JudikaturJustiz12Os158/12w

12Os158/12w – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. März 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. März 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Viktorin als Schriftführer in der Übergabesache des Thomas R*****, AZ 27 HR 198/12b des Landesgerichts Feldkirch, über die Grundrechtsbeschwerden des Genannten gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 16. November 2012, AZ 7 Bs 559/12g, und vom 20. November 2012, AZ 7 Bs 590/12s, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Thomas R***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerden werden abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 11. Oktober 2012, GZ 27 HR 198/12b 47, bewilligte das Landesgericht Feldkirch die Übergabe des Thomas R***** an die italienischen Behörden zur Strafverfolgung wegen der im Europäischen Haftbefehl des Ufficio del Giudice per le Indagini Preliminari vom 28. März 2011 angeführten strafbaren Handlungen der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie des illegalen Handels mit Drogen und psychotropen Stoffen gemäß Art 73 Abs 1, 74, 80 Abs 2 D.P.R. Nr 309/90; Art 3 und 4 des Gesetzes Nr 146/2006. Gleichzeitig beschloss das Landesgericht die Fortsetzung der über Thomas R***** gemäß § 18 EU JZG iVm § 29 Abs 1 ARHG aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO verhängten Übergabehaft.

Mit Beschluss vom 10. November 2012, GZ 27 HR 198/12b 59, beschloss das Landesgericht Feldkirch neuerlich die Fortsetzung der Übergabehaft aus dem angeführten Haftgrund.

Den gegen die Fortsetzung der Übergabehaft erhobenen Haftbeschwerden des Thomas R***** gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit den Beschlüssen vom 16. November 2012, AZ 7 Bs 559/12g, und vom 20. November 2012, AZ 7 Bs 590/12s, nicht Folge und setzte die Übergabehaft ohne Beschränkung durch eine Haftfrist (§ 18 Abs 2 EU JZG iVm § 29 Abs 5 ARHG) fort.

Das Oberlandesgericht Innsbruck führt aus, dass nach dem gegenständlichen Europäischen Haftbefehl vom 28. März 2011 Thomas R***** der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und des illegalen Handels mit Drogen und psychotropen Stoffen nach Art 73 Abs 1, 74, 80 Abs 2 D.P.R. Nr 309/90; Art 3 und 4 des Gesetzes Nr 146/2006 mit einer Strafdrohung von bis zu 34 Jahren Freiheitsstrafe verdächtig ist.

Der Europäische Haftbefehl enthielt folgende Sachverhaltsdarstellung: Thomas R***** „sei zwischen Oktober 2009 und April 2010 in T*****, P***** und T***** (Provinz R*****), sowie in den Niederlanden im Rahmen einer kriminellen Vereinigung gemeinschaftlich mit anderen als Drogenkurier insbesondere aus den Niederlanden nach Italien sowie als Buchführer, als Hilfe für Kontakte zur Vereinbarung von Zeit und Ort der Abgabe sowie der Zahlungsweise, als ständiger Gehilfe zur Lieferung, Transport und Abgabe von Betäubungsmitteln im Auftrag und nach den Anweisungen der Anführer der Vereinigung tätig“ gewesen (ON 12 S 19).

Gegen beide Beschlüsse des Oberlandesgerichts wendet sich Thomas R***** mit Grundrechtsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Soweit der Betroffene vermeint, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls wäre aufgrund einer von ihm erstatteten Selbstanzeige gemäß § 7 Abs 2 Z 1 EU JZG unzulässig, und darauf aufbauend argumentiert, § 7 Abs 3 EU JZG diskriminiere Unionsbürger ohne österreichische Staatsbürgerschaft gegenüber österreichischen Staatsbürgern, lässt er außer Acht, dass nach dem vom Oberlandesgericht angenommenen Sachverhalt gegen ihn ein Strafverfahren im Inland im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulässigkeit der Übergabe gar nicht anhängig war (S 7 in 7 Bs 559/12g). In Übereinstimmung mit dem Beschwerdegericht führt das Einlangen einer Selbstanzeige noch nicht zum Beginn eines Strafverfahrens (vgl Markel , WK StPO § 1 Rz 25 ff).

Schon deshalb geht das Begehren nach Einleitung eines Normprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof oder nach einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs betreffend § 7 Abs 3 EU JZG ins Leere. Aus diesem Grund bestand für das Oberlandesgericht somit auch kein Anlass, sich mit dem Urteil des EuGH im Fall Lopes Da Silva Jorge (C 42/11, Urteil vom 5. 9. 2012 [Große Kammer] = EuGRZ 2012, 632) auseinanderzusetzen.

