JudikaturJustiz6Ob22/24i

6Ob22/24i – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei M*, vertreten durch Piaty Müller Mezin Schoeller Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in Graz, gegen die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei 1. Z*, 2. N*, 3. Ing. J*, alle vertreten durch Dr. Gerald Ruhri und andere Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungs und Rekursgericht vom 13. Dezember 2023, GZ 5 R 44/23i 53, mit dem der Zulassungsantrag verbunden mit der ordentlichen Revision und dem ordentlichen Revisionsrekurs zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird, soweit er sich gegen Spruchpunkt 2. richtet, als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen.

Im Übrigen wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 834,89 EUR (darin enthalten 139,15 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin und gefährdete Partei (im Weiteren nur mehr: Klägerin) begehrt von den Beklagten und Gegnern der gefährdeten Partei (im Weiteren nur mehr: Beklagten) gestützt auf § 1330 Abs 1 und 2 ABGB die Unterlassung und/oder Verbreitung folgender (und/oder sinngleicher) Behauptungen (samt den Nebenbegehren [Widerruf und dessen Veröffentlichung]):

der Bürgermeister der Klägerin

-) habe für die Museumserrichtung am Hauptplatz im ehemaligen Gemeindeamt ca 500.000 EUR ausgeben lassen (1. Behauptung = Pkt a der Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz),

-) vernichte im Zusammenhang mit dem Abriss des Pflegewohnhauses entgegen gesetzlicher Regelungen Gemeindevermögen (2. Behauptung = Pkt b.1),

-) und/oder habe eine Vermögensvernichtung in Reinkultur zu verantworten, da er mit dem Abriss des Gebäudes einen Verlust von Mieteinnahmen von 100.000 EUR pro Jahr und/oder 5 Mio EUR in 50 Jahren verursache (3. Behauptung = Pkt b.2),

-) und/oder vernichte damit im Zusammenhang in [...] offensichtlich Millionen (4. Behauptung = Pkt b.3),

-) lüge offensichtlich in Gemeinderatssitzungen (5. Behauptung = Pkt c),

-) vertreibe alleinverantwortlich potentielle Investoren aus dem Gemeindegebiet, weshalb man sogar versucht sein könne, das Wort „Amtsmissbrauch“ in den Mund zu nehmen (6. Behauptung = Pkt d),

-) habe einen Monatsverdienst und Doppelbezug von ca 8.000 EUR (7. Behauptung = Pkt e).

[2] Gleichzeitig mit der Klage beantragte die Klägerin zur Sicherung ihres Anspruchs die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

[3] Das Erstgericht gab der Klage und dem Sicherungsantrag statt.

[4] Das Berufungs- und Rekursgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts in eine Abweisung (auch des Sicherungsantrags) ab.

[5] Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich jedes Unterlassungsanspruchs (in Verbindung mit dem darauf bezogenen Widerrufs- und Veröffentlichungsbegehren) sowie jener der jeweiligen Sicherungsbegehren hinsichtlich jedes einzelnen Beklagten 5.000 EUR nicht übersteige, und (infolge dessen) Revision- und Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig seien.

[6] Daraufhin stellte die Klägerin einen (mit ordentlicher Revision und ordentlichem Revisionsrekurs verbundenen) Antrag gemäß §§ 508, 528 Abs 2a ZPO iVm § 78 Abs 1 EO, den Zulässigkeitsausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision und der ordentliche Revisionsrekurs für zulässig erklärt werden.

[7] Das Berufungs und Rekursgericht wies diesen Antrag im ersten Rechtsgang als unzulässig zurück.

[8] Voraussetzung für einen solchen Antrag sei ein Ausspruch nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO darüber, dass die ordentliche Revision (nicht) zulässig sei, welcher Ausspruch seinerseits voraussetze, dass über einen an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigenden Entscheidungsgegenstand zu entscheiden gewesen wäre. Dies sei nicht der Fall.

[9] Dem dagegen von der Klägerin erhobenen Rekurs gab der Oberste Gerichtshof mit seinem Beschluss vom 23. 10. 2023, 6 Ob 145/23a, Folge, hob die angefochtene Entscheidung auf und trug dem Gericht zweiter Instanz die neuerliche Entscheidung auf. Dabei wurde die Rechtsansicht überbunden, dass zwischen den Beklagten eine materielle Streitgenossenschaft besteht und die Bewertung für alle drei Beklagten gemeinsam – wenn auch getrennt nach den verschiedenen Behauptungen (von denen drei von den Vorinstanzen ohnehin als untereinander in Sinnzusammenhang stehend erkannt worden waren [2., 3. und 4. Behauptung = Pkt b]) – vorzunehmen ist (6 Ob 145/23a [Rz 36]).

