JudikaturJustiz2Ob86/06w

2Ob86/06w – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Oktober 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elfriede H*****, vertreten durch Dr. Alois Nussbaumer und andere Rechtsanwälte in Vöcklabruck, gegen die beklagten Parteien 1. Adolf W*****, und 2. Herta W*****, vertreten durch Mag. Jürgen Zahradnik, Rechtsanwalt in Lambach, wegen EUR 9.424,80 sA und Feststellung (Streitinteresse: EUR 4.360), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2006, GZ 4 R 245/05k-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 17. Oktober 2005, GZ 3 Cg 138/05m-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 893,77 (darin EUR 148,96 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 8. 2. 2003 kam die Klägerin gegen 19.15 Uhr auf der unbeleuchteten Bergstraße im Ortsgebiet von Niederholzham auf Höhe einer im gemeinsamen Eigentum der Beklagten stehenden Liegenschaft zu Sturz, wobei sie sich den linken Außenknöchel brach. Spätfolgen der Verletzung sind nicht auszuschließen.

Die von der Gemeinde Oberndorf bei Schwanenstadt gehaltene Bergstraße beschreibt in Gehrichtung der Klägerin im Bereich der Unfallstelle eine Rechtskurve von etwa 70° und weist zunächst ein stärkeres, dann ein geringeres Gefälle auf. Sie verbindet die Ortsteile Niederholzham und Kaiseredt und ist 4,2 m breit. Die rechts von der Straße gelegene Liegenschaft der Beklagten wird durch einen Holzzaun begrenzt. Zwischen dem Zaun und dem Fahrbahnrand befindet sich ein ca 1 m breiter, bepflanzter Grünstreifen, der im Eigentum der Gemeinde Oberndorf bei Schwanenstadt steht. Ein Gehsteig oder Gehweg ist nicht vorhanden.

Die Klägerin begehrte von den Beklagten Schadenersatz in Höhe von EUR 9.424,80 samt Anhang an Schmerzengeld (EUR 7.800), Kosten für Haushaltshilfe (EUR 1.000), Pflege (EUR 100) und Heilbehelfe (EUR 40), Fahrtkosten (EUR 334,80), Auslagen für Trinkgelder (EUR 30) und unfallskausalen Spesen (EUR 120) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 8. 2. 2003. Sie brachte vor, 60 cm vom Straßenrand entfernt gestürzt zu sein, als sie wegen der Eisglätte die Straßenseite habe wechseln wollen. Die Beklagten hätten die sie als Anrainer treffende Streupflicht verletzt.

Die Beklagten bestritten das Klagebegehren und wandten ein, sie seien nicht Anrainer der Bergstraße, weil der zwischen der Fahrbahn und ihrer Liegenschaft befindliche Grünstreifen nicht in ihrem Eigentum stehe. Davon abgesehen wäre ihnen auch keine Sorgfaltsverletzung vorwerfbar. Es habe vom frühen Abend des 7. 2. 2003 bis zum späten Nachmittag des 8. 2. 2003 ununterbrochen geschneit. Die Gemeinde habe die Unfallstelle am 8. 2. 2003 ca sieben Mal, zuletzt um ca 18.30 Uhr mit dem Schneepflug geräumt, wobei der Schnee jeweils an den Straßenrand geschoben worden sei. Die Entfernung des dort aufgetürmten Schnees wäre den Beklagten nicht zumutbar gewesen. Infolge der Schneeanhäufung am Fahrbahnrand sei auch davon auszugehen, dass die Sturzstelle außerhalb des nach § 93 Abs 1 StVO zu betreuenden 1 m breiten Streifens gelegen sei. Schließlich trete ein allfälliges Verschulden der Beklagten gegenüber jenem der Klägerin, die trotz Erkennens der Rutschgefahr im Dunkeln auf dem bergauf und bergab führenden Weg spazieren gegangen sei, so weit in den Hintergrund, dass es zur Gänze vernachlässigt werden müsse. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus folgende weitere für das Revisionsverfahren noch wesentliche Feststellungen:

