JudikaturJustiz15Os11/12z

15Os11/12z – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. August 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. August 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Karlicek als Schriftführerin in der Medienrechtssache des Antragstellers Gustav S***** gegen die Antragsgegnerin N*****gesmbH wegen §§ 6 ff MedienG, AZ 35 Hv 165/10d des Landesgerichts St. Pölten, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 18. April 2011, GZ 35 Hv 165/10d 10, und gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Dezember 2011, AZ 18 Bs 236/11d, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie über den Antrag der N*****gesmbH gemäß § 363a StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, sowie der Vertreterin des Antragstellers Mag. Ehrbar und des Vertreters der Antragsgegnerin Mag. Lugert zu Recht erkannt:

Spruch

In der Medienrechtssache des Antragstellers Gustav S***** gegen die Antragsgegnerin N*****gesmbH wegen §§ 6 ff MedienG, AZ 35 Hv 165/10d des Landesgerichts St. Pölten, verletzen

1./ das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 18. April 2011, GZ 35 Hv 165/10d-10, § 7a Abs 1 Z 2 MedienG; und

2./ das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Dezember 2011, AZ 18 Bs 236/11d (ON 17 des Hv-Aktes), § 7a Abs 2 Z 2 zweiter und dritter Fall MedienG sowie § 41 Abs 1 MedienG iVm § 489 Abs 1 StPO, § 471 StPO und § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO.

Dieses Urteil des Oberlandesgerichts Wien wird aufgehoben und dem genannten Gericht die neue Verhandlung und Entscheidung über die Berufung des Antragstellers aufgetragen.

Mit ihrem Antrag auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG wird die Antragsgegnerin auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache des Antragstellers Gustav S***** gegen die Antragsgegnerin N*****gesmbH wies das Landesgericht St. Pölten mit Urteil vom 18. April 2011, GZ 35 Hv 165/10d-10, den Antrag des Antragstellers auf Zuerkennung einer Entschädigung (nach §§ 6 Abs 1, 7 Abs 1 und 7a Abs 1 MedienG) wegen der Veröffentlichung eines Artikels in der Lokalausgabe der N***** (N*****) K***** vom 14. Juni 2010 unter der Überschrift: „Öffentlichkeitsarbeit vom Gefängnis aus“ und dem Subtitel: „Schlechte Nachrichten/Gustav S*****, Mediensprecher des B*****, muss eine einjährige Haftstrafe verbüßen“ (unter Ausspruch der Kostenersatzpflicht des Antragstellers gemäß § 390 Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG) ab.

Nach den hier wesentlichen Urteilsfeststellungen zum Bedeutungsinhalt des inkriminierten Artikels (US 3 f) wurde darin darüber informiert, dass der als Presse- bzw Mediensprecher des B***** bezeichnete Antragsteller Gustav S***** (jeweils mit Urteilen des Landesgerichts Krems an der Donau) Ende 2009 wegen [des Verbrechens des] schweren [gewerbsmäßigen] Betrugs (Einmietung in einem K***** Hotel; Schadenshöhe 3.060,67 Euro), 2006 wegen [des Vergehens des schweren] Betrugs und Anfang 2009 wegen [der Vergehen des] versuchten Diebstahls und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel verurteilt worden sei und nunmehr Freiheitsstrafen von insgesamt zwölf Monaten zu verbüßen habe.

