JudikaturJustiz3Ob96/00i

3Ob96/00i – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. November 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 6. September 1996 verstorbenen Dr. Alfons S*****, zuletzt wohnhaft gewesen in ***** infolge Revisionsrekurses des Antragstellers Ulrich S*****, vertreten durch Dr. Friedrich Spitzauer und Dr. Georg Backhausen, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 18. Jänner 2000, GZ 44 R 942/99a-34, womit infolge dessen Rekurses der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 8. November 1999, GZ 1 A 175/96i-31, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Antrag nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Mit seinem gerichtlichen Testament vom 18. 1. 1980 setzte der Erblasser zwei Enkelkinder zu gleichen Teilen als Erben ein und beschränkte seine vier Kinder auf den gesetzlichen Pflichtteil. Mit rechtskräftiger Einantwortung vom 13. 2. 1997 (ON 16) wurde der Nachlass den Testamentserben auf Grund ihrer bedingten Erbserklärungen je zur Hälfte eingeantwortet.

Gestützt auf die Behauptung, ein Sohn des Erblassers zu sein, beantragte der Revisionsrekurswerber, das Verlassenschaftsgericht möge im Rechtshilfeweg eine Schweizer Bank auffordern, darüber zu berichten, ob der Erblasser über Geldmittel oder Konten bei dieser verfügt habe und gegebenenfalls über deren Verbleib Rechnung zu legen. Sein Vater habe ihm Zeit seines Lebens mitgeteilt, dass er über Vermögenswerte in der Schweiz, und zwar namentlich bei der von ihm näher bezeichneten Bank, verfüge. Diese habe ihm auf Anfrage eine Auskunft verweigert.

Das Erstgericht wies den Antrag mit der Begründung ab, das Verlassenschaftsverfahren sei durch rechtskräftige Einantwortung beendet. Ein Rechtshilfeersuchen sei nur während eines anhängigen Verfahrens möglich. Überdies seien Pflichtteilsansprüche im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen, das Verlassenschaftsgericht habe darüber nicht abzusprechen.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs des Antragstellers nicht Folge. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

In seiner Begründung führte das Rekursgericht aus, dass gemäß § 21 AußStrG in die Verlassenschaftsabhandlung nach einem österreichischen Staatsbürger auch das gesamte, wo immer befindliche bewegliche Vermögen einzubeziehen sei. Da eine abweichende staatsvertragliche Regelung im Verhältnis mit der Schweiz nicht existiere, sei bewegliches Vermögen in der Schweiz grundsätzlich in die inländische Verlassenschaftsabhandlung einzubeziehen. Ein solches Vermögen sei bisher nicht berücksichtigt worden. Im gerichtlich genehmigten Nachlassinventar vom 28. 1. 1997 sei lediglich inländisches Vermögen angeführt.

Gemäß § 179 Abs 1 AußStrG sei eine Nachtragsabhandlung einzuleiten, wenn nach erfolgter Einantwortung ein vorher nicht bekanntes Verlassenschaftsvermögen aufgefunden werde. Da sich die ursprünglichen Erbserklärungen und die Einantwortung auf den gesamten Nachlass bezögen, seien keine neuen Erbserklärungen abzugeben und habe auch keine neuerliche Einantwortung zu erfolgen. Lediglich das Inventar bzw eidesstättige Vermögensbekenntnis sei zu ergänzen. Die in der Praxis übliche Zuweisung des nachträglich hervorgekommenen Vermögens an die Erben stelle lediglich eine deklarative Bestätigung dar, dass auch dieses Vermögen zu dem bereits durch die Einantwortungsurkunde erworbenen gehöre.

Nach dem Vorbringen des Antragstellers handle es sich nicht um "nachträglich aufgefundenes" Verlassenschaftsvermögen. Vielmehr seien ihm angebliche Vermögenswerte in der Schweiz und namentlich bei der von ihm bezeichneten Bank schon auf Grund wiederholter Mitteilung seines Vaters zu dessen Lebzeiten bekannt gewesen. Neue Hinweise habe der Antragsteller gar nicht behauptet. Er sei am Verlassenschaftsverfahren beteiligt und anwaltlich vertreten gewesen. Auch das Nachlassinventar sei in Anwesenheit seines Rechtsvertreters errichtet worden. Es wäre ihm daher frei gestanden, die Einbeziehung angeblicher Vermögenswerte in der Schweiz zu beantragen.

