JudikaturJustiz14Os76/05s

14Os76/05s – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Juli 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juli 2005 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wagner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Csaba V***** wegen des Finanzvergehens des gewerbsmäßigen Schmuggels nach §§ 35 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG und weiterer strafbaren Handlungen, AZ 5 Ur 137/05m des Landesgerichtes Eisenstadt, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 30. Juni 2005, AZ 20 Bs 176/05m, 177/05h (ON 47 des Ur-Aktes), nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Csaba V***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 700 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

Gegen Csaba V***** ist beim Landesgericht Eisenstadt ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Finanzvergehen des gewerbsmäßigen Schmuggels nach §§ 35 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG (1.), der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG (2.) und des vorsätzlichen Eingriffs in die Rechte des Tabakmonopols nach § 44 Abs 1 lit a FinStrG (3.) anhängig. Ihm wird in der inzwischen erhobenen (ON 41), mittlerweile rechtskräftigen (ON 42a bis 45) Anklage vorgeworfen, im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Arpad K*****, Csaba A***** und Barna S***** zwischen 2. und 3. Juni 2005

1. eingangsabgabepflichtige Waren vorsätzlich vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht und der zollamtlichen Überwachung entzogen zu haben, wobei es ihnen darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, indem sie 599.800 Zigaretten der Marke Memphis aus Rumänien vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Europäischen Union nach Ungarn verbrachten und diese Waren anlässlich der Einreise nach Österreich über die Grenzkontrollstelle Nickelsdorf unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht gem § 27 Tabaksteuergesetz 1995 in das Steuergebiet der Republik Österreich einführten, wobei Csaba A***** und Barna S***** die genannten Zigaretten in Rumänien von einem bislang nicht ausgeforschten Auftraggeber ankauften, Arpad K***** und Csaba A***** diese von Rumänien in dem LKW Marke Mann Kennzeichen HR-03-MTL (RO) nach Ungarn brachten und dort Barna S***** in den LKW zusteigen ließen und Csaba V***** vor dem Grenzübertritt nach Österreich den Übergabeort mit dem bislang nicht ausgeforschten Auftraggeber in Wien telefonisch vereinbarte und nach dem Grenzübertritt des LKWs in Nickelsdorf diesen zum vereinbarten Übergabeort hinsichtlich der Zigaretten in Wien lotste;

2. durch die unter Punkt 1. angeführte Tathandlung bezüglich der dargestellten Einreise in Nickelsdorf vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt zu haben;

3. durch die unter Punkt 1. beschriebene Tathandlung zu ihrem Vorteil vorsätzlich die in den Vorschriften über das Tabakmonopol enthaltenen Gebote und Verbote hinsichtlich des Handels mit Monopolgegenständen verletzt zu haben.

Am 5. Juni 2005 verhängte die Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Eisenstadt unter anderem über Csaba V***** die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit b StPO (ON 11). Mit Beschluss vom 17. Juni 2005 wurde die betreffend Csaba V***** angeordnete Untersuchungshaft aus den Gründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 2 und 3 lit b mit Wirksamkeit bis 18. Juli 2005 fortgesetzt (ON 29).

Mit der angefochtenen Entscheidung vom 30. Juni 2005 (ON 47) gab das Oberlandesgericht Wien einer Beschwerde des Csaba V***** gegen die bezeichneten Beschlüsse auf Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft vom 5. Juni 2005 bzw vom 17. Juni 2005 nicht Folge und setzte die Haft seinerseits (ausschließlich) aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO (mit Wirksamkeit bis 30. August 2005) fort.

Das Beschwerdegericht beurteilte den in der Anklage dargestellten Sachverhalt als Tat mit schweren Folgen und bejahte die nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO vorausgesetzte Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen mit schweren Folgen im Falle einer Freilassung des Angeklagten zum Zeitpunkt der Verhängung bzw Fortsetzung der Untersuchungshaft. Die vom Erstgericht angenommene Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach der Z 3 lit b leg. cit. verneinte es; letztere zufolge Unbescholtenheit des Beschwerdeführers und mangels Verfahrensführung wegen wiederholter oder fortgesetzter strafbarer Handlungen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde ist berechtigt. Sie kritisiert die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft durch das Oberlandesgericht zufolge Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO bei Verneinung der vom Erstgericht herangezogenen Gründe nach § 180 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit b StPO als gegen Art 6 Abs 1 EMRK verstoßend und daher konventionswidrig.

