JudikaturJustiz15Os128/23x

15Os128/23x – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. März 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi in Gegenwart des Schriftführers Mag. Novak in der Strafsache gegen * P* wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 13. Oktober 2022, GZ 11 Hv 71/18x 310, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch B./ und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * P* des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (A./) sowie des Vergehens nach § 122 Abs 1 Z 1 und 3 GmbHG idF vor BGBl I 2015/112 (B./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – zusammengefasst von Anfang 2011 bis Anfang August 2014 in L* und an anderen Orten

A./ die ihm eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht und nachfolgend genannte Gesellschaften dadurch in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt, und zwar

1./ als Geschäftsführer der L* GmbH (in weiterer Folge: L* GmbH; Schaden 46.537,17 Euro)

a./ indem er die an die L* GmbH von der C* GmbH über seine Aufforderung hin überhöht erstellten Rechnungen für die Errichtung und Wartung von Klimaanlagen beglich;

b./ die von ihm selbst als Geschäftsführer der G* GmbH (in weiterer Folge: G* GmbH) erstellten Scheinrechnungen betreffend „Kopierleistungen“ (ba./) und „Schadenersatzforderungen“ (bb./) beglich;

2. / als Geschäftsführer der W* GmbH (in weiterer Folge: W* GmbH; Schaden 48.786,64 Euro), indem er von ihm selbst als Geschäftsführer der G* GmbH erstellte Scheinrechnungen betreffend die „Rückverrechnung von Managementgebühren“ sowie die „Verrechnung von Personalressourcen“ und „Kopierleistungen“ beglich;

B./ von Anfang 2011 bis Anfang Juli 2014 als Geschäftsführer der G* GmbH die tatsächlichen Verhältnisse der Gesellschaft unrichtig wiedergegeben und erhebliche Umstände einzelner Geschäftsfälle verschwiegen, indem er einerseits in den Berichten, Darstellungen und Übersichten betreffend die Gesellschaft, insbesondere im Jahresabschluss, andererseits in Vorträgen und Auskünften in der Generalversammlung die zu A./ genannten Rechnungen anführte, obwohl diesen keine entsprechenden Leistungen für die G * GmbH gegenüberstanden.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 8 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Eine unter Nichtigkeitsdrohung stehende Begründungspflicht besteht ausschließlich für den Ausspruch über entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0099497; RS0117499). Entscheidend ist eine Tatsache dann, wenn die Feststellung ihres Vorliegens oder Nichtvorliegens entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld- oder Freispruch oder – im Fall gerichtlicher Strafbarkeit – darüber beeinflusst, welche strafbare Handlung begründet wurde (RIS-Justiz RS0117264).

[5] Die Ausführungen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) beziehen sich jedoch ausschließlich auf die „Motivlage“, „einen Vermögenstransfer zur (angeblich) ' liquiditätsschwachen' G* GmbH durchzuführen“, und gehen daher ins Leere (RIS-Justiz RS0088761).

[6] Unberechtigt ist auch der aus Z 8 unter der Behauptung eines Verstoßes gegen § 262 StPO erhobene Einwand, der Angeklagte habe mangels Belehrung über den bevorstehenden F reispruch von einzelnen Anklagepunkten seine Verteidigungsstrategie nicht an die sich daraus für ihn überraschend ergebende Möglichkeit einer diversionellen Erledigung – bei entsprechender Verantwortungsübernahme – anpassen können.

[7] Denn sowohl eine Verurteilung im Sinn der Anklage als auch ein Freispruch – wenn auch nur von einem Teil der Anklage – sind nicht Gegenstand des aus § 262 StPO abgeleiteten Überraschungsverbots (vgl RIS-Justiz RS0113755, RS0120025).

[8] Der von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) in Bezug auf  A./1./a./ erhobene Vorwurf, das Erstgericht habe bei der Feststellung des Ausstellers der in diesem Zusammenhang inkriminierten Scheinrechnungen unterschiedliche bzw voneinander abweichende Bezeichnungen verwendet („C*“, „C* GmbH“), legt nicht dar , weshalb die konkrete Bezeichnung des (hier bei der gebotenen Gesamtbetrachtung im Übrigen ohnehin zweifelsfrei bestimmten) Ausstellers von Scheinrechnungen entscheidend für die rechtliche Beurteilung ihrer rechtsgrundlosen Begleichung durch die L* GmbH (US 13 ff) sein sollte.

