JudikaturJustiz10ObS158/99d

10ObS158/99d – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. August 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar A. Peterlunger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj. Simone P*****, geboren am 8. August 1995, *****, vertreten durch ihre Mutter und gesetzliche Vertreterin Christine P*****, ebendort, vertreten durch Meyndt-Ransmayr-Schweiger Partner OEG, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Land Oberösterreich, vertreten durch das Amt der OÖ Landesregierung, 4010 Linz, Altstadt 30, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Jänner 1999, GZ 12 Rs 248/98x-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Juli 1998, GZ 6 Cgs 61/98h-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird mit folgender Maßgabe bestätigt:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin ab 1. 8. 1997 Pflegegeld der Stufe 2 von S 2.863,-- monatlich unter Anrechnung des anteiligen Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder von S 825,-- monatlich zu gewähren. Das Mehrbegehren auf Leistung von Pflegegeld der Stufe 4 wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen der Klagevertreter einen mit S 2.029,44 bestimmten Anteil an den Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 338,24 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 8. 8. 1995 geborene Klägerin leidet an einem chronischen Nierenversagen infolge chronischer Nierenentzündung und einer durch das Nierenversagen bedingten chronischen Blutarmut. Diese Leiden machen eine ständige Peritonealdialyse notwendig, die nach entsprechender Einschulung von der Mutter der Klägerin ambulant durchgeführt wird. Dabei wird computergesteuert eine bestimmte Lösung, die von der Mutter mit dem Arzt abgesprochen werden muß, mittels Katheters in den Bauchraum des Kindes eingebracht. Die Dialyse wird nachts in fünf Einlauf- und Auslaufzyklen vorgenommen, die von der Mutter bezüglich der Funktion der verwendeten Geräte und auch der von der Klägerin im Schlaf eingenommenen Körperhaltung zu überwachen ist. Wesentlich ist auch die Beachtung einer entsprechenden Bilanz der Körperflüssigkeiten, was eine genaue Berechnung der aufgenommenen Nahrungsbestandteile und eine ständige Gewichtskontrolle des Körpergewichts der Klägerin voraussetzt. Der Dialysevorgang muß unter strengen hygienischen Bedingungen erfolgen. Außerdem müssen die im Bereich des Katheters auftretenden Hautreizungen durch Salben und Verbände versorgt werden. Einmal wöchentlich muß die Mutter der Klägerin eine Injektion verabreichen. Die Vornahme der Peritonealdialyse ist nicht zur Behebung der Ursache des chronischen Nierenversagens geeignet. Sie dient vielmehr der Hintanhaltung einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin aufgrund des Ausfalles der Nierenfunktion.

Die Klägerin benötigt Hilfe bei der Zubereitung von Mahlzeiten (Diät, genaue Bilanzierung), der Einnahme von Mahlzeiten, der Einnahme bzw Verabreichung von Medikamenten, der Körperpflege und der Kanülenpflege sowie Mobilitätshilfe im weiteren Sinn. Für diese Betreuungs- und Hilfsverrichtungen besteht ein unstrittiger Pflegebedarf von 118 Stunden monatlich. Bei der Klägerin ist nur während der Zeit der Durchführung der Dialyse die Notwendigkeit der dauernden Bereitschaft einer Pflegeperson, die über jene bei gesunden Kindern gleichen Alters hinausgeht, gegeben.

Mit Bescheid des beklagten Landes vom 3. 2. 1998 wurde der Klägerin nach den Bestimmungen des OÖ Pflegegeldgesetzes (OÖPGG) ab 1. 8. 1997 ein Pflegegeld der Stufe 2 abzüglich des halben Erhöhungsbetrages der Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder zuerkannt.

