JudikaturJustiz2Ob41/04z

2Ob41/04z – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. März 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Dr. Johann F*****, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin Rechtsanwaltskammer Wien, Rotenturmstraße 13, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Walter Strigl und Dr. Walter Horak, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufhebung eines Schiedsvertrages nach § 583 ZPO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 9. Jänner 2004, GZ 16 R 202/03y 11, womit infolge Rekurses der Antragsgegnerin der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 14. August 2003, GZ 18 Nc 2/03t 7 abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsteller ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit EUR 499,39 darin enthalten EUR 83,23 USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Antragsteller hatte 1996 seinen Beitritt zum anwaltlichen Treuhandbuch der Rechtsanwaltskammer (RAK) Wien erklärt. Dessen Statut enthält in Punkt 9.3. folgende Schiedsklausel:

„Allfällige Streitigkeiten zwischen dem RA und der RAK Wien betreffend die Auslegung und Anwendung dieses Statuts, insbesondere betreffend die Ausschließung des RA (Punkt 8.) werden ausschließlich und unanfechtbar durch ein Schiedsgericht entschieden, das aus zwei Rechtsanwälten als Beisitzer und einem von diesen zum Vorsitzenden bestellten Rechtsanwalt besteht. Erzielen die beiden Beisitzer binnen 7 Tagen ab Benennung des zweiten Beisitzers gegenüber den das Schiedsgericht Anrufenden keine Einigung über den Vorsitzenden, ist dieser unverzüglich vom Präsidenten der RAK Wien zu bestellen.

Im Übrigen gelten die Bestimmungen der §§ 577 ZPO."

Der Antragsteller begehrt mit einer seit 1. 7. 1999 beim Schiedsgericht anhängigen Klage unter anderem die Feststellung, dass sein Ausschluss vom anwaltlichen Treuhandbuch der RAK Wien unwirksam sei. Das darüber eingeleitete Schiedsverfahren wurde in der Schiedsverhandlung vom 22. 5. 2000 unterbrochen und zwar bis zur rechtskräftigen Erledigung des gegen den Antragsteller anhängigen Verfahrens 27 c Vr ***** des LG für Strafsachen Wien und des Disziplinarverfahrens D ***** des Disziplinarrates der RAK Wien. Das Strafverfahren wurde eingestellt; der Antragsteller wurde vom Disziplinarrat der RAK Wien freigesprochen; das Erkenntnis erwuchs am 28. 3. 2003 in Rechtskraft. Mit Schreiben vom 1. 4. 2003 an das Schiedsgericht beantragte der Antragsteller „die Anberaumung einer baldigen Verhandlung".

Darauf antwortete der ursprüngliche Vorsitzende Dr. Peter K***** mit Schreiben vom 2. 4. 2003:

„Nach meiner und zumindest der Rechtsauffassung der RAK Wien bin ich der falsche Adressat für ihr Schreiben, da ich meine Qualifikation als Vorsitzender des Schiedsgerichtes durch Zurücklegung der Rechtsanwaltschaft vom 31. 12. 2002 verloren habe. Ich darf diesbezüglich auf die Vorkorrespondenz verweisen, die Ihnen bekannt ist.

Darüber hinaus hat die Rechtsanwaltskammer noch keinen Schiedsrichter anstelle des zurückgetretenen Kollegen Dr. P***** ernannt und sind mir auch keine Anträge bekannt, dass diese Vakanz beseitigt worden wäre.

Darüber hinaus liegt auch noch der Ablehnungsantrag der Rechtsanwaltskammer bezüglich des Kollegen Dr. L***** vor, sodass das Schiedsgericht in seiner ursprünglichen Zusammensetzung praktisch und wohl auch rechtlich nicht mehr existiert. ...

Ich darf sich daher um Verständnis bitten, dass ich weitere Schriftstücke in dieser Angelegenheit nicht mehr beantworten werde, umso mehr als mir die Kanzleiorganisation des Kollegen Dr. P***** nicht mehr zur Verfügung steht."

Der Antragsteller hatte RA Dr. Manfred L***** als Schiedsrichter nominiert, den die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 18. 12. 2002 abgelehnt hatte; dazu hat sich der abgelehnte Schiedsrichter noch nicht geäußert.

