JudikaturJustiz4Ob112/12t

4Ob112/12t – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. August 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach E***** Z*****, infolge Revisionsrekurses der Tochter I***** S*****, vertreten durch Mag. Michael Löschnig-Tratner, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 30. März 2012, GZ 16 R 73/12t-35, womit infolge Rekurses der Tochter der Beschluss des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 18. Jänner 2012, GZ 23 A 290/11g-30, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Erblasserin hinterließ ein Testament vom 25. 7. 2005, in dem sie den Sohn zum Alleinerben eingesetzt und die Tochter auf den Pflichtteil beschränkt hat; eine der Tochter geschenkte Liegenschaft und einen ihr zur Verfügung gestellten Barbetrag von 1.070.885 ATS habe sie sich auf den Pflichtteil anrechnen lassen. Im Testament ist weiters festgehalten, dass der Sohn einen als Darlehen erhaltenen Betrag von 1.000.000 ATS zurückbezahlt habe, sodass keine Anrechnungspflicht bestehe. Die Erblasserin hinterließ weiters ein Kodizill vom 28. 7. 2005 mit folgendem Wortlaut:

„Betrifft: Sparbücher

Alle meine Sparbücher gehören nach meinem Tod meinem Sohn [..]. Sie sollen benützt werden zum Einlösen der Gräber u. Pflege, sowie vielleicht zur Änderung der Grabstätte. Es könnte auch eine Reparatur am Haus sein, da es ja schon 1952 erbaut wurde. Deine Mutter [Unterschrift]“

Der Sohn gab aufgrund des Testaments zum gesamten Nachlass die unbedingte Erbantrittserklärung ab. Die Tochter machte ihren Pflichtteilsanspruch zu Protokoll geltend und beantragte die Schätzung und Inventarisierung des Nachlassvermögens. In das Inventar wurden als Aktiva (neben PKW, Schmuck, Wohnungseinrichtung und persönlicher Habe) folgende Gegenstände aufgenommen:

1) Guthaben von 2.540,11 EUR zu Pensionskonto Nummer *****, lautend auf die Erblasserin;

2) Guthaben von 389,83 EUR zu Girokonto Nummer *****, lautend auf die Erblasserin;

3) Guthaben von 168.033,17 EUR zu Sparbuchkonto Nummer *****, lautend auf „Baerli“;

4) Guthaben von 16 EUR zu Geschäftsanteile Nummer *****, lautend auf die Erblasserin, alle Guthaben jeweils bei der R***** reg. Gen.m.b.H..

In der Tagsatzung zur Errichtung des Inventars und Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung stellte die Tochter den Antrag, hinsichtlich der im Inventar unter 1) und 2) angeführten Konten die Umsatzgeschichte/Umsatzübersicht der letzten sieben Jahre beizuschaffen, aus welchen man ersehen könne, welche Sparbücher der Verstorbenen noch vorhanden seien. Der erbserklärte Sohn sprach sich gegen die Öffnung der Konten im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens aus und beantragte die unverzügliche Vorlage des Verlassenschaftsaktes an das Erstgericht zur Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens. Es kam zu keiner Einigung hinsichtlich des Pflichtteilbetrags, weshalb die Tochter zur Durchsetzung ihres Pflichtteilsanspruchs auf den Klagsweg verwiesen wurde.

Mit Abhilfeantrag gemäß § 7a GKG (ON 27) beantragte die Tochter, dem Gerichtskommissär aufzutragen, hinsichtlich der im Inventar unter 1) und 2) angeführten Konten die Umsatzgeschichte/Umsatzübersicht der letzten sieben Jahre beizuschaffen und sie der Pflichtteilsberechtigten zur Einsichtnahme vorzulegen. Im Testamentszusatz vom 28. 7. 2005 habe die Erblasserin „alle ihre Sparbücher“ dem Sohn vermacht, im Inventar finde sich jedoch nur ein einziges Sparbuch. Da es üblich sei, von Pensionskonten direkt Überweisungen auf Sparbücher zu veranlassen, könne durch die beantragte Kontenöffnung die Existenz von weiteren Sparbüchern nachgewiesen werden; dies würde zu einer Erhöhung des reinen Nachlasses und in der Folge auch des Pflichtteils der Tochter führen.