Am frühen Abend des 7. 2. 2003 hatte Schneefall eingesetzt, der ohne Unterbrechung bis zum späten Nachmittag des 8. 2. 2003 andauerte. Der Niederschlag endete zwischen 17.00 und 18.00 Uhr. Die Niederschlagsintensität war bis ca 15.00 Uhr mäßig bis stark, danach mäßig bis gering. Insgesamt fielen vom Morgen bis zum Abend etwa 5 bis 10 cm Neuschnee, davon der Großteil, nämlich 80 bis 90 % vor 15.00 Uhr. Am 8. 2. 2003 herrschte im Unfallbereich ganztägig bedecktes Wetter bei Lufttemperaturen zwischen - 2° und + 1°. Der für den Winterdienst zuständige Gemeindebedienstete begann um 5.00 Uhr früh seinen Dienst. Die Bergstraße wurde an diesem Tag an der Unfallstelle ungefähr sieben Mal mit einem Schneepflug geräumt, und zwar erstmals zwischen 6.15 Uhr und 6.30 Uhr, zuletzt um ca 18.30 Uhr, jedoch nicht mit Splitt bestreut. Am rechten Fahrbahnrand häufte sich der durch den Schneepflug zur Seite geschobene Schnee an. Der Schneeräumdienst wurde um 20.00 Uhr eingestellt.