Nach den weiteren Feststellungen des Ersturteils (US 4 f) begann Gustav S***** 2004 sich politisch zu engagieren und wurde in diesem Jahr Pressesprecher der F***** sowie 2008 Pressesprecher des B*****. Bei der Nationalratswahl 2006 kandidierte er für das B***** auf der Landesliste ***** und erhielt in einer Wahlkreisliste des W*****s an vierter Stelle 49 Vorzugsstimmen. Wenngleich Gustav S***** weder auf Landes- oder Bundesebene noch auf Ebene der Stadt K***** ein offizielles Mandat inne hatte und auch seine Verantwortlichkeiten für die B***** K***** nicht statutenmäßig definiert waren, so war er doch regionalpolitisch in K***** tätig und wurde von der K***** Bevölkerung auch als Ansprechpartner des B***** K***** wahrgenommen. Solcherart suchte S*****, um das B***** K***** überall bekannt zu machen, auch häufig den Kontakt zu den Medien. Er trat nach außen hin als diejenige Person auf, die dem B***** im Raum K***** zum Durchbruch verhelfen wollte. Wiederholt wurde er in den N***** K***** als K***** B*****-Chef oder Bezirkssprecher tituliert und mit „Statements“ zu den Ambitionen des B*****-K***** etwa für die Gemeinderatswahl oder stadtpolitische Themen wiedergegeben. Auch regionalpolitisch war Gustav S***** im Raum K***** bis kurz vor der inkriminierten Veröffentlichung aktiv, etwa durch Übergabe einer Unterschriftenliste an den K***** Vizebürgermeister in seiner oben beschriebenen Funktion für das B***** im Jänner 2010.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht im hier interessierenden Zusammenhang eine Tatbestandsverwirklichung nach § 7a Abs 1 MedienG, weil der Antragsteller aufgrund seiner Mitarbeit für das B***** welches, „wie allgemein bekannt, besonders vehement allgemeine Missstände und jene politischer Mitbewerber aufzuzeigen“ trachte als Person des öffentlichen Lebens anzusehen sei und gerade der Vergleich zwischen seinem öffentlichen Auftritt und jenem der von ihm unterstützten Partei mit seinem wiederholt strafrechtsrelevanten Verhalten ein „besonderes“ öffentliches Interesse an der Berichterstattung und an der Bekanntgabe des Namens begründe (US 6 f).

Feststellungen zu einem schutzwürdigen Anonymitätsinteresse des Antragstellers, etwa im Besonderen zur Eignung der Veröffentlichung, dessen Fortkommen unverhältnismäßig zu beeinträchtigen, wurden im Urteil des Landesgerichts St. Pölten nicht getroffen.

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Antragstellers wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO iVm § 489 Abs 1 StPO und § 41 Abs 1 MedienG) gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 19. Dezember 2011, AZ 18 Bs 236/11d (ON 17 des Hv Aktes), Folge, hob das angefochtene Urteil auf und erkannte in der Sache selbst dahin zu Recht, dass in dem in Rede stehenden Artikel Angaben über die Identität des Antragstellers veröffentlicht wurden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden seiner Identität zu führen, wodurch seine schutzwürdigen Interessen verletzt wurden, ohne dass wegen seiner Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat, und demgemäß die Antragsgegnerin nach § 7a Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung von 1.500 Euro an den Antragsteller (sowie gemäß §§ 389 Abs 1, 390a Abs 1 StPO iVm § 8a Abs 1 MedienG zum Ersatz der Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz) verurteilt wird.

Nach den Entscheidungsgründen (insbes US 10 ff) seien durch die identifizierende Berichterstattung schutzwürdige Interessen des Antragstellers zum einen deshalb verletzt worden, weil sich die Veröffentlichung auf die Verurteilung aus dem Jahre 2006 wegen eines Vergehens bezogen habe (§ 7a Abs 2 Z 2 zweiter Fall MedienG). Zum anderen sei eine Stigmatisierung durch strafgerichtliche Verurteilungen notorisch, sodass deren Bekanntgabe die Reintegration des Verurteilten hindere. Durch Erwähnung auch der Verurteilung aus dem Jahre 2009 wegen eines Verbrechens sei die Veröffentlichung diesbezüglich auch geeignet, das Fortkommen des Betroffenen unverhältnismäßig zu beeinträchtigen (§ 7a Abs 2 Z 2 dritter Fall MedienG).

Ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung der identifizierenden Angaben zum Antragsteller liege entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts nicht vor: Denn nach dessen (als unbedenklich zu Grunde zu legenden) Urteilsfeststellungen sei der Antragsteller vor seiner Stellung als Pressesprecher der F***** als Journalist tätig gewesen. Bei der Nationalratswahl 2006 habe er als Kandidat für das B***** auf der Landesliste ***** zwar Vorzugsstimmen, aber kein Nationalratsmandat erhalten. 2008 sei er als Pressesprecher und parlamentarischer Mitarbeiter des B***** tätig geworden; ein offizielles Mandat habe der Antragsteller aber weder auf Landes- oder Bundesebene, noch auf Ebene der Stadt K***** innegehabt, und auch seine Verantwortlichkeiten für die B***** K***** seien nicht statutenmäßig definiert gewesen.

