JudikaturJustiz5Ob521/95

5Ob521/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. Juli 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Floßmann, Dr.Tittel und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Pauline H*****, Landwirtin, ***** vertreten durch die Sachwalterin Karoline K*****, Hausfrau, *****, diese vertreten durch Dr.Alois Kitzmüller, Rechtsanwalt in Liezen, wider die beklagten Parteien 1.) Adolf B*****, Landwirt, und 2.) Gertrud B*****, Landwirtin, beide *****, beide vertreten durch Dr.Heinrich Wallner, Rechtsanwalt in Liezen, wegen Nichtigkeit eines Übergabsvertrages und Einwilligung in die Einverleibung der Löschung des Eigentumsrechtes, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 25.Mai 1994, GZ R 1084/93-115, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Liezen vom 20. August 1993, GZ 2 C 431/89b-105, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gleich Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung:

Die am 9.3.1902 geborene Klägerin ist grundbücherliche Eigentümerin einer Landwirtschaft. Sie brach 1978 den Kontakt zu ihrer Tochter Karoline K***** ab und bediente sich in der Folge für verschiedene Arbeiten der Hilfe Außenstehender, auch der Beklagten, wobei sich zwischen ihr und den Beklagten im Lauf der Jahre ein gutes persönliches Verhältnis entwickelte. Mit Übergabsvertrag vom 24.4.1987 übergab sie ihre Liegenschaft EZ ***** KG L***** den Beklagten. Zu Ostern 1989 söhnte sie sich mit ihrer Tochter und deren Familie aus.

Die Klägerin begehrte die Nichtigerklärung des Übergabsvertrages wegen Sittenwidrigkeit, Wuchers, Verkürzung über die Hälfte und Geschäftsunfähigkeit. Außerdem begehrte sie, die Beklagten schuldig zu erkennen, in die grundbücherliche Einverleibung der Löschung ihres Eigentumsrechtes ob der Liegenschaft der Klägerin einzuwilligen.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die genannten Anfechtungsgründe lägen nicht vor.

Im ersten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab (ON 28). Über Berufung der Klägerin wurde dieses Urteil aufgehoben; dem Erstgericht wurde die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen (ON 35). Revisionsrekursen beider Parteien gab der Oberste Gerichtshof nicht Folge (ON 44).

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht die Klage zurück und hob das Verfahren ab der Klagseinbringung als nichtig auf (ON 79). Über Rekurs der Klägerin wurde dieser Beschluß behoben; dem Erstgericht wurde die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen (ON 85). Ein Revisionsrekurs der beklagten Parteien blieb erfolglos (ON 90).

Im dritten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Klagebegehren Folge. Die Klägerin sei wegen ihrer Gehirnerkrankung, ihrer Schwerhörigkeit und ihrer Sehbehinderung nicht in der Lage gewesen, ihre Interessen ausreichend zu wahren und den konkreten Vertragsinhalt in seiner vollen Tragweite zu erfassen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei sie im Frühjahr 1987 nicht mehr geschäftsfähig gewesen. Zwischen den wechselseitigen Leistungen aus dem Vertrag bestehe zwar ein auffallendes Mißverhältnis, Sittenwidrigkeit oder Wucher lägen aber nicht vor.

Das Erstgericht ging dabei im wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Das Anwesen der Klägerin liegt auf einem steil in Richtung Norden ansteigenden Berghang. Es ist insgesamt rund 34 ha groß, wobei rund 18,5 ha auf Waldflächen und 15,5 ha auf landwirtschaftlich genutzte Flächen entfallen. Die Verbindung zwischen der Gemeindestraße und dem Hof bildet ein steiler, 2,5 bis 3 m breiter und nicht befestigter Weg, der nicht mit einem Lkw befahrbar ist. Der nördlich des Hofes liegende Liegenschaftsbereich M*****, bestehend aus Wiesen- und Waldflächen, ist in sich nicht aufgeschlossen. Das Wohnhaus ist mindestens 100 Jahre alt. Stromanschluß und Fließwasser sind nicht vorhanden. Der Verkehrswert der Liegenschaft im Jahr 1987 lag bei S 6,2 Mio; das lebende Inventar hatte einen Wert von rund S 174.000,-.

Die Klägerin bewirtschaftete mit ihrer Cousine Adelheid L***** den Hof. 1950 zog ihre Tochter Karoline K***** mit ihrem Mann nach Tirol, kam jedoch regelmäßig mit ihrer Familie auf Besuch und arbeitete in den Sommermonaten in der Landwirtschaft mit. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter war getrübt, weil die Klägerin einerseits die Gattenwahl ihrer Tochter mißbilligte und ihr andererseits nicht verzieh, daß Karoline K***** am Begräbnis ihres Vaters, von dem die Klägerin geschieden war, teilgenommen hatte. 1978 gab die Klägerin ihrer Tochter zu verstehen, daß sie und ihre Familie nicht mehr nach L***** kommen sollten. Ab diesem Zeitpunkt brach der persönliche Kontakt zwischen Mutter und Tochter ab; die Klägerin verwehrte ihrer Tochter den Zutritt zum Anwesen.