Warum bei Schmuggel von den Niederlanden nach Italien jedenfalls ein österreichischer Tatort (§ 6 EU JZG) vorliegen sollte, bleibt offen.

Soweit der Beschwerdeführer kritisiert, es wäre ihm keine „volle Akteneinsicht“ in den italienischen Strafakt gewährt worden, verkennt er, dass gemäß § 19 Abs 1 EU JZG die Voraussetzungen für eine Übergabe anhand des Inhalts des Europäischen Haftbefehls zu prüfen sind. Lediglich wenn die im EHB Formular enthaltene Information nicht für eine Beurteilung der Zulässigkeit der Übergabe ausreicht, hat das zuständige Gericht gemäß Abs 2 des § 19 EU JZG zusätzliche Informationen vom Ausstellungsstaat zu fordern ( Hinterhofer/Schallmoser in WK² EU JZG § 19 Rz 1).

Wenn die Grundrechtsbeschwerde behauptet, „es wäre Aufgabe der italienischen Strafbehörden, die Verteidigung mit allen Aktenunterlagen zu versorgen, damit die Verteidigung einen umfassenden Überblick über den Akt bekommt und insbesondere die Problematik des ne bis in idem abschließend beurteilen kann“, verabsäumt sie es, darzulegen, weshalb der Inhalt des Europäischen Haftbefehls in Zusammenhalt mit dem übermittelten nationalen Haftbefehl nicht für die Beurteilung der Zulässigkeit der Übergabe ausreichen sollte und welche Informationen konkret zusätzlich vom Ausstellungsstaat zu fordern gewesen wären.

Indem der Beschwerdeführer vermeint, in Hinblick auf seine frühere Verurteilung in Italien liege ein Verstoß gegen den ne bis in idem Grundsatz (Art 4 des 7. ZPMRK) vor, vernachlässigt er die Begründung des Beschwerdegerichts, wonach dem Urteil des Tribunale di Bolzano von 18. November 2010 zu entnehmen ist, dass eine Verurteilung wegen einer Schmuggelfahrt zwischen dem Brenner und Rom in der Zeit von 4. bis 6. April 2010 in Bezug auf rund 51 kg Haschisch, von 39 kg Marihuana und ca 0,6 Gramm Kokain erfolgte, und dass eben dieses Faktum in dem dem Europäischen Haftbefehl zu Grunde liegenden nationalen Haftbefehl ausdrücklich ausgenommen wurde.

Der Beschwerdeführer verkennt, dass das Übergabeverfahren der kontinentaleuropäischen Rechtstradition entsprechend vom formellen Prüfungsprinzip beherrscht ist, das heißt, Behörden im ersuchten Staat haben grundsätzlich vom Sachverhalt auszugehen, wie er im Europäischen Haftbefehl dargestellt wird (RIS Justiz RS0125233). Eine Überprüfung dieses Sachverhalts findet nur bei dagegen bestehenden erheblichen Bedenken statt (§ 19 Abs 1 EU JZG iVm § 33 Abs 2 ARHG). Indem der Beschwerdeführer vorbringt, das Tribunale di Bolzano habe ihn zwar nur wegen einer konkreten Schmuggelfahrt verurteilt, dabei aber Kenntnis von den weiteren Schmuggelfahrten gehabt und „diese offenkundig nach dem Absorptionsprinzip nicht gesondert berücksichtigt“, gelingt es ihm nicht, darzulegen, der Europäische Haftbefehl wäre unschlüssig (vgl 13 Os 15/12y = EvBl 2012/69, 468).

Vorliegend ergibt sich worauf das Beschwerdegericht hinweist aus dem über Ersuchen von den italienischen Behörden übermittelten nationalen Haftbefehl, welcher dem Europäischen Haftbefehl zu Grunde liegt, dass der Betroffene mit dem Urteil des Tribunale di Bolzano wegen einer einzelnen Schmuggelfahrt endgültig verurteilt worden ist, aber dass sich die in dem Europäischen Haftbefehl genannten Verfolgungsmaßnahmen auf andere strafbare Handlungen beziehen. Somit kann das Urteil des Tribunale di Bolzano jedenfalls nicht als Entscheidung angesehen werden, die den Strafanspruch hinsichtlich der im Europäischen Haftbefehl bezeichneten Handlungen auf nationaler Ebene endgültig verbraucht hat (vgl EuGH 16. 11. 2010, C 261/09 [Große Kammer]).

Die Grundrechtsbeschwerden waren im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Rechtssätze
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