Der von der Antragsgegnerin nominierte ursprüngliche Schiedsrichter RA Dr. Harald B***** hat sein Schiedsrichteramt nach seiner Wahl zum Präsidenten der RAK Wien mit Schreiben vom 19. 6. 2002 zurückgelegt. Der Daraufhin von der Antragsgegnerin nominierte Schiedsrichter RA Dr. Johann P***** teilte mit Schreiben vom 7. 1. 2003 mit, die Bestellung zum Schiedsrichter nicht anzunehmen, weil er die Antragsgegnerin als Parteienvertreter in zwei Verfahren vor dem VfGH vertrete. Mit Schreiben vom 2. 5. 2003 gab die Antragsgegnerin dem Schiedsgericht bekannt, dass sie nun RA Dr. Stefan R***** zum neuen Schiedsrichter bestellt. Gleichzeitig ersuchte sie RA Dr. L*****, sich mit RA Dr. R***** auf einen gemeinsamen Vorsitzenden des Schiedsgerichtes zu einigen.

Mit seinem am 15. 4. 2003 eingebrachten Antrag begehrt der Antragsteller „auszusprechen, dass der ... zugrunde liegende Schiedsvertrag außer Kraft gesetzt ist." Es liege ein Fall des § 583 Abs 2 ZPO vor, weil nach einem berechtigten Fortsetzungsantrag das Schiedsgericht untätig geblieben sei. Der Vorsitzende em. RA Dr. Peter K***** vertrete die Ansicht, dass er seine Qualifikation als Vorsitzender des Schiedsgerichtes durch die Zurücklegung der Rechtsanwaltschaft zum 31. 12. 2002 verloren hätte. Es seien nicht einmal mehr die Beisitzer tätig, geschweige denn dass sich diese binnen 7 Tagen über eine Person des Vorsitzenden geeinigt hätten, weshalb der Präsident der RAK zum Zuge käme, der allerdings bisher ebenfalls untätig geblieben sei.

Die Antragsgegnerin wendete im Wesentlichen ein, dass § 583 Abs 2 Z 2 ZPO nur für vertragsernannte, nicht für nachernannte Schiedsrichtern gelte, weil für Letztere die Möglichkeit der Ersatzbestellung durch das Gericht bestehe. Keiner der zu Schiedsrichtern bestellten Rechtsanwälte habe „die Erfüllung seiner durch die Annahme der Bestellung übernommenen Verpflichtungen verweigert oder ungebührlich verzögert". Der Unterbrechungsgrund des Schiedsverfahrens sei erst zum 28. 3. 2003 weggefallen, das Schiedsgericht sei nach wie vor existent.

Das Erstgericht sprach aus, dass der näher umschriebene Schiedsvertrag außer Kraft gesetzt sei.

Es erörterte rechtlich, § 583 Abs 2 Z 2 ZPO sei anzuwenden, wenn ein Schiedsrichter die Erfüllung seiner Aufgaben verweigere, ohne sein Amt niederzulegen. Das Gericht habe nur die Tatsache der Verweigerung, nicht aber deren Berechtigung zu prüfen (RdW 1997,599). Diese Bestimmung gelte nach der Rechtsprechung auch für nachernannte Schiedsrichter. Der gewählte Vorsitzende Dr. K***** habe brieflich seine Auffassung mitgeteilt, dass er seine Qualifikation als Vorsitzender durch die Zurücklegung der Rechtsanwaltschaft mit 31. 12. 2002 verloren habe. Anstelle des zurückgetretenen Schiedsrichters Dr. P***** sei noch kein Schiedsrichter ernannt worden; außerdem liege gegen Dr. L***** ein Ablehnungsantrag vor, weshalb das Schiedsgericht in seiner ursprünglichen Zusammensetzung „praktisch wohl auch rechtlich nicht mehr existent sei". Schon wegen der dargestellten Ansicht des Vorsitzenden des Schiedsgerichtes im Zusammenhang mit seiner Emeritierung sei § 583 Abs 2 Z 2 ZPO anzuwenden.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerin Folge und wies den Antrag des Antragstellers, auszusprechen, dass der dem Schiedsverfahren in der Rechtssache des Antragstellers als Schiedskläger gegen die Antragsgegnerin als Schiedsbeklagte wegen Bekämpfung des Ausschlusses aus dem anwaltlichen Treuhandbuch und Unterlassung zugrunde liegende Schiedsvertrag außer Kraft gesetzt werde, ab. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs unzulässig sei.

