JudikaturJustiz2Ob211/22a

2Ob211/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Januar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon. Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch die Finanzprokuratur, wider die beklagte Partei Z*, vertreten durch Maraszto Milisits Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 10.437,50 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. Juli 2022, GZ 36 R 143/22d 16, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. Dezember 2021, GZ 34 C 469/21f 11, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 717,15 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

[1] Das – der Klage stattgebende – Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil aktuelle Rechtsprechung des Höchstgerichts zur allgemein bedeutsamen Frage, welches generelle Verhalten des Fahrers eines Einsatzfahrzeugs (noch) als sozialadäquat im Sinn des § 26 Abs 2 StVO (und damit nicht als mitverschuldensbegründend) anzusehen sei , fehle. Vergleichbare Entscheidungen, in denen eine allenfalls „völlig ungehemmte Art der Lenkung eines Einsatzfahrzeugs“ zu beurteilen waren, datierten aus den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts (RS0074983).

[2] Die – beantwortete – Revision der Beklagten ist entgegen diesem nicht bindenden Ausspruch nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Der – in der Folge mit eingeschaltetem Fahrtrichtungsanzeiger links abbiegende – mit 30 km/h fahrende Beklagtenlenker hätte das zunächst 60–70 m dahinter mit (nur) Blaulicht und 60–70 km/h fahrende, in der Folge überholende Einsatzfahrzeug (Klagsfahrzeug) erkennen können, als er das letzte Mal nach hinten sah, tatsächlich sah er es jedoch nicht. Vor dem Linkszug blickte er nicht mehr nach hinten.

[4] 2. Einsatzfahrzeugen kommt nach § 19 Abs 2 StVO immer der Vorrang zu, gleichgültig woher sie kommen und wohin sie fahren (RS0073521). Der Lenker eines Einsatzfahrzeugs ist nach § 26 Abs 2 StVO – außer in den hier nicht relevanten Fällen des Abs 3 – nicht an Verkehrsverbote oder Verkehrsbeschränkungen gebunden. § 26 Abs 5 Satz 1 StVO verpflichtet jeden Straßenbenützer, für den das Herannahen eines Einsatzfahrzeugs erkennbar ist, diesem Platz zu machen (RS0074442). Der Lenker des Einsatzfahrzeugs darf nach dieser Bestimmung in Zusammenhang mit § 3 StVO damit rechnen, dass alle Verkehrsteilnehmer seinen Vorrang respektieren (2 Ob 40/78 = ZVR 1979/158 RS0073373).

[5] 2.1 Dieses Vertrauen musste nicht zwingend durch den am Beklagtenfahrzeug gesetzten linken Fahrtrichtungsanzeiger erschüttert werden. Der im Zug des Überholvorgangs auf die Gegenfahrbahn wechselnde Klagslenker durfte darauf vertrauen, dass der andere Verkehrsteilnehmer die Fahrlinie des Einsatzfahrzeugs nicht kreuzt. Vor dem Linkszug des Beklagtenfahrzeugs lag noch kein „augenfälliges Gehaben“ des Beklagtenlenkers vor, das dieses Vertrauen nicht mehr gerechtfertigt hätte (vgl RS0073373).

[6] 2.2 Welches von den einem Einsatzfahrzeug zur Verfügung stehenden Warnzeichen oder ob beide zugleich zu betätigen sind, hängt von der Lage des Einzelfalls ab (RS0075010) und begründet demnach in der Regel ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage. Dass das Berufungsgericht den Umstand, dass beim Einsatzfahrzeug nicht auch das Folgetonhorn eingeschaltet war, angesichts der konkreten Umstände (Tageslicht, gerade Straße, keine schlechte Sicht) nicht als Verschulden des Lenkers des Einsatzfahrzeugs gewertet hat, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung (vgl 2 Ob 124/07k; RS0075034; RS0075086).

[7] 2.3 Das längere Zurückliegen von einschlägigen Entscheidungen macht die Revision nicht zulässig: Solange sich die Rechtslage nicht geändert hat und auch von der Lehre keine fundierte Kritik an der Judikatur des Obersten Gerichtshofs geäußert wurde, ist auch durch eine ältere Rechtsprechung die Rechtssicherheit gewährleistet (RS0042680 [T2]). Allein der Hinweis auf die Tatsache, dass einschlägige OGH-Rechtsprechung länger zurückliegt, ist daher nicht geeignet, eine Rechtsfrage von der im § 502 Abs 1 ZPO genannten Erheblichkeit aufzuzeigen (RS0042680 [T3]).

[8] 3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Rechtssätze
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