Im Übrigen sei ein Noterbe zur Antragstellung auf Einleitung einer Nachtragsabhandlung nicht legitimiert. Behaupte er auf Grund neu hervorgekommenen erbl. Vermögens neue Ansprüche gegen die Erben, dann müsse er diese, sofern nicht das Einvernehmen aller Beteiligten vorliege, im Prozessweg geltend machen (EFSlg 39.890, 76.609). Daher habe das Erstgericht den vorliegenden Antrag zutreffend mangels Antragslegitimation abgewiesen.

Jedoch werde das Erstgericht das Vorbringen des Antragstellers auf Anregung auf Einleitung einer Nachtragsabhandlung zu behandeln haben.

Eine Rechtsfrage von wesentlicher Bedeutung der im § 14 Abs 1 AußStrG genannten Qualität liege nicht vor.

Auf Antrag des Antragstellers änderte das Rekursgericht seinen Ausspruch über die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses dahin ab, dass dieser doch zulässig sei (§ 14a AußStrG). Zur Begründung führte das Rekursgericht aus, dass sich die Rekursenscheidung lediglich auf zweitinstanzliche Vorentscheidungen stütze, jedoch noch keine oberstgerichtliche Judikatur zur Frage der Antragslegitimation eines Noterben auf Einleitung einer Nachtragsabhandlung vorliege.

Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Bevor auf die Frage eingegangen werden kann, ob einem Noterben überhaupt das Recht zusteht, nach rechtskräftiger Einantwortung Anträge zu stellen, die auf die Auffindung weiteren Nachlassvermögens abzielen, ist klarzustellen, dass nach dem derzeitigen Verfahrensstand eine Stattgebung dieses Antrags schon deshalb nicht in Frage kommt, weil noch keineswegs fest steht, dass der Antragsteller überhaupt Noterbe des Erblassers ist. Zwar hat der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen NZ 1987, 128 = RZ 1986/67, 246 und SZ 68/126 = EvBl 1995/187 = NZ 1996, 307 = RZ 1996/36, 121 (unter Ablehnung der gegenteiligen Entscheidung EFSlg 36.089) die Stellung der jeweiligen Antragstellerin als Noterbin allein aus der Aktenlage abgeleitet. In beiden Fällen war allerdings deren Abstammung von der Erblasserin unbestritten, strittig war lediglich die Frage, ob ihre Forderung auf Auszahlung des Pflichtteils - wegen Verjährung bzw Enterbung - materiell zu Recht bestehe. Wie das Rekursgericht schon in seiner Entscheidung ON 29 zu Recht darlegte, hat es der Antragsteller bis dahin (und auch seither) vermieden, auf seine Abstammung vom Erblasser sachlich einzugehen. Seiner Aufnahme als Sohn des Erblassers in die Todfallsaufnahme, die mit dem Vertreter der Erben errichtet worden war, steht der ausdrückliche Hinweis im Kodizill vom 9. 12. 1992 (AS 20) entgegen, wonach es sich bei ihm nicht um einen leiblichen Sohn, sondern nur um einen "Ziehsohn" handle. Noterben sind aber nach § 762 ABGB neben den Eltern und dem Ehegatten des Erblassers nur dessen Kinder, worunter man nach § 763 ABGB (iVm § 42 ABGB) die ehelichen und unehelichen Kinder, Enkel und Urenkel versteht. Darunter sind aber nur die leiblichen sowie die Adoptivkinder zu verstehen (Welser in Rummel2 Rz 2 und 4 zu §§ 762-764 ABGB). Die bloße Beiziehung zum bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verlassenschaftsverfahren vermag eine Beteiligtenstellung des Erblassers keinesfalls zu begründen. Demnach wird das Erstgericht vor der neuerlichen - wie noch zu zeigen sein wird, notwendigen - Entscheidung über den Antrag des Revisionsrekurswerbers diesen aufzufordern haben, seine Abstammung vom Erblasser durch geeignete Urkunden nachzuweisen.