Nach § 583 Abs 2 Z 2 ZPO habe das Gericht auszusprechen, dass der Schiedsvertrag außer Kraft trete, wenn ein im Schiedsvertrag ernannter oder auf Grund des Schiedsvertrages von einer Partei oder gemäß § 582 ZPO vom Gericht bestellter Schiedsrichter die Erfüllung seiner durch die Annahme der Bestellung übernommenen Verpflichtung verweigere oder ungebührlich verzögere. Nach der Lehre sollten „nachernannte" Schiedsrichter, für die die Möglichkeit einer Ersatzbestellung durch das Gericht nach § 582 ZPO bestehe, vom Wortlaut dieser Bestimmung nicht erfasst sein (Rechberger/Melis in Rechberger ² Rz 1 zu § 583 ZPO; Fasching IV 768f; Fasching, Schiedsgericht 91f)), während die Rechtsprechung diese Bestimmung des § 583 Abs 2 Z 2 ZPO wohl auch auf „nachernannte" Schiedsrichter anwende (SZ 6/264; 4 Ob 233/96i, 4 Ob 61/97t). Auch wenn § 583 Abs 2 Z 2 ZPO grundsätzlich auf nachernannte Schiedsrichter anzuwenden sei, sei aber hier dieser Tatbestand nicht erfüllt worden. Aus dem Schreiben des ursprünglichen Vorsitzenden RA Dr. K***** ergebe sich unzweifelhaft dessen Willen, sein Amt nicht mehr auszuüben. Die Zurücklegung des Amtes sei aber nach der Judikatur nicht als „Verweigerung" im Sinne des § 583 Abs 2 Z 2 ZPO zu qualifizieren. Es liege an den von den Parteien bestellten Schiedsrichtern, einen (neuen) Vorsitzenden zu wählen. Dass der vom Antragsteller bestellte Schiedsrichter abgelehnt worden sei, hindere diesen an der Wahl des Vorsitzenden nicht, weil über die Ablehnung selbst das Schiedsgericht in Anwesenheit und mit Stimme des abgelehnten Schiedsrichters zu entscheiden habe.

Eine ungebührliche Verzögerung liege nicht vor, weil die Antragsgegnerin einen Monat nach Vorliegen des Fortsetzungsantrages einen neuen Schiedsrichter bestellt habe; dass die Schiedsrichter wegen des vorliegenden Verfahrens noch keinen Vorsitzenden gewählt hätten, sei keine ungebührliche Verzögerung.

Im außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers wird vorgebracht, zur Frage der Anwendbarkeit des § 583 Abs 2 Z 2 ZPO auf nachernannte Schiedsrichter bestehe keine die Auffassung des Rekursgerichtes stützende Rechtsprechung, es bestehe ebenfalls keine Rechtsprechung zu der im Statut über das anwaltliche Treuhandbuch der RAK Wien enthaltenen „pathologischen" Schiedsklausel, die Ansicht des Rekursgerichtes, das Schiedsgericht könne sich nach Wegfall eines seiner Schiedsrichter erneuern, stehe im Widerspruch zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

Die Antragsgegnerin beantragt, den außerordentlichen Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob die Außerkraftsetzung eines Schiedsvertrages nach Wegfall eines Schiedsrichters wegen Verlustes der vertraglich bedungenen Qualifiktation beantragt werden kann, er ist aber nicht berechtigt.

Nach dem hier vorliegenden Statut über das Anwaltliche Treuhandbuch der Rechtsanwaltskammer Wien (Freiwilliger Revisionsverband), das bis zur Einführung des auf Grundlage des § 37 Z 2b RAO idF BGBl 1999//71 geschaffenen elektronischen anwaltlichen Treuhandbuches in Geltung stand, hatte über Streitigkeiten betreffend die Auslegung und Anwendung dieses Status, insbesondere betreffend die Ausschließung des RA ausschließlich und unanfechtbar ein Schiedsgericht zu entscheiden, das aus zwei Rechtsanwälten als Beisitzer und einem von diesem zum Vorsitzenden bestellten Rechtsanwalt zu bilden war.