Das Erstgericht gab dem dagegen erhobenen Klagebegehren statt und erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 1. 8. 1997 Pflegegeld der Stufe 4 zu gewähren. Es ging in rechtlicher Hinsicht davon aus, daß die von der Mutter der Klägerin durchgeführte Peritonealdialyse als Betreuungsleistung im Sinn des § 1 OÖPGG anzusehen sei. Der Begriff "Betreuung" in der Bundes- und Landesgesetzgebung entspreche dem Begriff der "Wartung" im Sinne der früheren Regelung des Hilflosenzuschusses (§ 105a ASVG). Unter den Begriff "Wartung" seien alle jene Handlungen subsumiert worden, welche unbedingt erforderlich seien, um den Betroffenen vor dem sonst drohenden Untergang zu bewahren. Da die Vornahme der Peritonealdialyse bei der Klägerin lebensnotwendig sei, handle es sich dabei um "Wartung" im Sinne des früheren § 105a ASVG bzw um "Betreuung" im Sinn des § 1 OÖPGG. Diese Situation sei vergleichbar mit den Betreuungsleistungen Medikamentenverabreichung und Verbandwechsel, die von der Judikatur regelmäßig als Betreuungsleistungen anerkannt würden. Gleiches gelte für die Verabreichung einer Insulinspritze. Aus diesem Grund sei auch die Peritonealdialyse nicht als Krankenbehandlung, für die kein Pflegegeld gebühre, zu qualifzieren, sondern sei als Betreuungsaufwand bei der Pflegegeldeinstufung mit 90 Stunden monatlich zu berücksichtigen. Der Gesamtpflegebedarf der Klägerin betrage daher 208 Stunden monatlich, sodaß der Klägerin ein Pflegegeld der Stufe 4 gebühre.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der beklagten Partei erhobenen Berufung Folge und änderte das Urteil dahin ab, daß es die beklagte Partei lediglich zur Zahlung des bereits bescheidmäßig zuerkannten Pflegegeldes der Stufe 2 ab 1. 8. 1997 verpflichtete und das darüber hinausgehende Mehrbegehren abwies. Es führte dazu aus, daß nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SSV-NF 10/130) der Pflegebedarf dadurch charakterisiert sei, daß es sich dabei um Verrichtungen nichtmedizinischer Art handle. Ein Behandlungsfall sei nicht nur dann anzunehmen, wenn die Behandlung geeignet sei, eine Besserung des Zustandes herbeizuführen, sondern schon dann, wenn sie zur Vermeidung einer Verschlechterung geeignet sei, möge auch das Grundleiden als solches nicht mehr behebbar sein. Damit sei klargestellt, daß therapeutische Maßnahmen im weitesten Sinn, also Anwendungen medizinischer Natur auch dann, wenn sie, wie im konkreten Fall die Dialyse, nur die akute, sogar zum Tod führende Verschlechterung hintanhalten, jedoch nicht zu einer Behebung des Leidens führen, nicht dem Begriff der Betreuung im Sinne des § 1 OÖPGG unterstellt werden könnten. Es sei zwar in der den Begriff der Betreuung definierenden Einstufungsverordnung zum OÖPGG nur demonstrativ aufgezählt, was darunter zu verstehen sei, doch gehe aus der Aufzählung hervor, daß damit nur Hilfestellungen gemeint seien, die keiner medizinischen oder therapeutischen Ausbildung oder Einschulung bedürfen, sondern alltägliche Verrichtungen darstellen. Die im Sachverhalt geschilderte Peritonealdialyse passe nicht in das Schema dieser Betreuungsleistungen, sondern stelle eine medizinische Versorgung dar, für die die Mutter eingeschult worden sei, um dem Kind die ansonsten notwendige stationäre Behandlung zu ersparen. Eine solche Behandlung sei entgegen der Ansicht des Erstgerichtes keineswegs mit der bloßen Verabreichung von Medikamenten oder einer Insulinspritze vergleichbar. Sie könne daher nicht als Betreuungsleistung bei der Einstufung berücksichtigt werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Berufungsurteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