Daraus erhelle, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels lediglich im Angestelltenverhältnis zum B***** als dessen Pressesprecher und parlamentarischer Mitarbeiter gestanden, er in dieser Funktion aber nicht als Person des öffentlichen Lebens, sondern lediglich als „Sprachrohr“ der politischen Partei B***** aufgetreten sei. Als Pressesprecher fungierte der Antragsteller lediglich als „Vertreter im Wort“, und als parlamentarischem Mitarbeiter wäre ihm (gleich einem Sekretär) keine politische Mitwirkung, geschweige denn eine Entscheidungsfunktion zugekommen.

Somit habe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der identifizierenden Berichterstattung nicht bestanden, sodass der Entschädigungstatbestand nach § 7a Abs 1 MedienG verwirklicht sei.

Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht brachte die Antragsgegnerin einen am 24. Jänner 2012 beim Obersten Gerichtshof eingelangten, auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK gestützten Antrag auf Verfahrenserneuerung gemäß § 363a StPO (RIS-Justiz RS0122228) iVm § 41 Abs 1 MedienG ein.

Rechtliche Beurteilung

Die Urteile des Landesgerichts St. Pölten und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht stehen wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1. Der Entschädigungstatbestand nach § 7a Abs 1 Z 2 MedienG setzt voraus, dass durch eine identifizierende Berichterstattung über eine Person, die (hier) wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt wurde, schutzwürdige Interessen derselben verletzt werden, ohne dass wegen deren Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat. Nach § 7a Abs 2 Z 2 zweiter und dritter Fall MedienG werden schutzwürdige Interessen des Betroffenen jedenfalls verletzt, wenn die Veröffentlichung sich bloß auf ein Vergehen bezieht oder das Fortkommen des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen kann.

Aus der Fassung dieses Entschädigungstatbestands mit der unwiderleglichen gesetzlichen Präsumtion einer Interessenverletzung in den Fällen des § 7a Abs 2 MedienG folgt, dass in einem über einen Entschädigungsantrag absprechenden Urteil Feststellungen zur Anspruchsvoraussetzung einer aus der identifizierenden Berichterstattung resultierenden Verletzung schützwürdiger Interessen des Betroffenen jedenfalls und nicht nur bei Antragsstattgebung zu treffen sind. Denn Voraussetzung für eine Antragsabweisung ist demnach entweder die Verneinung eines schutzwürdigen Anonymitätsinteresses des Betroffenen oder aber die Bejahung eines dieses überwiegenden Interesses der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung der identifizierenden Angaben.

Die Abweisung des Entschädigungsantrags mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 18. April 2011 allein aus Gründen eines „besonderen“ öffentlichen Informationsinteresses ohne jegliche Urteilsannahmen zu einer Verletzung schutzwürdiger Anonymitätsinteressen des Antragstellers verletzt daher freilich zum Vorteil der Antragsgegnerin (§ 292 letzter Satz StPO iVm § 41 Abs 6 MedienG) das Gesetz.

2.1. Die vom Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht angeführten Erwägungen zu § 7a Abs 2 Z 2 zweiter und dritter Fall MedienG bieten für die rechtliche Annahme einer Verletzung schutzwürdiger Anonymitätsinteressen des Antragstellers keine tragfähige Grundlage:

Die gesetzliche Präsumtion einer Verletzung schutzwürdiger Interessen des Betroffenen im Fall des § 7a Abs 2 Z 2 zweiter Fall MedienG setzt voraus, dass sich die Veröffentlichung bloß auf ein Vergehen bezieht. Sie ist daher nicht anzuwenden, wenn wie hier neben einem Vergehenstatbestand auch ein Verbrechenstatbestand Gegenstand der Veröffentlichung ist ( Hanusch , MedienG § 7a Rz 14).

Der Verletzungstatbestand des § 7a Abs 2 Z 2 dritter Fall MedienG wonach schutzwürdige Interessen des Betroffenen jedenfalls verletzt werden, wenn die Veröffentlichung das Fortkommen desselben unverhältnismäßig beeinträchtigen kann bezieht sich zufolge der Gesetzessystematik einer alternativen Regelung (arg „oder“) gegenüber dem zuvor genannten Verletzungstatbestand nach § 7a Abs 2 Z 2 zweiter Fall MedienG auf die Fälle identifizierender Berichterstattung über nicht bloß ein Vergehen darzustellende strafbare Handlungen. Resozialisierungsinteressen eines (erwachsenen) Verurteilten an einer nicht identifizierenden Berichterstattung sind diesfalls eben anders als in Fällen einer bloßen Vergehensdelinquenz nicht absolut, sondern nur im Fall der Eignung der Veröffentlichung, das Fortkommen unverhältnismäßig zu beeinträchtigen, geschützt (vgl RIS Justiz RS0111376; RS0108482). Hiebei ist auf konkrete Tatumstände, etwa im Fall einer (wie hier vorliegenden) Berichterstattung über eine gerichtliche Verurteilung auf die berufliche und soziale Stellung des Verurteilten, die Schwere der Tat, das Ausmaß der Sanktion, den Fortschritt des Strafvollzugs und das bisherige Vorleben des Verurteilten abzustellen (vgl neuerlich RIS Justiz RS0108482; Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley¸ MedienG² § 7a Rz 22).

