JudikaturJustiz3Ob76/00y

3Ob76/00y – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. April 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Rudolf N*****, vertreten durch Dr. Rudolf Tobler und andere Rechtsanwälte in Neusiedl am See, gegen die beklagte Partei R***** regGenmbH, ***** vertreten durch Liebscher, Hübel Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 311.755,20 S und Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 31. Jänner 2000, GZ 2 R 252/99p-53, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts Salzburg vom 2. September 1999, GZ 3 Cg 230/95w-47, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Gericht zweiter Instanz wird eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht über Antrag des Klägers die Berufung der beklagten Partei mit der Begründung als verspätet zurück, dass ihr die Entscheidung des Erstgerichtes nach ihren eigenen Angaben am 13. 9. 1999 zugestellt und die Berufung erst am 12. 10. 1999, also nach Ablauf der vierwöchigen Berufungsfrist, zur Post gegeben worden sei.

Der dagegen von der beklagten Partei erhobene Rekurs ist jedenfalls zulässig (Kodek in Rechberger2 Rz 3 zu § 519) und aus folgenden Gründen auch berechtigt:

Rechtliche Beurteilung

Außer der - im Rekurs als "offensichtliches Schreibgebrechen" bezeichneten - in der Einleitung des Berufungsschriftsatzes enthaltenen Angabe, das Ersturteil sei der beklagten Partei am 13. 9. 1999 zugestellt worden, auf die (wohl allein) der Kläger seinen Zurückweisungsantrag stützt, spricht die gesamte Aktenlage für eine Zustellung des Ersturteils an die beklagte Partei (deren Rechtsvertreter) am 15. 9. 1999. Der im Akt liegende Rückschein (Formular 4 zu § 22 ZustG [Geo-Form 30a]) weist bei der Übernahmsbestätigung eindeutig den Datumsstempel 15. SEP. 1999 und eine Unterschrift (Paraffe) und überdies eine weitere Unterschrift (Paraffe) des "Zustellers" auf. Damit ist durch eine öffentliche Urkunde bewiesen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist. Allerdings steht den Streitteilen der Gegenbeweis nach § 292 Abs 2 ZPO offen (siehe die Rechtsprechungshinweise bei Gitschthaler in Rechberger2 Rz 4 zu § 87 und Rz 3 zu § 87 [§ 22 ZustG] und Rechberger in Rechberger2 Rz 3 zu § 292).

Die Auffassung der Vorinstanz, der Kläger habe im vorliegenden Fall (durch den Hinweis auf die angeblich irrige Zustellangabe in der Berufung der beklagten Partei) den Beweis der Unrichtigkeit dieser öffentlichen Urkunde erbracht, wird vom erkennenden Senat aus folgenden Gründen nicht geteilt: Zum einen bezieht sich der Kläger - wie erwähnt - bloß auf die (angeblich fehlerhafte) Angabe der beklagten Partei in der Berufung, zum anderen aber sprechen gewichtige - vom Berufungsgericht nicht weiter überprüfte - Hinweise aus den Akten gegen die Feststellung, dass das Ersturteil der Beklagten am 13. 9. 1999 zugestellt worden sei. Die über den fraglichen Zustellvorgang im Rekurs zusätzlich aufgestellten Behauptungen und die dazu angebotenen Beweise fallen auch nicht unter das Neuerungsverbot, weil sie Tatsachen und Beweise über Umstände betreffen, die die Gerichte von Amts wegen wahrzunehmen haben (zum Zustellwesen siehe Gitschthaler aaO Rz 4 zu § 87 mwN).

Dem Ergebnis der zum vorliegenden Zustellvorgang (an beide Parteien/Parteienvertreter) dargelegten Betrachtungen der Vorinstanz, die Einreihung des Ersturteils in das beim Erstgericht bestehende Postfach des Beklagtenvertreters sei spätestens Freitag, den 10. 9. 1999, erfolgt, kommt nämlich keinerlei weitere rechtliche (Zustell )Wirkung zu, weil nach einhelliger, im Übrigen auch vom Berufungsgericht wiedergegebenen Auffassung eine derartige Zustellung nicht schon durch die "Ablage" des Zustellstücks in das Fach, sondern erst durch die - von einem Zustellorgan (einer Gerichtsperson) beurkundete - Abholung des Zustellstücks durch den "Inhaber des Faches bzw eine von diesem dazu berechtigte Person" gegen datierte Übernahmebestätigung wirksam wird (siehe die Hinweise bei Gitschthaler in Rechberger2 Rz 3 zu § 5 ZustG [bei § 87] und Rz 3 zu § 88). Behebt demnach ein Rechtsanwalt, für den bei Gericht ein derartiges Postfach eingerichtet ist, ein dort eingeordnetes, eines Zustellnachweises bedürfendes Zustellstück nicht sofort oder auch am nächsten Tag, so kann daraus nicht etwa eine Zustellwirkung mit der ersten Möglichkeit der Behebung (etwa am Tag nach der Einlegung) abgeleitet werden, sondern wird ein derartiges Verhalten des Rechtsanwalts allenfalls andere Maßnahmen, etwa die Rückkehr zur Postzustellung, erfordern. Die Zustellung selbst wird erst durch die vom Zusteller beurkundete Übernahme wirksam.

Mögen auch nach der dargelegten Aktenlage die vom Berufungsgericht angeführten Gründe dafür sprechen, dass dem Vertreter der beklagten Partei das erstgerichtliche Urteil bereits am 13. 9. 1999 wirksam zugestellt wurde, so kann auf dieser Grundlage allein doch nicht davon ausgegangen werden, dass die Berufung der beklagten Partei entgegen dem Zustellnachweis eindeutig als verspätet anzusehen ist. Ohne Befassung der beklagten Partei und Überprüfung des tatsächlichen Zustellvorgangs (Befragung des [nunmehr im Rekurs genannten] Übernehmers der Sendung sowie des [noch auszuforschenden] "fertigenden Zustellers" über den konkreten Zustellvorgang) durfte das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten deshalb nicht als verspätet zurückweisen. Sein im Sinne des § 471 Z 2 ZPO geführtes Vorprüfungsverfahren blieb somit mangelhaft. Die aufgezeigten Mängel werden im fortgesetzten Prüfungsverfahren zu beheben sein.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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