JudikaturJustiz4Ob47/21x

4Ob47/21x – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Mai 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon. Prof. Dr. Rassi und MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj C* H*, geboren * 2008, Mutter Mag. L* H*, vertreten durch Dr. Heinrich Nagl und Mag. Timo Ruisinger, Rechtsanwälte in Horn, wegen Genehmigung von Verträgen, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch die Kollisionskuratorin G* N*, gegen Punkt 1. des Beschlusses des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 19. Jänner 2021, GZ 23 R 441/20f 12, mit dem der Rekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 19. November 2020, GZ 15 Pg 84/20s 9, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird in seinem Punkt 1. aufgehoben. Die Rechtssache wird insofern an das Rekursgericht zurückverwiesen, dem die Fortsetzung des Rekursverfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen wird.

Text

Begründung:

[1] Die Minderjährige, vertreten durch die (obsorgeberechtigte) Mutter, beantragte, eine Kollisionskuratorin zu bestellen und diese zu ermächtigen, einen Schenkungsvertrag über eine der Mutter gehörende Liegenschaft zu unterfertigen; der Schriftsatz wurde von den im Beschlusskopf ersichtlichen Anwälten eingebracht, und es wurde darin vorgeschlagen, eine ihrer Kanzleiangestellten zur Kuratorin zu bestellen.

[2] Das Erstgericht bestellte die vorgeschlagene Kanzleiangestellte zur Kollisionskuratorin und legte als Vertretungsumfang den Abschluss eines Schenkungsvertrags zwischen Minderjähriger und Mutter über die dieser gehörende Liegenschaft EZ 15* GB * fest. Es liege eine Interessenskollision im Sinne eines Insichgeschäfts der Mutter und gesetzlichen Vertreterin der Minderjährigen vor. Eine Ermächtigung sei der Kollisionskuratorin nicht zu erteilen, „zumal erst der bereits abgeschlossene Schenkungsvertrag der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung unterliegt“.

[3] Die im Beschlusskopf ersichtlichen Anwälte brachten einen Antrag auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung zweier Verträge ein; nach dem Rubrum würden sie die Minderjährige und ihre Mutter vertreten, nach dem Antragstext wurde der Antrag (nur) im Namen der Mutter eingebracht. Beantragt wurde darin einerseits die Genehmigung des zwischen Mutter und Kollisionskuratorin namens der Minderjährigen am * 2020 abgeschlossenen und notariell bekräftigten „Schenkungsvertrags‟. Weiters wurde die Genehmigung eines weiteren zwischen dem Onkel (dem Bruder der Mutter) der Minderjährigen R* H* und der durch die Mutter vertretenen Minderjährigen am selben Tag abgeschlossenen und notariell bekräftigten „Übergabsvertrags‟ betreffend die Übergabe von zwei dem Onkel allein gehörenden Liegenschaften (EZ 22* und EZ 13* GB *) an die Minderjährige beantragt. In beiden Verträgen ist zugunsten der Schenkenden ein Belastungs- und Veräußerungsverbot bis zur Volljährigkeit der Minderjährigen vereinbart, im Vertrag mit dem Onkel auch ein – zu verbücherndes – lebenslanges Wohnungsgebrauchsrecht zugunsten des Onkels und der Mutter.

[4] Über Verbesserungsauftrag des Erstgerichts, das Zweifel an der Vorteilhaftigkeit beider Verträge für die Minderjährige zum Ausdruck brachte, erstatteten die genannten Anwälte (laut Rubrum in Vertretung von Minderjähriger und Mutter, laut Schriftsatz nur namens der Mutter, laut ERV-Übersendungsnote in Vertretung nur der Minderjährigen) eine Äußerung, in der sie die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit sowie den Umstand betonten, dass die an die Minderjährige zu übergebenden Liegenschaften der Mutter und des Onkels eine „wirtschaftliche Einheit“ bildeten.

[5] Das Erstgericht wies den Antrag auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung beider Verträge ab, weil sie nicht dem Kindeswohl entsprächen; dieser Beschluss wurde den genannten Anwälten und der Kollisionskuratorin zugestellt.

