Spruch
W278 2287181-1/14E
W278 2293811-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Richter Mag. Dominik HABITZL über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , und 2.) XXXX geb. XXXX , beide StA. Syrien, beide vertreten durch die BBU GmbH, jeweils gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1.) 23.01.2024, Zl. XXXX , und vom 2.) 15.04.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.12.2024, 14.07.2025 und 22.07.2025, zu Recht:
A)
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) und der Zweitbeschwerdeführer (in der Folge: BF2) sind syrische Staatsangehörige und leibliche Brüder. Gemeinsam werden sie als Beschwerdeführer (in der Folge: BF) bezeichnet. Der Verwaltungsakt des BF1 mit der GZ XXXX wird im gegenständlichen Erkenntnis als „Akt BF1“ und der Akt des BF2 mit der GZ XXXX als „Akt BF2“ bezeichnet.
Die BF reisten illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Der BF 2 stellte am 22.10.2022, der BF1 am 27.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Erstbefragungen der BF vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch fanden am 24.10.2022 (BF2) und 27.10.2022 (BF1) statt.
Mit Beweismittelvorlage vom 22.12.2022 legte der BF1 Kopien eines syrischen Reisepasses und eines syrischen Personalausweises zum Nachweis seiner Identität vor. Am 10.01.2023 wurde beim BF1 eine altersdiagnostische Begutachtung durchgeführt und ein Sachverständigengutachten dazu erstattet. Das angegebene Geburtsdatum erwies sich als mit dem angegebenen Geburtsdatum vereinbar, sodass der BF1 im Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig war. Der BF2 legte nach der Erstbefragung einen syrischen Führerschein und einen Personalregisterauszug im Original vor, der Führerschein wurde einer Dokumentenprüfung unterzogen und für echt befunden, beide Dokumente wurden übersetzt.
Gegen den BF1 wurde wegen Diebstahls von Kleidungsstücken ein Strafantrag wegen § 127 StGB gestellt. Das Verfahren nach Durchführung einer Verhandlung mit Beschluss des zuständigen Bezirksgerichts vom XXXX gemäß §§ 199, 203 Abs. 1 StPO unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren vorläufig eingestellt.
Am 19.12.2023 erfolgte unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch die niederschriftliche Einvernahme des BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder BFA).
Am 19.02.2024 erfolgte unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch die niederschriftliche Einvernahme des BF2 vor dem Bundesamt und legte er ein Militärbuch im Original sowie einen Familienregisterauszug und eine Deutschkursbestätigung sowie zwei Lichtbilder seiner Tochter vor. Das Militärbuch und der Familienregisterauszug wurden infolge übersetzt.
Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 23.01.2024 (BF1) und vom 15.04.2024 (BF2) wies das Bundesamt die Anträge der BF jeweils auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Begründend führte das Bundesamt im Bescheid des BF1 im Wesentlichen aus, es habe keine persönlich gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung in Zusammenhang mit dem Wehrdienst erkannt werden können, zumal er den Militärdienst in der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnt habe. Im Bescheid des BF2 führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, es sei nicht nachvollziehbar, dass er bei der Erstbefragung nur die Furcht vor dem Reservewehrdienst angegeben habe, dann in der Einvernahme aber vorgebracht habe, von den kurdischen Behörden als auch den Mitgliedern einer Entführungsbande gesucht zu werden. Dieses Vorbringen sei ebenso wenig glaubhaft, wie eine Verfolgung bzw. Verurteilung durch kurdische Behörden wegen einer Organisation bzw. Beteiligung an einer Demonstration. Aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Syrien sei beiden BF subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Die Bescheide wurden am 26.01.2023 (BF1) und am 26.04.2024 (BF2) rechtswirksam zugestellt.
Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide erhoben beide BF, der BF1 mit Schriftsatz vom 20.02.2024 und der BF2 mit Schriftsatz vom 26.04.2024, durch ihre rechtliche Vertretung fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mangelhafter Beweiswürdigung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der BF1 wiederholte im Wesentlichen sein Fluchtvorbringen vor dem Bundesamt und monierte, dass die Herkunftsregion von der belangten Behörde nicht festgestellt worden sei. Er fürchte eine Einziehung zum Wehrdienst beim syrischen Regime und der kurdischen SDF und werde er im Falle einer Weigerung wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung verfolgt. Der BF2 brachte in der Beschwerde ergänzend vor, dass er vom syrischen Regime als oppositionell angesehen werde, weil ein Cousin mit demselben Familiennamen in den 1980er-Jahren an einem Putschversuch an „Assad Senior“ beteiligt gewesen sei. Er fürchte eine Einberufung zum Reservewehrdienst bei der Armee des syrischen Regimes und eine Verfolgung durch kurdische Milizen und den „Kidnapper-Ring“. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde den BF jeweils gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zuerkennen müssen. Beantragt wurde unter anderem die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Die Beschwerdevorlage vom 20.02.2024 betreffend den BF1 und der bezughabende Verwaltungsakt langten bei der Gerichtsabteilung W278 des Bundesverwaltungsgerichts (in der Folge: BVwG) am 23.02.2024 ein. Die Beschwerdevorlage vom 14.06.2024 betreffend den BF2 und der bezughabende Verwaltungsakt langten bei der Gerichtsabteilung W137 des BVwG am 17.06.2024 ein und wurde der Gerichtsabteilung W278 nach erfolgter Unzuständigkeitseinrede wegen Annexität am 24.06.2024 neu zugewiesen.
Am 06.12.2024 fand vor dem BVwG in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch, beider BF, und des ausgewiesenen Vertreters eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher die BF ausführlich zu ihren persönlichen Lebensumständen und ihren Fluchtgründen befragt wurde. Das Bundesamt verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung. Im Zuge der Verhandlung wurden den BF und ihrer Vertretung die herangezogenen Länderberichte, darunter die Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien, Version 11 vom 27.03.2024, der EUAA-Leitfaden vom April 2024 sowie weitere relevante Berichte zur Kenntnis gebracht.
Mit Beweismittelvorlage vom 11.12.2024 übermittelte der BF2 eine Kopie des medizinischen Befundes seiner Tochter, die Übersetzung langte am 21.01.2025 beim BVwG ein. Am 12.12.2024 langte der syrische Reisepass des BF1 auf postalischem Weg beim BVwG ein.
Mit Parteiengehör vom 27.05.2025 wurden den BF die aktuellen Länderinformationen zur Lage in Syrien nach dem Machtwechsel im Dezember 2024 übermittelt und eine zweiwöchige Frist zur schriftlichen Stellungnahme gewährt. Betreffend den BF1 langte eine Stellungnahme fristgerecht ein.
Am 14.07.2025 (BF1) und am 22.07.2025 (BF2) fanden vor dem BVwG jeweils in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch und der ausgewiesenen Vertreter der BF öffentliche mündliche Verhandlungen statt. Das Bundesamt verzichtete auf die Teilnahme an den Verhandlungen. Die BF wurden erneut zu ihren Lebensumständen und Fluchtgründen befragt. Im Zuge der Verhandlungen wurden den BF und ihrer Vertretung die herangezogenen Länderberichte, darunter die Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien, Version 12 vom 08.05.2025 sowie weitere relevante Berichte zur Kenntnis gebracht. Der BF1 und seine rechtliche Vertretung verzichteten auf deren Verlesung und verwiesen auf die schriftliche Stellungnahme. Der BF2 und seine rechtliche Vertretung verzichteten auf die Verlesung der Länderberichte und gab der Rechtsvertreter eine kurze Stellungnahme zu Protokoll. Beide BF stimmten ausdrücklich zu, dass die Entscheidung gemeinsam ergeht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Der BF1 führt den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Erstsprache ist Arabisch. Der BF1 ist ledig und kinderlos.
Der BF2 führt den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Erstsprache ist Arabisch. Der BF2 ist verheiratet, der Ehe entstammen vier Kinder.
Die BF stammen aus der XXXX (auch protokolliert unter der Schreibweise: XXXX ) im gleichnamigen Gouvernement. Der BF1 besuchte die Schule bis zur sechsten Schulstufe, danach arbeitete er in einer Schneiderei. Der BF2 besuchte die Schule bis zur neunten Schulstufe und arbeitete danach als Friseur und im Motorradhandel, er besuchte auch eine private Fachschule für Elektronik in Aleppo. Die Familie der BF lebte abwechselnd in XXXX (auch protokolliert unter der Schreibweise: XXXX ), wo die Familie zwei Häuser besitzt, zum Entscheidungszeitpunkt leben sie wieder XXXX . Die Ehefrau und die Kinder des BF2 leben bei der Familie der Ehefrau in XXXX ihr Vater ist der Sheikh des Familienstammes. Der Vater der BF betreibt einen Handel bzw. kleine Läden und verdient damit den Lebensunterhalt für die Familie. Die BF haben regelmäßig Kontakt zu ihren Familienangehörigen in Syrien. In Österreich leben keine weiteren Familienangehörigen der BF.
Im September 2022 verließen die BF Syrien und reisten gemeinsam in die Türkei aus. Von dort reisten sie schlepperunterstützt über Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich ein.
Beide BF sind gesund, sie benötigen weder ärztliche noch medikamentöse Behandlung, sie sind arbeitsfähig. Die BF waren bzw. sind im Bundesgebiet auch bereits erwerbstätig.
Die BF sind strafgerichtlich unbescholten, ein Strafverfahren des BF1 wurde unter Setzung einer Probezeit diversionell erledigt. Beide BF verfügen in Österreich über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten.
1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Die BF reisten unrechtmäßig nach Österreich ein. Der BF1 stellte am 27.10.2022, der BF2 am 22.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Herkunftsregion der BF im Gouvernement XXXX wurde nach Beginn des Bürgerkrieges zunächst von der Freien Syrischen Armee (FSA) und danach vom Islamischen Staat (IS) kontrolliert. Seit November 2017 steht die Region unter der Kontrolle der kurdischen Syrian Democratic Forces (in der Folge: SDF).
Der BF1 hat weder den verpflichtenden Wehrdienst bei der Armee der ehemaligen Assad-Regierung, noch die Selbstverteidigungspflicht der kurdischen Einheiten geleistet, da er vor Erreichen der Volljährigkeit aus Syrien ausgereist ist.
Der BF2 hat den verpflichtenden Wehrdienst bei der ehemaligen syrischen Armee als einfacher Rekrut ab dem Jahr 2010 geleistet, er hat nie an Kampfhandlungen teilgenommen, sondern Telefone repariert. Den Dienst der Selbstverteidigungspflicht hat er nicht geleistet. Eine Verfolgung durch die nunmehrige Übergangsregierung (STG) aufgrund des abgeleisteten Wehrdienstes ist nicht maßgeblich wahrscheinlich.
Den BF droht in Syrien aufgrund des Machtwechsels durch die neue Übergangsregierung (STG) im Falle einer Rückkehr keine Verfolgung durch die ehemalige Assad-Regierung, weder in Zusammenhang mit dem verpflichtenden Wehrdienst noch mit dem Reservedienst der ehemaligen syrischen Armee.
In Gebieten unter der Kontrolle der DAANES (Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien) werden Männer mit Vollendung des 18. Lebensjahres zur Selbstverteidigungspflicht einberufen, dieser Wehrdienst muss bis zum 40. Lebensjahr vollendet werden. Wehrpflichtig ist jeder männliche Bewohner der Region Nord- und Ostsyrien, der das gesetzliche Alter für die Ausübung des Selbstverteidigungsdienstes erreicht hat, bzw. jeder, der seit mehr als drei Jahren dauerhaft in Nord- und Ostsyrien ansässig ist und die syrische Staatsangehörigkeit besitzt. Das sogenannte Verteidigungsbüro des Exekutivrats der „Demokratischen Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien“ hat die für die Wehrpflicht erforderlichen Geburtsjahrgänge festgelegt, wonach für den Dienst der Selbstverteidigung wehrpflichtig ist, wer zwischen dem 01.01.1998 und dem 31.12.2005 geboren ist. Die Dienstzeit im Selbstverteidigungsdienst beträgt zwölf volle Monate beginnend mit dem Datum der Einschreibung des Wehrpflichtigen.
Der BF2 ist aufgrund seines Geburtsjahres nicht mehr wehrpflichtig, ihm droht daher im Falle einer Rückkehr weder eine Einberufung noch eine Zwangsrekrutierung zur Selbstverteidigungspflicht. Der BF1 wäre im Falle einer Rückkehr verpflichtet, die Selbstverteidigungspflicht zu leisten. Ein Einsatz im Rahmen dieses Militärdienstes würde nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an der Front erfolgen, sondern normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz. Dem BF1 würde aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Arabern keine schlechtere Behandlung, und im Falle seiner Weigerung keine unverhältnismäßige Strafe drohen.
Die BF werden in ihrer Herkunftsregion auch nicht von Dritten, konkret einer Bande von Verbrechern, die Kinder oder Personen entführen und von den BF als „Mafia“ bezeichnet werden, verfolgt. Der BF2 trat zwar – wie viele andere – vor seiner Ausreise für die Strafverfolgung der Entführer ein, für eine Verfolgung durch die Kurden ergaben sich weder aus seinen persönlichen Angaben noch aus dem Video Hinweise. Auch die Verletzung der Tochter des BF steht nicht in Zusammenhang mit der Teilnahme an der Demonstration wegen der geforderten Strafverfolgung der Entführer.
Die BF haben kein Verhalten gesetzt, aufgrund dessen ihnen seitens der kurdischen Kräfte eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde. Die BF wären im Fall ihrer Rückkehr keiner realen Gefahr ausgesetzt, aus den genannten Gründen von kurdischen Kräften mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
Die BF haben keine gegen das ehemalige syrische Regime oder die nun in Syrien vertretenen Gruppierungen, einschließlich der Übergangsregierung gerichtete politische Überzeugung und sind wie auch ihre Familienmitglieder zu keinem Zeitpunkt mit einer solchen in Erscheinung getreten.
Die BF sind im Fall einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien auch aus sonstigen Gründen keiner konkreten Verfolgungsgefährdung oder der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, ihrer Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung ausgesetzt.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat der BF herangezogen:
Länderinformationen der Staatendokumentation zu Syrien, Version 12, vom 08.05.2025
EUAA – Syria: Country Focus vom März 2025
EUAA – Syria: Interim Country Guidance vom 20.06.2025
Danish Immigration Service (DIS), Syria security situation vom 24.06.2025
Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung Rekrutierung durch andere bewaffnete Gruppen; Zwangsrekrutierungen [a-12592-v2] vom 21.03.2025
1.3.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation zu Syrien, Version 12, vom 08.05.2025, wiedergegeben: 3 Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Die Transformation der syrischen Politik ist noch nicht abgeschlossen und es wurden bereits Änderungen für März 2025 angekündigt. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). [Details zur Offensive bzw. zur Hay'at Tahrir ash-Sham finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) Anm.] Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
Die Karte zeigt die Aufteilung Syriens unter den bewaffneten Gruppierungen Ende Februar 2025:

Quelle: TWI 28.2.2025
In der ersten Woche nach der Flucht al-Assads aus dem Land gelang es Syrien, ein vollständiges Chaos, zivile Gewalt und den Zusammenbruch des Staates abzuwenden (MEI 19.12.2024). Ehemalige Regimeoffiziere sollen viele Regierungsgebäude niedergebrannt haben, um Beweise für ihre Verbrechen zu verstecken, nachdem sie nach dem Sturz des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aus dem Innenministerium geflohen waren (Araby 16.12.2024). Die neuen de-facto-Führer Syriens bemühten sich um Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. Obwohl es Berichte über Plünderungen in der Zentralbank und über Menschen gab, die den persönlichen Wohnsitz al-Assads und die Botschaft des Iran, seines Hauptunterstützers, durchwühlten, standen am 9.12.2024 Rebellenkämpfer vor Regierungsgebäuden in der gesamten Hauptstadt Wache. Die neuen Behörden verbreiteten auch Bilder von Sicherheitspersonal, das durch die Straßen von Damaskus patrouillierte, in den sozialen Medien (NYT 12.12.2024).
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).
Die Übergangsregierung ließ laut Medienberichten die Verwaltungsbeamten auf ihren Posten (LTO 9.12.2024). Eine diplomatische Quelle eines europäischen Staates wiederum berichtet von einer Beurlaubung aller Staatsbeamten: Durch die Beurlaubung aller Staatsbeamter gibt es in Syrien zwar nun (interimistische) Minister, aber kaum Beamte, soll heißen, keine funktionierende Verwaltung. Mit ganz wenigen Ausnahmen stehen die Ministerien leer. Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen. Die kommunale Versorgung ist nicht vorhanden bzw. derzeit auf Privatinitiativen reduziert (SYRDiplQ1 5.2.2025). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei leiten Teenager den Verkehr (FT 25.3.2025). Syrienexperte Daniel Gerlach sagte, dass die leitende Beamtenebene im Land fehlt, die zwischen politischen Entscheidungsträgern und der Verwaltung – die ihre Arbeit wieder aufgenommen hat – steht. Es fehlen diejenigen, die mit den Verwaltungsträgern in Kontakt sind und die Politik umsetzen. Diejenigen, die in Syrien politische Entscheidungen träfen, seien ungefähr 15 bis 16 Personen, schätzt Gerlach (AC 23.1.2025). Alle Minister der Übergangsregierung waren aus dem 7. Kabinett der SSG, das im Februar 2024 ernannt worden war (AlMon 11.12.2024). Ash-Shara' und der Interims-Premierminister haben Loyalisten zu Gouverneuren in mehreren Provinzen und zu Ministern in der Übergangsregierung ernannt (ISW 19.12.2024). Al-Bashir hat gegenüber Al Jazeera erklärt, dass die Minister der SSG vorerst die nationalen Ministerämter übernehmen werden (AJ 15.12.2024a). Ash-Shara', sagte, dass in den ersten 100 Tagen keine internen und externen Parteien berücksichtigt werden. Er hat allen seinen Kameraden, die der HTS oder anderen Gruppierungen angehören, sehr deutlich gemacht, dass er diese Phase nur Leuten anvertraut, die sein persönliches Vertrauen haben. Er hat seine Partner und Freunde gebeten, ihm in dieser Phase beizustehen und sich darauf vorzubereiten, die Form einer neuen Regierung zu diskutieren (Akhbar 31.12.2024). Die HTS, die in der neuen Regierung erheblichen Einfluss hat, verfügt einem Bericht des Atlantic Council zufolge nicht über ausreichende technokratische Fachkenntnisse, um eine so komplexe Nation wie Syrien zu verwalten (AC 23.1.2025).
Die Regierung hat keinen Zeitplan für die Durchführung von Wahlen festgelegt. Ash-Shara' stellte am 16.12.2024 fest, dass Syrien nicht bereit für Wahlen sei. Die Amtszeit der Übergangsregierung wurde bis März 2025 festgesetzt (ISW 16.12.2024). Am 29.3.2025 ernannte der Präsident die neue syrische Regierung. Diese besteht aus Technokraten, ethnischen Minderheiten und mehreren engen Vertrauten ash-Shara's. Fast die Hälfte der Ernannten steht in keiner Verbindung zur HTS. Unter den Ernannten ist eine Frau, ein Angehöriger der drusischen Minderheit, ein Kurde und ein Alawit (FT 30.3.2025). Das einzige weibliche Kabinettsmitglied ist katholische Christin (VN 1.4.2025). Keiner davon erhielt ein wichtiges Ressort. Syrien-Experte Fabrice Balanche erklärte, dass wichtige Ressorts an „ehemalige Mitstreiter vergeben wurden, die bereits Teil der Syrischen Heilsregierung in der Provinz Idlib“ im Nordwesten Syriens waren (AlMon 30.3.2025). Der Verteidigungsminister und der Außenminister der Übergangsregierung behielten ihre Ämter. Innenminister Khattab war zuvor Leiter des Geheimdienstes (Independent 29.3.2025). Auch Außenminister ash-Shaibani behielt sein Amt (AlMon 30.3.2025). Mehrere der neuen Minister waren unter dem Assad-Regime tätig. Zu den ehemaligen Assad-Beamten gehören Yarab Badr, der neue Verkehrsminister, und Nidal ash-Sha'r, der zum Wirtschaftsminister ernannt wurde (NYT 30.3.2025). Die Mitglieder sind für fünf Jahre bestellt (FT 30.3.2025). Das Kabinett hat keinen Premierminister, da gemäß der vorläufigen Verfassung die Regierung einen Generalsekretär haben wird (Independent 29.3.2025). Ein neues Gremium, das Ende März per Dekret bekannt gegeben wurde, das Generalsekretariat für politische Angelegenheiten, gewährte ash-Shara's Stellvertreter, Außenminister ash-Shaibani, weitreichende Befugnisse über die Führung von Ministerien und Regierungsbehörden – ähnlich der Rolle eines Premierministers (FT 30.3.2025).
Die Kurden im Nordosten Syriens stellen sich gegen die neu vorgestellte syrische Regierung. Das Kabinett spiegele nicht die Vielfalt des Landes wider, teilte die Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) mit. Man sehe sich daher nicht an die Entscheidungen der neuen Regierung gebunden (Zeit Online 30.3.2025; vgl. Standard 30.3.2025; K24 30.3.2025). Obwohl der neuen Regierung mit Bildungsminister Mohammad Turko ein Kurde angehört, sind keine Vertreter der DAANES ins neue Kabinett berufen worden (MEE 30.3.2025). Einige Kritiker weisen auf die Diskrepanz zwischen ash-Shara's Rhetorik bei Treffen mit internationalen Vertretern und dem vermeintlichen Fehlen eines integrativen Diskurses mit einheimischen Akteuren hin (Etana 10.1.2025). In den ersten fünfzig Tagen der neuen Regierung wurden in den Regierungsinstitutionen eine Reihe von Ernennungen vorgenommen, darunter neben den Ministern auch die meisten Gouverneure und Direktoren der wichtigsten Regierungsbehörden und Abteilungen, die eine hoheitliche Dimension haben, wie der Geheimdienst, die Zentralbank und der Kassationshof (AJ 27.1.2025a). Die Problematik besteht darin, dass der Kreis der Entscheidungsträger – zumindest derzeit - ein besonders kleiner, ausschließlich aus engsten Vertrauten aus Idlib bestehender ist, d. h. ein in sich geschlossener Kreis. Hinzu kommen bereits interne Unstimmigkeiten: So mancher militärischen Gruppierung und manchem Weggefährten aus Idlib geht der moderate Zugang der Übergangsbehörden bereits zu weit. War man in den ersten euphorischen Wochen nach der Machtübernahme noch zuversichtlich-optimistisch bzw. vielmehr überzeugt, die Erfahrungen aus dem Modell Idlib auf das ganze Land übertragen zu können (die Argumentation dabei: Idlib als erfolgreicher Mikrokosmos Gesamtsyriens, da ja bewaffnete Gruppen aus dem ganzen Land nach Idlib transferiert worden waren), so hat 50 Tage nach dem Fall des Regimes Assad die Realität die neuen Machthaber eingeholt. Das katastrophale administrative Erbe, die schlechte Wirtschaftslage, die schiere Größe und Vielfalt des Landes, sowie der Mangel an allem, auch an eigenem Fachwissen und Erfahrung. Die Verwaltung eines Stadtstaates (Idlib) hat eine ganz andere Dimension als die eines komplexen, zerstörten Landes (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Die Übergangsregierung kündigte an, dass eine umfassende nationale Dialogkonferenz, eine vorläufige Verfassungserklärung abgeben, einen Ausschuss zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung bilden und eine Übergangsregierung bestätigen wird, die die Macht von al-Bashirs Regierung übernehmen wird (AJ 27.1.2025a). Am 12.2.2025 bestätigten Quellen gegenüber Al Jazeera, dass die syrische Präsidentschaft das Vorbereitungskomitee für die Nationale Konferenz gebildet hat bestehend aus fünf Männern und zwei Frauen (AJ 12.2.2025; vgl. Sky News 12.2.2025). Zur Vorbereitung der Konferenz hat das siebenköpfige Vorbereitungskomitee Anhörungen in den Gouvernements organisiert und manchmal mehrere zweistündige Sitzungen pro Tag abgehalten, um die 14 Provinzen Syriens in einer Woche abzudecken. Fünf Mitglieder des Komitees gehörten der HTS an oder stehen ihr nahe. Vertreter der Drusen oder Alawiten, zwei der großen Minderheiten in Syrien, waren nicht dabei (BBC 25.2.2025). Mit 12.2.2025 nahm dieses Komitee seine Arbeit auf, um die nationale Konferenz vorzubereiten und die Einladungen an die Teilnehmer zu verschicken (AJ 12.2.2025). Die sieben Mitglieder des Vorbereitungskomitees haben etwa 4.000 Menschen in ganz Syrien konsultiert, um Meinungen einzuholen, die bei der Ausarbeitung einer Verfassungserklärung, eines neuen Wirtschaftsrahmens und eines Plans für institutionelle Reformen helfen sollen, teilte das Komitee am 23.2.2025 Reportern mit (REU 23.2.2025; vgl. AlHurra 23.2.2025). Am 25.2.2025 fand die Konferenz zum Nationalen Dialog in Damaskus statt. Hunderte von Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen waren anwesend, aber viele andere Persönlichkeiten und Gruppierungen waren nicht anwesend (AlHurra 25.2.2025). Ca. 400 Vertreter der Zivilgesellschaft, der Glaubensgemeinschaften, der Opposition und der Künstler nahmen teil (AlHurra 25.2.2025). Laut BBC waren es sogar 600 Teilnehmer (BBC 25.2.2025). Die Kurdische Autonomieverwaltung (Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien - DAANES) und ihr militärischer Arm, die SDF, haben keine Einladung zur Teilnahme an der Konferenz erhalten. Die Organisatoren hatten zuvor mitgeteilt, dass keine militärischen Einheiten oder Formationen, die noch ihre Waffen behalten, eingeladen wurden (AlHurra 25.2.2025). Nach der Eröffnung der Konferenz wurden die Teilnehmer in sechs Workshops eingeteilt, die sich mit zentralen Themen befassten, darunter „persönliche Freiheiten“, „Verfassungsaufbau“ und „Übergangsjustiz“. In der Abschlusserklärung der Konferenz wurde die rasche Bildung des provisorischen Legislativrats gefordert, der die Aufgaben der Legislative nach „Kriterien der Kompetenz und der gerechten Vertretung“ übernehmen soll (BBC 25.2.2025). Das Komitee der Dialogkonferenz gibt Empfehlungen heraus und erlässt keine Entscheidungen (AJ 21.2.2025). Diese Empfehlungen sollen in die Verfassungserklärung und den Plan für institutionelle Reformen einfließen, versichert der Sprecher des Komitees (AlHurra 23.2.2025; vgl. BBC 23.2.2025). Auf der Konferenz wurden mehrere Erklärungen abgegeben, darunter die Bildung eines Legislativrats, ein Bekenntnis zur Übergangsjustiz, zu den Menschenrechten und zur Gewährleistung der Meinungsfreiheit. Eine am Ende der eintägigen Konferenz veröffentlichte Erklärung – die nur wenige Tage zuvor angekündigt wurde und vielen potenziellen Teilnehmern nur wenig Vorbereitungszeit ließ – ebnete den Weg für die Bildung eines siebenköpfigen Ausschusses, der mit der Ausarbeitung einer Übergangserklärung zur Verfassung beauftragt wurde (TNA 3.3.2025). Am 2.3.2025 gab die neue Regierung die Bildung dieses siebenköpfigen Ausschusses bekannt. Der Ausschuss besteht aus einem Expertenkomitee, dem auch zwei Frauen angehören und dessen Aufgabe es ist, die Verfassungserklärung, die die Übergangsphase regelt, in Syrien zu entwerfen. Das Komitee werde „seine Vorschläge dem Präsidenten vorlegen“, hieß es in einer Erklärung, ohne einen Zeitrahmen anzugeben (FR24 2.3.2025; vgl. BBC 3.3.2025). Weniger als zwei Stunden nach dieser Entscheidung wurden die Texte der Artikel, die in diese Erklärung aufgenommen werden sollen, bekannt, was bei den Syrern sowohl Bestürzung als auch Spott hervorrief, zumal die Informationen von arabischen Satellitenkanälen und nicht von lokalen Sendern stammten (Nahar 4.3.2025). Der Ausschuss stellte fest, dass die Verfassungserklärung die allgemeinen Grundlagen des Regierungssystems festlegen wird, um Flexibilität und Effizienz bei der Verwaltung des Staates in dieser sensiblen Zeit zu gewährleisten, um die politische und soziale Einheit und die territoriale Integrität des Landes zu bewahren. Die Ideen aus den nationalen Dialogen und Diskussionen, die in den Workshops zur Verfassungsgebung während der Nationalen Dialogkonferenz stattgefunden haben, sollen vom Ausschuss berücksichtigt werden (SANA 3.3.2025).
Am 13.3.2025 unterzeichnete ash-Shara' die angekündigte Verfassungserklärung (NYT 14.3.2025). Das vorläufige Dokument besteht aus vier Kapiteln und 53 Artikeln (AlHurra 14.3.2025). Es sieht eine fünfjährige Übergangsphase vor (BBC 14.3.2025). Nach dieser Übergangsphase soll eine dauerhafte Verfassung verabschiedet und Wahlen für den Präsidenten abgehalten werden (NYT 14.3.2025). Die Erklärung legt fest, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, wie es schon in der vorherigen Verfassung geschrieben stand. Anders als in der Verfassung von 2012, schreibt diese Verfassungserklärung die islamische Rechtslegung als wichtigste Quelle der Gesetzgebung fest. Daneben werden die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verankert sowie die Rechte der Frauen garantiert (BBC 14.3.2025). Der Präsident ist jedoch allein für die Ernennung der Richter des neuen Verfassungsgerichts Syriens verantwortlich. Die Richter müssen unparteiisch sein (NYT 14.3.2025). Für die Rechenschaftspflicht des Präsidenten wird in der Verfassung keine Möglichkeit eingeräumt. Der Erklärung zufolge wird ash-Shara' neben dem Präsidenten der Republik die folgenden Ämter bekleiden: Premierminister, Oberbefehlshaber der Armee und der Streitkräfte und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates. In Artikel 41 räumt die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Möglichkeit ein, mit Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates, dessen Mitglieder er selbst auswählt, den Ausnahmezustand auszurufen (AlHurra 14.3.2025). Der neu gebildete Nationale Sicherheitsrat setzt sich aus Shara'-Getreuen zusammen, darunter Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra, Innenminister Ali Keddah, Außenminister As'ad ash-Shaibani und Geheimdienstchef Anas Khattab (ISW 13.3.2025). Der Meinung des Syrienexperten Fabrice Balanche nach ist der Nationale Sicherheitsrat „die eigentliche Regierung“ (AlMon 30.3.2025). Die Erklärung garantiert Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit. Allerdings können alle Rechte, einschließlich der Religionsfreiheit, eingeschränkt werden, wenn sie unter anderem als Verstoß gegen die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung angesehen werden. Die Verpflichtung zur Gewährleistung der Meinungs-, Ausdrucks-, Informations-, Veröffentlichungs- und Pressefreiheit ist mit einigen Ausnahmen verbunden, darunter die Verherrlichung des Assad-Regimes (NYT 14.3.2025). Auch die Symbole des Assad-Regimes sind unter Strafe gestellt sowie seine Verbrechen zu leugnen, zu loben, zu rechtfertigen oder zu verharmlosen (AlHurra 14.3.2025). Die Verfassungserklärung garantiert Frauen das Recht auf Bildung und Arbeit und fügt hinzu, dass sie volle soziale, wirtschaftliche und politische Rechte haben werden (NYT 14.3.2025). Aussagen eines Mitglieds des Ausschusses für die Verfassungserklärung zufolge werde eine neue Volksversammlung die volle Verantwortung für die Gesetzgebung tragen. Zwei Drittel ihrer Mitglieder würden von einem vom Präsidenten ausgewählten Ausschuss ernannt, ein Drittel vom Präsidenten selbst. Außerdem werde ein Ausschuss gebildet, der eine neue dauerhafte Verfassung ausarbeiten solle (BBC 14.3.2025). Diese temporäre Verfassung konzentriert viel Macht in den Händen des Präsidenten. So werden dem Präsidenten die Exekutivgewalt und die Befugnis, den Ausnahmezustand zu erklären, gewährt (NYT 14.3.2025). Das Parlament ist nicht befugt, den Präsidenten anzuklagen, Minister zu ernennen oder zu entlassen oder die Exekutive zu kontrollieren (HRW 25.3.2025). Immerhin spricht die Verfassungserklärung dem Präsidenten die Befugnis ab, allgemeine Amnestiegesetze zu erlassen, die al-Assad zuvor für sich monopolisiert hatte (AlHurra 14.3.2025). In der Verfassung ist Syrien als „arabische“ Republik definiert mit Arabisch als einziger Amtssprache (LSE 28.3.2025). Sie löste innerhalb Syriens viele Diskussionen aus. Umstritten sind insbesondere jene Passagen, die dem Präsidenten ein Machtmonopol einräumen (AlHurra 14.3.2025). Der Syrische Demokratische Rat, der politische Arm der kurdisch geführten Kräfte, die den Nordosten Syriens kontrollieren, erklärte, das neue Dokument sei „eine neue Form des Autoritarismus“ und kritisierte die seiner Meinung nach unkontrollierten Exekutivbefugnisse (NYT 14.3.2025). Das International Centre for Dialogue Initiatives schreibt, dass diese Reformen einseitig von einem ebenfalls vom Präsidenten ernannten Verfassungsausschuss ausgearbeitet wurden, der dann behauptete, ihre Legitimität stamme aus einem Dialogprozess. Die sogenannte Nationale Dialogkonferenz wurde so zu einem politischen Deckmantel für vorab festgelegte Verfassungsänderungen, die unter dem Deckmantel der Reform die autoritäre Herrschaft festigten (ICDI 4.4.2025). Trotz der weitverbreiteten Kritik an der aktuellen Verfassung ist keine kurzfristige Überarbeitung vorgesehen. Die vorliegende Fassung ist das Ergebnis eines beschleunigten Verfahrens, das unmittelbar nach der Nationalen Dialogkonferenz im Februar 2025 in Gang gesetzt wurde. Ein siebenköpfiges Gremium erarbeitete die Verfassung in kürzester Zeit und wird in ihrer aktuellen Form noch nicht ihren Ansprüchen für einen pluralistischen, freien und gerechten Staat gerecht (AdRev 3.4.2025).
Als Reaktion auf die neue Verfassung gründeten 34 verschiedene syrische Parteien und Organisationen am 22.3.2025 eine Allianz, die Allianz für gleiche Staatsbürgerschaft in Syrien (Syrian Equal Citizenship Alliance bzw. Tamasuk). Zu den Organisationen der Allianz gehört der Syrische Demokratische Rat (ISW 24.3.2025), die Partei des Volkswillens, die Demokratische Ba'ath-Partei und die Kommunistische Arbeiterpartei (TNA 23.3.2025) sowie andere kurdische, christliche und drusische Gruppierungen (ISW 24.3.2025). Das Bündnis bezeichnet sich selbst nicht als Opposition und verlangt eine dezentrale Machtverteilung (TNA 23.3.2025).
Die Verfassung und das Parlament wurden während der dreimonatigen Übergangszeit ausgesetzt, so die interimistischen Behörden (Almodon 8.1.2025). Laut Leaks wird der Übergangspräsident die Volksversammlung innerhalb von 60 Tagen nach der Veröffentlichung der Verfassungserklärung ernennen. Die Volksversammlung wird 100 Mitglieder umfassen, wobei eine gerechte Vertretung der Komponenten und Kompetenzen berücksichtigt wird, und wird vom Präsidenten der Republik durch ein republikanisches Dekret für eine Amtszeit von zwei Jahren ernannt (AlHurra 3.3.2025). Am 29.12.2024 sagte ash-Shara' in einem Interview, dass die Durchführung legitimer Wahlen eine umfassende Volkszählung benötige (Arabiya 29.12.2024). In einem Interview gab er an, dass es damit in Syrien freie, faire und integre Wahlen abgehalten werden können, einer Volkszählung, der Rückkehr der im Ausland lebenden Menschen, der Öffnung der Botschaften und der Wiederherstellung des legalen Kontakts mit der Bevölkerung bedarf. Darüber hinaus sind viele der Menschen, die innerhalb des Landes vertrieben wurden oder in Lagern in den Nachbarländern leben, nicht bei den Flüchtlingskommissionen registriert usw. (Economist 3.2.2025). Abgesehen von der wiederholten Aussage, dass Ausschüsse gebildet und Fachleute hinzugezogen würden, gab al-Shara nicht viel Aufschluss darüber, wie der Wahlprozess aussehen würde (NYT 30.12.2024). Ash-Shara' hatte angemerkt, dass die Einrichtung dieser Ausschüsse in naher Zukunft unwahrscheinlich sei. Er teilte der BBC am 18.12.2024 mit, dass ein syrisches Komitee von Rechtsexperten zusammentreten werde, um eine Verfassung zu verfassen und über eine Reihe nicht näher bezeichneter rechtlicher Fragen, darunter den Alkoholkonsum, zu entscheiden. Es ist unklar, auf welche Rechtsexperten sich ash-Shara' bezieht und ob diese Experten repräsentativ für die multiethnische, sektiererische und religiöse Bevölkerung Syriens sind oder ob es sich um HTS-nahe sunnitische Gelehrte handelt (ISW 19.12.2024).
Am 29.1.2025 versammelten sich die Führer der militärischen Gruppierungen, die an der militärischen Kampagne zum Sturz Assads beteiligt waren, zu einer Zeremonie im Präsidentenpalast, um den Sieg zu erklären. In der Siegeserklärung kündigten sie neun Schritte an, die in drei Hauptthemen unterteilt sind, wie beispielsweise: 1. Füllen des Machtvakuums durch die Annullierung der Verfassung von 2012, die Aussetzung aller Ausnahmegesetze, die Auflösung der während der Zeit des vorherigen Regimes gebildeten Volksversammlung und aller aus ihr hervorgegangenen Komitees und die Ernennung des Befehlshabers des militärischen Operationskommandos, Ahmed ash-Shara', zum Präsidenten des Landes während der Übergangszeit. Bei der Zeremonie wurde die Auflösung von vier Institutionen, welche die Säulen der Herrschaft und Kontrolle des früheren Regimes darstellten und die Schaffung eines neuen Regimes behindern, angekündigt, nämlich: die Armee, die Sicherheitsdienste mit ihren verschiedenen Zweigen und alle damit verbundenen Milizen, die Arabische Sozialistische Ba'ath-Partei, die Parteien der Nationalen Progressiven Front und die ihnen angeschlossenen Organisationen, Institutionen und Komitees und das Verbot ihrer Wiedererrichtung auch unter einem anderen Namen und Rückgabe ihrer Vermögenswerte an den syrischen Staat (AJ 31.1.2025a). Die Ba'ath-Partei des gestürzten syrischen Machthabers Bashar al-Assad stellte nach eigenen Angaben mit 12.12.2024 sämtliche Aktivitäten ein. Dies gelte bis auf Weiteres, hieß es in einer auf der Website der Parteizeitung veröffentlichten Erklärung. Die Vermögenswerte und die Gelder der Partei würden unter die Aufsicht des Finanzministeriums gestellt, Fahrzeuge und Waffen sollen nach Parteiangaben an das Innenministerium übergeben werden. Die Ba'ath-Partei war seit 1963 in Syrien an der Macht (Tagesschau 12.12.2024). Viele Mitglieder der Parteiführung sind untergetaucht und einige aus dem Land geflohen. In einem symbolischen Akt haben die neuen Machthaber Syriens das ehemalige Hauptquartier der Partei in Damaskus in ein Zentrum umgewandelt, in dem ehemalige Mitglieder der Armee und der Sicherheitskräfte Schlange stehen, um sich registrieren zu lassen und ihre Waffen abzugeben (AP 30.12.2024). Am 11.2.2025 gab das Präsidialamt bekannt, dass die wichtigsten Oppositionsgremien Syriens, die im Exil tätig waren, Damaskus die von ihnen bearbeiteten Akten übergeben haben, als Teil der Bemühungen, die während des Konflikts gebildeten Institutionen „aufzulösen“. Dieser Schritt kommt der Abschaffung der wichtigsten unbewaffneten Oppositionsgruppen Syriens gleich und erinnert an ash-Shara's Versuch, alle bewaffneten Gruppen aufzulösen und in die Armee zu integrieren (FR24 12.2.2025). Für die in den Kriegsjahren im und aus dem Ausland tätige Opposition hat man nur Geringschätzung (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Während ash-Shara' ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). HTS hat in Idlib einerseits bemerkenswerte Zugeständnisse an die lokale Bevölkerung gemacht. So erlaubte sie beispielsweise Christen, Gottesdienste abzuhalten und Frauen, Universitäten zu besuchen und Autos zu fahren – Maßnahmen, die angesichts der radikalen dschihadistischen Vergangenheit der Gruppe bemerkenswert sind. Darüber hinaus hat HTS Zivilisten in seine Regierungsverwaltung integriert und einen technokratischen Regierungsstil eingeführt, selbst in sensiblen ideologischen Bereichen wie Bildung und Religion, in denen die Gruppe ursprünglich ausschließlich eigenes Personal ernennen wollte. Andererseits ist die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Zu den ersten Entscheidungen der Übergangsregierung unter al-Bashir gehörten die Entsendung von Polizeikräften in Großstädte und das Verbot von Rauchen und Alkoholkonsum (MAITIC 17.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara' (Rosa Lux 17.12.2024). Laut Terrorismusexperte Peter Neumann haben die Kämpfer der HTS für ein islamistisches Regime gekämpft. Er hält es für möglich, dass es zu einer Opposition in der eigenen Bewegung kommen könnte (Spiegel 11.12.2024). Auch Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler spricht von Videos von Personen aus dem Umfeld der HTS, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024). Alberto M. Fernandez, Vizepräsident des Middle East Media Research Institutes, wiederum sieht nicht so sehr die Gefahr, dass Syrien nun ein islamischer Staat sein wird, sondern dass es ein gescheiterter Staat sein wird. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Anarchie die Oberhand gewinnt und nicht das Scharia-Recht. Dennoch sehen auch sie, al-Shara', seine Organisation die HTS und viele ihrer Verbündeten als Hardcore-Islamisten. Der beste Vergleich sind nicht der Islamische Staat (IS) und al-Qaida, sondern die Taliban und die Hamas, politische Projekte, die sowohl islamistisch als auch nationalistisch sind (MEMRI 9.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.2.2025). [Informationen zu ethnischen und religiösen Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Trotz der Kritik ergab eine im März 2025 im Auftrag von „The Economist“ durchgeführte Umfrage, an der 1.500 Syrer aus allen Provinzen und konfessionellen Gruppen des Landes teilnahmen, dass 81 % die Herrschaft von ash-Shara' befürworten. Nur 22 % sind der Meinung, dass seine Vergangenheit als al-Qaida-Führer ihn für eine Führungsrolle disqualifiziert. Eine große Zahl der Befragten gibt an, dass sie seine neue Ordnung als sicherer, freier und weniger konfessionell geprägt empfinden als das Regime von al-Assad. Etwa 70 % sind optimistisch, was die allgemeine Richtung des Landes angeht. Die zufriedenste Provinz ist Idlib, ash-Shara's ehemaliges Machtgebiet, wo 99 der 100 Befragten sich optimistisch äußern. Tartus, wo Anfang März 2025 mehrere Massaker an der alawitschen Minderheit stattgefunden haben, ist die pessimistischste Provinz. Selbst dort gaben 49 % an, optimistisch zu sein, während 23 % sich pessimistisch äußerten. (Economist 2.4.2025).
Anfänglich drängten die Vereinten Nationen (VN) auf eine Rückkehr zum lange stagnierenden politischen Übergang auf der Grundlage der Resolution 2254 (National 9.12.2024). Die 2015 verabschiedete Resolution 2254 des Sicherheitsrates, die einen politischen Übergang in Syrien durch Verhandlungen zwischen der Regierung des gestürzten Regimes und der Opposition forderte, ist inzwischen gegenstandslos geworden, da das Regime, mit dem verhandelt werden sollte, gestürzt ist (AJ 28.12.2024a). Ash-Shara' sieht keine Notwendigkeit mehr für den Arbeitsmechanismus der Vereinten Nationen in Syrien und macht keinen Hehl aus seiner mangelnden Bewunderung für den UN-Gesandten Geir Pedersen. Die neue Regierung hat kein Interesse mehr an der Resolution 2254 und ihren Bestimmungen. Ash-Shara' sagte, dass die vergangenen Jahre die Ineffektivität der VN gezeigt hätten, weshalb er die Resolution mit dem Sturz des Regimes als hinfällig betrachte (Akhbar 31.12.2024).
Syrien steht auf der US-amerikanischen Liste der Länder, die den Terrorismus unterstützen und HTS wird von der Europäischen Union, der Türkei und den USA als ausländische terroristische Organisation eingestuft (AJ 15.12.2024a). HTS wurde im Mai 2014 auf die Terrorliste der UN gesetzt, als der Sicherheitsausschuss zu dem Schluss kam, dass es sich um eine terroristische Organisation mit Verbindungen zur al-Qaida handelt. Sie unterliegen drei Sanktionsmaßnahmen: Einfrieren von Vermögenswerten, Reiseverbot und Waffenembargo. Das bedeutet, dass international von allen Mitgliedstaaten erwartet wird, dass sie diese Maßnahmen einhalten. Um HTS nicht mehr als Terrororganisation zu listen, müsste ein Mitgliedstaat die Streichung von der Liste vorschlagen, und dieser Vorschlag würde dann an den zuständigen Ausschuss des Sicherheitsrats weitergeleitet. Der Ausschuss, der sich aus Vertretern aller 15 Länder zusammensetzt, die den Sicherheitsrat bilden, müsste dann einstimmig beschließen, den Vorschlag zu genehmigen (UN News 12.12.2024). Die internationale Gemeinschaft akzeptierte in bilateralen und multilateralen Formaten, dass HTS, trotz ihrer Einstufung als terroristische Vereinigung, einen Platz am Verhandlungstisch benötigt (MEI 9.12.2024).
Das Präsidium der syrischen Übergangsregierung hat einen Beschluss zur Einrichtung einer Allgemeinen Behörde für Land- und Seehäfen gefasst, die verwaltungstechnisch und finanziell unabhängig und direkt mit dem Premierminister verbunden ist. Die Behörde für Land- und Seehäfen wird die Generalgesellschaft des Hafens von Tartus, die Generalgesellschaft des Hafens von Latakia, die Generaldirektion der Häfen und andere umfassen, erklärte das Präsidium in einer separaten Entscheidung und ernannte Qutaiba Ahmad Badawi zum Leiter der Behörde. Die neue Behörde wird die Ein- und Ausfahrt von Passagieren und Fracht und alles, was diese Aufgabe erleichtert, überwachen und organisieren, sagte sie. Die Behörde wird auch die Seeschifffahrt, die kommerziellen maritimen Angelegenheiten, die Häfen und den Seeverkehr beaufsichtigen und die für ihre Arbeit notwendigen kommerziellen Schiffe und Immobilien besitzen und leasen (LBCI 1.1.2025).