Der Beschwerdeführer verkennt zunächst, dass sich die umfassende Garantie eines fairen Verfahrens nach Art 6 Abs 1 EMRK nur auf jenen Teil des Strafprozesses bezieht, in dem über eine strafrechtliche Anklage - also über Schuld oder Nichtschuld - entschieden wird (vgl Grabenwarter EMRK2 § 24 Rz 26; Vogler IntKomm Art 6 Rz 210). Im Haftprüfungsverfahren kommen lediglich die über Art 5 EMRK angesprochenen Garantien des Art 6 Abs 1 zum Tragen (vgl Renzikowski IntKomm Art 5 Rz 288; Peukert in Frowein/Peukert Art 5 Rz 143 und Art 6 Rz 52 [192]; Meyer-Ladewig Handkommentar EGMR Art 6 Rz 17; Villiger Handbuch der EMRK2 Rz 372).

Im Übrigen sehen weder Art 5 Abs 4 EMRK noch Art 4 Abs 3 und Abs 6, Art 6 PersFrSchG eine Beschränkung der richterlichen Prüfung der Haftvoraussetzungen auf die von der Anklagebehörde vorgebrachten Haftgründe vor. Vielmehr ist das zur umfassenden amtswegigen Überprüfung verpflichtete Beschwerdegericht nicht nur - wie im vorliegenden Fall - berechtigt, eine andere als die vom Erstgericht herangezogene Alternative des im § 180 Abs 2 Z 3 lit a bis c StPO zusammengefassten Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr heranzuziehen, sondern auch befugt, sich abweichend von der Entscheidung erster Instanz auf andere oder auch auf zusätzliche Haftgründe zu stützen. Denn wie vom Rechtsmittelgericht dargelegt, zählen die Haftgründe zur Entscheidungsbegründung (vgl demgegenüber 14 Os 8/02, SSt 64/14 zu § 33 ARHG, wo die Kompetenzabgrenzung gegenüber dem Bundesministerium für Justiz zu einer an § 260 StPO orientierten Sicht zwingt), welche das Oberlandesgericht seinerseits bei Ablehnung einer dagegen gerichteten Beschwerde des Angeklagten ohne Verstoß gegen die Vorschrift des § 114 Abs 4 StPO mit für den Rechtsmittelwerber nachteiligen eigenständigen und die Wertungen des Erstgerichtes verwerfenden Erwägungen ersetzen bzw ergänzen darf. Die in der Grundrechtsbeschwerde relevierte „partielle Rechtskraft" eines von der Staatsanwaltschaft unbekämpft gebliebenen erstrichterlichen Haftbeschlusses in Ansehung der darin angeführten Haftgründe tritt solcherart nicht ein (vgl 12 Os 78/00, SSt 63/104; 13 Os 76/02 mwA; Fabrizy, StPO9 § 114 Rz 5).

Davon zu unterscheiden ist allerdings - wie die Beschwerde zu Recht moniert - die Verpflichtung des Gerichtes zur Information des Angeklagten über einen erwogenen anderen, bislang nicht angenommenen Haftgrund:

Der für die Einschränkung der persönlichen Freiheit aus grundrechtlicher Sicht maßgebliche Art 5 Abs 2 EMRK (vgl auch Art 4 Abs 3 PersFrSchG) sieht ein Informationsrecht des Verhafteten innerhalb kurzer Zeit nach Festnahme vor. Dieses Informationsrecht erstreckt sich auch auf eine richterliche Prüfung der Fortdauer der Haft iSd Art 5 Abs 4 EMRK bzw Art 6 PersFrSchG als Ausfluss des in diesem Verfahren zu gewährenden rechtlichen Gehörs. Erachtet das Gericht, dass sich die Haftgründe ändern, so ist dies dem Festgenommenen mitzuteilen, damit er seine Verteidigung auf die neue Sachlage einstellen kann (vgl Renzikowski IntKomm Art 5 Rz 237; Peukert in Frowein/Peukert Art 5 Rz 103; Villiger Handbuch der EMRK2 Rz 349).

