JudikaturJustiz12Os29/23s

12Os29/23s – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. April 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. April 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fitzthum in der Strafsache gegen * S* und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie die Berufung des Angeklagten * S* gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 28. Oktober 2022, GZ 37 Hv 109/22p 49a, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, der Angeklagten * S* und * D* sowie ihrer Verteidiger Mag. Mace und Dr. Berndorfer zu Recht erkannt:

Spruch

I./ In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in dem den Angeklagten * D* betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der zugleich gefasste Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO aufgehoben und im Umfang der Aufhebung

1./ in der Sache selbst erkannt:

* D* wird für das ihm zur Last liegende Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB nach dieser Gesetzesstelle unter Anwendung des § 39a Abs 1 Z 3 StGB (iVm § 39a Abs 2 Z 4 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von

4 Jahren

verurteilt.

Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die vom 9. Juli 2022, 20:12 Uhr, bis zum 28. Oktober 2022, 16:50 Uhr, erlittene Vorhaft auf die Freiheitsstrafe angerechnet.

Mit der diesen Angeklagten betreffenden Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

2./ der

Beschluss

gefasst:

Gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO wird die dem Angeklagten zu AZ 25 Hv 138/21t des Landesgerichts Wels gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen.

II./ Der Berufung des Angeklagten * S* wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der ihn betreffenden Berufung der Staatsanwaltschaft Folge gegeben und über * S* eine Freiheitsstrafe von

30 (dreißig) Monaten

verhängt.

III./ Beiden Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * S* und * D* jeweils des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (I./) sowie * S* des Verbrechens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 letzter Fall StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben am 9. Juli 2022 in L*

I./ * S* und * D* in einverständlichem Zusammenwirken * Z* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) in Form einer Mehrfragmentfraktur des Unterkiefers, einer paramedianen Unterkieferfraktur links, einer Ramustrümmerfraktur rechts, einer Collumfraktur rechts, eines rechtsseitigen Schädeldachbruchs mit einem ca ein Zentimeter großen Epiduralhämatom, einem massiven Oberlidhämatom links sowie des Verlusts mehrerer Zähne, verbunden mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, absichtlich zugefügt, indem sie ihm zahlreiche Faustschläge und Tritte, hauptsächlich gegen den Kopf, versetzten und * S* auch mit einem Holzstuhl auf ihn einschlug;

II./ * S* im Anschluss an die zu I./ geschilderte Tat einen Beamten, nämlich * H*, durch gefährliche Drohung mit dem Tod, indem er zweimal in aggressiver Haltung mit zwei Messern in den Händen auf ihn zuging und ihn anschrie, an einer Amtshandlung, nämlich am Einschreiten zur Beendigung des tätlichen Angriffs auf * Z*, gehindert, wobei es zufolge Pfeffersprayeinsatzes sowie Ziehen der Dienstpistole beim Versuch blieb.

[3] Der Schöffensenat verhängte über die Angeklagten jeweils Freiheitsstrafen, und zwar über * S* im Ausmaß von 20 Monaten und über * D* im Ausmaß von 30 Monaten.

[4] Bei Bestimmung des Strafrahmens gingen die Tatrichter von der Nichtanwendbarkeit des § 39a Abs 1 Z 3 StGB in Bezug auf die Schuldsprüche laut I./ aus, weil sich ein besonderes Risiko für das Leben des Opfers nicht verwirklicht habe und das „konkrete Gewaltausmaß“ bereits mit der Subsumtion der Tat nach § 87 Abs 1 StGB „abschließend verwertet“ worden sei (US 9).

Rechtliche Beurteilung

I./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

[5] Die Anklagebehörde wendet sich mit ihrer auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde („irrig“ – ON 52 S 3) nur gegen den den Angeklagten * D* betreffenden Strafausspruch. Sie ist damit – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – im Recht.

[6] Begeht der Täter eine vorsätzliche strafbare Handlung unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung unter Einsatz eines außergewöhnlich hohen Ausmaßes an Gewalt, so kommt – wenn dieser Umstand nicht schon die Strafdrohung bestimmt – gemäß § 39a Abs 1 Z 3 erster Fall StGB zwingend die (höhere) Strafuntergrenze des § 39a Abs 2 StGB zur Anwendung.

[7] Vorauszuschicken ist, dass der Tatbestand des § 87 Abs 1 StGB keinen außergewöhnlich hohen Gewalteinsatz erfordert und ein solcher daher nicht dessen Strafdrohung bestimmt (vgl RIS-Justiz RS0130193 [T10]).

[8] Exzessive Gewalt im Sinn des § 39a Abs 1 Z 3 erster Fall StGB liegt bei Handlungsweisen vor, die von besonderer Intensität sind und solcherart auch ein erhöhtes Risiko für das Leben darstellen (vgl EBRV 689 BlgNR 25. GP, 9; vgl auch Schröder , SbgK § 39a Rz 63: „regelmäßig bei schwere n Gewaltdelikten“). Nach der Rechtsprechung kommen insbesondere Schläge und Tritte gegen Gesicht und Körper in Betracht (15 Os 141/19b).

