JudikaturJustiz5Ob70/16d

5Ob70/16d – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Juli 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Manfred Rath und Dr. Gunther Ledolter, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Aufhebung eines Bestandvertrags, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. Februar 2016, GZ 2 R 320/15w 17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Reutte vom 23. Oktober 2015, GZ 2 C 102/15t 13, in Form einer Maßgabe bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass in ihrem Punkt 1. die Wortfolge „mit Ablauf des 18. 2. 2015“ entfällt.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters die mit 2.778,36 EUR (darin enthalten 463,06 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters die mit 2.236,82 EUR (darin enthalten 372,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Gesamtrechtsvorgängerin der klagenden Partei (in der Folge ebenfalls als klagende Partei bezeichnet) schloss im Jahr 1996 als Bestandgeberin mit der beklagten Partei als Bestandnehmerin einen Bestandvertrag über eine unbebaute Fläche. Zweck war die Errichtung und der Betrieb einer Tankstelle samt Nebenanlagen durch die Bestandnehmerin. Nach Punkt III der Vertragsurkunde wurde der Bestandvertrag auf unbestimmte Dauer abgeschlossen. Beide Parteien waren berechtigt, das Bestandverhältnis unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist jeweils zum 30. 6. und 31. 12. eines jeden Jahres zu kündigen. Die Bestandgeberin verzichtete auf ihr Recht zur ordentlichen Kündigung für einen Zeitraum von 18 Jahren ab Unterzeichnung dieses Vertrags, somit bis 31. 8. 2014.

Die Vertragsverhandlungen für die Bestandgeberin führte deren damaliger Geschäftsführer, der seine Kinder sowie den nunmehrigen Prokuristen der klagenden Partei beizog. Auf Seite der Beklagten wurden die Gespräche im Einverständnis mit der Geschäftsführung von Mag. Peter R***** geführt, der seit etwa 1995 im Rahmen eines auf drei Jahre befristeten Vertrags als Akquisiteur beschäftigt war. Den ersten Kontakt zur späteren Bestandnehmerin hatte ein selbständiger Immobilienmakler hergestellt, der die klagende Partei jedoch weder juristisch beriet noch den Vertragsverhandlungen beigezogen wurde. Die klagende Partei nahm während der Vertragsverhandlungen und auch anlässlich des Abschlusses des Bestandvertrags keine juristische Beratung in Anspruch.

Ausgangsbasis der Verhandlungen über die Vertragsbedingungen war ein von Mag. Peter R***** verfasster Vertragsentwurf. Er hatte aus verschiedenen „Schimmeln“ ein Standardmuster für derartige Verträge erarbeitet. Dieses Vertragsmuster war der beklagten Partei bekannt und von ihr in Ordnung befunden worden.

Die Vertragsdauer war ein wesentliches Thema der Vertragsverhandlungen. Die beklagte Partei wünschte zunächst eine Vertragsdauer von 25 Jahren, was der klagenden Partei jedoch zu lange war. Sie schlug deshalb eine Laufzeit von 18 Jahren vor, womit sich Mag. Peter R***** einverstanden erklärte. Dieser legte auf Grundlage dieser Besprechungen schließlich jenen Vertragsentwurf vor, der in der Folge von den Parteien des Bestandvertrags unterzeichnet wurde.

Die klagende Partei fragte angesichts der darin enthaltenen Formulierungen über den Abschluss auf unbestimmte Dauer, Kündigungsverzicht der klagenden Partei für 18 Jahre bzw bis zum 31. 8. 2014 nach, warum der Vertragsentwurf anders als mündlich besprochen nicht vorsehe, dass der Vertrag auf 18 Jahre bzw bis zum entsprechenden Termin laufe und dann ende. Der Verhandler der beklagten Partei erklärte daraufhin, die Formulierung habe gebührenrechtliche Gründe: grundsätzlich sei bei einem derartigen Bestandvertrag eine Gebühr für jeden Monat der Laufzeit zu entrichten, bei der im Vertragsentwurf vorgesehenen Formulierung falle aber nur eine Gebühr für eine dreijährige Laufzeit an. Zudem stehe ja der Kündigungsverzicht mit 18 Jahren im Vertrag, und danach könne die klagende Partei den Vertrag kündigen, es sei dies einem fixen Termin gleichwertig.

