JudikaturJustiz2Ob108/12i

2Ob108/12i – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. August 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** B*****, vertreten durch Mag. Christian Schönhuber, Rechtsanwalt in Schwanenstadt, wider die beklagte Partei ÖBB Infrastruktur Aktiengesellschaft, 1010 Wien, Elisabethstraße 9, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17 19, wegen 6.060,42 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 16. November 2011, GZ 22 R 221/11y 39, womit das Urteil des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 21. Juni 2011, GZ 2 C 737/09s 34, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 465,96 EUR (keine USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 27. April 2009 ereignete sich im Ortsgebiet von Timelkam an der Eisenbahnkreuzung Nr. 3.294 (Bahnstrecke Vöcklabruck nach Kammer Schörfling) mit der ehemaligen Bundesstraße 1 ein Unfall, an dem der Kläger als Radfahrer beteiligt war.

Im Kreuzungsbereich der ehemaligen Bundesstraße 1 mit der eingleisigen Eisenbahnstrecke Vöcklabruck Kammer/Schörfling befinden sich zwei Bahnübergänge im Abstand von ca 100 m. Die Eisenbahnkreuzung 3.393 befindet sich unmittelbar neben der Bahnhaltestelle Oberthalheim Timelkam. Es handelt sich dabei um einen Übergang des die Bundesstraße begleitenden Radwegs in einem Winkel von 90°. Dieser Weg ist 3 m breit und damit von Radfahrern auch im Gegenverkehr zu befahren. Dieser Weg ist durch einen Zaun und durch ein Geländer vom Straßenbereich abgetrennt, dazwischen befindet sich ein Grünstreifen. Der Weg ist als Radweg gekennzeichnet und gemäß einer Hinweistafel beim Bahnübergang haben die Radfahrer bei der Querung der Gleise abzusteigen. Der Radweg verläuft von Timelkam kommend nach Überquerung der Eisenbahnkreuzung 3.393 parallel zur Bundesstraße und quert nach der Eisenbahnkreuzung 3.294 über einen beschilderten und gesicherten Zebrastreifen die Straße in Richtung Vöcklabruck. Dadurch ist eine weitere Querung der Radfahrer mit den Gleisen der Bahn nicht mehr notwendig. Die Eisenbahnkreuzung 3.294, an der sich der Unfall ereignete, ist eine schienengleiche Eisenbahnkreuzung für den Individualverkehr (Personen , LKW und Schwerverkehr), die sehr stark befahren ist. Die Bundesstraße ist im erweiterten Kreuzungsbereich nicht gerade, sondern S förmig ausgebildet. Im Bereich der Eisenbahnkreuzung existiert auf keiner Seite ein Gehsteig. Im Kreuzungsbereich befindet sich in der Mitte der B1 eine Sperrlinie. Die Gleise kreuzen die Bundesstraße in einem spitzen Winkel von ca 15°. Die Sperrlinie reicht noch in Fahrtrichtung Vöcklabruck über die Eisenbahnkreuzung ca 25 m hinaus, dann biegt nach links eine Straße in Richtung Oberthalheim ab. Im Bereich der Eisenbahnkreuzung 3.294, einer genehmigten Kreuzung, ist die Straße asphaltiert, eben und war zum Unfallszeitpunkt trocken. Eine Überprüfung der Kreuzung fand am 18. Juni 2008 statt, wobei Ausbesserungsarbeiten durchgeführt wurden. Alle zwei Monate werden die Schienen von den zuständigen Anlagenverantwortlichen begangen. Vor dem Unfall fand am 11. März 2009 eine Begehung statt, bei der auch Asphaltausbrüche festgestellt wurden, die am 17. März 2009 mit Kaltasphalt aufgefüllt wurden. Zum Unfallszeitpunkt waren entlang der Schienen, insbesondere im Bereich der Sperrlinie, sowohl Ausbesserungen mit Kaltasphalt als auch Frostaufbrüche und Asphaltabbröckelungen vorhanden. Ein Gefahrenschild, dass vor Bodenunebenheiten warnt, war zum Unfallszeitpunkt nicht vorhanden.