Ash-Shara's Regierung kontrolliert begrenzte Teile Syriens, darunter die meisten westlichen Städte und Teile des ländlichen Raums (TWI 28.2.2025). Nordostsyrien wird von einer Kombination aus den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Focres - SDF) und arabischen Stammeskräften regiert (MEI 19.12.2024). Die SDF führen Gespräche mit ash-Shara', bleiben aber vorsichtig, was seine Absichten angeht (TWI 28.2.2025). Nord-Aleppo wird von der von der Türkei unterstützten Syrischen Übergangsregierung kontrolliert (MEI 19.12.2024). Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen innerhalb der SNA kontrollieren Teile Nordsyriens nahe der türkischen Grenze, darunter 'Afrin, Suluk und Ra's al-'Ain. Diese Gebiete hat die SNA 2018 und 2019 von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) erobert (Al-Monitor 8.12.2024). Am 29.1.2025 zwang die Türkei den Anführer dieser Gruppe, Sayf Abu Bakr, nach Damaskus zu reisen und dem neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren, aber dies ist das einzige Zugeständnis, das er ash-Shara' bisher gemacht hat. Die beiden Anführer haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit, insbesondere da viele Kämpfer der Syrischen Nationalarmee Veteranen des blutigen Krieges sind, den HTS 2017–2020 um die Kontrolle über die Provinz Idlib führte (TWI 28.2.2025). Südsyrien wird von einer halbunabhängigen Struktur in Suweida zusammen mit ehemaligen Oppositionsgruppen in Dara'a kontrolliert (MEI 19.12.2024). Im Euphrat-Tal ist die Loyalität der sunnitischen Stämme gegenüber HTS weniger sicher, während in Dara'a die vom ehemaligen Rebellen Ahmad al-'Awda und anderen südlichen Fraktionen kontrollierten Truppen sich der Integration in die neue syrische Armee widersetzen (TWI 28.2.2025). Anfang Jänner 2025 hinderten lokale Gruppierungen, die in der Provinz Suweida operieren, einen Militärkonvoi der DMO an der Einfahrt in die südsyrische Provinz. Quellen erklärten gegenüber Al Jazeera, dass die Entscheidung auf Anweisung des geistlichen Oberhaupts der monotheistischen Gemeinschaft der Drusen, Hikmat al-Hijri, getroffen wurde, der betonte, dass keine militärische Präsenz von außerhalb der Provinz erlaubt sei. Die Quellen erklärten, dass der Militärkonvoi in die mehrheitlich drusische Provinz Suweida kam, ohne sich vorher mit den lokalen Gruppierungen in der Provinz abzustimmen (AJ 1.1.2025a). Etana zufolge soll die HTS zunehmend versucht haben, ihre Macht und militärische Reichweite in der gesamten Provinz Dara'a und im weiteren Süden Syriens auszunutzen, was zu Spannungen mit Ahmad al-'Awda führte. In intensiven Verhandlungen im Gebäude des Gouvernements Dara'a wurde die Auflösung sowohl des 5. Korps als auch der Gruppen von Ahmad al-'Awda (die einst die 8. Brigade des 5. Korps bildeten) sowie anderer ehemaliger Oppositionsgruppen aus der Stadt Dara'a und at-Tafas angestrebt. Während HTS die Integration aller ehemaligen Oppositionsgruppen unter einem neuen Verteidigungsministerium nach al-Assad anstrebt, wuchs der Druck auf al-'Awda, der sich unter den bisherigen Bedingungen gegen die Auflösung gewehrt hatte (Etana 17.1.2025). Am 13.4.2025 gab die Gruppierung dem politischen und militärischen Druck schließlich nach und ihre Auflösung bekannt. Die Waffen werden an die Regierung übergeben (National 14.4.2025), schwere Waffen wurden von den Sicherheitskräften der Regierung beschlagnahmt (Etana 16.4.2025). [Weitere Informationen zu den Gruppierungen in Südsyrien sowie zu ihrer Entwaffnung finden sich in den Kapiteln Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Ash-Shara's politisches Projekt eines zentralisierten Syriens steht im Widerspruch zur aktuellen Realität vor Ort. Er glaubt, dass der Föderalismus die „Nation“ spalten könnte – eine Auffassung, die zum Teil auf der antiisraelischen Stimmung in der syrischen Bevölkerung beruht (TWI 28.2.2025).
Ahmed ash-Shara' wurde 1982 (Rosa Lux 17.12.2024) als Ahmed Hussein ash-Shara' in Saudi-Arabien als Kind syrischer Expatriates geboren. Ende der 1980er-Jahre zog seine Familie zurück nach Syrien (NYT 12.12.2024). Als junger Mann radikalisierte er sich während der blutigen zweiten Intifada, als die israelische Regierung auf palästinensische Selbstmordattentate mit brutaler Gewalt antwortete. Auch der 11.9.2001 prägte ihn (Rosa Lux 17.12.2024). Er ging 2003 in den Irak, um sich al-Qaida anzuschließen und gegen die US-Besatzung zu kämpfen. Arabischen Medienberichten und US-Beamten zufolge verbrachte er mehrere Jahre in einem amerikanischen Gefängnis im Irak. Zu Beginn des Bürgerkriegs tauchte er in Syrien auf und gründete die Jabhat an-Nusra, aus der sich schließlich Hay'at Tahrir ash-Sham entstand (NYT 12.12.2024). 2003 nahm er den Kriegsnamen Abu Mohammad al-Jolani an (Rosa Lux 17.12.2024). In einem vor einigen Jahren mit dem US-amerikanischen Sender PBS geführten Interview gab ash-Shara' zu, dass er bei seiner Rückkehr nach Syrien finanzielle Unterstützung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) erhielt, der zu diesem Zeitpunkt weite Teile des Iraks und Syriens besetzt hielt (DW 18.12.2024). Im Januar 2017 gründete er mit der HTS ein neues Bündnis verschiedener islamistischer Milizen, das sich dezidiert von der dschihadistischen al-Qaida und ihrem Ziel eines globalen Dschihads gegen den Westen lossagte (Rosa Lux 17.12.2024). Seit dem Bruch mit al-Qaida haben er und seine Gruppierung versucht, internationale Legitimität zu erlangen, indem sie globale dschihadistische Ambitionen ablehnten und sich auf eine organisierte Regierungsführung in Syrien konzentrierten (NYT 12.12.2024). 2013 setzten die USA ihn auf ihre Terrorliste und lobten später sogar ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen für Hinweise zu seiner Ergreifung aus. 2018 wurde dann auch die HTS von den Vereinigten Staaten als terroristische Vereinigung eingestuft, die Vereinten Nationen folgten (Rosa Lux 17.12.2024).
Als Teil des Übergangs von der Revolution zum Staatsaufbau arbeitet die neue syrische Regierung daran, diesen Aufbau zu stärken und zu konsolidieren, indem sie eine nationale Armee aufbaut, die alle militärischen Formationen und Gruppierungen umfasst, die sich aufgrund bestimmter Umstände und Fakten während der syrischen Revolution gebildet haben (AJ 29.1.2025). [Details zum Aufbau dieser Armee finden sich in den Kapiteln Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Quellen: […]
3.1 Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
Die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES), die von den Kurden häufig als Rojava oder „Westkurdistan“ bezeichnet wird, wurde auf der dritten Konferenz des Syrischen Demokratischen Rates (Syrian Democratic Council - SDC) am 16.7.2018 in 'Ain 'Issa gegründet. Vor der AANES hieß das lokale System Demokratische Föderation Nordsyrien (Democratic Federation of Northern Syria - DFNS), dessen Name 2016 übernommen wurde. Der Generalrat der Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES) verabschiedete am 13.12.2023 einen Gesellschaftsvertrag, in dem die AANES in Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) umbenannt wurde. Der Gesellschaftsvertrag gilt als de-facto-Verfassung. Im Zuge dieses Vertrags wurden die Verwaltungsgebiete zu einer einzigen Region unter dem Namen Nord- und Ostsyrien zusammengefasst (K24 13.12.2023). Die DAANES ist eine von Kurden angeführte, aber multiethnische Koalition, die sich in den letzten zehn Jahren eine relative Autonomie vom Assad-Regime bewahrt hat. Ihr mächtiger militärischer Flügel, die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF), diente auf ihrem Höhepunkt als wichtiges Bollwerk gegen den Islamischen Staat (IS) und profitiert nach wie vor von der anhaltenden amerikanischen Unterstützung in der Region (MEPC 2025). Die SDF sind die militärische Kraft für die Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien. Die Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) sind die dominierende Kraft innerhalb der SDF, obwohl es auch Kämpfer aus arabischen, christlichen und anderen Gemeinschaften gibt. Die SDF kontrollieren große Teile Nord- und Nordostsyriens, darunter die Städte ar-Raqqa, al-Hasaka, die Verwaltungshauptstadt Qamishli und Teile der Provinz Deir ez-Zour. Die Türkei betrachtet die SDF als den syrischen Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK), was die SDF jedoch bestreiten (Al-Monitor 8.12.2024). Die SDF kontrollieren ein Gebiet von mehr als 35.000 Quadratkilometern, was bedeutet, dass sie etwa 18,92 % des syrischen Territoriums kontrollieren (AJ 29.1.2025). Obwohl die DAANES international nicht anerkannt ist, unterhält sie eine enge Arbeitsbeziehung zu den USA, welche die SDF seit Beginn des Krieges gegen den IS unterstützen (K24 13.12.2023; vgl. AJ 29.1.2025).
Der politische Flügel der SDF, der Syrische Demokratische Rat (Syrian Democratic Council - SDC), beglückwünschte das syrische Volk am 8.12.2024 zum Ende des Assad-Regimes und versprach, mit verschiedenen Gruppen im Land zusammenzuarbeiten. In einer Erklärung heißt es: Wir werden mit allen nationalen, kulturellen und gesellschaftlichen Kräften Syriens zusammenarbeiten, indem wir uns am nationalen Dialog beteiligen und unsere Verantwortung wahrnehmen, um ein neues Syrien zu schaffen, das alle seine Bürger einschließt (Al-Monitor 8.12.2024). Nach dem Sturz al-Assads hissten die SDF als Geste gegenüber der neuen Regierung in Damaskus die Revolutions- und Unabhängigkeitsflagge der Rebellengruppen auf ihren Einrichtungen, was von Washington begrüßt wurde (AJ 9.1.2025a). Am 29.12.2024 erklärte ash-Shara' gegenüber dem Fernsehsender Al Arabiya, dass die SDF in die neue nationale Armee integriert werden sollten. Waffen dürfen nur in den Händen des Staates sein. Wer bewaffnet und qualifiziert ist, um dem Verteidigungsministerium beizutreten, ist bei uns willkommen, sagte er (AJ 31.12.2024a). Laut dem Vizepräsidenten des Middle East Media Research Institutes zeigen sich die Kurden pragmatisch und werden versuchen, eine Vereinbarung mit den Machthabern zu treffen, die ein gewisses Maß an lokaler Autonomie bewahrt. Zu viel Autonomie wird Ankara verärgern, zu wenig Autonomie wird das Land gespalten halten (MEMRI 9.12.2024). Seit Dezember 2024 verhandelt die SDF mit der Übergangsregierung in Damaskus über ein mögliches Abkommen, das ihre Eingliederung in ein geeintes Syrien vorsieht (FP 20.2.2025). Ahmad ash-Shara' hat sich am 30.12.2024 mit einer Delegation der SDF, getroffen, um eine Grundlage für einen zukünftigen Dialog zu schaffen. Die Atmosphäre war positiv (Sky News 31.12.2024a). Ein syrischer Politiker sagte, dass die Verhandlungen mit der YPG [gemeint sind vermutlich die SDF; die Quelle ist türkisch Anm.] komplex bleiben, weil die Gruppierung auf Autonomie und mehr Kontrolle über rohstoffreiche Gebiete bestehe (TR-Today 8.1.2025). Umgekehrt soll laut einem Journalisten der türkischen Tageszeitung Hürriyet SDF-Kommandeur Mazloum 'Abdi bei seinem Treffen mit ash-Shara' angeboten haben, eine kurdische Fraktion in der syrischen Armee zu schaffen und das syrische Öl gleichmäßig zu teilen, was aber ash-Shara's Regierung ablehnte und betonte, dass es keine andere Lösung als die Übergabe von Waffen gäbe (Akhbar 9.1.2025). 'Abdi bot an, die Ölvorkommen in den von ihm kontrollierten Gebieten an die Zentralverwaltung zu übergeben, vorausgesetzt, der Reichtum wird gerecht auf alle syrischen Provinzen verteilt (Sharq 14.1.2025). Der syrische Verteidigungsminister sagte, dass sie [gemeint sind hier vermutlich die syrischen Behörden Anm.] kein Öl wollen, sondern die Institutionen und die Grenzen (Barrons 22.1.2025). Am 9.1.2025 berichtete Al Jazeera, dass 'Abdi sich mit der neuen syrischen Regierung geeinigt hätte, jegliche Teilungsprojekte, die die Einheit des Landes bedrohen, abzulehnen. (AJ 9.1.2025a; vgl. Arabiya 9.1.2025). 'Abdi sagte am 14.1.2025, dass seine Forderungen nach einer dezentralisierten Verwaltung für die von ihm kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens nicht im Widerspruch zur Einheit des Landes stünden und dass er dies als die beste Option für die syrische Realität betrachte, wobei er darauf hinwies, dass er diese Forderungen der neuen syrischen Regierung bei früheren Konsultationen vorgelegt habe. Die Forderung einer dezentralisierten Verwaltung Nord- und Ostsyriens ist die Hauptforderung der SDF. 'Abdi wies darauf hin, dass es sich bei der von ihm geforderten Dezentralisierung um eine „geografische Dezentralisierung und nicht um eine Dezentralisierung auf nationaler Ebene“ handele und erklärte, dass sie kein eigenes Parlament und keine eigene Regierung fordern (Sharq 14.1.2025). Am 27.1.2025 sagten Quellen, die der neuen Regierung nahestehen, dass diese den SDF ein Angebot gemacht habe, das die Anerkennung der kulturellen Rechte der Kurden und deren Aufnahme in die nächste Verfassung sowie die Öffnung des Weges für Kurden, um in die Sicherheits- und Militäreinrichtungen aufgenommen zu werden, beinhaltet. Die Quellen bestätigten, dass das Angebot auch ein dezentralisiertes Verwaltungssystem umfasst, das den lokalen Räten weitreichende Befugnisse zur Verwaltung der Angelegenheiten der Provinzen einräumt. Denselben Quellen zufolge lehnten die SDF das Angebot jedoch ab und bestanden auf ihren eigenen Bedingungen, zu denen gehören: Beitritt zur syrischen Armee als integrierte Einheit, Beibehaltung ihrer derzeitigen militärischen Einsatzgebiete, Erhalt eines Anteils an den Einnahmen aus den Ölfeldern und -quellen. Die SDF begründen ihre Position mit der Furcht vor einem möglichen türkischen Angriff auf ihre Gebiete und der fehlenden Integration der Gruppierungen der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) in das syrische Verteidigungsministerium. Die syrische Regierung lehnt ihrerseits die Vorschläge der SDF ab und betont, dass sie die Existenz von Blöcken innerhalb der Armee ablehnt und nicht bereit ist, das Öl-Dossier als politische Verhandlungskarte zu nutzen (AJ 27.1.2025b). In einem grundlegenden Wandel gegenüber der Ära al-Assad hat die Übergangsregierung in Damaskus den Kurden Syriens gleiche Rechte versprochen und angekündigt, Kurdisch zur zweiten Landessprache zu machen. Vertretern der SDF und der autonomen Verwaltung würden außerdem Sitze und Mitgliedschaft in allen Übergangsbehörden Syriens garantiert, darunter ein temporäres Parlament und ein Verfassungsausschuss. Die Einnahmen aus dem syrischen Öl-, Gas- und Agrarsektor würden anteilig in den Nordosten investiert werden. Nach wochenlangen Gesprächen hat die SDF einen Großteil des Abkommens grundsätzlich akzeptiert, wie ein Treffen zwischen der SDF und ihrem politischen Flügel und ihren Regierungsorganen am 17.2.2025 erneut bestätigte. Doch während die Organisation insgeheim schon seit Wochen akzeptiert hat, dass ihre Streitkräfte eines Tages aufgelöst und in die neuen Streitkräfte Syriens integriert werden, besteht das Haupthindernis bei den Gesprächen darin, wie dies geschehen soll. SDF-Anführer 'Abdi hat sich zwar mit allen anderen bewaffneten Gruppierungen in Syrien auf eine mögliche Auflösung geeinigt, fordert jedoch, dass das SDF-Personal ein eigenständiger Block innerhalb der neuen Streitkräfte Syriens bleibt und nur an seinen derzeitigen Standorten im Nordosten stationiert bleibt (FP 20.2.2025). Laut einem Mitglied des politischen Flügels der SDF, dem Demokratischen Rat Syriens (Meclîsa Sûriya Demokratîk - MSD), hat die autonome Verwaltung im Nordosten des Landes einen positiven Schritt unternommen, indem sie sich darauf vorbereitet, Grenzübergänge und offizielle Stellen an den syrischen Staat zu übergeben. Die syrische Übergangsregierung hat noch keine Vorstellung davon, wie die Verwaltung dieser Einrichtungen in Ostsyrien aufgenommen werden soll, daher müssen im Dialog zwischen der syrischen Regierung und der Autonomieverwaltung Ausschüsse auf Bildungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsebene gebildet werden (AJ 22.2.2025).
Am 10.3.2025 unterzeichneten der Anführer der kurdisch dominierten SDF Mazloum 'Abdi und Übergangspräsident Ahmad ash-Shara' ein Abkommen über die Integration der SDF in die staatlichen Institutionen Syriens. Das Abkommen sieht die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Vertretung und Beteiligung, einen Waffenstillstand in allen syrischen Gebieten und die Integration aller zivilen und militärischen Institutionen im Nordosten Syriens vor. Das Abkommen sieht auch vor, dass die SDF den syrischen Staat bei der Bekämpfung von Assads Überbleibseln und Drohungen unterstützen und Aufrufe zur Teilung, Hassreden und Versuche, Zwietracht zu säen, zurückweisen werden (Arabiya 11.3.2025). Das Abkommen besteht aus acht Klauseln. Gemeinsame Ausschüsse sollen daran arbeiten, die Umsetzung des Abkommens bis Ende des Jahres abzuschließen (AJ 11.3.2025). Das Abkommen sieht vor, das DAANES-Gebiet unter die volle Kontrolle der syrischen Zentralregierung bringen (AJ 10.3.2025b). Es beinhaltet die Integration der zivilen und militärischen Einrichtungen im Nordosten Syriens in die syrische Staatsverwaltung, einschließlich der Grenzposten, des Flughafens [in Qamishli, Anm.] und der Öl- und Gasfelder, die von den SDF im Nordosten Syriens kontrolliert werden (FR24 10.3.2025). Kurz nach Bekanntgabe der Vereinbarung sagten Quellen gegenüber Al Jazeera, dass sich ein Konvoi des syrischen Verteidigungsministeriums in Abstimmung mit den SDF nach al-Hasaka begeben wird und dass die Kräfte des Verteidigungsministeriums die Gefängnisse von den SDF übernehmen werden (AJ 11.3.2025). Das Wall Street Journal zitierte US-Beamte mit der Aussage, dass US-Militärpersonal zwischen den SDF und den sogenannten Rebellengruppen vermittelt habe. Die Beamten sagten, die Vermittlung schließe auch Gruppierungen ein, die von der Türkei seit dem Sturz des gestürzten Präsidenten Bashar al-Assad unterstützt werden (AJ 11.3.2025). Das Abkommen könnte den Konflikt der SDF mit der benachbarten Türkei und den von der Türkei unterstützten ehemaligen syrischen Rebellengruppen, die mit der Regierung verbündet sind und versuchen, die SDF aus Gebieten nahe der Grenze zu vertreiben, entschärfen (BBC 11.3.2025). Das Abkommen macht keine Angaben darüber, wie die militärischen Einheiten der SDF in das syrische Verteidigungsministerium integriert werden sollen, was bisher ein wesentlicher Knackpunkt in den Gesprächen war. Die Vereinbarung bezieht sich weder auf die Übergabe von Waffen noch auf die Auflösung der von der YPG dominierten militärischen Formation (AJ 11.3.2025). Die Vereinbarung enthält die Bestätigung, dass das kurdische Volk ein integraler Bestandteil Syriens ist und ein Recht auf Staatsbürgerschaft und garantierte verfassungsmäßige Rechte hat (AJ 10.3.2025b), einschließlich der Verwendung und des Unterrichts ihrer Sprache, die unter Assad jahrzehntelang verboten waren (Sky News 10.3.2025). Die Vereinbarung beinhaltet die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Repräsentation und Beteiligung am politischen Prozess und an allen staatlichen Institutionen, unabhängig von ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit (Arabiya 10.3.2025; vgl. AJ 10.3.2025a).
Das Abkommen hat bis Ende März nicht zu einer Beruhigung der Fronten geführt, obwohl eine Waffenruhe vorgesehen wäre. Die staatlichen Institutionen im Nordosten Syriens blieben ebenfalls unter der Schirmherrschaft der DAANES, auch was die Zahlung der Gehälter der Beschäftigten angeht (SYD 31.3.2025). Am 1.4.2025 erklärten die SDF, sich aus zwei historisch kurdischen Stadtvierteln in Aleppo zurückzuziehen. Lokale Quellen berichteten anschließend, dass sich die SDF am 2.4.2025 vom Tishrin-Damm und der Qara-Qozak-Brücke zurückgezogen haben, wo sie seit Dezember 2024 gegen SNA kämpften. Eine „Sonderverwaltung“, die möglicherweise aus Mitarbeitern des Damms besteht, wird die Kontrolle über das Gebiet um den Tishrin-Damm übernehmen. Den Mitarbeitern des Damms wurde gestattet, in dem Gebiet zu bleiben, damit das Elektrizitätswerk seinen regulären Betrieb fortsetzen kann. Eine Anti-SDF-Quelle behauptete außerdem, dass sich die SDF nach dem Verlassen des Tishrin-Staudamms und der Qara-Qozak-Brücke auch aus weiteren Ortschaften südlich des Staudamms entlang der Autobahn 4 zurückziehen würde. Syrische Quellen, darunter auch solche, die der Übergangsregierung nahestehen, behaupteten, der Rückzug der SDF sei das Ergebnis einer „vorläufigen Vereinbarung“ zur Schaffung einer entmilitarisierten Zone um häufig umkämpfte Gebiete (ISW 2.4.2025). Dem Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights - SOHR) zufolge haben die Kämpfe rund um den Tishrin-Staudamm mit Mitte April 2025 aufgehört (SOHR 15.4.2025). Die syrische Regierung und die SDF haben eine Vereinbarung über die Übergabe des strategisch wichtigen Tishrin-Staudamms von der Kontrolle der SDF an Damaskus getroffen. Lokale kurdische Medien und staatliche Medien in Damaskus berichteten über die Vereinbarung, die nach viermonatigen Kämpfen um den Staudamm zwischen der von der Türkei unterstützten SNA und den SDF zustande kam. Der Staudamm liegt am Euphrat und ist ein wichtiger strategischer und infrastruktureller Standort in Zentralsyrien. Er verbindet außerdem Gebiete, die von den SDF kontrolliert werden, mit jenen der SNA und den neuen Regierungstruppen Syriens (LWJ 15.4.2025). Der Direktor von SOHR gibt an, dass es eine gemeinsame Verwaltung zwischen der syrischen Regierung und der mehrheitlich kurdischen Selbstverwaltung geben wird (SOHR 15.4.2025). In Aleppo begannen Regierungstruppen gemeinsame Patrouillen mit SDF-Einheiten durchzuführen. Teile der SDF begannen, sich aus dem wichtigsten kurdischen Viertel der Stadt zurückzuziehen (National 13.4.2025). Eine Quelle aus Nordsyrien berichtete, dass der Tishrin-Damm am 15.4.2025 bereits unter der Kontrolle der syrischen Regierung stand. Die SDF hätten sich bereits aus Aleppo zurückgezogen, aber noch keine Verhandlungen mit der Übergangsregierung über die territoriale Neuaufteilung in den mehrheitlich arabischen Provinzen ar-Raqqa und Deir ez-Zour aufgenommen (ISW 16.4.2025).
Der türkische Außenminister Hakan Fidan erklärte, dass die Türkei sowohl im Inland als auch international einen Olivenzweig ausstreckt, warnte jedoch, dass militärische Optionen auf dem Tisch bleiben, wenn dieses Angebot nicht angenommen wird (TR-Today 8.1.2025). Ende Jänner 2025 wiederholte die Türkei die Drohung einer Militäroperation gegen kurdische Kräfte in Syrien, wenn die SDF nicht die türkischen Forderungen erfüllen, zu denen auch die Beseitigung der Präsenz der PKK in der Region gehört (AJ 27.1.2025b). Der syrische Verteidigungsminister sagte am 22.1.2025, Damaskus sei offen für Gespräche mit den von Kurden geführten Kräften über deren Integration in die nationale Armee, sei aber bereit, Gewalt anzuwenden, sollten die Verhandlungen scheitern (Barrons 22.1.2025; vgl. BBC 22.1.2025).
Kurdisch geführte Truppen haben den Zusammenbruch der syrischen Armee genutzt, um die vollständige Kontrolle über die wichtigste Stadt, Deir ez-Zour, zu übernehmen (BBC 8.12.2024b). Diese wurde ihnen von den Rebellengruppierungen kurz darauf wieder abgenommen (Al-Monitor 8.12.2024). Kräfte der SNA wiederum haben die Situation genützt, um Territorium in Manbij von den SDF zu erobern (TWI 9.12.2024). Die SDF kontrollieren nun 20 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024). Am 6.2.2025 sind Streitkräfte des syrischen Ministeriums für Allgemeine Sicherheit in die nordwestsyrische Stadt 'Afrin einmarschiert. 'Afrin wird seit 2018 von verschiedenen bewaffneten Gruppierungen der von der Türkei unterstützten SNA besetzt gehalten. Mit dem Einmarsch in 'Afrin setzt die neue syrische Regierung ihre Kontrolle über Teile des Landes durch. 'Afrin ist ein historisch kurdisches Gebiet in Syrien, und der Machtwechsel wurde von den kurdischen Medien aufmerksam verfolgt (LWJ 6.2.2025).
Am 19.12.2024 bestätigte Mazloum 'Abdi, Oberbefehlshaber der SDF zum ersten Mal die Anwesenheit ausländischer Kämpfer aus dem gesamten Nahen Osten in den von den SDF kontrollierten Gebieten. 'Abdi erklärte gegenüber Reuters, dass zwar Kämpfer der PKK nach Syrien gekommen seien, es aber keine organisatorischen Verbindungen zwischen der PKK und seinen Kräften gebe. 'Abdi lobte nicht-syrische Kämpfer, die den von den USA unterstützten SDF im vergangenen Jahrzehnt im Kampf gegen den Islamischen Staat geholfen haben. Er sagte, einige seien im Laufe der Jahre nach Hause zurückgekehrt, andere seien geblieben, um im Kampf gegen den IS zu helfen, und dass es für sie an der Zeit sei, zurückzukehren, wenn ein Waffenstillstand erreicht werde (AJ 19.12.2024).
Anfang Februar 2025 wurden Pläne des US-Verteidigungsministeriums zum Abzug aller US-Truppen in Syrien bekannt. Der Abzug soll entweder in 30, 60 oder 90 Tagen erfolgen (TNA 5.2.2025; vgl. REU 5.2.2025b). Mitte April 2025 gaben die USA bekannt, mehr als die Hälfte ihrer in Syrien stationierten Truppen abzuziehen. Die US-Militärpräsenz soll in den folgenden Monaten auf weniger als 1.000 Soldaten reduziert werden. Das für den Nahen Osten zuständige US-Zentralkommando CENTCOM werde weiterhin bereit sein, Angriffe auf die Überreste des IS in Syrien auszuführen (FR 22.4.2025). Drei von acht Stützpunkten in Syrien sollen geschlossen werden (AJ 21.4.2025). Der Rückzug der US-amerikanischen Truppen aus Nord- und Ostsyrien würde es der Türkei ermöglichen, sich freier zu bewegen, um dem entgegenzutreten, was sie als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit ansieht, einschließlich der SDF, die Ankara als eine Erweiterung der PKK betrachtet, die als terroristische Organisation eingestuft wird (AlHurra 6.2.2025a). Der türkische stellvertretende Außenminister Yilmaz gab bekannt, dass die Türkei gemeinsam mit Jordanien, dem Irak und der syrischen Übergangsregierung eine Viererkoalition bilden werde, um sicherzustellen, dass der IS Syrien und den Irak nicht erneut bedroht (AlMon 12.2.2025). Am 12.2.2025 forderte die Türkei die neue syrische Regierung auf, die Kontrolle über die Lager zu übernehmen, in denen Vertriebene und inhaftierte IS-Terroristen untergebracht sind. Das Ende des IS und der PKK bzw. YPG seien die Voraussetzung für ein friedliches, unabhängiges und politisch geeintes Syrien (DS 13.2.2025).
Anfang März 2025 kam es zeitgleich mit den Massakern an der Küste im Westen Syriens, insbesondere in Deir ez-Zour zu Demonstrationen gegen die SDF. Es wurde einerseits dazu aufgerufen, die Verantwortlichen für die Angriffe in den Küstengebieten zur Rechenschaft zu ziehen, andererseits aber auch gegen die SDF skandiert (AJ 8.3.2025). Mindestens 25 arabische Stämme haben seit dem 14.4.2025 die SDF verurteilt, wahrscheinlich als Reaktion auf die anhaltenden Forderungen der SDF nach einer Dezentralisierung der Kontrolle Damaskus' im Nordosten Syriens. Die Stämme lehnten das, was sie als „separatistisches Projekt“ bezeichneten, das den mehrheitlich arabischen Gebieten aufgezwungen werde, ab. „Separatistisches Projekt“ ist eine häufig verwendete Bezeichnung für die Bemühungen der SDF, unter der Übergangsregierung die Dezentralisierung und Föderalisierung im Nordosten Syriens zu erreichen. Unbekannte arabische Stammesführer trafen sich kürzlich in der Provinz ar-Raqqa mit den SDF, um deren Aufruf zur Unterstützung nachzukommen. Andere arabische Stammesführer verurteilten diese Treffen und stellten klar, dass die beteiligten Personen nicht die offizielle Position ihrer Stämme vertreten. Stattdessen bekundeten die Stammesführer ihre Unterstützung für die Übergangsregierung in Damaskus. Einige arabische politische Gruppierungen kündigten am 15.4.2025 die Bildung eines neuen Rates an, um sich der Kontrolle der SDF im Nordosten Syriens zu widersetzen und eine einheitliche Front für Verhandlungen mit Damaskus zu bilden (ISW 16.4.2025).
Quellen: […]
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4 Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Trotz des Sturzes der 54-jährigen Diktatur der Familie al-Assad ist der Bürgerkrieg noch lange nicht vorbei (Leb24 13.2.2025). Trotz der Bemühungen der neuen syrischen Regierung bleibt die Sicherheitslage fragil, und die Zukunft Syriens ist von zahlreichen Unsicherheiten geprägt (VB Amman 9.2.2025). Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Grandi, beschreibt die Lage vor Ort als "fluid". Sie könne sich nach derzeitigem Stand in alle Richtungen entwickeln (ÖB Amman 6.2.2025). Die neue syrische Übergangsregierung ist nicht in der Lage, das gesamte syrische Staatsgebiet zu kontrollieren (AlHurra 6.2.2025a). Seit Jahresbeginn 2025 hat sich die Sicherheitslage in Syrien nach dem Sturz von Bashar al-Assad weiterhin als instabil erwiesen. Die neuen Machthaber, dominiert von islamistischen Gruppierungen, bemühen sich um die Etablierung von Ordnung und Sicherheit, stoßen jedoch auf erhebliche Herausforderungen (VB Amman 9.2.2025). Außenminister ash-Shaybani gibt Sicherheitsprobleme in Teilen Syriens zu, bezeichnete sie aber als Einzelvorfälle: Offenbar hat die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), die offiziell aufgelöst wurde, Schwierigkeiten, ihre teils sehr radikalen islamistischen Untergruppen in den Griff zu bekommen. Zwischen Verfolgung von Regimestraftätern und Racheakten vor allem gegen die Volksgruppe der Alawiten, aus der die al-Assads stammen, ist nicht immer leicht zu unterscheiden (Standard 23.1.2025). Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung sind bei ihrem Versuch, das Land zu stabilisieren, mit zunehmenden Bedrohungen konfrontiert, darunter gewalttätige Überreste des Regimes, sektiererische Gewalt und Entführungen. Im Nordosten sind die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) gezielten Angriffen von Zellen des Islamischen Staates (IS) und anhaltenden Feindseligkeiten mit der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) ausgesetzt (Etana 22.2.2025). Die fragile Sicherheitslage bedroht weiterhin den politischen Fortschritt, warnte der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen, und verwies auf die anhaltenden Feindseligkeiten im Nordosten, einschließlich täglicher Zusammenstöße, Artilleriebeschuss und Luftangriffe, die Zivilisten und die Infrastruktur treffen (UN News 12.2.2025).
In den Gouvernements Syriens kam es weiterhin zu einer Zunahme von Entführungen. Die Civil Peace Group dokumentierte seit dem Sturz des Regimes 64 Entführungsfälle – 19 Opfer wurden später hingerichtet aufgefunden, nur drei führten zu Lösegeldforderungen. Auch Vorfälle sektiererischer Gewalt, die sich hauptsächlich gegen schiitische und alawitische Gemeinschaften richten, sind weit verbreitet (Etana 22.2.2025). Das Middle East Institute berichtet auch von eindeutig sektiererischen Verstößen, wie die Zerstörung eines Schreins im ländlichen Hama durch zwei sunnitische Zivilisten und Fälle von Schikanen an Kontrollpunkten, konstatiert aber, dass die meisten Verstöße, die von Sicherheitskräften in ganz Syrien begangen wurden, sich gegen bestimmte Anhänger des ehemaligen Regimes zu richten scheinen. Eines der drängendsten Probleme sind nicht sektiererisch motivierte Angriffe, sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben (von denen die meisten aufgrund der Natur des Regimes Alawiten sind) (MEI 21.1.2025). [Weiterführende Informationen zu Gewalt gegen religiöse Minderheiten finden sich in den Kapiteln Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) und Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Die Kriminalität ist dramatisch gestiegen, nicht zuletzt auch aufgrund der Freilassung nicht nur politischer Gefangener aus den Gefängnissen (SYRDiplQ1 5.2.2025). Kriminelle Banden und Einzelpersonen suchen weiterhin nach Sicherheits- und Autoritätslücken, die sie in dieser neuen Ära ausnutzen können. Die schwereren Verbrechen ereignen sich in der Regel auf dem Land, wo die Sicherheitspräsenz geringer ist und sich eine höhere Konzentration von Ex-Shabiha [Shabiha sind die irregulären, bewaffneten pro-Assad-Gruppierungen Anm.] befindet (MEI 21.1.2025).
Seit islamistische Rebellen im Dezember den langjährigen repressiven Machthaber Bashar al-Assad stürzten, kam es in mehreren Gebieten zu Zusammenstößen und Schießereien, wobei Sicherheitsbeamte bewaffnete Anhänger der vorherigen Regierung beschuldigten (FR24 1.3.2025). In mehreren Gebieten in Syrien kommt es weiterhin zu Zwischenfällen mit verirrten Kugeln. Im Februar sind bei solchen Vorfällen 18 Menschen, darunter drei Frauen und vier Kinder, getötet und vier weitere, darunter zwei Kinder, verwundet worden. Die Opfer verteilen sich auf die von der Regierung in Damaskus, der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) kontrollierten Gebiete. Diese Zwischenfälle werden durch die Verbreitung von Waffen unter der Zivilbevölkerung verschärft (SOHR 24.2.2025b). Sicherheitskräfte sind immer noch dabei, Überbleibsel des Regimes im ganzen Land auszuheben, die häufig Mitglieder der Allgemeinen Sicherheit und Checkpoints ins Visier genommen haben. ETANA verzeichnete Angriffe von Pro-Regime-Gruppen auf Mitglieder der Allgemeinen Sicherheit in Rif Dimashq, Ost-Dara'a und West-Homs. Auch in Hama und Jableh, in der Nähe der Hmeimim-Basis, kam es zu Zusammenstößen. Sicherheitskräfte haben in ehemaligen Regimegebieten von Deir ez-Zour mehrere Operationen durchgeführt (Etana 22.2.2025). Während Zehntausende auf die Initiative der Versöhnungsprozesse eingingen, lehnten bewaffnete Gruppierungen von Regimeüberbleibseln sie ab, vor allem an der syrischen Küste, wo hohe Offiziere des Assad-Regimes stationiert waren. Im Laufe der Zeit flohen diese Gruppierungen in die Bergregionen und begannen, Spannungen zu schüren, die Lage zu destabilisieren und sporadische Angriffe auf die Regierungstruppen zu verüben (AJ 10.3.2025c). Bis Anfang März 2025 beschränkten sich solche Übergriffe auf kleine Ausbrüche von willkürlicher Selbstjustiz und waren nicht Teil von groß angelegter, organisierter Gewalt. Am 6.3.2025 jedoch überfielen Aufständische des Assad-Regimes die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung in der westlichen Küstenstadt Jableh im Gouvernement Latakia und töteten 30 von ihnen (viele wurden später verbrannt oder in flachen Massengräbern aufgefunden) (TWI 10.3.2025). Die Anhänger des gestürzten Assad-Regimes riefen zu einem Aufstand auf. Ungefähr zur Zeit der ersten Angriffe gab eine Gruppierung, die sich selbst als "Militärrat für die Befreiung Syriens" bezeichnet, eine Erklärung ab, in der sie schwor, die Regierung zu stürzen (FT 10.3.2025). Unmittelbar nach dem Hinterhalt riefen die syrischen Sicherheitskräfte zu einer allgemeinen Mobilisierung über die bereits in der Küstenregion stationierten Einheiten hinaus auf und zur Ausrottung ehemaliger Regimegegner (TWI 10.3.2025). Sicherheitskräfte, die durch Verstärkung unterstützt wurden, begannen, gegen die Loyalisten des Assad-Regimes zu kämpfen und sie aus den Dörfern an der Küste Syriens zurückzudrängen. Die Loyalisten zogen sich aufs Land zurück, wobei sie Staatseigentum niederbrannten und mordeten. Als syrische Regierungstruppen und bewaffnete Zivilisten begannen, in alawitische Dörfer im Nordwesten Syriens einzudringen, tauchten Videos von Misshandlungen auf. Zivilisten berichteten von Massenmorden durch Sicherheitskräfte, was von Menschenrechtsgruppen bestätigt wurde (Guardian 10.3.2025). Laut dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights - SOHR) war es ein Fehler, dass die Regierung in Damaskus in den Moscheen zur Mobilisierung aufgerufen hatte. Dies habe zu einem Zustrom von Kämpfern von außerhalb der Region geführt, um Alawiten zu massakrieren (Sky News 9.3.2025a). Laut einem Freiwilligen der Nichtregierungsorganisation Weißhelme kamen Menschen aus allen Städten Syriens, um Rache zu üben (C4 9.3.2025). Die überwiegende Mehrheit der rechtswidrigen Tötungen von Zivilisten und Gefangenen durch syrische Sicherheitskräfte wurde laut dem Syrian Network for Human Rights (SNHR) von zwei bestimmten Fraktionen sowie von Personen begangen, die sich Militärkonvois angeschlossen hatten. Konkret waren die beiden Fraktionen, die für die meisten Tötungen von Zivilisten verantwortlich sind, die Suleiman Shah Division [auch: Abu Amsha-Division oder Amsha-Division] und die Hamza-Division. Beide Fraktionen und ihre Anführer stehen wegen mutmaßlicher schwerer Menschenrechtsverletzungen, darunter Vergewaltigung und Folter, unter US-Sanktionen (Guardian 10.3.2025). Laut Washington Institute for Near Eeast Policiy umfasste die Mobilisierung drei von den USA sanktionierte Milizen der von der Türkei unterstützten SNA: Jaysh ash-Sharqiya, Sultan Suleiman Shah Division und die Hamza-Division. Sie wurden zuvor wegen Menschenrechtsverletzungen an Kurden im Nordwesten Syriens angeklagt. An den Kämpfen waren auch ausländische Dschihad-Kämpfer der von den USA gelisteten Gruppierung Ansar at-Tawhid und lokale syrische Zivilisten beteiligt, die die Kriegsverbrechen des Regimes rächen wollten (TWI 10.3.2025). Die Gruppierungen stehen nominell unter der Schirmherrschaft des neuen Staates, wobei Abu Amsha zum Leiter der Militärbrigade der Provinz Hama ernannt wurde. In Wirklichkeit übt der Staat jedoch nur begrenzte Kontrolle über sie aus. [Weitere Informationen über Rebellengruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) Anm.] Die Bewaffneten, die die Massaker verübten, seien keine Bewohner der syrischen Küste, sondern stammten aus anderen Gouvernements und seien teilweise ausländischer Herkunft wie Usbeken, Tschetschenen und zentralasiatische Kämpfer (Sky News 9.3.2025a). Am 9.3.2025 gab eine syrische Sicherheitsquelle an, dass sich die Kämpfe in der Umgebung der Städte Latakia, Jabla und Baniyas etwas beruhigt hätten, während die Streitkräfte die umliegenden Berggebiete durchsuchten, in denen sich schätzungsweise 5.000 pro-Assad-Aufständische versteckt hielten (Sky News 9.3.2025b). Der Sprecher des Verteidigungsministeriums gab am 10.3.2025 das Ende der Militäroperation gegen die Überreste des Regimes in den Küstengebieten bekannt. Er betonte, dass die öffentlichen Einrichtungen ihre Arbeit wieder aufnehmen können, um die Rückkehr zum normalen Leben vorzubereiten, und dass die Sicherheitskräfte weiter daran arbeiten werden, die Stabilität und die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten (SANA 10.3.2025a). Der Gouverneur von Tartus betonte am 9.3.2025, dass die Provinz nach dem Sieg über die Überreste des untergegangenen Regimes eine allmähliche Rückkehr ins öffentliche Leben erlebt (SANA 9.3.2025a). In den meisten Vierteln der Stadt Latakia hat am 10.3.2025 das normale Leben wieder begonnen, nachdem die Angriffe der Überreste des ehemaligen Regimes vereitelt und die Sicherheit in der Stadt wiederhergestellt wurde (SANA 10.3.2025b). Nach der Ankündigung der Regierung in Damaskus über den Abschluss der Sicherheitskampagne an der syrischen Küste stürmten Gruppen von bewaffneten Männern, die dem Verteidigungsministerium angehören, die Stadt Harison in der Umgebung von Baniyas, wo sie Häuser und Eigentum von Zivilisten plünderten und in Brand setzten (SOHR 10.3.2025c). Die Lage in den Städten mag stabiler sein, aber in ländlicheren Gegenden finden abseits der Medien eklatante Rechtsverletzungen statt. Die Zwangsumsiedlungen gehen weiter (Sky News 9.3.2025a).
Die Zahl der Todesopfer der Kämpfe variierte stark (Guardian 9.3.2025). Laut dem Syrian Network for Human Rights (SNHR), das umfassende Dokumentationsstandards anwendet und als unabhängig gilt, haben Anhänger des Assad-Regimes 383 Menschen getötet, darunter 211 Zivilisten und 172 syrische Sicherheitskräfte, während syrische Sicherheitskräfte 396 Menschen getötet haben, darunter Zivilisten und entwaffnete Kämpfer (Guardian 10.3.2025). Syrische Sicherheitsquellen gaben an, dass mehr als 300 ihrer Mitglieder bei Zusammenstößen mit Angehörigen der ehemaligen Syrischen Arabischen Armee, bei koordinierten Angriffen und Hinterhalten auf ihre Streitkräfte getötet wurden (Sky News 9.3.2025b). Es wurden Massengräber mit Dutzenden von toten Mitgliedern gefunden (AJ 9.3.2025). Die syrischen Sicherheitskräfte töteten 700 ehemalige Soldaten und bewaffnete Männer, die dem ehemaligen Präsidenten Bashar al-Assad treu ergeben waren, oder sogenannte Regimeüberreste (Arabiya 9.3.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 9.3.2025a). Darüber hinaus wurden 125 Mitglieder der Sicherheitskräfte und 150 alawitische Kämpfer getötet (Sky News 9.3.2025a). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.3.2025). Laut der Vereinten Nationen kam es zu Tötungen ganzer Familien (UN News 9.3.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zog am 11.3.2025 Bilanz und verzeichnete eine Gesamtzahl von 1.093 Todesopfern vom Eintreffen bewaffneter Männer zur Unterstützung der Sicherheitskräfte bis zum 11.3.2025. Insgesamt wurden 44 Massaker verübt (SOHR 11.3.2025). Eine nicht näher genannte Beobachtungsgruppe verzeichnete der BBC zufolge mehr als 1.500 Todesopfer, darunter 1.068 Zivilisten (BBC 10.3.2025). Laut Aussage des Leiters von SOHR wurden Zehntausende Häuser geplündert und niedergebrannt (Sky News 9.3.2025a). Ein Freiwilliger der syrischen NGO Weißhelme (White Helmets) berichtete, dass seine Organisation am 5.3.2025 auf mehr als 40 Brände im Küstengebiet reagieren musste, bevor in der darauffolgenden Nacht die Schießerei begonnen hatte. Es wurde auch einer der Krankenwagen der Weißhelme angegriffen, ebenso das Krankenhaus und Kontrollpunkte (C4 9.3.2025). [Weitere Informationen zu den Vorfällen finden sich im Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024). Informationen zu den Tätergruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Diese Eskalation war nicht auf Latakia im Westen Syriens beschränkt, denn auch in anderen Gebieten am Rande der Hauptstadt Damaskus und in Dara'a kam es zu bewaffneten Zusammenstößen (AlHurra 8.3.2025). Unbekannte bewaffnete Männer in einem Auto warfen am 10.3.2025 Granaten und eröffneten das Feuer mit Maschinengewehren auf das Hauptquartier der allgemeinen Sicherheitskräfte im Stadtteil al-Mezzeh in Damaskus. Es kam zu Zusammenstößen zwischen den Angreifern und den Sicherheitskräften (SOHR 10.3.2025d).
Übergangspräsident ash-Shara' richtete einen dreißigtägigen Untersuchungsausschuss, der die tatsächlichen Geschehnisse untersuchen soll, ein. Im Gegensatz zu den früheren Ernennungen der Übergangsregierung für Ausschüsse, Ministerien und Provinzämter sind die sieben Mitglieder dieses neuen Ausschusses nicht mit HTS oder ihrer Verbündeten in Verbindung gebracht worden (TWI 10.3.2025). Der Ausschuss soll seinen Bericht dem Chef der syrischen Übergangsregierung, Ahmad ash-Shara', spätestens 30 Tage nach der Entscheidung zur Bildung des Ausschusses vorlegen (BBC 9.3.2025a). Er hat zur Aufgabe, die Ursachen, Umstände und Bedingungen aufzudecken, die zu diesen Ereignissen geführt haben, die Verletzungen zu untersuchen, denen die Zivilbevölkerung ausgesetzt war, die Verantwortlichen zu identifizieren, die Angriffe auf öffentliche Einrichtungen und Mitarbeiter der Sicherheitskräfte und der Armee zu untersuchen, die Verantwortlichen zu identifizieren und diejenigen, die nachweislich an den Verbrechen und Verletzungen beteiligt waren, an die Justiz zu verweisen (SANA 9.3.2025b). Am 9.3.2025 begannen die Behörden, gegen diejenigen vorzugehen, die Gewalttaten gegen Zivilisten begangen hatten. Die syrische Übergangsregierung verhaftete sogenannte undisziplinierte Gruppen, die in den letzten Tagen während der Säuberungsaktionen Sabotageakte begangen hatten. Sie sollen strafrechtlich verfolgt werden, weil sie die Anweisungen des Kommandos missachteten (Arabiya 9.3.2025).
Viele Beobachter sind sich einig, dass trotz der starken Präsenz interner Faktoren auch der externe regionale Faktor bei den Unruhen in der syrischen Küstenregion eine wichtige Rolle spielte. Syrische Sicherheitsquellen weisen darauf hin, dass Iran in die Ereignisse in der Region verwickelt war und dass er die Überreste des Regimes von Bashar al-Assad finanzierte und bewaffnete, die zwischen der Küste und der Provinz Homs unterwegs waren und aufgrund der instabilen Sicherheitslage in den Osten Syriens vordringen konnten (BBC 9.3.2025b). Israel drang nach dem Sturz des Assad-Regimes in Grenzdörfer in Syrien ein und bezeichnete dies als vorübergehende Maßnahme zum Schutz seiner eigenen Sicherheit. Während israelische Politiker seit Monaten deutlich machen, dass sie beabsichtigen, ihre Truppen in den Grenzregionen zu belassen, die eigentlich eine von internationalen Friedenstruppen überwachte Pufferzone sein sollte, stellen ihre Erklärungen über ein entmilitarisiertes Südsyrien eine Eskalation dar, die die Spannungen innerhalb Syriens verschärft hat (NYT 25.2.2025). Israel hatte die Pufferzone auf dem syrischen Golan umgangen und das Rückzugsabkommen von 1974 verletzt, indem es in Quneitra und Dara'a eindrang und weiteres syrisches Gebiet besetzte, bis es den Berg Hermon erreichte (BBC 9.3.2025b). Israelische Streitkräfte führen weiterhin Angriffe in und jenseits des entmilitarisierten Grenzstreifens von 1974 zwischen den von Israel besetzten Golanhöhen und Quneitra durch. Versuche Israels, die Herzen und Köpfe der Menschen in Quneitra zu gewinnen, wurden wiederholt abgewiesen und fanden gleichzeitig mit Razzien, Schießereien und anderen Verstößen statt (Etana 22.2.2025). Israel führte seit dem Sturz von al-Assad Hunderte von Luftangriffen in ganz Syrien durch, bei denen Luftwaffenstützpunkte, Munitionsdepots, militärische Ausrüstung und Stellungen von Kräften, die der neuen Regierung treu ergeben sind, angegriffen wurden (SCR 30.1.2025). Am 1.3.2025 drohte der israelische Ministerpräsident Netanyahu und der Verteidigungsminister Katz der syrischen Übergangsregierung, in Syrien einzugreifen, um die Drusen zu beschützen (Enab 1.3.2025; vgl. TIS 1.3.2025). Berichten aus Syrien zufolge kam es zuvor im Rahmen einer Sicherheitskampagne in Jaramana, einem Vorort von Damaskus, zu Zusammenstößen zwischen den Behörden der neuen syrischen Regierung und örtlichen drusischen Kämpfern (TIS 1.3.2025). [Weitere Informationen zur politischen Intervention Israels finden sich im Kapitel Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Außenpolitische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und zur militärischen Intervention im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Kräfte von außen, die gemeinsam mit Assad die Macht verloren haben – Iran und seine Vasallen wie die libanesische Hisbollah –, haben Interesse daran, dass das neue Syrien scheitert (Standard 9.3.2025).