[9] Weshalb betreffend A./ des Schuldspruchs die Konstatierungen zum Schädigungsvorsatz, wonach der Angeklagte gewusst habe, dass er durch die Überweisungen die L* GmbH „schädigen würde“ (US 15, 32 f, 44, 48, 54), wegen des verwendeten Konjunktivs für eine Subsumtion unter den Tatbestand des § 153 Abs 1 StGB nicht genügen sollten, wird nicht klar.

[10] Auch die zu A./1./b./bb./ vorgebrachte Behauptung, die G* GmbH habe von der Geltendmachung von Forderungen ihrer Mieter ihr gegenüber unabhängige eigene Schadenersatzansprüche gegenüber der L* GmbH geltend gemacht, missachtet prozessordnungswidrig die gebotene Orientierung am Urteilssachverhalt, indem sie die Feststellungen , wonach den inkriminierten Rechnungen „keine erbrachten Leistungen oder bestehenden Forderungen der G* GmbH“ zugrunde lagen (US 44) und Ausfälle oder Störungen der Telefonanlage des Gewerbezentrums nicht festgestellt werden konnten (US 43), schlicht übergeht und das konstatierte Tatgeschehen durch die eigenständige Sachverhaltsannahme ergänzt, dass der Angeklagte die Rechnungen „auf Anraten des steuerlichen Vertreters der G* GmbH“ „zur Vermeidung späterer wirtschaftlicher Nachteile der Gesellschaft“ im Zusammenhang mit der „Erfüllung der Schadenersatzansprüche durch die L* GmbH“ gelegt habe.

[11] Gleiches gilt für das zu A./2./b./ weiter erstattete Vorbringen der Rechtsrüge (Z 9 lit a), deren Argumentation auf der so nicht konstatierten und damit eigenständigen Sachverhaltsannahme beruht, dass Mag. Lu* „exklusiv“ der G* GmbH zugeordnet gewesen sei (vgl US 53). Der Nichtigkeitswerber übergeht den festgestellten Sachverhalt, wonach den gegenständlichen Rechnungen für die Jahre 2012 und 2013 „keine tatsächlichen Gegenleistungen der G* GmbH zugunsten der W* GmbH“ gegenüberstanden (US 53 f; vgl jedoch RIS-Justiz RS0099810).

[12] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen.

[13] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das Urteil einen vom Angeklagten nicht (gesetzmäßig) geltend gemachten Rechtsfehler mangels Feststellungen zu seinem Nachteil aufweist, der von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[14] Strafgesetze sind auf Taten anzuwenden, die nach dem Inkrafttreten begangen wurden. Auf früher begangene Taten sind sie dann anzuwenden, wenn die Gesetze, die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren (§ 61 StGB), wobei der Günstigkeitsvergleich nicht abstrakt, sondern streng fallbezogen zu erfolgen hat (RIS-Justiz RS0119085 [T1], RS0112939 [T4, T10, T11]).

[15] Ausgehend davon, dass die derzeit geltende Bestimmung des § 163a Abs 1 StGB und der zur Tatzeit gültige § 122 Abs 1 GmbHG die Tatbestandsverwirklichung an unterschiedlich strenge Voraussetzungen knüpfen und § 163a Abs 1 StGB dann die fallaktuell günstigere Bestimmung wäre, wenn eines der darin vorgesehenen Tatbestandselemente nicht festgestellt werden kann und insoweit demnach auch dann ein Freispruch gefällt werden müsste, wenn alle sonstigen Tatbestandselemente des § 122 GmbHG erfüllt wären, erfordert der insoweit vorzunehmende (vor dem 1. Jänner 2016 begangene Taten betreffende) Günstigkeitsvergleich nicht nur den Vergleich der Strafdrohungen, sondern auch die Abwägung sämtlicher objektiven und subjektiven Tatbestandserfordernisse der zu vergleichenden Bestimmungen.

[16] Dies setzt allerdings konkrete Sachverhaltsannahmen zu sämtlichen dieser Tatbestandselemente voraus.