Am Abend des 8. 2. 2003 unternahm die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann noch einen Spaziergang. Sie gingen von zu Hause über den Ortsteil Kaiseredt den ansteigenden Fuchsenweg entlang in Richtung Niederholzham. Dabei kamen sie auch an der Bergstraße vorbei. Unterwegs fiel der Klägerin auf, dass nirgendwo gestreut und es das eine oder andere Mal rutschig war. Als die Klägerin am rechten Rand der Bergstraße neben den dort befindlichen Häusern bergabwärts ging, bemerkte sie, dass die Straße dort glatt war. Sie entschloss sich, auf die andere Straßenseite zu wechseln, kam jedoch infolge der Straßenglätte gleich am Beginn dieses Vorhabens zu Sturz. Die Sturzstelle lag im Ortsgebiet, ca 3 m nach dem Beginn der Liegenschaft der Beklagten, etwa auf Höhe der rechten Reifenspur des Schneeräumfahrzeuges. Ob die Entfernung mehr oder weniger als 1 m vom rechten Straßenrand betrug, ist nicht mehr feststellbar. In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass § 93 Abs 1 StVO die Säuberung und Streuung des entlang der Liegenschaft liegenden Straßenrandes in einer Breite von 1 m verlange. Da die Liegenschaft der Beklagten nicht an die Fahrbahn angrenze, sondern ein nicht in ihrem Eigentum stehender Grünstreifen dazwischen liege, seien die Beklagten zur Schneeräumung und -streuung nicht verpflichtet gewesen. Selbst wenn eine solche Verpflichtung zu bejahen wäre, hätten die Beklagten sie nicht verletzt. Nach den Feststellungen sei davon auszugehen, dass sich der Sturz in einem Abstand von mehr als einem Meter zum Straßenrand ereignet habe. Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht gab der Berufung Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt EUR 4.000, nicht jedoch EUR 20.000 übersteige, und die ordentliche Revision zulässig sei. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, die für die Anrainereigenschaft nach § 93 Abs 1 StVO maßgebliche „3 m-Grenze" gelte auch für den Fall, dass ein Gehsteig nicht vorhanden und dem Anrainer daher die Pflicht zur Räumung und Streuung des Straßenrandes in einer Breite von 1 m auferlegt sei. Wie bei Vorhandensein eines Gehsteiges könne es auch hier kein pflichtbegründendes Erfordernis sein, dass die Liegenschaft des Anrainers unmittelbar angrenze. Ein Grund für eine sachliche Differenzierung zwischen den beiden Anwendungsfällen des § 93 Abs 1 StVO sei nicht erkennbar, zumal der Normzweck in beiden Fällen auf den Schutz des Verkehrsbedüfnisses der Fußgänger gerichtet sei und dieses nicht vom Vorhandensein eines Gehsteiges abhänge. Der Oberste Gerichtshof habe bereits zur Rechtslage vor der 10. StVO-Novelle ausgesprochen, dass nur dann nicht von einer anrainenden, sondern nur von einer benachbarten Liegenschaft gesprochen werden könne, wenn sich zwischen zwei Liegenschaften eine dritte, in fremdem Eigentum stehende Liegenschaft befinde (8 Ob 76/85). Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes (30. 11. 1994, 93/03/0294) sei als Liegenschaft im Sinne des § 93 Abs 1 StVO dem Zweck der Bestimmung entsprechend eine zusammenhängende Grünfläche - unabhängig von ihrer Unterteilung in Grundstücke - zu verstehen, solange die Grundfläche nach der Verkehrsauffassung eine Einheit darstelle. Auch wenn der Grünstreifen zwischen der Fahrbahn und der Grundgrenze der Beklagten nicht als Straßenbankett im Sinne des § 2 Abs 1 Z 6 StVO und damit als Teil der Straße zu beurteilen sei, handle es sich dabei keineswegs um eine eigene (unverbaute) Liegenschaft der Gemeinde, welche die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten als Anrainer der Straße ausschließen würde. Ob die Sturzstelle mehr oder weniger als 1 m vom Straßenrand entfernt liege, sei nicht von Bedeutung, weil der Streupflichtige auch für jene Gefahren einzustehen habe, denen der Fußgänger beim Ausweichen vor eis- oder schneeglatten Stellen innerhalb des 1 m-Streifens ausgesetzt sei. Den Beklagten wäre die Räumung und Streuung einer 1 m breiten Fläche entlang des Straßenrandes auch zumutbar gewesen. Da sie für die Unzumutbarkeit beweispflichtig seien und Zweifel zu ihren Lasten gingen, sei angesichts der Feststellung, der Niederschlag habe zwischen 17.00 und 18.00 Uhr des Unfalltages geendet, von einem Niederschlagsende um 17.00 Uhr auszugehen. Bis zum Sturz der Klägerin um 19.15 Uhr wäre den Beklagten demnach ein niederschlagsfreier Zeitraum von mehr als zwei Stunden verblieben, um ihrer Verpflichtung nachzukommen. Der Beweis, dass die gebotenen Maßnahmen aufgrund der herrschenden Witterungsverhältnisse wirkungslos geblieben wären, sei ebenfalls nicht gelungen. Auch der Umstand, dass am Fahrbahnrand der durch den Schneepflug zur Seite geschobene Schnee angehäuft gewesen sei, könne die Beklagten von ihrer Räum- und Streupflicht nicht entlasten. Ihre Haftung für die unfallskausalen Schäden der Klägerin sei daher uneingeschränkt zu bejahen. Das Klagebegehren sei auch der Höhe nach berechtigt.