Nach dem Sturz des Assad-Regimes hat Russland begonnen, seine Streitkräfte aus der strategisch wichtigen Marinebasis Tartus abzuziehen. Dieser Rückzug könnte das Machtgleichgewicht in der Region beeinflussen und Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Syrien haben (VB Amman 9.2.2025). [Weitere Informationen zu den politischen Beziehungen zwischen Syrien und Russland finden sich im Kapitel Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Außenpolitische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024). Informationen zur militärischen Präsenz Russlands sind dem Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Ende Dezember wurde, einer syrischen Sicherheitsquelle von Al Jazeera zufolge, durch die Abteilung für militärische Operationen eine landesweite Sicherheitsoperation gestartet, um Überreste des untergegangenen Regimes zu jagen und militärische Kontrollpunkte an der Straße zum russischen Militärstützpunkt Hmeimim in Tartus einzurichten (AJ 28.12.2024b). [Weitere Informationen zu Sicherheitsoperationen finden sich in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024), Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024).]
Die Internationale Koalition hat zwölf Sicherheitsoperationen gegen Zellen des Islamischen Staates (IS) durchgeführt, einige mit Beteiligung der SDF in verschiedenen Gebieten Syriens, wo diese Operationen zur Tötung von 14 Mitgliedern des IS führten, darunter zwei Anführer, sowie die Verhaftung von neun Personen, die beschuldigt werden, dem IS anzugehören und mit ihm zu kooperieren, darunter ein Ölinvestor (SOHR 23.2.2025). Die von den USA geführten internationalen Koalitionstruppen haben in Zusammenarbeit mit den SDF ein intensives militärisches Training mit schweren Waffen auf der Basis des Ölfeldes al-'Omar im Osten der Provinz Deir ez-Zour im Osten Syriens durchgeführt. Die Übungen sind Teil einer Reihe von Militärmanövern, die die Koalitionstruppen auf ihren Militärstützpunkten in den Provinzen Deir ez-Zour und al-Hasaka im Nordosten des Landes durchführen, um die Kampfbereitschaft und die operative Koordination mit den lokalen Partnern zu verbessern (TNA 27.2.2025). [Weitere Informationen zur Intervention der Internationalen Koalition bzw. der USA sind den Kapiteln Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Außenpolitische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Grandi, sieht den Schlüssel, um die Voraussetzungen für ausreichende Lebensbedingungen und eine stabile Sicherheitslage zu schaffen, in der Elektrizität. Ohne diese gäbe es nicht nur extreme Unsicherheit. Die Lebensbedingungen, wie Kochen, Heizen, Transport usw. sind an Strom gekoppelt. Auch der Betrieb von Krankenhäusern und Schulen bedingt eine funktionierende Energieversorgung. Dauere der Zustand an, in dem nachts ganze Gegenden in völliger Dunkelheit lägen, sei ein "collapse of law and order" praktisch unvermeidlich. Die radikalen militanten Gruppierungen würden nur darauf warten, das Vakuum zu füllen (ÖB Amman 6.2.2025). [Weitere Informationen zur humanitären Lage, Stromversorgung etc. finde sich im Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft.]
Kampfmittelreste und Blindgänger
In mehr als 13 Jahren Krieg wurden im ganzen Land schätzungsweise mehr als zehn Millionen Sprengkörper eingesetzt. In der Regel explodieren bis zu 30 % der eingesetzten Munition nicht, was zu einer hohen Kontaminierung mit Blindgängern führt (FR 20.1.2025b). Nicht explodierte Kampfmittelrückstände stellen eine große Gefahr für das Leben in Syrien dar. Sie werden hauptsächlich in zwei Kategorien unterteilt. Die Erste sind Blindgänger wie Streubomben, Mörsergranaten und Granaten. Diese sind in der Regel über der Erde und daher sichtbar. Die größere Herausforderung liegt in der zweiten Kategorie von Munition: Landminen. Ehemalige Regierungstruppen haben Hunderttausende davon in verschiedenen Gebieten in Syrien vergraben – hauptsächlich auf Ackerland (BBC 23.1.2025). Die Bedrohung durch Blindgänger hat sich seit dem Sturz des Assad-Regimes am 8.12.2024 noch verschärft, weil in Homs, aber auch in Damaskus, viele Waffen, darunter auch Sprengwaffen, zurückgelassen wurden (UN News 14.1.2025). Es ist ein starker Anstieg von Vorfällen mit Blindgängern und explosiven Kampfmittelrückständen zu verzeichnen, wobei fast täglich über zivile Opfer berichtet wird (UNOCHA 12.2.2025). Die Beseitigung von Landminen und anderen militärischen Trümmern ist dringender denn je. Während sich Millionen von Flüchtlingen auf ihre Rückkehr vorbereiten, sind viele ihrer Häuser oder das, was von ihnen übrig ist, mit nicht explodierten Mörser- und Artilleriegranaten, Raketen, Minen und Sprengfallen übersät (Leb24 13.2.2025). Für die Vertriebenen und diejenigen, die versuchen, nach Hause zurückzukehren, ist die Gefahr durch Blindgänger ständig und unvermeidlich (UN News 14.1.2025). Syrien ist seit Jahren unter den drei Ländern mit der höchsten Blindgänger-Dichte (FR 20.1.2025b). In allen Gebieten, in denen in den letzten Jahren Militäroperationen stattgefunden haben, sind nicht explodierte Kampfmittel weit verbreitet, sodass es riskant ist, nach Hause zurückzukehren und ein normales Leben wieder aufzunehmen. Trotz der dringenden Notwendigkeit, sie zu beseitigen, sind die Bemühungen nach wie vor unzureichend, weil die lokalen Behörden und humanitären Organisationen es verabsäumen, ernsthafte Schritte zum Schutz der Zivilbevölkerung zu unternehmen. Am stärksten betroffen sind die Gebiete unter der Kontrolle der neuen syrischen Regierung, gefolgt von der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (Democratic Autonomous Administration of North and East Syria - DAANES) und den Gebieten der durch die Türkei unterstützten SNA (SOHR 13.2.2025). Die Vorfälle ereignen sich in verschiedenen Gebieten des Landes. Dabei kommt es zu Explosionen auf landwirtschaftlichen Flächen, wo Zivilisten arbeiten, um Ernten zu sammeln oder nach Trüffeln zu suchen, zu Explosionen in Häusern oder während der Fahrt auf den Straßen (SOHR 21.2.2025). Nach Angaben des Halo Trust, einer internationalen Organisation, die auf die Räumung von Landminen und anderen Sprengkörpern spezialisiert ist, wurden allein seit dem Sturz al-Assads durch Landminen und andere explosive Hinterlassenschaften mindestens 400 Zivilisten getötet und verletzt, wobei die tatsächliche Zahl vermutlich viel höher liegt (Halo 3.2.2025). In den letzten neun Jahren wurden mindestens 422.000 Vorfälle mit Blindgängern in 14 Gouvernements in ganz Syrien gemeldet, wobei schätzungsweise die Hälfte davon tragische Opfer unter Kindern forderte. Die Gefahr betrifft etwa fünf Millionen Kinder, die in Gebieten leben, die mit den tödlichen Sprengkörpern verseucht sind. Für Kinder sind die Auswirkungen solcher Vorfälle verheerend. Wenn sie die Explosion überleben, sind lebensverändernde Verletzungen und Behinderungen die Folge, welche oft bedeuten, dass sie nicht mehr zur Schule gehen können oder dass es für sie schwieriger ist, Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung zu erhalten (UN News 14.1.2025). [Weiterführende Informationen zu den Auswirkungen von Blindgängern auf Kinder finden sich im Kapitel Relevante Bevölkerungsgruppen / Kinder - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Laut Syrischer Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind von Anfang 2025 bis 13.2.2025 169 Menschen durch Kampfmittelüberreste getötet worden, darunter 31 Kinder und sechs Frauen. 205 Personen wurden verletzt. Darunter 88 Kinder und Frauen (SOHR 13.2.2025). UNOCHA zählte bei 198 Vorfällen von Dezember 2024 bis 12.2.2025 141 Getötete, darunter 24 Kinder und eine Frau, sowie 265 Verletzte, darunter 114 Kinder und 16 Frauen. Von den 136 Vorfällen im Jänner und Februar ereigneten sich 90 während Bauern ihr Land bestellten oder Tiere weideten, was zum Tod von 61 Bauern und Hirten und 93 weiteren Verletzten führte. Seit Dezember wurden in Idlib, Aleppo, Hama, Deir ez-Zour und Lattakia insgesamt 138 Minenfelder und Minenpräsenzpunkte identifiziert (UNOCHA 12.2.2025). Viele der Getöteten sind den syrischen "Weißhelmen" zufolge Bauern und Landbesitzer, die versuchten auf ihr Land zurückzukehren (BBC 23.1.2025). Großstädte wie Idlib, ar-Raqqa, Aleppo, Hama, Homs und Ost-Ghouta, ein Vorort von Damaskus, wurden durch Bombardierungen verwüstet und sind deswegen mit Blindgängern übersät. Genau das sind die am meisten bewohnten Gegenden. Dort lebten teils Hunderttausende. Die Minenfelder und nicht explodierte Sprengkörper wie Bombenreste sind übers ganze Land verteilt (FR 20.1.2025b). Al Jazeera zufolge sind Provinzen wie Aleppo, Idlib, Hama, Homs, ar-Raqqa, Deir ez-Zour und al-Hasaka und in geringerem Maße Damaskus, Dara'a und Suweida mit Streumunition und Minen verseucht (AJ 1.1.2025c). Die folgende Karte stellt die Kontamination der syrischen Gouvernements durch Kampfmittelreste farblich dar:

Quelle: BBC 23.1.2025
Der Islamische Staat (IS)
Die Instabilität wirkt sich auf Lager, Haftanstalten und andere Einrichtungen im Nordosten des Landes aus. 42.500 Personen, von denen einige mutmaßliche Verbindungen zu IS haben, sind weiterhin in Haft. Darunter sind 17.700 irakische Staatsangehörige und 16.200 syrische Staatsangehörige sowie 8.600 Staatsangehörige aus anderen Ländern (UN News 10.2.2025). [Weitere Informationen zu Flüchtlingslager in Nord- und Ostsyrien finden sich im Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) / Allgemeine Menschenrechtslage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) / IDP's und Flüchtlinge.] Der IS ist in Syrien in zwei getrennten Gebieten verbreitet. Zum Ersten in der syrischen Jazira (Nordostsyrien), die von den von der Internationalen Koalition unterstützten SDF kontrolliert wird. Dort bewegt sich der IS in der südlichen Wüste der Provinz al-Hasaka, die auch mit der nordöstlichen Seite der Grenzstadt al-Bu Kamal verbunden ist, genauer gesagt mit der Stadt al-Baghouz, der letzten städtischen Hochburg des IS. Dieses Gebiet ist geografisch mit der Hatra-Wüste in der irakischen Provinz Ninive verbunden, trotz der Betonblöcke, die die beiden Länder trennen, bewegt sich der IS immer noch über die Grenze, wie ein Bewohner der ländlichen Provinz al-Hasaka gegenüber Al Jazeera bestätigt. Das zweite Gebiet, bekannt als al-Badiya ash-Shamiya (zu Deutsch: Syrische Wüste), befindet sich in der Nähe der Stadt Palmyra, östlich der Provinz Homs. Es zeichnet sich durch seine Weite aus und endet am Rande der meisten syrischen Provinzen und ist auch mit der irakischen Wüste al-Anbar verbunden, die eine wichtige Hochburg für den IS ist. Der IS profitierte früher von der Aufteilung des Einflusses entlang des Grenzstreifens zwischen den US-amerikanischen Streitkräften, die in der Militärbasis at-Tanf stationiert waren, und den iranischen Milizen, die al-Bu Kamal kontrollierten. Zusätzlich zu seiner relativ langen Erfahrung im Kampf und in der Anpassung an die Wüste konnte der IS seine Bewegung in diesem Gebiet zwischen den beiden Ländern aufrechterhalten (AJ 2.3.2025). Eine Reportage des Spiegels, bei der ein Journalist in die al-Badiya reiste und mit verschiedenen Personen vor Ort sprach, deutet an, dass der IS dort nicht mehr so stark präsent ist, sondern viele Überfälle und Angriffe von der gestürzten syrischen Regierung dem Islamischen Staat zugeschoben wurden (Spiegel 9.2.2025). Die Vielzahl der gegen den IS kämpfenden Parteien und der Zustand der Feindseligkeit oder Rivalität zwischen ihnen schuf einen Zustand der Verwirrung, der in der jüngsten Zeit (zwischen 2024 und 2023) offensichtlich wurde. Dies trug dazu bei, dass die Informationen über die Zahlen und Bewegungen der Organisation ungenau und sehr variabel sind, da es bis heute keine genaue Zahl für die Anzahl der IS-Kämpfer in Syrien gibt. Einige Quellen vor Ort deuten darauf hin, dass die Zahl der aktiven IS-Kämpfer in Syrien zwischen 900 und 1100 liegt, wobei sich der größte Teil von ihnen in der levantinischen al-Badiya befindet, während der kleinere Teil auf der syrischen Jazira (Nordostsyrien) verteilt ist (AJ 2.3.2025). Der IS hat die Sicherheitslücke ausgenutzt, die durch den Zusammenbruch des Regimes des ehemaligen syrischen Präsidenten Bashar al-Assad im vergangenen Dezember entstanden ist, so der SDF-Anführer 'Abdi. Seither wurde der IS sichtbarer und aktiver. Die Terrorgruppe nutzt Waffenlager, die sie beschlagnahmt hat, nachdem sie von Assad-treuen Kräften aufgegeben wurden. Der IS werde auch immer mutiger und schicke Terroristen aus ihren Verstecken in der Badiya in die umliegenden Städte (VOA 27.2.2025). Am 10.2.2025 stellte ein UN-Beamter fest, dass die unbeständige Lage in Syrien sehr besorgniserregend ist. Es besteht die Gefahr, dass Bestände moderner Waffen in die Hände von Terroristen fallen. Die syrische Badiya-Region wird weiterhin als Zentrum für die externe Operationsplanung des IS genutzt und ist ein wichtiges Gebiet für dessen Aktivitäten (UN News 10.2.2025). Der Abzug der USA würde eine Stärkung des IS bewirken, weil die Gruppierung die Schwäche der neuen syrischen Übergangsregierung ausnutzen wird, die nicht in der Lage ist, das gesamte syrische Staatsgebiet zu kontrollieren. Beamte warnen, dass der Abzug der US-Streitkräfte die SDF alleine lassen und die Sicherheit von mehr als 20 Gefängnissen und Flüchtlingslagern bedrohen wird, in denen mehr als 50.000 Menschen, darunter etwa 9.000 IS-Kämpfer, untergebracht sind. Ohne die US-amerikanischen Streitkräfte könnten die SDF die Gefängnisse und Lager aufgeben und Tausenden von IS-Kämpfern die Flucht ermöglichen. Der türkische Außenminister Fidan sagte Anfang Januar, dass die Türkei bereit sei, die Kontrolle über die Gefängnisse zu übernehmen, in denen IS-Gefangene untergebracht sind (AlHurra 6.2.2025a). In den letzten Jahren, nachdem der IS seine letzten städtischen Hochburgen verloren hatte, führten IS-Gruppierungen Hunderte von militärischen und sicherheitspolitischen Operationen in Syrien durch, meist in Form von Schnellangriffen auf Stellungen iranischer Milizen und Angehörige der ehemaligen syrischen Regime-Armee, zusätzlich zu aufeinanderfolgenden Angriffen auf Öltankwagen, die Öllieferungen von den syrischen Jazira-Feldern zu den Raffinerien in Homs und Baniyas transportierten. Seit der Ankündigung des Sturzes des Assad-Regimes sind die Angriffe des IS zurückgegangen, abgesehen von den üblichen Angriffen in der syrischen Region Jazira und zwei Angriffen in der levantinischen Badiya, von denen einer auf das Gasfeld von Sha'er abzielte und ein Todesopfer forderte. Dieses relative Verschwinden ist nicht unbedingt von Dauer, sondern wahrscheinlich eher vorübergehend und auf mehrere Gründe zurückzuführen, von denen die wichtigsten sind: 1. fehlende militärische Ziele durch den Abzug der Iranischen Milizen und das Auflösen der Syrischen Arabischen Armee (SAA), 2. der Einsatz militärischer Gruppierungen, die der Syrischen Freien Armee (SFA) angehörten und mittlerweile dem syrischen Verteidigungsministerium unterstellt sind, um das Machtvakuum in der Region zu schließen und wichtige strategische Positionen insbesondere an der einzigen Verbindungsstraße zwischen Deir ez-Zour und Damaskus zu übernehmen (AJ 2.3.2025).
Die Sicherheitslage in den verschiedenen Regionen Syriens variiert (VB Amman 9.2.2025). Im Folgenden wir die Sicherheitslage je nach Region dargestellt:
[…]
Nordsyrien
Die Sicherheitslage in Nordsyrien ist nach wie vor instabil, da verschiedene Fraktionen um Kontrolle und Einfluss konkurrieren (SCR 30.1.2025). Nach al-Assads Sturz und der Machtübernahme islamistischer Gruppierungen bleibt der Nordwesten Syriens eine der unruhigsten und komplexesten Regionen des Landes. Die neuen Machthaber bestehen aus einem Bündnis verschiedener islamistischer Fraktionen, wobei insbesondere Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) in Idlib und Teilen Aleppos eine führende Rolle einnehmen. Trotz der formellen Übernahme der Macht kommt es in der Region weiterhin zu Machtkämpfen zwischen rivalisierenden islamistischen Gruppen, Widerstandszellen Assad-treuer Kräfte und externen Bedrohungen durch Luftangriffe und Grenzkonflikte (VB Amman 9.2.2025). Teile des Nordostens Syriens, insbesondere Ost-Aleppo, ar-Raqqa und al-Hasaka, sind von Feindseligkeiten, Zusammenstößen und Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern (Improvised Explosive Devices - IED) betroffen (UNOCHA 12.2.2025). Idlib ist nun das Zentrum der islamistischen Verwaltung in Syrien, bleibt aber eine hochgradig instabile Region. Während HTS als dominierende Kraft die Kontrolle beansprucht, gibt es weiterhin Konflikte mit anderen Fraktionen sowie Widerstand durch kleinere Gruppierungen, die nicht vollständig in die neue Ordnung integriert wurden. Trotz des Sturzes al-Assads bleiben die syrischen Lufträume gefährdet durch israelische Angriffe auf iranische oder mit Iran verbundene Gruppierungen, während Russland gelegentlich gezielte Angriffe auf dschihadistische Gruppierungen in der Region durchführt. Spannungen zwischen HTS, anderen islamistischen Gruppierungen und lokalen Milizen sorgen für eine fragile Sicherheitslage mit regelmäßigen Attentaten und bewaffneten Auseinandersetzungen. Die anhaltende Instabilität, fehlende Grundversorgung und wirtschaftliche Notlage haben die humanitäre Situation in Idlib weiter verschärft. Aleppo bleibt eine der strategisch wichtigsten Städte Syriens, ist jedoch weiterhin zwischen verschiedenen Akteuren umkämpft. Während islamistische Gruppierungen Teile der Stadt kontrollieren, gibt es in anderen Bezirken noch Präsenz ehemaliger regierungstreuer Milizen oder autonomer kurdischer Einheiten. In nördlichen Teilen Aleppos gibt es weiterhin Spannungen zwischen türkisch unterstützten Milizen und kurdischen Einheiten der SDF. In Teilen Aleppos kommt es weiterhin zu gezielten Attentaten, Entführungen und Sprengstoffanschlägen gegen islamistische Führungspersonen, was auf eine aktive Widerstandsbewegung hindeutet. Die Stadt bleibt schwer beschädigt, und der Wiederaufbau schreitet nur schleppend voran, da sich die neuen islamistischen Machthaber auf militärische Kontrolle und weniger auf infrastrukturelle Erholung konzentrieren (VB Amman 9.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium gab bekannt, dass es einen Angriff der SDF an der Ashrafiya-Front Anfang März 2025 in Aleppo-Stadt zurückgeschlagen hat. Das syrische Verteidigungsministerium hat aus mehreren Gebieten militärische Verstärkung an die Kampffronten gegen die SDF in Aleppo geschickt (AJ 10.3.2025c). Die syrische Armee hat nach eigenen Angaben Mitglieder der kurdisch geführten SDF festgenommen, als diese aus dem Viertel al-Ashrafiya nach Aleppo eindrangen (BBC 9.3.2025a).
Quellen: […]
4.1 Sicherheitslage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-07 07:46
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. Uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Die von den USA unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) werden von der Türkei als „Terroristen“ betrachtet und als eine existenzielle Bedrohung für ihre nationale Sicherheit. Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), die sich aus ehemaligen Rebellengruppierungen zusammensetzt, liefert sich entlang des Euphrat einen erbitterten Kampf mit den SDF. Trotz türkischer Luft- und Artillerieunterstützung scheint die SNA die größten Verluste zu erleiden. Es ist erwähnenswert, dass viele der kurdischen Kämpfer der SDF von den USA ausgebildet und bewaffnet wurden (Leb24 13.2.2025). Nach dem Sturz der Assad-Regierung und der Machtübernahme islamistischer Gruppierungen bleibt auch der Nordosten Syriens eine umkämpfte und hochgradig instabile Region (VB Amman 9.2.2025). Im Nordosten (al-Hasaka, ar-Raqqa, Deir ez-Zour) ist das Risiko aktiver Konflikte größer als anderswo (GPC 3.4.2025). Während islamistische Gruppierungen in anderen Teilen Syriens ihre Kontrolle gefestigt haben, ist al-Hasaka weiterhin eine umstrittene Zone, in der die SDF, türkische Streitkräfte und islamistische Milizen um Einfluss kämpfen. Die SDF, dominiert von den kurdischen Volkverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), hält weiterhin große Teile der Region, insbesondere Städte wie al-Hasaka und Qamishli. Islamistische Gruppierungen, die nach dem Sturz al-Assads in anderen Teilen des Landes an die Macht gelangt sind, versuchen, ihren Einfluss im Nordosten auszudehnen und liefern sich Gefechte mit den kurdischen Einheiten der SDF. Die türkischen Streitkräfte und ihre Verbündeten syrischen Milizen nutzen den Zusammenbruch der Assad-Regierung, um ihre Angriffe auf SDF-kontrollierte Gebiete zu intensivieren. Es kommt regelmäßig zu türkischen Luftschlägen, Artilleriebeschuss und Bodengefechten entlang der Grenze. Zellen des Islamischen Staats (IS) sind weiterhin aktiv und nutzen die chaotische Lage, um ihre Angriffe zu intensivieren (VB Amman 9.2.2025). Die Gebiete al-Hasaka, ar-Raqqa und Deir ez-Zour sind Angriffen des IS ausgesetzt (GPC 3.4.2025). Immer wieder kommt es zu Anschlägen auf kurdische Sicherheitskräfte, Gefängnisaufständen und Sabotageakten. Die Schwäche der neuen islamistischen Machthaber gegenüber dem IS in der Region führt dazu, dass sich lokale Stämme teils eigenständig bewaffnen, was zu einem weiteren Fragmentierungsprozess beiträgt. Die anhaltenden Kämpfe und türkischen Offensiven haben Tausende Binnenvertriebene zur Flucht gezwungen. Viele Flüchtlingslager, die ehemals unter al-Assad verwaltet wurden, sind in eine ungewisse Lage geraten, da humanitäre Organisationen nur noch eingeschränkt Zugang haben. Die Wasserversorgung ist durch türkische Angriffe auf Infrastruktur beeinträchtigt, und Nahrungsmittelknappheit sowie medizinische Engpässe verschärfen die humanitäre Krise (VB Amman 9.2.2025). [Weiterführende Informationen zur humanitären Lage finden sich im Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft. Informationen zu Binnenvertriebenen im Kapitel Bewegungsfreiheit - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Binnenvertriebene (IDPs) und Flüchtlinge - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Informationen zu den Flüchtlingslagern im Kurdengebiet in den Kapiteln Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) / Allgemeine Menschenrechtslage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) / IDP's und Flüchtlinge und Bewegungsfreiheit - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Bewegungsfreiheit in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Domokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES).] In den von den SDF kontrollierten Gebieten kam es im Februar zu Angriffen von IS-Zellen, die SDF-Elemente und Sicherheitspositionen aus dem Hinterhalt und mit Maschinengewehren angriffen. Dabei wurden bei zehn Operationen, die sich auf Deir ez-Zour, ar-Raqqa und al-Hasaka verteilten, mehrere Personen getötet und verwundet, darunter zwei IS-Kämpfer (SOHR 24.2.2025a).
Die von der Türkei unterstützten syrischen Gruppierungen starteten im November eine Offensive gegen die SDF und vertrieben sie trotz der Bemühungen der USA, einen Waffenstillstand zu vermitteln, aus mehreren Gebieten im Norden (Arabiya 26.2.2025). Sie eroberten strategische Orte in der Umgebung von Manbij und Tall Rif'at. Die Kämpfe intensivierten sich in der Nähe des Tishrin-Staudamms am Euphrat in der Region Manbij im Osten Aleppos, der für die von den SDF kontrollierten Gebiete nach wie vor eine wichtige Wasser- und Stromquelle darstellt. Die Türkei hat Berichten zufolge Luftangriffe in der Region durchgeführt, was Bedenken hinsichtlich möglicher Schäden am Damm aufkommen lässt. Darüber hinaus wurden auch mehrere Orte in der Region Kobane und im Osten Aleppos angegriffen (SCR 30.1.2025). Washington vermittelte Anfang Dezember, nachdem die Kämpfe ausgebrochen waren, einen ersten Waffenstillstand. Dennoch kam es weiterhin zu Kampfhandlungen zwischen den beiden Parteien (Sky News 31.12.2024b). Auf mehreren Achsen im östlichen Aleppo und im Nordosten Syriens kam es zu einer Reihe von gegenseitigen Angriffen zwischen den SDF einerseits und den türkischen Streitkräften und pro-türkischen Gruppierungen andererseits. In der Nähe des Tishrin-Damms beschossen die türkischen Streitkräfte Stellungen der SDF intensiv mit Artillerie, während gleichzeitig ein Drohnenangriff auf Stellungen der SDF stattfindet, was zu Zusammenstößen zwischen beiden Seiten führte (SOHR 26.2.2025). Der Tishrin-Staudamm am Euphrat in Syrien ist zu einem zentralen Konfliktpunkt in der Zeit nach Assad geworden. Seit dem Sturz des Regimes von Diktator Bashar al-Assad am 8.12.2024 wird der Damm von den SDF und der SNA umkämpft (LWJ 26.1.2025). Trotz heftiger Kämpfe über mehrere Wochen hinweg hatte sich die lokale Konfliktkarte rund um den Tishrin-Staudamm nicht verändert. An den Frontlinien zwischen der von der Türkei unterstützten SNA und den SDF kam es auf beiden Seiten des Euphrat in der Nähe des Tishrin-Staudamms und der Qara-Qozak-Brücke zu anhaltenden, heftigen Gefechten (Etana 22.2.2025). Diese sollen dem Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge Mitte April 2025 eingestellt worden sein (SOHR 15.4.2025), nachdem die SDF sich aus dem Gebiet zurückgezogen haben. Die Kontrolle über den Staudamm soll die syrische Regierung übernehmen (ISW 16.4.2025). [Für Details dazu s. Kapitel Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES).] Anfang Februar kam es mehrmals zu tödlichen Anschlägen mit Autobomben in Gebieten, die von Türkei-nahen Milizen kontrolliert werden (Tagesspiegel 3.2.2025). Die türkischen Streitkräfte setzen ihre Operationen in Syrien unter dem Vorwand fort, die türkische Grenze zu Syrien zu sichern, der Kurdischen Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK) entgegenzuwirken und Vereinbarungen zu garantieren (SOHR 9.1.2025). Am 27.2.2025 rief Abdullah Öcalan, der in der Türkei inhaftierte Anführer der PKK, dazu auf, die Waffen niederzulegen und die PKK aufzulösen (ANF 27.2.2025). In einer mit Spannung erwarteten Erklärung, von der sich viele erhoffen, dass sie den Weg für ein Ende des seit mehr als vier Jahrzehnten andauernden Konflikts zwischen der Türkei und den Kurden ebnet, forderte der inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan seine Anhänger auf, die Waffen niederzulegen und die Rebellenorganisation aufzulösen. Mazloum 'Abdi, Anführer der SDF, stellte klar, dass dieser Aufruf nur für die PKK gelte und nichts mit Syrien zu tun habe (AlMon 27.2.2025; vgl. AlHurra 27.2.2025). Er sagte, dass seine Kämpfer die Waffen nicht niederlegen werden (VOA 27.2.2025). Die Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Syrien waren ein wesentliches Hindernis bei den Friedensgesprächen zwischen Ankara und Öcalan, weil die Türkei darauf bestand, dass sie den Nordosten Syriens einschließen, wo türkische Streitkräfte und verbündete sunnitische Fraktionen seit neun Jahren einen erbitterten Feldzug führen, um die selbsternannte Demokratische Autonome Administration Nord- und Ostsyriens (DAANES) wegen ihrer Verbindungen zur PKK zu zerstören. Doch Ankara scheint ihre Haltung etwas abgemildert zu haben, da mehrere arabische Nationen dem wachsenden Einfluss der Türkei in Syrien entgegenwirken (AlMon 27.2.2025). In Washington besteht die Hoffnung, dass die Entscheidung Öcalans die Spannungen mit Ankara abbauen und die Bemühungen zur Bekämpfung der Überreste der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) erleichtern könnte. Die SDF schloss sich dem Optimismus Washingtons an (VOA 27.2.2025). 'Abdi stellte fest, dass es mit dem Frieden zwischen der PKK und der Türkei, keinen Grund und keine Entschuldigung mehr für die Türkei gäbe, Nordsyrien mehr unter dem Vorwand der PKK anzugreifen (VOA 27.2.2025; vgl. AlHurra 27.2.2025). Der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zufolge sind die Entwicklungen im Jahr 2024 ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass die türkische Intervention in Syrien eine Hauptursache für Blutvergießen ist. Seit Anfang 2024 hat SOHR den Tod von 88 syrischen Zivilisten dokumentiert: 17 Kinder, sechs Frauen und 65 junge und erwachsene Männer, die durch Schüsse türkischer Grenzsoldaten (Jandarma) und Luft- und Bodenangriffe türkischer Streitkräfte, darunter Luftangriffe von Kampfflugzeugen und Drohnen, getötet wurden (SOHR 9.1.2025). Zusammenstöße zwischen der SNA und der SDF sind nichts Neues, ebenso wenig wie Kämpfe zwischen der Türkei und der SDF. Ankara hat in den letzten zehn Jahren mehrere Operationen in Syrien gestartet, darunter die Operationen Euphrates Shield (2016), Olive Branch (2018) und Peace Spring (2019), die alle darauf abzielten, die SDF oder die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die größte Fraktion innerhalb der SDF, zu bekämpfen. Vor dem Sturz des Assad-Regimes, der Ende November mit einer Offensive der HTS in der Nähe von Aleppo begann, waren die Fronten in Syrien zwischen den SDF und SNA mehrere Jahre lang unverändert geblieben. Der Zusammenbruch des Regimes führte jedoch zu raschen Veränderungen (LWJ 26.1.2025).
In den Gebieten in Nord- und Ostsyrien kam es im Februar aufgrund von alten Streitigkeiten und Racheakten zu einer Eskalation von Familien- und Stammeszusammenstößen, bei denen fünf Menschen getötet und sieben weitere verletzt wurden, darunter eine Frau. Diese Zusammenstöße konzentrierten sich auf die Gouvernements ar-Raqqa, Dei ez-Zour und al-Hasaka, wo leichte und mittelschwere Waffen zum Einsatz kamen (SOHR 15.2.2025). Inmitten dieser Unsicherheit haben Berichte über willkürliche Verhaftungen im Nordosten Syriens die Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen verschärft (UNOCHA 12.2.2025).
Quellen: […]
5 Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-07 07:55
Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
[Derzeit liegen keine ausreichenden Informationen über das Justizwesen der aktuellen Regierung vor bzw. befindet sich das Justizwesen in Syrien derzeit im Umbruch. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen über die vorliegenden Länderinformationen finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen]
Die aktuelle Verfassung von 2012 wurde ausgesetzt. Ahmad ash-Shara' setzte für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung drei Jahre an. Die neue syrische Regierung kündigte an, dass ein Verfassungskomitee aus den besten Juristen und Rechtsgelehrten gebildet werden würde, das daran arbeiten wird, die bisherige Verfassung zu überprüfen und Änderungen vorzunehmen (AJ 13.1.2025). Am 29.1.2025 wurde zudem beschlossen, alle Ausnahmegesetze, die während der Ära des abgesetzten Präsidenten al-Assad erlassen wurden, zu widerrufen (Sky News 31.1.2025). In einem Interview gab ash-Shara' am 3.2.2025 an, dass der hohe Justizrat noch besteht und nicht alle bisherigen Gesetze auf einmal aufgehoben worden sind. Es gibt über 150.000 offene Fälle vor Gericht, die erst behandelt werden können, wenn ein neues Gesetz erlassen wurde. Durch Experten und Fachausschüsse für Justizgesetze werden neue Gesetze vorgeschlagen und alte Gesetze, die nicht mit der Situation in Syrien übereinstimmen, ersetzt. Jedes Gesetz, das erlassen werden soll, wird einer vorläufigen parlamentarischen Versammlung vorgelegt, die darüber abstimmt, ob es verabschiedet werden soll oder nicht. Darüber hinaus gibt es den Hohen Justizrat und das Oberste Verfassungsgericht, sodass es ein rechtliches Verfahren für die Verabschiedung jedes Gesetzes im Land gibt. Das Verfahren unterliegt laut Aussagen von ash-Shara' den allgemeinen Gesetzen, die auf den in der Verfassungserklärung festgelegten Rahmenrichtlinien basieren. Des Weiteren wird es eine Verfassungserklärung geben. Ob es Scharia-Gesetze gibt oder nicht, werden ash-Shara' zufolge Experten entscheiden (Economist 3.2.2025). Gemäß einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung wird derzeit nicht mit Gesetzen, sondern mit Dekreten regiert. Die regierenden Milizen können anordnen, was sie wollen (NZZ 24.1.2025). Die derzeitige Regierung ist als Übergangsregierung gesetzlich darauf beschränkt, öffentliche Dienstleistungen und Betriebe aufrechtzuerhalten. Sie kann zwar Gesetze oder Rechtsvorschriften aussetzen, die Verstöße beinhalten, ist jedoch nicht befugt, Gesetze zu erlassen oder zu ändern, was eine gesetzgebende Körperschaft erfordern würde (HLP Syria 14.1.2025b). Alle Entscheidungen der derzeitigen Regierung werden auf der Grundlage der revolutionären Legitimation getroffen, die sie an die Spitze des Landes gebracht hat, da es sich um eine geschäftsführende Regierung handelt. Daher sind die getroffenen Entscheidungen vorübergehend, bis die verfassungsmäßigen Grundsätze oder die Verfassungserklärung vereinbart sind, so ein Forscher am Syrischen Dialogzentrum (Almodon 8.1.2025). Am 2.3.2025 kündigten die syrischen Behörden die Bildung eines Ausschusses an, der eine Verfassungserklärung für den Übergang des Landes nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Bashar al-Assad ausarbeiten soll (FR24 2.3.2025).
Ash-Shara' hat Prediger als Richter eingesetzt (National 19.12.2024). Offiziell hat das syrische Übergangskabinett keine formellen Anweisungen zur Entlassung von Richterinnen herausgegeben, doch Quellen aus dem Justizpalast des Gouvernements Homs berichten, dass sie mündliche Anweisungen erhalten haben, Frauen aus Justizpositionen zu entfernen (TNA 2.1.2025a).
Nach dem Sturz des Regimes al-Assads und der Präsenz vieler bewaffneter Parteien herrschen in verschiedenen Regionen Syriens Chaos und Gesetzlosigkeit, was zu Verbrechen geführt hat, die möglicherweise durch persönliche Ziele motiviert sind. Notwendig sind klare Anweisungen an das Sicherheitspersonal, die besagen, dass es verboten ist, ohne richterlichen Beschluss der Staatsanwaltschaft, der den Eigentümern der zu durchsuchenden Häuser vorgelegt wird, in Häuser einzudringen (SOHR 2.2.2025). Besonders im Norden mehren sich die Anzeichen für eine Eskalation von Gesetzlosigkeit und Gewalt in einem geografischen Gebiet, das sich zwischen Homs, Latakia an der Küste und Aleppo weiter östlich erstreckt (Etana 3.2.2025). Anfang März 2023 kam es in der syrischen Küstenregion zu sektiererischen und regionalen Liquidierungsoperationen, bei denen Hunderte von Bürgern, darunter Frauen und Kinder, getötet wurden. Die Sicherheitskräfte, Mitglieder des Verteidigungsministeriums und die sie unterstützenden Kräfte haben Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen fürchten müssen (SOHR 11.3.2025). Der syrische islamistische Übergangspräsident will die Verantwortlichen für das Massaker an Zivilisten zur Rechenschaft ziehen, und betonte, dass Syrien ein Rechtsstaat sei (ORF 10.3.2025). Zur Untersuchung der Morde kündigte ash-Shara' die Etablierung eines unabhängigen Ausschusses an (BBC 10.3.2025). [Details über Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen sind den Kapiteln Allgemeine Menschenrechtslage und Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) zu entnehmen. Weiter Informationen zu Gewalt gegen Zivilisten finden sich im Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024). Anm.]
Mitte Dezember kam es zu einem Treffen zwischen einer Delegation der Abteilung für militärische Operationen, Richtern und Anwälten im Justizpalast in Homs. Dort soll es zum Versuch gekommen sein, die Regierungskonzepte in Idlib auf die gesamte syrische Gesellschaft und ihre staatlichen Institutionen zu projizieren, anders als es in offiziellen Statements ash-Shara's kommuniziert wird. Der Leiter der Delegation soll in einer seltsamen Logik gesprochen haben und Scharia- und islamische (Rechts)Begriffe verwendet haben, die in der Realität der syrischen Gerichte nicht existieren, wie z. B. den Begriff „Scharia-Gericht in Homs“, womit er nicht das Gericht für Eheschließungen und Scheidungen, sondern den gesamten Justizpalast meinte, und er verwendete den Begriff „Sunna“ anstelle von Gesetz [auf Arabisch Qanoun - قانون Anm.] (Nahar 14.12.2024). Der Justizminister der Interimsregierung gab in einem Interview am 1.1.2025 an, dass 90 % der syrischen Bevölkerung Muslime sind und eine neue Regierung den Willen des Volkes berücksichtigen werde, was bedeute, dass die Implementierung der Scharia eine große Rolle spielen wird, wenn dies der Wille der Bevölkerung sei (MEMRI 1.1.2025). Der Rosa Luxemburg Stiftung zufolge gilt die Scharia in Syrien längst wichtigste Rechtsquelle – genauso wie in vielen anderen Staaten der Region. Die zentrale Frage ist aber, wie diese ausgelegt wird und inwiefern Islamisten wie ash-Shara' und seine Mitstreiter bereit sind, Kompromisse einzugehen (Rosa Lux 17.12.2024).
Der von der HTS in der Interimsregierung designierte Justizminister, al-Waysi, soll in einem Video, das in verschiedenen Social-Media Kanälen kursiert, zu sehen sein, wie er im Jahr 2015 eine Frau hinrichtet, als er damals als Richter für die Jabhat an-Nusra fungiert hatte (MEMRI 5.1.2025; vgl. AW 9.1.2025). Die Echtheit der Videos wurden von France 24 verifiziert (FR24 8.1.2025).
Die neuen Machthaber in Syrien nutzen islamische Lehren, um eine junge Polizeitruppe auszubilden. Nach Angaben von Polizeibeamten soll dies dazu dienen, ein moralisches Bewusstsein zu schaffen, während sie gleichzeitig versuchen, das Sicherheitsvakuum zu füllen, das durch die Zerschlagung der berüchtigten, korrupten und brutalen Sicherheitskräfte des gestürzten Präsidenten Bashar al-Assad entstanden ist. Polizisten, die sie aus ihrer ehemaligen Rebellenhochburg in der nordwestlichen Region Idlib nach Damaskus gebracht haben, befragen Bewerber nach ihrem Glauben und konzentrieren sich in der kurzen Ausbildung, die sie den Rekruten anbieten, auf das islamische Scharia-Recht, wie fünf hochrangige Beamte und Bewerbungsformulare belegen (REU 23.1.2025). [Details zur Ausbildung eines neuen Polizeikaders finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024)].
Als die Aufständischen der 50-jährigen Herrschaft der al-Assad-Familie ein Ende setzten, brachen sie in Gefängnisse und Sicherheitseinrichtungen ein, um politische Gefangene und viele der Zehntausenden von Menschen zu befreien, die seit Beginn des Konflikts im Jahr 2011 verschwunden waren (AP 10.12.2024). Der neue Justizminister al-Waysi entschied Anfang Jänner, wegen Straftaten Verurteilte wieder ins Gefängnis zu bringen. In einem Rundschreiben rief al-Waysi alle Gerichte, Ermittlungs- und Überweisungsabteilungen und die Staatsanwaltschaft auf, die Namen der Gefangenen oder der wegen gewöhnlicher Straftaten Verurteilten zu zählen, die aufgrund ursprünglicher richterlicher Haftbefehle verhaftet wurden und während der Befreiungsoperation aus ihren Haftanstalten entkommen waren. Der Minister ordnete an, auf der Grundlage der gerichtlichen Akten polizeiliche Anordnungen gegen sie zu erlassen, um ihre Verhaftung und Rückkehr in die Haftanstalten vorzubereiten, ihren Prozess in den noch anhängigen Gerichtsverfahren zu verfolgen und die rechtskräftigen Gerichtsurteile gegen die Verurteilten umzusetzen, um die Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen gegen sie zu gewährleisten, Gerechtigkeit und Stabilität zu erreichen und die persönlichen Rechte der Betroffenen zu wahren (Almodon 9.1.2025). Die Kriminalität ist dramatisch gestiegen, nicht zuletzt auch aufgrund der Freilassung nicht nur politischer Gefangener aus den Gefängnissen (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Während das offizielle Rechtssystem theoretisch eine einheitliche Struktur bietet, ist die Realität vor Ort weitaus komplexer, da verschiedene Rechtssysteme Einfluss und Autorität z. B. in Familienangelegenheiten geltend machen (LSE 15.1.2025). Das syrische Justizsystem ist Just Security zufolge ein einziges Chaos. Jahrzehntelang diente es der Familie al-Assad als Instrument der Unterdrückung (JS 14.1.2025). Seit 2012 wurden einige Gerichte in Oppositionsgebieten eingerichtet und als „Scharia-Gerichte“ bezeichnet, da ihre Urteile auf islamischem Recht und islamischer Rechtsprechung basierten. Andere behielten ihren zivilrechtlichen Charakter bei, indem sie das 1996 von der Arabischen Liga entworfene Arab Unified Law zur Vereinheitlichung der Gesetze in den arabischen Staaten übernahmen. Dieses Gesetz enthält in hohem Maße Grundsätze des islamischen Rechts. Im Jahr 2017 übernahmen Gerichte unter der oppositionellen Syrischen Übergangsregierung (Syrian Interim Government - SIG) in Nordsyrien das syrische arabische Recht unter Bezugnahme auf die Verfassung von 1950, wobei Änderungen vorgenommen wurden, um den aktuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. In den von HTS kontrollierten Gebieten wird das Scharia-Recht neben einigen Gesetzen angewendet, die von der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) der Gruppe erlassen wurden (HLP Syria 14.1.2025b).
Aufarbeitung von Kriegsverbrechen etc. unter dem gestürzten Assad-Regime
Übergangspräsident ash-Shara' verkündete bereits wenige Tage nach dem Sturz des Regimes, dass er die Sicherheitskräfte des ehemaligen Regimes auflösen werde und Personen, die an der Folterung oder Tötung von Gefangenen beteiligt waren, zur Strecke gebracht würden und Begnadigungen nicht infrage kämen. Er kündigte an, andere Länder aufzufordern, die Geflohenen auszuliefern (REU 11.12.2024a). Die Verbrechen des Assad-Regimes will die Übergangsregierung aufarbeiten. Auf dem Messenger-Dienst Telegram auf Arabisch gaben sie bekannt, dass sie die Kriminellen, Mörder, Sicherheitsbeamten und Soldaten, die an der Folterung des syrischen Volkes beteiligt waren, zur Rechenschaft ziehen werden. Auch werde man Kriegsverbrecher verfolgen und ihre Auslieferung fordern, sollten sie in andere Staaten geflohen sein (DW 19.1.2025). Seit Ende Dezember 2024 führten die Sicherheitskräfte der neuen syrischen Regierung in verschiedenen Provinzen des Landes Durchkämmungsaktionen durch, bei denen es auch zu Zusammenstößen mit Überresten und Milizen des abgesetzten Regimes kam. Eine Quelle im syrischen Innenministerium erklärte gegenüber Al Jazeera, dass die Abteilung für öffentliche Sicherheit in Tartus, Latakia, Homs, Hama, Aleppo und Damaskus eine große Zahl ehemaliger Regimeangehöriger und Randalierer festgenommen habe (AJ 2.1.2025). [Details zu Sicherheitsoperationen, Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen finden sich in den Kapiteln Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) und Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad Regimes (seit 8.12.2024)]
Der Aufbau des neuen Syriens ist zwangsläufig mit einer Aufarbeitung der Vergangenheit verbunden, d. h. mit mehr als fünfzig Jahren eines von der al-Assad-Familie dominierten Regimes. Die Eröffnung von „Versöhnungszentren“ in den wichtigsten Städten in Gebieten, die unter der Kontrolle der syrischen Übergangsregierung stehen, ist eines der Instrumente zu diesem Zweck. Sie sind Teil eines umfassenderen Prozesses der Abrüstung und Versöhnung, um Syrer, die mit und für das Regime gearbeitet haben, hauptsächlich ehemalige Militäroffiziere, wieder in die syrische Gesellschaft zu integrieren. Die Versöhnungszentren laden ehemalige Soldaten, Offiziere und Mitglieder regimetreuer Milizen ein, ihre Waffen abzugeben und ihre persönlichen Daten zu registrieren. Im Gegenzug erhalten diese Personen befristete Ausweise, die oft drei Monate gültig sind und ihnen die sichere Durchreise und den Schutz vor sofortiger Strafverfolgung gewähren. Der Prozess zielt auch darauf ab, ehemalige Anhänger des Regimes zu ermutigen, sich von ihren früheren Loyalitäten zu distanzieren und sich in den neuen gesellschaftlichen Rahmen zu integrieren. Trotz ihres beabsichtigten Zwecks sind die Kriterien für die Zulassung in diesen Zentren weder öffentlich zugänglich noch werden sie systematisch angewendet, was zu Bedenken hinsichtlich einer willkürlichen Entscheidungsfindung führt. Quellen vor Ort in Syrien berichten, dass Personen, die eine Aussöhnung anstreben, oft mit komplexen bürokratischen Hürden konfrontiert sind, wobei die Entscheidungen eher von Sicherheitsbehörden als von einem unabhängigen und unparteiischen Gerichtsverfahren beeinflusst werden. Darüber hinaus betrifft der Prozess überproportional gefährdete Bevölkerungsgruppen, von denen viele trotz des Versprechens einer rechtlichen Absolution Vergeltungsmaßnahmen befürchten (ISPI 7.2.2025). [Weitere Informationen zu diesen "Versöhnungszentren" finden sich auch in den Kapiteln Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) und Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)].