In der Revision wird im wesentlichen geltend gemacht, daß unter dem Begriff der "Betreuung" im nunmehrigen Bundespflegegeldgesetz (BPGG) sowie in den Landespflegegeldgesetzen grundsätzlich "Wartung" im Sinne des früheren § 105a ASVG zu verstehen sei. Unter Wartung seien alle jene Handlungen subsumiert worden, die unbedingt erforderlich seien, um den Betroffenen vor dem sonst drohenden Untergang zu bewahren. Dazu gehörten nach der Rechtsprechung (vgl SSV-NF 1/46) nur solche Verrichtungen an der Person, die nicht unterbleiben dürfen, soll nicht die Existenz des Betroffenen unmittelbar bedroht sein. Da die Nichtvornahme der Peritonealdialyse durch die Mutter der Klägerin dazu führen würde, daß hiedurch die Nierenfunktion der Klägerin zur Gänze ausgeschaltet würde, wodurch der Tod der Klägerin unvermeidlich wäre, handle es sich bei der Peritonealdialyse um Wartung im Sinne des vormals geltenden § 105a ASVG und um Betreuung im Sinn des nunmehr geltenden § 1 OÖPGG. Von der Rechtsprechung werde auch die der Peritonealdialyse vergleichbare Verabreichung von Medikamenten oder einer Insulinspritze als Betreuungsbedarf anerkannt. Im übrigen handle es sich bei den in der OÖEinstV genannten Betreuungsleistungen nur um eine demonstrative Aufzählung. Bei Berücksichtigung des Betreuungsaufwandes der Mutter bei der Vornahme der Peritonealdialyse habe die Klägerin Anspruch auf das begehrte Pflegegeld in der Stufe

4.

Diesen Ausführungen kann aufgrund folgender Erwägungen nicht gefolgt werden:

Nach § 1 OÖPGG (LGBl 1993/64) hat das Pflegegeld den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. Nach § 4 Abs 4 OÖPGG sind von der Landesregierung nähere Bestimmungen für die Beurteilung des Pflegebedarfs festzulegen. Die Verordnung hat insbesondere auch eine Definition der Begriffe "Betreuung" und "Hilfe" festzulegen. Gemäß § 1 Abs 1 der EinstV zum OÖPGG (LGBl 1993/65) sind unter Betreuung alle in relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die vornehmlich den persönlichen Lebensbereich betreffen und ohne die der pflegebedürftige Mensch der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Zu diesen Verrichtungen zählen insbesondere solche beim An- und Auskleiden, bei der Körperpflege, der Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, der Verrichtung der Notdurft, der Einnahme von Medikamenten und der Mobilitätshilfe im engeren Sinn (Abs 2). Unter Hilfe sind nach § 2 Abs 1 OÖEinstV aufschiebbare Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die den sachlichen Lebensbereich betreffen und zur Sicherung der Existenz erforderlich sind. Im Abs 2 dieser Bestimmung werden verschiedene Hilfsverrichtungen aufgezählt. Da es sich dabei nach herrschender Ansicht um eine taxative Aufzählung handelt und der Hilfsbegriff der Einstufungsverordnungen unbestritten ausschließlich den sachlichen Lebensbereich Betroffener abdecken soll, die hier verfahrensgegenständlichen Tätigkeiten der Mutter der Klägerin im Zusammenhang mit der Peritonealdialyse jedoch ausschließlich persönlicher Natur sind, können diese Verrichtungen nicht als Hilfe im Sinn des § 2 Abs 1 OÖEinstV angesehen werden (vgl SSV-NF 11/7 mwN ua; zuletzt 10 ObS 295/98z und 10 ObS 341/98i). Dies wird im übrigen auch in der Revision gar nicht behauptet.

Es ist daher zu prüfen, ob diese Verrichtungen dem Begriff der Betreuung im Sinn des zitierten § 1 OÖEinstV unterstellt werden können. Es ist den Ausführungen der Revision darin zu folgen, daß es sich bei den den persönlichen Lebensbereich betreffenden in § 1 Abs 2 der OÖEinstV genannten, zur Sicherung der Existenz erforderlichen Verrichtungen wie An- und Auskleiden, Körperpflege, Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, Verrichtung der Notdurft, Einnahme von Medikamenten und Mobilitätshilfe im engeren Sinn wie Aufstehen, Zubettgehen, Umlegen etc nur um eine demonstrative Aufzählung handelt, weshalb grundsätzlich auch andere Bedarfslagen im Rahmen des Pflegebedarfes Anerkennung finden können (SSV-NF 11/5 mwN; zuletzt 10 ObS 295/98z). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sind jedoch Therapien an Behinderten, die Familienangehörige selbständig nach einer erfolgten Einschulung durch Fachkräfte durchführen, weder der Betreuung noch der Hilfe zuzurechnen und somit bei der Bemessung des Pflegeaufwandes nicht zu berücksichtigen (SSV-NF 10/130 = ZAS 1998, 119 mit ablehnender Stellungnahme von Pfeffer; SSV-NF 11/7). Diese Rechtsprechung wurde auch von Tomandl, Einige grundsätzliche Überlegungen zum Pflegegeldanspruch, ZAS 1999, 13 ff, ablehnend besprochen. Nach der Ansicht von Tomandl sind vielmehr bei der Bemessung des Pflegeaufwandes auch solche Tätigkeiten pflegender Personen zu berücksichtigen, die zwar im Rahmen von Heilbehandlungen erfolgen, von der Krankenversicherung aber weder beigestellt noch durch zumindest teilweise Kostenübernahme finanziert werden.