Zur Begründung des Ausspruches über die Zulassung der Revision führte das Berufungsgericht aus, höchstgerichtliche Judikatur zur Frage der räumlichen Reichweite der Streupflicht (im Hinblick auf die im § 93 Abs 1 StVO normierte „3 m-Grenze") bei Nichtvorhandensein eines Gehsteigs liege noch nicht vor.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die Beklagten vertreten den Standpunkt, bei der Beurteilung der Räum- und Streupflicht sei bei Nichtvorhandensein eines Gehsteiges darauf abzustellen, wer zu dem zu betreuenden Straßenbereich in einem Naheverhältnis stehe und wem die Durchführung der Räumung und Streuung leichter möglich sei. Räum- und streupflichtig sei demnach im vorliegenden Fall die Gemeinde, in deren Eigentum das an die Straße angrenzende Grundstück stehe und die am Unfallstag die Bergstraße ohnedies mehrmals mit einem Schneeräumgerät befahren habe. Da das Schneefallende richtigerweise erst mit 18.00 Uhr als erwiesen anzusehen sei, wäre es den Beklagten wegen der geringen Zeitspanne bis zum Sturz der Klägerin und der bereits herrschenden Dunkelheit nicht mehr zumutbar gewesen, den Straßenrand zu räumen und zu streuen. Ihren in erster Instanz erhobenen Mitverschuldenseinwand habe das Berufungsgericht nicht geprüft.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß § 93 Abs 1 StVO haben die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten, ausgenommen die Eigentümer von unverbauten, land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaften, dafür zu sorgen, dass die entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut sind (Satz 1). Ist ein Gehsteig (Gehweg) nicht vorhanden, so ist der Straßenrand in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen (Satz 2).

Der erkennende Senat hatte in der Entscheidung 2 Ob 26/06x erst jüngst zu beurteilen, welche Auswirkungen ein zwischen einem dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehweg und einer (dort: unverbauten, land- und forstwirtschaftlich genutzten) Liegenschaft eines privaten Eigentümers gelegener Grünstreifen im Eigentum einer Gemeinde auf die Räum- und Streupflicht des Anrainers nach § 93 Abs 1 Satz 1 StVO hat. Dabei folgte er der schon vom Berufungsgericht zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach unter „Liegenschaft" im Sinne des § 93 Abs 1 StVO weder eine Grundparzelle noch ein Grundbuchskörper, sondern eine zusammenhängende Grundfläche zu verstehen sei, die nach der Verkehrsauffassung eine Einheit darstelle (Erk vom 30. 11. 1994, Zl 93/03/0294 = VwSlg 14.176 A/1994; Dittrich/Stolzlechner, StVO³ § 93 Rz 5). Grundsätzlich komme daher - so der Senat - jede an die Verkehrsfläche anschließende einheitliche Grundfläche als „Liegenschaft" in Betracht. Die Anrainereigenschaft werde nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass ein Gehweg und die daran angrenzende Grundfläche auf ein- und demselben Grundstück gelegen sei.

Des weiteren wurde in der erwähnten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ausgeführt, dass mit der Neufassung des § 93 Abs 1 StVO durch die 10. StVO-Novelle, BGBl 1983/174, der darin maßgebliche Anrainerbegriff - abweichend von der das unmittelbare Angrenzen der Liegenschaft an den Gehsteig (Gehweg) fordernden Rechtsprechung zur früheren Rechtslage (vgl EvBl 1972/41; 8 Ob 76/85; RIS-Justiz RS0075574) - neu definiert worden sei. Der Oberste Gerichtshof habe sich erstmals in der Entscheidung 2 Ob 11/95 = ZVR 1995/128 ausführlich mit den Konsequenzen der neu eingeführten „3 m-Grenze" auseinandergesetzt und unter anderem dargelegt, dass für deren Ermittlung nicht die natürliche Grenze (etwa in Form eines Zaunes oder einer Hecke), sondern die rechtliche Grenze des Eigentums des Anrainers maßgeblich sei. Liege die straßenabgewandte Gehsteigbegrenzung nicht mehr als 3 m von der Liegenschaftsgrenze entfernt, begründe dies die Streupflicht des Liegenschaftseigentümers für den ganzen Gehsteig (ebenso 5 Ob 173/02f = SZ 2002/116; RIS-Justiz RS0075587).