[10] Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungs- und Rekursgericht im zweiten Rechtsgang den Zulassungsantrag (nur mehr) zum Teil als unzulässig (betreffend die 1., 5., 6. und 7. Behauptung = Pkte a, c, d und e zu Spruchpunkt 1.) sowie im Übrigen (2., 3. und 4. Behauptung = Pkt b zu Spruchpunkt 2.) als nicht stichhältig zurück.

[11] Es bewertete – im Einklang mit der Entscheidung des erkennenden Senats – den Wert des Entscheidungsgegenstands betreffend die Behauptung(en) zu Pkt b (Vorwurf zum Abriss des Pflegewohnhauses und den damit im Zusammenhang stehenden Vorwürfen zu einer Vermögensvernichtung) gemeinsam und für alle drei Beklagten mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend. Danach prüfte es die von der Klägerin eingebrachten Rechtsmittel (Revision und Revisionsrekurs) auf ihre Stichhältigkeit hin und kam zum Ergebnis, dass die Ausführungen im Abänderungsantrag nicht geeignet seien, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen.

[12] In Ansehung der übrigen Behauptungen (Pkte a, c, d und e) verneinte es – entsprechend der vom Obersten Gerichtshof überbundenen Rechtsansicht – eine „Zusammenrechnung“ iSd § 55 JN und nahm – wie vom Obersten Gerichtshof aufgetragen – eine gemeinsame Bewertung des Entscheidungsgegenstands für alle drei Beklagten je einzelner Behauptung mit 5.000 EUR nicht übersteigend vor. In Folge dessen wies es den Zulassungsantrag insoweit erneut als nicht zulässig zurück.

[13] Gegen diesen Beschluss richtet sich der von den Beklagten beantwortete Rekurs der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

[14] Dieses Rechtsmittel ist teilweise jedenfalls unzulässig und teilweise nicht berechtigt .

[15] 1. Der Klägerin ist darin Recht zu geben, dass wenn – wie hier – mehrere Entscheidungen in einem einheitlichen Erkenntnis zusammengefasst sind, diese innerhalb der jeweils zur Verfügung stehenden längeren Rechtsmittelfrist angefochten werden können (RS0002105; RS0041670; RS0041696), was auch für den Fall der gemeinsamen Entscheidung über einen Sicherungsantrag und das Begehren in der Hauptsache (RS0002105 [T2]) sowie in Bezug auf die Fristenhemmung nach § 222 ZPO gilt (2 Ob 561/90; 4 Ob 127/16d).

[16] Der Rekurs der Klägerin ist daher auch im Provisorialverfahren rechtzeitig.

2. Zum Rekurs gegen Spruchpunkt 2. des angefochtenen Beschlusses (betreffend die Behauptungen 2., 3. und 4. = b)

[17] Erachtet das Gericht zweiter Instanz den Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO für nicht stichhältig, kann es ihn begründungslos zurückweisen. Gegen eine solche Zurückweisung ist ein Rechtsmittel – worauf schon das Gericht zweiter Instanz völlig zutreffend verwiesen hat – absolut unzulässig (§ 508 Abs 4 ZPO [im Provisorialverfahren iVm § 528 Abs 2a ZPO, §§ 78, 402 Abs 4 EO]).

[18] Infolge dieses Rechtsmittelausschlusses ist der Rekurs insoweit absolut unzulässig.

3. Zum Rekurs gegen Spruchpunkt 1. des angefochtenen Beschlusses (betreffend die Behauptungen 1., 5., 6. und 7. = a, c, d, e)

[19] 3.1. Da das Gericht zweiter Instanz den Zulassungsantrag (verbunden mit der ordentlichen Revision und dem ordentlichen Revisionsrekurs) hinsichtlich der Begehren zu diesen Behauptungen nicht nach inhaltlicher Beurteilung der Stichhältigkeit der Gründe, warum entgegen dem Ausspruch des Gerichts zweiter Instanz doch eine erhebliche Rechtsfrage zu beurteilen sei, zurückgewiesen hat, ist der Rekurs zulässig (6 Ob 145/23a vom 23. 10. 2023 [Rz 11]) und das Rekursverfahren zweiseitig (6 Ob 145/23a vom 30. 8. 2023 [Rz 6]).

[20] 3.2. Die Klägerin wirft dem Gericht zweiter Instanz vor, es habe es unterlassen, „auch nur einfachste Rechenoperationen darzustellen“. Deswegen sei eine Überprüfung der „Berechnung des Streitwerts“ nicht möglich.

[21] Darin soll eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit der Folge einer darauf aufbauenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung liegen. Nach dem Standpunkt der Klägerin wäre – bei richtiger rechtlicher Beurteilung – der von ihr angegebene Gesamtstreitwert von 31.500 EUR durch ihre fünf Ansprüche zu dividieren gewesen. Daraus hätte sich ein Wert des Entscheidungsgegenstands von 6.300 EUR pro Anspruch (und damit die Zulässigkeit ihres Antrags nach § 508 Abs 1 ZPO) ergeben.

