JudikaturJustiz11Os151/16i

11Os151/16i – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Februar 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Februar 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Oeljeschläger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rafet R***** wegen Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Geschworenengericht vom 17. Oktober 2016, GZ 10 Hv 78/16s 115, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Rafet R***** zweier Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 4. April 2016 in K***** Enisa R***** und Neziha P***** vorsätzlich getötet, indem er mit einem Messer mit 10 cm langer Klinge mehrfach auf die beiden Frauen einstach und, als diese bereits am Boden lagen, mit äußerster Brutalität mehrfach auf ihre Köpfe und Körper eintrat.

Die Geschworenen hatten die jeweils auf das Verbrechen des Mordes gerichteten Hauptfragen 1 und 2 bejaht. Eventual- oder Zusatzfragen wurden nicht gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5, 6 und 8 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Unabdingbare Voraussetzung einer meritorisch zu behandelnden Geltendmachung des formellen Nichtigkeitsgrundes des § 345 Abs 1 Z 5 StPO ist ein Antrag oder ein nach Art von Anträgen substantiierter Widerspruch sowie (in der Regel) ein dagegen gefasster Beschluss des Schwurgerichtshofs (RIS Justiz RS0099250; Ratz , WK StPO § 281 Rz 302, 304).

Da sich die vorliegende Verfahrensrüge (Z 5), die bloß das – (vorgeblich) „Art 6 MRK“ verletzende – System der Geschworenengerichtsbarkeit in Österreich kritisiert (so etwa den Umstand, dass im Urteil keine Gründe für den Schuldspruch angeführt werden, was die „Wirksamkeit“ einer Tatsachenrüge beeinträchtige, sowie die Auswahl der Laienrichter, die „eine Überprüfung der Tauglichkeit der Geschworenen“ nicht vorsehe), auf derlei Vorgänge in der Hauptverhandlung nicht zu berufen vermag, entzieht sie sich von vornherein sachlicher Erwiderung. Die behauptete Verfassungswidrigkeit von fehlerfrei angewendeten Gesetzesbestimmungen stellt kein einer Erörterung bedürftiges Vorbringen in einer Nichtigkeitsbeschwerde dar (RIS Justiz RS0099654, RS0053859) und wäre aus Anlass der erhobenen Rechtsmittel an den Verfassungsgerichtshof zur Normenkontrolle heranzutragen gewesen (Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B VG).

Der Oberste Gerichtshof sieht sich auf Grund des vorliegenden Rechtsmittels auch nicht veranlasst, selbst beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag gemäß Art 89 Abs 2 zweiter Satz B-VG zu stellen, zumal ein – wie der gegenständliche – Wahrspruch all jene wesentlichen Sachverhaltselemente enthält, die zur Subsumtion erforderlich sind, weshalb das gegenständliche Urteil als begründet anzusehen ist (vgl 15 Os 64/13w; 12 Os 48/11t; 15 Os 149/15y). Im Hinblick auf die gesetzlich vorgesehene Qualifikation von Geschworenen (§§ 1, 2 GSchG) und die Möglichkeiten der Geltendmachung von allfälliger (allerdings konkret und substantiiert zu behauptender; RIS Justiz RS0097082, RS0110500) persönlicher Unfähigkeit oder Ausgeschlossenheit von Geschworenen (§ 15 GSchG; §§ 46, 345 Abs 1 Z 1 und 5 StPO; RIS Justiz RS0097249, RS0125767, RS0119077) bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des bestehenden Auswahlsystems.

Eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) erblickt der Beschwerdeführer darin, dass – entgegen seinem Antrag in der Hauptverhandlung – die Stellung von Eventualfragen in Richtung des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB unterblieb .