Für die Absicht des Gesetzgebers, durch die Schaffung der „3 m-Grenze" konkurrierende Anrainerpflichten zu begründen, böten weder der Gesetzeswortlaut noch die Materialien zur 10. StVO-Novelle (vgl ErlRV 1188 sowie AB 1488 BlgNR 15. GP) einen Anhaltspunkt. Eine sinnvolle, am Zweck der Regelung orientierte Auslegung müsse vielmehr zu dem Ergebnis führen, dass ein den Gehsteig (Gehweg) säumender Grünstreifen, eine daneben befindliche Böschung oder ein Graben etc von nicht mehr als 3 m Breite nicht als „Liegenschaft" im Sinne des § 93 Abs 1 StVO anzusehen sei. Komme dem Eigentümer der daran angrenzenden Liegenschaft die Ausnahmeregelung für die Eigentümer unverbauter, land- und forstwirtschaftlich genutzter Liegenschaften zugute, habe dies in einem solchen Fall zur Folge, dass kein haftpflichtiger Anrainer vorhanden sei. Es verbleibe dann nur die eingeschränkte Haftung des Wegehalters nach § 1319a ABGB. Liege der dem öffentlichen Verkehr dienende Gehsteig (Gehweg) jedoch mehr als 3 m von der Grenze einer Liegenschaft entfernt, deren Eigentümer deshalb nicht mehr Anrainer sei, treffe die Verpflichtung des § 93 Abs 1 StVO den Eigentümer jener (mehr als 3 m breiten) Grundfläche, die zwischen der benachbarten Liegenschaft und dem Gehsteig (Gehweg) liege, möge dieser auch Eigentümer der dem öffentlichen Verkehr dienenden Grundfläche sein (in diesem Sinne auch Haupfleisch, Die 10. StVO-Novelle - eine kritische Betrachtung [Teil 12: Pflichten der Anrainer], ZVR 1984, 293).

Diese Grundsätze der Entscheidung 2 Ob 26/06x, an denen der erkennende Senat festhält, gelten sinngemäß auch für den hier zur Beurteilung anstehenden Fall, in welchem ein Gehsteig (Gehweg) nicht vorhanden ist, der Straßenrand aber nicht mehr als 3 m von der Grenze einer Liegenschaft entfernt verläuft. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass sich für eine differenzierte Behandlung jener Liegenschaftseigentümer, die einen Gehsteig (Gehweg) zu betreuen haben, weil er in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m von der Liegenschaftsgrenze liegt, und solchen, bei denen diese Verpflichtung mangels Vorhandenseins eines Gehsteiges (Gehweges) für den Straßenrand in einer Breite von 1 m gilt, keine sachliche Rechtfertigung finden lässt. Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Materialien ergibt sich ein Hinweis darauf, dass die räumliche Erweiterung der Anrainerpflichten durch die 10. StVO-Novelle nur die vom ersten Satz, nicht aber auch die vom zweiten Satz des § 93 Abs 1 StVO erfassten Liegenschaftseigentümer treffen sollte. Daran ändert nichts, dass die „3 m-Grenze" (aus legistischen Gründen) nur im ersten Satz der zitierten Bestimmung angeführt ist. Die im Bericht des Verkehrsausschusses (AB 1488 BlgNR 15. GP) enthaltene Formulierung, die Schneeräumungs- und Streupflicht bestehe „nur für Gehsteige innerhalb einer Entfernung von 3 m von der Liegenschaft" (vgl Pürstl/Somereder, StVO11 § 93 Anm 3), ist darin begründet, dass in der Regierungsvorlage noch eine Entfernung von 10 m vorgesehen war (ErlRV 1188 BlgNR 15. GP), weist aber nicht auf eine Änderung des Verhältnisses der in Satz 1 und Satz 2 der novellierten Bestimmung normierten Pflichten hin.

Auch aus den in der Revision angestellten Überlegungen zum Ausnahmetatbestand des § 93 Abs 1 StVO ist für ein gegenteiliges Auslegungsergebnis nichts zu gewinnen, weil das bei den Eigentümern von unverbauten, land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaften regelmäßig fehlende räumliche Naheverhältnis zu den zu betreuenden Verkehrsflächen bei allen sonstigen Anrainern vorausgesetzt ist.

