JudikaturJustiz12Os90/08i

12Os90/08i – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Juli 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juli 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Lässig, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Esad M***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichts Güssing vom 12. Dezember 2005, GZ 1 U 13/05z-17, sowie einen weiteren Vorgang nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten Esad M***** zu Recht erkannt:

Spruch

Im Strafverfahren AZ 1 U 13/05z des Bezirksgerichts Güssing verletzen

1. das Urteil vom 12. Dezember 2005 im Schuldspruch des Esad M***** wegen des Vergehens der Verletzung des Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB in Ansehung der Tatzeiträume Jänner 2004 bis 18. April 2004, Juli und August 2004 sowie Jänner 2005 bis September 2005 die Bestimmung des § 198 Abs 1 StGB und hinsichtlich des Zeitraums Jänner 2005 bis 12. Dezember 2005 den in §§ 451 Abs 1 letzter Satz, 454 und 459 StPO aF zum Ausdruck gebrachten Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK;

2. die Unterlassung der Aufnahme des Spruchs des am 12. Dezember 2005 verkündeten Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 und Z 2 StPO bezeichneten Angaben in das Hauptverhandlungsprotokoll die Bestimmungen der §§ 458 Abs 5 iVm 271 Abs 1 Z 7 StPO. Das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, wird in den die Zeiträume Jänner 2004 bis 18. April 2004, Juli und August 2004 sowie Jänner 2005 bis 12. Dezember 2005 betreffenden Teilen des Schuldspruchs und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache an das Bezirksgericht Güssing zu neuer Verhandlung und Entscheidung in diesem Umfang verwiesen.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren AZ 1 U 13/05z des Bezirksgerichts Güssing wurde Esad M***** mit Antrag auf Bestrafung der Staatsanwaltschaft Eisenstadt vom 28. Jänner 2005 (ON 5) das Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB betreffend den Zeitraum Jänner 2004 bis Jänner 2005 zur Last gelegt.

In der gemäß § 459 StPO aF in Abwesenheit des - ordnungsgemäß geladenen (S 100) - Beschuldigten durchgeführten Hauptverhandlung vom 12. Dezember 2005 wurde der Tatzeitraum vom Bezirksanwalt bis zum Tag der Hauptverhandlung ausgedehnt (S 101) und Esad M***** im Sinne des ausgedehnten Bestrafungsantrags mit Abwesenheitsurteil schuldig erkannt (ON 17).

Auch zum Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über das angemeldete, aber nicht ausgeführte Rechtsmittel erschien der Angeklagte trotz gesetzmäßiger Ladung (S 114) nicht. Mit Urteil vom 10. April 2006, AZ 10 Bl 3/06f, gab das Landesgericht Eisenstadt der Berufung nicht Folge (ON 21).

Rechtliche Beurteilung

Diese Vorgänge stehen - wie die Generalprokuratur in der von ihr erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach den Annahmen des Urteils erster Instanz war Esad M***** seit 19. April 2004 als Maler beschäftigt und bezog ein Einkommen von 1.150 EUR monatlich (S 107). Konstatierungen über seine - nach dem Akteninhalt zumindest hinsichtlich der vollen Unterhaltshöhe fragliche (S 27) - Leistungsfähigkeit für den Zeitraum Jänner 2004 bis 18. April 2004 wurden nicht getroffen.

Weiters stellte das Erstgericht fest, Esad M***** habe nur im Juli und August 2004 Teilzahlungen an Unterhalt geleistet und von Jänner 2005 bis September 2005 pro Kind insgesamt 1.125,84 EUR bezahlt (S 107). Ob diese Zahlungen - gegebenenfalls unter Angabe eines Zahlungszwecks - freiwillig oder erst im Exekutionswege geleistet wurden (siehe S 27 und 95), lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Damit fehlt es einerseits - hinsichtlich des Zeitraums Jänner 2004 bis 18. April 2004 - an ausreichenden Konstatierungen zum (ungeschriebenen) Tatbestandsmerkmal der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (vgl Markel in WK2 § 198 [2007] Rz 49 ff; RIS-Justiz RS0095102) und andererseits an Feststellungen dazu, ob die geschuldeten Unterhaltsbeiträge für einzelne Monate durch die geleisteten Zahlungen abgedeckt worden sind. Allfällige freiwillige, ungewidmete Zahlungen sind nämlich auf die dem Schuldner beschwerlichste, demgemäß idR die mit Strafsanktion bewehrte Schuld anzurechnen (RIS-Justiz RS0033497). Kein Raum bleibt für die Anwendung dieser Zweifelsregel hingegen in Bezug auf Exekutionsverfahren, wo aufgrund eines Exekutionstitels eine exakt determinierte Forderung betrieben wird, also gerade kein Zweifel darüber besteht, welche Schuld die dabei realisierten Beträge tilgen sollen (12 Os 9/07a). Denkbar wäre allerdings die Beeinträchtigung der - durch entsprechende Konstatierungen zu klärenden - Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (hiezu Markel in WK2 § 198 Rz 7-14) durch anhängige Exekutionsverfahren.