Offizielle Listen von Kriegsverbrechern und Personen, die Verstöße gegen die Zivilbevölkerung vorgenommen haben, gibt es nicht. Die Untersuchungskommission der UN, die seit 2011 Kriegsverbrechen und andere Verstöße gegen die internationalen Menschenrechtsnormen untersucht, hat 4.000 Personen auf eine Liste gesetzt, die im Verdacht stehen schwere Verbrechen begangen zu haben. Die Organisation „For Justice“, die 2019 in Washington von syrischen Amerikanern gegründet wurde, hat bereits Jahre vor dem Sturz des Regimes eine schwarze Liste mit den Namen von 100 hochrangigen ehemaligen Regimevertretern veröffentlicht, die beschuldigt werden, seit 2011 Kriegsverbrechen in Syrien begangen zu haben. Daneben kursieren seit dem Sturz des Regimes Dutzende von inoffiziellen Listen mit den Namen und Fotos von Dutzenden gesuchter Personen, insbesondere eine Liste mit etwa 161 Namen von hochrangigen Offizieren und Kommandeuren des ehemaligen Regimes. Auch in sozialen Medien kursieren willkürliche Listen. Seit 8.12.2024 wurde eine Reihe von Personen verhaftet, denen Verbrechen vorgeworfen werden, die allerdings nicht auf den Listen stehen (AAA 12.1.2025c).
Der Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben, ist undurchsichtig und die HTS weigert sich, einem transparenten Rechtsverfahren zu folgen, das Opfer eindeutig identifiziert und Täter vor Gericht stellt (MEI 21.1.2025). Die Einsatzleitung und die Sicherheitskräfte des neuen Regimes verhafteten ehemalige Mitglieder des Assad-Regimes, darunter auch diejenigen, die ihren Status nicht legalisiert hatten, und diejenigen, die der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdächtigt wurden. Die Verhaftungen fanden in Homs, im Umland von Damaskus, in Tartus und Latakia statt, hauptsächlich in Stadtvierteln mit schiitischer und alawitischer Bevölkerung (MAITIC 9.1.2025). Die Zahl der Festgenommenen betrug mit 3.1.2025 110 Militärangehörige des ehemaligen Regimes, darunter auch Personen, die sich bei der Abteilung für militärische Operationen versöhnt hatten. Außerdem wurden 18 Zivilisten wegen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften verhaftet, wobei Letztere versprachen, sie in den kommenden Stunden freizulassen, nachdem sie der Justiz übergeben worden waren (SOHR 4.1.2025). Am 10.1.2025 soll es zu einer öffentlichen Hinrichtung gekommen sein, bei der die neuen Sicherheitskräfte einen Unterstützer al-Assads erschossen (Arabiya 10.1.2025; vgl. AlHurra 10.1.2025a). Nach der Verhaftungskampagne wurden einige Gefangene in Homs wieder freigelassen, nachdem sie ihre Waffen abgegeben hatten und zugesichert hatten, nichts gegen die neue syrische Regierung zu unternehmen (AAA 12.1.2025a). Es sei festgestellt worden, dass sie doch nicht an Verbrechen gegen Syrer beteiligt gewesen waren (Arabiya 12.1.2025a). Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht) (MEI 21.1.2025). Die Übergangsregierung von Syrien – angeführt von der islamistischen Gruppe Hayat Tahrir ash-Sham (HTS), die den Sturz von Assad herbeigeführt hat – hat sich neutral zu den Vorwürfen gegen verschiedene bewaffnete Gruppen im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Aktivisten geäußert. HTS hat sich auch mit Aktivisten zusammengetan, um Wahrheit und Gerechtigkeit zu suchen (VOA 2.1.2025). [Details zu den Verhaftungskampagnen finden sich in den Kapiteln Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024), Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad Regimes (seit 8.12.2024) und Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024). Informationen zu Haftbedingungen im Kapitel Folter und unmenschliche Behandlung, Haftbedingungen, willkürliche Verhaftungen, Verschwinden Lassen, etc. - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)].
Seit dem Sturz der Assad-Regierung im Dezember kam es im ganzen Land zu Protesten, bei denen die Herausgabe von Informationen über jene Tausenden gefordert wurden, die unter al-Assads Herrschaft gewaltsam verschwunden sind (VOA 2.1.2025).
Anfang Dezember flohen ca. 2.000 Soldaten der syrischen Armee in den Irak über den Grenzübergang al-Qa'im. Darunter waren Verwundete, die in irakische Krankenhäuser gebracht wurden (Arabiya 7.12.2024). Der irakische Regierungssprecher bestätigte, dass 2.000 Soldaten der syrischen Armee mit Genehmigung der Regierung irakisches Gebiet betreten hatten (Rudaw 15.12.2024). Libanesische Behörden haben syrische Offiziere und Soldaten, die in der Armee des gestürzten Regimes gedient hatten, in ihre Heimat zurückgeführt, nachdem diese illegal in den Libanon eingereist waren (NYT 28.12.2024). 70 Syrer, darunter ehemalige Armeeoffiziere wurden von einer libanesischen Sicherheitsdelegation an die Sicherheitskräfte der neuen syrischen Regierung übergeben, die von der ehemaligen Rebellengruppierung HTS angeführt wird. Drei libanesische Justizbeamte bestätigten den Bericht unter der Bedingung, anonym zu bleiben (AP 28.12.2024).
Das Justizministerium hat am 12.2.2025 die Entscheidung erlassen, 87 Richter, die laut SANA seit der Einrichtung der Terrorismusgerichte bis zum 12.2.2025 noch in verschiedenen Funktionen in diesem Gericht tätig waren, an die Justizinspektion zu überweisen, um ihr Verhalten während ihrer Tätigkeit in dem oben genannten Gericht zu untersuchen. Die Justizinspektion wird dem Hohen Justizrat einen Abschlussbericht über die nachgewiesenen disziplinarischen und rechtlichen Verstöße der oben genannten Richter vorlegen, wie aus der vom Ministerium auf seinem Telegram-Kanal veröffentlichten Entscheidung hervorgeht (SANA 13.2.2025). In der Entscheidung heißt es, dass alle Richter, die Positionen in der Staatsanwaltschaft, der Ermittlungsbehörde, dem Strafgericht oder dem Kassationsgericht innehatten, auf mögliche Verfehlungen oder Verstöße in ihren Urteilen überprüft werden. Unter den 87 Richtern sind laut North Press Agency sowohl pensionierte als auch amtierende Richter. Das 2012 eingerichtete syrische Terrorismusgericht wurde von Menschenrechtsorganisationen vielfach dafür kritisiert, unfaire Prozesse durchzuführen und harte Urteile gegen politische Dissidenten, Aktivisten und Oppositionelle zu verhängen. Im Laufe der Jahre dokumentierten Berichte von Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch Vorwürfe über erzwungene Geständnisse, fehlende ordnungsgemäße Verfahren und politisch motivierte Urteile (NPA 12.2.2025).
Besitz, Eigentum
Seit dem Aufstand von 2011 bis zum Sturz von Bashar al-Assad am 8.12.2024 hat das Assad-Regime die Eigentums- und Wohnrechte durch zahlreiche Gesetze, die auf die Beschlagnahme des Vermögens politischer Gegner abzielen, stark eingeschränkt. Zu den bemerkenswertesten Gesetzen gehörte das Anti-Terror-Gesetz Nr. 19 von 2012, das keine klare Definition oder Kriterien für Terrorismus enthielt. Dadurch konnten politische Gegner des Terrorismus beschuldigt, mit Höchststrafen belegt und ihr bewegliches und unbewegliches Vermögen beschlagnahmt werden. Der Weg zur Rückgabe beschlagnahmter Immobilien umfasst Gesetzesänderungen, Verfassungsklagen oder die Einrichtung eines Rückgabeprogramms. Jeder Ansatz hat seine Komplexitäten, doch alle zielen darauf ab, Gerechtigkeit wiederherzustellen, Eigentumsrechte zu wahren und die Betroffenen für die jahrelangen systematischen Beschlagnahmungen unter ungerechten Gesetzen zu entschädigen (HLP Syria 7.1.2025). Seit dem 8.12.2024 haben einige Eigentümer Immobilien zurückgefordert, die einer Zwangsverlängerung des Mietverhältnisses unterlagen. Dies verstößt gegen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen, die besagen, dass Gerichte keine Räumungsanordnung erlassen können, ohne dass der Vermieter die gesetzlich vorgeschriebene Entschädigung in Höhe von 40 % zahlt. Das Gesetz ist in dieser Angelegenheit eindeutig: Jede Räumungsanordnung, die diese Bedingung nicht erfüllt, verstößt gegen das Gesetz. Nach dem Rechtsgrundsatz „Eine Auslegung ist nicht zulässig, wenn der Text klar ist“ sind solche Räumungen rechtswidrig. Um das Problem der Zwangsverlängerung zu lösen, bedarf es einer neuen Gesetzgebung, die die entsprechenden Bestimmungen abschafft oder ändert und einen fairen Rahmen schafft, der die Rechte beider Parteien schützt. Wenn eine Räumung von nicht-gerichtlichen Stellen durchgeführt wird, ist sie illegal. Mieter, die auf diese Weise vertrieben werden, können auf der Grundlage ihrer Rechte auf Zwangsverlängerung Klage erheben, um den rechtmäßigen Besitz zurückzufordern, es sei denn, der Vermieter erklärt sich bereit, 40 % des Immobilienwerts zu zahlen. Solche Räumungen sind auch strafbar, da sie eine Selbstjustiz darstellen, die gegen das syrische Strafgesetzbuch verstößt (HLP Syria 14.1.2025b).
Die syrische Zentralbank hat beschlossen, alle Bankkonten von Unternehmen und Einzelpersonen einzufrieren, die dem früheren Regime angehörten oder mit ihm in Verbindung standen. Die Bankinstitute im Land wurden angewiesen, ihr innerhalb von drei Arbeitstagen eine Liste der eingefrorenen Konten und deren Einzelheiten zu übermitteln, wie aus einem Rundschreiben der Bank hervorgeht (Sharq Bu 23.1.2025). Zwei prominente Geschäftsleute und ein Regierungsbeamter sagten, dass viele wohlhabende Syrer aufgrund des schnellen Sturzes von al-Assad und seiner Flucht nach Russland am 8.12.2024 keine Zeit hatten, ihr lokales Vermögen zu veräußern oder zu verlagern, was der neuen syrischen Regierung die Möglichkeit gab, aggressiv mit ihnen umzugehen. Ihr Vermögen ist seitdem eingefroren. Aber die mangelnde Transparenz der HTS-Behörden gegenüber den Tycoons und ihren Unternehmen riskiert eine Gegenreaktion. Nach der Machtübernahme im Dezember verpflichtete sich die HTS, das Land nach 13 Jahren brutalen Bürgerkriegs wiederaufzubauen und ein stark zentralisiertes und korruptes Wirtschaftssystem aufzugeben, in dem al-Assads Kumpane das Sagen hatten. Zu diesem Zweck hat die Exekutive unter der Leitung des neuen Präsidenten ash-Shara' ein Komitee eingerichtet, das die weitreichenden Unternehmensinteressen hochrangiger mit al-Assad verbundener Tycoons wie Samer Foz und Mohammad Hamsho aufschlüsseln soll, wie drei Quellen gegenüber Reuters mitteilten. Über die Einrichtung des Ausschusses, dessen Mitglieder nicht öffentlich sind, und die Gespräche zwischen der neuen syrischen Regierung und zwei der engsten Geschäftsmagnaten der Assad-Regierung, die große Teile der syrischen Wirtschaft kontrollieren, wurde bisher nicht berichtet. Gewöhnliche Geschäftsleute, die gezwungen waren, Bestechungsgelder zu zahlen oder mit dem Regime zusammenzuarbeiten, stehen nicht im Visier der neuen Regierung, anders sieht es bei einigen wenigen aus, die mit al-Assad zusammenarbeiten und auf Kosten des Staates ein Vermögen gemacht haben und in illegale Aktivitäten verwickelt sind, sagte der Leiter der syrischen Investitionskommission (REU 13.2.2025).
Die Generaldirektion für Katasterangelegenheiten in Syrien hat eine Richtlinie erlassen, die die Dokumentation aller Transaktionen, die zur Übertragung oder Änderung von Eigentumsrechten an Immobilien führen, aussetzt. Diese Aussetzung wurde ohne einen festgelegten Zeitrahmen für die Wiederaufnahme dieser Verfahren verhängt. In dieser heiklen Übergangsphase wirft die Entscheidung Fragen nach den Motiven und rechtlichen Auswirkungen der Maßnahme auf, insbesondere angesichts der auch den Gerichten auferlegten Beschränkungen. Am 21.1.2025 erließ die Generaldirektion für Katasterangelegenheiten das Rundschreiben Nr. 1, in dem sie ihre Direktionen auf Gouverneursebene anwies, keine Verträge zu dokumentieren, die zur Schaffung, Übertragung oder Änderung von Immobilienrechten im Grundbuch führen. In der Praxis hat diese Richtlinie bis auf Weiteres alle Transaktionen im Zusammenhang mit Immobilienbesitz effektiv gestoppt. Das Rundschreiben Nr. 1 des Justizministeriums, das am 9.1.2025 von der Übergangsregierung herausgegeben wurde, beschränkte die Aufgaben der Gerichte auf die Bearbeitung laufender Fälle und dringender Angelegenheiten. Im Rundschreiben des Katasteramtes heißt es, dass die Aussetzung so lange in Kraft bleibt, bis die Abstimmung mit den „zuständigen Behörden“ über neue Verfahren abgeschlossen ist. Ein mögliches Ziel besteht darin, Personen, die unter dem vorherigen Regime betrügerisch Eigentum erworben haben, daran zu hindern, das Eigentum zu verkaufen oder zu übertragen, was den Prozess der Rückgabe dieser Immobilien an ihre rechtmäßigen Eigentümer, von denen viele außerhalb Syriens vertrieben wurden, weiter erschweren würde. Die Maßnahme könnte auch dazu dienen, diejenigen, die unter dem vorherigen Regime an Verbrechen beteiligt waren, daran zu hindern, ihr Vermögen zu veräußern, um einer möglichen Beschlagnahme zu entgehen (HLP Syria 3.2.2025b). [Weiterführende Informationen zu Wohnungseigentum etc. finden sich auch im Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft / Wohnsituation und Infrastruktur].
Quellen: […]
5.1 Rechtsschutz und Justizwesen in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 13:20
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage im von den Kurden dominierten Gebieten und der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Obwohl die syrische Regierung die Kontrolle über die Mehrheit der Gebiete in Nord-Ost-Syrien verloren hat, behielt Damaskus während des gesamten Konfliktes eine administrative Präsenz dort und führte weiterhin Schulen, Gerichte und Standesämter. Parallel dazu etablierte aber auch die Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) ab 2013 ihr eigenes Netzwerk öffentlicher Verwaltung, erließ Gesetze und Erlässe und öffnete eigene Gerichte. Diese Überschneidungen in der Rechtsordnung gerieten schnell außer Kontrolle, weil die Bevölkerung entweder bei dem einen oder dem anderen Gericht ihre Fälle einreichten oder bei beiden gleichzeitig, um sich für das bessere Urteil zu entscheiden. Das führte teilweise zu sich widersprechenden Gerichtsurteilen (SYD 30.1.2023).
Das Justizwesen der DAANES ist im Abschnitt 8 (Artikel 114-117) des Gesellschaftsvertrags von 2023 geregelt. Darin ist das Recht auf Anhörung vor Gericht (Artikel 115/2) festgehalten, sowie, dass für Frauen ein eigener Justizrat eingerichtet wird (Artikel 115/7). Das Justizsystem besteht aus einem Schlichtungsausschuss, einem Frauenhaus, den Justizbüros und dem Justizrat (Artikel 116). Artikel 56 legt fest, dass jede und jeder das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren hat (RIC 14.12.2023). Basierend auf diesem Gesellschaftsvertrag erlässt die DAANES ihre rechtlichen Vorschriften. In Berichten wurde der Gesellschaftsvertrag als eine Mischung aus syrischem Straf- und Zivilrecht beschrieben, wobei die Gesetze zu Scheidung, Ehe, Waffenbesitz und Steuerhinterziehung dem EU-Recht entsprechen, jedoch ohne bestimmte Standards für faire Gerichtsverfahren wie das Verbot willkürlicher Inhaftierung, das Recht auf gerichtliche Überprüfung und das Recht auf Bestellung eines Anwalts zu beinhalten (USDOS 22.4.2024).
Die oberste Justizbehörde stellt der Soziale Justizrat von Nord- und Ost-Syrien dar (OSS 4.3.2022). Er ist verantwortlich für die Kontrolle und Überwachung der Einhaltung des Rechtssystems, die Bereitstellung von Berichten und Gesetzesentwürfen an den Demokratischen Volksrat und die Koordinierung zwischen den regionalen Justizräten (RIC 14.12.2023). Er wird von den Sozialrechtsinstitutionen in den autonomen und zivilen Verwaltungen der Regionen gewählt und besteht aus 13 Mitgliedern sowie einem CO-Vorsitzenden, der ihn leitet. Die Amtszeit der Mitglieder beträgt zwei Jahre. Etwa die Hälfte der Ratsmitglieder sind kurdisch. Allerdings greifen einer Studie des Omran Center for Strategic Studies zufolge PKK-Kader auf der Grundlage von Vetternwirtschaft und Parteiloyalität direkt in den Ernennungsprozess ein und überwachen die Arbeit, die Ausschüsse und die Richtlinien des Sozialen Justizrates, darunter auch dessen Befugnis Richter in den regionalen Justizräten zu ernennen, zu versetzen oder zu entlassen (OSS 4.3.2022).
In Artikel 117 des Gesellschaftsvertrags von 2023 wird der Soziale Frauenjustizrat geregelt (RIC 14.12.2023). Er existiert parallel zum Sozialen Justizrat. Dieses Gremium beaufsichtigt alle Frauen, die in Justizeinrichtungen in den autonomen und zivilen Verwaltungseinrichtungen arbeiten, ist mit der Koordination zwischen den Unterräten für soziale Gerechtigkeit für Frauen betraut und kann sich zu Gesetzen, die Frauen betreffen äußern. Der Soziale Frauenjustizrat besteht aus 21 Mitgliedern. Die Studie des Omran Centers for Strategic Studies zeigt auf, dass Frauen aus den Kadern der PKK direkt die Arbeit dieses Gremiums überwachen und in die Richtlinien und Ernennungen basierend auf parteipolitischen Erwägungen eingreifen (OSS 4.3.2022).
Frauenhäuser (Mala Jin) sind soziale Einrichtungen, die Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit schaffen und Probleme in Bezug auf Frauen und Familien lösen sollen, in Zusammenarbeit mit den relevanten Fraueneinrichtungen (RIC 14.12.2023). Frauenhäuser befinden sich in jeder Ortschaft, Stadt und jedem Dorf in allen Regionen. Auch die Frauenhäuser werden gemäß einer Studie des Omran Center for Strategic Studies von weiblichen PKK-Kadern kontrolliert (OSS 4.3.2022).
Die Aufgaben der Schlichtungsausschüsse sind das Lösen von Streit und Konflikten mit dem Ziel Frieden und Harmonie zu schaffen (RIC 14.12.2023). Zu ihren Zuständigkeiten gehören zivil- und strafrechtliche Streitereien. Bevor Zivilklagen in den Justizbüros verhandelt werden, werden sie von den Schlichtungsausschüssen geprüft (OSS 4.3.2022). Schlichtungsausschüsse werden überall in den Gemeinden und Regionen eingerichtet, wo dies erforderlich ist und durch direkte Wahlen oder Konsens bestimmt. Die Mitglieder sind Freiwillige (RIC 14.12.2023). Gemäß der vom Omran Center for Strategic Studies durchgeführten Studie mischen aber auch bei der Wahl der Mitglieder in den Schlichtungssausschüssen PKK-Kader mit (OSS 4.3.2022).
Justizbüros sind gemäß Artikel 116/2 des Gesellschaftsvertrags von 2023 Justizorgane, bestehend aus Staatsanwaltschaft, Justizbehörde, Berufungsbehörde und Exekutivbehörde, die sich in den Regionen selbst organisieren. Ihre Mitglieder werden vom Justizrat vorgeschlagen und nach Zustimmung der Volksräte in den Regionen gewählt. In den Städten werden diese Justizbüros je nach Bedarf eingerichtet (RIC 14.12.2023). Unter ihre Zuständigkeit fallen alle zivil-, handelsrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Streitigkeiten, unabhängig von den Streitparteien. Die Zuständigkeiten sind unter den vier Ausschüssen aufgeteilt. Auch die Justizbüros werden laut Omran Center for Strategic Studies von einem PKK-Kader kontrolliert, der ebenfalls in die Ernennungsprozesse eingreift (OSS 4.3.2022).
Aus den genannten Haupträten gingen mehrere Soziale Justizräte und Soziale Frauenjustizräte (Unterräte) hervor. Sie repräsentieren die oberste Justizbehörde in der jeweiligen Region. Jeder Unterrat besteht aus einem Justizinspektionsausschuss, Anklageausschuss, Umsetzungsausschuss, Administrations- und Finanzausschuss und Schlichtungsausschuss (OSS 4.3.2022). Die regionalen Justizräte organisieren und kontrollieren die Justizeinrichtungen in den Regionen. Ihre Mitglieder und Co-Vorsitzenden werden durch die Justizeinrichtungen in den Regionen gewählt. Der Ernennung der CO-Vorsitzenden muss durch den Volksrat zugestimmt werden. Eine faire und demokratische Repräsentation der Bevölkerung, Gruppierungen und sozialen Bereiche ist gesetzlich festgeschrieben (RIC 14.12.2023). Die Dauer der Mitgliedschaft beträgt zwei Jahre. Für eine Nominierung müssen die Mitglieder mindestens drei Jahre in einer Justizeinrichtung tätig gewesen sein, mit Ausnahme der Mitglieder des Schlichtungsausschusses (OSS 4.3.2022). Der Studie des Omran Centers for Strategic Studies zufolge unterliegen auch die regionalen Justizräte der Autorität von PKK-Kadern, die als "Justizkader" bezeichnet werden. Zumeist handelt es sich dabei um nicht-syrische Kurden (aus der Türkei oder Iran) und lokalen Kadern. Sie sind Richtern, Anwälten und sogar den Klägern unter Pseudonymen bekannt und überwachen die Richtlinien und Ausschüsse und greifen in den Prozess der Ernennung ein (OSS 4.3.2022).
Der Soziale Justizrat etablierte zwei Anti-Terror-Gerichte unter dem Namen "People's Defense Courts" (Volksverteidigungsgerichte). Das eine befindet sich in Qamishli, das andere in Kobane (NPA 13.6.2023). Amnesty International zufolge wurde auch ein solches Gericht in Afrin etabliert, welches aber nach der Besetzung durch die Türkei und die mit ihr affiliierten Gruppierungen im Jahr 2018 nicht mehr im Einsatz ist (AI 2024). Als Basis für die Errichtung dieser People's Defense Courts dient das Anti-Terror-Gesetz von 2014 (OSS 4.3.2022). Diese Gerichte verfolgen vorwiegend Mitglieder des Islamischen Staates (IS), aber auch Angehörige der pro-türkischen Milizen, der Hay'at Tahrir ash-Sham [ehem. An-Nusra Front Anm.] und Spione für die Türkei, die Kurdische Regionalregierung im Irak oder die syrische Regierung (NPA 13.6.2023). Die Gerichte stehen unter Kritik, den Angeklagten das Recht auf Verteidigung zu verweigern (OSS 4.3.2022). Auch die kurdische Nachrichtenseite North Press Agency schreibt, dass IS-Mitglieder zwar das Recht auf einen Anwalt, in der Praxis aber selten Zugang dazu hätten (NPA 13.6.2023). Amnesty International wirft der DAANES im Zusammenhang mit der Anti-Terror-Gesetzgebung zudem vor, dass sie sich auf Beweise, die durch Folter oder unmenschliche Behandlung erhalten wurden, verlassen würden, keinen Rechtsbeistand zur Verfügung stellen würden und dass das Recht auf Berufung wirkungslos wäre (AI 2024).
Unzufriedenheit mit den Gerichten, Korruption und Beeinflussung führte dazu, dass 2021 kurdische, jesidische, arabische und assyrische Stämme eigene Gerichte in der Provinz al-Hasakah wieder einführten. Dort kann bei Streitereien zwischen Clans und in Fällen von Raub, Rache und Plünderung vorgesprochen werden (BS 19.3.2024).
Als der Bürgerkrieg in Syrien zur geografischen und politischen Zersplitterung des Landes führte, kam es zu einer weiteren Fragmentierung des Familienrechts, insbesondere in den kurdischen Provinzen im Norden. Da diese kurdischen Regionen de facto autonom sind, hat ihre Zivilverwaltung schnell umfassende Reformen des Familienrechtssystems in Kraft gesetzt, das zuvor unter der Zentralregierung vorherrschte. In dem Bestreben, den Einfluss der Religion auf Familienangelegenheiten zu verringern, begannen die kurdischen Behörden bereits 2013, standesamtliche Ehen anzuerkennen. Was als lokale Praxis in der nordöstlichen Stadt Qamishli begann, hat sich inzwischen in den mehrheitlich kurdischen Provinzen Syriens verbreitet. Diese Entwicklung stellt eine bedeutende Veränderung dar, da sie die traditionellen religiösen Familienrechtssysteme umgeht und eine säkulare Alternative bietet, die dem Wunsch der Kurden nach größerer Autonomie entspricht (LSE 15.1.2025).
Am 17.7.2024 erließ die DAANES eine Amnestie für Straftaten im Zusammenhang mit Terrorismus. Das Amnestiegesetz gilt speziell für Syrer, die „terroristische“ Verbrechen gegen die Sicherheit der DAANES und der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) begangen haben, wie das Strafrecht und das Anti-Terrorgesetz vorsehen, gab ein Beamter der DAANES an. Von der Amnestie ausgeschlossen sind Emire, Anführer terroristischer Gruppen und Beteiligte an Bombenanschlägen und Feindseligkeiten gegen die SDF sowie Verbrechen, die zum Tod eines Menschen führen (NPA 17.7.2024).
Quellen: […]
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6 Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Die Lage bezüglich Sicherheitsbehörden befindet sich derzeit im Umbruch. Teilweise liegen nicht ausreichend Informationen zu bestimmten Aspekten vor (wie z. B. Struktur, Aufbau, Ausrüstung etc.). Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformationen entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Seitdem der friedliche Aufstand gegen das Assad-Regime Ende 2011 in den bewaffneten Konflikt überging, bildeten sich bewaffnete Gruppierungen auf fast der gesamten syrischen Landkarte, angefangen bei Offizieren und Soldaten, die vom Regime übergelaufen waren, bis hin zu Gruppierungen, die sich aus lokalen und religiösen Gruppierungen zusammensetzten. Sie standen im Konkurrenzkampf einerseits untereinander und andererseits kämpften sie gegen die Regimekräfte, die ihnen bis 2018 schwere Verluste zufügten. Danach wurden viele Gruppierungen aufgelöst. Andere übersiedelten unter russischer Schirmherrschaft im Rahmen von Abkommen nach Nordsyrien oder blieben auf der Basis von "Versöhnungsabkommen" unter russischer Schirmherrschaft und Garantien bzw. direkten Abmachungen mit dem Assad-Regime weiter bestehen. Im Zuge der Kampfhandlungen im Spätherbst 2024 schienen die Oppositionskämpfer gut organisiert zu sein und arbeiteten in einem Bündnis unter dem Namen Abteilung für militärische Operationen (Department of Military Operations - DMO) zusammen (Asharq 9.12.2024). Für die Großoffensive "Abschreckung der Aggression", die am 17.11.2024 startete und zum Sturz des Präsidenten al-Assad führte, hatten sich die Rebellen monatelang vorbereitet (NYT 1.12.2024). Im Laufe des vergangenen Jahres entwickelten die Kämpfer eine neue Methode, die sich auf die Verwendung von Drohnen stützte (Guardian 8.12.2024). Von den ersten Tagen der Offensive an veröffentlichte die von den Rebellen geführte DMO mehrere Videos von Angriffen auf Militärfahrzeuge und Versammlungen von Soldaten des syrischen Regimes mit sogenannten Shaheen-Drohnen, die eine große Effektivität und Genauigkeit beim Treffen der Ziele zeigten. Für diese Drohnen wurden eigens die Shaheen-Bataillone geschaffen (AJ 10.12.2024). Diese Bataillone sind für ihr hohes Maß an Fachwissen und ihre Präzision bekannt. Sie sollen von Offizieren aus Osteuropa ausgebildet worden sein (IndepAr 5.12.2024). Für die Ausbildung soll die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sogar eine eigene Drohnenakademie betrieben haben (LF 13.12.2024). Zum ersten Mal in der Geschichte des Syrienkonflikts war die bewaffnete Opposition nun in der Lage, den Luftraum zu kontrollieren (IndepAr 5.12.2024). Die verschiedenen Drohnentypen trugen dazu bei, eine Art Gleichgewicht im Luftraum zu erreichen, gemeinsam mit der Tatsache, dass die Russen den Großteil ihres Luftarsenals aus Syrien abgezogen hatten, weil sie mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt waren (AJ 10.12.2024). Die Drohnen, die in niedriger Höhe fliegen, greifen Fahrzeuge und gepanzerte Fahrzeuge an, feuern Raketen auf Soldaten ab, oder es sind Selbstmorddrohnen, die sich schnell auf Fahrzeuge und Panzer stürzen und sich sofort mit jedem Objekt, das mit ihnen kollidiert, in die Luft sprengen. Einer Warnung Russlands zufolge soll die HTS über mehr als 250 fortschrittlicher Drohnen verfügt haben. Gerüchten zufolge unterhielt die HTS im Nordwesten Syriens eine Fabrik zur Herstellung von Drohnen mit Düsentriebwerken und Sprengbomben gemeinsam mit ausländischer Unterstützung (IndepAr 5.12.2024), wie beispielsweise durch uigurische Ingenieure der Turkistan Islamic Party (TIP, die aus Dschihadisten besteht, die aus China stammen und sich im ländlichen Latakia und Idlib niedergelassen haben). Sie beaufsichtigen die Herstellung der Drohnen für ein monatliches Gehalt von bis zu 4.000 Dollar (Nahar 29.11.2024). Die Entwicklung dieser Waffen soll in kleinen Werkstätten, untergebracht in Garagen, Häusern, ehemaligen Schulgebäuden, Lagerhäusern und anderen Orten, die schwer zu entdecken sind, passiert sein (LF 13.12.2024). HTS hat eine komplexe Infrastruktur aufgebaut, um den Einsatz von Drohnen zu ermöglichen. Dazu gehört auch der Einsatz von 3-D-Drucktechnologie zur Herstellung von Teilen, die nicht ohne Weiteres aus kommerziellen Quellen bezogen werden können (LF 13.12.2024).
Der Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) fehlt es an ausreichendem Personal, um das ganze Land zu verwalten und die Posten zu bemannen. Es werden entweder andere Gruppierungen mit an Bord geholt werden müssen, oder möglicherweise auch ehemalige Soldaten (PBS 16.12.2024). Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppierungen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen (SYRDiplQ1 5.2.2025). Associated Press berichtete am 16.12.2024, dass Polizeikräfte des Assad-Regimes verschwunden sind und an ihre Stelle Polizeikräfte der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Gouvernements - SSG) - der von der HTS geführten Regierung, die bis zum Sturz al-Assads in Idlib regierte - getreten waren. Sie bearbeiten Fälle von kleineren Diebstählen und Straßenkrawalle (AP 15.12.2024b). Die Polizisten der SSG sollen 4.000 Mann stark sein, wobei die Hälfte davon weiterhin in Idlib operiere, während die andere Hälfte in Damaskus und anderen Teilen Syriens für Ordnung sorgen. Obwohl manche von ihnen religiöse Symbole tragen, ließen sie andersgläubige Minderheiten weitgehend in Ruhe (AP 15.12.2024b). [Weiterführende Informationen zur Behandlung von Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024) sowie Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad Regimes (seit 8.12.2024).] Die Kräfte, die Syriens neuem Machthaber zur Verfügung stehen, sind unzureichend. Die 30.000 Mann starke HTS ist nun über das ganze Land verteilt (Economist 5.3.2025). In Damaskus ist in den wichtigsten Bereichen nur Militärpersonal der HTS zu sehen, das ein Gefühl der Sicherheit vermittelt und versucht, den Verkehr zu regeln – allerdings mit begrenztem Erfolg. Dies ist nicht nur eine Folge der begrenzten Kapazitäten der HTS, die nun an ihre Grenzen stoßen, da sie ein ganzes Land und nicht nur einen Teil einer Provinz verwalten müssen. Es ist auch ein Symptom für den abrupten Zusammenbruch der traditionellen Sicherheitsstrukturen. In den meisten Städten wurden in den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes Polizeistationen und Gerichte geschlossen, und Diebstähle – sowohl von Autos als auch von Häusern – nahmen aufgrund des Mangels an neu ausgebildeten Polizisten zu (AGSIW 4.3.2025). Während des Umsturzes am 8.12.2024 wurden die meisten Polizeistationen in Damaskus von Plünderern verwüstet, wobei Ausrüstung und Unterlagen geplündert oder zerstört wurden. Die Polizei gab an, dass die Hälfte der etwa 20 Polizeistationen inzwischen wiedereröffnet wurde, aber sie jeweils nur mit zehn Beamten besetzt sind, die größtenteils aus Idlib kommen. Zuvor waren es 100 bis 150 Mann (REU 23.1.2025). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei regeln Teenager den Verkehr (FT 25.3.2025). HTS hat sich auf ihre eigenen Einheiten und die ihrer engen Verbündeten verlassen, um die vier von Minderheiten dominierten Gouvernements zu sichern. Zu diesen gehören vor allem die Einheiten der Allgemeinen Sicherheit (auch: General Security) des Innenministeriums der ehemaligen syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG). Diese Kräfte sind im Wesentlichen schwer bewaffnete Polizisten, die eingesprungen sind, um Unterstützung zu leisten, während neue lokale Polizeikräfte noch aufgebaut werden. Die Abteilung für militärische Operationen hat auch Einheiten im ganzen Land eingesetzt, um die überlastete Allgemeine Sicherheit zu unterstützen und weitere Sicherheitslücken zu schließen. DMO-Einheiten führen gezielte Razzien gegen bewaffnete Zellen durch, halfen anfangs bei der Überwachung von Städten und besetzten zeitweise Kontrollpunkte. Ende Dezember 2024 wurden viele Einheiten aus den Küstenstädten abgezogen und auf Kontrollpunkte und Stützpunkte beschränkt, wo sie durch wachsende, lokale Polizeikräfte ersetzt wurden. Am problematischsten waren die ausländischen Kämpfergruppen innerhalb der Eliteeinheit Rote Brigaden [mehr dazu s. unten Anm.] von DMO und HTS, die viele der Razzien der neuen Regierung anführt (MEI 21.1.2025). Die Sicherheitskräfte des alten Regimes wurden aufgelöst. Frühere Versprechen, die Polizei auf ihre Posten zurückzurufen, wurden nicht eingehalten. Die Menschen wurden aufgefordert, sich erneut auf ihre Stellen zu bewerben, aber das Verfahren ist undurchsichtig und soll Alawiten abschrecken. Ash-Shara' hat sich größtenteils an die Sicherheitskräfte seiner Verwaltung in Idlib gewandt, um den Personalmangel auszugleichen. Erfahrene Offiziere des alten Regimes sind jetzt Taxifahrer. In diesem Vakuum stellen die örtlichen Gemeinden ihre eigenen Bürgerwehren zusammen (Economist 5.3.2025).
Ash-Shara' versprach, dass die bewaffneten Gruppierungen und Milizen entwaffnet würden (HB 16.12.2024), und kündigte an, dass die bewaffneten Gruppierungen aufgelöst und die Kämpfer ausgebildet werden, um in die Reihen des Verteidigungsministeriums einzutreten. Sie werden dem Gesetz unterworfen sein (DW 17.12.2024). Seit Jänner 2025 haben die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres zügig daran gearbeitet, alle bewaffneten Gruppen unter einer einzigen, mit dem Staat verbundenen Armee und Polizei zu vereinen. Für diesen Prozess wurde der Oberste Ausschuss für die Regulierung der Streitkräfte eingerichtet, der Waffen, Technologie, Militärstützpunkte und Personal überwachen soll. Ein Ausschuss von Offizieren entwirft derzeit die Struktur der neuen syrischen Armee. Die Regierung hat klargestellt, dass alle militärischen Fraktionen aufgelöst und in staatliche Institutionen integriert werden (TNA 3.2.2025). Der Prozess der Bildung einer neuen Armee für Syrien wird auf der Vereinigung mehrerer bewaffneter Gruppierungen beruhen, die über das ganze Land verteilt sind. Einige dieser Gruppierungen waren in Nord- und Westsyrien aktiv, während andere ihren Einfluss auf Südsyrien konzentriert haben, wie die Achte Brigade unter der Führung des ehemaligen Oppositionskommandeurs Ahmad al-'Awda oder andere Formationen, die in der drusischen Mehrheitsprovinz Suweida eingesetzt werden. Diese Formationen, die sich in der nächsten Phase zu einer einzigen Armee vereinigen sollen, sind jedoch über ihre Visionen und Ziele sowie darüber, woher sie Unterstützung erhalten, zerstritten (AlHurra 12.2.2025). Die HTS verhandelte mit Einheiten der aufgelösten Syrischen Arabischen Armee (SAA) über die Zusammenlegung und Integration in eine neue syrische Armee (ISW 16.12.2024). Der neue syrische Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte für deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln. Die zwei größten drusischen Fraktionen aus der südlichen syrischen Provinz Suweida haben daraufhin ihre Bereitschaft erklärt, sich der neuen syrischen Armee anzuschließen (AlHadath 7.1.2025). Die richtungsweisende Entscheidung, die bewaffneten Gruppierungen unter einer einzigen nationalen Armee zusammenzufassen, wurde während eines hochrangigen Treffens in Damaskus formalisiert. Die neu vereinte Truppe wird dem Verteidigungsministerium unterstellt sein und darauf abzielen, die militärische Führung zu zentralisieren und die Ordnung wiederherzustellen. Das Abkommen umfasst nicht alle Fraktionen. Gruppierungen, die in südlichen Regionen wie Dar'aa, Quneitra und Suweida operieren, sowie in at-Tanf stationierte, von den USA ausgebildete Truppen bleiben außerhalb des Geltungsbereichs. Auch die kurdisch dominierten SDF fallen nicht unter das Abkommen. Pläne für eine umfassendere Integration sollen nach dem Ende der Amtszeit der Übergangsregierung im März umgesetzt werden (TR-Today 8.1.2025). Dem syrischen Verteidigungsminister zufolge waren die bewaffneten Gruppen bereit, sich der neuen Militärstruktur anzuschließen. Das syrische Verteidigungsministerium berichtete, dass die neue syrische Regierung mit Vertretern von mehr als 60 bewaffneten Gruppierungen zusammengetroffen sei, die sich bereit erklärt hätten, sich in das neue Verteidigungsministerium zu integrieren. Es wurde ein Ausschuss eingerichtet, um eine einheitliche Datenbank der Streitkräfte zu erstellen, die Informationen über die Humanressourcen (Offiziere, Unteroffiziere, Soldaten und akademisches Personal) und über militärische Vermögenswerte (Hauptquartiere, Technologie und Waffen) enthalten soll. Die Informationen würden der Führung des Verteidigungsministeriums vorgelegt, gefolgt von Treffen mit den bewaffneten Organisationen, um die Struktur der Sicherheitskräfte festzulegen und Kommandeure zu ernennen (MAITIC 23.1.2025). Die Bewegung der syrischen Oppositionsfraktionen gegen Assad war schon immer zersplittert, und es gibt eine lange Geschichte von gescheiterten Vereinigungsprojekten, sowohl im Norden als auch im Süden des Landes. Nach dem Sturz von al-Assad hat sich die Lage geändert, aber die Probleme sind nicht völlig verschwunden (AlHurra 12.2.2025). Der Übergangsregierung ist es gelungen, von bewaffneten Gruppen im ganzen Land (mit Ausnahme von Suweida) vorsichtige Zugeständnisse zu erwirken. Die Bildung einer Süddivision deutet darauf hin, dass sie an einer vorübergehenden Lösung gegenüber dem geschäftsführenden Verteidigungsministerium interessiert ist: Bisher scheinen nicht zu HTS gehörende bewaffnete Gruppen bereit zu sein, mit dem Ministerium zusammenzuarbeiten, ohne jedoch ihre Organisationsstrukturen und geografischen Einflusszonen aufzugeben oder sich entwaffnen zu lassen. Tatsächlich werden die Brigaden der Süddivision die Spaltungen, die den Süden seit Jahren prägen – zwischen dem östlichen und westlichen Dara'a, zwischen Dara'a und Suweida und zwischen konkurrierenden Gruppierungen untereinander – aufrechterhalten (Etana 22.2.2025). Obwohl ash-Shara' Fortschritte bei der Bildung eines Verteidigungsministeriums nach al-Assad unter der Kontrolle der von HTS geführten Behörden in Damaskus signalisiert hat, gibt es über Erklärungen gegenüber den Medien und Diplomatenbesuchen hinaus kaum Anzeichen für praktische Fortschritte. Da es keinen transparenten Plan für die Bildung eines neuen Verteidigungsministeriums gibt, haben ehemalige Oppositionsfraktionen ihre Waffen nicht abgegeben (Etana 10.1.2025). Übergangspräsident ash-Shara' und Verteidigungsminister Abu Qasra haben sich noch nicht mit den Einzelheiten befasst, wie diese Armee von innen aussehen wird und ob das neue syrische Verteidigungsministerium in der Lage ist, eine vollständige Harmonie zwischen den Fraktionen und Kämpfern zu erreichen (AlHurra 12.2.2025). [Informationen zur neuen syrischen Armee finden sich auch im Kapitel Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024). Informationen zur Eingliederung der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) finden sich im Unterkapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Sicherheitsbehörden in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) Anm.]
Am 29.1.2025 wurde die Auflösung bewaffneter Gruppierungen in Syrien bekannt gegeben, darunter auch die HTS (Sky News 31.1.2025). Einem Journalisten von Sky News zufolge sind viele Gruppierungen, die HTS unterstützten, bereits Teil der Allgemeinen Sicherheit (General Security Force) geworden und tragen alle einheitliche schwarze Uniformen und Kampfanzüge (Sky News 13.2.2025). Die General Security war die wichtigste Polizeitruppe der HTS im Nordwesten Syriens und ist nun zur Gendarmerie der Übergangsregierung in ganz Syrien geworden, um das Sicherheitsvakuum nach dem Sturz des Regimes zu füllen (ISW 16.4.2025). Bereits am 28.1.2025 wurde berichtet, dass sich die der al-Qaida nahestehende Gruppierung Hurras ad-Din aufgelöst hatte. 2018 geriet die Gruppierung mit der HTS in Konflikt, nachdem sich Letztere von der al-Qaida losgesagt und ihren Namen geändert hatte (Araby 28.1.2025). Die verschiedenen Gruppierungen in Südsyrien, darunter die von Russland unterstützte 8. Brigade in Dara'a und drusische Milizen in Suweida, haben bestimmte Bedingungen für den Beitritt zu einer nationalen Armee festgelegt. Dazu gehören die Einrichtung einer wirklich repräsentativen Regierung, eine neue Verfassung und ein nicht konfessionsgebundenes Militär. Diese Forderungen unterstreichen das tief sitzende Misstrauen gegenüber einer zentralisierten Autorität und den Wunsch nach lokaler Autonomie, was die Aufgabe der Armeevereinigung weiter erschwert (DNewsEgy 3.2.2025). Bisher ist es gelungen, die von der Türkei unterstützten Gruppierungen in den nördlichen Teilen Syriens aufzulösen (NLM 25.2.2025). Militärangehörige, darunter hochrangige Offiziere, sagten, dass einige Oppositionsfraktionen weiterhin in den Formationen operieren, die sie vor dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Bashar al-Assad im Dezember genutzt haben, während gleichzeitig eine schrittweise Übergabe an Brigaden unter der Führung von Damaskus stattfindet, um eine neue Armee aufzubauen (National 21.2.2025).
Für das Innenministerium wird ein Kader vorbereitet, der eine spezielle Ausbildung erhalten soll, um seine Aufgaben im Rahmen eines Plans zur Gewährleistung einer sicheren Gesellschaft zu übernehmen (Araby 16.12.2024). Am 10.1.2025 gab das Innenministerium bekannt, dass der Eintritt in die Polizei und die Allgemeine Sicherheit durch die Einschreibung in die Polizeihochschule möglich sei. Die Kurse erstreckten sich auf fast alle syrischen Gouvernements, angeführt von Damaskus und seinem Umland, Homs, Tartus, Idlib, Suweida und Deir ez-Zour. In der Meldung hieß es, dass die Bewerber mindestens 20 sein müssen und höchstens 30 Jahre alt sein dürfen, mindestens einen Highschool-Abschluss oder einen gleichwertigen Abschluss haben müssen. Sie müssen die vorgeschriebenen Kurse bestehen, nicht wegen eines Verbrechens oder einer Straftat verurteilt worden sein, bei guter Gesundheit und körperlicher Fitness und mindestens 168 cm groß sein (Syria TV 21.2.2025). Mehr als 200.000 Menschen haben sich für einen neuen Polizeidienst angemeldet, der derzeit aufgebaut wird, sagte der Kursleiter an der Polizeiakademie in Damaskus. Polizisten, die vor Assads Sturz zu den Rebellen übergelaufen sind, können sich für die neue Truppe bewerben. Diejenigen, die dies nicht getan haben, wurden aufgefordert, einen "Versöhnungsprozess" zu durchlaufen, einschließlich der Unterzeichnung eines Dokuments, in dem sie den Regimewechsel akzeptieren, und der Abgabe ihrer Waffe. Es ist noch nicht klar, ob sie sich der neuen Truppe anschließen dürfen (REU 23.1.2025). [Weitere Informationen zum Versöhnungsprozess finden sich in den Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Das Innenministerium änderte die Bedingungen für die Aufnahme von Mitgliedern des Sicherheits- und Polizeidienstes. Darunter sind eine Altersgrenze von 30 Jahren anstelle von zuvor 26 Jahren und Lockerungen bei den Anforderungen an die körperliche Gesundheit und Fitness. Die Ausbildung dauert 21 Tage. Unter dem Assad-Regime betrug die Ausbildungszeit neun Monate (Tayyar 31.1.2025). Reuters hingegen berichtet von zehn Tagen Unterricht in Waffenhandhabung und islamischen Recht. Wenn sich die Sicherheitslage verbessert, soll die Ausbildung auf neun Monate verlängert werden, wobei ein von den Rebellen in Idlib eingeführtes System verwendet wird (REU 23.1.2025). Die allgemeine Landschaft des neuen Sicherheitsapparats weist deutliche Veränderungen auf, vor allem in Bezug auf die islamistische Färbung, die mit einigen Details einhergeht, wie die lauten Takbir-Rufe ["Allahu Akbar"-Rufe Anm.] bei den Abschlussfeiern, nachdem die Freiwilligen die Scharia- und Militärtrainingskurse absolviert haben, und die Abschlussreden der Veranstaltung, die sich auf die islamischen Lehren und die Notwendigkeit konzentrieren, „im Einklang mit Gottes Gesetz“ zu handeln (Tayyar 31.1.2025). Reuters zitiert Quellen, wonach die islamische Lehre dazu dienen soll, der neuen syrischen Polizei Moral zu vermitteln. Mitglieder der HTS-Polizeieinheit in Idlib sind nach Damaskus gereist, um Polizeibeamte zu rekrutieren. Die HTS-Polizei hat den Bewerbern eine Reihe von Fragen zu ihrem Glauben gestellt und die Ausbildung der neuen Rekruten konzentriert sich auf das Scharia-Recht (REU 23.1.2025).
Am 16.4.2025 kündigte das Innenministerium an, dass es einen Beamten ernennen werde, der sowohl die Kräfte der Allgemeinen Sicherheit als auch die Polizeikommandos in jeder Provinz beaufsichtigen solle, um so die Kontrolle über beide Kräfte zu zentralisieren (ISW 16.4.2025).