Daraus ergibt sich, dass im vorliegenden Fall die Beklagten als Anrainer der in einer Entfernung von weniger als 3 m entlang ihrer Liegenschaft verlaufenden Bergstraße anzusehen und sie als solche zur Säuberung und Bestreuung des Straßenrandes in der Breite von 1 m verpflichtet sind.

Die Bestimmungen über die Streupflicht nach § 93 Abs 1 StVO dienen dem Fußgängerverkehr (2 Ob 59/05y = ZVR 2005/112; 2 Ob 286/05f; RIS-Justiz RS0075581). Es handelt sich um Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB, deren Zweck im Schutz der die dort genannten Verkehrsflächen bestimmungsgemäß benützenden Fußgänger liegt (ZVR 1990/107; 2 Ob 59/05y = ZVR 2005/112; 2 Ob 286/05f). Die Beklagten haben durch die Unterlassung der Räumung und Streuung des 1 m breiten Streifens am Straßenrand die Schutznorm des § 93 Abs 1 Satz 2 StVO objektiv verletzt. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates hatten sie daher zu beweisen, dass ihnen die objektive Übertretung der Schutznorm nicht als schutzbezogenes

Verhaltensunrecht anzulasten ist (2 Ob 181/97z = ZVR 1999/99; 2 Ob

36/00h = ZVR 2002/3; 2 Ob 279/05a ua). Dazu zählt auch der Beweis für

ihre Behauptung, dass ihnen die Erfüllung ihrer Verpflichtung angesichts des bis zum späten Nachmittag andauernden Schneefalles und der Schneeanhäufungen am Straßenrand nicht zumutbar war. Zutreffend hat das Berufungsgericht daher die Feststellung über das Niederschlagsende „zwischen 17.00 und 18.00 Uhr" zum Nachteil der Beklagten dahin ausgelegt, dass diesen ab 17.00 Uhr bis zum Sturz der Klägerin mehr als zwei Stunden niederschlagsfreie Zeit zur Verfügung stand. Es blieb ferner ungeklärt, ob das Schneeräumfahrzeug der Gemeinde auch noch bei seiner letzten Fahrt um 18.30 Uhr Schnee an den Straßenrand schob, sodass schon vorher eingeleitete Räumungs- und Streuarbeiten der Beklagten wieder zunichte gemacht worden wären. Schließlich konnte auch nicht festgestellt werden, in welchem räumlichen Ausmaß der Straßenrand durch die Schneeanhäufungen tatsächlich beeinträchtigt war und ob nicht dennoch wenigstens ein Teil der zu betreuenden Fläche gestreut hätte werden können. Diese Unklarheiten gehen zu Lasten der beweispflichtigen Beklagten. Davon ausgehend ist ihnen aber der Entlastungsbeweis nicht gelungen, zumal sie in der Revision die Überspannung der an sie gerichteten Sorgfaltsanforderungen nur noch unter dem Gesichtspunkt bestreiten, dass die ab 18.00 Uhr zur Verfügung stehende Zeitspanne zu kurz gewesen sei. Auf die einsetzende Dunkelheit können sie sich schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil die Anrainerpflichten gemäß § 93 Abs 1 StVO bis 22.00 Uhr wahrzunehmen sind.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kommt es für die Begründung der Anrainerhaftung nicht entscheidend darauf an, ob der Verletzte gerade auf dem 1 m breiten Streifen am Straßenrand, oder unmittelbar daneben zu Sturz kam, weil er erfahrungsgemäß im Falle der Streuung den bestreuten Streifen benützt hätte (vgl RIS-Justiz RS0023266). Wer seiner Streupflicht überhaupt nicht nachkommt, hat nämlich auch für die Gefahren einzustehen, die sich dadurch ergeben, dass Fußgänger - wie im vorliegenden Fall die Klägerin - dorthin auszuweichen versuchen, wo ihrer Meinung nach die Gefahr von Schnee- und Eisglätte am geringsten ist (RIS-Justiz RS0075594). Dass sich die Klägerin erstmals in der Berufung auf diesen Rechtssatz stützte, begründet entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht keinen Verstoß gegen das Neuerungsverbot. Richtig ist hingegen, dass sich das Berufungsgericht mit dem in erster Instanz erhobenen Mitverschuldenseinwand der Beklagten nicht auseinandergesetzt hat. Darin wurde der Klägerin zum Vorwurf gemacht, auf hügeligem Gelände im Dunkeln einen Spaziergang unternommen zu haben, obwohl sie bei Benützung des Weges mehrfach erkannt habe, dass dieser nicht gestreut und rutschig sei.