Die Beklagte hat die Verantwortung für die Asphaltierung in einem Bereich von 1 m links und rechts der Schienen übernommen, darüber hinaus ist der Erhalter der ehemaligen Bundesstraße 1 für die Straßenerhaltung zuständig. Am 18. Februar 2010 wurde die Spurrillenbreite durch die Beklagte gemessen; dies ergab auf der Fahrbahnhälfte von Richtung Timelkam kommend für den linken Schienenstrang eine Spurrillenbreite zwischen 75 und 85 mm und für den rechten Schienenstrang eine Spurrillenbreite zwischen 77 und 83 mm, jeweils im Maximum. Anlässlich der Befundaufnahme durch den Sachverständigen am 8. März 2010 betrug die Spurrillenbreite der rechten Schiene auf der rechten Fahrbahn zwischen 84 und 85 mm, in der Fahrbahnmitte 87 mm, die rechte Schiene auf der linken Fahrbahn durchgehend 85 bis 89 mm und die linke Schiene auf beiden Seiten zwischen 77 80 89 82 81 mm (jeweils aus Fahrtrichtung Timelkam gesehen). Messungen am Schienenstoß ergaben eine Spurrillenbreite der rechten Führungsschiene gegen Fahrbahnmitte von 90 mm. Die Dienstvorschrift B 54 der Beklagten sieht bei der Errichtung von schienengleichen Eisenbahnkreuzungen mit Straßen und Wegen als anzuwendende Oberbauformen für Spurrillen eine Mindestweite von 60 mm und eine Größtweite von 85 mm vor. Diese Mindest bzw Höchstangaben beziehen sich jeweils auf den Zeitpunkt der Errichtung der Gleisanlage. Hinzu kommen verschleißbedingte Erweiterungen. Bei Abweichungen von rund 3 mm vom Höchstmaß sind Sanierungsmaßnahmen durchzuführen.

Der Kläger fuhr auf der B1 von Richtung Timelkam kommend mit seinem Rennrad mit einer Geschwindigkeit von ca 25 km/h auf der rechten Fahrbahnseite. Der Begleiter des Klägers nutzte den Radweg und überquerte die Schienen an der Eisenbahnkreuzung auf dem Radweg. Der Kläger fährt privat Rennrad und ist nicht Mitglied in einem Rennradsportverein. Die Reifenbreite des Rennrads des Klägers betrug 20 mm. Ca 50 m vor dem Kreuzungspunkt der Schienen mit dem Asphalt begann der Kläger, sich nach links in Richtung Fahrbahnmitte einzureihen, weil er kurz nach dem Bahnübergang nach links in die Straße Richtung Oberthalham einbiegen wollte. Der Kläger fuhr ca 1 m rechts der Sperrlinie parallel dazu und überquerte auch in dieser Entfernung von der Sperrlinie die Schienen in einem Winkel zwischen 15 und 20°. Beim Überqueren der Schienen verfing sich das Vorderrad des Klägers, wobei nicht festgestellt werden kann, ob er mit dem Vorderrad in die Spurrillen einer der beiden Schienenstränge kam oder im Bereich eines Frostaufbruchs hängen blieb. Es überschlug ihn und er kam im Bereich der in seine Fahrtrichtung gesehen rechten Schiene zu liegen. Durch den Unfall erlitt der Kläger Abschürfungen auf der rechten Seite des Kopfs und eine Wunde, die geklebt werden musste und von der er eine Narbe davontrug. Weiters erlitt er Abschürfungen am rechten Unterarm sowie Hämatome und Prellungen an der rechten Schulter und eine große Abschürfung am rechten Knie. Seine Radhose und seine Brille gingen kaputt und das Fahrrad wurde beschädigt.

Der Kläger begehrt an Schadenersatz 6.060,42 EUR sA. Zwischen dem Gleiskörper und dem Beginn der asphaltierten Straße sei ein ca 7 10 cm großer Abstand vorhanden gewesen, der Abstand der Spurrille der Schienen habe nicht der Norm entsprochen. Die Beklagte sei für die Wartung und Erhaltung sowohl der Gleisanlagen als auch des Straßenstücks im Unfallsbereich zuständig und hafte daher sowohl als Mithalterin der Kreuzung gemäß § 1319a ABGB als auch nach dem EKHG. Der Kläger begehrt 3.000 EUR Schmerzengeld, eine Verunstaltungsentschädigung von 1.500 EUR, restliche Zahnsanierungskosten von 23,12 EUR, Behebungskosten für den Sachschaden am Fahrrad von 110,30 EUR, Kosten einer neuen Brille von 1.207 EUR, Kosten der beschädigten Radfahrhose von 100 EUR, Kosten des beschädigten Leiberls von 70 EUR sowie unfallskausale Spesen von 50 EUR.