[17] Dies ist schon deshalb nicht erfüllt, weil sich der Vorsatz des Angeklagten nach dem Urteilssachverhalt nicht auch darauf bezog , dass es sich bei den (falsch dargestellten) Informationen um „wesentliche“ handelte. Dies wäre schon deshalb erforderlich gewesen, weil der Begriff der Wesentlichkeit – wie schon der Gesetzesverweis auf § 189a Z 10 UBG nahelegt – nicht bedeutungsgleich mit jenem (von § 122 Abs 1 GmbHG aF verwendeten) der Erheblichkeit ist, weshalb zur Ausfüllung nicht auf die zu diesem ergangene Rechtsprechung (RIS Justiz RS0126622) zurückgegriffen werden kann (vgl EBRV 25. GP, 27 f; Rohregger in WK² StGB § 163a Rz 37 und 40).

[18] Mit Blick auf das Vorbringen der Rechtsrüge und die Stellungnahme der Generalprokuratur wird hinzugefügt, dass § 163a StGB ein potenzielles Gefährdungsdelikt normiert (vgl allgemein 13 Os 24/20h [verst Senat]) und die Frage nach der Eignung des tatbildlichen Verhaltens, einen erheblichen Schaden typischerweise herbeizuführen, eine Rechtsfrage darstellt, weshalb nicht die – im Übrigen objektiv (ex ante) zu beurteilende (vgl 14 Os 62/22g [zu § 178 StGB]; RIS Justiz RS0092160 [zu § 107 StGB]; aA Rohregger in WK² StGB § 163a Rz 46) – Eignung als solche, sondern nur die dieser (in tatsächlicher Hinsicht) zugrunde liegenden Umstände vom Vorsatz umfasst sein müssen (vgl RIS Justiz RS0133924 [zu § 310 StGB]; vgl auch RIS Justiz RS0092448 [zu § 107 StGB]; 14 Os 132/21z [zu § 232 StGB]; 12 Os 61/22w [zu § 178 StGB]; 15 Os 114/22m [zu § 107b StGB]).

[19] Dem Günstigkeitsvergleich und damit auch der Subsumtion nach § 122 GmbHG fehlt somit die Feststellungsbasis.

[20] Der darin liegende Rechtsfehler erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs B./ und demzufolge auch des Strafausspruchs in nichtöffentlicher Beratung (§§ 285e, 290 StPO).

[21] Das auf diesen Punkt des Schuldspruchs bezogene Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde war daher nicht weiter zu erörtern.

[22] Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

[23] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Die Ersatzpflicht erstreckt sich nicht auf die mit dem amtswegigen Vorgehen verbundenen Kosten (RIS Justiz RS0101558).

Rechtssätze
8
  • RS0113755OGH Rechtssatz

    11. März 2024·3 Entscheidungen

    Beurteilt ein Gericht nicht nur die im Anklagetenor genannte Tat in rechtlicher Hinsicht abweichend von der Anklage, spricht es den Angeklagten vielmehr - wenngleich ohne Abgehen von dem der Anklage (als Gesamtheit) zugrunde liegenden Sachverhalt - statt der im Anklagetenor genannten Tat einer anderen Tat schuldig, muss mit Blick auf die Fairness des Verfahrens zugunsten des Angeklagten dem Schutzzweck des § 262 StPO zuvor entsprochen worden sein. Dabei steht die strikte Einhaltung der von § 262 StPO beschriebenen Form als solche nicht unter der Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs 1 Z 8 StPO. So wird etwa eine abweichende Beurteilung durch den Ankläger in der Hauptverhandlung dem grundrechtlich geschützten Ziel, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu verfügen (Art 6 Abs 3 lit b MRK), durchaus gerecht, weil es dem Angeklagten solcherart offensteht, sich dazu zu äußern sowie Fragen und Anträge zu seiner Verteidigung zu stellen, deren Missachtung einen Verfahrensmangel (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) begründen kann. Die in einer - danach mehrfach wegen Zeitablaufes und Richterwechsels (§ 276a StPO) wiederholten - Hauptverhandlung gestellte Frage des Vorsitzenden (§ 245 Abs 1 erster Satz StPO): "Haben sie in Österreich Zigaretten erworben, bei denen die Eingangsabgaben nicht bezahlt waren?" für sich allein genügt aber nicht.