Der bloße, nicht näher substantiierte Hinweis des Berufungsgerichts auf ein aus der Verurteilung wegen eines Verbrechens schlechthin resultierendes Resozialisierungsinteresse des Antragstellers stellt solcherart keine taugliche Grundlage für die Verwirklichung des Verletzungstatbestands nach § 7a Abs 1 Z 2, Abs 2 Z 2 dritter Fall MedienG dar.

Die rechtliche Annahme einer Verletzung schutzwürdiger Anonymitätsinteressen des Antragstellers im Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht blieb daher insgesamt unbegründet.

2.2. Nach der gemäß § 41 Abs 1 MedienG iVm den §§ 489 Abs 1, 471 StPO auch im Verfahren über Berufungen im selbständigen Verfahren (§ 8a MedienG) anzuwendenden Bestimmung des § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO hat das Berufungsgericht, wenn es wie hier in Stattgebung einer Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO; ohne Erfordernis einer Sachverhaltsergänzung) in der Sache selbst erkennt, seiner Entscheidung die vom Erstgericht festgestellten mithin sämtliche Tatsachen zu Grunde zu legen.

Diesen Anforderungen wurde im Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht nicht entsprochen, weil es die rechtliche Annahme eines das Anonymitätsinteresse des Antragstellers nicht überwiegenden öffentlichen Interesses an der identifizierenden Berichterstattung wie eingangs dargestellt wurde im Wesentlichen bloß auf der Grundlage der erstgerichtlichen Sachverhaltsannahmen seiner Tätigkeit als Pressesprecher und parlamentarischer Mitarbeiter des B***** (vormals der F*****) ***** ohne politisches Mandat (oder statutenmäßig definierte Verantwortlichkeit für die B***** K*****) getroffen hat. Damit wurden aber die ebenfalls bereits dargelegten weiteren Urteilsfeststellungen des Landesgerichts St. Pölten zur Ausübung regionalpolitischer Tätigkeiten für das B***** K***** gänzlich außer Acht gelassen.

Diesen Sachverhaltsannahmen kommt jedoch für die nach § 7a Abs 1 MedienG nach den darin genannten Kriterien (Stellung des Antragstellers in der Öffentlichkeit, sonstiger Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben oder diesen gleichwertige andere Gründe) einzelfallbezogen zu prüfende Rechtsfrage, ob das öffentliche Interesse an der Identitätsbekanntgabe bei wertender Betrachtung als überwiegend anzusehen ist (vgl RIS Justiz RS0126523; 15 Os 161/10f), entscheidende Bedeutung zu. Denn unter dem vom Erstgericht angeführten Gesichtspunkt einer signifikanten Diskrepanz der dem Antragsteller angelasteten Vermögensdelinquenz gegenüber der Ausrichtung und den politischen Forderungen jener Partei, für welche der Antragsteller wenngleich in eingeschränktem Rahmen regionalpolitisch tätig wurde, kann ein öffentliches Informationsinteresse an der Person des gerichtlich verurteilten Antragstellers anders zu beurteilen sein (vgl RIS Justiz RS0126525; Berka in: Berka/Höhne/Noll/Polley , MedienG² § 7a Rz 28 aE).

Dies auch unter dem Gesichtspunkt der durch Art 10 Abs 2 MRK eingeschränkten Eingriffsbefugnisse in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung, das in Fällen (wie dem hier vorliegenden) einer Debatte zu Angelegenheiten von öffentlichem (allgemeinem) Interesse mit Involvierung von Personen, die in das Licht der Öffentlichkeit getreten sind („have entered the public scene“), einer Einschränkung desselben nur wenig Spielraum lässt (vgl zuletzt EGMR 10. Jänner 2012, Bsw 34702/07, Standard Verlags GmbH gegen Österreich [Nr 3], MR 2012, 7).