Da die Klägerin und Adelheid L***** nicht alle Arbeiten allein durchführen konnten, halfen ihnen verschiedene fremde Personen, darunter auch der Erstbeklagte. Im Lauf der Jahre entwickelte sich zwischen der Klägerin und den Beklagten ein immer stärker werdendes Naheverhältnis. 1984 zeigte die Klägerin dem Erstbeklagten bei Arbeiten in der M***** den genauen Grenzverlauf. Nachdem sich Karoline K***** im Sommer 1986 bei den Beklagten nach ihrer Mutter erkundigt hatte, teilte die Klägerin diesen mit, sie wolle ihnen ihre Landwirtschaft übergeben. Zuvor hatte sie weder den Beklagten noch ihrem Enkel Michael K*****, der Hotelfachmann ist und sich vor seiner Abreise in die USA bei ihr verabschiedet hatte, etwas davon gesagt, daß er als Hoferbe vorgesehen wäre. Im Winter 1986/87 kam immer wieder die Rede auf die Übergabe; die Klägerin war zu dieser Zeit körperlich in einem guten Zustand, sie war lediglich schwerhörig und sehschwach. Die Klägerin erwähnte gesprächsweise die Möglichkeit einer Adoption der Zweitbeklagten oder eines Kaufvertrages ohne tatsächliche Zahlung des Kaufpreises. Bei diesen Gesprächen war Adelheid L*****, die über die betrieblichen und privaten Angelegenheiten der Klägerin informiert war, stets anwesend. Im Feber oder März 1987 meinte die Klägerin zu den Beklagten, es müsse wegen der Übergabe endlich - noch in der kalten Jahreszeit - etwas geschehen. Es war ihr Wille, daß ihre Tochter davon nichts erfahren sollte, weil sie sich vor ihrer Tochter fürchtete.

Der Erstbeklagte nahm daraufhin mit dem Notar Dr.B***** Kontakt auf

- an den L***** Notar Dr.P***** trat er auf Wunsch der Klägerin nicht heran, weil diese befürchtete, daß ihre Tochter Dr.P***** kennen könnte - und vereinbarte einen Besprechungstermin. Bei einem etwa zweistündigen Informationsgespräch in Anwesenheit Adelheid L***** auf dem Hof der Klägerin, bei dem die Klägerin das Wort führte, gab sie dem Notar ihre eigenen Ausgedingswünsche bekannt und drang auch auf eine Absicherung Adelheid L*****. Sie brachte gegenüber Dr.B***** deutlich zum Ausdruck, sie wolle die gesamte Liegenschaft den Beklagten übergeben.

Aufgrund ihrer Informationen verfaßte Dr.B***** den Übergabsvertrag und las ihn bei einem weiteren Termin am 24.4.1987 der Klägerin vor. Diese hatte Adelheid L***** mit der Bemerkung zugezogen, sie würden zu zweit mehr hören. Dr.B***** erläuterte verschiedene Fragen der Klägerin, die den Vertrag auch selbst einsah und ihn unterfertigte. Auf ihren Wunsch erhielt sie keine Vertragsausfertigung. Die festgelegten Leistungen der Beklagten für die Klägerin und für Adelheid L***** entsprachen dem Willen der Klägerin, die den gesamten Inhalt des Vertrages vor Unterzeichnung billigte. Von einer Testamentserrichtung war bei diesem Gespräch nicht die Rede. Die Klägerin wollte einen Zugriff ihrer Tochter auf den Hof verhindern und den Übergabsvertrag solange wie möglich vor ihr geheimhalten. Der Vertrag wurde daher auch nicht grundbücherlich durchgeführt. Seit 1986 erhielten die Beklagten für ihre im bisherigen Ausmaß fortgesetzten Hilfstätigkeiten keine Entlohnung mehr. Es war auch der Wunsch der Klägerin, daß sich ihre Lebensverhältnisse nach Vertragsabschluß nicht ändern sollten, weil sie den Hof möglichst lange selbst als Bäuerin führen wollte. Weder die Beklagten noch Dr.B***** hatten wegen des Geisteszustands der Klägerin Bedenken. Die Klägerin zeigte nach dem Vertragsabschluß dem Erstbeklagten alle Grundstücksgrenzen und legte ihm ans Herz, Nachbarn keine Wegerechte an der Hofzufahrt einzuräumen.

Nach dem Inhalt des Vertrages übergab die Klägerin die Liegenschaft EZ ***** KG L***** den Beklagten, die ihr dafür die Dienstbarkeit der Wohnung auf der Liegenschaft einräumten und sich verpflichteten, Beleuchtung und Beheizung sowie Essen (gegebenenfalls auch Diätkost) beizustellen, die Klägerin liebevoll zu pflegen, die Kosten für Arzt, Medikamente und Spitalsaufenthalt sowie auch für ein ortsübliches Begräbnis zu tragen. Alle Leistungen sind im Haus S*****, dem Wohnhaus der Klägerin, zu erbringen. Dasselbe galt im wesentlichen auch für Adelheid L*****, und zwar auch im Fall des früheren Ablebens der Klägerin. Die Beklagten verpflichteten sich weiters, die Landwirtschaft nach dem Tod der Klägerin nicht zu verkaufen und dereinst ungeteilt an eines oder mehrere ihrer Kinder zu übergeben. Die Klägerin behielt sich das Recht vor, die Landwirtschaft bis auf weiteres selbst zu bewirtschaften "und entspricht dies in etwa einem Fruchtgenußrecht" (Punkt 16.). Festgehalten wurde (Punkt 17.), daß der Grunderwerb auch als Aufstockung eines bestehenden Betriebes betrachtet werden "könnte" (§ 2 Z 4 oder 6 StLSG 1969), weil die Beklagten bereits eine eigene Landwirtschaft besaßen. Die im Vertrag festgelegten Gegenleistungen hatten zum damaligen Zeitpunkt für die Klägerin einen versicherungsmathematischen Wert von S 388.000,-, für Adelheid L***** von S 620.730,-.

