JudikaturJustiz6Ob61/17i

6Ob61/17i – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Mai 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. G***** B*****, sowie 2. A***** B*****, beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gahleithner Partner OG in Wien, gegen die beklagte Partei K***** Gesellschaft mbH Co KG, *****, vertreten durch Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 16.000 EUR), Veröffentlichung (Streitwert 12.000 EUR) sowie 3.000 EUR (Gesamtstreitwert 31.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Februar 2017, GZ 34 R 124/16d 23, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 24. November 2016, GZ 11 Cg 93/15m 19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Urteil wird in seinem Punkt 2. dahingehend abgeändert, dass es zu lauten hat wie folgt:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen je 1.500 EUR samt 4 % Zinsen ab Klagstag zu bezahlen, wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit 2.157,74 EUR (darin 359,62 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind die Eltern des am 22. 6. 1996 von H***** A***** getöteten W***** B*****. H***** A***** wurde für diese Tat wegen des Verbrechens des Mordes rechtskräftig verurteilt.

Die Beklagte ist Eigentümerin und Medieninhaberin der täglich erscheinenden periodischen Druckschrift „Neue Kronen Zeitung“; sie veröffentlichte in der Ausgabe vom Sonntag, 19. 4. 2015, auf Seite 18 folgenden Artikel:

Das Bild links oben zeigt W***** B*****. Weder er noch die beiden Kläger haben der Veröffentlichung zugestimmt.

Nach dem Erscheinen des Artikels wurden die Kläger von mehr als fünf Personen aus dem Bekanntenkreis darauf angesprochen, dass sie gar nicht gewusst hätten, dass W***** B***** H***** A***** verletzt habe, bevor er von ihr getötet worden sei. Der Artikel führte bei beiden Klägern zu Wut und Trauer über die unwahre Behauptung, ihr Sohn habe H***** A***** verletzt.

Die Kläger behaupteten, durch die Veröffentlichung des Artikels seien das Andenken ihres Sohnes verunglimpft und ihre berechtigten Interessen verletzt worden. Im Strafverfahren gegen H***** A***** sei keine Halsverletzung der Mörderin festgestellt worden. Die Berichterstattung unter Verwendung des Bildnisses ihres ermordeten Sohnes sei eklatant tatsachenwidrig gewesen.

Sie seien nach der Veröffentlichung immer wieder mit der für sie quälenden und auch kränkenden Frage konfrontiert worden, was nun eigentlich geschehen sei.

Die Kläger begehrten Unterlassung, Zahlung von je 1.500 EUR Schadenersatz und Veröffentlichung.

Die Beklagte wendete ein, der Artikel beruhe auf einem Gespräch zwischen ihrer Redakteurin und H***** A*****, deren Äußerungen wahrheitsgetreu wiedergegeben worden seien. Das Foto W***** B*****s sei nicht bloßstellend. Der Artikel sei im Kern wahr, eine allfällige Körperverletzung, die H***** A***** erlitten habe, betreffe nur ein unbedeutendes Detail, zudem sei W***** B***** selbst mehrfach gegen H***** A***** gewalttätig geworden. Der Mord („ein spektakulärer Kriminalfall“) sei ein zeitgeschichtliches Ereignis, über den berichtet werden dürfe, sodass das Veröffentlichungsinteresse der Allgemeinheit überwiege, weshalb die Berichterstattung jedenfalls wegen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit gerechtfertigt sei. Bloß geringfügige Unrichtigkeiten berechtigten nicht zu einem Zahlungsbegehren nach § 87 Abs 2 UrhG.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Aufgrund der unwahren Berichterstattung bestehe auch ein Interesse der Kläger an der Richtigstellung. Die Entschädigungssumme von je 1.500 EUR erscheine der erlittenen Kränkung angemessen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, wobei es das Unterlassungsgebot neu fasste.

Nach Verwerfung einer Mängelrüge erwog es in rechtlicher Sicht, der Betrachter und Leser gewinne aus dem inkriminierten Artikel den Eindruck, dass der Sohn der Kläger H***** A***** mit einem Rasiermesser attackierte, sie dabei verletzte und sie ihn in Reaktion darauf tötete. Dieser Anschein verletze die berechtigten Interessen der Kläger als Rechtsnachfolger ihres Sohnes. Gegen den Sohn der Kläger habe niemals ein Verdacht einer strafbaren Handlung bestanden. Das gelte erst recht für den Zeitpunkt der Bildnisveröffentlichung knapp 20 Jahre nach seiner Ermordung. Das Interesse der Kläger als Rechtsnachfolger ihres Sohnes am Unterbleiben der Bildnisveröffentlichung überwiege auch nach den Wertungen des Medienrechts das Informationsinteresse der Beklagten.

Gemäß § 87 Abs 2 UrhG könne der durch ein schuldhaftes Zuwiderhandeln gegen das Urheberrechtsgesetz Verletzte eine angemessene Entschädigung verlangen. Der Betrag von 1.500 EUR überschreite den dem Erstgericht zukommenden Ermessensspielraum nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt.

1. Hinsichtlich des Unterlassungs und Veröffentlichungsbegehrens ist die Entscheidung der Vorinstanzen nicht zu beanstanden. Diesbezüglich wird auf die zutreffende Beurteilung des Berufungsgerichts verwiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

2.1. Beim Anspruch nach § 78 UrhG ist nicht das Bild allein zu beurteilen, sondern auch die Art der Verbreitung und der Rahmen, in welchen das Bild gestellt wurde (RIS Justiz RS0078077). Ein entscheidender Gesichtspunkt aber ist, ob die Person des Abgebildeten durch die Veröffentlichung in einen nicht den Tatsachen entsprechenden Zusammenhang gestellt wurde (RIS Justiz RS0078077 [T1]). Es ist auch der mit dem veröffentlichten Bild zusammenhängende Text zu berücksichtigen (RIS Justiz RS0078077 [T5]). Bei der Beurteilung, ob berechtigte Interessen verletzt würden, ist darauf abzustellen, ob die Interessen des Abgebildeten bei objektiver Prüfung als schutzwürdig anzusehen sind (RIS Justiz RS0078077 [T11]).