[9] Nach den insoweit wesentlichen Feststellungen schlugen und traten beide Angeklagte mehrfach mit Händen und Füßen vor allem auf den Kopf des Opfers ein, gingen dabei „äußerst brutal“ vor und traten auch dann noch auf * Z* ein, als dieser bereits am Boden lag (US 4). Sie stellten ihre Handlungen nicht ein, „obwohl der Kopf des Opfers blutüberströmt war, er sichtbar bereits einige Zähne verloren hatte und somit augenscheinlich schwer verletzt war“ (vgl US 7). Ferner kam es den Angeklagten „mit ihren gezielten, starken und wiederholten Schlägen und Tritten“ darauf an, das Opfer schwer zu verletzen (US 4), was sich „zweifelsfrei aus der Intensität der gesetzten Tathandlungen“ ergäbe, weil die beiden Angeklagten „zahlreiche sehr kräftige Schläge und Tritte gegen den Kopf des Opfers setzten“. Der Schöffensenat betonte überdies , dass die Angeklagten „mit äußerster Gewalt“ vorgingen (US 7).

[10] Im Hinblick auf diese massiven körperlichen Attacken (unter anderem) gegen empfindliche Körperregionen eines bereits am Boden liegenden Opfers ist die Auffassung des Erstgerichts, es habe sich „ein besonderes Risiko für das Leben des Opfers […] nicht verwirklicht“, unverständlich. Vielmehr ist von einer Erhöhung der Strafuntergrenze des § 87 Abs 1 StGB auf zwei Jahre Freiheitsstrafe auszugehen (§ 39a Abs 2 Z 4 StGB).

[11] Der aufgezeigte Fehler bei der Sanktionsfindung (Z 11 erster Fall) führte zur Aufhebung des Strafausspruchs und zur Neubemessung der Strafe durch den Obersten Gerichtshof (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).

[12] Mildernd war dabei kein Umstand. Bleibt anzumerken, dass der vom Erstgericht herangezogene Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 17 StGB (vgl US 10) nicht vorliegt, weil das Geständnis des Angeklagten nichts zur Wahrheitsfindung beigetragen hat und auch nicht reumütig war (vgl RIS-Justiz RS0091585). Als erschwerend waren eine einschlägige Vorstrafe (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) sowie der rasche Rückfall (RIS-Justiz RS0091041) zu werten.

[13] Ausgehend davon erweist sich auf der Grundlage der Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) die im Spruch genannte Sanktion als angemessen.

[14] Auf diese Entscheidung war die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung zu verweisen.

[15] Die Anrechnung der Vorhaftzeiten gründet auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB. Über die Anrechnung der nach Fällung des Urteils erster Instanz in der Vorhaft (§ 38 StGB) zugebrachten Zeit hat gemäß § 400 StPO der Vorsitzende des Erstgerichts mit Beschluss zu entscheiden.

[16] Zudem bedurfte es schon im Hinblick auf den raschen Rückfall in einschlägige Delinquenz des Widerrufs der nur wenige Monate vor der nun verübten Tat zu AZ 25 Hv 138/21t des Landesgerichts Wels gewährten bedingten Strafnachsicht.

II./ Zu den Berufungen betreffend den Angeklagten S*:

[17] Die Staatsanwaltschaft macht in Bezug auf diesen Angeklagten die unter I./ aufgezeigte Nichtigkeit als Berufungsgrund geltend (zur Zulässigkeit vgl RIS-Justiz RS0109969; Ratz , WK-StPO § 283 Rz 1), wobei dazu auf die Erledigung zu I./ verwiesen werden kann. Es ist daher ebenfalls von einem Strafrahmen von zwei bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe auszugehen (§ 87 Abs 1 StGB, § 19 Abs 4 Z 1 JGG, § 39a Abs 1 Z 3 StGB).

[18] Bei der Strafbemessung war als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen zu werten (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB). Als mildernd berücksichtigte der Oberste Gerichtshof das Alter des Angeklagten unter 21 Jahren (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB), dessen bisherige Unbescholtenheit (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) und den Umstand, dass die zu II./ abgeurteilte Tat beim Versuch geblieben ist (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB).

[19] Davon ausgehend erwies sich die im Spruch ersichtliche Sanktion als tat- und schuldangemessen.

[20] Mit seinem Berufungsbegehren hinsichtlich einer (weiteren) Herabsetzung der vom Erstgericht verhängten 20 monatigen Freiheitsstrafe ist der Angeklagte auf die Mindeststrafdrohung von zwei Jahren zu verweisen. Umstände im Sinn einer außerordentlichen Strafmilderung gemäß § 41 Abs 1 StGB liegen nicht vor und werden vom Berufungswerber auch nicht geltend gemacht. Die weiters reklamierte Gewährung bedingter Strafnachsicht gemäß § 43 Abs 1 StGB kommt ebenso wenig in Betracht wie eine teilbedingte Strafnachsicht (§ 43a StGB), weil aufgrund der in den Taten zum Ausdruck gekommenen hohen Gewaltbereitschaft und Rücksichtslosigkeit gegenüber dem geschützten Rechtsgut die geforderten Wohlverhaltensprognosen nicht angestellt werden können (§ 19 Abs 2 iVm § 5 Z 9 JGG).

[21] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.