Die Beklagte wendet die mangelnde Passivlegitimation ein, weil für den Zustand der entlang der Schienen verlaufenden Straße die Gemeinde als Straßenerhalterin zuständig sei. Den Kläger treffe das Alleinverschulden am Sturz, da er die Bodenbeschaffenheit nicht beobachtet, einen zu flachen Querungswinkel beim Überfahren der Schienen eingehalten habe und verpflichtet gewesen wäre, den parallel zur Bundesstraße führenden Radweg zu benutzen. Die Eisenbahnkreuzung habe sich in einem ordnungsgemäßen Zustand befunden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die schon wiedergegebenen Feststellungen und führte rechtlich aus, für die Wegehalterhaftung gemäß § 1319a ABGB fehle es an einem groben Verschulden der Beklagten oder ihrer Leute. Eine Haftung nach dem EKHG scheitere daran, dass ein Unfall beim Betrieb einer Eisenbahn im Sinn des § 1 EKHG nicht vorliege. Auch aus dem Umstand, dass die Spurrillenbreite allenfalls nicht der Dienstverordnung B 54 entsprochen habe, könne eine Haftung nicht begründet werden: Eine Verbreiterung der Rillenbreite aufgrund des Normalverschleißes sei zulässig, die Beklagte habe für ihre Gehilfen nach § 1315 ABGB einzustehen, der Kläger habe eine Untüchtigkeit der Gehilfen der Beklagten nicht behauptet. Da der Kläger gar nicht behauptet habe, eine Trainingsfahrt absolviert zu haben, hätte er den Radweg benützen müssen. Der Unfall wäre auch dann verhindert worden, wenn der Kläger die Gleisanlage auf der rechten Straßenseite überquert hätte, da in diesem Bereich die Winkelstellung beim Überqueren der Schienen schon aufgrund des Straßenverlaufs größer gewesen wäre und es zu keinem Verfangen des Rades in der Spurrille gekommen wäre. Im Bereich der rechten Fahrbahnseite seien außerdem weniger Frostaufbrüche vorhanden und auch die Spurrillenbreite noch innerhalb der Normen der Dienstvorschrift B 54 gewesen. Außerdem sei ein Einreihen nach links für das Abbiegemanöver in diesem Bereich nicht notwendig gewesen, weil der Kläger aufgrund der vorhandenen Sperrlinie erst nach 25 m nach links hätte abbiegen dürfen. Der Kläger habe daher den Unfall alleine zu verantworten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte im Wesentlichen die rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts und führte weiter aus: Jedem Radfahrer müsse klar sein, dass er schienengleiche Bahnübergänge, bei denen die Gleise die Straße in spitzem Winkel queren, nur mit besonderer Vorsicht befahren dürfe, um nicht in den Spurrillen hängen zu bleiben. Selbst wenn man die vorhandenen Asphaltausbrüche und abbröckelungen als mangelhafte Beschaffenheit der Eisenbahnanlage ansehen wollte, wäre eine Gefährdungshaftung nach dem EKHG zu verneinen, weil dem Kläger der Beweis, dass der Unfall durch diese mangelhafte Beschaffenheit der Anlage verursacht wurde, nicht gelungen sei. Im Übrigen stehe nicht fest, ob der Sturz auf ein Hängenbleiben in einer Spurrille oder ein Hängenbleiben in einem Asphaltaufbruch zurückzuführen sei.

Das Berufungsgericht ließ nachträglich die Revision gemäß § 508 Abs 3 ZPO zu: Der Kläger releviere, dass keine höchstgerichtliche Judikatur dazu vorliege, ob es für die Bejahung der Haftung des Eisenbahnunternehmens ausreiche, dass ein durch eine Anlage der Eisenbahn verursachter Unfall entweder auf eine den Vorschriften entsprechende Beschaffenheit der Anlage (Spurrillenbreite) oder auf eine mangelnde Beschaffenheit derselben (Asphaltausbruch) zurückzuführen sei. Damit werde die Frage der alternativen Kausalität angesprochen, deren Grundsätze auch im Bereich der Gefährdungshaftung analog anzuwenden seien. Danach käme es auch bei Konkurrenz zwischen einem Haftungsgrund und einem vom Geschädigten zu vertretenden Zufall zu einer Schadensteilung. Da es denkbar sei, dass es aufgrund der feststehenden Verursachung des Unfalls entweder durch Hängenbleiben des Klägers in einer Spurrille oder einem Frostausbruch doch zu einer teilweisen Haftung der Beklagten kommen könne, sei die ordentliche Revision doch zuzulassen.

