JudikaturJustiz14Os115/21z

14Os115/21z – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Januar 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Jänner 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Frank in der Strafsache gegen P* K* und eine Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten W* K* sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 29. Juni 2021, GZ 24 Hv 17/21p-172, weiters den Antrag dieser Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu α/II und zu β/A/II, weiters in der Subsumtion der vom Schuldspruch zu α/I erfassten Taten (auch) nach § 148 zweiter Fall StGB und in der dazu gebildeten Subsumtionseinheit, demgemäß auch in den beiden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie im Konfiskationserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagte W* K* und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dieser Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung – P* K* (zu α/I) und W* K* (zu α/II iVm § 12 dritter Fall StGB) jeweils des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach (richtig) §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB sowie Ersterer (zu β) mehrerer Vergehen, Letztere (zu β/B) eines Vergehens der Datenfälschung nach § 225a StGB schuldig erkannt.

[2] Danach haben in S*

α/ mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schwerem Betrug (vgl US 32) längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, Personen durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet oder zu verleiten versucht, welche diese in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten oder schädigen sollten, und zwar

I/ P* K*

A/ vom 4. Juli 2017 bis zum 13. Dezember 2018 vielfach unter Benutzung falscher Daten, nämlich „Alias Identitäten“, bei Online-Bestellungen Mitarbeiter im angefochtenen Urteil einzeln angeführter Unternehmen durch die Vorgabe, ein zahlungsfähiger und -williger Kunde zu sein, zur (im Urteil konkretisierten) Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen im Gesamtwert von mehr als 27.000 Euro,

B/ am 17. Dezember 2017 (1) und am 19. Oktober 2016 (2) jeweils unter erfundenen Namen und durch die Vorgabe, von ihm angebotene Waren (einen Kfz Motor [1] und Alufelgen [2]) tatsächlich liefern zu können, zwei namentlich genannte Interessenten zur Überweisung von insgesamt 1.690 Euro auf ein Paypal-Konto;

II/ W* K*, indem sie zu den von α/I/A erfassten strafbaren Handlungen dadurch beigetragen hat (§ 12 dritter Fall StGB), dass sie P* K* „in seinem betrügerischen Vorgehen zumindest psychisch bestärkte bzw. dieses guthieß“;

β/A/II/ P* K* falsche Daten mit dem Vorsatz hergestellt, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, dass nämlich „der Magistrat Graz Aussteller von zwei Meldezetteln, lautend auf P* K* und W* K*“, jeweils mit im angefochtenen Urteil näher bezeichneter Meldeadresse sei, gebraucht würden, indem er im Oktober 2018 „falsche Meldezettel am PC herstellte und diese per E-Mail an die Mag. E* GmbH übermittelte“.

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung:

Rechtliche Beurteilung

[3] Mit am 2. Juli 2021 eingebrachtem Schriftsatz meldete W* K* (rechtzeitig) Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Zugleich informierte ihr Wahlverteidiger über die Auflösung seiner Vollmacht (ON 174).

[4] Eine Urteilsausfertigung wurde der mittlerweile beigegebenen Verfahrenshilfeverteidigerin der Angeklagten W* K* am 6. August 2021 zugestellt. Die vierwöchige Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel endete daher mit Ablauf des 3. September 2021.

[5] Mit Bescheid der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 8. September 2021 erfolgte eine Umbestellung des Verfahrenshilfeverteidigers für W* K* (ON 183).

[6] Mit am 16. September 2021 beim Landesgericht für Strafsachen Graz eingebrachtem Schriftsatz stellte W* K* im Wege ihres nunmehrigen Verfahrenshilfeverteidigers den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der von ihr angemeldeten Rechtsmittel.

[7] Die Wiedereinsetzung war – ohne inhaltliche Erörterung des Antragsvorbringens – schon deshalb nicht zu bewilligen, weil die versäumte schriftliche Verfahrenshandlung nicht zugleich mit dem Antrag nachgeholt wurde (§ 364 Abs 1 Z 3 StPO; RIS Justiz RS0101314 [T1]; Lewisch , WK StPO § 364 Rz 45). Die zugleich vorgenommene Stellung eines Antrags im Sinn des § 285 Abs 2 und 3 StPO entspricht diesem Erfordernis nicht.

[8] Da W* K* weder bei der Anmeldung noch innerhalb der vierwöchigen Ausführungsfrist Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet hat, war ihre Nichtigkeitsbeschwerde – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 iVm § 285a Z 2 StPO).