Betreuung und Hilfe im Sinne der Einstufungsverordnungen bestehen in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens eines pflegebedürftigen Menschen, die er (selbst) als Kranker oder Behinderter nicht oder nicht vollständig ausüben kann, wie dies auch schon früher vom Obersten Gerichtshof zu § 105a ASVG zum Ausdruck gebracht worden war (SSV-NF 1/46). Von der Verwendung des Begriffes "Wartung" wurde vom Bundesgesetzgeber bloß wegen seiner "negativen Besetzung" Abstand genommen (vgl Pfeil, BPGG 82; ders Pflegevorsorge 174; 10 ObS 295/98z). In der Frage, was unter Pflegebedarf bzw Betreuung und Hilfe zu verstehen ist, herrscht auch insoweit Übereinstimmung als es sich hier um zumindest im weiteren Sinn lebenswichtige Verrichtungen nichtmedizinischer Art handeln muß (vgl SSV-NF 11/7 ua; RIS-Justiz RS0106398; Tomandl, SV-System 8. ErgLfg 340; Pfeil, BPGG 80; Gruber/Pallinger, BPGG 6 f; 15 ff). Nach der Rechtsprechung ist die Abgrenzung zwischen dem anzurechnenden Pflegeaufwand und den nicht im Rahmen der Pflegegeldgesetze des Bundes und der Länder zu ersetzenden medizinischen Behandlungen so vorzunehmen, daß ein Pflegeaufwand jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die ein nicht behinderter Mensch gewöhnlich selbst vornimmt. In diesem Sinne sprach der erkennende Senat in der in der Revision zitierten Entscheidung SSV-NF 1/46 zum damaligen § 105a ASVG aus, daß ein Bedarf an Wartung und Hilfe im Sinne dieser Gesetzesstelle immer dann vorliegt, wenn der Betreffende nicht in der Lage ist, auch nur einzelne dauernd wiederkehrende lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen. Dabei kommen jedoch jeweils nur jene Verrichtungen in Frage, die nicht allgemein von dritten Personen besorgt werden, sondern die auch nicht eingeschränkte Personen gewöhnlich selbst erledigen. In diesem Sinne wurde in der Rechtsprechung (SSV-NF 10/133; 8/58 und 2/58) die Auffassung vertreten, daß es sich bei der Verabreichung von Insulininjektionen um einen Pflegebedarf handle, weil es sich dabei um eine vom Betroffenen üblicherweise selbst ausgeführte Tätigkeit handle, sodaß die Beiziehung einer Hilfsperson notwendig sei, wenn er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, sich die Injektionen selbst zu verabreichen. Auch dem Einsalben eines Versicherten wurde in der Entscheidung SSV-NF 11/34 grundsätzlich Relevanz für die Ermittlung des Pflegebedarfes zugebilligt. Nur das Einsalben an für einen Pflegebedürftigen nicht zugänglichen Rücken- und Schulterbereichen vermag keinen zusätzlichen pflegegeldbegründenden Aufwand zu rechtfertigen, wenn die betreffenden Stellen des Rückens auch ein ansonsten völlig Gesunder (nicht Behinderter) ebenfalls nicht selbst erreichen kann. Unterscheidet er sich - trotz seiner Krankheit - insoweit nicht von einem "normalen" (nicht behinderten) Menschen, kann er auch nicht den Schutz für Behinderte beim Pflegegeld beanspruchen. In diesem Sinn wurde auch in der in der Entscheidung SSV-NF 12/81 zu beurteilenden Frage, ob der mit der Versorgung der Unterschenkelgeschwüre einer Pflegegeldwerberin verbundene Aufwand unter den Pflegebedarf nach § 4 Abs 2 BPGG zu subsumieren ist, ausgeführt, daß der notwendige Aufwand im Rahmen der Ermittlung des Pflegeaufwandes zu berücksichtigen ist, wenn das Verbinden der Unterschenkel von einem Menschen, der über das Venenleiden hinaus keine Behinderungen hat, regelmäßig durchgeführt wird und die Pflegegeldwerberin dies nur deshalb nicht kann, weil sie an Behinderungen leidet. Auch in der jüngst ergangenen Entscheidung 10 ObS 295/98z wurde darauf hingewiesen, daß Insulininjektionen von Nichtpflegebedürftigen selbst vorgenommen und auch Medikamente ohne fremde Hilfe eingenommen werden können, eine Therapie jedoch, die von vorneherein auch an Nichtpflegebedürftigen von dritten Personen durchgeführt werden muß, schon aufgrund der Systematik und Intention des Pflegegeldrechtes außer Betracht zu bleiben habe. Damit sei aber eine Berücksichtigung der damals verfahrensgegenständlichen ausschließlich therapeutischen Leistungen der Mutter (Sprach- und Gehörtraining) mangels gesetzlicher Vorgaben ausgeschlossen. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Pflegebedarf bei Kleinkindern auch insoweit nicht anzuerkennen, als es sich um notwendige Verrichtungen handelt, die auch von gesunden Kindern in diesem Alter nicht selbständig vorgenommen werden können (SSV-NF 10/96 ua).

