JudikaturJustiz15Os25/05y

15Os25/05y – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. April 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. April 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fuchsloch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Valdemar C***** und einen anderen Angeklagten wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter, dritter und vierter Fall, Abs 3 erster und zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, teilweise begangen in der Entwicklungsstufe des Versuchs nach § 15 StGB, über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Valdemar C***** und Henryk Wieslaw R***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 13. Dezember 2004, GZ 12 Hv 8/04a-109, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Valdemar C***** und Henryk Wieslaw R***** wurden - im zweiten Rechtsgang neuerlich - der Verbrechen nach § 28 Abs 2, zweiter, dritter und vierter Fall, Abs 3, erster und zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, teilweise begangen in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB, bezogen auf § 28 Abs 2 vierter Deliktsfall) schuldig erkannt. Danach haben sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zumindest einem weiteren unbekannten Mittäter am 10. September 2003 in Seiersberg, Arnwiesen sowie weiteren Orten des Bundesgebietes den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte in einer „übergroßen" Menge (in Beziehung auf das 25-fache der großen Menge, § 28 Abs 6 SMG) in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen und als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung (§ 278 Abs 2 StGB) eingeführt und in Verkehr zu setzen versucht, indem sie rund 20 kg Amphetamin (5.500 +/- 1.500 Gramm Amphetamin H2 SO4 Reinsubstanz) von Polen aus- und nach Österreich einführten und hier einem verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres zu verkaufen und damit in Verkehr zu setzen versuchten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen je aus Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen, getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten verfehlen ihr Ziel.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten C*****:

Die Verfahrensrüge (Z 4) behauptet die Verletzung von Verteidigungsrechten durch die Nichtdurchführung der in der Hauptverhandlung vom 13. Dezember 2004 gestellten Beweisanträge auf Ladung und Vernehmung

des Zeugen Leszek P*****, „der Vertrauensperson", über die Sicherheitsbehörden, denen der genaue Aufenthaltsort dieser genannten Person bekannt ist, zum Beweis dafür, „dass die Vertrauensperson bereits im Juni bzw Anfang Juli des Jahres 2003 den Zweitangeklagten zu dem gegenständlichen Suchtgiftgeschäft angestiftet hat und es ohne die Anstiftung der Vertrauensperson nicht dazu gekommen wäre, dass sich der Zweitangeklagte dazu hinreißen hätte lassen, Suchtgift nach Österreich zu verbringen. Die Relevanz des Beweisantrages ergibt sich auch für den Zweitangeklagten daraus, dass in jedem Falle ein entsprechender Strafmilderungsgrund vorliegt, sodass sich nach Ansicht der Verteidigung auch im Fall der Anstiftung des Zweitangeklagten die Straflosigkeit der Beitragshandlung des Erstangeklagten ergibt. Die Einvernahme dieses Zeugen scheint auch indiziert, da auch dieser Zeuge unmittelbare Wahrnehmungen hinsichtlich der Gespräche mit dem Zweitangeklagten und der behaupteten Anstiftung tätigen kann und die Vertrauensperson ein unmittelbarer Zeuge hinsichtlich der Anstiftung war." sowie des in der Justizanstalt aufhältigen Zeugen Stanyu T***** zum Beweis dafür, dass die Vertrauensperson auch diesen Zeugen angestiftet hat, Suchtmittel in übergroßer Menge nach Österreich einzuführen. Der Zeuge ist deswegen von Relevanz, da auch der Zeuge Stanyu T***** vor der von ihm begangenen strafbaren Handlung unbescholten war, keinen Kontakt zum Suchtgiftmilieu hatte und erst durch Anstiftung und Aufforderung der Vertrauensperson das ihm nun angelastete strafbare Verbrechen begangen hatte. Die Relevanz für das gegenständliche Verfahren ergibt sich daraus, dass die Vertrauensperson offensichtlich immer die gleiche Vorgangsweise gewählt hat und bislang unbescholtene ausländische Staatsbürger zur Einfuhr von Suchtmitteln in großer Menge angestiftet hat. Da die Vertrauensperson als verlängerter Arm der Exekutive anzusehen ist, handelt es sich daher um eine Anstiftung zu strafbaren Handlungen, welche dem Staat selbst zuzurechnen sind und erscheint aus diesem Grunde auch die Einvernahme der Vertrauensperson zur Überprüfung der Verantwortung des Erst- und Zweitangeklagten von Relevanz."

Wie das Erstgericht in seinen abweisenden Zwischenerkenntnissen (S 243 und 221) im Ergebnis zutreffend darlegt, konnte die Aufnahme der beantragten Beweise ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben.