2.2. Bei der Auslegung von Äußerungen ist das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers oder Durchschnittshörers, nicht aber der subjektive Wille des Erklärenden maßgebend (RIS Justiz RS0031883 [T1]).

2.3. Die Interpretation des gegenständlichen Artikels durch die Vorinstanzen ist nicht zu beanstanden (§ 510 Abs 3 ZPO). Der unbefangene Leser wird die Formulierung „Die Narbe an ihrem Hals erinnert daran. Er verwendete ein Rasiermesser, sie stach mit einem Küchenmesser zu: drei Mal.“ dahingehend interpretieren, dass der Sohn der Kläger H***** A***** mit einem Rasiermesser verletzt habe. Damit suggeriert der Artikel einen Zusammenhang zwischen dieser Verletzung und der Ermordung. Die in der Revision vertretene Deutung, der Sohn der Kläger habe das Messer einfach zum rasieren verwendet, findet im Zusammenhang des Artikels keine Stütze, ließ sich doch dadurch der Bezug zur Narbe am Hals von H***** A***** nicht erklären. Damit kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass durch die Veröffentlichung berechtigte Interessen des Verstorbenen verletzt wurden, wird doch dadurch der Mord in die Nähe einer – in Wahrheit nicht gegebenen – Notwehrsituation gerückt.

3.1. Das grundsätzlich bestehende öffentliche Interesse an der Berichterstattung über einen Mordfall (vgl § 7a MedienG, RIS Justiz RS0108482) berechtigt die Beklagte nicht dazu, in diesem Zusammenhang einen Sachverhalt zu unterstellen, der in dieser Form nicht den Tatsachen entspricht. Im vorliegenden Fall steht fest, dass H***** A***** durch den Sohn der Kläger keine Stichverletzungen erlitt, insbesondere auch nicht mit einem Rasiermesser; sie erlitt dadurch auch keine Narbe am Hals.

3.2. Soweit die Revision auf Art 10 EMRK Bezug nimmt, ist hier entgegenzuhalten, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung eine Herabsetzung durch unwahre Tatsachenbehauptungen nicht rechtfertigen kann (RIS Justiz RS0032201 [T2]).

4. Dass nach dem Tod des Betroffenen die nahen Angehörigen im Wege des postmortalen Persönlichkeitsschutzes Ansprüche nach § 78 UrhG geltend machen können, entspricht mittlerweile gefestigter Rechtsprechung (RIS Justiz RS0116720 [T2]). In der Regel sind die Interessen der klagenden Angehörigen schon dann beeinträchtigt, wenn die Interessenabwägung zu Lebzeiten des Betroffenen zu dessen Gunsten ausgegangen wäre (RIS Justiz RS0129339).

5.1. Berechtigt ist die Revision jedoch, soweit sie sich gegen den Zuspruch von Schadenersatz wendet. Wie der erkennende Senat in der Entscheidung 6 Ob 209/16b ausgesprochen hat, ist ein Anspruch Angehöriger auf Ersatz immaterieller Schäden aus einer postmortalen Persönlichkeitsverletzung ausgeschlossen, weil beim Verstorbenen kein Gefühlsschaden eingetreten ist. Eine Verletzung des § 78 Abs 1 UrhG kann für die nahen Angehörigen nur einen Anspruch auf Unterlassung und gegebenenfalls auf Veröffentlichung begründen. Der Schadenersatzanspruch nach § 87 UrhG ist dagegen höchstpersönlich und unvererblich. Anderes würde nur dann gelten, wenn der Anspruch bereits vor dem Tod entstanden wäre und der Verstorbene bereits vor seinem Tod alles Erforderliche zur Durchsetzung des Anspruchs getan hat. Diese Umstände liegen hier aber nicht vor.

5.2. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob durch eine Berichterstattung unmittelbar in das Persönlichkeitsrecht des klagenden Angehörigen eingegriffen wurde. Dafür reicht aber die bloße Verwandtschaft zum Verstorbenen nicht aus. Eine unmittelbare Persönlichkeitsrechtsverletzung könnte etwa dann angenommen werden, wenn suggeriert wird, der Kläger sei als Vater für das tragische Ableben seines Sohnes verantwortlich (6 Ob 209/16b). Im vorliegenden Fall liegt aber kein unmittelbarer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der klagenden Angehörigen vor. Dem Artikel ist nicht einmal andeutungsweise ein Vorwurf gegen die Kläger selbst zu entnehmen. Damit war das Schadenersatzbegehren in Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen spruchgemäß abzuweisen.

6. Die Abweisung des Klagebegehrens betrifft weniger als 10 % des Gesamtstreitwerts. Das diesbezügliche Unterliegen der Kläger hatte daher bei der Kostenentscheidung als geringfügig außer Betracht zu bleiben (§ 43 Abs 1 ZPO). Aus diesem Grund führte die teilweise Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch nicht zur Abänderung der Kostenentscheidungen der Vorinstanzen. Aus demselben Grund waren den Klägern die gesamten Kosten des Revisionsverfahrens zuzusprechen (§§ 43 Abs 1, 50 ZPO).

Rechtssätze
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