[6] Dagegen erhoben die genannten Anwälte (laut Rubrum und Schriftsatz ausdrücklich in Vertretung von Minderjähriger und Mutter) Rekurs.

[7] Das Rekursgericht wies den Rekurs in Ansehung des Schenkungsvertrags zwischen Mutter und Minderjähriger zurück (Punkt 1.) und stellte im Übrigen (hinsichtlich des Übergabsvertrags zwischen Onkel und Minderjähriger) den Akt dem Erstgericht wegen verfrühter Vorlage zurück, weil die Frage der gemeinsamen Obsorge der Eltern der Minderjährigen und der allenfalls erforderlichen Zustimmung des Vaters zu klären sei (Punkt 2.).

[8] Die Kindesmutter selbst als Vertragspartnerin des Kindes sei nicht rechtsmittellegitimiert. Die Kollisionskuratorin habe weder selbst einen Rekurs eingebracht, noch innerhalb der Rechtsmittelfrist erklärt, dem Rechtsmittel beizutreten und dieses zu genehmigen. In Anwendung der Rechtsprechung zur Genehmigung von durch Dritte erhobenen Rechtsmitteln im UVG Verfahren durch den Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT) müsse ein Sanierungsversuch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolglos bleiben.

[9] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 30.000 EUR übersteige und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil auf die in den zum UVG ergangenen Entscheidungen betonte Notwendigkeit des Beitritts oder der Genehmigung durch den KJHT als gesetzlicher Vertreter innerhalb der Rechtsmittelfrist in sonstiger höchstgerichtlicher Judikatur „keine Rücksicht‟ genommen werde.

[10] Die Rekursentscheidung wurde am 4. 2. 2021 an die genannten Anwälte und am 8. 2. 2021 an die Kollisionskuratorin zugestellt.

[11] Am 22. 2. 2021 erstatteten die genannten Anwälte nunmehr erstmals ausdrücklich in Vertretung (nur) der (die Minderjährige vertretenden) Kollisionskuratorin einen ordentlichen Revisionsrekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, Pkt 1. des Beschlusses aufzuheben und dem Rekursgericht unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund die Vornahme eines Sanierungsversuchs hinsichtlich der fehlenden Unterschrift der Kollisionskuratorin im Rekurs, in eventu die inhaltliche Entscheidung über den Rekurs aufzutragen; hilfsweise wird Abänderung im antragsstattgebenden Sinn beantragt.

[12] Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Vorauszuschicken ist, dass die Zurückweisung des von der Mutter im eigenen Namen erhobenen Rekurses von ihr unangefochten geblieben, in Rechtskraft erwachsen und nicht mehr Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist.

[14] 2.1. Nach § 5 Abs 1 AußStrG hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens (also auch noch im Rechtsmittelverfahren) zur Beseitigung des Mangels der Verfahrensfähigkeit das Erforderliche anzuordnen. Das Rechtsmittelgericht hat die nach seiner Meinung unterlassenen Verfügungen gemäß § 5 Abs 1 AußStrG selbst zu treffen und kann dabei auch im Verfahren außer Streitsachen angemessene Fristen setzen (vgl RS0125145). Kann ein Mangel der gesetzlichen Vertretung beseitigt werden, so hat das Gericht zwingend einen Sanierungsversuch zu unternehmen. Erst wenn der Versuch einer Behebung des Mangels der Vertretungsmacht scheitert, darf ein Rekurs (als unwirksame Prozesshandlung) zurückgewiesen werden ( RS0065355; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG I 2 § 5 [2019] Rz 7 ). Das Gericht hat die Einbeziehung des gesetzlichen Vertreters zu veranlassen und ihm die Möglichkeit einer Genehmigung bisher unwirksamer Prozesshandlungen der vom Vertretungsmangel betroffenen Partei zu eröffnen ( RS0118612 ; 6 Ob 12/19m ).