Über konkrete Nachfrage, ob die klagende Partei nach den 18 Jahren wieder über das in Bestand gegebene Grundstück verfügen bzw disponieren könne, es ihr also frei stehe, den Vertrag zu verlängern oder entweder die „grüne Wiese“ wieder zu bekommen und diese selbst zu nutzen oder allenfalls die von der beklagten Partei in der Zwischenzeit errichteten Gebäude zu übernehmen, bekräftigte der Verhandler der beklagten Partei, dass die klagende Partei nach den 18 Jahren diese Entscheidung treffen könne. Er erklärte, es handle sich um einen Pachtvertrag, bei dem es keinen Kündigungsschutz gebe. Er wusste aufgrund der mündlichen Besprechungen, dass die klagende Partei einen befristeten Vertrag abschließen wollte. Er hielt es zumindest ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass sich die klagende Partei auf seine Erläuterungen verlasse, dass die von ihm gewählte Formulierung de facto einen befristeten Vertrag bedeute und für diesen als Pachtvertrag keine Kündigungs-schutzbestimmungen zur Anwendung kämen. Damit hielt er es zumindest ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass die klagende Partei aufgrund seiner Erläuterungen den Vertragsentwurf in der irrigen Auffassung unterfertigte, nach Ablauf von 18 Jahren – konkret: per 31. 8. 2014 – durch eine ordentliche Kündigung ohne Angabe eines Kündigungsgrundes wieder über die in Bestand gegebene Liegenschaft verfügen zu können. Im Zuge der Vertragsverhandlung war erörtert worden, dass der Verhandler der beklagten Partei ausgebildeter Jurist sei.

Die klagende Partei hätte den Bestandvertrag nicht geschlossen, hätte sie gewusst, dass auf dieses Vertragsverhältnis nach der Rechtsprechung die Kündigungsschutzbestimmungen des MRG anwendbar seien und somit eine Kündigung des Vertrags durch die Bestandgeberin ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht möglich sei. Die klagende Partei wäre nur zum Abschluss eines befristeten Bestandvertrags bereit gewesen.

Der Verhandler der beklagten Partei kannte zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlung die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur analogen Anwendbarkeit von Kündigungsschutzbestimmungen des MRG auf einen derartigen Bestandvertrag über Grundstücksflächen zum Zweck der Errichtung von Superädifikaten. Dies traf auch auf den Geschäftsführer der beklagten Partei zu, nicht jedoch auf deren Prokuristen, der den Bestandvertrag ebenfalls unterzeichnete.

Die klagende Partei begehrte die Aufhebung des Bestandvertrags und stellte ein – nicht mehr relevantes – Eventualbegehren auf Abänderung des Vertrags im Sinne einer Befristung. Die beklagte Bestandnehmerin habe sie bei Abschluss des Bestandvertrags arglistig darüber getäuscht, dass nach der bereits damals herrschenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Kündigungsbeschränkungen des MRG auch auf solche Bestandverhältnisse anzuwenden seien, und die Vereinbarung einer unbestimmten Dauer anstatt einer an sich besprochenen Befristung mit ausschließlich gebührenrechtlichen Gründen erklärt. Die beklagte Partei habe dadurch auch ihre vor und nebenvertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzt.

Die beklagte Partei wendet insbesondere ein, sie habe die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Anwendbarkeit der Kündigungsbeschränkungen des MRG nicht gekannt und die Klägerin auch nicht in die Irre geführt. Sie sei zu einer rechtlichen Beratung der klagenden Partei nicht verpflichtet gewesen. Dieser wäre es freigestanden, sich selbst rechtlich beraten zu lassen.