Die Klägerin und Adelheid L***** lebten stets äußerst bescheiden. Die Klägerin sprach sich Zeit ihres Lebens gegen eine Modernisierung der Landwirtschaft aus; es sollte alles beim alten bleiben, sie wollte immer schuldenfrei sein. Die Klägerin verließ ihren Hof nur, wenn es unbedingt notwendig war (z.B. für eine Wahl oder einen Arztbesuch). Sie hatte in alle Vorgänge, die ihren Betrieb betrafen, Einblick und war auch 1987 und 1988 in der Lage, diesen Überblick zu wahren. Sie hatte ihre finanziellen Angelegenheiten fest im Griff, machte einen geistig regen Eindruck, las die örtlichen Zeitungen und war über das lokale Geschehen informiert.

Im September/Oktober 1988 wurde die Klägerin Patientin des praktischen Arztes Dr.Christian B*****. Zuvor hatte sie keinen ständigen Hausarzt. Sie war damals schon deutlich schwerhörig und trug eine Brille, möglicherweise bediente sie sich beim Lesen auch einer Lupe.

Am 24.12.1988 erlitt die 1911 geborene Adelheid L***** einen Schlaganfall und kam in das LKH R*****. Die Klägerin lehnte in der Folge Versuche ihrer Tochter, mit ihr Kontakt aufzunehmen, ab und verweigerte die Annahme von Briefen. Am Dreikönigstag 1989 ließ sie ihre Tochter nicht ins Haus. Auch der Versuch des Schwiegersohnes der Klägerin, eine Versöhnung der beiden Frauen herbeizuführen, scheiterte.

Im März 1989 besuchte die Klägerin Adelheid L***** im Altersheim D*****. Die Klägerin war über den schlechten Zustand Adelheid L*****, die sie nicht mehr erkannte, entsetzt. Eine Heimschwester sagte der Klägerin, daß keine Aussicht auf Besserung des Zustandes bestünde. Am 21.3.1989 ersuchte die Klägerin eine Bekannte, ihrer Tochter mitzuteilen, sie sollte mit ihrer Familie nach L***** kommen; die Klägerin wolle den Hof an ihren Enkel übergeben.

Nach der Versöhnung mit ihrer Tochter lebte die Klägerin teils in Tirol und teils auf ihrem Hof. Nunmehr ist sie schon seit längerer Zeit ein Pflegefall und befindet sich in einem Altersheim im Bezirk L*****.

Die Krankengeschichten über Krankenhausaufenthalte der Klägerin enthalten fast ausschließlich Befunde, die der Spezialdisziplin der Inneren Medizin zuzuordnen sind. Bei diesen Aufenthalten wurde die Klägerin nie von einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie untersucht, es wurde auch von keinem Arzt ein neurologischer oder psychiatrischer Status erhoben. Der erste neuropsychiatrische Befund und die erste neuropsychiatrische Exploration mit der Klägerin wurde am 19.3.1991 durch den bestellten Sachverständigen Univ.Prof.Dr.Franz A***** durchgeführt. Das Gespräch und die Exploration haben sich äußerst schwierig gestaltet, weil eine hochgradige Altersschwerhörigkeit bei der Klägerin besteht, weiters ist eine beträchtliche Wortverarmung gegeben und hat die Klägerin nur sporadisch Wörter oder sehr kurze Sätze von sich gegeben. Ein fließendes Gespräch mit ihr war nicht mehr möglich. Ein Hörapparat wird von der Klägerin nicht verwendet. Das Sehvermögen der Klägerin ist ebenfalls schwer beeinträchtigt, sodaß ein Schlüssel oder ein Kugelschreiber von ihr nicht erkannt wurden.

Der psychische Befund der Klägerin vom 19.3.1991 hat ergeben, daß sie zeitlich desorientiert und zur Person teilweise orientiert ist, örtlich grob orientiert. Die Bewußtseinslage war normal, die Aufmerksamkeit beträchtlich herabgesetzt. Es bestehen bei der Klägerin Hinweise für Konzentrations- und deutliche Merkfähigkeitsstörungen, das intellektuelle Niveau ist deutlich vermindert. Es sind höhere und höchste Hirnfunktionen beeinträchtigt und besteht eine Affektinkontinenz.

Bei der Klägerin liegt ein schweres dementielles Syndrom auf Boden eines hirnorganischen Prozesses vor. In Anbetracht multipler, vaskulärer Risikofaktoren ist eine globale, schwere Durchblutungsstörung des Gehirns als Ursache für die Demenz anzunehmen. Auch das hohe Alter der Klägerin ist als beträchtlichlicher Risikofaktor für die Entwicklung der Demenz heranzuziehen. Die nunmehr vorliegende schwere Demenz steht am Ende einer langen chronischen-progredienten Krankheitsentwicklung, deren Beginn rückblickend nicht exakt zu definieren ist. Dieser hirnorganische Prozeß führt zum Verlust von Fähigkeiten, mehr oder weniger in allen Bereichen. Das Handeln wird eingeengt auf das stereotyp Gewohnte. Das besonders früh und regelmäßig wahrnehmbare Leitsymptom dieser Erkrankung ist die Gedächtnisstörung, Merkfähigkeit und Frischgedächtnis gehen immer eher verloren als das Altgedächtnis. Ferner verlangsamt sich das Denken, engt sich röhrenförmig ein, wiederholt Bekanntes. Mit Begriffsbildung, Urteil, Kritik, Unterscheidung, Bewertung und Schlußfolgerung schwächen sich die Voraussetzungen für den sinnvollen Zusammenhang von Wahrnehmen, Erkennen, Erleben und Handeln ab. Die Gesamtpersönlichkeit verarmt, verflacht, nivelliert und vergröbert sich und ist auf die einfachsten Vollzüge eingeengt. Zunehmende Sprach- und Gedächtnisstörungen, Persönlichkeitsveränderungen sowie Einbuße kognitiver Fähigkeiten führen zum persönlichen, sozialen und beruflichen Verfall.