Dies entspricht im Wesentlichen der (insoweit aus Art 6 Abs 1 EMRK abgeleiteten) Pflicht des erkennenden Gerichtes, dem Angeklagten eine im Vergleich zur von der Staatsanwaltschaft in der Anklage eingenommenen rechtlichen Position in Erwägung gezogene andere rechtliche Beurteilung des angeklagten Sachverhalts im Verfahren offen zu legen (§ 262 StPO), um mit Blick auf die Fairness des Verfahrens der Verteidigung entsprechende Reaktionen darauf zu ermöglichen. Insbesondere dann, wenn sich die im Anklagetenor genannte Tathandlung von jener des Schuldspruchs in erheblichen Teilen unterscheidet, begründet eine Missachtung dieser Informationspflicht auch Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 8 StPO (vgl 14 Os 34/00, EvBl 2000/221; 12 Os 87/04; 14 Os 67/04). Gleiches gilt im Übrigen, wenn ein zugunsten des Angeklagten sprechender (in der Schuld- oder Subsumtionsfrage oder hinsichtlich der Strafbefugnisgrenze, etwa Altersangaben zur Frage der Anwendbarkeit des § 5 Z 4 JGG) erheblicher Tatumstand im gesamten Strafverfahren nie in Zweifel gezogen, dazu keine Frage gestellt und auch keinerlei Beweisverfahren abgewickelt wurde. Dann hat das Gericht, wenn es diesen gleichwohl für nicht gegeben erachtet, den Angeklagten bei sonstiger Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO (bzw § 345 Abs 1 Z 13 erster Fall iVm § 281 Abs 1 Z 5a StPO) darauf hinzuweisen. Denn nur solcherart ist dieser in der Lage, sachgerechte Anträge dazu zu stellen (vgl 12 Os 38/05p).

§ 180 Abs 1 StPO legt daher in Umsetzung dieser grundrechtlichen Vorgaben fest, dass der Beschuldigte vor der Beschlussfassung zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft und damit auch über die in Aussicht genommenen bzw von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Haftgründe zu befragen ist.

Ungeachtet des Umstands, dass Art 5 EMRK eine Überprüfung der Haftentscheidung durch eine Rechtsmittelinstanz nicht vorschreibt, sind die im Art 5 Abs 4 EMRK vorgegebenen Grundsätze auch im Beschwerdeverfahren zu beachten, wenn - wie in Österreich - ein Instanzenzug vorgesehen ist (vgl Renzikowski IntKomm Art 5 Rz 276). Auch wenn im vorliegenden Fall das Beschwerdegericht lediglich eine Variante des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr durch eine andere ersetzte, so kann doch nicht übersehen werden, dass sich die Voraussetzungen des Haftgrundes nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO von jenen der Z 3 lit b leg. cit. erheblich unterscheiden, weil sie einerseits wesentlich höhere Anforderungen stellen, andererseits keine Bedingungen betreffend die Vorstrafenbelastung oder die Zahl der deliktischen Angriffe vorsehen. Für eine effektive Verteidigung wäre es daher unabdingbar gewesen, Argumente zum Fehlen des Haftgrundes nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO vorzubringen, weil die ausschließlich auf die vom Erstgericht angenommene Tatwiederholung Bezug nehmenden Gründe, mit denen die bislang zugrunde liegende Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO bekämpft wurden, für den neuen Haftgrund nicht von Bedeutung sind.