In der Tagsatzung vom 21. 4. 2015 gaben beide Parteien nach Erörterung der grundsätzlichen Wirkung einer Vertragsanfechtung wegen Arglist ex tunc und der Rückabwicklungsproblematik übereinstimmend bekannt, dass im Fall einer Stattgebung des Klagebegehrens (Hauptklagebegehrens) einvernehmlich von einer Wirkung ex nunc und nicht ex tunc ausgegangen werde (ON 7 S 2).

Das Erstgericht gab dem Hauptklagebegehren statt. Rechtlich wertete es das Verhalten des von der beklagten Partei eingesetzten und ihr zuzurechnenden Verhandlers als arglistige Täuschung, welche die klagende Partei zum Abschluss des Bestandvertrags verleitet habe, den sie bei Kenntnis der wahren Sach und Rechtslage nicht geschlossen hätte. Die Parteien hätten im Rahmen des Verfahrens einvernehmlich festgehalten, in diesem Fall keine Wirkung ex tunc, sondern nur ex nunc anzunehmen. Ein diesbezüglicher Ausspruch sei weder begehrt worden, noch sei er unter Berücksichtigung dieses Einvernehmens erforderlich.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts mit der Maßgabe, dass der Vertrag mit Ablauf des 18. 2. 2015 (Tag der Zustellung der Klage) aufgehoben werde. Rechtlich folgerte es, dass die Rechtsprechung seit der Entscheidung 5 Ob 607/84 das MRG auch auf Bestandverträge über Grundstücke anwende, auf denen vertragsgemäß ein Superädifikat errichtet werden solle oder sich bereits ein vom Bestandnehmer errichtetes Superädifikat befinde, sofern dieses Gebäude Anknüpfungspunkt für die Anwendung des MRG sei. Der erst mit der MRN Novelle 2001 eingeführte Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 5 MRG sei nach § 49d Abs 2 MRG auf den davor geschlossenen Bestandvertrag nicht anzuwenden. Das Bestandverhältnis könne daher nach § 30 Abs 1 MRG nur bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes aufgekündigt werden. Der Verhandlungsgehilfe der beklagten Partei habe die Vertreter der Bestandgeberin zumindest bedingt vorsätzlich über die Notwendigkeit eines Kündigungsgrundes nach dem MRG in die Irre geführt. Es sei jedoch notwendig, das übereinstimmende Vorbringen der Prozessparteien zur Auflösung ex nunc im Urteilsspruch zu berücksichtigen, zumal eine Anfechtung wegen Arglist sonst durchaus zur Aufhebung ex tunc führen könnte. Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist entgegen diesem nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch zulässig. Sie ist auch teilweise berechtigt.

1. Die beklagte Partei zieht die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht in Zweifel, dass die im Jahr 1996 erfolgte Vermietung eines unbebauten Grundstücks zum Zweck der Errichtung einer Tankstelle durch die Bestandnehmerin ein unbefristetes, den Kündigungsschutz-bestimmungen des MRG unterliegendes Mietverhältnis begründete. Die Zurechnung des Verhaltens ihres Verhandlungsgehilfens ist ebenfalls kein Thema der außerordentlichen Revision.

1.1 Ihrer Auffassung nach liegt List im Sinn des § 870 ABGB jedoch nur dann vor, wenn dem Irreführenden bewusst ist, dass der andere Teil irrt und der Irrtum einen Einfluss auf den Willensentschluss ausübt. Die beklagte Partei vermisst in diesem Zusammenhang höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob dolus eventualis genügt. Rechtsprechung und Lehre haben diese Frage bereits bejaht: bedingter Vorsatz reicht aus (3 Ob 20/07y; 7 Ob 70/12p je mwN; Riedler in Schwimann/Kodek 4 § 870 ABGB Rz 3 mwN; Rummel in Rummel 4 § 870 ABGB Rz 3; Bollenberger in KBB 4 § 870 ABGB Rz 1).