Der Kläger begehrt mit seiner Revision , das angefochtene Urteil in klagsstattgebendem Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliegt, ob ein durch das Hängenbleiben eines Reifens in der Spurrille beim Überqueren von Gleisen verursachter Sturz eines Radfahrers eine Haftung des Betriebsunternehmers der Eisenbahn nach dem EKHG auslöst. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Der erkennende Senat hat erwogen :

1. Verfahrensmangel

Da der Revisionswerber die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht aufgezeigt hat, ist darauf nicht weiter einzugehen.

2. Eigenverschulden des Klägers

Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich im Sinne der Vorinstanzen ein Eigenverschulden des Klägers am Unfall: Von einem Radfahrer muss verlangt werden, dass er die vor ihm liegende Fahrbahn soweit beobachtet, dass er seine Fahrt ohne Sturz absolvieren kann. Dazu gehört auch die Aufmerksamkeit auf allfällige Hindernisse auf der Fahrbahn wie Schlaglöcher, Rollsplitt usw. Besondere Vorsicht ist wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat für Radfahrer bei Eisenbahnkreuzungen (aber auch Straßenbahnkreuzungen) geboten. Jeder Radfahrer weiß oder muss wissen, dass das Überqueren von Eisenbahn oder Straßenbahngleisen besonders gefährlich ist, weil sich die Fahrradreifen in der Spurrille verfangen können, was oftmals zum Sturz des Radfahrers führt. Dies gilt insbesondere beim Überqueren von Gleisen im spitzen Winkel. Wenn hier der Kläger die Schienen in einem ziemlich spitzen Winkel von 15 bis 20° überquert hat, so ist ihm eine erhebliche Sorglosigkeit in eigener Sache vorzuwerfen (so schon im insoweit vergleichbaren Fall SZ 20/235), zumal die Sturzgefahr bei einem so spitzen Winkel auch dadurch vergrößert wurde, dass die Reifen des Rennfahrrads des Klägers eine nur geringe Breite von 2 cm hatten.

3. Mithaftung der Beklagten

Eine teilweise Haftung der Beklagten für die eingeklagten Schäden könnte sich aus § 1319a ABGB oder aus dem EKHG ergeben.

3.1. Alternative Kausalität

Das Erstgericht konnte nicht feststellen, ob der Kläger mit dem Vorderrad in die Spurrillen einer der beiden Schienenstränge kam oder im Bereich eines Frostaufbruchs hängen blieb.

Nicht schon diese Ungewissheit über die Schadensursache führt zur Haftungsbefreiung: Würde die Beklagte in beiden Fällen (im gleichen Ausmaß) haften, hätte diese Ungewissheit keinen Einfluss auf das Ergebnis. Würde die Beklagte nur in einem Fall haften, würde dies zu einer Konkurrenz zwischen einem haftungsauslösenden Sachverhalt und (nicht haftungsauslösendem und daher dem Geschädigten zurechenbarem) Zufall führen. Dies würde nach neuerer Ansicht zur Teilung des der Beklagten zurechenbaren Haftung führen, und zwar im Zweifel auf der Basis 50:50 (RIS Justiz RS0027286).

Frostaufbrüche, mögen sie sich auch in der Nähe von Gleisen befinden, stellen keine spezifische Betriebsgefahr eines Eisenbahnbetriebs dar, weil Frostaufbrüche auf asphaltierten Straßen überall auftreten können. Frostaufbrüche bilden aber einen mangelhaften Zustand eines Weges. Eine Haftung dafür kommt daher nur gemäß § 1319a ABGB in Betracht.

Die Spurrillen stellen keinen mangelhaften Zustand eines Weges dar, weshalb die Beklagte dafür nicht nach § 1319a ABGB, sondern nur allenfalls nach der noch zu prüfenden Gefährdungshaftung nach dem EKHG haften könnte.

3.2. Haftung für die Frostaufbrüche nach § 1319a ABGB

Der Oberste Gerichtshof billigt angesichts der festgestellten Überprüfungs und Sanierungsmaßnahmen der Beklagten hinsichtlich der Eisenbahnkreuzung die Beurteilung der Vorinstanzen, eine Haftung der Beklagten nach § 1319a ABGB scheitere am mangelnden groben Verschulden der Beklagten oder ihrer Leute. Auf den von der Beklagten sinngemäß erhobenen Einwand, sie sei nicht Wegehalter im Bereich der Kreuzung, muss daher nicht eingegangen werden.