Alle drei vorliegenden Erkrankungsbilder der Klägerin, nämlich das dementielle Syndrom, der Seh- und Hörverlust haben sich bei ihr über Jahre chronisch entwickelt. Die Schwerhörigkeit hat sicher schon im Jahre 1987 einen Grad erreicht gehabt, der die zwischenmenschliche Kommunikation für Alltagsgespräche und sicher noch viel mehr für Vertragsverhandlungen erschwert hat. Es ist nicht auszuschließen, daß Formulierungen des Vertrages in Teilbereichen aufgrund mangelnder akustischer Perzeption nicht in ihrer Tragweite entsprechend verstanden wurden. Die bereits 1987 vorhandene Sehschwäche hat zusätzlich eine Behinderung beim Erfassen des Vertragsinhaltes dargestellt.

Im Jahre 1989 wurden ärztlicherseits Durchblutungsstörungen des Gehirns festgestellt. In diesem Jahr sind erstmals die Dekompensation mentaler und kognitiver Fähigkeiten deutlich nach außen zu Tage getreten. Die Erkrankung der Klägerin verläuft bereits über Jahre zunächst im kompensierten, später im dekompensierten Zustand. Aufgrund zahlreicher vaskulärer Risikofaktoren, die über Jahre bestanden haben, sowie in Anbetracht des Alters erscheint die Manifestation der vaskulären Demenz im Jahre 1987 sehr wahrscheinlich. Die Erkrankung geht einher mit sprachlichen Veränderungen, mit Persönlichkeitsveränderungen, mit Einbuße von Intellekt, Kritikfähigkeit, Einsicht, Mangel an Fähigkeiten, Neues aufzunehmen und zu verarbeiten. Alltagsaufgaben, Routineaufgaben können jedoch stereotyp lange Zeit bewältigt werden, während Umstellungen, Beurteilung von Verträgen, Erfassen von Bewertungen und von Beziehungen schon erheblich eingeschränkt sind. Wenn auch die Klägerin im Jahre 1987 die gewohnten Tätigkeiten am Hof bewerkstelligen konnte, so schließt dies nicht aus, daß Inhalt, Ausmaß und Tragweite des unterzeichneten Übergabsvertrages nicht mehr verstanden wurde.

Die vorliegenden schweren Erkrankungen im Bereiche des Gehirns, der Augen und der Ohren lassen den sicheren Schluß zu, daß die Klägerin seit dem Jahre 1989 voll geschäftsunfähig ist. Die festgestellten Erkrankungen stehen am Ende einer langen Krankheitsentwicklung und am Ende eines Lebens. Das Anfangsbild einer derartigen Erkrankung ist für einen Laien nicht zu erkennen. Die Erkrankung mit ihren Begleiterscheinungen kann bereits im Jahre 1987 in ihren Anfängen vorgelegen haben. Die nachträgliche Begutachtung der medizinischen Beweise für die Geschäftsunfähigkeit am 24.4.1987 ergibt, daß die positiven, für die Geistesstörung sprechenden Beweisezeichen einen höheren Wert gegenüber den negativen Feststellungen einnehmen. Daß ein Kranker normale Antworten gibt, sich unauffällig verhält, im Alltag und in der gewohnten Umgebung weitgehend situationsangepaßt reagiert, ist niemals ein Beweis gegen eine gegebenenfalls schwere Geistesstörung. Die Annahme der Geschäftsunfähigkeit am 24.4.1987 ist wesentlich wahrscheinlicher, als die Annahme der Geschäftsfähigkeit. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr in der Lage, den Inhalt und die Tragweite des Vertrages zu erfassen.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich nach dem Tod der Adelheid L***** das Krankheitsbild der Klägerin psychisch verschlechtert hat.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes in klageabweisendem Sinn ab.

Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Beklagten, soweit darin Nichtigkeit geltend gemacht worden war, und erkannte die Mängelrüge für nicht gerechtfertigt.

Im Tatsachenbereich übernahm das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme der Feststellung, die Klägerin sei am 24.4.1987 mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr in der Lage gewesen, Inhalt und Tragweite des Vertrages zu erfassen.

Aufgrund der Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Univ.Prof.Dr.Franz Aichner, und zwar in dem in erster Instanz erstatteten schriftlichen Gutachten samt mündlicher Erörterung sowie in der mündlichen Berufungsverhandlung am 22.3.1994, werde ergänzend festgestellt, daß in medizinischer Hinsicht die Annahme der Geschäftsunfähigkeit am 24.4.1987 wesentlich wahrscheinlicher als die Annahme der Geschäftsfähigkeit sei, dies im Verhältnis von etwa 75 % zu 25 %.

Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen folgendes aus:

Nach § 865 ABGB seien Personen, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben, unfähig, ein Versprechen zu machen oder es anzunehmen, wenn es sich nicht um eine geringfügige Angelegenheit des täglichen Lebens handle. Es komme darauf an, ob die geistige Störung dazu führte, daß der Beeinträchtigte die Tragweite des konkreten Geschäfts nicht beurteilen konnte. Die fehlende Einsicht in die Tragweite des Geschäfts müsse sich entweder aus der Natur des Vertrags oder aus sonstigen besonderen Umständen ergeben. Die tatsächlichen Umstände und die persönlichen Eigenschaften des Vertragsschließenden im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung fielen in den Tatsachenbereich; der aufgrund dieser Feststellungen gezogene Schluß, ob Handlungsfähigkeit im Einzelfall vorlag, sei Teil der rechtlichen Beurteilung. Wer sich auf das Vorliegen einer Geschäftsunfähigkeit berufe, habe dies zu beweisen. Die Klägerin müßte also beweisen, daß solche Umstände vorlagen, die die Annahme ihrer Geschäftsunfähigkeit bei Unterfertigung des Übergabsvertrages im April 1987 rechtfertigen würden.

Bei Berücksichtigung aller Fakten könne dieser Beweis nicht als erbracht angesehen werden. Vielmehr sei nach den Verfahrensergebnissen davon auszugehen, daß die Klägerin ihren Hof den Beklagten übergeben wollte, daß sie Absicherungen für sich und Adelheid L***** wollte, daß sie zumindest in diesem Punkten den Vertrag verstand und daß er ihrem freien Willen entsprach.

Nach den Feststellungen sei die Klägerin im Zeitpunkt der Unterfertigung des Übergabsvertrages durchaus in der Lage gewesen, alle den Hof betreffenden Belange wahrzunehmen und ihre Interessen zu wahren. Ein Übergabsvertrag sei in bäuerlichen Kreisen etwas durchaus Geläufiges (vgl JBl 1960, 558). Auch wenn die Klägerin bei Vertragsabschluß nicht alle Einzelheiten des Übergabsvertrages zu überblicken vermocht habe, hätte sie nach den Feststellungen doch die grundsätzliche Bedeutung des Vertrages (Übergabe der Liegenschaft an die Beklagten, Fortführung ihrer bisherigen Tätigkeit auf dem Hof, Pflicht der Beklagten zur Erbringung von Versorgungsleistungen für sie und für Adelheid L***** etc) erkennen können. Bei diesen "Kernpunkten" handle es sich auch nicht um unübliche Bestimmungen eines bäuerlichen Übergabsvertrages. Es könne davon ausgegangen werden, daß die Klägerin dem Notar Dr.B***** Vertrauen schenkte, was die genaue juristische Formulierung des Vertrages und die Wahrung ihrer Rechte anging. Abgesehen von Adelheid L***** wären die Beklagten im April 1987 wohl jene Personen gewesen, denen die Klägerin am meisten Zuneigung entgegenbrachte (s JBl 1977, 537). Bei der Klägerin hätten sich nämlich die Störungen der Durchblutung des Gehirns über den Zeitraum von mehreren Jahren entwickelt und zunächst noch kompensiert werden können. Im Sommer 1986 habe die Klägerin aus freiem Willen die Absicht geäußert, ihren Hof den Beklagten zu übergeben. Als sie am 24.4.1987 den Übergabsvertrag unterfertigte, sei ihr bewußt gewesen, daß sie damit ihre Landwirtschaft unwiderruflich den Beklagten übergab und daß sich diese dafür verpflichteten, für sie und für Adelheid L***** zu sorgen. Die Übergabe der Landwirtschaft und der Inhalt der Versorgungsleistungen der Beklagten sei ihr bekannt gewesen und von ihr gebilligt worden.

Es sei der Klägerin daher nicht gelungen, das Vorliegen solcher Umstände zu beweisen, die für Annahme ihrer Geschäftsunfähigkeit am 24.4.1987 ausreichten.

Eine Aufhebung des Vertrages wegen Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB) komme nicht in Frage, weil Übergabsverträge gegen - wie hier

- Gewährung eines Ausgedinges (Wohnrecht, Beistellung von Essen, Pflege, Übernahme bestimmter Kosten) im Hinblick auf die ungewisse Lebensdauer des Übergebers den Charakter eines Glückvertrages hätten.

Auch Wucher oder Sittenwidrigkeit lägen nicht vor:

Von Wucher (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB) spreche man, wenn jemand den Leichtsinn, die Zwangslage, Verstandesschwäche oder Gemütsaufregung eines anderen dadurch ausbeutet, daß er sich oder einem Dritten für eine Leistung eine Gegenleistung versprechen oder gewähren läßt, deren Vermögenswert zum Wert der Leistung in auffallendem Mißverhältnis steht.