2. Zutreffend weist der Revisionsrekurswerber darauf hin, dass er (zumindest bisher) einen Antrag auf Nachtragsabhandlung nach § 179 AußStrG gar nicht gestellt habe; sein Antrag auf Aufforderung einer Schweizer Bank zur Auskunft bzw Rechnungslegung ziele dagegen lediglich darauf ab, festzustellen, ob überhaupt noch weiteres Nachlassvermögen vorhanden sei. Allerdings kann den Erwägungen des Rekursgerichts insoweit gefolgt werden, als ein Größenschluss ergibt, dass diejenigen, die nicht einmal zur Antragstellung nach § 179 AußStrG legitimiert sind, umso weniger berechtigt sind, Beweisanträge zur Vorbereitung eines derartigen Antrags zu stellen. Denn nur im Hinblick auf eine mögliche Nachtragsabhandlung könnte eine Ermittlungstätigkeit des Abhandlungsgerichts, wie sie der Antragsteller begehrt, gerechtfertigt sein, ist es doch unstrittig, dass Pflichteilsansprüche jedenfalls im streitigen Rechtsweg geltend zu machen wären (JBl 1966, 258; SZ 45/36 = EvBl 1972/316 = NZ 1973, 186 uva E zu RIS-Justiz RS0005823), und schon gar nicht im Abhandlungsverfahren nach Rechskraft der Einantwortung (vgl § 162 AußStrG). Demnach könnte der Noterbe mangels gesetzlicher Grundlage ohne Beziehung zu einer Nachtragsabhandlung keine Maßnahmen des Abhandlungsgerichts zur Feststellung von Nachlassvermögen begehren.

Eine derartige Nachtragsabhandlung hat sich, da nach § 179 Abs 1 Satz 2 AußStrG weder neuerliche Erbserklärungen noch eine neuerliche Einantwortung erforderlich sind, in der Regel auf die Ergänzung des Inventars (EvBl 1968/98; NZ 1997, 21 = EF 88.735; 10 Ob 89/98f) bzw darauf zu beschränken, dass das eidesstättige Vermögensbekenntnis zu ergänzen ist (NZ 1997, 21).

Der Umstand, dass Pflichtteilsansprüche mangels Einigung im Klageweg durchzusetzen sind, ändert nichts daran, dass mangels abweichender gesetzlicher Regelung derjenige, der die Errichtung des Inventars verlangen kann, auch berechtigt ist, die Nachtragsabhandlung zu begehren. Ein Pflichtteilsberechtigter hat das Recht, die Errichtung eines Inventars zu verlangen (§ 804 ABGB). Insoweit ist er auch Beteiligter im Sinn des § 9 AußStrG (1 Ob 2222/96p; 1 Ob 9/99a und 1 Ob 48/99m): Dass dies auch für eine allfällige Nachtragsabhandlung gelten muss, ergibt sich schon aus dem Zweck des Inventars, soweit es den Pflichtteilsberechtigten angeht. Nach § 784 ABGB dient die Inventur auch dazu, den Pflichtteil richtig ausmessen zu können. Hat aber das Inventar nach § 97 Abs 1 AußStrG ein genaues und vollständiges Verzeichnis des Vermögens zu enthalten, in dessen Besitz sich der Erblasser zur Zeit seines Todes befunden hat, und dient die Nachtragsabhandlung der Vervollständigung dieses Inventars, so muss dem Pflichtteilsberechtigten auch das Recht, die Einleitung einer Nachtragsabhandlung zu beantragen, zugebilligt werden.

3. Ist dies aber der Fall, so spricht nichts dagegen, ihm auch die Möglichkeit zur Stellung von Beweisanträgen zur Ermittlung des Vorhandenseins und des Umfangs eines vom ursprünglichen Inventar noch nicht umfassten Vermögens des Erblassers einzuräumen. Wie schon das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, unterliegt nach § 21 AußStrG auch ausländisches bewegliches Vermögen dem inländischen Abhandlungsverfahren. Daraus ergibt sich auch die inländische Gerichtsbarkeit (vgl dazu Mayr in Rechberger ZPO1 Rz 2 zu § 106 JN).