Zur amtswegigen Maßnahme:

[9] Aus Anlass der von W* K* (verspätet) ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das angefochtene Urteil mehrfach Rechtsfehler (Z 9 lit a, 10 und 11 erster Fall) zum Nachteil der beiden Angeklagten aufweist, die von Amts wegen aufzugreifen waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[10] Dem Schuldspruch zu α/II liegt die (rechtliche) Annahme zugrunde, W* K* habe sich an den strafbaren Handlungen ihres Sohnes P* K* durch sonstigen Beitrag (§ 12 dritter Fall StGB) beteiligt. Dem Urteilssachverhalt ist dazu lediglich zu entnehmen, dass diese Angeklagte „den Erstangeklagten psychisch bestärkte und sein Verhalten guthieß“ (US 33 iVm US 37). Diese Passage lässt den erforderlichen Sachverhaltsbezug von Feststellungen vermissen, zumal sich die Entscheidungsgründe ansonsten großteils (US 19 bis 31) in wörtlicher Wiederholung des Referats der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) erschöpfen und keine nähere Beschreibung des in diesem Zusammenhang der Angeklagten angelasteten Verhaltens enthalten (RIS-Justiz RS0119090 [insbesondere auch T4]; vgl [grundlegend zur Unterscheidung von Erkenntnis und Entscheidungsgründen] Ratz , WK-StPO § 281 Rz 265 ff). Hinzu kommt, dass sich das Erstgericht mit der – in derartigen Fällen eines psychischen Beitrags streng zu prüfenden ( Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 90; vgl RIS-Justiz RS0090508 [insbesondere T4 und T5]) – Kausalität vorgeworfener Unterstützungshandlungen nicht erkennbar auseinandergesetzt und einen darauf bezogenen Vorsatz der Angeklagten nicht festgestellt hat (vgl aber RIS-Justiz RS0132644). Aus dem Verweis auf eine Abschrift deren Tagebuchs (US 37 iVm ON 144 S 619 ff) ist zur Ausdeutung des Urteils nichts zu gewinnen (vgl dazu Ratz , WK-StPO § 281 Rz 19), weil diesem Beweismittel keine konkreten Aussagen zu einem aktiven, die strafbaren Handlungen des Mitangeklagten fördernden Verhalten der Beschwerdeführerin zu entnehmen sind.

[11] Überdies stellten die Tatrichter in Bezug auf die Subsumtion nach § 148 zweiter Fall StGB zu W* K* bloß fest, diese habe gewusst, dass der Mitangeklagte die Absicht gehabt habe, „sich durch die wiederkehrende Begehung von Betrugshandlungen unter der Benützung von falschen Daten, wie den oben genannten, eine längere Zeit hindurch von zumindest 14 Monaten ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen von zumindest EUR 400 monatlich zu verschaffen“ (US 34). Ein solches Wissen um die gewerbsmäßige Tendenz eines anderen Beteiligten reicht jedoch für diese Subsumtion hinsichtlich der Angeklagten schon deshalb nicht hin, weil Gewerbsmäßigkeit nur den belastet, in dessen Person dieses Merkmal (zur Gänze [also insbesondere auch in der auf eigene Bereicherung gerichteten Absicht]) vorliegt (RIS Justiz RS0089670; Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 70 Rz 19).

[12] Bei P* K* wurde die Konstatierung zur von diesem angestrebten Höhe des monatlichen (kriminellen) Einkommens wortgleich getroffen (US 32) und trägt demnach die Subsumtion nach § 148 zweiter Fall StGB ebenso wenig, weil diese nach dem klaren Gesetzeswortlaut (§ 70 Abs 2 StGB) ein im Durchschnitt die Grenze von monatlich 400 Euro übersteigendes Einkommen voraussetzt.

[13] Auch zum Schuldspruch zu β/A/II/ erschöpfen sich die Entscheidungsgründe hinsichtlich des vom Tatbestand geforderten erweiterten Vorsatzes ( Reindl-Krauskopf in WK 2 StGB § 225a Rz 12 und 20 ff) in der substanzlosen Wiedergabe der verba legalia (US 34). Inwieweit P* K* mit der Übermittlung der digital verfälschten Urkunden per E Mail eine Verwendung im Rechtsverkehr, also eine rechtserhebliche Täuschung über Tatsachen (näher dazu Kienapfel/Schroll in WK 2 StGB § 223 Rz 37 f und 229; vgl [zu § 223 StGB] RIS Justiz RS0095812, RS0094513), intendierte, ist dem Urteilssachverhalt nicht ansatzweise zu entnehmen, zumal das (rechtlich relevante) Verhältnis zum Adressaten nicht dargestellt wird (erneut RIS Justiz RS0119090).

[14] Schließlich entbehrt auch das Konfiskationserkenntnis einer ausreichenden Sachverhaltsgrundlage. Zur Voraussetzung des Eigentums des Täters an den betroffenen Gegenständen im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz (vgl § 19a Abs 1 StGB) enthalten die Entscheidungsgründe eine für den erkennenden Senat nicht aufzulösende Undeutlichkeit (RIS-Justiz RS0133376). Während einerseits eine Verwendung zur Tatbegehung der „zum Zeitpunkt der Tat“ im Eigentum des P* K* stehenden Gegenstände konstatiert wird (US 32), wird an anderer Stelle (US 39) dessen Eigentum „zur Zeit der Entscheidung erster Instanz“ bejaht. Zudem wird die Voraussetzung einer Verwendung der Gegenstände zur Begehung der abgeurteilten Straftaten abermals ohne nähere Beschreibung des inkriminierten Verhaltens, mithin ohne Sachverhaltsbezug, schlicht angenommen. Ein eindeutiger Feststellungswille (vgl RIS-Justiz RS0117228) ist hier auch deshalb nicht auszumachen, weil schon die Beschreibung der konfiszierten Gegenstände eine Eignung zur tatspezifischen Verwendung teils nicht erkennen lässt (vgl etwa „Kuverts lautend auf unterschiedliche Alias-Namen mit Inhalt, Rechnungen, Lieferscheine, Mahnungen, Inkasso“ oder „Kuvert mit: 'Ignaz Semmelweis', 1 Gramm polierte Goldplatte“ [US 16 f und wortgleich US 32 f]).

[15] Das Urteil war daher – wiederum in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§§ 285e, 290 StPO).

[16] Mit ihren Berufungen waren die Angeklagte W* K* und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

[17] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Die Ersatzpflicht erstreckt sich nicht auf die mit der amtswegigen Maßnahme verbundenen Kosten (RIS Justiz RS0101558).

[18] Die Subsumtionseinheit nach § 29 StGB wird hinsichtlich aller den Angeklagten letztlich zur Last liegenden Betrugstaten neu zu bilden sein (RIS-Justiz RS0116734).

[19] Im Fall eines neuerlichen Ausspruchs der Konfiskation wird die gemäß § 19a Abs 2 StGB vorgeschriebene Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen sein.

Rechtssätze
8
  • RS0089670OGH Rechtssatz

    15. November 2023·3 Entscheidungen

    Gewerbsmäßig begeht eine strafbare Handlung derjenige, der sie in der Absicht vornimmt, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Fremdnützigkeit, also das Abzielen auf eine fortlaufende Einnahme eines anderen, sei es eines Beteiligten (§ 12 StGB), sei es eines strafrechtlich unbeteiligten Dritten, genügt daher nicht; noch viel weniger die bloße Kenntnis davon, dass ein Beteiligter gewerbsmäßig handelt. Die Gewerbsmäßigkeit belastet immer nur denjenigen, in dessen Person dieses Merkmal vorliegt. Für dieses Ergebnis ist es gleichgültig, ob man die Gewerbsmäßigkeit dem Unrechtstatbestand oder der Schuld zurechnet. Im ersten Fall fehlt es in Ansehung des nicht auf eigene Einnahmen abzielenden Täters an einem subjektiven (Unrechtstatbestandsmerkmal) Tatbestandsmerkmal, im anderen ist ihm die Gewerbsmäßigkeit mangels eines ihn insoweit treffenden Schuldvorwurfes zufolge § 13 StGB nicht zuzurechnen, weshalb dieser Meinungsstreit für die Frage der Gewerbsmäßigkeit bei Mehrbeteiligung ohne jede Bedeutung ist. Die nur auf Sonderdelikte zugeschnittene Zurechnungsregel des § 14 StGB kommt in diesem Zusammenhang nicht zur Geltung, weil gewerbsmäßiges Handeln weder eine persönliche Eigenschaft noch ein besonderes persönliches Verhältnis des Täters darstellt, worunter nämlich nur solche Eigenschaften und Verhältnisse zu verstehen sind, die in seiner Person unabhängig vom Tatgeschehen vorliegen. Deliktstypisch vorausgesetzte bestimmte Motive oder Gesinnungen des Täters bei der Tat fallen nicht darunter.