Die Klägerin könne nach den Beweisergebnissen zweifellos nicht als

leichtsinnig im Sinn von sorglos um künftige Bedrängnis (Krejci in

Rummel, ABGB2, Rz 217 zu § 879) bezeichnet werden. Sie sei auch

nicht in einer Zwangslage vor die Wahl gestellt gewesen, entweder den

Übergabsvertrag abzuschließen oder einen noch größeren Nachteil zu

erleiden (Krejci, aaO, Rz 218), möge sie auch in einer Absicherung

für sich und Adelheid L***** für den Fall der Arbeitsunfähigkeit

interessiert gewesen sein, weil jedenfalls kein akuter Anlaß für den

Vertragsabschluß im April 1987 bestanden habe. Auch eine -

situationsbedingte - Gemütsaufregung, die im Zeitpunkt des

Vertragsabschlusses ihr ruhiges Überlegen behindert hätte (Krejci,

aaO, Rz 223), sei nicht vorhanden gewesen. Schließlich müsse auch

das Vorliegen von Verstandesschwäche (Mangel der für den

Geschäftsverkehr erforderlichen geistigen Befähigung - Krejci, aaO,

Rz 221) oder Unerfahrenheit (durch Fehlen von Lebenserfahrung oder

von allgemeinen Geschäftskenntnissen entstandene Verhinderung, seine

Interessen am Geschäftsabschluß gehörig zu wahren - Krejci, aaO,

Rz 222) verneint werden; es sei hier auf das zur Frage der

Geschäftsunfähigkeit Gesagte verwiesen, insbesondere darauf, daß beim

Abstellen auf das konkrete Geschäft das in bäuerlichen Kreisen

geläufige Wissen über das Wesen und den üblichen Inhalt eines

Übergabsvertrages zu berücksichtigen sei.

Ein Geschäft sei sittenwidrig (§ 879 Abs 1 ABGB), wenn es, ohne gegen ein positives inländisches Gesetz zu verstoßen, ungeschriebenes Recht verletze. Dies sei im Hinblick auf die konkreten Umstände anhand der von der gesamten Rechtsordnung geschützten Interessen zu beurteilen, wobei es auf Inhalt, Zweck und Beweggrund des Geschäftes, also auf den Gesamtcharakter der Vereinbarung ankomme, Äquivalenzstörungen - Ungleichheit der beiderseitigen Leistungen -

machten einen Vertrag an sich nicht schon sittenwidrig; liege nicht bereits eine ausdrückliche gesetzliche Regelung vor (z.B. Wucher, Verkürzung über die Hälfte), so müsse bei einem verwandten Fall ein zusätzliches Element hinzutreten, damit er der allgemeinen Bestimmung des § 879 ABGB unterstellt werden könne (ON 44 = 5 Ob 603/90 mwN).

Zweifellos seien die im Vertrag enthaltenen Leistungen der Klägerin einerseits und der Beklagten andererseits nicht einmal annähernd gleichwertig. Da jedoch die Klägerin jedenfalls den Hof habe erhalten wollen, ihr dies bei Übergabe an die Beklagten gesichert erscheinen mußte, sie zu den Beklagten ein gutes persönliches Verhältnis gehabt

habe, ihr die Beklagten in den letzten Jahren - wenn auch gegen

fallweise Entlohnung - geholfen hätten und da schließlich der Wunsch der Klägerin nach Absicherung für sich und für Adelheid L***** bei gleichzeitiger Fortsetzung der Bewirtschaftung des Hofes wie bisher in den Vertrag aufgenommen worden sei, lasse sich nicht sagen, daß der Vertrag sittenwidrig wäre.

Daran änderte die von der Klägerin in der Berufungsbeantwortung behaupteten negativen Folgen des Vertrages nichts, weil es in den Feststellungen keinen Hinweis darauf gebe, daß die Klägerin bei Abschluß des Vertrages die erwähnten Leistungen (Übernahme von Investitionen und Zahlung der öffentlichen Abgaben durch die Beklagten usw.) vertraglich habe geregelt wissen wollen; dasselbe gelte für die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Alterspension durch die Klägerin.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil das Berufungsgericht der Judikatur des Obersten Gerichtshofes gefolgt sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wieder herzustellen.

Die Beklagten beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und im Sinne des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

a) Zur Zulässigkeit:

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht bezüglich der

Anfechtung des Vertrages wegen Verletzung über die Hälfte von der

Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - worauf die Klägerin ua

ihre außerordentliche Revision stützte - abwich.

b) Zur Sachentscheidung:

Vorweg billigt der Oberste Gerichtshof die vorhin wiedergegebene

Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, soweit damit eine

Klagestattgebung mangels Geschäftsfähigkeit der Klägerin zur Zeit des

Abschlusses des Übergabsvertrages, mangels Sittenwidrigkeit oder

Wucher verneint wurde (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Der hier zu

beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich - geht man von den

maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen aus - von dem der

Entscheidung EvBl 1958/94 zu Grunde liegenden insofern, als dort die

Entmündigung der Übergeberin schon ca 1/2 Jahr nach Vertragsabschluß

erfolgte und überdies wirtschaftliche Unerfahrenheit und

Gemütsaufregung bei Vertragsabschluß angenommen wurde.

Dennoch ist die Rechtssache aus folgenden Gründen nicht spruchreif:

Schon in der im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (5 Ob 603/90; ON 44) wurde im Zusammenhang mit der Wucherproblematik ausgesprochen, daß ein mit nicht gesetzlich erbberechtigten Personen abgeschlossener bäuerlicher Übergabsvertrag mit einem Verkauf der Landwirtschaft gegen Stundung des Kaufpreises gleichzustellen (1 Ob 624/85) und als Wert der übergebenen Liegenschaft der Verkehrswert heranzuziehen sei; auch der Grundsatz des "Wohlbestehenkönnens" des Hofübernehmers sei außerhalb des Geltungsbereiches des Höfe- und Anerbenrechtes nicht anzuwenden, wenn die Erträgnisse dieser Landwirtschaft gegenüber einem anderen Einkommen des Hofübernehmers - wie hier - in den Hintergrund treten (vgl SZ 53/167).