Die Beschwerde greift in diesem Zusammenhang bloß einzelne Passagen aus den Gutachten der Sachverständigen Dr. W***** und Mag. Ra***** zu die Tat mitauslösenden Aspekten der Persönlichkeit des Angeklagten und des Geschehens in den letzten Monaten bis zur Tat isoliert heraus (erziehungsbedingtes südländisches Machogehabe; patriarchalisches Gesellschaftsbild; kulturanthropologisches Konzept der hegemonialen Männlichkeit; von deren Familie unterstützter Trennungswunsch der Ehefrau; Entfremdung der Kinder; Kontaktabbruch und Blockieren von sozialen Medien seitens der Ehefrau; Kränkung). Sie vernachlässigt aber die von den Sachverständigen hervorgehobenen und von zahlreichen Zeugen geschilderten Vorgänge kurz vor und am Tattag selbst (Kenntnisnahme von der aktuellen Wohnungssuche der Ehefrau sowie deren Bedrohung mit dem Umbringen [ON 53 S 9 und ON 68a S 21] jeweils zwei Tage vor der Tat; Vereinbarung eines Termins der Frau mit der Polizei für den Nachmittag des Tattags aufgrund einer weiteren Drohung an deren Arbeitsplatz in K***** am Vormittag; nochmalige Fahrt des Angeklagten von G***** nach K*****; Auflauern hinter einem Gebüsch beim von der Ehefrau benützten PKW in Nähe ihres Arbeitsplatzes; Führen eines aufgeklappten Messers; länger hingezogenes Tatgeschehen; gewalttätiges Vorgehen gegen Zeugen, die einzugreifen versuchten). Somit bringt sie von vornherein kein ernst zu nehmendes Indiz in Richtung eines spontan auf Grund eines tiefgreifenden Affekts gefassten Tötungsentschlusses vor (vgl Ratz , WK StPO § 345 Rz 23, 43).

Ebensowenig wird der angesprochene Nichtigkeitsgrund mit der mehrfachen Betonung der Herkunft des (in Serbien aufgewachsenen) Angeklagten und des ihm bescheinigten Männlichkeitsverständnisses prozessförmig zur Darstellung gebracht. Es mangelt nämlich an jeglicher Fundierung der – solcherart substratlosen – Rechtsbehauptung allgemeiner Begreiflichkeit eines selbst Tötungshemmungen hinwegfegenden Gemütssturms (RIS Justiz RS0100677 [T4 und T5]).

Im Übrigen käme Totschlag nur in Betracht, wenn eine in anderen Sittenvorstellungen wurzelnde Affektanfälligkeit trotz aller Fremdheit noch als sittlich verständlich beurteilt werden kann. Denn bei der Prüfung der allgemeinen Begreiflichkeit der Gemütsbewegung ist unter Anlegung eines individualisierenden objektiv-normativen Maßstabs vom Verhalten eines rechtstreuen Durchschnittsmenschen auszugehen, der mit den durch die österreichische Rechtsordnung geschützten Werten innerlich verbunden ist (12 Os 163/99; 12 Os 67/14s; RIS Justiz RS0092072; Moos in WK 2 StGB § 76 Rz 36; instruktiv BMJ L120.014/0001 II 1/2010).

Schließlich kritisiert die Instruktionsrüge (Z 8) die Aufnahme des folgenden Satzes in die Belehrung der Geschworenen: „Auch eine im Affekt begangene vorsätzliche Tötung eines anderen kann Mord sein, wenn nicht die geforderten Voraussetzungen für die Privilegierung einer vorsätzlichen Tötung als Totschlag vorliegen.“ Da in der Rechtsbelehrung gerade diese Voraussetzungen nicht erläutert worden seien und somit keine Grundlage für eine Differenzierung zwischen Mord und Totschlag geliefert worden sei, sei der in Rede stehende Satz „wohl nur Verwirrung zu stiften im Stande“ gewesen. Die Rüge legt aber nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar, weshalb ein Handeln „im Affekt“ der Beurteilung einer vorsätzlichen Tötung als Mord entgegenstehen soll (vgl RIS Justiz RS0092116). Abgesehen davon vernachlässigt sie, dass eine Eventualfrage nach Totschlag gar nicht gestellt wurde, weshalb dessen Tatbestandsmerkmale nicht Gegenstand der Rechtsbelehrung zu sein hatten (§ 321 Abs 2 StPO; Philipp , WK StPO § 321 Rz 19; RIS Justiz RS0100645, RS0100913).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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