Das Erstgericht wies den Abhilfeantrag der Tochter ab (1.) und verfügte, dass das Verlassenschaftsverfahren ohne Berücksichtigung der Pflichtteilsansprüche der Tochter fortzusetzen sei (2.). Grundsätzlich stehe dem Pflichtteilsberechtigten ein Antragsrecht im Verlassenschaftsverfahren auf Nachforschung zu, ob weitere Vermögenswerte im Besitz des Erblassers zum Todeszeitpunkt gestanden seien; dies betreffe auch rückwirkende Öffnungen von Konten. Ohne konkrete Hinweise seien aber keine umfangreichen Nachforschungen anzustellen. Es gäbe keine Hinweise, dass die Erblasserin noch über weitere Sparbücher verfügt habe; der 2005 errichtete Zusatz, in dem von „allen“ Sparbüchern gesprochen werde, reiche für eine rückwirkende Kontoöffnung nicht aus. Es entspreche der üblichen Formulierung von Testatoren, dass auch sämtliches zukünftiges Vermögen erfasst werden solle. Eine vage Vermutung über das Vorhandensein von weiteren Sparbüchern ohne konkreten Hinweis rechtfertige eine Kontoöffnung nicht, zumal ohnehin ein Sparbuch mit hohem Einlagestand vorhanden sei. Zur Vermeidung weiterer Verzögerungen sei die Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens ohne Berücksichtigung der Pflichtteilsansprüche, welche im Zivilrechtsweg geltend gemacht werden könnten, aufzutragen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu näheren Kriterien einer Abgrenzung der Antragslegitimation eines Pflichtteilsberechtigten, durch rückwirkende Öffnung der Konten des Erblassers zu erforschen, ob weitere Vermögenswerte zum Todeszeitpunkt in dessen Besitz standen, zulässig sei. Ein Noterbe sei dem Abhandlungsverfahren mit Rücksicht auf seine Rechte nach §§ 784, 804, 812 ABGB beizuziehen; er könne sich auf diese Weise ohne dass dadurch allerdings einem späteren Pflichtteilsprozess in irgendeiner Weise vorgegriffen würde die Grundlagen für die Berechnung seines Pflichtteils verschaffen und so schon in diesem Stadium des Verfahrens einer allfälligen Verkürzung seiner Rechte vorbeugen. Der Antrag der Pflichtteilsberechtigten, Konten des Erblassers, die dem Verlassenschaftsgericht bereits bekannt seien, rückwirkend vom Todestag zu öffnen, sei zulässig. Der Antrag diene der Erforschung, ob weitere Vermögenswerte im Besitz des Erblassers zum Todeszeitpunkt stünden, und zwar mit den Mitteln, die dem Erblasser und damit der Verlassenschaft zustünden. Das in § 38 BWG verankerte Bankgeheimnis stehe dem nicht entgegen. Eine solche Anfrage sei aber auf Auskünfte zu beschränken, die dem Zweck der weiteren Klärung der Nachlasszugehörigkeit dienen könnten. Unzulässig sei es, Auskünfte über Vermögenswerte zu erlangen, die nicht das im Besitz des Erblassers befindlich gewesene Vermögen beträfen. Da nach der Konzeption des neuen Außerstreitgesetzes allzu komplizierte Zuordnungsfragen zur Vermeidung von Verzögerungen des Verlassenschaftsverfahrens nicht vom Verlassenschaftsgericht entschieden werden sollten, beschränke § 166 Abs 2 AußStrG das Verfahren über die Einbeziehung oder Ausscheidung von Nachlassgegenständen aus dem Inventar auf ein reines Urkundenverfahren. Unbedenkliche Urkunden iSd § 166 Abs 2 AußStrG seien Kontoauszüge oder die Ein- und Auszahlungsbelege eines Wertpapier-Verrechnungskontos. Hier stütze die Noterbin ihren Antrag auf Offenlegung von gerichtsbekannten Konten der Erblasserin auf die in einem Kodizill verwendete Formulierung „alle meine Sparbücher gehören nach meinem Tod meinem Sohn“. Sie erkenne selbst, dass ihr Antrag nur dann erfolgversprechend sein könne, falls allfällige Sparbücher direkt von den Konten dotiert worden wären. Im Verlassenschaftsverfahren sei kein Indiz hervorgekommen, das auf den Besitz der Erblasserin an einem weiteren Sparbuch deute. Eine derartige weitläufige Formulierung wie im Kodizill liege schon deshalb nahe, um sich ein laufendes Abändern der letztwilligen Verfügungen zu ersparen. Zudem sei ein Sparbuch mit hohem Einlagestand vorhanden; Anhaltspunkte dafür fehlten, dass das Vermögen der Erblasserin zum Zeitpunkt ihres Todes höher gewesen sein müsse, als es im Nachlassverfahren hervorgekommen sei. Das Erstgericht habe daher den Antrag der Noterbin auf siebenjährige rückwirkende Öffnung der gerichtsbekannten Konten der Erblasserin zu Recht abgewiesen. In der Verlassenschaftsabhandlung sei die Rechtsnachfolge festzustellen; Streitigkeiten zwischen Erben, Vermächtnisnehmern und Gläubigern seien auf dem streitigen Rechtsweg auszutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig; entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruch des Rekursgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ab.