3.3. Haftung für die Spurrillen nach EKHG

3.3.1. Allgemeine Grundsätze

Die besonderen Haftungsregeln des EKHG erfassen bei Eisenbahnen nicht bloß die Betriebsmittel, sondern den gesamten technischen Betrieb. Der Betrieb der Eisenbahn umfasst die gesamte technische Organisation. Unfälle, die nur durch Anlagen ohne Bezug auf den Betrieb der Eisenbahn verursacht werden, scheiden allerdings als Betriebsunfall aus (RIS Justiz RS0058147; RS0058197). Ein Unfall beim Betrieb der Eisenbahn liegt dann vor, wenn ein unmittelbarer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder mit Betriebseinrichtungen besteht (RIS Justiz RS0058156).

3.3.2. Speziell: Spurrillen bei einer Eisenbahnkreuzung mit einer Straße

3.2.2.1. Österreichische Rechtsprechung und Lehre

3.2.2.1.1. Rechtsprechung

Einschlägige Rechtsprechung ist kaum vorhanden:

In der schon zitierten Entscheidung SZ 20/235 = RIS Justiz RS0058166 wurde in einem mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Fall bejaht, dass es sich beim Sturz eines Radfahrers beim Überqueren der Schienen um eine „Ereignung im Verkehr der Bahn“ im Sinn des § 1 Eisenbahnhaftpflichtgesetz (EHG), RGBl 1869/27, handle.

Diese Entscheidung ist für die hier zu beantwortende Frage aber insofern nicht einschlägig, als das zitierte Gesetz im Unterschied zum EKHG eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr normierte und der Oberste Gerichtshof das haftungsbegründende Verschulden des Eisenbahnunternehmens primär darin sah, dass dieses vor der spitzwinkeligen Kreuzung der Bahn mit der Straße für Radfahrer keine Warntafel aufgestellt hatte. Überdies kam es nach dem EHG auf eine „Ereignung im Verkehr der Bahn“ an, wohingegen nach § 1 EKHG maßgeblich ist, ob sich der Unfall „beim Betrieb einer Eisenbahn“ ereignet hat.

In der unveröffentlichten Entscheidung 8 Ob 287/79 (RIS Justiz RS0058197) kam ein PKW infolge starker Rillenvertiefungen an den beiden Schienensträngen zwischen dem zweiten Schienenstrang des ersten Gleises und dem ersten Schienenstrang des zweiten Gleises zum Stillstand. Dem Lenker gelang es wegen der Schneefahrbahn nicht, den PKW aus der Schienenrille heraus in Bewegung zu setzen, weil sich die Hinterräder im glatten Schnee durchdrehten. Der PKW wurde von einem Zug erfasst, wodurch der PKW Lenker getötet wurde.

Der Oberste Gerichtshof führte aus, der Unfall habe sich nicht schon deshalb beim Betrieb einer Eisenbahn ereignet, weil der PKW auf den Eisenbahnschienen, die niveaumäßig tiefer als die nicht geräumte Schneedecke gelegen seien, zum Stillstand gekommen sei. Ein Unfall, der nur durch eine Anlage der Eisenbahn ohne Bezug auf deren Betrieb verursacht worden sei, stelle noch keinen Betriebsunfall im Sinn des EKHG dar. Der Umstand, dass Schienen im Bereich eines schienengleichen Eisenbahnübergangs verlegt seien, reiche daher allein nicht aus, um die strenge Gefährdungshaftung nach dem EKHG auslösen zu können.

Im Fall 2 Ob 187/02t stürzte die Klägerin vom Pferd, weil dieses auf einer Eisenbahnkreuzung mit dem linken Vorderhuf zwischen die Stahlschiene und die Einfassung geriet und stecken blieb. Das Berufungsgericht verneinte eine Haftung der beklagten Österreichischen Bundesbahnen nach dem EKHG, weil sich der Unfall nicht beim Betrieb einer Eisenbahn im Sinn des § 1 EKHG ereignet habe. Eine Aussage des Obersten Gerichtshofs zur Haftung nach dem EKHG findet sich in dieser Entscheidung aber nicht.