Das Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB setzt kein Verschulden im technischen Sinn voraus. Schon Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern führt dazu, dass der Geschädigte weniger schutzwürdig erscheint, weshalb dem Schädiger nicht mehr der Ersatz des gesamten Schadens aufzuerlegen ist. Bei Unterlassung von Schutzmaßnahmen zur eigenen Sicherheit ist der Vorwurf des Mitverschuldens begründet, wenn sich bereits ein allgemeines Bewusstsein der beteiligten Kreise dahin gebildet hat, dass jeder Einsichtige und Vernünftige solche Schutzmaßnahmen anzuwenden pflegt. Bei Schadenersatzansprüchen wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten liegt dann ein Mitverschulden vor, wenn ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig hätte erkennen können, dass Anhaltspunkte für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bestehen, und die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen; erkennbaren Gefahrenstellen muss grundsätzlich ausgewichen werden. Bei Schnee- oder Eisglätte muss ein Fußgänger besondere Vorsicht walten lassen, nach Möglichkeit muss er den gestreuten Teil des Weges benutzen. Hiebei sind ihm auch kleinere Umwege zuzumuten. Erkennbar gefährlichen Wegstellen muss ausgewichen werden. Ein Mitverschulden liegt jedoch nur dann vor, wenn der Geschädigte die Möglichkeit hatte, die Gefahr zu vermeiden (2 Ob 45/91 mwN).

Grundsätzlich durfte die Klägerin bei der Wahl ihres Weges darauf vertrauen, dass die Beklagten ihren Anrainerpflichten entsprochen haben. Das Erstgericht hat zwar festgestellt, es sei ihr während des Spazierganges aufgefallen, dass nirgendwo gestreut worden und es das eine oder andere Mal rutschig gewesen sei. Daraus geht aber nicht hervor, dass sie bei der gebotenen Aufmerksamkeit schon vor dem Betreten der Bergstraße auch die Gefährlichkeit des vor der Liegenschaft der Beklagten verlaufenden Straßenstückes erkennen hätte können. Als sie bemerkt hatte, dass die Straße dort glatt war, versuchte sie ohnedies, auf den ihrer Meinung nach günstigeren linken Straßenrand auszuweichen. Welche andere Möglichkeit der Klägerin in dieser Situation verblieben wäre, um ihren Weg fortzusetzen, zeigen die Beklagten nicht auf.

Im Verlassen der Wohnung trotz Eisglätte ist jedoch eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten noch nicht zu erblicken (RIS-Justiz RS0026947). Es steht auch nicht fest, dass der Sturz der Klägerin, die mit wintertauglichem Schuhwerk ausgerüstet war, Folge des Straßengefälles oder eigener Unachtsamkeit gewesen wäre. Bei dieser Sachlage ist aber der Klägerin keine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten vorwerfbar.

Den zweitinstanzlichen Ausführungen zur Schadenshöhe wird in der Revision nicht widersprochen.

Es war daher der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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