Dass Csaba V***** bereits von der Untersuchungsrichterin anlässlich der Verhängung der Untersuchungshaft zu den Haftvoraussetzungen vernommen (S 155 ff) und bei der Entscheidung über die Fortsetzung der Untersuchungshaft angehört wurde (ohne speziell auf die Haftgründe Bezug zu nehmen; S 215) sowie überdies sein Verteidiger in der ersten Haftverhandlung zum Haftgrund nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO Stellung nehmen konnte (S 217), kann diese Informationspflicht über den vom Beschwerdegericht erwogenen neuen Haftgrund nicht ersetzen. Für den Angeklagten und seinen Verteidiger bestand nämlich nach der Verfahrenslage keine Veranlassung, sich insbesondere mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die angelastete Tat eine solche mit schweren Folgen sei und überdies eine Gefahr bestehe, er werde neuerlich solche Straftaten mit schweren Folgen begehen (vgl S 217). Das Oberlandesgericht hätte somit vor der nunmehr angefochtenen Entscheidung dem Beschwerdeführer zumindestens Gelegenheit zu einer Stellungnahme zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO geben müssen.

Csaba V***** wurde daher - entgegen der Stellungnahme des Generalprokurators - in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Da dem Obersten Gerichtshof eine abschließende Beurteilung auf Grund des vorliegenden Verfahrensmangels verwehrt ist, hat die Untersuchungsrichterin unter Beachtung der dargelegten Rechtsansicht umgehend neuerlich über die Haftfrage zu entscheiden (§ 7 GRBG; vgl 15 Os 36/05s, EvBl 2005/129, 584; 11 Os 115/04; 13 Os 160/03; 14 Os 1/00).

Die Kostenersatzpflicht des Bundes ist in § 8 GRBG begründet.

Rechtssätze
9
  • RS0120050OGH, AUSL EGMR Rechtssatz

    22. Mai 2020·3 Entscheidungen

    Der für die Einschränkung der persönlichen Freiheit aus grundrechtlicher Sicht maßgebliche Art 5 Abs 2 MRK (vgl auch Art 4 Abs 3 PersFrSchG) sieht ein Informationsrecht des Verhafteten innerhalb kurzer Zeit nach Festnahme vor. Dieses Informationsrecht erstreckt sich auch auf eine richterliche Prüfung der Fortdauer der Haft im Sinn des Art 5 Abs 4 MRK beziehungsweise Art 6 PersFrSchG als Ausfluss des in diesem Verfahren zu gewährenden rechtlichen Gehörs. Erachtet das Gericht, dass sich die Haftgründe ändern, so ist dies dem Festgenommenen mitzuteilen, damit er seine Verteidigung auf die neue Sachlage einstellen kann. Dies entspricht im Wesentlichen der (insoweit aus Art 6 Abs 1 MRK abgeleiteten) Pflicht des erkennenden Gerichts, dem Angeklagten eine im Vergleich zur von der Staatsanwaltschaft in der Anklage eingenommenen rechtlichen Position in Erwägung gezogene andere rechtliche Beurteilung des angeklagten Sachverhalts im Verfahren offen zu legen (§ 262 StPO), um mit Blick auf die Fairness des Verfahrens der Verteidigung entsprechende Reaktionen darauf zu ermöglichen. § 180 Abs 1 StPO legt daher in Umsetzung dieser grundrechtlichen Vorgaben fest, dass der Beschuldigte vor der Beschlussfassung zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft und damit auch über die in Aussicht genommenen beziehungsweise von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Haftgründe zu befragen ist. Ungeachtet des Umstands, dass Art 5 MRK eine Überprüfung der Haftentscheidung durch eine Rechtsmittelinstanz nicht vorschreibt, sind die im Art 5 Abs 4 MRK vorgegebenen Grundsätze auch im Beschwerdeverfahren zu beachten, wenn - wie in Österreich - ein Instanzenzug vorgesehen ist. Dies auch, wenn das Beschwerdegericht lediglich eine Variante des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr durch eine andere zu ersetzen beabsichtigt.