1. Nach § 166 Abs 1 AußStrG dient das Inventar als vollständiges Verzeichnis der Verlassenschaft, nämlich aller körperlichen Sachen und aller vererblichen Rechte und Verbindlichkeiten des Verstorbenen und ihres Wertes „im Zeitpunkt seines Todes“ (vgl RIS-Justiz RS0109531, RS0007818, RS0107373).

2. Sparbücher sind dann in das Inventar aufzunehmen und zu bewerten, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Erblassers zumindest in dessen Besitz standen und nicht erkennbar Eigentumsrechte dritter Personen daran gegeben waren (RIS-Justiz RS0107374).

3. Wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine bestimmte Spareinlage in den Nachlass fällt, kann das Abhandlungsgericht Auskünfte auch von Banken einholen. Eine solche Anfrage ist aber auf Auskünfte zu beschränken, die dem Zweck der weiteren Klärung der Nachlasszugehörigkeit dienen können (RIS-Justiz RS0013540, RS0006367). Sind etwa Aufzeichnungen des Erblassers mit verschiedenen Sparbuchnummern das einzige Indiz der Zugehörigkeit von Sparbüchern zum Verlassenschaftsvermögen, so besteht keine Pflicht des Gerichtskommissärs zu weiteren Nachforschungen bei den Banken (1 Ob 2309/96g = RIS-Justiz RS0107376).

4. Der Antrag eines Pflichtteilsberechtigten auf rückwirkende Öffnung eines Kontos des Erblassers ist grundsätzlich zulässig (7 Ob 292/06a; 6 Ob 287/08m). Ein solcher Antrag dient der Erforschung, ob weitere Vermögenswerte im Besitz des Erblassers zum Todeszeitpunkt gestanden sind, und zwar mit Mitteln, die früher dem Erblasser zugestanden wären. Das in § 38 BWG verankerte Bankgeheimnis steht dem nicht entgegen (RIS-Justiz RS0121988).

5. Das Rekursgericht ist von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen. Seine Auffassung, eine Kontoöffnung sei nur zulässig, wenn nach der Aktenlage deutliche Hinweise vorlägen, dass dadurch konkrete Aufschlüsse über das Vermögen des Erblassers zutage kommen werden, ist nicht zu beanstanden. Ob die Hinweise ausreichend sind, eine rückwirkende Kontoöffnung anzuordnen, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft damit keine erhebliche Rechtsfrage auf.

6. Zutreffend weist das Rekursgericht darauf hin, dass durch die Kontoöffnung keine zuverlässigen Auskünfte über allenfalls noch im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin vorhandene Sparbücher zu gewinnen sind. Die Suche nach Vermögenswerten, für deren Existenz es keine konkreten Anhaltspunkte gibt, fällt nicht unter die Aufgaben des Gerichtskommissärs im Verlassenschaftsverfahren (vgl RIS Justiz RS0006031).

Rechtssätze
9