Das für die Antragsgegnerin, der gemäß § 41 Abs 6 zweiter Satz MedienG die Rechte des Angeklagten (vgl § 292 letzter Satz StPO) zukommen, nachteilige Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht war daher zumal dem mit Blick auf die fristgerechte Stellung des Erneuerungsantrags der Antragsgegnerin (Art 35 MRK) Art 1 des 1. ZPMRK nicht entgegensteht (RIS Justiz RS0124740, RS0124838, RS0124798 [T2]) aufzuheben und dem Oberlandesgericht Wien die neue Verhandlung und Entscheidung über die Berufung des Antragstellers gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 18. April 2011 aufzutragen.

Dabei wird die Frage einer Verletzung schutzwürdiger Anonymitätsinteressen des Antragstellers (§ 7a Abs 1 MedienG bzw § 7a Abs 2 Z 2 dritter Fall MedienG) durch entsprechende Feststellungen zu klären und gegebenenfalls auf der Grundlage der gesamten bezughabenden Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts ein derartiges Interesse gegenüber dem Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung der identifizierenden Angaben nach § 7a Abs 1 MedienG abzuwägen sein.

Mit ihrem Erneuerungsantrag war die Antragsgegnerin auf diese Entscheidung zu verweisen.

Rechtssätze
7
  • RS0124740OGH Rechtssatz

    11. März 2024·3 Entscheidungen

    Die Erneuerungsmöglichkeit (auch ohne vorangegangene EGMR-Entscheidung) bedeutet keine unzulässige Beschränkung des aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK) iVm der Präambel der Konvention abgeleiteten Anspruchs auf Rechtssicherheit, maW auf Respektierung der - nach Maßgabe nur des innerstaatlichen Rechtsschutzsystems zu beurteilenden - Rechtskraft von Entscheidungen durch den Staat selbst. In Strafsachen ist die Aufhebung eines grundrechtswidrigen Schuldspruchs des untergeordneten Strafgerichts zum Vorteil des Angeklagten stets möglich. Wurde hingegen über zivilrechtliche Ansprüche im Strafverfahren entschieden, ist die Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft grundsätzlich auch unter dem Aspekt einer iSd Art 1 des 1. ZPMRK geschützten Position zu prüfen: Bei untrennbar mit einem Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verbundenen Zusprüchen (§ 366 Abs 2 StPO) prävaliert im Strafverfahren der Schutz des Angeklagten; für den Privatbeteiligten allenfalls nachteilige Wirkungen einer Aufhebungsentscheidung wären als Schadenersatzansprüche im Amtshaftungsverfahren geltend zu machen. Wird hingegen ausnahmsweise im Strafverfahren über - vertragsautonom iSd Art 6 MRK betrachtet - zivilrechtliche, nicht akzessorische Ansprüche entschieden (§§ 6 ff, 9 f MedienG), ist die Entscheidung in der Sache, also auch die Aufhebung der Entscheidung des untergeordneten Strafgerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Antragsgegner (als zuvor am Verfahren Beteiligter) einen Erneuerungsantrag unter den oben dargestellten strikten Voraussetzungen gestellt hat, gleichviel, ob die Aufhebung in Stattgebung dieses Antrags oder einer aus dessen Anlass erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erfolgt. Lediglich bei einer nicht von einem Antrag nach § 363a StPO begleiteten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (oder einem Antrag gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO) kann von dem Ermessen iSd § 292 letzter Satz StPO nicht Gebrauch gemacht werden, während die Feststellung der zum Nachteil eines Verfahrensbeteiligten sich auswirkenden Gesetzes-(Konventions-)verletzung stets (auch zugunsten des Privatanklägers bzw Antragstellers im vorangegangenen Verfahren) möglich ist, weil durch sie die geschützte Rechtsposition eines anderen Verfahrensbeteiligten - iS etwa eines Verstoßes gegen das Verbot der reformatio in peius - nicht tangiert wird. Diese höchstgerichtliche Feststellung einer Gesetzesverletzung hat im Übrigen Bindungswirkung in einem allfälligen Amtshaftungsverfahren und ist solcherart geeignet, die Opfereigenschaft iSd Art 34 MRK zu beseitigen.