Der Antrag auf Vernehmung der Vertrauensperson mit dem Ziel „im Falle der Anstiftung des Zweitangeklagten ergebe sich die Straflosigkeit der Beitragshandlung des Erstangeklagten" lässt jede für die Relevanzprüfung erforderliche Begründung vermissen, inwiefern der Kontakt des Zweitangeklagten mit der Vertrauensperson für die Schuld- oder Subsumtionsfrage betreffend den Erstangeklagten von Bedeutung sein soll (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327). Denn nach dem im System der funktionalen Einheitstäterschaft tragenden Grundsatz der autonomen Verantwortlichkeit aller Beteiligten ist jeder von mehreren an der Tat Beteiligten nach seiner Schuld zu bestrafen ist (§ 13 StGB). Der Angeklagte hat die ihm laut Anklage ON 61/I angelastete Menge Amphetamin über Auftrag des Zweitangeklagten und eines weiteren Mitgliedes der kriminellen Organisation von Polen nach Österreich eingeführt und in Österreich dem Zweitangeklagten übergeben, wozu er sich auch schuldig bekannt hat (Hv-Protokoll S 157/II). Abgesehen davon betrifft das (aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO erstattete) Rechtsmittelvorbringen der (Zweit )Angeklagte sei durch einen Lockspitzel zur Tat verleitet worden, keine für Schuldspruch oder Subsumtion relevante Tatsachenfeststellung, sondern lediglich einen Berufungsgrund (RIS-Justiz RS0114562).

Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen T***** zum Beweis dafür, „dass die Vertrauensperson auch diesen Zeugen angestiftet hat, Suchtmittel in übergroßer Menge nach Österreich einzuführen", „weshalb die Einvernahme der Vertrauensperson zur Überprüfung der Verantwortung des Erst- und Zweitangeklagten von Relevanz ist" behauptet nicht einmal Wahrnehmungen des Zeugen bezüglich des Erstangeklagten. Das Beweisthema „zur Überprüfung der Verantwortung" läuft, wie sich aus der Formulierung unschwer entnehmen lässt, gleichfalls auf einen - unzulässigen - Erkundungsbeweis hinaus.

Die in der Beschwerde dazu nachgetragenen Erwägungen haben dabei außer Betracht zu bleiben, weil bei Prüfung der Berechtigung eines Antrags stets von der Verfahrenslage zum Zeitpunkt der Entscheidung darüber und den dazu vorgebrachten Gründen auszugehen ist (Mayerhofer/Hollaender StPO5 § 281 Z 4 E 40 und 41; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Damit wurde durch die Nichtaufnahme der begehrten Beweise weder das durch § 252 Abs 1 StPO geschützte Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme noch die sich aus den Grundsätzen des Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d EMRK ergebenden Verteidigungsrechte des Angeklagten beeinträchtigt.

Das Vorbringen der Mängelrüge (Z 5), die Ausführungen US 15 iVm den Konstatierungen US 4 und 5 könnten nicht "mit der erforderlichen Gründlichkeit eine ordnungsgemäße Begründung ersetzen", erweist sich als nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (Ratz, WK-StPO § 285d Rz 10).

Die Behauptung von Mängeln an Feststellungen (inhaltlich Z 9 lit a) „ob eine kriminelle Vereinigung mit dem Vorsatz erfolgt ist, die in § 278 StGB angeführten Verbrechen fortgesetzt zu erbringen" negiert zum einen die gegenteiligen Konstatierungen US 4 und 5, wonach Ziel der für eine längere Zeit zwecks künftigen gemeinschaftlichen Suchtgiftschmuggels und Suchtgiftverkaufs gegründete Vereinigung der wiederkehrende gemeinschaftliche Schmuggel und das wiederkehrende Inverkehrsetzen jeweils großer Mengen von Suchtmitteln war und geht im Übrigen nicht von der - infolge der neuen Fassung des § 278 StGB („kriminelle Vereinigung") und der korrespondierenden Änderung des § 28 Abs 2 und Abs 4 Z 1 SMG mit 1. Oktober 2002 - nunmehr geschaffenen Rechtslage (BGBl I Nr 134/2002 Art I Z 23, Art IV und Art IX) aus, dass die kriminelle Vereinigung in Ansehung eines auf längere Zeit angelegten Zusammenschlusses von mehr als zwei Personen nur darauf ausgerichtet sein muss, dass von einem oder mehreren Mitgliedern der Vereinigung nur ein einziges Verbrechen ausgeführt wird (zu dieser Konstellation 1166 BlgNR 21. GP 35; vgl 13 Os 25/03).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten R*****:

Die Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert die Nichtdurchführung des in der Hauptverhandlung vom 13. Dezember 2004 vom Angeklagten C***** gestellten, (bei Erörterung der Z 4 dieses Angeklagten wörtlich zitierten) Beweisantrages auf Vernehmung der Vertrauensperson, dem sich der Angeklagte R***** angeschlossen und dazu ergänzend vorgebracht hat, dass „R***** als straflos anzusehen sei, wenn der verdeckte Ermittler als Agent Provocateur anzusehen ist" (S 243/II). Auch hinsichtlich dieses Angeklagten konnte die Aufnahme des beantragten Beweises, im Ergebnis gleichfalls aus den im abweisenden Zwischenerkenntnis S 243 zutreffenden Erwägungen, ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben.