Langfristig werden Syriens Bemühungen zur Reform seines Militärs mit enormen Herausforderungen beim Wiederaufbau seines Waffenarsenals und seiner Infrastruktur konfrontiert sein, insbesondere nach der weitreichenden Zerstörung durch israelische Luftangriffe im Dezember 2024. Diese Angriffe galten über 100 Luftverteidigungsbatterien, Radarsystemen und Geheimdienstbasen, wodurch ein Großteil des syrischen Arsenals unbrauchbar wurde. Berichten zufolge führte Israel in acht Tagen über 600 Angriffe durch und zerstörte dabei etwa 80 % der strategischen Waffen Syriens. Die syrische Luftwaffe, die Berichten zufolge Anfang 2024 über 184 einsatzfähige Flugzeuge verfügte, verfügt nun nur noch über eine Handvoll übergebliebener – wenn auch einsatzfähiger – Flugzeuge. Dasselbe gilt für die Hunderte von Fahrzeugen und Ausrüstungsgegenständen – darunter Kampfpanzer, Schützenpanzer, Langstrecken-Mehrfachraketenwerfer und SAM-Systeme – welche die Rebellen von der sich zurückziehenden Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) erbeutet haben, deren Schicksal unbekannt ist. Schätzungsweise 15 Marineschiffe wurden bei Angriffen auf Minaa el-Beida und Latakia zerstört, Tartus wurde jedoch verschont, um russische Streitkräfte nicht zu treffen. Der Wiederaufbau des syrischen Militärs – insbesondere der Luftwaffe und der Luftverteidigungsnetze, einschließlich Abfangjäger-Vorräte, Ersatzteile und Ausbildung der Besatzungen – wird Jahre dauern und Milliarden Dollar kosten, und das zu einer Zeit, in der die staatlichen Kassen fast leer sind (TNA 3.2.2025). Ash-Shara' kündigte einen Plan an, für den Import moderner militärischer Fahrzeuge, die für die Sicherheitsdienste in allen Provinzen geeignet sein sollen (Araby 16.12.2024).
Die ehemaligen militärischen Geheimdienste Syriens waren für ihre Unterdrückung berüchtigt. In der neuen Struktur werden Anstrengungen unternommen, um ein Nachrichtensystem von Grund auf neu aufzubauen, das frei von den Altlasten des vorherigen Regimes ist (TR-Today 8.1.2025). Das syrische Generalkommando hat die Ernennung von Anas Hassan Khattab zum Leiter des allgemeinen Nachrichtendienstes bekannt gegeben. Khattab übernahm Anfang 2014 die Position des administrativen Emirs der Jabhat an-Nusra, nachdem er Ende 2013 einer der Anführer der Gruppe und allgemeiner administrativer Emir gewesen war. Nach Angaben des Sicherheitsrats wurde Khattab am 23.9.2014 gemäß den Ziffern 2 und 4 der Resolution 2161 (2014) auf die Sanktionsliste gesetzt, weil er mit al-Qa'ida in Verbindung stand, weil er „an der Finanzierung, Planung, Erleichterung, Vorbereitung, Begehung, Beteiligung oder Unterstützung der Handlungen und Aktivitäten der Jabhat an-Nusra beteiligt war“ und weil er „die Handlungen und Aktivitäten der Jabhat an-Nusra in irgendeiner anderen Form unterstützt hat“ (BBC 26.12.2024). Quellen bestätigten gegenüber Al Jazeera die Ernennung von Generalmajor 'Ali Nour ad-Din an-Na'san zum neuen syrischen Generalstabschef. Lokalen syrischen Plattformen zufolge war an-Na'san ein militärischer Befehlshaber von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) (AJ 9.1.2025b). Ende Dezember 2024 wurden von der neuen Regierung Kämpfer in Führungspositionen ernannt. Unter den 50 neuen militärischen Ernennungen waren sechs ausländische Kämpfer im Rang eines Brigadegenerals und eines Obersts, darunter zwei Araber. Die Ernennungen sind Teil einer umfassenderen Kampagne von ash-Shara' zur Umstrukturierung der Neuen Syrischen Armee, die Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlicher Nationalität umfasst (Sky News 30.12.2024).
Der Kreml teilte Mitte des Monats Dezember 2024 mit, dass das Schicksal der russischen Militärbasen in Syrien noch immer diskutiert werde und dass die Kontakte mit syrischen Beamten fortgesetzt würden (AJ 28.12.2024b). [Weitere Informationen zum russischen Engagement finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung (Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024)).]
Die bewaffnete Landschaft Syriens besteht aus einem komplexen Geflecht von über 60 Fraktionen, von denen jede ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Loyalitäten und ihre eigene Agenda hat. Mehr als die Hälfte sind der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) angeschlossen. Andere Fraktionen agieren unabhängig oder innerhalb kleinerer Allianzen, mit Ideologien, die von säkular bis islamistisch reichen, und Finanzierungsquellen, die verschiedene regionale und internationale Akteure umfassen. Dieses Flickwerk an Macht stellt ein erhebliches Hindernis für die Schaffung einer einheitlichen nationalen Armee dar (DNewsEgy 3.2.2025). Obwohl die Kämpfer nominell unter der Schirmherrschaft der neuen syrischen Regierung stehen, gibt es nach wie vor Milizen, von denen einige in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren und relativ undiszipliniert sind (Guardian 9.3.2025). Die Kernkräfte der Gruppierung, die die neue Regierung anführt, HTS, sind bekanntermaßen weitaus disziplinierter als andere Akteure, was auf jahrelanger Beobachtung ihrer Aktivitäten in der Provinz Idlib und während des Sturzes von al-Assad beruht. Dennoch waren auch einige HTS-Kräfte an den Massakern im März 2025 in der syrischen Küstenregion beteiligt. Darüber hinaus trägt die neue Regierung weiterhin die Verantwortung für alle Tötungen, die von Gruppen unter ihrem formellen Kommando, einschließlich der SNA, begangen wurden. Ihre Unfähigkeit, diese Verbrechen zu verhindern, verdeutlicht, dass sie über Gebiete und Fraktionen außerhalb ihrer traditionellen Basis nach wie vor nur begrenzt befehligen und kontrollieren kann. Nachdem Berichte über Massaker aufgetaucht waren, gab das Innenministerium eine doppelte Erklärung ab, in der es die Zivilbevölkerung aufforderte, sich nicht einzumischen und die Reaktion der Regierung zu überlassen, und allen regierungsfreundlichen Kräften befahl, sich an die Verfahren zu halten, die während der Offensive zum Sturz des Assad-Regimes angewendet wurden, nämlich keine Zivilisten ins Visier zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch bereits zahlreiche Morde verübt worden, und die Erklärung enthielt keinen Hinweis auf den notwendigen Prozess der Rechenschaftspflicht, der auf solche Vorfälle folgen muss, um weitere Vergeltungsmaßnahmen und Gräueltaten zu verhindern (TWI 10.3.2025). [Details zu den Vorfällen im März 2025 finden sich im Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] In den Reihen der neuen syrischen Armee finden sich auch islamistische Kämpfer aus anderen arabischen Staaten, Zentralasien und dem Kaukasus (Standard 9.3.2025). Es gibt große Probleme bei der Integration der Gruppierungen, die bereits unter dem Verteidigungsministerium zusammengelegt wurden. Zu nennen ist hier der Top-Down-Ansatz, bei dem die Priorität auf Loyalität statt auf Leistung gelegt wird. Es gelingt nicht die ideologischen und klassenbasierten Unterschiede zwischen – und innerhalb – der Gruppierungen, die jetzt unter dem Kommando ash-Shara's stehen, abzumildern (NLM 25.2.2025).
Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS)
Die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) [zu Deutsch: Komitee zur Befreiung der Levante Anm.] ist die stärkste Gruppierung in Syrien (Asharq 9.12.2024). Ihre Mannstärke wird auf 43.000 geschätzt. Die Hälfte dieser Gruppierungen ist nach der Rückeroberung in ihren ursprünglichen Gebieten geblieben, insbesondere in den Gebieten im Norden von Hama, im Süden von Idlib und im Westen und Süden von Aleppo (Quds 11.1.2025). Sie entstand aus dem Zusammenschluss von fünf Gruppierungen, u. a. der Jabhat Fatah ash-Sham, Liwa' al-Haqq, Jabhat Ansar ad-Din und Jaysh as-Sunna und wurde später von mehreren Bataillonen, Brigaden und Einzelpersonen unterstützt (AJ 3.12.2024). Die HTS versuchte ihren militärischen Flügel durch die Einrichtung eines gemeinsamen Einsatzraums namens „Shahba Community“ in Zusammenarbeit mit bewaffneten Gruppierungen, darunter Ahrar ash-Sham, die Nour ad-Din-Zenki-Bewegung und die „50. Division“ zu stärken (UNSC 22.7.2024). 2019 wurde der Operationsraum Fatah al-Mubin gegründet. Dieser war für die Koordinierung und Abteilung für militärische Operationen in Nordsyrien in Idlib und den ländlichen Gebieten von Aleppo, Latakia und Hama verantwortlich. Mitte 2020 schränkte die Hay'at Tahrir ash-Sham alle militärischen Operationen auf den Operationsraum Fatah al-Mubin ein und untersagte die Bildung jeglicher sonstiger militärischer Gruppierungen oder Operationsräume in den von ihr kontrollierten Gebieten. 2023 verkündete die HTS eine neue Struktur für die militärischen Kräfte in ihren Gebieten an (AJ 3.12.2024). Mitglieder der HTS sind nicht nur Syrer, sondern sie umfasst mehrere Nationen (Asharq 8.12.2024). Sie ist in sechs Brigaden, Spezialeinheiten und Elitetruppen unterteilt, die als Rote Brigaden bekannt sind (Quds 11.1.2025) bzw. als Rote Bänder, und welche Berichten zufolge dank ihrer Fähigkeiten in Bezug auf Ausbildung, Bewaffnung und die Fähigkeit, die Frontlinien zu durchdringen, in der Lage waren, mehrere Kampfhandlungen gegen Assads Streitkräfte zu gewinnen (Asharq 9.12.2024). Die Anzahl der Mitglieder dieser Eliteeinheit ist nicht bekannt, sie soll Berichten zufolge aber aus Hunderten von HTS-Mitgliedern bestehen (Asharq 8.12.2024), die Inghamasiyin genannt werden (AJ 5.12.2024) und von denen einige zu den ideologisch extremsten und kampferfahrendsten Elementen der Rebellenkoalition gehören (Guardian 8.12.2024). Auf ihren Köpfen tragen sie rote Bänder. Die Einheit, die 2018 gegründet wurde, hat einen hohen Ausbildungsstand (AJ 5.12.2024) und verfügt über Spezialwaffen (AlMayadeen 5.12.2024). Daneben gehören auch Gruppen von Scharfschützen zu dieser Eliteeinheit (Asharq 8.12.2024). Auch HTS-Anführer Ahmed ash-Shara' tauchte in einem Video 2020 mit rotem Band am Kopf auf (AlMayadeen 5.12.2024). Die HTS war es, die die Operation "Abschreckung der Aggression" im November und Dezember 2024 anführte (Asharq 9.12.2024).
Ash-Shara' kündigte gegenüber al-'Arabiya und al-Hadath an, dass sich seine Gruppierung bald auflösen wird (Arabiya 6.1.2025b). Am 29.1.2025 wurde die Auflösung der HTS bekannt gegeben (Sky News 31.1.2025).
Andere Gruppierungen
An der Operation "Abschreckung der Aggression" nahmen noch weitere Gruppierungen teil, die teilweise mit der ehemaligen Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army - FSA) verbunden sind. Manche dieser Gruppierungen gehörten zur Nationalen Befreiungsfront (National Liberation Front - NLF), wie die Jabhat Tahrir as-Souriya und Jaysh Idlib al-Hurr (AJ 3.12.2024). Einige Gruppierungen werden von der Türkei ausgebildet und unterstützt. Darunter sind die Sultan Murad Division, die Sultan Suleiman Shah Division, die Hamza Division, Jaysh al-Islam und die Jabhat ash-Shamiya (Asharq 9.12.2024). Die NLF ist weitgehend für die Kontrolle in Idlib zuständig, während ein Großteil der militärischen Präsenz in die Schlüsselgebiete Aleppo, Homs, Damaskus, Latakia und Tartus abgezogen wurde. Die NLF koordiniert sich mit den örtlichen Sicherheitskräften. Aufgrund ihrer Mannstärke ist sie stark von verbündeten Gruppierungen abhängig (Etana 17.1.2025). Auch in Dara'a, im Süden Syriens, gibt es viele bewaffnete Gruppierungen, insbesondere Gruppierungen unter dem Banner der ehemaligen FSA (Asharq 9.12.2024).
Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA)
Mehr als die Hälfte der über 60 in Syrien bestehenden bewaffneten Gruppierungen gehört zur von der Türkei unterstützten Syrian National Army. Ihre Stärke beträgt mindestens 80.000 Mann und ihre Hauptaufgabe ist die Bekämpfung der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) (DNewsEgy 3.2.2025). Die Jabhat ash-Shamiya, die Bewegung Nour ad-Din-Zenki, die islamische Bewegung Ahrar ash-Sham im nördlichen Umland von Aleppo und die Gruppe ash-Shahba beteiligten sich an den Vorbereitungen für die Operation "Abschreckung der Aggression" im Sommer 2024, während die übrigen Fraktionen auf direkte Anweisungen aus Ankara warteten, wie die Nationale Befreiungsfront in Idlib, die Tausende von Kämpfern aus allen Untergruppierungen der Abteilung für militärische Operationen zur Verfügung stellte (Quds 11.1.2025). Sie könnte ca. 50.000 Kämpfer umfassen. Die SNA steht grundsätzlich in Konkurrenz mit der HTS. Ihre Anführer haben erklärt, dass sie schwere Waffen abgeben würde im Gegenzug für hohe Funktionen in der neuen syrischen Armee. Ihre Kleinfeuerwaffen werden sie behalten. Manche Anführer möchten ihr Einkommen, das sie durch Schmuggel über die türkisch-syrische Grenze erhalten, nicht aufgeben (Economist 14.1.2025). Im Widerspruch dazu wird die HTS von der von Ankara unterstützten Nationalen Befreiungsfront (National Liberation Front - NLF) unterstützt, die von Oberst Fadlallah al-Hajji angeführt wird, dem militärischen Befehlshaber der Faylaq ash-Sham und gleichzeitig stellvertretenden Verteidigungsminister in der Übergangsregierung (Quds 11.1.2025). Die NLF schloss sich im Oktober 2019 der SNA an (MEE 7.12.2024).
Die Suleiman Shah Division (auch: al-Amshat) wird von Mohammad Hussein al-Jassim, bekannt als Abu Amsha, angeführt, einer umstrittenen Figur, die sich schweren Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sieht. Seine Truppen haben ihren Sitz in Sheikh al-Hadid in 'Afrin und erstrecken sich auf Teile des nördlichen Landesteils von Aleppo. Die Hamza-Division (auch: Hamzat) kontrolliert al-Bab, Jarablus und 'Afrin und steht unter dem Kommando von Saif Bolad (Abu Bakr), einem prominenten Führer der von der Türkei unterstützten SNA. Im Jahr 2023 verhängte das US-Finanzministerium direkte Sanktionen gegen die beiden Fraktionen und beschuldigte sie, in den von ihnen kontrollierten Gebieten „Kriegsverbrechen und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen“ zu begehen. Menschenrechtsberichten zufolge waren diese von der Türkei unterstützten Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banias, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025).
Die syrischen Sicherheitskräfte forderten Anfang März 2025 nach Zusammenstößen mit Anhängern des Assad-Regimes eine allgemeine Mobilisierung über die bereits in der Küstenregion stationierten Einheiten hinaus an. Drei von den USA sanktionierte Milizen der von der Türkei unterstützten SNA folgten diesem Aufruf: Jaish ash-Sharqiya, Sultan Suleiman Shah und die Hamza-Division. Sie wurden zuvor wegen Menschenrechtsverletzungen an Kurden im Nordwesten Syriens angeklagt. An den Kämpfen waren auch ausländische Dschihad-Kämpfer der von den USA benannten Gruppe Ansar al-Tawhid und lokale syrische Zivilisten beteiligt, die die Kriegsverbrechen des Regimes rächen wollten. Die meisten lokalen Berichte deuten darauf hin, dass die überwiegende Zahl der von Regierungstruppen verursachten zivilen Todesfälle Anfang März 2025 in der Küstenregion von einer Mischung aus SNA-Fraktionen, ausländischen Kämpfern und zufälligen Zivilisten begangen wurde (TWI 10.3.2025). [Details zu den Vorfällen Anfang März 2025 in der Küstenregion sind dem Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Alle Gruppierungen der Syrischen Nationalen Armee sind an der Operation "Morgenröte der Freiheit" gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) beteiligt (Quds 11.1.2025).
Fahim 'Issa, einer der prominentesten Militärkommandeure in Nordsyrien, sagte, dass die Fraktionen der SNA derzeit nicht bereit sind, sich zusammenzuschließen, weil sie sich in den Kämpfen gegen die SDF mit türkischer Unterstützung engagieren, was im Gegensatz zu ash-Shara's Ansatz steht, die Angelegenheit mit den kurdischen Kämpfern zu regeln (Quds 11.1.2025).
Die Motivationen der Kämpfer in der SNA sind alles andere als einheitlich. In Interviews wurden drei Hauptmotive im gesamten Korps der SNA hervorgehoben: Erstens sind die Kämpfer von Loyalität und Stammesverbundenheit angetrieben und verlassen sich auf verwandtschaftliche Bindungen und das Vertrauen in die lokale Führung. Zweitens werden sie eher durch wirtschaftliche Faktoren motiviert, wobei viele von ihnen im Schmuggel und in der Kontrolle des lokalen Marktes tätig sind. Drittens sind einige Kämpfer, insbesondere an der Levante-Front, ideologisch motiviert und vertreten revolutionäre Ideale und umfassendere Visionen des gesellschaftlichen Wandels (NLM 25.2.2025).
Syrische Freie Arme (Syrian Free Army - SFA)
Die Syrische Freie Armee (Syrian Free Army - SFA) [nicht zu verwechseln mit der mittlerweile aufgelösten Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army - FSA) Anm.] ist eine von den USA unterstützte und ausgebildete Einheit von mehreren Hundert Mann, die in Südsyrien an einem Ort namens at-Tanf aktiv ist. Viele Jahre lang war die Einheit vom Großteil Syriens abgeschnitten, da sie nur in einem kleinen Gebiet um die Garnison patrouillieren konnte, in dem sich US-Soldaten aufhielten. Ihr Anführer ist Oberst Salem Turki al-'Antri. Die Syrische Freie Armee entstand aus der erstarkenden Rolle der USA in Syrien, deren Präsenz bis ins Jahr 2015 zurückreicht. Die USA unterstützten die hauptsächlich kurdischen Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces - SDF) im Osten Syriens erheblich. In at-Tanf jedoch, wo die USA einen Stützpunkt in der Nähe einer alten Landwirtschaftsschule errichteten, schlossen sich die USA mit den Maghawir ath-Thawra (MAT) zusammen, die sich aus syrischen Arabern zusammensetzten, die gegen das Assad-Regime waren. Die MAT, aus der später die Syrische Freie Armee hervorging, hatte im Jahr 2018 etwa 300 Mann. Die Rolle der Gruppe sollte darin bestehen, den Islamischen Staat im Rahmen der umfassenderen Anti-IS-Mission der USA in Syrien zu bekämpfen. Im Laufe der Zeit bildeten die USA die Syrische Freie Armee in Schießkunst, Taktik für kleine Einheiten und dem Einsatz leichter Fahrzeuge für Patrouillen aus. Die Truppen der SFA konzentrieren sich weiterhin auf lokale Aufgaben, wie die mobile medizinische Klinik und die Unterstützung der verbliebenen Vertriebenen in Rukban. Sie haben auch Minenräumaktionen durchgeführt. Einige Mitglieder der Syrischen Freien Armee stammen aus Gebieten in der Nähe von Palmyra, etwa 120 Kilometer nördlich von at-Tanf. Nach dem Sturz des Assad-Regimes reisten einige Mitglieder der Einheit, darunter auch al-'Antri, nach Palmyra, um sich mit Einheimischen zu treffen und in dem Sicherheitsvakuum zu agieren, das durch al-Assads rasch verschwindende Armee entstanden war (LWJ 10.2.2025). Die SFA besteht aus syrischen Rebellen, die sich dem syrischen Regime widersetzten. Es handelt sich um arabische Oppositionskräfte, und die Männer stammen hauptsächlich aus der syrischen Provinz Homs und anderen Gebieten in der Nähe von Damaskus und Palmyra (JPOST 2.1.2025). Mitte April 2025 wurde das Training der SFA durch die USA fortgesetzt (LWJ 16.4.2025).
Die Syrische Freie Armee hat sich dem neuen Verteidigungsministerium angeschlossen (TWI 12.2.2025).
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Quellen: […]
6.1 Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 15:44
[In diesem Kapitel geht es um die militärische Intervention aus dem Ausland. Informationen zur politischen Beziehung Syriens zu anderen Staaten sind dem Kapitel Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Außenpolitische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Internationale Koalition (Frankreich, USA, etc.)
Die von den USA angeführte Internationale Koalition hat militärische und logistische Verstärkung in den Süden von al-Hasaka in Nord- und Ostsyrien gebracht. Diese Verstärkungen spiegelt die fortgesetzten Bemühungen der internationalen Koalition wider, ihre strategischen und wirtschaftlichen Interessen, insbesondere das Öl, in der Region zu schützen, zusätzlich zum Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) dessen jüngste Bewegungen die Angst vor seiner Rückkehr geschürt haben (Leb24 29.1.2025). Frankreich ist ein aktives Mitglied der von den USA geführten Koalition gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) und unterhält eine Militärpräsenz im Nordosten Syriens. Präsident Macron versicherte im Jänner 2025, dass Frankreich die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) nicht im Stich lassen werde (DS 5.2.2025; vgl. Rudaw 6.1.2025, ANHA 6.1.2025). Nach Angaben eines hochrangigen syrischen Kurdenvertreters werden derzeit Gespräche darüber geführt, ob US-amerikanische und französische Truppen ein Grenzgebiet in Nordsyrien sichern könnten, um den Konflikt zwischen der Türkei und den vom Westen unterstützten syrischen Kurden zu entschärfen (LBCI 8.1.2025). Der französische Präsident Macron forderte die neue syrische Regierung auf, die von Kurden angeführten SDF vollständig in ihren Sicherheitsapparat zu integrieren, und fügte hinzu, dass ihre „starken“ Kämpfer den Sicherheitszielen von Damaskus dienen werden und wiederholte im Februar seine Äußerungen, die SDF nicht im Stich lassen zu wollen (Rudaw 13.2.2025).
Iran
Seit Beginn des Krieges stützte sich die Regierung al-Assads bei Kampfeinsätzen und zur Verteidigung von Gebieten auf die libanesische Hizbollah sowie auf Iran und von Iran unterstützte irreguläre Kräfte. Seit 2011 stellte Iran Militärberater und Kampftruppen des Korps der Iranischen Revolutionsgarden sowie nachrichtendienstliche, logistische, materielle, technische und finanzielle Unterstützung bereit. Er hatte schiitische Milizen bzw. paramilitärische Einheiten finanziert, ausgebildet, ausgerüstet und angeführt, die sowohl aus syrischem als auch aus nicht-syrischem Personal bestehen, hauptsächlich aus Afghanistan, dem Irak und Pakistan (CIA 31.7.2024). Iran soll Milliarden Dollar ausgegeben haben, um al-Assad zu unterstützen. Zu den von Iran entsandten schiitischen Kämpfern gehörten hauptsächlich die Hizbollah (neben anderen Bewegungen aus dem Libanon, dem Irak, Afghanistan und dem Jemen). Seit dem Konflikt mit Israel im Libanon war die Hizbollah stark geschwächt (BBC 10.12.2024). Israel setzt seine Luftangriffe auf iranische Stellungen in Syrien fort, weil Teheran weiterhin versucht, strategische Stellungen und Waffenlager zu halten (VB Amman 9.2.2025).
Israel
Israel hat während des Krieges Hunderte von Luftangriffen gegen mit Iran verbundene Ziele in Syrien durchgeführt, obwohl es solche Angriffe selten zugegeben hat. Seitdem Rebellen al-Assad gestürzt haben, führte Israel Hunderte von Angriffen in ganz Syrien durch. Zu den Zielen gehörten die militärische Infrastruktur Syriens, die Marineflotte und Waffenproduktionsstätten. Israelische Streitkräfte haben außerdem die entmilitarisierte Pufferzone in den Golanhöhen eingenommen. Israel gab an, dass das 1974 geschlossene Abkommen über den Rückzug aus Syrien mit der Machtübernahme durch die Rebellen „geplatzt“ sei. Des Weiteren gab Israel zu, dass seine Truppen an „einigen zusätzlichen Punkten“ jenseits der Pufferzone weiter im Landesinneren von Syrien operieren, betonte jedoch, dass sie „nicht auf Damaskus vorrücken“ (BBC 10.12.2024). Obwohl Israel den Einmarsch in syrisches Staatsgebiet als vorübergehend bezeichnete und mit der Beschlagnahmung von Waffen begründete, zeigt ein Vergleich von Satellitenbildern, die am 20.12.2024 und am 21.1.2025 aufgenommen wurden, den Bau eines neuen israelischen Stützpunktes in der Nähe von Hamidiyah innerhalb nur eines Monats. Auch mehrere Fahrzeuge deuten auf eine dauerhafte Präsenz hin (Arabiya 4.2.2025). Am 29.1.2025 hatte Israels Verteidigungsminister bereits angekündigt, dass die israelischen Stellungen in Syrien auf unbestimmte Zeit im Land bleiben würden (FT 28.1.2025). Das bestätigte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu Ende Februar 2025. Er sagte, dass seine Streitkräfte auf dem syrischen Berg Hermon und in der Pufferzone auf den Golanhöhen „auf unbestimmte Zeit“ bleiben werden. Außerdem wolle Israel der Hay'at Tahrir ash-Sham oder der Neuen Syrischen Armee nicht erlauben, in die Gebiete südlich von Damaskus vorzudringen (Leb24 23.2.2025). Des Weiteren betonte er Israels Verpflichtung, die drusische Gemeinschaft vor Bedrohungen zu schützen (TNA 23.2.2025). Am 3.2.2025 berichtete ein Korrespondent von Al Jazeera, dass die israelischen Streitkräfte sich aus ihren Stellungen in Quneitra, Südsyrien, zurückgezogen haben, nachdem sie wochenlang in der Gegend stationiert waren (AJ 3.2.2025). Der syrische Präsident Ahmad ash-Shara' hat den israelischen Einmarsch verurteilt und gleichzeitig betont, dass die derzeitige Lage im Land „keine neuen Konflikte zulässt“ (AJ 3.2.2025).
Russland
Russland intervenierte 2015 auf Ersuchen der syrischen Regierung und hatte seitdem Luftunterstützung, Spezialeinheiten, Militärberater, private Militärunternehmen, Schulungen, Waffen und Ausrüstung bereitgestellt. Iran und Russland unterstützten auch bei der Bekämpfung der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in der Levante (CIA 31.7.2024). Die russische Militärintervention hatte zu einer deutlichen Veränderung des Kräfteverhältnisses auf militärischer, politischer und psychologischer Ebene in Syrien geführt. Die russische Militärmacht, insbesondere die Luftwaffe, hatte einen großen Unterschied im Gleichgewicht der Kämpfe zwischen der bewaffneten Opposition, dem Regime und den iranischen Milizen bewirkt (MEI 20.7.2021). Zwischen den russischen Kräften und iranischen Milizen sowie einigen syrischen Einheiten kam es zu Spannungen und sporadischen Zusammenstößen (MEI 20.7.2021). Seit Russland 2022 den Krieg in der Ukraine führt, waren seine Streitkräfte anderweitig beschäftigt und er konnte seinem syrischen Verbündeten nicht mehr die notwendige Unterstützung bieten. Nach seiner Flucht aus Damaskus wurde al-Assad und seiner Familie in Moskau Asyl gewährt (BBC 10.12.2024). Nach der Machtübernahme durch die islamistische Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) ist Moskau nun vor allem daran interessiert, seine Militärbasen in Syrien aufrechtzuerhalten (Presse 28.1.2025). Russland hat seinen militärischen Rückzug aus Syrien beschleunigt und Fahrzeuge und Container aus seinem wichtigen Hafen Tartus an der Mittelmeerküste des Landes entfernt. Dies geschah, während russische Beamte „offene Gespräche“ mit der neuen Regierung in Damaskus führten. Der Kreml hatte ursprünglich seinen Wunsch signalisiert, die Kontrolle über den Stützpunkt zu behalten, und im Dezember erklärt, dass er mit den neuen Behörden über die Aufrechterhaltung einer Präsenz dort spreche. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Moskau nun beschlossen hat, wertvolle Ausrüstung aus dem Hafen zu entfernen. Satellitenbilder zeigen außerdem, dass russische Ausrüstung seit mehreren Wochen vom nahe gelegenen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim entfernt wird (BBC 30.1.2025).
Türkei
Die Türkei hatte mehrmals seit 2016 militärisch in Syrien interveniert, um kurdische Kämpfer und den Islamischen Staat zu bekämpfen. Sie unterstützt ausgewählte Oppositionsgruppierungen und hat Pufferzonen in Teilen des syrisch-türkischen Grenzgebiets etabliert. Die Türkei unterhält weiterhin eine beträchtliche Militärpräsenz in Nordsyrien und hat Milizen, wie die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) ausgebildet und bewaffnet (CIA 31.7.2024). Die SNA untersteht de facto der Autorität der Türkei, ebenso wie die Syrische Interimsregierung (Syrian Interim Government - SIG). Obwohl die Präsenz der Türkei ein gewisses Maß an Stabilität in die Region bringt, gilt ihre Kontrollzone in Nordsyrien als die unsicherste und am brutalsten regierte (BI 27.1.2023). Die SNA ist in Legionen und weiter in Fraktionen unterteilt. Die Fraktionskommandanten folgen dem Kommando der Legionen. Die Anzahl der Fraktionen variiert in den einzelnen Legionen (GCSP 10.2020). Die Türkei unterstützt die Rebellen vor allem zur Eindämmung der Milizen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), die sie beschuldigt, eine Erweiterung der im Inland verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK), [die die Türkei und auch die EU als Terrororganisation gelistet hat Anm.] zu sein (BBC 10.12.2024). Die türkische Armee ist in weiten Teilen Nordsyriens präsent und verfügt nach Angaben von Jusoor for Studies über 125 militärische Stellungen, darunter 12 Basen und 113 Stellungen. Die meisten dieser Stellungen wurden im Anschluss an türkische Militäroperationen eingerichtet, die vermutlich auf nicht deklarierten Vereinbarungen im Rahmen des Astana-Prozesses beruhten (SyrInd 13.3.2024). Der türkische Außenminister sagte am 15.2.2025, sein Land würde seine militärische Präsenz im Nordosten Syriens überdenken, wenn die neue Führung des Landes die PKK eliminieren würde (AP 15.2.2025). Einige Experten gehen davon aus, dass die Großoffensive, die zum Sturz al-Assads geführt hat, nicht ohne die Zustimmung der Türkei erfolgen hätte können, die Türkei bestreitet die führende Oppositionsgruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) unterstützt zu haben (BBC 10.12.2024).
USA
Nachdem die pro-demokratischen Proteste in Syrien im Jahr 2011 gewaltsam niedergeschlagen wurden, unterstützte der damalige US-Präsident Barack Obama die Opposition gegen al-Assads Herrschaft. Die USA leisteten den ihrer Meinung nach gemäßigten Rebellengruppen militärische Unterstützung und intervenierten militärisch, um die Gruppierung Islamischer Staat (IS) im Jahr 2014 zu bekämpfen. Eine von den USA angeführte globale Koalition führte Luftangriffe durch und entsandte Spezialeinheiten, um der von Kurden angeführten Allianz der Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) bei der Eroberung von Gebieten zu helfen, die einst vom IS im Nordosten gehalten wurden (BBC 10.12.2024). Nach dem Sturz der Assad-Regierung behielten die USA eine militärische Präsenz im Nordosten bei (AGSIW 9.12.2024). Die US-Regierung gab an, Dutzende von Luftangriffen gegen IS-Lager und -Aktivisten in Zentralsyrien durchgeführt zu haben, um sicherzustellen, dass der IS die instabile Lage nicht ausnutzen konnte (BBC 10.12.2024). Ihre Verbindungen zu Oppositionsgruppierungen stellten die USA schon vor Jahren ein (AGSIW 9.12.2024). Mit Stand Dezember 2024 waren die USA mit 2.000 Soldaten vertreten, ursprünglich war die Rede von 900 US-Soldaten (Spiegel 19.12.2024), die hauptsächlich im Nordosten stationiert sind (BBC 10.12.2024). Anfang Februar wurden Pläne des US-Verteidigungsministeriums zum Abzug aller US-Truppen in Syrien bekannt. Der Abzug soll entweder in 30, 60 oder 90 Tagen erfolgen (TNA 5.2.2025; vgl. REU 5.2.2025b).
Quellen: […]
6.2 Sicherheitsbehörden in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Zur Aktualität der vorliegenden Länderinformation siehe Kapitel Länderspezifische Anmerkungen. Anm.]
Gebiete unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES)
In der Demokratischen Autonomen Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) dominieren die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF), eine Koalition von kurdischen, sunnitisch-arabischen und syrisch-christlichen Gruppierungen unter der Führung kurdischer Milizen, insbesondere der Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG). Sie gliedern sich in Einheiten der Inneren Sicherheit, Terrorismusbekämpfung und Kommandoeinheiten (CIA 31.7.2024). Nach Angaben des Pentagons machten Kurden im März 2017 40 % der SDF aus, während Araber 60 % ausmachten, obwohl andere Quellen darauf hinweisen, dass der Prozentsatz der arabischen Kämpfer geringer war. Jedenfalls besteht Konsens darüber, dass die Führung in den SDF den Kurden gehört. Neben syrischen Arabern und Kurden gibt es auch ausländische Kommandeure und Elemente in den SDF. Letztere sollen laut Aussagen des Kommandanten 'Abdi Syrien verlassen, wenn ein Waffenstillstand mit der Türkei bzw. der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) erzielt wurde (AJ 29.1.2025). Die YPG sind die größte Miliz in den SDF (BBC 10.12.2024). Experten schätzen die Anzahl der Kämpfer innerhalb der SDF auf 20.000 bis maximal 30.000. SDF-Anführer 'Abdi gibt die Anzahl mit 100.000 Kämpfer an (AJ 29.1.2025). Im Gegensatz zu den Selbstverteidigungsgruppen, die aus Wehrpflichtigen bestehen, werden die SDF an der Front eingesetzt (DIS 6.2024). [Nähere Informationen zur Selbstverteidigungspflicht finden sich im Kapitel Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Gebiet unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)]
Die SDF nutzen die internationale finanzielle Unterstützung vor allem, um die Gehälter und Löhne ihrer Kämpfer und Verwaltungsangestellten zu zahlen, die zwischen 100 und 800 US-Dollar liegen. Diese Löhne sind die höchsten im Vergleich zu anderen lokalen bewaffneten Gruppen in Syrien, einschließlich der ehemaligen Regimetruppen, was den SDF in hohem Maße geholfen hat, eine kontinuierliche Rekrutierung in ihre Reihen zu gewährleisten (AJ 29.1.2025). Als die SDF im Jahr 2014 im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) andere Kurden zur Unterstützung aufgefordert haben, haben irakische Peshmerga und die türkisch-kurdische Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK) ihnen Unterstützung zugesandt. Einige dieser ausländischen kurdischen Kämpfer haben das Land wieder verlassen. Eine Gruppierung mit Hunderten von Kämpfern ist mit dem Ziel geblieben, den Kurden bei ihrer Selbstverteidigung zu helfen (FAZ 28.1.2025).
Die Revolutionäre Jugendbewegung Syriens (Tevgera Ciwanên Şoreşger) identifiziert sich als sozialistische Bewegung, die von den Ideen Abdullah Öcalans, des inhaftierten Führers der PKK, inspiriert ist, und ideologisch mit der PKK und der Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat - PYD) verbunden ist. Die Jugendgruppe ist im gesamten Nordosten Syriens mit Büros und Zentren sowie einer Vielzahl von auf Jugendliche ausgerichteten kulturellen, politischen und militärischen Ausbildungsaktivitäten stark vertreten, von denen einige von hochrangigen SDF- und Autonomieverwaltungsbeamten besucht und unterstützt werden. Berichten zufolge haben Mitglieder der Revolutionären Jugendbewegung in den letzten Jahren feindselige Handlungen gegen Demonstranten, Journalisten und politische Oppositionsparteien begangen (HRW 2.10.2024).
Obwohl in mehreren schriftlichen Quellen des Danish Immigration Service (DIS) über die Wehrpflicht bei den SDF berichtet wurde, bleibt die Rekrutierung von Personal für die SDF freiwillig und basiert auf einem Vertrag zwischen den SDF und der betreffenden Person. Die Standarddauer des Vertrags beträgt zwei Jahre Dienst bei den SDF, kann jedoch nach Ermessen der Freiwilligen verlängert werden. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die Einzelpersonen weiterhin dazu motivieren, sich freiwillig den SDF anzuschließen. Dazu gehören wirtschaftliche Anreize, wie die im Vergleich zu anderen bewaffneten Gruppen relativ hohen Gehälter, die in Gebieten mit begrenzten Möglichkeiten für alternative Beschäftigungsmöglichkeiten, wie ar-Raqqa und Deir ez-Zour, wirksam sind. Darüber hinaus ist die Fähigkeit der SDF, Schutz vor anderen Akteuren und Bedrohungen zu bieten, ein wichtiger Faktor für ihre Fähigkeit, Personal in Gebieten mit arabischer Mehrheit zu rekrutieren, und ethnische Kurden schließen sich den SDF an, um ihre Region zu verteidigen. Ein in Erbil ansässiger syrischer Journalist, versicherte, dass die SDF von Zwangsrekrutierungen absehen, um ihren Ruf als professionelle Streitmacht zu wahren. Die SDF vollziehen im Zusammenhang mit der Rekrutierung eine Identitäts- sowie eine Hintergrundüberprüfung durch die sogenannten "Komeen", die kleinste Verwaltungseinheit im DAANES kontrollierten Gebiet. Personen, die sich für die SDF bewerben, müssen ihren nationalen Personalausweis, Familiendokumente und ein lokales Ausweisdokument, das als "Shahadet at-Tarif" [arabisch Anm.] bzw. "Nasnameh" [kurdisch Anm.] bekannt ist und von der örtlichen Komeen ausgestellt wird, vorlegen (DIS 6.2024).
Die Übergangsregierung verfolgt eine zweigleisige Strategie, um die SDF zur Entwaffnung zu zwingen: Sie verhandelt aktiv mit den SDF und stimmt sich gleichzeitig mit der Türkei und der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army - SNA) ab. Sowohl die Türkei als auch die SNA bekämpfen die SDF aktiv in Nordsyrien (ISW 23.1.2025). Ein Treffen im Jänner 2025 zwischen dem syrischen Übergangspräsident Ahmad ash-Shara' und dem Kommandanten der SDF Mazloum 'Abdi sei 'Abdi zufolge positiv verlaufen. Sie hätten sich auf die großen Linien in Bezug auf die territoriale Integrität, die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Stabilität und die Aufrechterhaltung des Zusammenhalts der Institutionen im Allgemeinen geeinigt. Widersprüche gab es in Detailfragen. Zur Klärung eben dieser, wird ein militärisch-administrativer Ausschuss gebildet, um eine Einigung zu erzielen, die beide Seiten zufriedenstellt (Sharq 14.1.2025). Am 10.3.2025 unterzeichneten 'Abdi und Übergangspräsident ash-Shara' ein Abkommen über die Integration der SDF in die staatlichen Institutionen Syriens. Das Abkommen sieht vor, dass die SDF den syrischen Staat bei der Bekämpfung der Überbleibsel des Assad-Regimes und anderer Bedrohungen unterstützen (Arabiya 11.3.2025). In der Vereinbarung wurde ein Waffenstillstand auf allen syrischen Territorien und die Eingliederung aller zivilen und militärischen Einrichtungen im Nordosten Syriens in die Verwaltung des syrischen Staates, einschließlich der Grenzübergänge, des Flughafens und der Öl- und Gasfelder festgehalten. Das Abkommen soll bis Ende des Jahres 2025 umgesetzt werden (AJ 10.3.2025a).
Quellen: […]
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7 Folter und unmenschliche Behandlung, Haftbedingungen, willkürliche Verhaftungen, Verschwinden Lassen, etc. - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (8.12.2024)
[Derzeit liegen keine ausreichenden Informationen zum Thema Folter bzw. unmenschliche Behandlung der aktuellen syrischen Regierung vor. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Vor dem Sturz des Assad-Regimes am 8.12.2024 berichteten die UN über Folter und Hinrichtungen von Gefangenen, die von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) im Nordwesten festgehalten werden. Sie und einige Fraktionen der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) im Norden wenden in ihren Haftanstalten dieselben brutalen Foltermethoden an wie die Regierung (OHCHR 3.2.2025).
Im Jänner 2025 führte die Übergangsregierung Sicherheitskampagnen durch, wie Razzien und Festnahmen. Im Fokus standen dabei die Gouvernements Latakia, Homs und Damaskus. Gerichtet waren diese Kampagnen gegen Personen, denen Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen unter dem Assad-Regime vorgeworfen werden, insbesondere gegen ehemalige Militärangehörige und Regierungsangestellte. Ob diese Kampagnen auf gerichtlichen Anordnungen basierten, ist unklar. Das Syrian Network for Human Rights dokumentierte im Jänner 2025 229 Fälle von willkürlichen Verhaftungen, darunter drei Kinder und acht Frauen. Die Übergangsregierung war für 129 Verhaftungen verantwortlich, wobei 36 wieder entlassen wurden (SNHR 4.2.2025a). Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht), und nicht gegen Alawiten, denen Soldaten begegnen. Die HTS weigert sich, einem transparenten Rechtsverfahren zu folgen, bei dem diese Opfer eindeutig identifiziert und vor Gericht gestellt werden (MEI 21.1.2025). Hawar News, einer kurdischen Zeitung zufolge, haben vier Personen in einer Haftanstalt in Damaskus durch Folter ihr Leben verloren, nachdem sie bei Razzien in Homs festgenommen worden waren (ANHA 9.2.2025). Ende Jänner verstarb ein Mann, der wegen Unterstützung des Assad-Regimes verhaftet worden war, in Haft. Die syrischen Behörden kündigten an, eine Untersuchung wegen Misshandlung durch Sicherheitskräfte einzuleiten. Die Verantwortlichen wurden verhaftet und der Militärjustiz übergeben (AAA 2.2.2025).
Alle bewaffneten oppositionellen Gruppierungen und Gruppierungen der SNA führten willkürliche Festnahmen durch. Zu den Opfern gehörten Personen, die aus den von den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) kontrollierten Gebieten kommen, darunter auch Frauen. Die Festnahmen fanden ohne gerichtliche Anordnung oder Beteiligung der Polizei statt. Den Festgenommenen wurden keine klaren Angaben zu den gegen sie vorgebrachten Vorwürfen gemacht. Die SNA bzw. andere bewaffnete Gruppierungen waren für 41 willkürliche Verhaftungen verantwortlich, darunter sechs Frauen. Zwölf Personen wurden wieder freigelassen (SNHR 4.2.2025a).
Quellen: […]
7.1 Folter und unmenschliche Behandlung, Haftbedingungen, willkürliche Verhaftungen, etc. in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir, auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Gebiete unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) der UN dokumentierte seit 2020 Kriegsverbrechen durch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) gegen Gefangene in Gewahrsam in mehreren Einrichtungen, darunter das as-Sina'a Gefängnis in der Stadt al-Hasakah, Gefängnisse und provisorische Einrichtungen, die von den SDF oder den internen kurdischen Sicherheitskräften (Assayish) betrieben werden, sowie in den Lagern al-Hol und ar-Roj. Zu den Folterern gehörte auch der Militärnachrichtendienst der SDF (UNHRC 12.7.2023). Auch Amnesty International dokumentierte schwere Fälle von Folter an Frauen, Männern und Kindern in Gefängnissen in Nord- und Ostsyrien, die durch die SDF und die mit ihnen verbundenen Sicherheitskräfte geführt werden. Insbesondere im Sini-Gefängnis (eines von zwei Hauptgefängnissen mit Gefangenen, denen Zugehörigkeit zum Islamischen Staat (IS) vorgeworfen wird, lokalisiert in der Provinz al-Hasakah) sind die Gefangenen unerbittlicher Brutalität ausgesetzt, wie routinemäßiger körperlicher Misshandlung, Demütigung, Entzug von Nahrung, Wasser, medizinischer Versorgung und anderen Grundbedürfnissen (AI 2024). Die SDF folterten gemäß Syrian Network for Human Rights (SNHR) sieben Personen von Jänner bis Juni 2024 zu Tode, darunter ein Kind (SNHR 1.7.2024). Im Jahr 2023 kamen laut SNHR zehn Personen durch Folter durch die SDF zu Tode, darunter ein Kind (SNHR 1.1.2024). Zu den Opfern von Folter gehörten gemäß COI unter anderem Personen, die sich gegen die Regierung geäußert hatten, wie Aktivisten, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen oder Oppositionelle (UNHRC 12.7.2023).
Die Demokratische Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat in ihrem Gesellschaftsvertrag von 2023 in den Artikeln 56-58 festgehalten, dass jede Person das Recht auf ein faires Verfahren hat, Verhaftungen, das Betreten oder die Durchsuchung privater Orte oder Wohnhäuser nur mit richterlichem Beschluss oder bei Begehung der Straftat in flagranti und dass die Freiheit einer Person nicht ohne gültiges Rechtsdokument eingeschränkt werden darf (RIC 14.12.2023).
In den letzten Phasen des Kampfes gegen den Islamischen Staat (IS) im Nordosten Syriens Anfang 2019 gerieten Tausende syrische, irakische und andere ausländische Männer und Jungen in die Gewalt der SDF und wurden in Hafteinrichtungen der Sicherheitskräfte gebracht. Da diese Menschen nicht in bereits bestehenden Einrichtungen festgehalten werden konnten, hielten die SDF und die ihnen angeschlossenen Sicherheitskräfte mit Unterstützung und in Zusammenarbeit mit der von den USA geführten Koalition viele ältere Jungen und Männer in einer Reihe von provisorischen, behelfsmäßigen Hafteinrichtungen fest, die über den Nordosten Syriens verstreut waren. Im Laufe der Zeit wurde die Mehrheit dieser Personen in zwei Hafteinrichtungen zusammengefasst. Die erste ist die Hafteinrichtung Sini, die sich in der Nähe der Stadt ash-Shaddadi befindet. Im August 2023 waren dort etwa 800 Häftlinge inhaftiert. Die zweite ist die Hafteinrichtung Panorama, die von der US-geführten Koalition eigens in der Stadt al-Hasaka errichtet wurde und ein provisorisches Gefängnis am selben Ort ersetzte. Die überwältigende Mehrheit der in Sini und Panorama festgehaltenen Personen wurde nicht angeklagt und hatte keine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung anzufechten. In den übrigen Hafteinrichtungen der Sicherheitskräfte befinden sich etwa 900 Männer, Frauen und Kinder, die vor der territorialen Niederlage des IS verhaftet wurden, als sie beispielsweise vom IS kontrollierte Gebiete verließen, sowie danach bei laufenden Militäroperationen. Sie werden von den Sicherheitskräften zum Verhör festgehalten, bevor sie zur Verhandlung überstellt werden (AI 2024).
Vorwürfe der IS-Mitgliedschaft werden im Nordosten Syriens Amnesty International zufolge hauptsächlich für zwei Zwecke instrumentalisiert. Erstens nutzen die autonomen Behörden Vorwürfe der IS-Mitgliedschaft, um Menschen, die ihrer Meinung nach gegen sie sind, zum Schweigen zu bringen und einzuschüchtern. Zweitens nutzen sowohl die allgemeine Öffentlichkeit als auch die autonomen Behörden solche Vorwürfe, um sich im Zusammenhang mit persönlichen Fehden oder Clanstreitigkeiten zu rächen (AI 2024). Die SDF führten Großrazzien und Verhaftungskampagnen durch, die auf Zivilisten abzielten, denen eine Verbindung zum IS, zu den mit den SDF in Konflikt stehenden arabischen Stämmen oder der Syrian National Army (SNA) vorgeworfen wird. Daneben wurden auch Zivilisten verhaftet, die an Feierlichkeiten zum Sturz des Präsidenten al-Assad teilgenommen haben, und Personen, die das Vorgehen der SDF in den von ihr kontrollierten Gebieten kritisiert hatten. Von den SDF wurden 59 willkürliche Verhaftungen dokumentiert, darunter drei Kinder und zwei Frauen. 12 Personen wurden wieder freigelassen (SNHR 4.2.2025a). Da es keine Garantien für faire Gerichtsverfahren gibt, wie z. B. die Bereitstellung von Strafverteidigern und die systematische Anwendung von Folter, um Geständnisse zu erzwingen, kann die bloße Anschuldigung, mit dem IS in Verbindung zu stehen, zu jahrelanger willkürlicher Inhaftierung führen (AI 2024).