Diese dargelegten Grundsätze finden sich im wesentlichen auch in der Rechtsprechung des dt Bundessozialgerichtes. Nach § 14 I dSGB XI sind pflegebedürftig im Sinne des SGB XI solche Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer zumindest in erheblichem Maße der Hilfe bedürfen. Auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ist bei der Ermittlung des Pflgebedarfs bei Kindern nur der im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Kind bestehende Mehrbedarf an Hilfe maßgebend. Weiters vertritt auch das Bundessozialgericht die Auffassung, daß bei der Ermittlung des Pflegeaufwandes ausschließlich der Umfang des Pflegebedarfs bei den gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen (Körperpflege, Ernährung, Mobilität sowie hauswirtschaftliche Versorgung) zu berücksichtigen ist. So wurden in einer erst jüngst veröffentlichten Entscheidung des Bundessozialgerichtes (NZS 1999, 343 ff) bei einer 1993 geborenen Klägerin, die seit ihrer Geburt an einem schwerwiegenden Defekt der Lunge leidet, was eine ständige künstliche Sauerstoffzufuhr erforderlich macht, alle durch diese Lungenfunktionsstörung verursachten Maßnahmen, insbesondere die Versorgung der Klägerin mit Sauerstoff einschließlich aller damit zusammenhängenden Tätigkeiten, bei der Bemessung des Pflegebedarfs nicht berücksichtigt, weil sie nicht zu den gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung zählen. Die Versorgung der Klägerin mit Sauerstoff und die weiteren durch die Lungenfunktionsstörung der Klägerin verursachten Maßnahmen seien nicht zu berücksichtigen, weil sie unabhängig von einer der maßgebenden Verrichtungen anfallen und deshalb nicht zur Grundpflege zählen. Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen (das sind Hilfeleistungen, die nur durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, sog. Behandlungspflege) zählten, auch wenn sie zur Aufrechterhaltung von Grundfunktionen erforderlich seien, nur dann zur Grundpflege, wenn sie notwendigerweise im zeitlichen Zusammenhang mit einer der im Katalog des § 14 IV SGB XI - taxativ - aufgeführten Verrichtungen anfallen, denn § 14 SGB XI stelle bei der Beurteilung der Voraussetzungen für die Annahme von Pflegebedürftigkeit nur darauf ab, ob bei den in Abs 4 dieser Vorschrift aufgeführten Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens überhaupt Hilfsbedarf besteht, ohne nach dessen Ursache, nach der Art der benötigten Hilfeleistungen und deren finaler Ausrichtung zu differenzieren.