[22] 3.3. Die Klägerin geht offenbar von der Prämisse aus, es sei das Gericht zweiter Instanz bei seiner Bewertung an jene des Klägers gebunden, was aber nicht zutrifft (RS0042450 [T1, T2]; RS0042515 [T8, T9]; RS0042410 [T26]; RS0042617; RS0042285). An diese unrichtige Prämisse schließt eine weitere fehlerhafte Rechtsmeinung an, nämlich die Auffassung, es sei bei mehreren zu bewertenden Ansprüchen der (Einzel )Wert des jeweiligen Entscheidungsgegenstands (zwingend) im Wege der Division des Gesamtstreitwerts durch die Anzahl der Ansprüche zu „errechnen“. Tatsächlich geht es aber bei der Bewertung nicht um eine schlichte Rechenoperation, die zwanghaft an den vom Kläger vorgegebenen Gesamtstreitwert anzuknüpfen hätte.

[23] 3.4. Wie bereits im ersten Rechtsgang dargelegt, ist das Gericht zweiter Instanz bei der Bewertung des Entscheidungsgegenstands grundsätzlich frei (6 Ob 145/23a vom 23. 10. 2023 [Rz 21]; 6 Ob 152/20a [ErwGr 1.]), wobei der objektive Wert der Streitsache ein Bewertungskriterium bildet (2 Ob 160/15s; 1 Ob 55/17w [ErwGr 2.1.]; 6 Ob 145/23a vom 23. 10. 2023 [Rz 13]). Der objektive Wert ergibt sich aber aus dem Inhalt des Anspruchs selbst und nicht aus der Wertangabe des Klägers.

[24] 3.5. Ebenfalls erläutert wurde der Klägerin schon, dass auch der Oberste Gerichtshof a n die Bewertung des Streitgegenstands durch das Gericht zweiter Instanz gebunden ist ( RS0042515; 6 Ob 145/23a vom 23. 10. 2023 [Rz 13]) . Davon wird nur im Fall der offenkundigen Unter oder Überbewertung oder der Verletzung zwingender Bewertungsvorschriften eine Ausnahme gemacht (RS0042450 [T8]; RS0042515 [T10, T11, T13, T18]).

[25] 3.6. Die Klägerin behauptet gar nicht, dass eine offenkundige Unterbewertung vorgelegen wäre (und führt naturgemäß auch nicht aus, woraus sich eine solche ergeben sollte). Die Beurteilung des Berufungs- und Rekursgerichts, dass der von ihr gestellte Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO nur bei einem 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigenden Wert des Entscheidungsgegenstands zulässig wäre, ist richtig und der Rekurs demnach in Ansehung der zu den Behauptungen a, c, d und e verfolgten Ansprüche erfolglos.

4. Kostenentscheidung

[26] Die Klägerin untergliederte ihr Begehren in sieben Behauptungen. Im Verfahren über den Rekurs gegen die Zurückweisung des Antrags nach § 508 Abs 1 ZPO aus anderen Gründen als nach inhaltlicher Beurteilung der Stichhältigkeit des Antrags (hinsichtlich der Begehren zu den Behauptungen a, c, d und e [= 1., 5., 6. und 7. Behauptung nach der Klage]) sind die Beklagten als obsiegend anzusehen. Insoweit steht ihnen Kostenersatz gemäß § 41 iVm § 50 ZPO zu.

[27] In Ansehung des Begehrens auf Unterlassung der Behauptungen zu b (= 2., 3. und 4. Behauptung nach der Klage) ist der Rekurs jedoch absolut unzulässig, ohne dass die Beklagten, die auch (insgesamt) nur beantragt haben, dem Rekurs nicht Folge zu geben, auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hätten. Für den darauf entfallenden Teil der Kosten der Rekursbeantwortung gebührt kein Ersatz (RS0035979).

[28] Den Beklagten stehen damit 4/7 tel der Kosten ihres Rechtsmittelschriftsatzes auf Basis der richtigen Bemessungsgrundlage zu. § 10 RATG sieht bei den nicht in Geld bestehenden Ansprüchen Höchstgrenzen vor. Die Klägerin bewertete das Unterlassungs-, Widerrufs- und Veröffentlichungsbegehren nach § 10 Z 6 RATG mit 21.000 EUR. Die – trotz des mehrmaligen Hinweises des Gerichts zweiter Instanz – von den Beklagten auf Basis einer zu hohen Bemessungsgrundlage (31.500 EUR), aber ohne Verbindungsgebühr verzeichneten Kosten waren dementsprechend zu kürzen.

Rechtssätze
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