In der Entscheidung 8 Ob 562/93 führte der Oberste Gerichtshof zur Frage der Anfechtungsmöglichkeit eines Übergabsvertrages (Liegenschaftsübergabe gegen Leibrente) wegen Verletzung über die Hälfte trotz des einem Leibrentenvertrag im allgemeinen innewohnenden Charakters eines Glücksvertrages folgendes aus:

"Jeder Vertrag, mit dem eine Leibrente zugesagt wird, ist (auch) ein

Leibrentenvertrag (EvBl 1964/2; SZ 25/328, SZ 45/112). Wird eine

Liegenschaft gegen Leibrente veräußert, liegt nicht nur ein

Leibrenten-, sondern auch ein Kaufvertrag vor, bei dem die Leibrente

den Kaufpreis bildet. Die Leibrentenvereinbarung ist dann nicht

allein nach den Bestimmungen über den Leibrentenvertrag, sondern auch

nach jenen des Kaufvertrages zu beurteilen (SZ 45/112; SZ 49/46;

MietSlg 29.198; Anw 1988, 168).

§ 1269 ABGB zählt den Leibrentenvertrag zu den Glücksverträgen.

Diese werden im 29.Hauptstück des ABGB abgehandelt. Gem. § 1268 ABGB findet bei solchen Verträgen das Rechtsmittel wegen Verkürzung über die Hälfte nicht statt.

Die bisherige Rechtsprechung verneinte ohne jede Differenzierung die

Möglichkeit, derartige Verträge wegen Verkürzung über die Hälfte

anzufechten (SZ 24/306; SZ 54/173 = EvBl 1982/95, 328; EvBl

1961/20; 8 Ob 604/86 und andere). Sie ließ aber die Geltendmachung

der Sittenwidrigkeit zu, wenn aufgrund besonderer Umstände eine

Äquivalenzstörung anzunehmen war (SZ 24/306; EvBl 1957/198; EvBl

1958/94; NZ 1986, 158; JBl 1990, 802; 6 Ob 717/83, 7 Ob 581/89, 7

Ob 729/89). Hiebei wurde besonderes Gewicht auf das zum Tatbestand

des Wuchers - neben weiteren Voraussetzungen - erforderliche

objektive Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im

Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gelegt. Die Größe des

Mißverhältnisses komme nicht nur als selbständiges Erfordernis für

die Anwendung des § 897 Abs 2 Ziffer 4 ABGB in Betracht,

sondern lasse auch Schlüsse auf die unwirtschaftlichen Eigenschaften

des Bewucherten zu (SZ 24/306; SZ 27/19; JBl 1990, 802). Auch bei

entgeltlichen Glücksverträgen wie dem Leibrentenvertrag können das Verhältnis zwischen den einander gegenüberstehenden Chancen so auffällig unausgewogen und die Hoffnung eines noch ungewissen Vorteiles nur ganz einseitig zugunsten eines Vertragsteiles gegeben sein, daß Wucher vorliege.

Dementsprechend ist zwar den Ausführungen Krejci's in Rummel2 II, §

1267 - 1274 Rz 85 insofern beizupflichten, als die besondere

Äquivalenzstörung sowohl Tatbestandsmerkmal des Wuchers als auch der

leasio enormis ist. Seiner Ansicht, daß deshalb auch bei

entgeltlichen Glücksverträgen, bei denen bei einer

ex-ante-Betrachtung Leistung und Gegenleistung nach

Wahrscheinlichkeitsregeln in einem entsprechenden Mißverhältnis

stehe, die Berufung nicht nur auf Wucher, sondern auch auf laesio

enormis zulässig sein solle (aaO Rz 88), ist jedoch

entgegenzuhalten, daß nichts so ungewiß und unabsehbar ist wie die

Lebensdauer eines Menschen. Statistiken über die durchschnittliche

Lebenserwartung des Menschen, Sterbetafeln und

versicherungsmathematische Erwägungen können dem jeweiligen

Einzelfall nicht gerecht werden; sie haben generelle Berechnungen zum

Gegenstand, nicht aber den einzelnen Menschen. Die Unmeßbarkeit der

individuellen Lebenserwartung zwingt vielmehr zu dem Schluß, daß

Fehleinschätzungen der Lebenserwartung als typische Glücksfrage

gelten müssen. Das charakteristische Wesen des Leibrentenvertrages

als Glücksvertrag, nämlich die Unsicherheit, zu wessen Vorteil oder

Nachteil sich ein bestimmter Vertrag auswirken wird, wohnt daher auch

heute noch - trotz der im Versicherungswesen und im

steuerrechtlichen Bereich üblichen Heranziehung von

Wahrscheinlichkeitsaspekten zur Bewertung derartiger, auf die

Lebensdauer abstellender Rechte - dem Leibrentenvertrag inne (8 Ob

604/86).

Der Wuchertatbestand unterscheidet sich insofern wesentlich von der

laesio enormis, als die bloße Äquivalenzdifferenz einen Vertrag noch

nicht sittenwidrig macht. Wirtschaftliche Gleichwertigkeit der

Leistung ist bei einem zweiseitigen Vertrag keine Voraussetzung

seiner Gültigkeit, es sei denn, es läge ein Ausbeutungstatbestand

vor. Nur beim Hinzutreten dieser für das Vorliegen des Wuchers

erforderlichen Prämisse ist daher die Heranziehung von

Wahrscheinlichkeitregeln zur Bewertung von Leistung und Gegenleistung

als Hilfsmittel vertretbar. Der bisher ständigen Rechtsprechung, die

sich gegen die Anfechtungsmöglichkeit wegen Verkürzung über die

Hälfte auch in jenen Fällen aussprach, in denen sich nach der

Wahrscheinlichkeitsrechnung bei einer ex-ante-Betrachtung ein

entsprechendes Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung ergibt

(zuletzt etwa 8 Ob 604/86 und - mit ausdrücklicher Ablehnung der

Ansicht Krejci's - 7 Ob 581/89), ist deshalb im allgemeinen

zuzustimmen.