Auch wenn es sich, wie bereits dargelegt, bei den für den österreichischen Rechtsbereich maßgebenden Bestimmungen des § 1 Abs 2 EinstV zum BPGG bzw des - hier anzuwendenden - § 1 Abs 2 OÖEinstV um keine taxative Aufzählung der den persönlichen Lebensbereich betreffenden Betreuungsverrichtungen handelt, so entsprechen doch die darin beispielshaft aufgezählten Verrichtungen beim An- und Auskleiden, bei der Körperpflege, der Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, der Verrichtung der Notdurft, der Einnahme von Medikamenten und der Mobilitätshilfe im engeren Sinn wie Aufstehen, Zubettgehen, Umlegen etc ebenfalls der Grundpflege, wobei es auch keine Rolle spielt, auf welche Behinderung der jeweilige Hilfsbedarf zurückgeht und welche Ursache die Behinderung hat. Aus diesem Grunde kommt nach Ansicht des erkennenden Senates dem Begriff des Pflegebedarfs nach deutscher und österreichischer Rechtslage grundsätzlich ein durchaus vergleichbares Verständnis zu.

Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt jedoch eine Berücksichtigung der durch die Mutter der Klägerin im Zusammenhang mit der Vornahme der Peritonealdialyse für ihre nunmehr vier Jahre alte Tochter erbrachten Leistungen bei der Ermittlung des Pflegebedarfes im Sinn des § 4 OÖPGG nicht in Betracht. Es kann auch ein gesundes Kind im Alter der Klägerin die Peritonealdialyse nicht selbständig durchführen. Eine Änderung dieser Rechtslage hat sich auch durch die am 1. 1. 1999 in Kraft getretene Novelle zum OÖPGG (LGBl 1999/8) und die mit Ablauf des Tages ihrer Kundmachung im Landesgesetzblatt für Oberösterreich in Kraft getretene neue OÖEinstV (LGBl 1999/25) nicht ergeben. Dies gilt in gleicher Weise auch für die am 1. 1. 1999 in Kraft getretene Novelle zum BPGG (BGBl I 1998/111) und die mit 1. 2. 1999 in Kraft getretene neue EinstV (BGBl II 1999/37). In den Erläuternden Bemerkungen zur neuen EinstV zum BPGG (vgl Fürstl-Grasser/Pallinger, Die neue Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz samt Erläuterungen, SozSi 1999, 282 ff) wird vielmehr zur Bestimmung des § 1 EinstV einleitend nur angemerkt, daß die Bestimmung wie bisher die für die Beurteilung des Pflegebedarfes relevanten Betreuungsmaßnahmen enthalte, wobei die wichtigsten im Abs 2 demonstrativ angeführt seien. Der Zeitaufwand für therapeutische Heilbehandlungen (zB Bobath-Therapie) könne bei der Ermittlung des Pflegeaufwandes nicht berücksichtigt werden, wenn es sich dabei nicht um eine Betreuungs- oder Hilfsmaßnahme im Sinne der §§ 1 und 2 handle. Die beiden genannten Autoren verweisen in diesem Zusammenhang unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Tomandl, Einige grundsätzliche Überlegungen zum Pflegegeldanspruch, ZAS 1999, 13 ff auch darauf, daß bei der Einstufung von Kindern insbesondere kritisiert werde, daß therapeutische Maßnahmen bei der Beurteilung des Pflegebedarfes nicht berücksichtigt werden. Dieses Einstufungsproblem berühre in erster Linie den Zuständigkeitsbereich der Länder, die sich unter Einbeziehung des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Arbeitskreisen bereits mit dieser Frage befassen.

Da auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes ein Anspruch auf Berücksichtigung therapeutischer Maßnahmen bei der Beurteilung des Pflegebedarfes aus dem geltenden Recht nicht abgeleitet werden kann und der bei der Klägerin somit zu berücksichtigende Pflegebedarf unbestritten durchschnittlich nicht mehr als 120 Stunden monatlich beträgt, gebührt der Klägerin auch nach § 4 Abs 2 OÖPGG idF LGBl 1999/8 nur Pflegegeld der Stufe 2. Es war daher das Berufungsurteil mit der Maßgabe zu bestätigen, daß der ziffernmäßige Betrag der weiterhin aufrechten Pflegegeldstufe spruchmäßig auszuweisen ist (vgl SSV-NF 12/41) und auch die im angefochtenen, durch die Klage jedoch außer Kraft getretenen Bescheid enthaltene Anrechnungsverpflichtung auszusprechen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Mit Rücksicht auf die schwierige Rechtslage entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen Klägerin die Hälfte der Kosten des Revisionsverfahrens zuzuerkennen (SSV-NF 6/61 ua).

Rechtssätze
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