§ 27a JN kann nämlich auf das vorliegende Verfahren noch keine Anwendung finden, und zwar unabhängig davon, ob man die Erbserklärung oder die Mitteilung eines Todesfalls durch den Standesbeamten als verfahrenseinleitend im Sinne der Übergangsbestimmungen der WGN 1997 ansieht. Beide trafen beim Erstgericht noch im Jahr 1996 ein.

4. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts, das sich lediglich auf eine eigene Vorentscheidung (EFSlg 76.609; der zu EFSlg 39.890 abgedruckte Leitsatz besagt dazu nichts) berufen kann, kann aus § 179 Abs 1 AußStrG nicht abgeleitet werden, dass die Nachtragsabhandlung und demnach auch Ermittlungen darüber, ob tatsächlich vorher nicht bekanntes Verlassenschaftsvermögen vorhanden ist, davon abhingen, ob dem Noterben dieses Vermögen bereits vor der Einantwortung bekannt gewesen ist. Zur vergleichbaren Bestimmung des § 180 Abs 1 AußStrG über eine nachträglich entdeckte letztwillige Verfügung hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass sich das Wort "entdeckt" sinnvoller Weise nur auf das jeweilige

Abhandlungsverfahren beziehen kann (SZ 47/142 = EvBl 1975/167 = NZ

1977, 124, 6 Ob 596, 597/90 = EFSlg 64.835; zuletzt 3 Ob 109/00a vom

heutigen Tag). Ebenso ist es bereits als ständige Rechtsprechung anzusehen, dass ein "vorher nicht bekanntes Verlassenschaftsvermögen" ein solches ist, das bisher der Abhandlung nicht unterzogen wurde;

darauf, ob das Vermögen den Erben (oder Noterben) bereits vor der Einantwortung bekannt war, kommt es nicht an (EFSlg 21.369; 23.632;

23.645; 2 Ob 342/98b). Maßgebend ist nach der letztgenannten Entscheidung lediglich, ob das Verlassenschaftsgericht auf Grund der Aktenlage Kenntnis von diesem Vermögen hatte. Davon kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein.

5. Wie bereits zu NZ 1985, 54 und NZ 1997, 21 entschieden wurde, ist es Sache des Antragstellers zu bescheinigen, dass der strittige Gegenstand Nachlassvermögen ist, wenn eine Nachtragsabhandlung begehrt wird. Zwar kann im vorliegenden Fall mangels Beiziehung der übrigen Parteien und Beteiligten vor der Entscheidung der ersten Instanz von strittigen Vermögensgegenständen nicht gesprochen werden, diese Entscheidungen stehen aber jedenfalls einer positiven Entscheidung über den Antrag des angeblichen Noterben nicht entgegen, ist doch, wie schon mehrfach dargelegt, derzeit noch gar nicht über die Einleitung einer Nachtragsabhandlung bzw die Ergänzung des Inventars zu entscheiden. Eine allfällige Nachtragsabhandlung wird eben davon abhängig sein, ob bisher nicht berücksichtigtes Vermögen des Erblassers entweder durch Auskunft auf die beantragte Anfrage oder auf andere Weise bescheinigt ist. Sollte allerdings das Erstgericht Zweifel am Wahrheitsgehalt des Vorbringens des Antragstellers haben, stünde es ihm frei, diesen zu seinen Behauptungen (über Mitteilungen des Erblassers von Forderungen gegen eine Schweizer Bank) einzuvernehmen.

Obwohl somit rechtliche Hindernisse, die sich aus § 179 AußStrG oder dem Zweck des Inventars einerseits oder der Nachtragsabhandlung andererseits ergeben könnten, einer Bewilligung des Antrags nicht entgegenstehen, erweist sich die Sache schon aus den zu Punkt 1. aufgezeigten Gründen als noch nicht spruchreif. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind somit aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Rechtssätze
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