Amnesty International zufolge werden Männer, Frauen und Kinder in den von den SDF und den angegliederten Sicherheitskräften betriebenen Hafteinrichtungen willkürlich und auf unbestimmte Zeit festgehalten und verschwinden gewaltsam. Viele dieser Häftlinge werden unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und sind Folter oder anderen Misshandlungen ausgesetzt (AI 2024).
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8 Korruption - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 15:45
Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
[Derzeit liegen keine ausreichenden Informationen zum Thema Korruption der neuen syrischen Regierung vor. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Die Korruption im öffentlichen Sektor war unter dem Assad-Regime durch ein zunehmendes Maß an Klientelismus und Plünderung von Ressourcen gekennzeichnet. Die Institutionen wurden so verwaltet, dass sie den Interessen der politischen Eliten dienten, die mit dem Regime und seinen Kreisen verbunden waren, und das auf Kosten von Effizienz und Effektivität. Die geschäftsführende Regierung hat angekündigt, ein Paket von Reformen durchführen zu wollen (OSS 20.1.2025). Das Assad-Regime hat die Institutionen praktisch hohl zurückgelassen – voller Korruption, ohne Regularien, ohne qualifizierte Fachkräfte, ohne Ausstattung (NZZ 24.1.2025). Syriens geschäftsführende Regierung steht vor dem Dilemma der Nachlässigkeit in der Verwaltung und der Korruption, die sie vom vorherigen Regime geerbt hat (AAA 27.1.2025).
Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt gewährte die neue Regierung Tausenden von Angestellten drei Monate bezahlten Urlaub, bis ihr Status überprüft worden ist. Dies wurde als willkürliche Entlassung interpretiert, da dies mit einer Verzögerung bei der Auszahlung von Gehältern zusammenfiel, weil das notwendige Budget nicht zur Verfügung stand (AAA 27.1.2025).
Die neuen Machthaber in Syrien haben mit der Zerschlagung des Captagon-Handels begonnen und ehemalige Fabriken an Standorten wie dem Luftwaffenstützpunkt Mezzeh in Damaskus, einem Autohandelsunternehmen in Latakia und einer Fabrik, in der früher Snackchips hergestellt wurden, im Damaszener Vorort Douma demontiert (AJ 7.1.2025). Der interimistische syrische Premierminister versprach, dass der Drogenschmuggel und Captagon in Syrien keine Bedrohung mehr für Jordanien sein werde (REU 7.1.2025). Unter der Herrschaft von Al-Assad war Jordanien ein Hauptumschlagplatz für den Schmuggel von in Syrien hergestellten Captagon-Amphetaminen mit hohem Suchtpotenzial in die Golfstaaten, was zu Spannungen zwischen den beiden Ländern geführt hatte (AJ 7.1.2025).
Finanzminister Abazid sagte, dass die ehemaligen Rebellen seit ihrer Machtübernahme auf massive Korruption und Verschwendung gestoßen seien. Einige staatliche Unternehmen schienen unter al-Assad nur dazu da zu sein, Ressourcen zu veruntreuen, und würden geschlossen werden. Eine vorläufige Überprüfung der neuen Regierung zeigte, dass nur 900.000 von 1,3 Millionen Menschen auf der Gehaltsliste der Regierung tatsächlich zur Arbeit kommen. Mohammad Alskaf, Minister für Verwaltungsentwicklung, der die Personalstärke des öffentlichen Sektors überwacht, sagte gegenüber Reuters, dass der Staat zwischen 550.000 und 600.000 Mitarbeiter benötigen würde – weniger als die Hälfte der derzeitigen Zahl (REU 31.1.2025).
[Informationen zu Maßnahmen gegen Korruption, Menschenrechtsverletzungen etc. im gestürzten Assad-Regime finden sich im Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) Anm.]
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8.1 Korruption in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 14:40
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Im August 2023 brachen in der Demokratischen Autonomen Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und den Stammeskämpfern in Deir ez-Zour aus. Neben der Festnahme eines SDF-Kommandanten waren der Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) zufolge auch Missstände in der Selbstverwaltung, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Zwangsrekrutierung, unzureichende Lehrpläne und Korruption Auslöser dieser Unruhen (UNGA 9.2.2024). Auch USAID gab an, dass die Wahrnehmung von Korruption in der DAANES sowie die Einmischung der Kurdischen Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK) die Spannungen durch die Proteste weiter antrieben und die öffentliche Akzeptanz der SDF untergruben (USAID 13.8.2023).
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9 Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 15:46
[Derzeit liegen keine ausreichenden Informationen zum Wehrdienst oder der Rekrutierung bzw. zu Streitkräften der aktuellen syrischen Regierung vor. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 8.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen (AAA 10.12.2024). Aktivisten des Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) in Damaskus haben berichtet, dass Hunderte von Regimesoldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie darüber informiert wurden, dass sie entlassen wurden, da das Assad-Regime gestürzt war (SOHR 8.12.2024). Ca. 2.000 syrische Soldaten sind in den Irak geflohen. Einem Beamten aus dem Irak zufolge sollen 2.150 syrische Militärangehörige, darunter auch hochrangige Offiziere, wie Brigadegeneräle und Zollangestellte, in einem Lager in der Provinz al-Anbar untergebracht sein. Die Mehrheit soll nach Syrien zurückkehren wollen (AlMada 15.12.2024). Syrischen Medien zufolge verhandelte die syrische Übergangsregierung mit der irakischen Regierung über die Rückführung dieser Soldaten (ISW 16.12.2024). Am 19.12.2024 begannen die irakischen Behörden damit, die syrischen Soldaten nach Syrien auszuliefern (TNA 19.12.2024). Die Mehrheit der führenden Soldaten und Sicherheitskräften des Assad-Regimes sollen sich noch auf syrischem Territorium befinden, jedoch außerhalb von Damaskus (Stand 13.12.2024) (AAA 10.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (Harmoon 17.3.2025).
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b). Ahmed ash-Shara' hat versprochen, dass die neue Führung die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen wird. Was dies jedoch für die Fußsoldaten des ehemaligen Regimes bedeuten könnte oder wo die diesbezüglichen Grenzen gezogen werden, bleibt unklar (Guardian 13.1.2025). Die neue Übergangsregierung Syriens hat sogenannte "Versöhnungszentren" eingerichtet, sagte Abu Qasra, neuer syrischer Verteidigungsminister. Diese wurden bereits gut genutzt, auch von hochrangigen Personen, und die Nutzer erhielten vorübergehende Niederlassungskarten. Eine beträchtliche Anzahl habe auch ihre Waffen abgegeben (Al Majalla 24.1.2025). Der Hauptsitz des Geheimdienstes in Damaskus ist jetzt ein "Versöhnungszentrum", wo die neuen syrischen Behörden diejenigen, die dort gedient haben, auffordern, sich zu stellen und ihre Waffen im Geheimdienstgebäude abzugeben. Im Innenhof warten Menschenschlangen darauf, Zettel zu erhalten, die besagen, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben, während ehemalige Aufständische in neuen Uniformen im Militärstil die abgegebenen Pistolen, Gewehre und Munition untersuchen. Ehemalige Offiziere, die sich für die neue Regierung Syriens als nützlich erweisen könnten, beispielsweise, weil sie Informationen über Personen haben, die international gesucht werden, haben wenig zu befürchten, solange sie kooperieren (Guardian 13.1.2025). In diesen "Versöhnungszentren" erhielten die Soldaten einen Ausweis mit dem Vermerk "desertiert". Ihnen wurde mitgeteilt, dass man sie bezüglich ihrer Wiedereingliederung kontaktieren würde (Chatham 10.3.2025). [Weitere Informationen zu "Versöhnungszentren" finden sich auch in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Die Rolle der übergelaufenen syrischen Armeeoffiziere in der neuen Militärstruktur ist unklar. Während ihr Fachwissen beim Aufbau einer Berufsarmee von unschätzbarem Wert sein könnte, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich ihrer Marginalisierung innerhalb der neuen Machtstruktur (DNewsEgy 3.2.2025). Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den "Versöhnungszentren" in verschiedenen Städten aufgetaucht sind (BBC 29.12.2024). Ehemalige Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes, ca. 4.000 bis 5.000 Männer in Latakia und Tartus, haben sich diesen "Versöhnungsprozessen" entzogen. Einige von ihnen wurden im Rahmen einer landesweiten Kampagne mit täglichen Suchaktionen und gezielten Razzien gefasst, andere jedoch haben sich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung entschlossen (MEI 13.3.2025).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara' hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird. Dazu gehören Fragen in Bezug auf Brigaden, Divisionen und kleine Formationen sowie Fragen in Bezug auf die Art der Bewaffnung, ihre Form und die Art der Mission. (AlHurra 12.2.2025). [Details zur neuen syrischen Armee und der Entwaffnung bewaffneter Gruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) Anm.]
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara' an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).
Quellen: […]
9.1 Wehr- und Reservedienst in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 15:58
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. Uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Wehrdienst
Der Gesellschaftsvertrag von 2023 regelt in der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) in Abschnitt 5 die Selbstverteidigungspflicht. Artikel 111 besagt, dass Selbstverteidigung eine Garantie und Fortsetzung des Lebens, und basierend auf dem Recht und der Pflicht ist, die Existenz zu verteidigen. Sie erfordert die Einrichtung eines Selbstschutzsystems, das auf dem Bewusstsein der legitimen Selbstverteidigung und der organisierten demokratischen Gesellschaft in Nord- und Ostsyrien beruht. Einerseits gibt es die Community Protection Forces, die für den Schutz Nord- und Ostsyriens und die Gewährleistung des Schutzes von Leben und Eigentum der Bürger vor allen Angriffen und Besatzungen verantwortlich sind. Die Community Protection Forces werden unter Beteiligung aller Bürger organisiert. Selbstverteidigung ist ein Recht und eine Pflicht für jeden Bürger. Es ist die Pflicht organisierter ethnischer und religiöser Gruppen, sich wirksam am Selbstverteidigungssystem zu beteiligen, angefangen bei Stadtvierteln, Dörfern, Städten und allen Wohneinheiten. Anderseits erwähnt Artikel 111 auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF). Sie sind die legitimen Verteidigungskräfte in der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens. Sie nehmen den freiwilligen Beitritt der Söhne und Töchter des Volkes und die Pflicht zur Selbstverteidigung an. Ihre Aktivitäten werden vom Demokratischen Volksrat und der Verteidigungskommission überwacht. Sie organisieren sich autonom innerhalb des Demokratischen Konföderalen Systems Nord- und Ostsyrien und haben die Aufgabe, die DAANES und alle syrischen Gebiete zu verteidigen und sie vor jeglichen potenziellen Angriffen oder Gefahren von außen zu schützen (RIC 14.12.2023). Laut Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigung gelten Männer mit Vollendung des 18. Lebensjahres als wehrpflichtig und müssen den Selbstverteidigungsdienst bis zum vierzigsten Lebensjahr vollendet haben (Artikel 13). Wehrpflichtig ist jeder männliche Bewohner der Region Nord- und Ostsyrien, der das gesetzliche Alter für die Ausübung des Selbstverteidigungsdienstes erreicht hat, bzw. jeder, der seit mehr als drei Jahren dauerhaft in Nord- und Ostsyrien ansässig ist und die syrische Staatsangehörigkeit besitzt (Artikel 1) (AANES-GC 22.2.2024). Zwei Quellen, die vom Danish Immigration Service (DIS) befragt wurden, äußerten jedoch Zweifel an der konsequenten Einberufung von Personen von außerhalb der DAANES in allen Regionen (DIS 6.2024). Frauen in den von der Autonomen Verwaltung kontrollierten Gebieten können freiwillig Wehrdienst leisten (Enab 22.2.2024). Wladimir van Wilgenburg, Journalist und Autor, und ein Experte für syrische Kurden haben noch von keinem Fall gehört, in dem Frauen zwangsweise zur Selbstverteidigung eingezogen wurden (DIS 6.2024).
Das sogenannte Verteidigungsbüro des Exekutivrats der „Demokratischen Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien“ hat die für die Wehrpflicht erforderlichen Geburtsjahrgänge festgelegt, während die Verhaftungskampagnen gegen junge Menschen für die Einberufung in die Reihen der SDF weitergehen. Die Erklärung wurde vom Verteidigungsbüro der Autonomen Verwaltung an alle Verteidigungsbüros in der Region verteilt. Darin steht, dass wer zwischen dem 1.1.1998 und dem 31.12.2005 für den Dienst der Selbstverteidigung wehrpflichtig ist (Shaam 10.1.2024). Bereits vier Tage nach dem Erlass der Richtlinien, in der die Geburtsjahrgänge für die Selbstverteidigungspflicht bekannt gemacht wurden, nahmen die SDF eine Rekrutierungskampagne in al-Hasaka im Juni 2024 wieder auf, nachdem sie im Monat zuvor, am 8.5.2024 die Rekrutierungsprozesse eingestellt hatten (Enab 27.6.2024a). Anfang Juli 2024 wurden beispielsweise 240 Personen in den Provinzen Deir ez-Zour, al-Hasaka und ar-Raqqa gefangen genommen, um sie für den Militärdienst zu rekrutieren (SO 2.7.2024). Die Dienstzeit im Selbstverteidigungsdienst beträgt laut Artikel 2 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht zwölf volle Monate beginnend mit dem Datum der Einschreibung des Wehrpflichtigen (AANES-GC 22.2.2024).
2014 wurde die Zwangsrekrutierung von den Volksschutzeinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG), einer militärischen Säule der SDF, im Anschluss an das Dohuk-Abkommen, bei dem sich die kurdischen Parteien in der irakischen Stadt Dohuk getroffen hatten, um eine Einigung über die Verwaltung der Region zu erzielen, eingeführt (Enab 22.2.2024).
Araber und Kurden werden laut von ACCORD befragten Experten vor dem Gesetz gleichbehandelt. Fabrice Balanche erklärt jedoch, dass mehr Flexibilität gegenüber Arabern gezeigt werden würde, um einen Aufstand zu vermeiden. Arabische Stammesführer hätten lokal die Macht und würden für bestimmte junge Araber Ausnahmen und Aufschiebungen erwirken. Einem Syrienexperten zufolge seien die speziellen Konsequenzen für Araber von Region zu Region unterschiedlich. Nicht alle von den SDF kontrollierten Gebiete stünden unter derselben Art von Kontrolle. In den vornehmlich arabisch besiedelten Stammesregionen von Deir ez-Zour hätten die SDF beispielsweise nicht die Kapazität, eine direkte Rekrutierung wie in der Provinz al-Hasaka durchzusetzen. Anders als Balanche meint Muhsen Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, dass arabische Wehrdienstverweigerer bei der Festnahme anders behandelt werden und Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt sein könnten (ACCORD 6.9.2023). Quellen des Danish Immigration Service (DIS) zufolge ist DAANES bei der Umsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung in Gebieten mit überwiegend arabischer Bevölkerung vorsichtig. Ebenso werden Christen in der Praxis nicht der gleichen Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung unterworfen wie Kurden, so eine weitere Quelle. Daher nehmen christliche Jugendliche in der Regel nicht an der Selbstverteidigungspflicht teil, sondern treten stattdessen für drei Jahre der christlichen Polizeitruppe Sutoro bei. Dieser Dienst befreit sie von der Selbstverteidigungspflicht (DIS 6.2024).
Mehrere Quellen des DIS, darunter ein ehemaliger Rekrut, der seine Wehrpflicht vor zwei Jahren erfüllt hat, berichteten, dass der Selbstverteidigungsdienst mit einem grundlegenden theoretischen und praktischen militärischen Ausbildungsprogramm beginnt. Während des theoretischen Teils erhalten die Wehrpflichtigen Unterricht in allgemeiner Geschichte der Nationalen Streitkräfte sowie in Kultur und Ethik. Sie erhalten auch eine theoretische Einführung in militärische Themen, einschließlich militärischer Begriffe und Waffen. Im praktischen Teil des Ausbildungsprogramms absolvieren die Wehrpflichtigen ein körperliches Training und eine Waffenausbildung. Während der ersten Phase der Grundausbildung haben die Wehrpflichtigen keinen einzigen Tag frei. Nach Abschluss ihrer Ausbildung haben sie acht bis zehn Tage frei, bevor sie in ihren jeweiligen Einheiten und Aufgabenbereichen eingesetzt werden. Anschließend haben die Wehrpflichtigen für den Rest ihres Dienstes alle zehn Tage einen Tag frei. Nach der Ausbildungszeit, die bis zu zwei Monate dauert, werden die Wehrpflichtigen verschiedenen Aufgaben in unterschiedlichen Zentren oder Einheiten zugewiesen, wo sie für den Rest ihres Dienstes tätig sind. Die Ausbildung oder Qualifikationen der Wehrpflichtigen werden bei der Zuweisung ihrer Aufgaben oft berücksichtigt. So werden beispielsweise diejenigen mit einem besseren Bildungshintergrund und besseren Fähigkeiten Aufgaben in Büros oder Einrichtungen zugewiesen, die von ihren Fähigkeiten profitieren könnten. Wehrpflichtige mit niedrigem oder ohne Bildungshintergrund werden oft für Aufgaben im Zusammenhang mit der Bewachung oder dem Schutz öffentlicher Gebäude eingesetzt. Im Allgemeinen werden die Wehrpflichtigen nicht in Kampfsituationen eingesetzt. Es gab jedoch Fälle, in denen die Wehrpflichtigen in Kampfsituationen verwickelt waren, z. B. während der Schlacht um Afrin im Jahr 2018, bei schweren Kämpfen in Deir ez-Zour im Sommer 2023, bei den Kämpfen in Tell Abyad und bei Angriffen des Islamischen Staats (IS) auf das Gefängnis von al-Hasaka (2022), das hauptsächlich von Wehrpflichtigen bewacht wurde (DIS 6.2024).
Aufschub und Befreiung
Die Gesetzgebung erlaubt es Personen, die zur Selbstverteidigung verpflichtet sind, ihren Dienst aufzuschieben oder sich davon befreien zu lassen, je nach ihren individuellen Umständen. Diese Regeln, die unter anderem Ausnahmen aus medizinischen Gründen und Aufschübe für Studierende oder im Ausland lebende Personen vorsehen, werden von der DAANES aufrechterhalten und durchgesetzt. Einer Person, der eine Befreiung oder Entlassung von der Selbstverteidigungspflicht gewährt wurde, wird dies in ihrem Selbstverteidigungsheft vermerkt (DIS 6.2024). Das Gesetz Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht erlaubt es durch Artikel 16 Studierenden, wenn diese die erforderlichen Unterlagen vorlegen, ihre Einberufung jeweils für ein akademisches Jahr, beginnend mit 15. März jeden Jahres, aufzuschieben (AANES-GC 22.2.2024). Im September 2023 nahm die Selbstverwaltung im Nordosten Syriens Änderungen im Gesetz zur Selbstverteidigung vor. Die Änderungen legen eine bestimmte Altersgrenze für den Aufschub des Studiums fest, und zwar für jede einzelne Ausbildungsstufe. So kann ein Masterstudent den Dienst bis zum Alter von 32 Jahren aufschieben und hat kein Recht auf Aufschub nach diesem Alter, auch wenn er seine Studien oder einen weiteren Studienzweig noch nicht abgeschlossen hat. Ein neuer Artikel Nr. 30 wurde dem Gesetz hinzugefügt, der vorsieht, dass Ärzte und Apotheker, die ihr Studium abgeschlossen haben und sich zum Dienst auf dem Land verpflichten, ihren Wehrdienst um ein volles Jahr aufschieben können, sofern der Antragsteller das 30. Lebensjahr nicht überschritten hat. Bereits im Jahr 2018 wurde das Gesetz geändert, beispielsweise wurde ein Aufschub von Universitätsstudenten, des einzigen Kindes in der Familie, wie von Familien der Gefallenen und derjenigen, die Brüder in den Inneren Sicherheitskräften (Assayish) und der YPG haben (Enab 22.2.2024). Laut Artikel 17 wird Studenten, die einen Studienaufschub erhalten haben und das Alter für die Aufnahme des Studiums noch nicht erreicht haben, wie z. B. Studenten, die einen Studienaufschub erhalten haben, während sie noch 17 Jahre alt waren, dieses Jahr nicht als eines der Aufschubjahre gezählt. (AANES-GC 22.2.2024). Darüber hinaus stellte eine Quelle des Verteidigungsministeriums der DAANES klar, dass Studierende nicht an Bildungseinrichtungen innerhalb der DAANES eingeschrieben sein müssen, um für eine Aussetzung ihrer Selbstverteidigungspflicht infrage zu kommen. Sie können auch an Einrichtungen in von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten oder in den Nachbarländern Syriens, einschließlich der Türkei, des Irak, des Libanon und Jordaniens, eingeschrieben sein (DIS 6.2024).
Gemäß Artikel 25 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht wird Brüdern von Wehrpflichtigen derselben Mutter innerhalb der Selbstverteidigungspflicht, die den Ausbildungskurs abgeschlossen haben, ein Aufschub gewährt. Dieser Aufschub wird zweimal für jeweils sechs Monate gewährt. Artikel 26 regelt administrative Aufschübe. So kann, wer frisch von außerhalb Syriens zurückgekehrt ist, eine Aufschiebung für maximal sechs Monate bekommen. Der einzige Bruder eines Vermissten kann einen Aufschub für zwei Jahre bekommen. Geschwister, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und deren Eltern verstorben oder behindert sind, können ein Jahr aufschieben. Die genannten Aufschübe werden nach einer Überprüfung durch das Zentrum für Selbstverteidigungsaufgaben und der Genehmigung durch die Abteilung für Selbstverteidigungsaufgaben gewährt (AANES-GC 22.2.2024). Personen, die mindestens drei Jahre lang in einer Einrichtung oder Truppe unter dem DAANES gedient haben, können von der Selbstverteidigungspflicht befreit werden. Dies gilt für bezahlte, auf einem Vertrag basierende Dienste in jeder vom DAANES anerkannten Einrichtung, wie z. B. der Verkehrspolizei. Ehemalige Mitglieder der Internen Sicherheitskräfte (Assayish) oder der SDF sind vom Selbstverteidigungsdienst befreit, wenn sie bereits zwischen 2012 und 2015 mindestens zwei Jahre lang bei der Assayish oder der SDF gedient haben. Auch Personen, die derzeit drei bis fünf Jahre lang bei der Assayish oder der SDF dienen, können eine Befreiung beantragen. Junge Männer, die nicht dienen wollen, können alternative Wege in Betracht ziehen, um die Vorschriften des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht zu erfüllen. Eine Möglichkeit besteht darin, drei Jahre lang bei der Verkehrspolizei zu dienen, wodurch sie sich für eine Befreiung von ihrer Selbstverteidigungspflicht qualifizieren würden (DIS 6.2024).
Von der Pflicht zur Selbstverteidigung befreit sind laut Artikel 29 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungspflicht: Kinder und Geschwister von Märtyrern, die offiziell in den Registern der Märtyrer-Familien-Kommission eingetragen sind und eine Bescheinigung über das Märtyrertum besitzen, Personen mit besonderen Bedürfnissen und Patienten mit Krankheiten, die sie an der Ausübung ihrer Pflicht hindern, gemäß den medizinischen Berichten des militärmedizinischen Zentrums und der Genehmigung der Verteidigung in den autonomen und zivilen Verwaltungen, der einzige Sohn von Eltern oder eines Elternteils, unabhängig davon, ob beide leben oder tot sind, ein Findelkind, dessen Abstammung nicht bekannt ist. Alle männlichen Geschwister mit besonderen Bedürfnissen werden gemäß den Berichten des militärmedizinischen Zentrums als das einzige Geschwisterkind behandelt (AANES-GC 22.2.2024). Je nach Art der Erkrankung kann eine Person entweder von der Dienstpflicht befreit oder von ihr zurückgestellt werden. Medizinische Befreiungen werden bei körperlichen und psychischen Erkrankungen gewährt, die die betreffende Person daran hindern, der Selbstverteidigungspflicht nachzukommen. In solchen Fällen wird eine medizinische Untersuchung durchgeführt, um die Dienstfähigkeit der Person festzustellen. Gemäß Artikel 29 des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht können Personen mit besonderen Bedürfnissen und Patienten mit Krankheiten, die sie an der Erfüllung der Selbstverteidigungspflicht hindern, von der Pflicht befreit werden, wenn sie über einen genehmigten medizinischen Bericht des Militärmedizinischem Zentrums und die Genehmigung der Verteidigungsämter in Verwaltungs- und Zivilabteilungen verfügen. Ein syrischer Universitätsprofessor teilte dem Danish Immigration Service mit, dass die Regeln für medizinische Ausnahmen weiterhin von den DAANES-Behörden umgesetzt und eingehalten werden (DIS 6.2024).
Gemäß Artikel 27 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungsdienstpflicht müssen Einwohner und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis aus allen Ländern mit Ausnahme der Länder, die eine Landgrenze zu Syrien haben, eine jährliche Aufschubgebühr von 400 US-Dollar für jedes Jahr ab Inkrafttreten des Gesetzes zahlen (AANES-GC 22.2.2024). Die Stundung durch Zahlung dieser Gebühr kann insgesamt zweimal in Anspruch genommen werden. Einzelpersonen können sich innerhalb der DAANES frei bewegen, ohne nach Zahlung der Gebühr zur Selbstverteidigung eingezogen zu werden. Einzelpersonen aus den DAANES, die in den Nachbarländern Syriens leben, können eine Stundung aus Bildungsgründen erhalten, z. B. wenn sie an einer Bildungseinrichtung in der Türkei eingeschrieben sind (DIS 6.2024). Gemäß Artikel 36 des Gesetzes Nr. 1 über die Selbstverteidigungsdienstpflicht sind Personen nicht verpflichtet, den Selbstverteidigungsdienst zu leisten, wenn sie eine nicht-syrische Staatsbürgerschaft erhalten (AANES-GC 22.2.2024). Männer in der entsprechenden Altersgruppe, die Syrien verlassen haben, aber nach Überschreitung des Höchstalters für den Dienst zurückkehren, erhalten in der Regel Amnestie. Es kann jedoch eine Geldstrafe von bis zu 300 US-Dollar verhängt werden (DIS 6.2024).
Wehrpflichtverweigerer und Deserteure
Gemäß Artikel 15 des Gesetzes Nr. 1. über die Selbstverteidigungspflicht wird jeder säumige Soldat, der eingezogen wird, bestraft, indem er einen Monat auf das Ende seiner Dienstzeit angerechnet bekommt (AANES-GC 22.2.2024). Dass die Bestrafung mit einem zusätzlichen Monat auch in der Praxis so gehandhabt wird, bestätigten die von der Danish Immigration Service befragten Quellen. Die Namen der Wehrdienstverweigerer werden veröffentlicht und an Checkpoints weitergegeben. Dort wird nach ihnen gesucht, nicht aber in ihren Wohnhäusern (DIS 6.2024). Diejenigen, die auf frischer Tat beim illegalen Überschreiten der Grenze ertappt werden, werden direkt in das Ausbildungszentrum gebracht, um ihre Pflicht zur Selbstverteidigung zu erfüllen, besagt Artikel 28 im Gesetz Nr. 1 zur Selbstverteidigungspflicht (AANES-GC 22.2.2024). Gemäß Quellen des Danish Immigration Service (DIS) werden Wehrdienstverweigerer, wenn sie an Checkpoints aufgegriffen werden, vorübergehend festgenommen und zur Ableistung ihres Dienstes geschickt. Die Familie des Betroffenen wird über seine Festnahme und Einberufung informiert. Den Quellen des DIS waren keine Fälle von Gewalt oder Misshandlung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren bekannt, die an Kontrollpunkten gefasst wurden. Das Leben ist für diejenigen, die sich der Selbstverteidigungspflicht in den Nationalen Sicherheitskräften entziehen, eine Herausforderung, da viele junge Männer Kontrollpunkte meiden und auf Fluchtmöglichkeiten warten. Quellen berichteten von Entflohenen, die sich jahrelang versteckt hielten. In arabisch dominierten Gebieten kann die Flucht länger andauern, da die Behörden vorsichtig vorgehen, um keine Spannungen zu provozieren, indem sie diejenigen suchen und verhaften, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind (DIS 6.2024). Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, schreibt in einer E-Mail an ACCORD vom September 2023, dass alle Wehrdienstverweigerer unter die Bestimmungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht fallen würden und dem Gesetz entsprechend behandelt würden. Die Assayish würden den Wohnort von zum Dienst gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleiben, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft. Ein von ACCORD kontaktierter Syrienexperte gibt in einer E-Mail-Auskunft vom August 2023 an, dass die Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften vom Profil des Wehrpflichtigen und der Region, aus der er stamme, abhingen. Je strenger die kurdische Kontrolle, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass Rekruten nicht das Risiko eingehen würden, offen Einwände gegen den Selbstverteidigungsdienst zu zeigen. In al-Hasaka beispielsweise könnten Personen im dienstfähigen Alter verhaftet und zum Dienst gezwungen werden (ACCORD 6.9.2023).
Die SDF definieren einen Deserteur im Selbstverteidigungsgesetz als einen Kämpfer, der nach seinem Eintritt 15 aufeinanderfolgende Tage des Dienstes versäumt hat, während die volle Dienstzeit zwölf Monate beträgt (Enab 22.2.2024). Laut zwei vom DIS befragten Quellen werden Deserteure zwar nicht zusätzlich bestraft, aber es werden Ermittlungen zu ihren Motiven für die Desertion durchgeführt. Deserteure entscheiden sich oft dafür, die Region aus Angst vor möglichen Konsequenzen zu verlassen, obwohl die Einzelheiten dieser Konsequenzen unklar bleiben. Sowohl für Wehrdienstverweigerer als auch für Deserteure werden regelmäßig Amnestien angekündigt, vorausgesetzt, sie melden sich zum Wehrdienst und leisten ihn ab. Die jüngste Amnestie wurde Anfang Mai 2024 erlassen. Junge Menschen kommen ihren Verpflichtungen zur Selbstverteidigung in der Regel umgehend nach, wenn in der DAANES eine stabile Sicherheitslage herrscht, während sie sich bei anhaltenden externen Sicherheitsbedrohungen aktiv um eine Dienstverweigerung bemühen können (DIS 6.2024).
Familienangehörige von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren werden nicht bestraft. Den Quellen des DIS waren keine Fälle bekannt, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren aufgrund der Wehrdienstverweigerung oder Desertion ihrer Verwandten Schikanen oder anderen Verstößen ausgesetzt waren, selbst in Fällen, in denen der Wehrdienstverweigerer an einem Checkpoint festgenommen wurden (DIS 6.2024).
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10 Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Informationen zur Menschenrechtslage in Syrien sind derzeit schwer zu überblicken und teils sehr widersprüchlich. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Menschenrechtslage ist von Falschinformationen besonders betroffen. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Human Rights Watch konstatiert, dass nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen in Syrien, darunter Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und Gruppierungen der Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army - SNA), die am 27.11.2024 die Offensive starteten, die nach zwölf Tagen die syrische Regierung stürzte, im Jahr 2024 für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich waren (HRW 16.1.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) befürchtet eine Rückkehr zu einer "dunklen Ära", weil die Verhaftungen und Hinrichtungen angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage zunehmen (SOHR 2.2.2025). Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) dokumentierte im Jänner 2025 129 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch die Übergangsregierung (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 21 Fälle (SNHR 3.3.2025).
Der Übergang von dem Regime unter Bashar al-Assad zur Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) soll relativ reibungslos verlaufen sein. Berichte über Vergeltungsmaßnahmen, Rachemorde und religiös motivierte Gewalttaten waren minimal. Plünderungen und Zerstörungen konnten schnell unter Kontrolle gebracht werden, die aufständischen Kämpfer wurden diszipliniert (AP 15.12.2024b). Es gab keine größeren Massaker oder Rachekampagnen (DW 12.12.2024).
Seit die Rebellengruppierungen am 5.12.2024 die Kontrolle über das Gouvernement Hama übernommen haben, hat das Syrian Network for Human Rights (SNHR) eine Reihe von Verstößen dokumentiert, darunter außergerichtliche Tötungen, Zerstörung von Häusern und Angriffe auf öffentliches und privates Eigentum (SNHR 19.12.2024). Mitte Jänner 2025 nahm die Welle von Selbstjustiz-Angriffen auf ehemalige Mitarbeiter des Regimes zu. Menschen wurden zu Opfern von Attentaten und Ausschreitungen des Mobs. Während einige der Betroffenen Personen sind, deren Beteiligung an den Misshandlungen der Zivilbevölkerung durch das Regime nach 2011 gut dokumentiert ist, waren an anderen Vorfällen kürzlich versöhnte ehemalige Mitglieder des Regimes, Wehrpflichtige mit niedrigem Rang und scheinbar zufällig ausgewählte junge Männer aus der Gemeinschaft der Alawiten betroffen (Etana 17.1.2025). Es werden Rachemorde durch bewaffnete Gruppierungen durchgeführt, von denen einige behaupten, dass diese mit der Abteilung für militärische Operationen verbunden wären [Informationen zur militärischen Operationsabteilung finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)]. Sie zielen aus politischen bzw. konfessionellen Motiven auf Zivilisten ab (SOHR 26.1.2025). Die Provinzen Hama und Homs waren von diesen Entwicklungen am stärksten betroffen, da sie zum Schauplatz häufiger Konfrontationen wurden. In den Küstengebieten wie Latakia und Tartus kam es zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage und zu einer Zunahme an Morden und Hinrichtungen [Diese Provinzen stellten das Kernland des Assad-Regimes dar und wurden in den Bürgerkriegsjahren weitgehend von Kampfhandlungen verschont. Anm.]. Am 11.1.2025 zählte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) seit 8.12.2024 80 Fälle von Tötungen, darunter Hinrichtungen vor Ort, bei denen 157 Menschen getötet wurden, unter den Getöteten waren Frauen und Kinder (SOHR 11.1.2025). Insbesondere in den Regionen Hama und Homs, sowie in den Küstengebieten Latakia und Tartus kam es zu willkürlichen Tötungen und Hinrichtungen vor Ort (SOHR 3.1.2025). Nach Berichten von lokalen Aktivisten und Augenzeugen war die Gruppierung Ansar at-Tawhid [Informationen zu dieser Gruppierung sind dem Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen. Anm.] an einem großen Teil dieser Verstöße beteiligt, zusätzlich zu anderen Gruppierungen, die nicht genau identifiziert werden konnten (SNHR 19.12.2024). Mindestens 124 Menschen wurden bei einer Reihe von gewalttätigen Zwischenfällen zwischen 8.12.2024 und 8.1.2025 getötet, darunter bei Racheakten, Vandalismus, Morden und Hinrichtungen in den Provinzen Homs und Hama sowie in den syrischen Küstenstädten. Berichten zufolge wurde ein erheblicher Teil der Gewalt durch die Verbreitung von Videos mit Falschmeldungen in den sozialen Medien ausgelöst, deren Ziel es war, die sektiererischen Spannungen zu verschärfen (MAITIC 9.1.2025). Wegen eines unbestätigten Angriffs auf einen alawitischen Schrein wurde im Dezember 2024 eine Welle von Protesten unter der alawitischen Gemeinschaft in Homs, Latakia, Tartus und Teilen von Damaskus ausgelöst. Die Proteste führten zu Militäroperationen des neuen syrischen Sicherheitsapparats, um ehemalige Kämpfer des Regimes zu vertreiben (AlMon 11.1.2025). Dem Middle East Institute zufolge ist eines der dringendsten Probleme nicht sektiererisch motivierte Angriffe [Informationen zu Übergriffen auf Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024).], sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben. Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht), und nicht gegen irgendwelche Alawiten, denen die Soldaten zufällig begegnen. Die Fälle, die die größte Angst geschürt haben, sind die Entführungen und Hinrichtungen von ehemaligen Mitgliedern des Regimes (MEI 21.1.2025). France 24 zufolge zeigen Berichte und Videos in den sozialen Medien in Syrien, dass Vergeltungsmorde begonnen haben (FR24 13.12.2024). Es kursierten Bilder von Regierungsbeamten des ehemaligen Regimes, die unter Gewaltanwendung durch die Straßen geschleift wurden (PBS 16.12.2024). Seit der Machtübernahme durch die neue Regierung haben die Sicherheitsbehörden eine Reihe von Sicherheitskampagnen durchgeführt, die darauf abzielen, die „Überbleibsel des früheren Regimes“ zu verfolgen. Hunderte von Menschen, die ihren Status bei den neuen Behörden nicht geregelt haben, wurden verhaftet. Anwohner und Organisationen haben von Misshandlungen berichtet, darunter die Beschlagnahmung von Häusern und Hinrichtungen vor Ort (AAA 2.2.2025). Bei einer Sicherheitskampagne in Homs gegen Regimeunterstützer im Jänner 2025 kam es zur Festnahme einer Reihe von Männern, darunter auch Zivilisten, denen Verstöße im Zusammenhang mit der inoffiziellen Beschlagnahme von Fahrzeugen nachgewiesen wurden. Die meisten Elemente der Abteilung für Militärische Operationen waren diszipliniert, mit Ausnahme einiger von offizieller Seite als Einzelfälle bezeichneten Vorfällen, wie das Zerbrechen von Musikinstrumenten und Wasserpfeifen sowie von Flaschen mit alkoholischen Getränken und die Beschädigung des Inhalts einiger Häuser. Einige Häftlinge wurden zu erniedrigenden Handlungen gezwungen, wie dem Imitieren von Tiergeräuschen, und sie wurden beleidigt und mit sektiererischen Phrasen beschimpft (Enab 6.1.2025). Auch in Damaskus kam es am 8.1.2025 zu Razzien durch die neuen Sicherheitsbehörden. Sie folgten auf eine dreiwöchige Kampagne im alawitischen Kernland an der Küste (National 8.1.2025). Die Civil Peace Group, eine zivilgesellschaftliche Gruppe, stellte den Tod von zehn Personen, die bei Sicherheitskampagnen und Razzien festgenommen worden waren, in den Gefängnissen der Abteilung für Militärische Operationen im Zeitraum vom 28.1 bis 1.2.2025 in verschiedenen Teilen von Homs fest (AAA 2.2.2025). Lokale bewaffnete Gruppen, die unter dem Kommando der Abteilung für Militärische Operationen operieren, führten Racheaktionen, schwere Übergriffe und willkürliche Verhaftungen durch, wobei sie Dutzende von Menschen ins Visier nahmen, sie demütigten und erniedrigten sowie religiöse Symbole angriffen (SOHR 28.1.2025). Die neue Regierung reagierte auf die Vorwürfe von Menschenrechtsaktivisten mit Festnahmen von Dutzenden Mitgliedern örtlicher bewaffneter Gruppen, die unter der Kontrolle der neuen Machthaber stünden, wegen ihrer Beteiligung an den "Sicherheitseinsätzen" in der Region Homs (Spiegel 27.1.2025). Zuvor hatten die neuen Machthaber Mitglieder einer "kriminellen Gruppe" beschuldigt, sich während eines Sicherheitseinsatzes als "Angehörige der Sicherheitsdienste" ausgegeben zu haben (Zeit Online 27.1.2025). Ein Überfall auf eine syrische Sicherheitspatrouille durch militante Anhänger des gestürzten Staatschefs Bashar al-Assad eskalierte am 6.3.2025 zu Zusammenstößen, bei denen innerhalb von vier Tagen mehr als 1.000 Menschen getötet wurden (SOHR 10.3.2025a). Bewaffnete Männer, die der syrischen Regierung treu ergeben sind, führten Hinrichtungen vor Ort durch und sprachen von einer Säuberung des Landes, wie Augenzeugen und Videos belegen. Sie lieferten ein grausames Bild eines harten Vorgehens gegen die Überreste des ehemaligen Assad-Regimes, das in gemeinschaftliche Morde ausartete (CNN 9.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren von der Türkei unterstützte Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Baniyas, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025). Mitglieder des Verteidigungsministeriums und die sie unterstützenden Kräfte haben Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Insgesamt wurden 1.093 Todesopfer verzeichnet (SOHR 11.3.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 9.3.2025a). Des Weiteren gibt er an, dass in einigen Gebieten Zivilisten abgeschlachtet wurden, während andere durch Erschießungskommandos hingerichtet wurden (AlHurra 9.3.2025), wie in den Stadtvierteln Baniyas und al-Qusour im Gouvernement Tartus, wo 92 Bürger durch ein Erschießungskommando des Ministeriums für Verteidigung und innere Sicherheit hingerichtet wurden (SOHR 10.3.2025e). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.3.2025). In den Städten im Gebiet zwischen Baniyas und Qadmous kam es zu Massentötungen, darunter auch von Kindern und älteren Menschen (AlHurra 9.3.2025). Zehntausende Häuser wurden laut Aussage des Leiters der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) geplündert und niedergebrannt (Sky News 9.3.2025a). [Details zu den Vorfällen finden sich im Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024). Hintergrundinformationen zu den Tätergruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)] Der UN-Sondergesandte Geir Pedersen sprach über Berichte von Menschen, die im Kreuzfeuer getötet wurden, und schwere Misshandlungen in der Haft. Pedersen prangerte Entführungen, Plünderungen, Beschlagnahmungen von Eigentum und Zwangsräumungen von Familien aus staatlichen Wohnungen an. Er forderte alle bewaffneten Akteure dazu auf, diese Art von Aktionen zu stoppen, ihre Zusicherungen mit konkreten Maßnahmen zu untermauern, und an einem umfassenden Rahmen für eine Übergangsjustiz zu arbeiten (AJ 13.2.2025b).
Der Exekutivdirektor der Organisation Christians for Democracy, stimmt der Rechtfertigung der neuen syrischen Regierung zu, dass das, was geschieht, nicht die Politik der Übergangsregierung widerspiegelt. Er hat die Verstöße in zwei Kategorien eingeteilt: Verbrechen und Übergriffe, die von Einzelpersonen mit der Absicht begangen werden, sich an bestimmten Personen oder an denen, die mit dem früheren Regime kollaboriert haben, zu rächen, und Übergriffe, die von einigen extremistischen Gruppierungen begangen werden, die mit der von der neuen Regierung in Damaskus beschlossenen Politik nicht einverstanden sind. Die Übergangsregierung zieht diejenigen zur Rechenschaft, die nachweislich an Übergriffen gegen Zivilisten beteiligt waren (SOHR 2.2.2025).
Die syrische Übergangsregierung unter ash-Shara' hat zugesagt, dass die Verantwortlichen für Gewalttaten gegen Syrer durch das gestürzte Assad-Regime zur Rechenschaft gezogen werden. Der Weg dorthin ist jedoch schwierig, da die Zahl der Opfer nicht genau bekannt ist und die Täter noch nicht identifiziert werden konnten (BBC 13.12.2024). Die HTS möchte die an staatlicher Folter beteiligten Ex-Offiziere auflisten und sie als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen. Dafür setzte sie sogar eine Belohnung aus, für Informationen über ranghohe Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren (FAZ 10.12.2024). [Details zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen etc. unter dem Assad-Regime finden sich im Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Die von der Türkei unterstützten Gruppierungen plünderten nach der Eroberung von Manbij das Eigentum von kurdischen Bürgern und führten identitätsbezogene Tötungen durch. Sie führten Racheaktionen durch, brannten Häuser nieder und demütigten Kurden (SOHR 9.12.2024; vgl. ISW 16.12.2024). Eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch erklärte, dass die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) und die türkischen Streitkräfte ein klares und beunruhigendes Muster rechtswidriger Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte gezeigt haben und diese sogar zu feiern scheinen. Die türkischen Streitkräfte und die SNA haben eine schlechte Menschenrechtsbilanz in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens. Human Rights Watch hat festgestellt, dass SNA-Gruppierungen und andere Gruppierungen, darunter Mitglieder der türkischen Streitkräfte und Geheimdienste, Menschen, darunter auch Kinder, entführt, rechtswidrig festgenommen und inhaftiert haben, sexuelle Gewalt und Folter mit geringer Rechenschaftspflicht begangen haben und sich an Plünderungen, Diebstahl von Land und Wohnraum sowie Erpressung beteiligt haben (HRW 30.1.2025). In den letzten Jahren sollen SNA-Kämpfer schwere Menschenrechtsverletzungen gegen kurdische Gemeinden in 'Afrin und im Umland von Aleppo begangen haben. Sie wurden beschuldigt, willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt, Entführungen und Folter begangen zu haben. Während der Offensive "Abschreckung der Aggression" hat HTS mehrere Kämpfer von SNA-Gruppen nördlich von Aleppo im Stadtviertel Sheikh Maqsoud festgenommen und sie beschuldigt, kurdische Zivilisten ausgeraubt und verletzt zu haben, so ein Experte (MEE 7.12.2024). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic berichtete weiterhin von Verhaftungen, Gewalt und finanzieller Erpressung durch die Militärpolizei der Syrischen Nationalarmee (SNA) und bestimmter Gruppierungen, insbesondere der Sultan-Suleiman-Shah Division und der Sultan-Murad-Division (UNHRC 12.8.2024) [Weitere Informationen zu den Gruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)]. SNHR dokumentierte im Jänner 2025 41 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch Gruppierungen der SNA (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 34 Fälle, darunter eine Frau (SNHR 3.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren es auch zwei von der Türkei unterstütze Gruppierungen, die Anfang März 2025 an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banyas, Tartus und Latakia beteiligt waren, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025). [Details zu diesen Vorfällen sind dem Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Nach al-Assads Sturz am 8.12.2024 sind einem französisch-syrischen Schriftsteller sowie syrischen Künstlern zufolge neue Formen der Zensur entstanden. Die Äußerung von nicht-islamischen Überzeugungen ist in Syrien zu einer ernsthaften Herausforderung geworden. Die syrischen Behörden haben ein neues Gesetz erlassen, das eine einjährige Gefängnisstrafe für jeden vorsieht, der das „Verbrechen der Gotteslästerung“ begeht. Die Angst vor Meinungsäußerung ist im öffentlichen Raum immer noch spürbar. Wenn Themen wie romantische Beziehungen, Säkularismus, Meinungsfreiheit und vor allem Religion diskutiert werden, vergewissern sich die Sprecher, ob kein HTS-Mitglied in der Nähe ist (MC Dawliya 29.1.2025). Am 26.12.2024 erließ das Informationsministerium ein Verbot der Veröffentlichung oder Verbreitung „jeglicher Inhalte oder Informationen mit sektiererischem Charakter, die darauf abzielen, Spaltung und Diskriminierung zu fördern“ (FR24 26.12.2024b).
Quellen: […]
10.1 Allgemeine Menschenrechtslage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 14:37
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Teile der Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) sollen sich an Menschenrechtsverletzungen beteiligt haben, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlung, ungerechtfertigte Inhaftierungen, Rekrutierung oder Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF untersuchten einige Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte und verhängten Strafen gegen einige Mitglieder wegen Menschenrechtsverletzungen, aber es lagen keine Statistiken vor. Die SDF und andere Oppositionsgruppen belegten Menschenrechtsorganisationen gelegentlich mit Einschränkungen oder schikanierten einzelne Aktivisten. In einigen Fällen wurden sie sogar inhaftiert (USDOS 22.4.2024). Die inneren Sicherheitskräfte (Assayish) und die Anti-Terror-Einheiten (Yekîneyên Antî Teror - YAT), die beide der DAANES angehören, haben an zahlreichen Orten im Nordosten willkürliche Verhaftungen vorgenommen (FES 1.4.2024).
Im Oktober 2023 begann die Türkei mit über Monate anhaltenden Luftangriffen in Nord-Ostsyrien als Vergeltung für einen Terroranschlag in Ankara, der durch die Kurdische Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK) begangen worden sein soll. Dabei wurde zivile Infrastruktur zerstört und Zivilisten getötet. Mehr als eine Million Menschen waren in der Folge ohne Wasserzugang (NH 21.2.2024).
Religionsfreiheit
Das Recht auf Glaubensfreiheit ist in der Demokratischen Autonomen Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) im Gesellschaftsvertrag festgeschrieben. Artikel 40 legt fest, dass jeder Mensch Glaubens-, Gewissens-, Gedanken- und Meinungsfreiheit hat. Im Artikel 49 wird festgehalten, dass niemand diskriminiert, beleidigt oder ausgeschlossen werden darf aufgrund von Unterschieden in Hautfarbe, Geschlecht, Rasse, Religion, Glaube oder Konfession. Die jesidische Religion ist im Gesellschaftsvertrag in einem eigenen Artikel als unabhängige Religion deklariert (RIC 14.12.2023). Des Weiteren gibt die Vertretung der DAANES in Deutschland auf ihrer Homepage an, dass die DAANES den religiösen, kulturellen und ethnischen Pluralismus durch politische und kulturelle Rechte schützen würde, und führt als Beispiele den speziellen Schutz für christliches Eigentum an, damit Christen nach dem Sieg über den Islamischen Staat (IS) in die Region zurückkehren können (DAANES DEU o.D.).