Die im Urteil des Bezirksgerichts Güssing vom 12. Dezember 2005 getroffenen Feststellungen vermögen daher den auf § 198 Abs 1 StGB gegründeten Schuldspruch für die Zeit vom Jänner 2004 bis 18. April 2004 sowie für jene Tatzeiträume, in welchen Unterhaltsbeiträge tatsächlich hereingebracht wurden, nicht zu tragen. Ungeachtet dieser den Nichtigkeitsgrund nach § 468 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO begründenden (und vom Berufungsgericht trotz § 477 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO aF nicht wahrgenommenen) Rechtsmängel verletzt die Verurteilung Esad M*****s für den in der Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit ausgedehnten Tatzeitraum den in §§ 451 Abs 1 letzter Satz, 454 und 459 StPO aF (nunmehr §§ 6, 451 Abs 1 letzter Satz 447 StPO und iVm § 427 Abs 1 StPO) zum Ausdruck gebrachten Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK, hatte er doch im Verfahren niemals Gelegenheit, zum erweiterten Anklagevorwurf Stellung zu nehmen (vgl RIS-Justiz RS0099130; RS0111828; ebenso SSt 61/54; Rainer, WK-StPO § 459 Rz 15). Dieser Mangel wurde weder durch die Zustellung des Abwesenheitsurteils an den Angeklagten saniert (S 16 im AV-Bogen), noch vom Berufungsgericht von Amts wegen aufgegriffen (vgl ON 21). Des Weiteren hat es das Erstgericht - unter Verletzung von § 458 Abs 5 StPO iVm § 271 Abs 1 Z 7 StPO - unterlassen (S 101), neben dem Strafausspruch (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO) auch den Spruch des Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 und Z 2 StPO bezeichneten Angaben in das Protokoll über die Hauptverhandlung aufzunehmen (vgl 15 Os 41/07d). Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen geeignet sind, dem Verurteilten zum Nachteil zu gereichen, sieht sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zu verleihen und das Ersturteil im genannten Umfang aufzuheben. Davon rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen sind damit - ohne dass auch deren Aufhebung erforderlich wäre - obsolet (vgl RIS-Justiz RS0100444).

Rechtssätze
6
  • RS0111828OGH Rechtssatz

    14. Dezember 2023·3 Entscheidungen

    Unzulässigkeit im Abwesenheitsverfahren. Verletzung des rechtlichen Gehörs. Wurde im Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht der Bestrafungsantrag erst in der in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung auf einen weiteren Deliktszeitraum ausgedehnt, so ist die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil die Sonderbestimmungen des § 263 StPO über die Anklageausdehnung in der Hauptverhandlung nur dann zum Tragen kommen, wenn die Verhandlung in Gegenwart des Beschuldigten stattfindet (so schon SSt 17/116). Kommt hingegen in einer in Abwesenheit des Beschuldigten vorgenommenen Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht eine neue Tat hervor, so hat der Ankläger, wenn er sie verfolgen will, gemäß der allgemeinen Vorschrift des § 451 Abs 1 StPO einen schriftlichen Bestrafungsantrag nachzutragen. War somit schon die Anklageausdehnung zu Protokoll formell verfehlt, so war erst recht die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil der Beschuldigte solcherart im Verfahren niemals Gelegenheit hatte, zum erweiterten Anklagevorwurf Stellung zu nehmen. Durch das insoweit gepflogene Verfahren und das darüber erlassene Urteil wurde daher das Gesetz in dem in §§ 451 Abs 1 letzter Satzteil, 454 und 459 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 MRK (nicht bloß in der Bestimmung des § 459 StPO) verletzt.