JudikaturJustiz10ObS165/95

10ObS165/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. September 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Dr.Reinhard Drössler und Werner Jeitschko in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef E*****, Landwirt, ***** vertreten durch Dr.Longin Josef Kempf und Dr.Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, wegen Versehrtenrente infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9.Februar 1995, GZ 13 Rs 95/94-19, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22. August 1994, GZ 26 Cgs 204/93g-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger wurde schon im Verfahren erster Instanz durch zwei Rechtsanwälte vertreten. Die schriftliche Ausfertigung des Ersturteils wurde einem dieser Vertreter am 18.5.1994 zugestellt. Damit begann für den Kläger die vierwöchige Berufungsfrist (§ 464 Abs 1 und 2 ZPO). Am letzten Tag derselben, nämlich am 15.6., gab er durch seine Rechtsanwälte den an das Erstgericht gerichteten Schriftsatz ON 11 zur Post. Darin beantragte er die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 und Abs 3 ZPO, also auch die vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts. Da dem Antrag entgegen § 66 Abs 1 leg cit kein Vermögensbekenntnis angeschlossen war, trug das Erstgericht dem Kläger mit Beschluß vom 17.6.1994 ON 12 auf, den Antrag ON 11 durch Vorlage eines Vermögensbekenntnisses binnen einer Woche zu verbessern. Dieser Auftrag wurde einem der für den Kläger einschreitenden Rechtsanwälte am 23.6.1994 zugestellt. Nach der Zustellverfügung sollte mit dem Verbesserungsauftrag ein Formblatt (Vermögensverzeichnis) zugestellt werden. Auf dem Rückschein findet sich der Vermerk "B.v.17.6.m.Vermögensbek.". Da kein Vermögensbekenntnis vorgelegt wurde, wies das Erstgericht den nicht verbesserten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ON 11 mit Beschluß vom 15.7.1994 ON 13 zurück. Dieser Beschluß wurde einem der beiden Rechtsanwälte des Klägers am 20.7.1994 zugestellt und blieb unbekämpft.

Am 17.8.1994 gab der durch die beiden Rechtsanwälte vertretene Kläger "innerhalb offener Frist" an das Erstgericht eine Berufung zur Post.

Das Erstgericht wies die Berufung als verspätet zurück. Da der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zurückgewiesen worden sei, sei die Berufungsfrist bereits am 15.6.1994 abgelaufen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge.

Es nahm als erwiesen an, daß einem der beiden Rechtsanwälte des Klägers mit dem Verbesserungsbeschluß ON 12 das Formblatt über das Vermögensbekenntnis zugestellt wurde. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ON 11 wäre nach § 85 Abs 2 ZPO nur bei Einhaltung der Verbesserungsfrist als am Tage seines ersten Einlangens überreicht anzusehen. § 464 Abs 3 letzter Satz ZPO gelte nur für einen Beschluß, mit dem ein Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwaltes abgewiesen, nicht zurückgewiesen wurde.

Im Revisionsrekurs macht der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens geltend; er beantragt, den angefochtenen Beschluß - allenfalls ersatzlos - aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist gemäß § 47 Abs 1 und 2 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 leg cit zulässig; er ist auch berechtigt.

Nach § 464 Abs 3 letzter Satz ZPO beginnt die Berufungsfrist mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses, wenn der rechtzeitig gestellte Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwaltes abgewiesen wird. Wird ein innerhalb der durch die Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Urteils ausgelösten Frist des § 464 Abs 2 ZPO gestellter Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts nicht innerhalb der im Verbesserungsbeschluß festgesetzten Frist verbessert, dann ist dieser Antrag nach § 85 Abs 2 erster Satz leg cit mangels Einhaltung der Verbesserungsfrist nicht als am Tage seines ersten Einlanges überreicht anzusehen.

Im vorliegenden Fall war dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigebung eines Rechtsanwalts ON 11 entgegen § 66 Abs 1 Satz 2 ZPO kein Vermögensbekenntnis angeschlossen. Nach Satz 4 dieser Gesetzesstelle war daher nach den §§ 84 und 85 ZPO vorzugehen, nach § 85 Abs 2 eine Frist zu setzen und gleichzeitig dem Kläger das Formblatt (für das Vermögensbekenntnis) zuzustellen. Die letzte Bestimmung soll sicherstellen, daß die Parteien auch in der Lage sind, das gesetzlich vorgesehene Vermögensbekenntnis vorzulegen (RV zur Zivilverfahrens-Nov 1981, 669 BlgNR 15.GP 48).