Es steht jedoch nach medizinischen Erkenntnissen fest, daß Menschen nicht über ein gewisses Alter hinausgelangen können. Meyers "Enzyklopädisches Lexikon9 (Bd 1 S.828) meint: "Die äußerste Lebensspanne dürfte für den Menschen bei 100 Jahren liegen". Ist schon im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gewiß, daß der Leibrentenberechtigte bis zu jenem Zeitpunkt, der nach heutiger Sicht der Wissenschaft als absolute Obergrenze für die Dauer eines Menschenlebens anzusehen ist, bei Berücksichtigung aller ihm in diesem Zeitraum zukommenden Leistungen weniger als die Hälfte des Wertes seiner eigenen Leistung erhalten haben wird, liegt allerdings überhaupt kein Glücksvertrag vor. In einem solchen Fall fehlt das typische Element der Ungewißheit. Beide Seiten des Vertrages sind in diesem Sinne objektiv bewertbar.

Es wird demnach erforderlich sein, den heutigen Wissensstand der

Medizin über die maximale menschliche Lebenserwartung - etwa mit

Hilfe eines in geriatrischen Fragen erfahrenen medizinischen

Sachverständigen - zu erkunden. Die Leistungen der Beklagten werden

sodann auf diesen Zeitpunkt hochzurechnen sein.

Krejci (aaO) betont - unter Verweisung auf P.Bydlinski in JBl

1983, 410 - zutreffend, daß dem Institut der laesio enormis

insofern auch ein subjektives Tatbestandsmerkmal eigen ist, als es um

die Unkenntnis des wahren Wertes der Sache - hier der

Übergabsliegenschaft - geht; dies spricht in der Tat für die

Möglichkeit, den Irrtum über den wahren Wert der Übergabsliegenschaft

im Rahmen der laesio enormis aufzugreifen. Liegt ein Irrtum der

Vertragspartner des Leibrentenvertrages in der Bewertung der

Übergabsliegenschaft vor, dann kann folglich unter Zugrundelegung des

maximal erreichbaren Lebensalters der Übergeberin laesio enormis

geltend gemacht werden, wenn es sich um einen krassen Wertirrtum im

Sinne des § 934 ABGB handelt.

Es wird daher nötig sein, mit den Parteien zu erörtern, ob sie bei den dem Vertragsschluß vorangegangenen Verhandlungen Wertvorstellungen bezüglich der Übergabsliegenschaft geäußert haben. Aber selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, dann könnte immerhin aus der Gegenleistung erschlossen werden, welchen Liegenschaftswert die Vertragspartner angenommen haben. Der Höchstbetrag, der aus den Gegenleistungen zu erzielen ist, wäre dann ein Indiz für die Wertvorstellungen der Parteien bezüglich der Übergabsliegenschaft. Wenn der nach der maximalen Lebenserwartung der Übergeberin erzielbare Betrag unter der Hälfte des wahren Wertes der Liegenschaft liegt, dann wäre ein krasser Wertirrtum bezüglich der Liegenschaft und demgemäß laesio enormis zu bejahen." Von diesen Grundsätzen abzugehen, besteht auch für den erkennenden Senat kein Anlaß. Da jedoch bisher die zur rechtlichen Beurteilung im Sinne dieser Grundsätze erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlen, erweist sich die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen als unumgänglich.

Sollte das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren zur

Vertragsaufhebung nach § 934 ABGB kommen, so müßte es in der

Formulierung des Spruches zum Ausdruck bringen, daß nicht die

Nichtigkeit des Vertrages festgestellt, sondern - rechtsgestaltend

- dessen Aufhebung, allerdings auch mit Wirkung ex tunc, erfolgt (s

Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 8 zu § 934 mwN).

Schließlich müßten in diesem Fall auch Feststellungen getroffen

werden, um die Berechtigung des von den Beklagten - gestützt auf

von ihnen getätigte Aufwendungen auf die herauszugebende Liegenschaft

- geltend gemachte (ON 92, AS 215) Zurückbehaltungsrecht, das im

Falle der Rückabwicklung eines aufgehobenen Vertrages aus § 471

ABGB folgt (Petrasch in Rummel, ABGB2, Rz 1 zu § 471), beurteilen

zu können. Die Einverleibung der Löschung des Eigentumsrechtes der

Beklagten führt nämlich zur Wiederherstellung des Eigentumsrechtes

der Klägerin; dies ist der letzte für die Herausgabe der Liegenschaft

zu setzende Akt, selbst wenn die Liegenschaft nach der früheren

Eigentumsübertragung im physischen Besitz der Klägerin geblieben

wäre. Im Falle der Berechtigung des eingewendeten

Zurückbehaltungsrechtes dürfen die Beklagten zur Erteilung der

Zustimmung zur Einverleibung der Löschung ihres Eigentumsrechtes nur

Zug um Zug gegen Erbringung der von der Klägerin geschuldeten

Gegenleistung verurteilt werden (MGA ABGB34 § 471/E 23).

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 Satz 2 ZPO.

Rechtssätze
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