auch Schäden in die Versicherungsdeckung ein, wenn Gebäudeteile im Inneren des versicherten Gebäudes durch Witterungsniederschläge (zB Niederschlagswasser) beschädigt oder zerstört werden, welche (unter anderem) durch Mauerteile ins Gebäude eindringen, ohne dass ein Ereignis gemäß Art 1. AStB 1998 einwirkt.

[16] 2.3. Im vorliegenden Fall sind die Schäden im Inneren des versicherten Gebäudes durch das Eindringen des in den Lichthöfen aufgestauten Niederschlagswassers in den Bodenaufbau und in das Mauerwerk entstanden. Unter einem „Eindringen von Witterungsniederschlägen“ im Sinn von Art 1.3. BB 6808 versteht der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer auch den Fall, dass in einem umschlossenen Hof angesammeltes Niederschlagswasser seinen Weg über Mauerteile ins Gebäude findet. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin findet sich in der Klausel kein Anhaltspunkt, dass nur Schäden ersetzt würden, die durch direkte Einwirkung von heftigen Witterungsniederschlägen entstanden seien. Auch die Ansicht der Beklagten, wonach kein „Niederschlagswasser“ mehr vorliege, sobald dieses auf den Boden auftreffe, kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer weder dem Wortlaut der Bedingung noch dem allgemeinen Sprachgebrauch entnehmen. Es besteht daher Versicherungsdeckung gemäß Art 1.3. BB 6808.

[17] 3.1. Art 2. AStB 1998 normiert in zehn Ziffern Risikoausschlüsse, wobei dessen Punkt 2. unter anderem Schäden durch „Überschwemmung“ für nicht versichert erklärt.

[18] 3.2. Anders als aktuelle Bedingungen enthalten die AStB 1998 keine Definition des Begriffs „Überschwemmung“. Der Oberste Gerichtshof hat dazu aber bereits ausgesprochen, der Begriff „Überschwemmung“ impliziert, dass sich Wasser auf einem nicht unerheblichen Teil von Grund und Boden des Versicherungsorts ansammelt ( 7 Ob 180/22d mwN). In gleicher Weise wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer darunter hier kein kleinräumiges Ereignis wie in Lichthöfen stehendes Regenwasser verstehen, sodass dieser Risikoausschluss im vorliegenden Fall schon deshalb nicht verwirklicht ist.

4. Zusammengefasst hat die Beklagte für die von der Klägerin geltend gemachten Schäden dem Grund nach Deckung zu gewähren.

5. Die Revision der Beklagten ist daher nicht berechtigt.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO.

Rechtssätze
7
  • RS0112256OGH Rechtssatz

    06. März 2024·3 Entscheidungen

    Die Auslegung von AVB's hat sich am Verständnis eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers zu orientieren, ein Maßstab, der den Kriterien der §§ 914 f ABGB weitgehend entspricht. Unklarheiten sind zu Lasten des Versicherers auszulegen, weil dies die Interessen des Vertrauensschutzes erfordern, der "erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen" muss aber stets beachtet werden. Risikoeinschränkende Klauseln besitzen in dem Maße keine Vertragskraft, als deren Verständnis von einem Versicherungsnehmer ohne juristische Vorbildung nicht erwartet werden kann.

  • RS0107031OGH Rechtssatz

    11. Dezember 2023·3 Entscheidungen

    Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommene Gefahr einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zweckes und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhanges erfordert. Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat der Versicherer zu führen.

  • RS0080166OGH Rechtssatz

    11. Dezember 2023·3 Entscheidungen

    Bei der Risikobegrenzung wird von Anfang an ein bestimmter Gefahrenumstand von der versicherten Gefahr ausgenommen, ohne dass es dabei auf ein schuldhaftes, pflichtwidriges Verhalten des Versicherungsnehmers ankäme. Obliegenheiten hingegen fordern gewisse Verhaltensweisen des Versicherungsnehmers und bestimmte Rechtsfolgen nur für ihre willkürliche und schuldhafte Verletzung.

  • RS0050063OGH Rechtssatz

    06. März 2024·3 Entscheidungen

    Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach Vertragsauslegungsgrundsätzen auszulegen. Die Auslegung hat sich daher am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (vgl VR 1992/277; VR 1992/284).

  • RS0017960OGH Rechtssatz

    06. März 2024·3 Entscheidungen

    Die nach objektivem Gesichtspunkt als unklar aufzufassenden allgemeinen Versicherungsbedingungen müssen so ausgelegt werden, wie dies der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer verstehen musste, wobei Unklarheiten zu Lasten des Versicherers gehen. Zu berücksichtigen wäre allerdings in allen Fällen der einem objekten Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der allgemeinen Geschäftsbedingungen (Prölls - Martin VVG 24. Auflage, 24 f).

  • RS0008901OGH Rechtssatz

    06. März 2024·3 Entscheidungen

    Allgemeine Vertragsbedingungen sind so auszulegen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen aus dem angesprochenen Adressatenkreis erschließen. Ihre Klauseln sind, wenn sie nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen.