JudikaturJustiz13Os30/06w

13Os30/06w – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Juni 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juni 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll, Mag. Hetlinger und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richterin im Evidenzbüro Dr. Kropiunig als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Rudolf T***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 StGB über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Neusiedl am See vom 10. August 2005, GZ 8 U 1/04i-7, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiß, jedoch in Abwesenheit des Privatanklägers Mag. Dr. Hans Schwanzer sowie des Angeklagten Dr. Rudolf Tobler jun., zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Bezirksgerichtes Neusiedl am See vom 10. August 2005, GZ 8 U 1/04i-7, mit dem das Strafverfahren gegen Dr. Rudolf T***** ohne Entscheidung über die Verpflichtung zum Kostenersatz eingestellt wurde, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 46 Abs 3 und 390 Abs 1 StPO.

Text

Gründe:

Am 7. Jänner 2004 langte beim Bezirksgericht Neusiedl am See zu AZ 8 U 1/04i eine (an dieses Gericht adressierte und ausdrücklich als solche bezeichnete) Privatanklage des Mag. Dr. Hans S***** gegen Dr. Rudolf T***** jun., Rechtsanwalt in Neusiedl am See, „wegen § 111 StGB" ein.

Darin führte der Privatankläger unter Wiedergabe der von ihm inkriminierten Textpassagen aus, am 27. November 2003 (somit innerhalb der sechswöchigen Frist des § 46 Abs 1 StPO) anlässlich der Zustellung einer Ladung zu 8 U 83/03x (zu ergänzen: des Bezirksgerichtes Neusiedl am See), einem Verfahren, in dem der hier Beschuldigte eine Privatanklage gegen Mag. Dr. Hans S***** eingebracht habe, Kenntnis erlangt zu haben, dass ihm von Rechtsanwalt Dr. Hans T***** jun in einem Schriftsatz vom 7. Mai 2003 „wissentlich und absichtlich falsch, breit aufgefächert sittenwidriges Verhalten (auch iSd § 1295 Abs 2 ABGB) vorgeworfen" werde, womit „der Tatbestand des § 111 StGB erfüllt" sei. Die (ansonsten Erörterungen über die inkriminierten Textstellen und umfangreiche Beweisanbote enthaltende) Privatanklage schließt mit dem Antrag auf „Anberaumung einer Hauptverhandlung und Bestrafung des Beschuldigten" (ON 1).

Nach Durchführung einer Hauptverhandlung, die - nach Erörterung eines Aktenvermerks des Beschuldigten vom 7. Mai 2003 - ohne Eingehen in die Sache mit Zustimmung der Parteien „bis zur Entscheidung des hg Verfahrens 8 U 83/03x" auf unbestimmte Zeit vertagt wurde (ON 6), fasste das Bezirksgericht Neusiedl am See am 10. August 2005 einen Beschluss auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 46 Abs 3 StPO. In der Begründung führte das Gericht sinngemäß und zusammengefasst aus, die vom Privatankläger während offener Frist eingebrachte Privatanklage erfülle die gesetzlichen Voraussetzungen einer Anklageschrift bzw eines Antrags auf Bestrafung nicht, weil sie weder die Benennung der strafbaren Handlung, noch die bei der materiell-rechtlichen Subsumtion anzuwendenden Gesetzesstellen, sondern bloß die Formulierung, „der Tatbestand des § 111 StGB sei erfüllt", ohne Präzisierung, ob die Bestrafung wegen Abs 1 oder Abs 2 dieser Gesetzesstelle beantragt werde (§ 207 Abs 2 Z 3 StPO), enthalte und überdies das Gericht nicht bezeichne, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden solle (§ 207 Abs 2 Z 4 StPO), sondern das Bezirksgericht Neusiedl am See nur als Adressat des Schriftsatzes nenne.

Demnach habe der Privatankläger „innerhalb der sechswöchigen Frist weder einen Antrag auf Einleitung von Vorerhebungen noch einen den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechenden Antrag auf Bestrafung eingebracht", weshalb gemäß § 46 Abs 3 StPO ein Verfolgungsrücktritt des Privatanklägers anzunehmen sei.

Dieser Beschluss, der eine Kostenentscheidung nicht enthält, wurde zwar beiden Verfahrensparteien (die in der Folge dagegen keine Beschwerde erhoben), nicht aber dem öffentlichen Ankläger zugestellt. Mit Verfügung vom 13. September 2004 stellte das Bezirksgericht Neusiedl am See sodann den Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses fest und ordnete die Ablegung des Aktes an (AS 39).

Rechtliche Beurteilung

Der Einstellungsbeschluss steht - wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - in zweifacher Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

I./ Gemäß § 46 Abs 3 StPO wird angenommen, dass der Privatankläger von der Verfolgung zurückgetreten sei, wenn er es unterlassen hat, innerhalb der gesetzlichen Frist die Anklageschrift oder die sonst zur Aufrechterhaltung der Anklage erforderlichen Anträge (worunter nur solche nach §§ 112 Abs 2, 211, 261 Abs 2, 263 Abs 4 und 315 Abs 1 StPO zu verstehen sind; vgl Fabrizy, StPO9 § 46 Rz 11) einzubringen, zur Hauptverhandlung nicht erschienen ist oder es in der Hauptverhandlung unterlassen hat, die Schlussanträge zu stellen. In diesen Fällen ist das Verfahren durch Beschluss einzustellen. Liegt demgegenüber ein vom öffentlichen Ankläger oder einem Privatankläger beim Bezirksgericht eingebrachter schriftlicher Bestrafungsantrag vor, der aufgrund der durch das Strafprozessänderungsgesetz 1993, BGBl Nr. 526, erfolgten Novellierung des § 451 Abs 1 StPO seit 1. April 1994 - unabhängig von der Person des Anklägers - die in § 207 Abs 2 Z 1 bis 4 StPO angeführten Angaben sowie die Anführung der Beweismittel, denen sich der Ankläger bedienen will, zu enthalten hat (§ 451 Abs 1 zweiter und dritter Satz StPO), sieht das Gesetz (allgemein) eine Einstellung des Verfahrens nur vor, wenn die dem Antrag zugrundeliegende Tat vom Gesetz nicht mit Strafe bedroht ist oder Umstände vorliegen, durch die die Strafbarkeit der Tat aufgehoben oder die Verfolgung der Tat ausgeschlossen ist (§ 451 Abs 2 StPO).

Indem das Bezirksgericht Neusiedl am See bloß das Fehlen von in § 451 Abs 1 zweiter Satz iVm § 207 Abs 2 Z 3 und 4 StPO geforderten Angaben in der als fristgerecht eingebracht angesehenen Privatanklage als Grund für die Einstellung des Verfahrens angeführt hat, hat es inhaltlich keinen der zur Verfahrenseinstellung führenden Fälle des § 46 Abs 3 StPO (oder § 451 Abs 2 StPO), sondern vielmehr das Vorliegen von Formgebrechen des Antrags auf Bestrafung bejaht und diesen deshalb durch Einstellung des Verfahrens endgültig beseitigt. Während die Außerachtlassung der hinsichtlich der Einbringung der Anklageschrift in § 207 StPO und in Bezug auf den Inhalt des das Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz einleitenden Antrags des Anklägers auf Bestrafung in § 484 StPO erteilten Vorschriften, unter der Voraussetzung eines vom Beschuldigten erhobenen Anklageeinspruchs gemäß § 211 StPO oder von Amts wegen gemäß § 486 Abs 2 iVm § 485 Abs 1 Z 3 StPO die Verbesserung des Verfahrens durch vorläufige Zurückweisung der Anklage bzw des Antrags auf Bestrafung, nicht aber die in §§ 213 Abs 1 und 486 Abs 3 StPO vorgesehene Einstellung des Verfahrens nach sich ziehen kann, enthält das Gesetz - trotz der nahezu wortgleichen Übernahme der Formerfordernisse des § 484 Abs 1 erster und zweiter Satz StPO mit dem Strafprozessänderungsgesetz 1993 - keine ausdrückliche Regelung über das Vorgehen bei Formgebrechen des beim Bezirksgericht eingebrachten Antrags auf Bestrafung. Die vom Erstgericht sinngemäß angestellte Interpretation dieses Schweigens des Gesetzgebers, aus dem Verstoß gegen die Formvorschrift des § 451 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 207 Abs 2 Z 3 und Z 4 StPO sei die Vermutung des Verfolgungsrücktrittes des Privatanklägers gemäß § 46 Abs 3 StPO abzuleiten, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage.

Anstatt in der Hauptverhandlung vom 24. März 2004 den (mangels einer vorangegangenen Verhandlung) entbehrlichen (sinnstörenden) Beschluss auf „Neudurchführung wegen Verstreichung der Monatsfrist des § 276a StPO" zu fassen (AS 33), wäre der Privatankläger Mag. Dr. Hans S***** im Übrigen vielmehr zum Vortrag der Anklage (§ 457 StPO) einzuladen gewesen, bei welcher Gelegenheit ihn der Richter auch zur Vornahme der für erforderlich erachteten Verbesserungen hätte auffordern können.

Anzumerken bleibt, dass das Bezirksgericht Neusiedl am See auch ohne Verbesserung der im Einstellungsbeschluss bezeichneten Formfehler über die Privatanklage materiell hätte entscheiden können:

Die nach der Z 3 des § 207 Abs 2 StPO vorgeschriebene „gesetzliche Benennung der strafbaren Handlung oder Handlungen, auf welche die Anklage gerichtet ist (hier fehlend: „Vergehen der üblen Nachrede") sowie die gleichfalls vorgeschriebene „Anführung der Stellen des Strafgesetzes, deren Anwendung beantragt wird" (hier nur § 111 StGB; nach Ansicht des Bezirksgerichtes Neusiedl am See wäre zudem anzuführen gewesen, ob die Anwendung des Abs 1 oder des Abs 2 leg cit beantragt wird) dient - wie sich schon aus dem letzten Halbsatz dieser Bestimmung ergibt - der Festlegung der sachlichen Zuständigkeit. Denn das Gericht hat sich bei Urteilsfällung zwar auf den unter Anklage gestellten Vorfall zu beschränken, ist an die Rechtsansicht der Anklage jedoch nicht gebunden (§ 267 StPO). Die sachliche Zuständigkeit des Bezirksgerichtes zur Entscheidung über die vom Privatankläger Mag. Dr. Hans S***** „nach § 111 StGB" inkriminierte Straftat stand aber im Hinblick auf die in Abs 1 und Abs 2 leg cit vorgesehenen Strafdrohungen nie in Zweifel (§ 9 Abs 1 Z 1 StPO); das Vorliegen eines die sachliche Zuständigkeit ändernden (§ 41 Abs 2 MedienG) Medieninhaltsdeliktes wurde nicht behauptet. Weiters geht entgegen der vorliegenden Beschlussbegründung die „Angabe des Gerichtes, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll" (§ 207 Abs 2 Z 4 StPO) ohnehin unmissverständlich aus der Benennung des Bezirksgerichtes Neusiedl am See als Adressat der unter anderem die Anträge auf Anberaumung der Hauptverhandlung und auf Bestrafung des Beschuldigten enthaltenden Privatanklage hervor (ON 1). II./ Gemäß § 390 Abs 1 StPO sind, wenn das Strafverfahren auf andere Weise als durch ein verurteilendes Erkenntnis beendigt wird, die Kosten in der Regel vom Bund zu tragen. Soweit aber das Strafverfahren auf Begehren eines Privatanklägers oder gemäß § 48 StPO lediglich auf Antrag des Privatbeteiligten stattgefunden hat, ist diesen (mit der in § 390 Abs 1 letzter Satz StPO hinsichtlich des Privatbeteiligten genannten Ausnahme) der Ersatz aller infolge ihres Einschreitens aufgelaufenen Kosten in der das Verfahren für die Instanz erledigenden Entscheidung aufzutragen.

Demgemäß ist der Privatankläger immer dann zum Kostenersatz zu verpflichten, wenn das Privatanklageverfahren anders als durch eine Verurteilung, etwa durch einen Einstellungsbeschluss (RZ 1986/10, EvBl 1963/352 zu § 46 Abs 3 StPO; S. Mayer, Commentar § 390 Rz 10 f; Lohsing/Serini, Strafprozessrecht4, 513 f; Roeder, Lehrbuch des österreichischen Strafverfahrensrechtes2, 338; Bertel/Venier, Strafprozessrecht8 Rz 1109), beendet wird. Diese Verpflichtung kann in einer späteren Entscheidung nicht nachgetragen werden (Lendl, WK-StPO § 390 Rz 6 mwN).

Da im hier in Rede stehenden Einstellungsbeschluss ein solcher Kostenausspruch unterblieb, verletzt dieser Beschluss das Gesetz auch in der Bestimmung des § 390 Abs 1 StPO.

Allerdings ist dieser, von den Verfahrensparteien nicht angefochtene Einstellungsbeschluss - der Verfügung vom 13. September 2005 (AS 39) zuwider - im Umfang der unterbliebenen Grundsatzentscheidung über die Kostentragungspflicht noch nicht in Rechtskraft erwachsen. Gemäß der nicht nach einzelnen Verfahrensarten (Offizial-, Subsidiar- und Privatanklageverfahren) differenzierenden Regelung des § 392 Abs 1 StPO hat nämlich auch der öffentliche Ankläger grundsätzlich das Recht, die Kostenentscheidung (auch mit Wirkung für die in § 381 Abs 1 Z 7 und Z 8 StPO genannten Vertretungskosten und Gerichtsgebühren) anzufechten. Hat er - wie hier - von der das Privatanklageverfahren beendigenden Entscheidung keine Kenntnis erlangt, beginnt für ihn die Rechtsmittelfrist erst ab Zustellung des Einstellungsbeschlusses (oder Urteiles) an ihn zu laufen (14 Os 142/04 mwN). Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher Folge zu geben und die Gesetzesverletzung aufzuzeigen.

Rechtssätze
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