Die imperative (arg "ist zuzustellen") Anordnung, den Parteien gleichzeitig mit der Erteilung des (zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen oder -verschleppungen in der Regel knapp zu befristenden) Verbesserungsauftrages das Formblatt (Vermögensbekenntnis) zuzustellen, und der in der RV genannte Zweck dieser Bestimmung erweisen diese nicht als bloße Ordnungsvorschrift. Die im Interesse und zum Schutz der Parteien angeordnete enge zeitliche Verknüpfung des befristeten Verbesserungsauftrages mit der Zustellung des Formblattes führt in Auslegung des § 124 ZPO dazu, daß der Lauf der richterlichen Verbesserungsfrist erst mit der Zustellung auch des Formblattes beginnt.

Der am 15.6.1994 an das Erstgericht zur Post gegebene Antrag ON 11 wäre daher dann nicht während der Frist des § 464 Abs 2 ZPO gestellt, wenn den Vertretern des Klägers am 23.6.1994 mit dem Verbesserungsauftrag das Formblatt für das Vermögensbekenntnis zugestellt wurde. Dann wäre der Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts nach § 85 Abs 2 erster Satz ZPO mangels Einhaltung der Verbesserungsfrist nicht als am Tage seines ersten Einlangens anzusehen. In diesem Fall würde es an einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts im Sinne des § 464 Abs 3 letzter Satz ZPO fehlen. Mangels eines rechtzeitigen derartigen Antrages würde die Berufungsfrist auch nicht mit dem Eintritt der Rechtskraft eines abweisenden Beschlusses beginnen.

Wäre dem Kläger hingegen am 23.6.1994 und auch bis spätestens 9.8.1994 (mehr als eine Woche vor dem 17.8.1994) kein Formblatt (Vermögensbekenntnis) zugestellt worden, dann wäre die Verbesserungsfrist am 17.8.1994 noch nicht abgelaufen. In diesem Fall wäre die an diesem Tag an das Erstgericht zur Post gegebene Berufung noch "innerhalb offener Frist" erhoben worden.

Die Rechtzeitigkeit der Berufung des Klägers hängt daher davon ab, ob ihm zu Handen seiner Vertreter am 23.6.1994 oder wenigstens bis 9.8.1994 ein Formblatt (Vermögensbekenntnis) zugestellt wurde.

Dem Revisionsrekurswerber ist beizupflichten, daß das Verfahren des Rekursgerichtes an wesentlichen Mängeln leidet, die eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der oben genannten Tatfragen verhinderten.

Im Hinblick auf die Rekursbehauptung, daß dem Verbesserungsauftrag "zumindest nach dem dem Kläger vorliegenden Akteninhalt" kein entsprechendes Formblatt beigelegt gewesen sei, hatte das Rekursgericht die oben erwähnten Umstände nach § 526 Abs 1 Satz 2 ZPO selbst oder durch das Erstgericht zu erheben.

Da dem Rekursverfahren nach der ZPO eine mündliche Rekursverhandlung fremd ist, muß bei diesen Erhebungen - wie bei den vom Berufungsgericht angeordneten Erhebungen iS des § 473 Abs 2 ZPO (SSV-NF 3/77 = JBl 1990, 335; Kodek in Rechberger, ZPO § 473 Rz 2) - § 509 Abs 3 ZPO berücksichtigt werden. Auch in diesem Verfahren wird das rechtliche Gehör verletzt, wenn der Rekursentscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrundegelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Daher müssen den Parteien zumindest die Ergebnisse der Erhebungen vor der Beschlußfassung zur Kenntnis gebracht und ihnen eine Frist zur Stellungnahme gegeben werden.

Da das Rekursgericht dies unterließ, leidet sein Verfahren an einem im Revisionsrekurs gerügten Mangel, der in abstracto geeignet war, die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung herbeizuführen, und deshalb wesentlich ist.

Rechtssätze
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