Wird die Identität eines verdeckten Fahnders oder einer von der Verwaltungsbehörde geheimgehaltenen Vertrauensperson nicht preisgegeben, so zielt der Antrag auf dessen Vernehmung auf einen undurchführbaren Beweis ab (RIS-Justiz RS0096289). Dies war hier im Hinblick auf die Mitteilung des Bundesministeriums für Inneres, wonach Name und Adresse der Vertrauensperson über Aufforderung durch das Gericht nicht bekanntgegeben wurden (ON 104/II), der Fall. Abgesehen davon legt der Beweisantrag nicht substantiiert dar, warum unter Berücksichtigung der Aussage des verdeckten Ermittlers in der Hauptverhandlung, die Vertrauensperson habe lediglich gedolmetscht, und der eigenen Verantwortung des Angeklagten, er selbst habe die Kontakte für die Suchtmittelgeschäfte geknüpft, sich durch die Vernehmung der Vertrauensperson erweisen hätte lassen, dass diese den Zweitangeklagten zum Suchtgiftschmuggel in einem Umfang angestiftet habe, dass es ohne die Anstiftung nicht zum Schmuggel nach Österreich gekommen wäre. Damit trägt der Beweisantrag bloßen Erkundungscharakter und konnte auch unter diesem Aspekt sanktionslos abgewiesen werden (RIS-Justiz RS0117928). Im Übrigen bewirken Verstöße gegen § 25 StPO kein Verfolgungshindernis (15 Os 30/02, 11 Os 126/04).

Das weitere Beweisthema läuft bereits nach dem Inhalt der Formulierung „die Einvernahme dieses Zeugen scheint auch indiziert" ebenfalls auf einen nicht zulässigen Erkundungsbeweis hinaus. Denn der Antragsteller hat im Antrag Beweisthema, Beweismittel und jene Informationen, die für die Durchführung der Beweisaufnahme erforderlich sind, zu bezeichnen und, soweit dies nicht offensichtlich ist, zu begründen, weswegen das Beweismittel geeignet sein könnte, das Beweisthema zu klären.

Mit ihrem über den Antrag hinausgehenden Vorbringen verstößt die Beschwerde gegen das im Nichtigkeitsverfahren geltende Neuerungsverbot (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

In den eine Verletzung des Art 6 Abs 3 lit d EMRK behauptenden Ausführungen verkennt das Rechtsmittel zum einen, dass die Parteien des Strafverfahrens kein subjektives öffentliches Recht auf die Preisgabe der Identität einer von der Verwaltungsbehörde geheimgehaltenen Vertrauensperson haben, zum anderen aber auch, dass das gegenständliche Urteil sich überhaupt nicht auf Angaben dieses anonymen Zeugen stützt, somit von „einer Verwertung von Aussagen anonymer Zeugen zur Begründung eines Schuldspruches" nicht die Rede sein kann. Denn das Schöffengericht hat den Schuldspruch auf die Aussagen des in der Hauptverhandlung vernommenen verdeckten Fahnders, das teilweise Geständnis des Angeklagten selbst und die Angaben des Mittäters gestützt (vgl US 12 ff). Damit wurden durch die Nichtaufnahme des begehrten Beweises keine sich aus den Grundsätzen des Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d EMRK ergebenden Verteidigungsrechte des Angeklagten beeinträchtigt.

Die Mängelrüge (Z 5) behauptet, das Erstgericht habe seine Begründung auf ein in der Hauptverhandlung nicht vorgekommenes Beweismittel, nämlich den Bericht über die verdeckten Ermittlungen gestützt, der in der Hauptverhandlung „nie zur Gänze" verlesen worden sei. Dabei legt die Beschwerde allerdings nicht dar, in welchem Teil sich das Urteil, das die Annahme der Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung auf die Angaben des verdeckten Ermittlers in der Hauptverhandlung stützt (US 15), auf dessen Bericht beziehen soll, und lässt mit dem pauschalen Einwand der „nie zur Gänze erfolgten Verlesung" die deutliche und bestimmte Bezeichnung jener Tatumstände vermissen, die den herangezogenen Nichtigkeitsgrund darstellen sollen.

Entgegen dem weiteren Beschwerdevorbringen lässt sich der Zusammenschluss der kriminellen Vereinigung auf längere Zeit mit hinreichender Deutlichkeit (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 419) aus den Entscheidungsgründen (US 4 und 5 „... längere Zeit ...") unzweifelhaft entnehmen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a StPO.

Rechtssätze
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