Der ursprüngliche Vorsitzende Dr. K***** hatte bekannt gegeben, dass er seine Qualifikation als Vorsitzender des Schiedsgerichtes zufolge Zurücklegung der Rechtsanwaltschaft verloren habe. Zutreffend hat das Rekursgericht diese Vorgangsweise des ehemaligen Vorsitzenden als Amtsniederlegung eines auf Grund des Schiedsvertrages „nachernannten" Schiedsrichters angesehen, die nicht zum Außer Kraft Treten des Schiedsvertrages führt.

Nach der bereits vom Rekursgericht zitierten Rechtsprechung ist ebenso wie nach der Lehre für den Fall des § 583 Abs 2 Z 2 ZPO zu unterscheiden, ob ein auf Grund des Schiedsvertrages (nach)ernannter Schiedsrichter sein Amt zurücklegt oder die Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen verweigert. Nur die Verweigerung der Erfüllung der von einem nachernannten Schiedsrichter übernommenen Verpflichtung führt zum Außer Kraft Treten des Schiedsvertrages, während der Rücktritt - aus triftigem Grund wie hier - die Bestellung eines neuen Schiedsrichters nicht hindert (SZ 6/217; SZ 6/264; Fasching IV 768 f; Fasching, Schiedsgericht und Schiedsverfahren im österreichischen und im internationalen Recht [1973], 77, 91; Rechberger/Melis in Rechberger 3 Rz 1 zu § 583; Feil/Kroisenbrunner Zivilprozessordnung Rz 2068).

Zutreffend hat auch das Rekursgericht darauf verwiesen, dass über die Ablehnung eines Schiedsrichters das Schiedsgericht selbst zu entscheiden hat, wobei auch der abgelehnte Schiedsrichter mitzustimmen hat (Rechberger/Rami, die Ablehnung von Schiedsrichtern durch die Parteien, wbl 1999,103ff; Fasching, aaO 62,66). Dem Ablehnenden steht als Kontrollmöglichkeit nach § 595 Z 4 ZPO die nachfolgende Anfechtungsklage zu. Die Ablehnung eines Schiedsrichters hindert demnach die Wahl eines Vorsitzenden nicht.

Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies zunächst, dass die beiden vorhandenen Schiedsrichter (sowohl der abgelehnte auf Seite des Antragstellers als auch der Ersatzmann auf Seite der Antragsgegnerin) einen neuen Vorsitzenden zu wählen bzw sich auf einen solchen zu einigen haben. Dass dies bisher nicht der Fall war, begründet noch keine Untätigkeit des Schiedsgerichtes, weil die Parteien bzw die Schiedsrichter den Ausgang dieses Verfahrens abwarten durften. Nach Einigung über einen neuen Vorsitzenden hat sodann das Schiedsgericht über den Ablehnungsantrag zu entscheiden. Sollte allerdings die Ablehnung für gerechtfertigt erkannt werden, wäre aber auch die Wahl des Vorsitzenden ungültig und das Schiedsgericht handlungsunfähig.

Sollten sich aber die vorhandenen Schiedsrichter nicht auf einen Vorsitzenden einigen können, ist dieser nach § 582 ZPO vom Gericht zu bestimmen. Die Bestimmung, nach der bei Nichteinigung über die Bestellung eines Vorsitzenden ein solcher unverzüglich vom Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Wien zu bestellen ist, verfehlt nämlich den Zweck einer paritätischen Besetzung des Schiedsgerichts. Bei der Satzung von Vereinsstatuten ist eine verstärkte Grundrechtsbindung zu bejahen (SZ 69/23 mwN; SZ 73/199). Die Regelung über die Besetzung des Schiedsgerichtes bei Nichteinigung durch Ernennung eines Vorsitzenden durch ein Organ einer Partei des Schiedsverfahrens verstößt eklatant gegen die Grundsätze des fair trial nach Art 6 MRK und ist daher nach § 879 ABGB nichtig.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41,50 ZPO.

Rechtssätze
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