[15] Ein solcher Vertretungsmangel besteht auch dann, wenn ein erforderlicher Kollisionskurator nicht bestellt wurde (vgl 4 Ob 71/08g; 2 Ob 58/14i; 1 Ob 75/16k; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG I 2 § 58 [2019] Rz 11).

[16] 2.2. Mit der Zustellung des Beschlusses über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen wird ein KJHT nach § 9 Abs 2 UVG ausschließlicher Vertreter des Kindes zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen, und die bisher Obsorgeberechtigten verlieren schon ex lege ihr Vertretungs- und Rechtsmittelrecht in allen Angelegenheiten des Unterhalts und des Unterhaltsvorschusses (vgl RS0076450 [T1]; RS0047441; RS0076463; 10 Ob 86/19y; Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 9 UVG [2011] Rz 11 mwN).

[17] 2.3. Eine solche Ausnahmekonstellation liegt im vorliegenden Fall nicht vor. Der Vertretungsumfang von Kuratoren ergibt sich aus dem Bestellungsbeschluss, wobei unter anderem Kollisionskuratoren aufgrund der vom Gesetz gezogenen äußeren Grenze Vertretungsbefugnisse nur in dem konkreten Verfahren zukommen, in dem sie bestellt wurden (vgl 10 Ob 9/15v; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG I 2 § 5 [2019] Rz 14 f , 17 mwN). Wird für einen Minderjährigen zur Erledigung eines bestimmten Geschäfts ein Kollisionskurator bestellt, so scheidet diese konkrete Angelegenheit aus dem Aufgabenkreis des gesetzlichen Vertreters aus und verliert dieser damit die Befugnis, für den Minderjährigen in dieser Angelegenheit einzuschreiten und ihn zu vertreten, solange der Kollisionskurator im Amte ist ( RS0006257 ).

[18] Die vom Rekursgericht angesprochene Rechtsprechung zur Frage des Beitritts des KJHT zu Rechtsmitteln, die von nach der Sondernorm des § 9 Abs 2 UVG von vornherein nicht legitimierten Dritten erhoben wurden (vgl RS01154 99 ; Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 9 UVG [2011] Rz 11 mwN), ist hier schon im Hinblick auf die sich vom UVG unterscheidende Rechtslage nicht anzuwenden.

[19] 2.4. Die Zurückweisung des Rekurses der Minderjährigen ist aus dem angezogenen Grund daher zu Unrecht erfolgt und war zu beheben.

[20] 3.1. Das Rekursgericht wird vor inhaltlicher Entscheidung über den Rekurs die nach § 5 Abs 1 AußStrG erforderliche Sanierung des Verfahrens durch einen Kollisionskurator zu prüfen haben.

[21] 3.2. In Ansehung des zweiten Teils der Entscheidungen der Vorinstanzen über den Übergabsvertrag zwischen der Minderjährigen und ihrem Onkel wird zur Klarstellung schon an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht, dass in jenem Vertrag ein – zudem bücherlich sicherzustellendes – Wohnrecht auch zu Gunsten ihrer Mutter vereinbart wurde. Dies legt eine bislang unbeachtet gebliebene Kollision zwischen der Mutter als gesetzliche Vertreterin und der Minderjährigen sowohl in Ansehung des Vertragsabschlusses als auch in Bezug auf die Vertretung der Minderjährigen im Genehmigungsverfahren nahe. E ine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung eines Vertrags könnte eine – die Ungültigkeit des Vertrags bewirkende – mangelnde Bestellung eines Kollisionskurators nicht ersetzen (vgl RS0049030 [T2]).

[22] Unbeachtet blieb bisher auch, dass in diesem Übergabsvertrag nach seinem Wortlaut ein Belastungs- und Veräußerungsverbot betreffend EZ 15* GB * – also die Gegenstand des Schenkungsvertrags zwischen Mutter und Minderjähriger bildenden Liegenschaft – vereinbart wurde (Pkt IX); auch diese Unklarheiten wären bei der allfälligen inhaltlichen Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Übergabsvertrags zu berücksichtigen.

Rechtssätze
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