  • RS0116269OGH Rechtssatz

    06. September 2007·3 Entscheidungen

    Aus der Kompetenz des Strafgerichtes, bei seiner Entscheidung über die Zulässigkeit einer Auslieferung über notwendige Bedingungen für deren Bewilligung zu befinden, folgt nicht, dass jedes nach österreichischem Recht einer Auslieferung entgegenstehende Auslieferungshindernis in dessen Zuständigkeitsbereich fällt. Die Abgrenzung von gerichtlicher und verwaltungsberhördlicher Zuständigkeit ist, soweit in zwischenstaatlichen Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist (§ 1 ARHG), nach Maßgabe der für die Zulässigkeit der Auslieferung im ARHG geltenden Kriterien vorzunehmen (§§ 10 bis 23 und 25 Abs 1, 2 und 4 ARHG). Da der Erste Abschnitt des II. Hauptstücks des ARHG die Frage nach dem Erfordernis einer Garantie des in Österreich im Verfassungsrang stehenden Grundrechtes nach Art 2 Abs 1 des 7.ZPMRK nicht der vom Strafgericht zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung (§ 33 Abs 1 ARHG) zuweist, eine planwidrige Kompetenzlücke aber mit Blick auf die ausdrückliche Nennung nur einzelner Grundrechte der MRK und ihrer Zusatzprotokolle im Umkehrschluss verneint werden muss, hatte das Oberlandesgericht die Beantwortung dieser Frage dem Bundesminister für Justiz als Organ der Verwaltung zu überlassen (Art 94 B-VG). Ein nach § 33 ARHG gefasster Beschluss des Gerichtshofes II. Instanz erklärt die Auslieferung nur insoweit für unzulässig, als dies in Hinsicht auf konkret zu bezeichnende (vgl § 260 Abs 1 Z 1 StPO), dem Ersuchen zugrundeliegende Handlungen des Auszuliefernden aus (jeweils) einem oder mehreren, gleichermaßen bestimmt zu nennenden Gründen geschieht, vergleichbar einem Schuldspruch, bei dem jene als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren der Angeklagte schuldig befunden worden ist, einzelnen als strafbare Handlungen bezeichneten rechtlichen Kategorien zugeordnet werden, ohne welchen Ausspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) kein Schuldspruch ergeht. Soweit daher der Gerichtshof II. Instanz Handlungen oder Auslieferungshindernisse in seinem nach § 33 Abs 1 ARHG gefassten Beschluss nicht bedenkt, hat er die Auslieferung folgerichtig nicht für unzulässig erklärt.

  • RS0113755OGH Rechtssatz

    11. März 2024·3 Entscheidungen

    Beurteilt ein Gericht nicht nur die im Anklagetenor genannte Tat in rechtlicher Hinsicht abweichend von der Anklage, spricht es den Angeklagten vielmehr - wenngleich ohne Abgehen von dem der Anklage (als Gesamtheit) zugrunde liegenden Sachverhalt - statt der im Anklagetenor genannten Tat einer anderen Tat schuldig, muss mit Blick auf die Fairness des Verfahrens zugunsten des Angeklagten dem Schutzzweck des § 262 StPO zuvor entsprochen worden sein. Dabei steht die strikte Einhaltung der von § 262 StPO beschriebenen Form als solche nicht unter der Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs 1 Z 8 StPO. So wird etwa eine abweichende Beurteilung durch den Ankläger in der Hauptverhandlung dem grundrechtlich geschützten Ziel, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu verfügen (Art 6 Abs 3 lit b MRK), durchaus gerecht, weil es dem Angeklagten solcherart offensteht, sich dazu zu äußern sowie Fragen und Anträge zu seiner Verteidigung zu stellen, deren Missachtung einen Verfahrensmangel (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) begründen kann. Die in einer - danach mehrfach wegen Zeitablaufes und Richterwechsels (§ 276a StPO) wiederholten - Hauptverhandlung gestellte Frage des Vorsitzenden (§ 245 Abs 1 erster Satz StPO): "Haben sie in Österreich Zigaretten erworben, bei denen die Eingangsabgaben nicht bezahlt waren?" für sich allein genügt aber nicht.