3.2.2.1.2. Lehre

Die Lehre ( Apathy , EKHG [1992], § 1 Rz 12 20; Schauer in Schwimann , ABGB 3 [2005], § 1 EKHG Rz 11 f) gibt im Wesentlichen nur die Rechtsprechung wieder; Schauer aaO Rz 12 deutet aber an, dass er die Rechtsprechung dazu, wann ein Unfall „beim Betrieb einer Eisenbahn“ bejaht wird, eher für zu weitgehend hält („extensive Auslegung“).

3.2.2.2. Deutsche Rechtsprechung und Lehre

Die deutsche Rechtslage ist insofern vergleichbar, als nach § 1 des deutschen Haftpflichtgesetzes („bei dem Betrieb einer Schienenbahn“) die Haftungsvoraussetzungen identisch mit denen des § 1 EKHG sind.

3.2.2.2.1. Rechtsprechung

Der Bundesgerichtshof sprach aus, ein Unfall, der durch das Rutschen eines Kfz auf von einem Schienenreinigungswagen angefeuchteten Straßenbahnschienen und dem daneben liegenden feuchten Pflaster ausgelöst wurde, habe sich nicht beim Betrieb der Straßenbahn ereignet. Die Gefährdungshaftung der Bahn bestehe nicht schon deshalb, weil sich der Unfall an einer Betriebsanlage, sondern nur dann, wenn sich der Unfall im Zusammenhang mit einer dem Bahnbetrieb eigentümlichen Gefahr ereignet habe (VersR 1958, 609).

Das Oberlandesgericht Hamm verneinte unter Berufung auf diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Haftung der Bahn für einen Radfahrer, der beim Überqueren eines Gleises gestürzt war: Der Sturz könne nur auf einen Fahrfehler oder auf die „normale“ Gefährlichkeit, die von jedem Gleiskörper im Straßenbereich ausgehe, zurückzuführen sein. Für diese Gefahr sei nicht der Verkehrssicherungspflichtige, sondern der Verkehrsteilnehmer selbst verantwortlich (NZV 1998, 154).

3.2.2.2.2. Lehre

Filthaut , Haftpflichtgesetz 8 (2010), § 12 Rz 52, meint, ein Hinweisschild sei notwendig und ausreichend, wenn Schienen mit weiten Spurrillen verlegt seien oder der in die Fahrbahn eingelassene Bahnkörper nicht plan liege und im spitzen Winkel zu überqueren sei. Im Übrigen könne von einem Zweiradfahrer erwartet werden, dass er den Gefahren durch eine geeignete Fahrweise begegne. In § 1 Rz 77 führt dieser Autor aus, keinen Betriebsunfall erleide derjenige, der beim Begehen oder Befahren von Gleisen verunglücke, ohne dass sich zur Zeit des Unfalls ein Zug nähere. Werde ein Unfall allein durch eine Anlage der Infrastruktur und ohne Zusammenhang mit einer Beförderung verursacht, zB ein Reifenschaden an einem Kfz beim Überqueren eines verkehrswidrigen Schienenübergangs, habe er sich nicht „beim Betrieb“ des Infrastrukturunternehmens ereignet.

3.2.2.3. Ergebnis

Im Licht der zitierten Rechtsprechung und Lehre ist der erkennende Senat der Ansicht, dass der Sturz eines Radfahrers beim Überqueren von Gleisen nicht dem Betrieb der Eisenbahn zuzurechnen ist. Da Eisenbahnkreuzungen stets durch die entsprechenden Gefahrenzeichen (§ 50 Z 6a bis 6d StVO) angekündigt werden und wie schon ausgeführt von jedem Radfahrer die Kenntnis der möglichen Gefahren beim Überqueren von Gleisen zu verlangen ist, sind aber in aller Regel besondere Hinweisschilder, die Radfahrer noch darüber hinaus warnen sollen, entbehrlich. Eine Haftung nach dem EKHG besteht daher nicht.

4. Aus der Spurrillenbreite, die stellenweise die in der Dienstvorschrift B 54 normierte Größtweite von 85 mm überschritten hat, kann der Kläger nichts für sich ableiten. Der Oberste Gerichtshof hat in der schon zitierten Entscheidung 2 Ob 187/02t die Ansicht des Berufungsgerichts gebilligt, dieser Abstand gelte für den Bau einer Eisenbahnkreuzung. Das hier festgestellte Höchstmaß von 89 mm liegt im Bereich der Sanierungsgrenze infolge verschleißbedingter Erweiterungen von rund 3 mm. Ein nennenswertes Verschulden der Beklagten kann in diesem Zusammenhang nicht vorliegen.

5. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 50, 41 ZPO.

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