Die SDF führten Missionen zur Lokalisierung und Rettung von jesidischen Frauen und Mädchen durch, die der IS im Rahmen seines Völkermords von 2014 aus dem Irak entführt hatte. Fast 2.700 Frauen und Mädchen blieben vermisst, wobei eine unbekannte Zahl vermutlich noch in syrischen Gefangenenlagern und IS-Enklaven festgehalten wird (USCIRF 1.5.2024).
Die Behörden der DAANES haben den assyrischen Schulen aufgetragen, die von ihr erarbeiteten Lehrpläne zu verwenden, und drohte ihnen mit Schließung, sollten sie dem nicht nachkommen. Die Schulen verwenden die Lehrpläne der syrischen Regierung, weil jene der DAANES außerhalb der von ihr kontrollierten Zone nicht anerkannt werden (STJ 3.2023; vgl. Orient Net 8.11.2022).
Meinungs-, Presse-, Versammlungs-, Organisationsfreiheit
Die Grundrechte, wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind im Gesellschaftsvertrag der Demokratischen Autonomen Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) festgeschrieben. Artikel 44 regelt, dass alle Menschen und Gemeinschaften das Recht haben, sich zu organisieren und frei zu äußern. In den Artikeln 64 und 65 sind das Recht auf Gewerkschaftsbildung und Pressefreiheit festgeschrieben (RIC 14.12.2023).
Die Bertelsmann-Stiftung sieht eine Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit in der DAANES, nachdem im März 2022 alle Journalisten der Union of Free Media (Yekîtiya Ragihandina Azad - YRA) beitreten mussten, um weiter ihrer Arbeit nachgehen zu dürfen (BS 19.3.2024). Der Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) zufolge sind Journalistinnen und insbesondere Journalisten in der DAANES Restriktionen, wie Inhaftierung ausgesetzt (UNGA 9.2.2024). Lokale Medien berichteten, dass DAANES und die Syrian Democratic Forces (SDF) Journalisten unter dem Vorwand, gegen Gesetze zu verstoßen oder von den SDF als verboten eingestufte Medienkanäle zu unterstützen, verhafteten, vom Dienst suspendierten und journalistische Aufträge nicht verlängerten. Aktivisten behaupteten, dass DAANES, obwohl das Mediengesetz von DAANES Strafen von einer Verwarnung bis hin zu einer Geldstrafe und einer einwöchigen Suspendierung vorsah, Journalisten für bis zu zwei Jahre suspendierte und Sendern die Lizenzen dauerhaft entzog (USDOS 22.4.2024). Im Februar 2022 suspendierten die von der Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat - PYD) geführten De-facto-Behörden im Nordosten Syriens die Lizenz der Mediengruppe Rudaw, einem in Irakisch-Kurdistan ansässigen Medium, und beschuldigten sie der Fehlinformation und Anstachelung. Mitte März begannen dieselben Behörden von Journalisten zu verlangen, der Union of Free Media beizutreten, die unter dem Einfluss der lokalen Verwaltung steht (FH 2024).
Die autonomen Behörden der DAANES instrumentalisieren Amnesty International zufolge Vorwürfe der Mitgliedschaft beim Islamischen Staat (IS) und nutzen diese, um Menschen, die sie als Gegner ansehen, zum Schweigen zu bringen und einzuschüchtern (AI 2024).
Im von der DAANES kontrollierten Nordosten Syriens kam es 2022 in einigen Sektoren zu Streiks und Protesten aufgrund von niedrigen Löhnen, insbesondere im Bildungswesen (FES 1.4.2024). Laut Menschenrechtsaktivisten und Presseberichten unterdrückten die SDF die Versammlungsfreiheit in Gebieten unter ihrem Einfluss (USDOS 22.4.2024).
Die meisten Verbände und Gewerkschaften im von der DAANES kontrollierten Nordosten Syriens sind der Demokratischen Bewegung der Zivilgesellschaft (Tevgera Civaka Demokratîk - TEV-DEM) angeschlossen, die im Juli 2011 offiziell gegründet wurde und sich aus rund 27 Organisationen, Gewerkschaften, feministischen Organisationen, Genossenschaften und Vereinen zusammensetzt. Die Gewerkschaften, die in den von der DAANES kontrollierten Gebieten aktiv sind, wurden im Allgemeinen nach dem Rückzug des syrischen Regimes aus den Gebieten im Nordosten Syriens und der Ersetzung durch die Volksschutzeinheiten (Yekîneyên Parastina Gel - YPG) sowie anschließend durch die DAANES gegründet. Dazu gehören unter anderem die Gewerkschaft der Freien Medien (Yekîtiya Ragihandina Azad - YRA), die Gewerkschaft der Werktätigen, die Union Freier Syrischer Ärzte oder die Gewerkschaft der Apotheker. Große Teile dieser Gewerkschaften in der DAANES sind offiziell unabhängig und haben gewählte Vorstände. Jedoch sind diese Führungen alle Mitglieder der PYD oder mit deren Einflusssphären verbunden. Die DAANES-Behörden verhängten Beschränkungen und repressive Maßnahmen gegen zivilgesellschaftliche Akteure und Gewerkschaften, die nicht zu den PYD-Netzwerken gehören, auch wenn diese weniger stark ausfielen als in anderen Gebieten Syriens. Die Einschränkungen betrafen unter anderem die Meinungsfreiheit und die Möglichkeit, sich zu organisieren. So verlangten die DAANES-Beamten beispielsweise von Journalisten, die über den Nordosten des Landes berichteten, dass sie der Union Freier Medien beitreten, um Presseausweise zu erhalten (FES 1.4.2024).
Quellen: […]
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11 Todesstrafe - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 16:01
[Es liegen derzeit keine ausreichenden Informationen zur Todesstrafe in Syrien vor. Die Judikatur in Bezug auf Todesstrafe ist nicht bekannt bzw. noch nicht erlassen. Zu vollstreckten Todesurteilen gibt es ebenfalls nur wenige Quellen, was nicht zuletzt der derzeit undurchsichtigen Lage geschuldet ist. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
[Informationen zur aktuellen Rechtslage finden sich im Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights - SOHR) dokumentierte seit 8.12.2024 60 Morde, darunter Hinrichtungen vor Ort, bei denen 112 Menschen, darunter Frauen und Kinder getötet wurden (SOHR 3.1.2025). Berichten und unbestätigten Videos zufolge sollen die neuen Sicherheitskräfte einen Informanten des gestürzten Präsidenten öffentlich durch einen Schuss in den Kopf erschossen haben (Arabiya 10.1.2025). [Weitere Informationen zur Menschenrechtslage finden sich im Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024)]
Quellen: […]
11.1 Todesstrafe in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 14:41
Im Gesellschaftsvertrag der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) von 2023 ist im Artikel 38 das Recht auf Leben festgehalten, sowie dass die Todesstrafe verboten ist (RIC 14.12.2023). In der Charta des Sozialjustizsystems 2019 der Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens erkannten die autonomen Behörden bereits die Anwendbarkeit des Völkerrechts an, verpflichteten sich, an die Menschenrechtsgesetze gebunden zu sein, und schafften die Todesstrafe ab (AI 2024).
Quellen: […]
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12 Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Im Folgenden wird der aktuelle Informationsstand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Die sunnitischen Muslime machen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes aus. Obwohl die offiziellen Bevölkerungsstatistiken keine Angaben zu Religion oder ethnischer Zugehörigkeit enthalten, sind laut dem Bericht des US-Außenministeriums über Religionsfreiheit aus dem Jahr 2022 74 % der Bevölkerung Sunniten, mit einer vielfältigen ethnischen Mischung aus mehrheitlich Arabern, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und einigen Turkmenen. Sunniten sind in den meisten syrischen Städten und Dörfern vertreten, mit bemerkenswerten Konzentrationen in Damaskus, Aleppo und Homs. Neben den Sunniten gibt es weitere islamische Gruppen, darunter Alawiten, Ismailiten und andere schiitische Sekten, die nach Schätzungen des US-Außenministeriums zusammen 13 % der Bevölkerung ausmachen. Die Vielfalt Syriens beschränkt sich nicht auf die konfessionelle Dimension, sondern erstreckt sich auf zahlreiche ethnische Gruppen wie Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen und andere. Araber sind die überwältigende Mehrheit in Syrien, gefolgt von Kurden (BBC 12.12.2024). Die Übergangsregierung in Syrien will sich nach Aussagen ihres Außenministers ash-Shaybani für die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen im Land einsetzen. Niemand sollte aufgrund seiner Herkunft, seines sozialen oder religiösen Hintergrunds oder einer Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen bestraft werden, sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Zeit Online 23.1.2025). Demografische Daten für Syrien sind unzuverlässig, und die derzeitigen Standorte von Minderheitengemeinschaften sind aufgrund der erheblichen Umwälzungen, die das Land unter der Herrschaft von Bashar al-Assad erlebte, ähnlich schwer zu ermitteln (MRG 1.2025).
Auf folgender Karte von France 24 ist die ethnische und religiöse Zusammensetzung Syriens dargestellt:

Quelle: FR24 26.12.2024a
Obwohl die Zahlen nicht überprüft werden können, wird geschätzt, dass weit über 500.000 Menschen getötet wurden und über zwölf Millionen innerhalb Syriens oder ins Ausland vertrieben wurden, darunter Alawiten, Christen (einschließlich Armenier und Assyrer), Drusen, Ismailiten, Kurden, Turkmenen, Zwölfer-Schiiten, Jesiden und andere. Al-Assads zynische Mobilisierung von Ängsten innerhalb der Gemeinschaft vor dem Hintergrund des wachsenden Einflusses extremistischer Elemente innerhalb der syrischen Oppositionskräfte führte zu einer zunehmend konfessionell geprägten Landschaft – beschleunigt durch die Vertreibung von Minderheiten durch militante Gruppen in Gebieten, die unter ihrer Kontrolle standen. Infolgedessen hat sich die Demografie des Landes neu geordnet, wobei sich die religiösen Minderheiten in den von der Regierung kontrollierten Gebieten in Zentral- und Südsyrien konzentrieren, während die Bevölkerung im Norden nun größtenteils sunnitisch ist (MRG 1.2025).
Tatsächlich kam es bei dem rasanten Vormarsch auf Damaskus Berichten zufolge nicht zu Racheakten oder Gewalttaten. In seiner ersten Rede in Damaskus trat ash-Shara' ebenfalls mäßigend auf und mahnte den Übergang vom Kampf zum Aufbau der Institutionen an (Rosa Lux 17.12.2024). Insbesondere Alawiten und Christen sind besorgt, dass die Zukunft des neuen Syriens für ihre Gemeinschaften, von denen viele die Revolution im Jahr 2011 und den anschließenden 13-jährigen Bürgerkrieg ablehnten, nicht tolerant sein könnte (Independent 12.12.2024). Von Anfang an zeigten die neuen Behörden bewusst die Absicht, eine Abkehr von den spaltenden Praktiken ihrer Vorgänger zu signalisieren. In Aleppo nahm Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) Kontakt zu prominenten christlichen Führern und Geistlichen verschiedener Konfessionen auf, um die angespannten Beziehungen zu verbessern und ein Gefühl der Sicherheit zu fördern. Diese Treffen waren nicht oberflächlich, sondern beinhalteten Diskussionen über konkrete Missstände, wie die Ungerechtigkeiten, mit denen Christen in Jisr ash-Shughur ein Jahr zuvor konfrontiert waren. Einige dieser Missstände wurden inzwischen angegangen, hauptsächlich durch Rechenschaftspflicht und die Rückgabe von Eigentum an die rechtmäßigen Eigentümer. Dies ist ein beispielloser Schritt, der das Verständnis der Führung für die Notwendigkeit von Inklusion unterstreicht, wenn auch sorgfältig gesteuert (AC 20.12.2024). Anderen Berichten zufolge gab es durchaus gewaltsame Übergriffe, Morde und andere Racheakte von HTS-Kämpfern gegen Andersgläubige (National 6.1.2025). Einem libanesischen Zeitungsbericht zufolge, der Betroffene zitiert, sollen vor allem Nachbarn und Bekannte Racheakte an Andersgläubigen verübt haben. Viele Angehörige verschiedener religiöser Minderheiten sind in den Libanon geflohen (Nahar 1.1.2025).
Ash-Shara' hat Befehle erlassen, Kreuze an Kirchen zu lassen und Weihnachtsdekoration zu schützen und die schiitischen Schreine zu respektieren sowie Bars und Lokale in Ruhe zu lassen, in denen Frauen und Männer miteinander tanzten. Das ist anders als in Idlib, wo solcher vermeintlicher Verderbtheit Schuldige, getötet, bekehrt oder vertrieben und ihre Räumlichkeiten, einschließlich Kirchen, geschlossen würden (Economist 14.1.2025). HTS-Beamte haben umfangreiche Kontaktkampagnen mit Vertretern aller religiösen Glaubensgemeinschaften gestartet, und die christlichen und drusischen Gemeinschaften in ganz Westsyrien scheinen überwiegend in Frieden zu leben. Nur in den alawitischen Gemeinden hat die Jagd nach Kriminellen zu wiederholten Verstößen gegen Zivilisten geführt. Diese werden als Einzelfälle deklariert (MEI 21.1.2025). Als christliche Führer von Problemen berichteten - wie dem Auftauchen einiger islamistischer Prediger, die versuchten, Christen in der Altstadt von Damaskus zu bekehren - habe die neue Regierung schnell gehandelt, um die Ruhe wiederherzustellen (Arabi21 3.2.2025).
Ash-Shara' hat erklärt, dass weder die Kurden noch die Drusen unter dem Vorwand der Angst vor der islamischen Mehrheit Syriens auf Autonomie hinarbeiten dürfen. Er verlangt von ihnen, sich in der neuen Ordnung einzugliedern und ihre Waffen niederzulegen. Die Kurden sollen keine unabhängigen oder individuellen Beziehungen zu ausländischen Akteuren unterhalten (Akhbar 31.12.2024).
Laut Beobachtern hat Iran nach dem Sturz des Regimes eine groß angelegte Desinformationskampagne gestartet, die primär darauf abzielt, religiöse Konflikte in Syrien zu schüren und damit die fragile Lage in dem Land zu destabilisieren. Dabei werden in den sozialen Netzwerken massenhaft falsche oder irreführende Berichte von Gewalttaten gegen Schiiten, Alawiten und Christen verbreitet, die angeblich von Kämpfern der islamistischen Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) verübt wurden. Dass es tatsächlich iranische Akteure sind, die diese Berichte streuen, lässt sich in den wenigsten Fällen nachweisen. Doch die schiere Anzahl von Postings lässt darauf schließen, dass es sich um eine organisierte Kampagne handelt (NZZ 8.1.2025). Auch Enab Baladi berichtet von irreführenden Videos, die in sozialen Medien verbreitet werden, um Zwietracht zu säen und die Sicherheitslage zu gefährden (Enab 10.1.2025).
Obwohl der Rebellenführer mit dem Versprechen angetreten ist, das gesamte syrische Volk zu vertreten, sitzt in der Interimsregierung weder ein Alawit noch ein Schiit, noch ein Druse oder ein Christ (NZZ 24.1.2025). Zudem gab es in den Wochen nach dem Umsturz immer wieder Berichte von Übergriffen gegen diese Minderheiten (ORF 27.1.2025). In einem Interview mit dem Economist versprach ash-Shara', dass nach Ablauf einer dreimonatigen Frist, Anfang März, eine breitere und vielfältigere Regierung etabliert werde, an der alle Teile der Gesellschaft teilhaben werden. Das Auswahlverfahren wird auf Kompetenz und nicht auf ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit basieren (Economist 3.2.2025).
Eines der drängendsten Probleme sind nicht sektiererisch motivierte Angriffe, sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben (von denen die meisten aufgrund der Natur des Regimes Alawiten sind) (MEI 21.1.2025). [Weiterführende Informationen zu Übergriffen etc. auf ethnische oder religiöse Minderheiten finden sich in den Kapiteln Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024) und Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
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Quellen: […]
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14 Bewegungsfreiheit - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Zur Bewegungsfreiheit gibt es nur wenige Quellen und eine dünne Informationslage. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Die Interimsregierung installiert Checkpoints, an denen Autos durchsucht werden. Es wird überprüft, wer unterwegs ist, beispielsweise um Menschen zu verhaften, die für Verbrechen gegen das syrische Volk in der Zeit des Regimes verantwortlich sind (PBS 16.12.2024). Die Kontaminierung durch explosive Kampfmittel stellt nach wie vor eine große Bedrohung für Zivilisten, die sich zwischen ehemaligen Kontrollgebieten bewegen, dar (UNOCHA 23.12.2024). [Weitere Informationen zur Kontaminierung mit Blindgängern finden sich im Kapitel Sicherheitslage.]
Laut Aussage des syrischen Verkehrsministers bei einem Interview mit der kurdischen Zeitung Rudaw haben die neuen syrischen Machthaber vom ersten Tag der Befreiung an damit begonnen, die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, insbesondere durch die Sicherstellung der Grundversorgung, z. B. mit Brot und Treibstoff, zusätzlich zur Sicherung des Transportsektors, damit sich die Menschen zwischen den Provinzen bewegen können. Sie haben damit begonnen, Treibstoff für Fahrzeuge zu sichern, damit sie in Abstimmung mit dem Ölministerium eingesetzt werden können, und Fahrten zwischen Damaskus und den restlichen Provinzen, zwischen Idlib und den restlichen Provinzen und zwischen Aleppo und restlichen Provinzen zu organisieren, zusätzlich zum internen Transport innerhalb jeder Provinz. Sie haben mit der Umsetzung eines Plans zur Festlegung spezifischer Preise, die für Fahrzeugbesitzer und für Menschen mit sehr begrenztem Einkommen angemessen sind, begonnen. Etwa 70 bis 80 % der Preis- bzw. Transporttarifstruktur wurden fertiggestellt und umgesetzt. Was die Versorgung der Öffentlichkeit betrifft, so wurden etwa 50 bis 60 % der Strecken, ob intern oder extern, gesichert (Rudaw 1.2.2025). [Weitere Informationen zur Infrastruktur sind dem Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft / Wohnsituation und Infrastruktur - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
In Idlib wurden viele Checkpoints abgebaut und Haftbefehle oder andere Arten von Kontrollen werden kaum noch vollstreckt (Etana 17.1.2025).
Bezüglich Verkehr und Handel mit den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) gibt es laut Aussage des syrischen Verkehrsministers in einem Interview mit der kurdischen Zeitung Rudaw Sicherheitsprobleme und Risiken für die Bewegungsfreiheit der Menschen. Er hoffe auf eine schnelle Lösung des Problems, damit die Menschen in al-Hasaka und Deir ez-Zour Damaskus und ihre anderen Verwandten in den anderen Provinzen besuchen können (Rudaw 1.2.2025).
Wehrpflichtige im Regime al-Assads mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, sich frei im Land zu bewegen (BBC 29.12.2024). Deswegen wollten ehemalige Soldaten ihre Daten bei der neuen Übergangsregierung registrieren lassen, um neue Ausweise zu erhalten, mit denen sie in Syrien leben und sich frei bewegen können. Hunderte von ihnen wurden in Versöhnungszentren vorstellig (FR24 2.1.2025). [Informationen zu Versöhnungsprozessen und -zentren finden sich in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024), Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)]
In Syrien gibt es fünf zivile Flughäfen, von denen nur Damaskus und Aleppo in Betrieb sind. Die beiden Flughäfen funktionieren gut. Der Flughafen Hmeimim in Latakia könnte laut syrischem Verkehrsminister bald in Betrieb genommen werden. Der Flughafen funktioniert, aber aufgrund der Präsenz der russischen Basis wird erst ein Plan entwickelt, um dieses Problem bezüglich ihrer Anwesenheit zu lösen. Daneben gibt es noch den zivilen Flughafen Deir ez-Zour, der jedoch stark beschädigt ist und Wartungskosten erfordert (Rudaw 1.2.2025). Am 8.1.2025 landete der erste internationale kommerzielle Flug seit dem Sturz des ehemaligen syrischen Präsidenten Bashar al-Assad auf dem Flughafen von Damaskus (AJ 7.1.2025). Der internationale Flughafen von Damaskus wurde in der Nacht vom 7. auf den 8.12.2024 geplündert, nachdem die Flughafenwachen geflohen waren, als Oppositionskräfte die Hauptstadt einnahmen. Der Großteil der technischen und ingenieurwissenschaftlichen Ausrüstung und des Zubehörs wurde gestohlen. Am 18.12.2024 wurde der Flughafen teilweise wiedereröffnet, als ein Inlandsflug in die nördliche Stadt Aleppo startete. Beamte des Flughafens gaben damals an, dass die Wiedereröffnung aufgrund von Vandalismus und Diebstählen nur teilweise erfolgte. Der Hauptflughafen Syriens in der Hauptstadt Damaskus nahm seinen vollen Betrieb am 8.1.2025 wieder auf (DS 7.1.2025). Es gibt nur sehr wenige syrische Flugzeuge. Der Staat besitzt nur zwei einsatzfähige Flugzeuge und es gibt einige Flugzeuge, die gewartet werden müssen, was vielleicht so teuer ist wie der Wert des Flugzeugs selbst. Zusätzlich gibt es ein unabhängiges syrisches Unternehmen, das vielleicht fünf oder sechs einsatzfähige Flugzeuge hat, und es gibt Verträge mit vielen Unternehmen. Das Problem liegt nicht in der Verfügbarkeit syrischer Flugzeuge, sondern in den Beschränkungen des Regimes für Verträge, in die der Luftfahrtsektor investieren könnte. In der nächsten Phase sollen die Flughäfen von Damaskus und Aleppo eine gute Anzahl von Flugzeugen erhalten (Rudaw 1.2.2025). Nur wenige Fluggesellschaften fliegen Syrien wieder an oder haben angekündigt, ihre Flüge ins Land wieder aufzunehmen (NTV 18.1.2025). Die Zahl der Flüge nach Damaskus nehme laut syrischem Verkehrsminister jeden Tag zu. Der Flughafen in Qamishli wurde drei Tage nach der Befreiung Syriens vom Assad-Regime von den SDF übernommen. Sie unterbrachen die Kommunikation mit Damaskus. Nach der Befreiung des Gebiets von den SDF, wird der Flughafen Qamishli aktiviert werden, so der Verkehrsminister (Rudaw 1.2.2025).
Dem syrischen Verkehrsminister zufolge sind 60 bis 70 % der Eisenbahnstrecken außer Betrieb und 30 bis 40 % der bestehenden Strecken müssen dringend gewartet werden. Züge und Lokomotiven und alle Bahnhöfe müssen gewartet werden, und es werden Ersatzteile gebraucht. Der Zugbetrieb wurde für den Transport von Grundstoffen wie Treibstoff und anderen Materialien von der Küste nach Aleppo und Damaskus wieder aufgenommen, und die Eisenbahn funktioniert, aber alle Gleise sind alt, und wenn der Transport zunimmt, müssen sie neu und kostspielig gewartet werden. Es gibt Gleise, die nicht mehr gewartet werden können, sondern komplett ausgetauscht werden müssen. Einige Strecken, die den Irak und Syrien verbinden und durch al-Hasaka führen, sind außer Betrieb, andere haben einige ihrer Bestandteile verloren und wieder andere funktionieren, aber aus Sicherheitsgründen wurden diese Strecken gesperrt. Es werden die Möglichkeiten für eine Hochbahn oder eine U-Bahn in Damaskus geprüft. Derzeit ist der Plan für ein U-Bahnnetz nur für Damaskus vorgesehen, da es in Damaskus zu viele Staus gibt. Wenn der Plan durch internationale Unternehmen erfolgreich ist, wird die Übergangsregierung vielleicht mit der Umsetzung beginnen (Rudaw 1.2.2025).
Grenzübergänge
Am 16.12.2024 kündigte die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) an, alle Grenzübergänge zu den Nachbarländern auf syrischer Seite zu schließen, bis es ihnen gelungen sei, eine Art Organisation aufzubauen, um die Grenzen wieder zu besetzen und um wieder über Visastempel zu verfügen (PBS 16.12.2024). Mit Stand 1.2.2025 gibt es elf aktive Grenzübergänge, die der Generalbehörde für Land- und Seegrenzen gehören (Rudaw 1.2.2025). Der Direktor für lokale und internationale Beziehungen bei der Generalbehörde für Land- und Seegrenzen, erklärte gegenüber Al Jazeera, dass die Grenzübergänge seit der Befreiung Syriens vom gestürzten Regime nicht nur Syrer empfangen, die ihr Land besuchen wollen, ob als Einwohner oder Besucher, sondern auch arabische und ausländische „Brüder und Freunde“, die Syrien nach der Befreiung besuchen wollen. Die Grenzübergänge seien stark belastet worden, sagte er. Die meistbenützten Übergänge sind: Jdaydat Yabous/ Masna' zum Libanon, an dem in den letzten zwei Monaten mehr als 630.000 Bürger ein- und ausgereist sind, Nassib/ al-Jaber zu Jordanien, der mehr als 175.000 Bürger empfangen hat, davon 110.000 bei der Einreise und 65.000 bei der Ausreise, Bab al-Hawa/ Reyhanlı zur Türkei, wo mehr als 75.000 Bürger empfangen wurden, darunter 63.000 Ankünfte und 12.000 Ausreisen, al-Bu Kamal/ al-Qa'im zum Irak, der etwa 5.500 Bürger aufnahm. Daneben gab es Einreisen von Zehntausenden an den übrigen Grenzübergängen zur Türkei, wie Kassab/ Yayladağı, al-Hamam/ Hatay Hammami, Bab as-Salama/ Öncüpınar und Jarabulus/ Karkamış (AJ 13.2.2025a).
Irak
Die Bewegung von Syrern über den Grenzübergang Faysh Khabour zwischen Syrien und der Kurdistan Region Irak (KRI) setzte sich fort, wobei Berichten zufolge täglich etwa 300 bis 400 Menschen in den Irak einreisten. Aus Stichprobeninterviews geht hervor, dass die meisten Syrer, die über diesen Grenzübergang in den Irak einreisen, kurdischer Abstammung sind und entweder vorübergehend für Familienbesuche in die Kurdistan Region Irak kommen oder die Kurdistan Region Irak als Transitpunkt für Besuche an anderen Orten nutzen und planen, danach nach Syrien zurückzukehren. Der Grenzübergang al-Qa'im/ al-Bu Kamal [auch Abu Kamal Anm.] bleibt für die Einreise in den Irak weiterhin geschlossen (UNHCR 2.1.2025). Mitte Dezember erklärte ein irakischer Abgeordneter, dass die Sicherheit an der irakisch-syrischen Grenze verstärkt wurde. Grund dafür waren Angriffe der Terrorgruppierung Islamischer Staat (IS) ca. 50 km von der Grenze zum Irak entfernt auf syrischer Seite (BagTod 18.12.2024). Der Grenzübergang al-Qa'im/ al-Bu Kamal auf irakischer Seite war am 7.1.2025 bereit, die Arbeit wieder aufzunehmen, und wartete auf die Öffnung des Übergangs von syrischer Seite (Jeebal 7.1.2025). Der Bürgermeister von al-Qa'im erwartete die Wiedereröffnung mit Mitte Februar. Syrer dürften über den Grenzübergang dann in ihr Land aus dem Irak ausreisen, aber nicht mehr aus Syrien in den Irak zurück. Die einzigen, die zurück in den Irak reisen dürfen, sind irakische Staatsbürger (BagTod 3.2.2025). Das arabischsprachige Medium Waradana bestritt eine Grenzöffnung. Aus unbekannten Gründen hat Bagdad entschieden, die Öffnung des Grenzübergangs bis auf Weiteres zu verschieben. Die syrische Seite wurde über die Verschiebung informiert und zeigte sich überrascht über diese Entscheidung. Der Bürgermeister soll diesem Medium zufolge bestreiten, dass es Ausnahmen beim Passieren des Grenzübergangs al-Qa'im/ al-Bu Kamal zwischen dem Irak und Syrien gibt, bestätigte aber, dass die Wiederaufnahme des Transits zwischen dem Irak und Syrien im Februar beginnen wird. Der Irak macht keine Ausnahmen für ausländische oder arabische Staatsangehörige, die über den Grenzübergang aus Syrien in den Irak kommen. Die einzige Ausnahme gilt nur für Iraker (Wara 1.2.2025). Al Jazeera schrieb dazu am 11.2.2025, dass obwohl Syrien die Kontrolle über die meisten seiner Grenzübergänge zu den Nachbarländern wiedererlangt hat, der Grenzübergang al-Bu Kamal zum Irak geschlossen bleibt (AJ 11.2.2025). Der Grenzübergang, der die Stadt Al-Bu Kamal in der syrischen Provinz Deir ez-Zour mit dem irakischen Bezirk al-Qa'im in der Provinz al-Anbar verbindet, war Anfang Dezember geschlossen, wurde aber vorübergehend geöffnet, um am 19.12.2024 Tausenden von Soldaten die Rückkehr in ihr Land zu ermöglichen. Der syrische Verkehrsminister gibt an, dass daran gearbeitet werde, diesen wieder zu öffnen. Ihm zufolge können auch weitere Grenzübergänge geöffnet werden, wenn "die Probleme in den Gebieten um al-Hasaka gelöst sind" (Rudaw 1.2.2025).
Jordanien
Die jordanisch-syrische Grenze wurde mit 6.12.2024 von jordanischer Seite aus grundsätzlich für den Personenverkehr in beide Richtungen geschlossen. Syrischen Staatsbürgern ist die Ausreise aus Jordanien nach Syrien nach Grenzabfertigung gestattet, allerdings erlischt der Aufenthaltsstatus in Jordanien und bei neuerlicher Einreise muss ein neuer Einreise- oder Aufenthaltstitel beantragt werden (VB Amman 17.12.2024). Mit 9.1.2025 wurde der Grenzübergang al-Jaber/ Nassib wieder geöffnet und der Personenverkehr wieder aufgenommen. Syrische Staatsbürgern wurde die Einreise wieder gestattet, wenn diese über einen Visumtermin für ein Drittland in Amman verfügen und die die Hin- und Rückfahrt zwischen Syrien und Jordanien über ein Reisebüro organisiert ist (VB Amman 9.1.2025). Die Generalbehörde für Land- und Seegrenzen hat am 19.2.2025 den Zeitplan für die Bewegung von Reisenden über den Grenzübergang al-Jaber/ Nassib zu Jordanien festgelegt. Die Behörde teilte in einem Beitrag auf ihrem Telegram-Kanal mit, dass der Transitverkehr am Grenzübergang al-Jaber/ Nassib ab 20.2.2025, täglich von 8:30 Uhr bis 22:00 Uhr möglich sein wird (SANA 19.2.2025). Diese Regelung erfolgte in Abstimmung mit dem jordanischen Innenministerium (JorZad 20.2.2025). Reisende müssen sich im Voraus über eine spezielle Online-Plattform registrieren. Darüber hinaus dürfen jene syrischen Kleinbusse, welche bereits zuvor nach Jordanien einreisen durften, bis zum 1.4.2025 weiterhin operieren, sofern sie sich an strenge Auflagen halten. Diese erlauben ausschließlich den Personentransport und untersagen den Transport von Waren (VB Amman 12.1.2025). Syrische Staatsangehörige mit Aufenthaltserlaubnis in den Ländern des Golf-Kooperationsrates (Golf Cooperation Council - GCC), den USA, Kanada, Australien, Japan, der Republik Korea und allen europäischen Ländern dürfen laut jordanischem Innenministerium ohne vorherige Genehmigung nach Jordanien einreisen. Dies gilt für Personen, die eine gültige Aufenthaltserlaubnis von mindestens vier Monaten für das jeweilige Land besitzen (VB Amman 30.1.2025).
Libanon
Der Libanon und Syrien teilen sich eine 330 Kilometer lange Grenze, die vor allem im Nordosten des Landes weitgehend unbefestigt ist, was es Schmugglern, Jägern und Flüchtlingen leicht macht, hier einzudringen (Arabiya 10.2.2025b). Mitte Februar fanden Kämpfe zwischen den syrischen Streitkräften, die der neuen Regierung in Damaskus angehören, und libanesischen Schmugglerbanden an der Grenze, insbesondere im westlichen Umland von Homs in Zentralsyrien, statt. Die syrischen Behörden gaben bekannt, dass sie damit begonnen haben, Landminen an illegalen Grenzübergängen und Straßen zum Libanon zu verlegen, nachdem eine Sicherheitsüberprüfung der Gebiete zu Zusammenstößen geführt hatte. Dieser Schritt zielt darauf ab, den Schmuggel nach Syrien einzudämmen und weitere grenzbezogene Spannungen zwischen den beiden Ländern zu verhindern, so die Behörden (TNA 11.2.2025). Der Abreiseverkehr über die offiziellen Grenzübergänge ist nach wie vor gering, aber konstant, vor allem über den Übergang Masna'/ Jdeydat Yabous, einschließlich derer, die möglicherweise nur für kurze Zeit einreisen, um die Lage in Syrien zu beurteilen. In den letzten zehn Tagen (Stand 2.1.2025) hielten sich maximal 100 bis 200 Personen gleichzeitig im Niemandsland auf, entweder um in den Libanon einzureisen oder um nach Syrien zurückzukehren (UNHCR 2.1.2025). Der offizielle Grenzübergang Masna'/ Jdeydat Yabous in Bekaa' ist nach wie vor der einzige für den Fahrzeugverkehr geöffnete Grenzübergang (UNHCR 23.1.2025). Die libanesische Armee hat Anfang Februar 2025 bekannt gegeben, dass sie außergewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen entlang der Grenze ergriffen hat, indem sie Beobachtungsposten aufstellte und Patrouillen durchführte, nachdem Spannungen in diesem Gebiet eskaliert waren (Arabiya 10.2.2025b).
Türkei
Der türkische Innenminister gab bekannt, dass sechs aktive Grenzübergänge nun rund um die Uhr in Betrieb sind, um einen reibungslosen und effizienten Prozess zu gewährleisten. Die tägliche Bearbeitungskapazität beträgt insgesamt 19.000 Personen, was einer deutlichen Steigerung gegenüber der vorherigen Kapazität von 3.020 Personen entspricht. Die Regierung bestätigte außerdem, dass vom 1.1. bis zum 1.7.2025 Besichtigungsbesuche an zwei Grenzübergängen (Zeytindalı/Jinderes in Hatay und Çobanbey/Al Ra'i in Kilis) organisiert werden (UNHCR 2.1.2025). Der Direktor für lokale und internationale Beziehungen bei der Allgemeinen Behörde für Land- und Seehäfen sagte gegenüber dem staatlichen Medium SANA, dass Rückkehrer über die Grenzübergänge Bab al-Hawa/ Reyhanlı, Bab as-Salama/Öncüpınar, Kassab/ Yayladağı und Jarabulus/ Karkamış nach Syrien reisen. Die syrische Verwaltung sorgt dafür, dass ihnen alle Dienstleistungen und Einrichtungen kostenlos zur Verfügung stehen und sie von jeglichen Gebühren für ihr Gepäck und ihre Möbel, die sie während ihrer Rückkehr mitführen, befreit sind (AAA 11.2.2025).
Gebiete unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Nachdem ein interner Grenzübergang zu Manbij und 'Ain al-'Arab geschlossen wurde, ist der Personen- und Warenverkehr seit Mitte Dezember behindert. Der andauernde Beschuss und gewalttätige Zwischenfälle in der Nähe der Qaraqozak-Brücke blockieren auch den Zugang zwischen Manbij und Gebieten östlich des Euphrat, einschließlich des Gouvernements ar-Raqqa (UNOCHA 30.1.2025).
Quellen: […]
[…]
14.2 Bewegungsfreiheit in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 16:51
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. Uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Nachdem ein interner Grenzübergang zu Manbij und 'Ain al-'Arab geschlossen wurde, ist der Personen- und Warenverkehr seit Mitte Dezember 2024 behindert. Der andauernde Beschuss und gewalttätige Zwischenfälle in der Nähe der Qaraqozak-Brücke blockieren auch den Zugang zwischen Manbij und Gebieten östlich des Euphrat, einschließlich des Gouvernements ar-Raqqa (UNOCHA 30.1.2025).
Quellen: […]
15 Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Anmerkung: Die folgenden Informationen können größtenteils als noch aktuell angesehen werden. Am Ende des Kapitels sind aktuelle Informationen angeführt, die bestätigen, dass sich die sozio-ökonomische Lage bisher nicht wesentlich verändert hat, und die neuesten Entwicklungen aufzeigen. Weiterführend siehe: Länderspezifische Anmerkungen]
Grundversorgung
Jahr für Jahr steigt die Anzahl der Menschen, die humanitäre Unterstützung benötigen, während gleichzeitig die Mittel knapper werden (UNRCHCSYR 22.9.2024). Im Jahr 2024 waren 16,7 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen, die höchste Zahl seit Beginn der Krise im Jahr 2011 (UNOCHA 3.3.2024; vgl. UNRCHCSYR 22.9.2024). Mit Februar 2025 waren laut UNOCHA noch immer 16,5 Mio. Menschen in Syrien auf Hilfe angewiesen (UNOCHA 12.2.2025). Im Nordwesten Syriens waren es 2024 4,4 Millionen Menschen, die für ihr Überleben weiterhin vollständig auf die von den Vereinten Nationen koordinierte humanitäre Hilfe angewiesen sind (AI 24.4.2024; vgl. TIMEP 23.5.2024). 13,6 Millionen Menschen brauchten 2024 Dienstleistungen in den Sektoren Wasser und Hygiene (UNICEF 17.12.2024).
Die Karte von UNOCHA zeigt die Anzahl der hilfsbedürftigen Personen je nach Gouvernement

Quelle: UNOCHA 28.1.2025
Das Syrian Center for Policy of Research schätzt die Armutsquote für ganz Syrien im Jahr 2023 auf über 90 %, mit 80 % der syrischen Bevölkerung, die unterhalb der Armutsgrenze leben und somit nicht in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse, wie Ernährung, Bildung und Gesundheit zu decken (SCPR 6.2024; vgl. WHO 16.3.2024). Die österreichische Botschaft Damaskus gibt ebenfalls an, dass 90 % der syrischen Bevölkerung in Armut leben (ÖB Damaskus 2023). Einer syrischen Medienseite zufolge leben im Nordwesten Syriens 91,16 % unterhalb der Armutsgrenze (Syria TV 31.5.2024). Die Gouvernements ar-Raqqa, Deir ez-Zour, Idlib, Hama und Homs verzeichneten die höchsten Raten extremer Armut. Die Rate der bitteren Armut lag 2023 bei über 50 %, was bedeutet, dass die Hälfte der syrischen Bevölkerung nicht in der Lage ist, ihren Grundnahrungsmittelbedarf zu decken (SCPR 6.2024). In den letzten drei Jahren (Stand Juni 2024) haben 70 % der syrischen Haushalte eine Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen und ihrer Möglichkeiten, Grundversorgungsgüter zu erhalten, erlebt (INSS 6.2024). In Nordwestsyrien benötigt die Mehrheit der Menschen lebensrettende Hilfe. Dort ist die grenzüberschreitende Hilfe zur Lebensader geworden (SIDA 31.3.2024). Die Weltbank kam bei einer Umfrage im Jahr 2022 zu dem Ergebnis, dass 14,5 Mio. Syrier, also 69 % der Bevölkerung, von Armut betroffen sind. Ca. 5,7 Mio. Menschen (27 %) leben in extremer Armut. 50 % der Personen, die in extremer Armut leben, leben in nur drei Gouvernements (Aleppo, Hama, Deir ez-Zour). Im Vergleich zum nationalen Durchschnitt von 27 % ist die extreme Armut in Deir ez-Zour (72 %), Hama und ar-Raqqa (61 %), al-Hasaka (49 %), Dara'a (48 %), Quneitra (43 %) und Aleppo (34 %) dramatisch höher. In allen übrigen Gouvernements liegt die Häufigkeit extremer Armut deutlich unter dem nationalen Durchschnitt (WB 2024). Unterschiede in den Gouvernements zeigen auch vertrauliche Quellen des niederländischen Außenministeriums auf, denen zufolge im Zentrum von Damaskus Restaurants und Supermärkte wieder geöffnet waren, und das Straßenbild fast so wie vor dem Konflikt war – vor allem, nachdem alle Kontrollpunkte aus dem Stadtzentrum entfernt worden waren. In den Provinzen Latakia und Tartus soll das Durchschnittseinkommen ebenfalls höher sein als im Rest Syriens. Den Quellen zufolge handelte es sich dabei um Gebiete, die hauptsächlich von regierungstreuen Personen und syrischen Würdenträgern bewohnt wurden (MBZ 8.2023). Im Bericht der Österreichischen Botschaft Damaskus wird von einer schlechten Versorgungslage in Tartus und Latakia berichtet (ÖB Damaskus 2023). Insbesondere in den Gouvernements Aleppo und Idlib waren die wirtschaftlichen Auswirkungen des Erdbebens 2023 zu spüren, wo ein Anstieg der Lebensmittelpreise, ein Anstieg der Armutsquote und eine Erweiterung der Armutslücke zu verzeichnen waren (SCPR/UniVie 8.2023). Eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums berichtete, dass es auf den Straßen der Städte Damaskus und Aleppo weit mehr obdachlose Männer als früher gab (MBZ 8.2023).
In einem von der Staatendokumentation nach Leitlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der Europäischen Kommission und der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa entwickelten Indikator, der auf einer Umfrage in den drei größten Städten, Damaskus, Homs und Aleppo im Juli 2024 mittels computergestützter Telefoninterviews (CATI) basiert und sich aus den Dimensionen Wohnen, Nahrung und Wasser, grundlegende Konsumgüter, Gesundheitsdienste und Arbeitsmarkt zusammensetzt, zeigt sich, dass die Befragten in Damaskus stärker in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu decken als Befragte in Aleppo und Homs (STDOK 2025). Folgende Karte verdeutlich das:

Quelle: STDOK 2025
In Bezug auf Wohnungsmarkt und medizinische Versorgung verdeutlicht die folgende Grafik die sozio-ökonomische Lage. Von Elisa Omodei (Central European University) wurde ein zusammengesetzter Indikator für die sozioökonomischen Erhebungen entwickelt, um eine Gesamtquantifizierung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage der Haushalte in den untersuchten Gebieten zu ermöglichen. Der Indikator ist ein praktisches Instrument, mit dem die Ergebnisse der Erhebung kategorisiert werden können. Zur Entwicklung des Indikators wurden die Leitlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der Europäischen Kommission und der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa zur Erstellung zusammengesetzter Indikatoren herangezogen. Der Index setzt sich aus den folgenden Dimensionen zusammen: Wohnen, Ernährung und Wasser, grundlegende Konsumgüter, Gesundheitsdienste und Arbeitsmarkt. Der Wert jedes der oben definierten Indikatoren (Frage-, Dimensions- und Gesamtebene) liegt zwischen 0 und 1, wobei Werte nahe Null auf nicht nachhaltige sozioökonomische Standards und Werte nahe Eins auf nachhaltige sozioökonomische Standards hinweisen. Jeder Wertebereich ist mit einer bestimmten sozioökonomischen Situationskategorie und einem Farbcode verbunden (STDOK 2025):

Quelle: STDOK 2025

Quelle: STDOK 2025
Einem im Zuge der FFM 2024 der Staatendokumentation interviewten Arzt aus Damaskus zufolge kostet das Leben in Syrien zwischen 300 und 500 US-Dollar im Monat (Arzt in Damaskus 23.9.2024). Die Mindestarmutsgrenze nach Schätzungen der UNO liegt bei 200 US-Dollar pro Monat und die Mindesthungergrenze bei 60 US-Dollar pro Monat (BBC 16.12.2024).
Steigende Preise und Arbeitslosigkeit waren die am häufigsten genannten Gründe, die die Fähigkeit der Haushalte einschränkten, ihre Grundbedürfnisse zu decken, wobei Einwohner, Rückkehrer und Binnenvertriebene ähnliche Zahlen angaben (WB 28.5.2024). Die Gehälter im öffentlichen Sektor reichten nicht aus, um die Lebenserhaltungskosten zu decken (BS 19.3.2024). Viele Angestellte des öffentlichen Sektors waren auf Bestechung angewiesen, um ihr Einkommen aufzubessern. Viele Arbeitnehmer im öffentlichen und privaten Sektor nahmen zusätzliche manuelle Tätigkeiten an oder verließen sich auf die Unterstützung ihrer Großfamilien (USDOS 22.4.2024). Die meisten Gehälter im öffentlichen Dienst wurden seit dem Amtsantritt ash-Shara's nicht mehr gezahlt (Economist 2.4.2025). In einer von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen Studie, bei der 600 Syrer im Alter von 16-35 Jahren in den drei größten Städten, Damaskus, Homs und Aleppo im Juli 2024 mittels computergestützter Telefoninterviews (CATI) befragt wurden, gaben 6 % der Befragten an, dass sie es schafften, grundlegende Konsumgüter, wie Kleidung und Schuhe für ihre Familie bereitzustellen. 39 % schafften es gerade noch, grundlegende Konsumgüter für ihre Familie bereitzustellen, 40 % schafften es kaum und 15 % schafften es nicht. Gegenüber dem Vorjahr stellte dies eine leichte Verbesserung dar (STDOK/SL 2024). 2023 gaben in einer von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen Studie von Mitte August bis Anfang September 2023 im Bevölkerungssegment von 16 bis 35 Jahren 33 % an, dass sie es gerade noch schafften, grundlegende Konsumgüter für ihre Familien bereitzustellen und 44 % gaben an, dies kaum zu schaffen (STDOK/SL 14.2.2024). Die folgenden von der Staatendokumentation erstellten Grafiken zeigen die Ergebnisse dieser Studien:

Quelle: STDOK/SL 2024
Ungefähr 70 % (8,1 Millionen) der Menschen, die Hilfe benötigen, lebten in den von der Assad-Regierung kontrollierten Gebieten. Obwohl sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren stabilisiert hatte, gab es nach wie vor eine erhöhte Ernährungsunsicherheit, Armut, ausgehöhlte Bewältigungskapazitäten und eine Verschlechterung des Zugangs zu grundlegenden Dienstleistungen sowie das Aufflammen von Konflikten (SIDA 31.3.2024). In der Autonomen Region Nordostsyrien hatten im Jänner 2024 70 % der Haushalte Schwierigkeiten ihre Grundbedürfnisse (wie Unterkunft, Lebensmittel und Medizin etc.) für alle Familienmitglieder zu erfüllen. Gründe dafür lagen in den hohen Kosten von essenziellen Gütern und Dienstleistungen und im fehlenden Zugang zu Einkommen (NES 20.11.2024).
Trotz eines erhöhten Bedarfs sind die humanitären Mittel für Syrien in den letzten Jahren zurückgegangen, was auf eine Kombination aus westlicher Gebermüdigkeit und dem Aufkommen anderer globaler Konflikte, insbesondere der Konflikte in der Ukraine und im Gazastreifen, zurückzuführen ist. Die Auswirkungen der Kürzung der Nahrungsmittelhilfe führen dazu, dass die betroffenen Familien negative Bewältigungsmechanismen, wie eine drastische Reduzierung der täglichen Nahrungsaufnahme, vermehrte Schulabbrüche und Kinderarbeit anwenden (TIMEP 23.5.2024). Die humanitären Mittel wurden seit 2023 auf 39 % des Bedarfs (2,1 Milliarden US-Dollar) gekürzt (Stand Juni 2024). Nur 8 % der benötigten Mittel sind eingegangen. Viele lokale Organisationen im Nordwesten Syriens mussten zahlreiche Hilfsprogramme einstellen, Dutzende von Mitarbeitern entlassen und Büros in verschiedenen Städten auf dem Land in Aleppo und Idlib schließen (OSS 25.6.2024). Das US-Außenministerium kündigte die Aussetzung aller von der US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID) finanzierten Auslandshilfen für 90 Tage an. US-Außenminister Rubio erteilte Ausnahmeregelungen, welche die weitere Bereitstellung lebensrettender humanitärer Hilfe ermöglichen. Allerdings bleibt unklar, welche spezifischen Programme ausgenommen sind. Zu den von der Aussetzung ausgenommenen Diensten gehören beispielsweise die Wasserversorgung, die Müllabfuhr und die Abwasserentsorgung. Quellen, die im Bereich der humanitären Hilfe tätig sind, erklärten gegenüber al-Modon, dass die Zahl der humanitären Organisationen, deren Programme und Dienste von der Aussetzung der Hilfe betroffen sind, sehr groß ist. Betroffen sind neben den Weißhelmen auch Organisatoren, die Gesundheitseinrichtungen, wie Krankenhäuser und provisorische Unterkünfte betreuen (Almodon 4.2.2025). Die im Januar 2025 erlassene Verordnung der Vereinigten Staaten zur Aussetzung humanitärer Aktivitäten hat schwerwiegende Auswirkungen auf Organisationen und Sektoren im Nordosten Syriens, insbesondere in informellen Siedlungen und Lagern für Binnenvertriebene (UNOCHA 27.3.2025).