1.2 Die Feststellungen des Erstgerichts zu Wissen und Wollen des Verhandlungsgehilfen der beklagten Partei lassen keinen Zweifel daran, dass dieser den Rechtsirrtum über Befristung und Anwendbarkeit der Kündigungsschutz-bestimmungen des MRG bewusst in Kauf nahm. Das Berufungsgericht hat somit zutreffend die Voraussetzungen für eine Anfechtung des Bestandvertrags nach § 870 ABGB als gegeben erachtet (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Die klagende Partei hat – übereinstimmend mit der beklagten Partei – im Verfahren erster Instanz klargestellt, dass sie lediglich die Aufhebung des Bestandvertrags mit Wirkung ex nunc, demnach erst mit Rechtskraft des der Anfechtungsklage stattgebenden Urteils (3 Ob 226/03m = RIS Justiz RS0118933; vgl RS0007221) begehrt.

2.1 Die Beklagte rügt in ihrer Revision zu Recht, dass das Berufungsgericht mit der Aufhebung zum Zeitpunkt der Klagszustellung – die dadurch zumindest zum Teil ex tunc wirkt – der klagenden Partei nicht das zugesprochen hat, was sie begehrt hat.

2.2 Das (Rechtsmittel )Gericht darf nach der ständigen Rechtsprechung dem Urteilsspruch zwar eine klare und deutlichere, dem tatsächlichen Begehren der klagenden Partei entsprechende Fassung geben (RIS Justiz RS0041254 [T2]; RS0039357). Spricht es jedoch ein „plus“ oder ein „aliud“ zu, verstößt es gegen § 405 ZPO (RIS Justiz RS0039357 [T27]). Die Frage, ob durch die Neuformulierung eines Spruchs das Begehren in unzulässiger Weise überschritten wird, begründet eine erhebliche Rechtsfrage, wenn – wie hier – eine zu korrigierende Fehlbeurteilung vorliegt (RIS Justiz RS0041192).

2.3 Der Oberste Gerichtshof hat die Umdeutung einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Vereinsbeschlusses in eine Anfechtungsklage mit rückwirkender Rechtsgestaltung als „aliud“ angesehen (1 Ob 32/10b). Im vorliegenden Fall begehrt die klagende Partei die Aufhebung eines Dauerschuldverhältnisses mit Rechtskraft des stattgebenden Urteils (s AS 46). Erst mit diesem Zeitpunkt sollen – nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien – die während der Vertragsdauer bestehenden Rechte und Pflichten, wie Zahlung des Bestandzinses und Überlassung des Gebrauchs enden. Die vom Berufungsgericht angeordnete Rückwirkung auf den Tag der Klagszustellung widerspricht diesem – übereinstimmend erklärten – Ziel.

3. Die außerordentliche Revision ist daher nur insoweit berechtigt, als die Wortfolge „mit Ablauf des 18. 2. 2015“ im Spruch des Berufungsurteils zu entfallen hat.

4. Die Kostenentscheidung des Rechtsmittel-verfahrens gründet sich auf § 43 Abs 2 erster Fall iVm § 50 ZPO. Der Erfolg der beklagten Bestandnehmerin liegt nur darin, dass sie die Aufhebung des Bestandvertrags nicht bereits mit dem Zeitpunkt der Klagszustellung, sondern etwa eineinhalb Jahre später erreicht hat. Ihr hauptsächliches Ziel bestand jedoch in der Aufrechterhaltung eines unbefristeten, kündigungsgeschützten Mietvertrags. Ihr Obsiegen ist noch als verhältnismäßig geringfügig im Sinn des § 43 Abs 2 erster Fall ZPO anzusehen, weshalb sie dem Prozessgegner die vollen Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen hat. Der Ansatz für die Revisionsbeantwortung beträgt nach TP3C 1.241,28 EUR.