In allen Regionen sind die Zerstörung der Infrastruktur, einschließlich der Wohnverhältnisse, sowie der fehlende oder eingeschränkte Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen (Gesundheitsversorgung, Bildung, Strom, fließendes Wasser, soziale Dienste) eine allgegenwärtige Herausforderung. Gemeinden, die von Belagerungen oder schweren Kämpfen betroffen waren, wie Ost-Ghouta in der Nähe von Damaskus oder Teile von Aleppo, verfügen kaum über Dienstleistungen, sodass die Zivilbevölkerung dort einem höheren Risiko für Gesundheitsprobleme, Ausbeutung, negative Bewältigungsmechanismen und weitere Vertreibung ausgesetzt ist (GPC 3.4.2025). Selbst in den mittlerweile stabilen Regionen des Landes funktionieren öffentliche Versorgungsleistungen und Dienste – Strom, Wasser, Telekommunikation, Bildung – kaum noch (Bourse Bazaar 1.4.2025).
Lebensmittelversorgung
5,7 Millionen Menschen brauchen Unterstützung bei der Ernährung oder Sicherung des Lebensunterhalts (UNICEF 17.12.2024). Schätzungsweise 15.447.379 Millionen Menschen (66 % der Bevölkerung) benötigten im März 2024 Unterstützung in Form von Nahrungsmitteln oder Lebensunterhalt, landwirtschaftlicher Hilfe oder Unterstützung durch nationale Sicherheitsnetze. Diese Schätzungen basierten auf einer landesweiten Bewertung von über 42.000 Haushalten, die im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme der Ernährungsunsicherheit zeigte. Mindestens 12,9 Millionen Menschen benötigten Nahrungsmittelhilfe, darunter mehr als 2,1 Millionen, die in Lagern lebten (unter der Annahme, dass alle von Ernährungsunsicherheit betroffen waren), und weitere 2,6 Millionen waren von Ernährungsunsicherheit bedroht (UNOCHA 3.3.2024). Die Kosten für den Standard-Referenzlebensmittelkorb für eine fünfköpfige Familie sind im März 2024 gegenüber März 2023 um 87 % gestiegen. Der Mindestlohn reichte nicht aus, um die Kosten für den Referenzlebensmittelkorb zu decken, der für eine gesunde Ernährung unerlässlich ist. Die Kosten für den Grundnahrungsmittelkorb waren sogar dreimal so hoch wie der Mindestlohn (WFP 9.3.2024). Im August 2024 kostete der Referenzlebensmittelkorb für eine fünfköpfige Familie 1.735.597 SYP, was einen Anstieg von 43 % gegenüber August 2023 bedeutet (UNOCHA 9.11.2024). Der Hilfsbedarf bei Nahrungsmitteln ist in ganz Syrien weit verbreitet, wobei er in den Gouvernements Idlib (73 % benötigten schätzungsweise Nahrungsmittelhilfe), al-Hasaka (71 %), Quneitra (65 %), Hama (59 %), ar-Raqqa (59 %), Aleppo (58 %) und Deir ez-Zour (50 %) besonders hoch war (UNOCHA 3.3.2024). Laut World Food Programme stiegen die Kosten für den Referenznahrungsmittelkorb in den Gouvernements Tartus (95 %), Rif Dimashq (94 %), Damaskus und Deir ez-Zour (jeweils 91 %) (WFP 9.3.2024). Durch die Kürzung der humanitären Mittel reduzierte das World Food Programm Mitte 2023 die Zahl der Menschen, die Hilfe erhalten von 5,5 auf 3,2 Millionen. Das Programm kündigte an, seine allgemeine Nahrungsmittelhilfe in Syrien im Januar 2024 aufgrund schwerwiegender Finanzierungsengpässe einzustellen, was die siebte und größte Reduzierung seit Beginn der Arbeit des Programms in Syrien darstellte (OSS 25.6.2024). Haushalte greifen auf negative Bewältigungsstrategien zurück, wie den Verkauf persönlicher Gegenstände und die Reduzierung der Nahrungsaufnahme, um mit dem wirtschaftlichen Druck fertig zu werden (IHH 10.1.2025).
Das Gesundheitspersonal geht davon aus, dass die Zahl der Kinder, die an Wachstumsstörungen in Folge von Unterernährung leiden, nach Einstellung der Nahrungsmittelhilfe erheblich (möglicherweise auf 50-75 %) ansteigen wird (TIMEP 23.5.2024). Zum ersten Mal gibt es Unterernährung bei Schwangeren und Frauen im gebärfähigen Alter (IntOrgSYR1 21.9.2024).
Im Juli 2024 wurden bei einer von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen sozio-ökonomischen Studie 600 Syrer im Alter von 16-35 Jahren in den drei größten Städten, Damaskus, Homs und Aleppo mittels computergestützter Telefoninterviews (CATI) befragt. Dabei gaben 16 % der Teilnehmenden an, dass sie ausreichend Lebensmittel für ihre Familie bereitstellen konnten, 44 % gaben an, gerade noch ausreichend Lebensmittel für ihre Familien bereitstellen zu können. 28 % konnten kaum ausreichend Lebensmittel für ihre Familien bereitstellen und 12 % konnten nicht ausreichend Lebensmittel bereitstellen. Die Mehrheit derer, die ausreichend Lebensmittel bereitstellen konnten, lebte in Damaskus mit 21 %, gefolgt von Aleppo mit 14 % und Homs mit 11 %. 49 % der Befragten in Damaskus konnten gerade noch ausreichend Lebensmittel für ihre Familien bereitstellen, in Aleppo waren es 39 % und in Homs 44 %. Der Prozentsatz derer, die gerade noch ausreichend Lebensmittel bereitstellen konnten, beträgt in Aleppo 30 %, in Homs 29 % und in Damaskus 25 %. Die höchste Anzahl an Personen, welche angaben, nicht genügend Lebensmittel für ihre Familien bereitstellen zu können, lebte in Aleppo mit 17 % der Teilnehmenden, gefolgt von Homs mit 16 % und Damaskus mit 5 %. 14 % der männlichen und 17 % der weiblichen Befragten schafften es, ihre Familie ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen, während 45 % der männlichen und 42 % der weiblichen Befragten es gerade so schafften, ihre Familie ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Im Gegensatz dazu schafften es 26 % der männlichen und 29 % der weiblichen Befragten kaum, ihre Familie ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. 14 % der männlichen und 11 % der weiblichen Befragten, die an der vorliegenden Umfrage teilgenommen hatten, konnten ihre Familie nicht ausreichend mit Lebensmitteln versorgen. Gegenüber der von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen Studie, bei der von August bis September 2023 16-35-Jährige befragt wurden, weist die Studie vom Juli 2024 nur geringfügige Veränderungen auf (STDOK/SL 2024). Folgende von der Staatendokumentation erstellte Grafik verdeutlicht die Ergebnisse dieser Studie:

Quelle: STDOK/SL 2024
Der Klimawandel ist einer von mehreren verstärkenden Faktoren, die zur Krise der Ernährungssicherheit in Syrien beitragen. Während Dürren die für die Landwirtschaft verfügbare Wassermenge verringern, erhöhen die gestiegenen Temperaturen den Wasserbedarf der Pflanzen. Dieser Teufelskreis führt zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktivität und der Nahrungsmittelressourcen, wodurch die Kosten für Nahrungsmittel steigen und die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln sinkt - mit den größten Auswirkungen auf arme, gefährdete und marginalisierte Gemeinschaften (CEIP 4.4.2024). Syrien sah sich im Jahr 2023 weiterhin mit einer mehrjährigen Dürre konfrontiert, die auf den durch den Klimawandel verursachten Temperaturanstieg zurückzuführen ist und durch andere Faktoren, darunter Versäumnisse im Wassermanagement, noch verschärft wurde. Die Beschädigung, Zerstörung und Vernachlässigung wichtiger Wasserstellen und Infrastrukturen durch die Kriegsparteien während des Konflikts sowie die anhaltende Behinderung von Hilfsmaßnahmen haben die Auswirkungen der Dürre auf die Menschen in Syrien weiter verschärft (AI 24.4.2024).
Nach dem fast historischen Tiefststand im Jahr 2022 erholte sich die landwirtschaftliche Produktion im Jahr 2023 aufgrund verbesserter Wetterbedingungen. Offizielle Statistiken zeigen eine Verdoppelung der Weizenernte für 2023, mit einem Ertrag von zwei Millionen metrischen Tonnen im Vergleich zu einer Million metrischen Tonnen im Vorjahr (WB 28.5.2024). Die österreichische Botschaft in Damaskus berichtet, dass das Grundnahrungsmittel Brot aufgrund der hohen Weizenpreise und laufend steigender Energiepreise, auch für den Transport von Nahrungsmitteln, immer teurer wurde. Während Syrien bis zum Krieg Weizenexporteur war, haben die Kriegssituation und die Dürreperioden in Nordost-Syrien dazu geführt, dass Weizen mittlerweile importiert werden muss (ÖB Damaskus 2023).
Die Verfügbarkeit und der Preis von Treibstoff stehen in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Lebensmittelsektor, weil diese sich direkt auf die Kosten der Getreideproduktion auswirken, da Bauern stark von subventioniertem Treibstoff abhängen (NES 20.11.2024). Es kam im Jahr 2023 zu Preissteigerungen aufgrund von Kürzungen der staatlichen Subventionen für Treibstoff und Düngemittel. Darüber hinaus sind die Transportkosten, die Gebühren für das Pumpen von Bewässerungswasser und die Kosten für mechanisierte landwirtschaftliche Arbeiten stark gestiegen, was sich alles auf die landwirtschaftlichen Produktionsmittel auswirkte. Dies wiederum führte zu einem starken Anstieg der Preise für Agrar- und Lebensmittelprodukte, insbesondere für Fleisch, Milchprodukte und Eier, wodurch diese für den Großteil der Bevölkerung unerschwinglich wurden (UNOCHA 3.3.2024). Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Gebrauchs sind eigentlich von den Sanktionen ausgenommen, aber weil die Sanktionen den Transportsektor treffen, sind diese in der Praxis auch von den Sanktionen betroffen (OrthoPatSYR 22.9.2024).
In den folgenden von der Staatendokumentation erstellten Grafiken werden die Entwicklungen von Lebensmittelpreisen und Löhnen für nicht qualifizierte Arbeit dargestellt. Die Daten beruhen auf Erhebungen des World Food Programmes jeweils am Monats 15. von Februar 2024 bis Februar 2025. Ausgewählt wurden die Städte Damaskus, Aleppo, Homs, Idlib. [Grafiken für die Städte Qamishli und al-Hasaka finden sich im Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft / Grundversorgung in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)]. Nicht für alle Monate waren Daten zur Verfügung. Angaben in Kilogramm bzw. Liter und Preis- bzw. Lohnangaben in Syrischen Pfund (SYP): [Grafiken für Homs und Idlib nicht abgebildet]

Quelle: WFP 24.3.2025
Quelle: WFP 24.3.2025
Wasserversorgung
Syrien ist ein wasserarmes Land. Im Jahr 2019 schätzte die Weltbank die Menge an erneuerbarem Süßwasser in Syrien auf 355 m3 pro Kopf, was zu den niedrigsten Werten weltweit gehört. Im Laufe der Zeit wurden Mechanismen entwickelt, um den Wassermangel zu mildern, darunter der Bau von Staudämmen an Flüssen sowie von Stauseen, die fließendes Oberflächenwasser auffangen, und das Bohren von Brunnen, um das Grundwasser für häusliche und landwirtschaftliche Zwecke zu nutzen. Allerdings haben mehrere Faktoren den Zugang zu Süßwasser erschwert, darunter der anhaltende Konflikt und die damit verbundene Zerstörung der Infrastruktur und der Verlust des Zugangs zu Ressourcen über die Kontrolllinien hinweg, die übermäßige Entnahme von Grundwasser und der Klimawandel (UNOCHA 3.3.2024). Während des Krieges verschärfte sich die Trinkwassersituation durch die große Zahl von Vertriebenen und die verstärkte Abwanderung in die Städte, was nicht nur zu einer reduzierten Wasserversorgung führte, sondern auch das Risiko von durch Wasser übertragenen Krankheiten für eine größere Bevölkerung erhöhte (BS 19.3.2024). Der Zugang zu Wasser hat sich in allen nördlichen Regionen verschlechtert, insbesondere in den stark von den Erdbeben betroffenen Gebieten, wo er im gleichen Zeitraum von 23 % auf 4 % zurückging (WB 28.5.2024). Der UN Resident Cooridnator and Humanitarian Coordinator for Syria, der im Zuge der FFM 2024 der Staatendokumentation interviewt wurde, gibt an, dass es in den wohlhabendsten Gegenden von Damaskus, wie Mezzeh und al-Maliki, eine Stunde fließend Wasser pro Tag gibt. Umso weiter man sich von der Stadt entfernt, desto weniger Stunden am Tag hat man fließend Wasser zur Verfügung. In manchen Gegenden gibt es seit Jahren kein fließend Wasser mehr. Manche Gegenden, nicht weit außerhalb von Damaskus, haben kein fließend Wasser (UNRCHCSYR 22.9.2024). UNOCHA meldete am 16.12.2024, dass zwei Millionen Menschen in Aleppo von Wasserknappheit bedroht sind (UNOCHA 16.12.2024).
Eine von der Staatendokumentation in Auftrag gegebene sozio-ökonomische Studie, im Zuge derer 600 Syrer im Alter von 16-35 Jahren in den drei größten Städten, Damaskus, Homs und Aleppo im Juli 2024 mittels computergestützter Telefoninterviews (CATI) befragt wurden, zeigt, dass 56 % der Teilnehmer immer Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten, während 31 % manchmal Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten. 8 % der Umfrageteilnehmer hatten selten Zugang zu sauberem Trinkwasser, während 5 % nie Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten. 55 % der männlichen und 56 % der weiblichen Befragten hatten immer Zugang zu sauberem Trinkwasser. Der Anteil derjenigen, die manchmal Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten, ist bei den weiblichen Umfrageteilnehmern (33 %) etwas höher als bei den männlichen Teilnehmern (31 %). 8 % der männlichen und 7 % der weiblichen Befragten hatten selten Zugang zu sauberem Trinkwasser, während mindestens 6 % der männlichen und 4 % der weiblichen Umfrageteilnehmer nie Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das eine Verbesserung (STDOK/SL 2024). Bei einer von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen Studie, bei der im August und September 2023 Personen im Alter von 16-35 Jahren in den drei größten Städten, Damaskus, Aleppo und Homs befragt wurden, gaben 38 % an immer Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, während 40 % manchmal Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten. Im Gegensatz dazu hatten 17 % selten Zugang zu sauberem Trinkwasser, während 5 % nie Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten (STDOK/SL 14.2.2024). Folgende Grafik zeigt die Ergebnisse dieser Umfrage auf die drei Städte aufgeteilt:

Quelle: STDOL/SL 2024
Die Wasserqualität in ganz Syrien hat sich seit Ausbruch des bewaffneten Konflikts 2011 erheblich verschlechtert, einerseits durch die direkte Zerstörung von Wasseraufbereitungsanlagen und andererseits aufgrund des Zusammenbruchs der Administration. Geschätzt ein Drittel aller Wasseraufbereitungs- und Abwasseranlagen funktioniert nicht mehr. Der Mangel an Abwasserbehandlung hat ernste Auswirkungen auf die Hygiene, physische und psychische Gesundheit, Bewässerungspraktiken, Lebensmittelproduktion und die Lebensgrundlage von Tausenden Bauern, die von nicht kontaminiertem Wasser abhängen (PAX 11.2024). Durch die Bombardierung von Gebäuden und die Verbrennung von Abfällen während des Krieges (nachdem die von der Regierung betriebenen Abfallentsorgungsdienste geschlossen wurden) gelangten große Mengen an Giftstoffen in die Luft, den Boden und das Grundwasser (BS 19.3.2024). Die Schäden an den Abwassernetzen und die mangelnde Wartung haben schwerwiegende Folgen, darunter das Eindringen von verunreinigtem Wasser in das Grundwasser und die Wassernetze (SCPR/UniVie 8.2023). Die Erosion der Grundversorgungskapazitäten hat sich fortgesetzt, wobei die Wasser- und Abwassersysteme sowie die öffentliche Gesundheitsversorgung vor dem Hintergrund kaum vorhandener Entwicklungsinvestitionen einer immensen Belastung ausgesetzt sind (UNOCHA 12.2023). Die Zerstörung von Wasserressourcen und -verteilungssystemen, zunehmende Migration, Dürre und Stromknappheit sind allesamt Faktoren, die zu einer schwerwiegenden Unterbrechung des Zugangs zu sauberem Trinkwasser beitragen. Der daraus resultierende Anstieg unkoordinierter privater Brunnenbohrungen als Bewältigungsmechanismus hat den Rückgang sowohl der Menge als auch der Qualität des Grundwassers noch verschärft. Dadurch hängen viele Menschen von oftmals teurem und unbehandeltem Wasser aus Tankwagen, von privaten Brunnenbesitzern oder Wasserflaschenfirmen ab (PAX 11.2024). Da 66 % der Haushalte mit Problemen bei der Wasserqualität konfrontiert sind und eine beträchtliche Anzahl keine angemessenen sanitären Einrichtungen hat, sind die Risiken für die öffentliche Gesundheit in diesen Gemeinden ausufernd (IHH 10.1.2025).
In vielen Gebieten, in denen die Infrastruktur weitgehend zerstört worden ist, wurde die Strom- oder Wasserversorgung nicht wiederhergestellt. Quellen des niederländischen Außenministeriums fügten hinzu, dass die syrischen Behörden kein Geld für den Wiederaufbau hatten, aber es waren hauptsächlich ehemalige Oppositionsgebiete, die bei der Wiederherstellung der Infrastruktur von der gestürzten Assad-Regierung diskriminiert wurden (MBZ 8.2023).
Stromversorgung
Die meisten syrischen Regionen leiden unter einem gravierenden Strommangel, was in einigen Gebieten zu langen Stromausfällen von mehreren Tagen führt und sich nachteilig auf die Wirtschafts- und Lebensbedingungen der meisten Syrer auswirkt. Die Nutzung erneuerbarer Energiequellen, insbesondere der Solarenergie, bleibt in den meisten Gebieten des Landes aufgrund der hohen Installations- und Wartungskosten und der Schwierigkeiten bei der Gewährleistung der Qualität, begrenzt (SCPR/UniVie 8.2023). Die Stromversorgung ist unregelmäßig und einige berichten von Tagen ohne Strom (INSS 6.2024). Es kommt immer wieder zu Verknappungen von Benzin und Diesel, welcher für Heizzwecke und zur Stromproduktion verwendet wird, weil die syrischen Ölquellen vorwiegend im von US besetzten Gebiet Syriens zu finden sind und fossile Energieträger daher weitestgehend importiert werden müssen. Der Energiesektor ist aufgrund der sektoriellen unilateralen Restriktionen in diesem Bereich, insbesondere durch die USA, die EU oder das Vereinigte Königreich behindert. Eine Rehabilitation oder Erneuerung der Kraftwerke zur Stromproduktion wird durch die einseitigen restriktiven Maßnahmen stark behindert. Dies führt zu einer landesweit völlig unzureichenden öffentlichen Stromversorgung, die alle Wirtschaftssektoren, aber auch die Stromversorgung von Gesundheitseinrichtungen, Schulen und privaten Haushalten massiv betrifft (ÖB Damaskus 2023). Millionen Syrer, können sich die hohen Gebühren für private Stromgeneratoren oder die Installation von Solarzellen nicht leisten (Independent 28.3.2025). In den wohlhabendsten Gegenden von Damaskus, wie Mezzeh und al-Maliki gibt es vier Stunden Strom am Tag. Je weiter man sich von der Stadt entfernt, desto weniger Strom gibt es. Manche Gebiete haben seit Jahren keinen Strom mehr (UNRCHCSYR 22.9.2024). Bei einer von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen sozio-ökonomische Studie durch computergestützte Telefoninterviews, bei der 600 Syrer im Alter von 16-35 Jahren in den drei größten Städten, Damaskus, Homs und Aleppo im Juli 2024 befragt wurden, bestätigt sich dieses Bild. 2 % der Befragten gaben an, immer Elektrizität zur Verfügung zu haben, gefolgt von denjenigen, die meistens Elektrizität zur Verfügung hatten (14 %). Der größte Anteil der Befragten hatte manchmal Elektrizität zur Verfügung (68 %). Ein Anteil von 16 % hatte nie Elektrizität zur Verfügung. Ein Vergleich der Geschlechter zeigte, dass 2 % der männlichen und 1 % der weiblichen Befragten immer Zugang zu Elektrizität hatten, während 14 % der männlichen und 16 % der weiblichen Teilnehmer meistens Zugang zu Elektrizität hatten. 67 % der männlichen und 69 % der weiblichen Befragten hatten manchmal Zugang zu Elektrizität, während 17 % der männlichen Umfrageteilnehmer nie Zugang zu Elektrizität hatten. Dies gilt für 14 % der weiblichen Teilnehmer. Im Vergleich zum Vorjahr hatte sich die Verfügbarkeit von Elektrizität in den Wohnhäusern der Befragten verschlechtert (STDOK/SL 2024). Nur 1 % der im Zuge einer telefonischen Umfrage im August und September 2023 Befragten gaben an, immer Elektrizität zur Verfügung zu haben, gefolgt von denjenigen, die meistens Elektrizität zur Verfügung hatten (25 %). Den größten Anteil der Befragten bilden diejenigen, die manchmal Elektrizität zur Verfügung hatten (63 %). 11 % hatten nie Elektrizität zur Verfügung (STDOK/SL 14.2.2024). Die folgende von der Staatendokumentation erstellte Grafik zeigt die Ergebnisse dieser Studien im Städtevergleich:

Quelle: STDOK/SL 2024
In Aleppo ist die Abhängigkeit vom Kauf von teurem Strom aus privaten Generatoren (vor Ort Ampere genannt), gestiegen. In Idlib und im Umland von Aleppo blieb der Stromverbrauch der Haushalte, trotz Erweiterung des türkischen Stromnetzes, welches in den letzten zwei Jahren die meisten dieser Gebiete erreichte, auf einem Minimum beschränkt, da die kontinuierlichen Preiserhöhungen die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien überstiegen (SCPR/UniVie 8.2023).
Wirtschaftliche Lage
Die Herausforderungen sind enorm. Syriens Wirtschaft hatte 2011 einen Wert von 67,5 Milliarden US-Dollar (63,9 Milliarden Euro). Das Land lag in der globalen BIP-Rangliste auf Platz 68 von 196 Ländern, vergleichbar mit Paraguay und Slowenien. Im Jahr 2023 war die Wirtschaft auf Platz 129 der Rangliste gefallen, nachdem sie nach Schätzungen der Weltbank um 85 % auf nur neun Milliarden US-Dollar geschrumpft war. Damit lag das Land auf einer Stufe mit Ländern wie dem Tschad und den palästinensischen Autonomiegebieten. Der Konflikt hat die Infrastruktur des Landes verwüstet und das Strom-, Transport- und Gesundheitssystem nachhaltig geschädigt. Mehrere Städte, darunter Aleppo, ar-Raqqa und Homs, wurden weitgehend zerstört (DW 10.12.2024). Die Sanktionen hatten die stärksten Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage, besonders auf den Energiesektor (GovHoms 17.9.2024). Die Vereinigten Staaten und westliche Länder haben eine Reihe von Sanktionen gegen al-Assad persönlich, Mitglieder seiner Familie, hochrangige Persönlichkeiten des Regimes sowie mit ihm verbundene Unternehmen verhängt. Zu den bekanntesten gehörten: der Ceasar-Act und die Captagon-Acts 1 und 2. Nachdem im Jahr 2014 ein ehemaliger Militärfotograf der syrischen Militärpolizei unter dem Pseudonym "Caesar" Fotos von Leichen von Menschen, die in Haftanstalten in Syrien gefoltert worden waren, veröffentlich hatte, und ein internationales Untersuchungsteam die Echtheit der Bilder bestätigte, wurde der Caesar-Act 2020 von den USA erlassen. Diese verhängte Wirtschaftssanktionen gegen Syrien. Die Sanktionen des Caesar-Gesetzes zielten auf diejenigen ab, die dem Assad-Regime den Erwerb von Gütern, Dienstleistungen oder Technologien erleichtern, die die militärischen Aktivitäten des Regimes und seine Industrien in den Bereichen Luftfahrt, Öl- und Gasförderung sowie Bau und Technik unterstützen. Das Gesetz stellt Bedingungen für die Aufhebung der Sanktionen, darunter die Einstellung der syrischen (und russischen) Luftangriffe auf Zivilisten, die Aufhebung der Beschränkungen für die Verteilung humanitärer Hilfe in den vom Regime kontrollierten Gebieten, die Freilassung aller politischen Gefangenen, die Einhaltung internationaler Verträge über Massenvernichtungswaffen, die Erleichterung der Rückkehr von Flüchtlingen und die Einleitung eines Prozesses echter Rechenschaftspflicht und nationaler Aussöhnung im Einklang mit der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrates. Der Captagon-Act 2 zielt auf alle Personen gleich welcher Nationalität ab, die an der Herstellung oder dem Schmuggel von Drogen beteiligt sind oder von den Erträgen aus dem Drogenhandel profitieren (AlHurra 15.12.2024a).
Die beiden wichtigsten Säulen der syrischen Wirtschaft – Öl und Landwirtschaft – wurden durch den Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen. Syriens Ölexporte machten im Jahr 2010 etwa ein Viertel der Staatseinnahmen aus. Die Lebensmittelproduktion trug einen ähnlichen Betrag zum BIP bei. Das Assad-Regime verlor die Kontrolle über die meisten seiner Ölfelder an Rebellengruppen, darunter der selbst ernannte Islamische Staat (IS) und später kurdisch geführte Truppen. Internationale Sanktionen schränkten die Fähigkeit der Regierung, Öl zu exportieren, stark ein. Da die Ölförderung in den vom Regime kontrollierten Gebieten im vergangenen Jahr auf weniger als 9.000 Barrel pro Tag zurückging, war das Land stark auf Importe aus dem Iran angewiesen (DW 10.12.2024).
Trotz eines deutlichen Rückgangs der Militäroperationen hat Syrien seit 2020 eine drastische Verschlechterung der Wirtschaftslage, einen Anstieg der Arbeitslosenquote, einen Rückgang der öffentlichen Dienstleistungen, einen Anstieg der Lebenshaltungskosten und Preise sowie eine Verschärfung der Armut, Entbehrung und Ernährungsunsicherheit erlebt. Diese Verschlechterung wurde vorangetrieben durch die Konfliktparteien, die in ihren jeweiligen Kontrollgebieten materielle und personelle Ressourcen durch Monopole, Inbesitznahme, Korruption, Schmuggel, Drogenhandel, Plünderungen, ungerechte Ausbeutung natürlicher Ressourcen usw. zugunsten der Konflikteliten umleiteten (SCPR 6.2024). Im Laufe der Zeit haben sowohl staatliche Akteure als auch nicht staatliche bewaffnete Gruppen parallele, miteinander verbundene und voneinander abhängige politische Ökonomien geschaffen, in denen die Grenzen zwischen formell und informell, legal und illegal, Regulierung und Zwang weitgehend verschwunden sind (BI 27.1.2023).
In vielen Gebieten der Opposition führten Jahre der Not und Entbehrung (in vielen Fällen aufgrund von Belagerungen) zur Ausbreitung von Konfliktökonomien, wodurch die Bewohner unter die Herrschaft lokaler Kriegsherren gerieten. Die durch den Krieg verursachten katastrophalen wirtschaftlichen Bedingungen, einschließlich des Verlusts männlicher Ernährer durch Kampfhandlungen, Verletzungen und Tod, führten zu einer umfangreichen Schattenwirtschaft, insbesondere unter Frauen (BS 19.3.2024). Schon vor Ausbruch des Krieges 2011 machte die Schattenwirtschaft schätzungsweise rund 30 % der Beschäftigung (1,5 Millionen Menschen) und zwischen 30 und 40 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) aus. Sie dürfte seither vor allem aufgrund des zunehmenden Schmuggels und krimineller Aktivitäten erheblich gewachsen sein (FES 1.4.2024).
Seit 2022 litten die Gebiete unter der Kontrolle des Regimes unter einer Wirtschaftskrise, die in der Geschichte Syriens beispiellos war. Die Auswirkungen reichten von einer galoppierenden Inflation, der Abwertung des syrischen Pfunds und einer gravierenden Verknappung von Brennstoffen und Strom bis hin zu einer zunehmenden Ernährungsunsicherheit und weitverbreiteter Armut. Trotz der Versuche der Regierung, den wirtschaftlichen Niedergang des Landes abzumildern, wurde die Krise durch eine Vielzahl von Faktoren verschärft, darunter die sozioökonomischen Folgen der COVID-19-Pandemie und der wirtschaftliche Zusammenbruch des Nachbarlandes Libanon, die einem zwölf-jährigen Krieg folgten sowie Korruption und Sanktionen (GITOC 2023). Der Gouverneur von Homs, der im Rahmen der FFM 2024 der Staatendokumentation interviewt wurde, sieht den Krieg und die Sanktionen als die Faktoren, mit den größten Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation, insbesondere auf den Energiesektor, der für andere Sektoren von entscheidender Bedeutung ist. Elektrizität ist der größte Faktor auf allen Ebenen. Die Sanktionen wurden gegen den Präsidenten verhängt, aber sie haben Auswirkungen auf das syrische Volk (GovHoms 17.9.2024). Der Syrienkonflikt hatte große Auswirkungen auf Industrieanlagen wie Düngemittelfabriken, Ölraffinerien, Zement- und Stahlwerke, Elektrizitätswerke, Zuckerfabriken, Olivenölpressen sowie chemische und pharmazeutische Anlagen und hat zu schweren Umweltschäden geführt, die auf die erzwungene Stilllegung von Industrieanlagen, die Nichteinhaltung und Durchsetzung von Umweltschutzstandards, die Behinderung der industriellen Erneuerung und die unkontrollierte Zunahme der Mineralgewinnung zurückzuführen sind. Die akute und chronische Exposition gegenüber toxischen Kriegsrückständen, z. B. in Blindgängern, Treibmitteln von Raketen und Flugkörpern sowie den chemischen Bestandteilen von Sprengstoffen, stellen ein besorgniserregendes Risiko für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt dar (PAX 11.2024).
Der Agrarsektor ist eine wichtige Einkommensquelle für Tausende Familien, denn laut Syrian Indicator arbeiten ca. 20 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft (SyrInd 13.3.2024). UNOCHA gibt an, dass sogar 45 % der Bevölkerung auf die Landwirtschaft als Haupteinnahmequelle angewiesen sind (UNOCHA 3.3.2024). Die Acker- und Waldfläche macht 32,8 % der syrischen Gesamtfläche aus (SyrInd 13.3.2024). Seit Beginn des Konflikts ist die bewässerte Anbaufläche in Syrien im Vergleich zu 2010 um 25 % zurückgegangen, wobei der Anteil der bewässerten Anbaufläche an der gesamten Anbaufläche von 24 auf 17 % gesunken ist, obwohl sich die Gesamtfläche der Anbaufläche nicht wesentlich verändert hat (WB 28.5.2024). Die landwirtschaftliche Produktion, insbesondere von Weizen, deckt immer noch nicht den gesamten nationalen Bedarf (mehr als 35 % unter dem Bedarf) und liegt weit unter dem langfristigen Produktionsdurchschnitt sowie unter jenem vor der Krise (UNOCHA 3.3.2024). Darüber hinaus ist die Wirtschaft inzwischen stark von externer Hilfe abhängig, die rund 30 % des Bruttoinlandsprodukts ausmacht (SCPR/UniVie 8.2023).
Das BIP im Jahr 2023 lag mit 38 % unter jenem von 2010, hinzu kommen noch die Verluste durch das Erdbeben im Februar 2023, die etwa 33 % des BIP für das Jahr 2023 ausmachten. Das Handelsdefizit erreichte 2023 etwa 70 % des BIP, da die Abhängigkeit von Importen, die mehr als das Sechsfache der Exporte ausmachten, anhielt. Das allgemeine Haushaltsdefizit des Staates überstieg 50 % des BIP. Die sich ansammelnden und anhaltenden staatlichen Haushaltsdefizite, die durch interne Darlehen der syrischen Zentralbank gedeckt werden, beschleunigten die Wertminderung der Landeswährung, sodass der durchschnittliche Wechselkurs des syrischen Pfunds gegenüber dem US-Dollar stark anstieg (SCPR 6.2024).
Anstieg des Wechselkurses zwischen 2020 und 2023 des Syrischem Pfunds (SYP) zum US-Dollar (USD) anhand der Daten des Syrian Centers for Policy Research (Darstellung der Staatendokumentation)

Quelle: SCPR 6.2024
In Syrien kam es im Jahr 2023 zu einer Hyperinflation der Preise, da sich der Verbraucherpreisindex (VPI) im Vergleich zu 2022 verdoppelte und einen Wert von 400 erreichte (Basisjahr 2021), verglichen mit 185 im Jahr 2022. Diese Inflation führte zu einem deutlichen Anstieg der Armutsgrenzen in ganz Syrien. Auch der Wert der Türkischen Lira (TL), die in den Gebieten der Opposition als Handelswährung verwendet wird, sank 2023 gegenüber dem US-Dollar um 28,6 % im Vergleich zu 2022. Der Wechselkurs betrug 2023 24,2 TL pro US-Dollar, verglichen mit 18,8 TL pro US-Dollar im Jahr 2022 (SCPR 6.2024). Einem syrischen, staatsnahen Medium zufolge sind die Preise auf dem Markt im Nordwesten Syriens 2024 zwischen 12 und 38 % gestiegen (Syria TV 31.5.2024).
Die Assad-Regierung hatte keine Maßnahmen zum Schutz der Privatwirtschaft ergriffen. Im Gegenteil wurde der Privatsektor zunehmend ausgebeutet. Privatunternehmen waren besonders gefährdet, geschlossen zu werden oder dass ihr Vermögen willkürlich beschlagnahmt wird. Die Regierung füllte die Staatskasse durch willkürliche Steuern und Bußgelder für Privatunternehmen auf. Darüber hinaus stahlen und beschlagnahmten bewaffnete Akteure, die für das Regime arbeiteten, regelmäßig das Eigentum kleiner Unternehmen oder erpressten Bestechungsgelder oder „Schutzgelder“. Die Regierung hatte auch Einnahmen aus dem Privatsektor erzielt, indem sie die Anzahl oder die Kosten der bürokratischen Schritte erhöhte, die für die Gründung eines Unternehmens erforderlich waren. Im Januar 2023 hatte das Ministerium für Binnenhandel und Verbraucherschutz damit begonnen, von allen Verkäufern zu verlangen, dass sie ein „Handelsregister“ einholen – ein bürokratischer Schritt, der einen Kleinunternehmer zwischen 800.000 und 1 Million Syrischen Pfund kostete (BS 19.3.2024). Der Gouverneur von Homs, der im Rahmen der FFM 2024 der Staatendokumentation interviewt wurde, sagte, dass die Menschen nichts kaufen können, weshalb die Produktion sinnlos sei (GovHoms 17.9.2024).
Mit zunehmender Isolation und dem Ausbleiben politischer und wirtschaftlicher Reformen wurde Syrien immer abhängiger von Iran. Eine informelle Wirtschaft, die durch Schmuggel und Drogenhandel, vor allem mit dem amphetaminähnlichen Betäubungsmittel Captagon, angetrieben wurde, expandierte und erwirtschaftete jährlich schätzungsweise 10 Milliarden US-Dollar, die größtenteils von Sicherheitsdiensten, dem Militär und Verbündeten Assads kontrolliert wurden (MECGA 7.1.2025).
Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Obwohl der syrische Präsident Bashar al-Assad im Dezember 2024 in einem blitzartigen Aufstand gestürzt wurde, hat sich an den von den Demonstranten angeprangerten katastrophalen wirtschaftlichen Bedingungen des Landes nichts geändert (AP 24.1.2025). In einer von The Economist im März 2025 durchgeführten Umfrage zeigte sich, dass mehr als die Hälfte der Befragten der Meinung ist, dass sich die wirtschaftliche Lage unter der Führung von ash-Shara' entweder verschlechtert hat oder sie stagniert. Seine Entscheidungen, die Einfuhrzölle neu zu bewerten und den freien Dollarhandel zuzulassen, finden Unterstützung (Economist 2.4.2025). Die syrische Wirtschaft wird als sich beschleunigend zusammenbrechend, mit sich verschlechternden öffentlichen Dienstleistungen, steigender Arbeitslosigkeit und Haushalten, die ohne Kaufkraft zu kämpfen haben, beschrieben. Die Zerstörung der Infrastruktur, die anhaltende Währungsabwertung und der Entzug der wirtschaftlichen Unterstützung durch Russland und Iran haben die Krise noch verschärft. Die Straßen in Damaskus sind mit billigen türkischen Importwaren überflutet, die sich die Syrer nicht leisten können (Bourse Bazaar 1.4.2025).
In der syrischen Staatskasse gibt es kein ausländisches Geld. Rohstoffe, wie Öl, Gas und Phosphate werden von außen kontrolliert (AlHurra 12.12.2024). Ash-Shara' kündigte an, dass eine neue Währung ausgegeben werden wird (CNBC Ara 15.12.2024a). Die Wiederherstellung der Grundversorgung, wie z. B. der Wasser- und Stromversorgung, bleibt in allen Gouvernements aufgrund von Unsicherheit und Schäden eine Herausforderung (UNOCHA 7.1.2025). Die Kosten für den Wiederaufbau und die Sanierung Syriens werden auf 400 bis 600 Milliarden US-Dollar geschätzt. Es werden internationale Wiederaufbau- und Sanierungshilfen, Zuschüsse und Finanzpakete benötigt (MECGA 7.1.2025). Die geschäftsführende Regierung hat angekündigt, ein Paket von Reformen durchführen zu wollen, darunter auch Pläne zur Privatisierung einiger staatlicher Unternehmen, die unter ständigen Verlusten leiden. Diese Erklärungen spiegeln einen Trend zur wirtschaftlichen Umstrukturierung wider, weg von der zentralen Planung und dem sozialistischen Modell, dem das Land in den vergangenen Jahrzehnten gefolgt ist, hin zu einem offeneren und flexibleren Wirtschaftsmodell, das auf den Prinzipien des freien Marktes und der öffentlich-privaten Partnerschaft beruht (OSS 20.1.2025). Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank von 60 Milliarden US-Dollar im Jahr 2010 auf weniger als 6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 (Sharq Bu 5.1.2025). Der Wechselkurs des Dollars in Syrien hat seit dem Sturz des Regimes am 8.12.2024 einen bemerkenswerten Rückgang erlebt. Er ist Anfang Februar rapide auf etwa 8.000 syrische Pfund gefallen, nachdem er in den letzten Tagen des vorherigen Regimes 17.000 Syrische Pfund erreicht hatte (Akhbar 5.2.2025). Ende Jänner lag er zwischen 11.500 und 13.000 Syrischen Pfund per US-Dollar und ist immer noch weit von dem Vorkriegsniveau entfernt, als der US-Dollar zu etwa 47 Syrischen Pfund gehandelt wurde (Sharq Bu 29.1.2025). Ein Wirtschaftswissenschaftler erklärte, dass dieser Rückgang fiktiv und wirtschaftlich nicht gerechtfertigt ist, sodass der Wechselkurs bald wieder steigen werde (Akhbar 5.2.2025). Die Inflationsrate in Syrien ist im Jahr 2024 auf 57 % gesunken, verglichen mit der Rate von 117,3 % im Jahr 2023, wie es in einem Bericht der syrischen Zentralbank steht. Angesichts der aktuellen Lage in Syrien, wo die Preise für Grundnahrungsmittel steigen, wird die derzeitige Art der Inflation als extremer Fall von Stagflation angesehen, die zu den schlimmsten wirtschaftlichen Bedingungen gehört, die ein Land erreichen kann (Enab 13.2.2025). Während sich die Preise weitgehend stabilisiert haben, belasten die geringere Kaufkraft sowie die Herausforderungen bei Bankgeschäften und der Liquidität weiterhin die Lebensbedingungen. Darüber hinaus wird in allen Gouvernements weiterhin über Brennstoff-, Strom- und Wasserknappheit berichtet (UNOCHA 7.1.2025). Nach den Entwicklungen im Dezember 2024 zeigte die Währung erste Anzeichen einer Erholung, die hauptsächlich auf zwei Faktoren zurückzuführen war: einen Zustrom von Syrern aus dem Ausland, die harte Währung mitbrachten, und eine eingeschränkte Liquidität bei den Banken, was die Bargeldabhebungen einschränkte (UNDP 20.2.2025).
Neun von zehn Syrer leben in Armut und jeder Vierte ist arbeitslos (Arabiya 22.2.2025). Fast die Hälfte der Bevölkerung lebte 2024 unterhalb der Armutsgrenze von 2,15 US-Dollar pro Tag (UNESCWA 26.1.2025). Seit Jahren sind syrische Familien auf humanitäre Hilfe und Überweisungen von Familienmitgliedern im Ausland angewiesen, um zu überleben (AP 24.1.2025). Fast 13 Millionen Menschen sind nach wie vor von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen, während das Welternährungsprogramm (WFP) in den letzten zwei Jahren gezwungen war, die Nahrungsmittelhilfe um 80 % zu kürzen (UNSC 8.1.2025). Seit dem Sturz des früheren Regimes hat sich der Brotpreis vervielfacht. Der Preis für einen Laib Brot lag in der Zeit vor dem Sturz des Regimes bei 400 Syrischen Pfund (SYP), sagte eine lokale Quelle gegenüber Al-Hurra, und ist nun um das Zehnfache auf 4.000 SYP (etwa 0,3 US-Dollar) gestiegen. Brot gehört zur Grundversorgung. Die Menschen stehen vor Bäckereien teilweise stundenlang Schlange, um einen Laib Brot zu kaufen. Die Brotkrise in Syrien hat sich nach dem Ausbruch der Revolution und der Verschlechterung der Lebens-, Wirtschafts- und Sicherheitsbedingungen verschärft, insbesondere durch die Zunahme der Stromausfälle. Die neue Regierung hat mehrere Anträge für die Einrichtung neuer Bäckereien eingereicht, die derzeit geprüft werden, was sich positiv auf die Erfüllung der Bedürfnisse der Bürger und die Verbesserung der Qualität des Brotes auswirken soll (AlHurra 13.2.2025). Ende 2024 waren schätzungsweise fast 90 % der Syrer bedürftig, entweder von Ernährungsunsicherheit betroffen oder von Ernährungsunsicherheit bedroht, obwohl frühere Regierungsberichte eine niedrigere Zahl von unter 60 % angaben (UNDP 20.2.2025).
Es herrscht Bargeldknappheit (Economist 2.4.2025). Syrien leidet unter einem gravierenden Mangel an Banknoten. Syriens Wirtschaft funktioniert aber überwiegend mit Bargeld. Unternehmen können keine Löhne zahlen. Familien können keine Grundgüter kaufen. Sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen haben zwar Geld auf ihren Bankkonten, aber die Banken verfügen nicht über genügend Banknoten, um es auszuzahlen. Stattdessen hat die Zentralbank ihnen Anweisung gegeben, die Abhebungen zu begrenzen. Der Bargeldmangel ist so gravierend, dass der Wert des syrischen Pfunds trotz aller wirtschaftlichen Probleme des Landes gegenüber dem Dollar steigt. Die Preise für Güter des täglichen Bedarfs sinken, zum Teil weil deren Import jetzt einfacher ist, aber möglicherweise auch, weil immer weniger Bargeld für den Kauf zur Verfügung steht (Economist 6.3.2025).
In ganz Syrien belasten der Mangel an öffentlichen Dienstleistungen und die anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen weiterhin die Gemeinden und die humanitäre Hilfe. Viele Haushalte sind aufgrund der geringeren Kaufkraft, der begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten – insbesondere in ländlichen Gebieten – und der Liquiditätsengpässe nicht in der Lage, Essen auf den Tisch zu bringen. Die Einschränkungen beim Bargeldbezug wirken sich weiterhin auf NGOs, Auftragnehmer und Dienstleister und direkt auf die Bemühungen um eine rasche Erholung aus. Es wird von einem gravierenden Mangel an Baumaterialien auf dem lokalen Markt berichtet, während der durch Inflation und Abwertung verursachte wirtschaftliche Druck es erschwert, die steigende Nachfrage nach Hilfe zu decken (UNOCHA 30.1.2025). Seit dem 15.12.2024 beeinträchtigt eine schwere Liquiditätskrise im ganzen Land die humanitären Programme und führt zu Unterbrechungen der Hilfsmaßnahmen und erheblichen Verzögerungen. Darüber hinaus haben Finanzinstitute, Einzelhändler, Lieferanten und Dienstleister aufgrund des Mangels an syrischen Pfund Schwierigkeiten, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Die sich verschlechternde Liquiditätskrise verschärft die humanitären Herausforderungen, insbesondere für Haushalte, die bereits jetzt Schwierigkeiten haben, ihre Grundbedürfnisse zu decken. Da 90 % der Syrer unterhalb der Armutsgrenze leben, sind viele Familien gezwungen, ihre Ausgaben für lebensnotwendige Güter wie Lebensmittel, Wasser, Gesundheitsversorgung und Bildung zu kürzen (UNOCHA 27.3.2025).
UNHCR-Hochkommissar Grandi sagte, dass die grundlegende Thematik die Sicherheit und, damit verbunden, die Lebensbedingungen sind. Hier müsse alles unternommen werden, die Voraussetzungen dafür zu schaffen und zu stärken – und der Schlüssel hierfür sei „…Strom, Strom und noch mal Strom“ (ÖB Amman 6.2.2025). Syrien leidet unter einem Stromdefizit von bis zu 80 % seines tatsächlichen Bedarfs (Sharq Bu 2.3.2025). Die überwiegende Mehrheit der Menschen deckt ihren Strombedarf durch Generatoren, daher besteht ein sehr dringender Bedarf an Elektrizität (AJ 31.12.2024b). Die Krise der Stromrationierung wurde durch die Einstellung der Gas- und Öllieferungen aus den von den Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) kontrollierten Gebieten, sowie durch die Aussetzung der Verträge mit Iran über die Versorgung Syriens mit Rohöl nach dem Sturz des Assad-Regimes, noch verschärft (OSS 21.1.2025). In vielen Gouvernements gibt es weiterhin weniger als sechs Stunden am Tag Strom. In Homs und Hama steht alle acht Stunden für 45 bis 60 Minuten Strom zur Verfügung (UNOCHA 30.1.2025). In Deir ez-Zour kommt es häufig zu Stromausfällen, ohne dass sich die Situation wesentlich verbessert. Dies führt in einigen Stadtvierteln zu Wasserknappheit und behindert die Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen und die wirtschaftliche Erholung (UNOCHA 12.2.2025). Die Übergangsregierung sagt, sie wolle innerhalb von zwei Monaten (Stand Jänner 2025) acht Stunden Strom pro Tag zur Verfügung stellen (Sky News 7.1.2025). Bis Anfang März 2025 hat sich die Stromversorgung zu verbessern begonnen. Die Versorgungszeiten sind in der Hauptstadt Damaskus und auf dem Land auf etwa sechs Stunden pro Tag gestiegen. Die verbesserte Versorgung könnte darauf zurückzuführen sein, dass Syrien Ende Februar bekannt gegeben hat, dass die Produktion aus dem Gasbohrloch Tias 5 im ländlichen Homs, mit einer Kapazität von 130.000 Kubikmetern pro Tag, begonnen hat. Die Produktion des neuen Bohrlochs wurde an das Gasnetz angeschlossen (Sharq Bu 2.3.2025). Das Elektrizitätsministerium benötigt etwa 23 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag, von denen nur 6,5 Millionen Kubikmeter verfügbar sind. Außerdem benötigt das Ministerium 10.000 Tonnen Brennstoff pro Tag, von denen derzeit nur 4.500 Tonnen verfügbar sind, was die Stromerzeugung erheblich behindert. Der direkte Schaden am Stromnetz wird auf 40 Milliarden US-Dollar geschätzt, während der indirekte Schaden 80 Milliarden US-Dollar übersteigt, was das Ausmaß der Herausforderungen für den Stromsektor verdeutlicht (OSS 21.1.2025). Im Rahmen der Hilfe, die Syriens Nachbarn nach dem Sturz des Regimes leisteten, erklärte sich die jordanische Regierung bereit, Syrien über das Verbundnetz mit Strom zu versorgen, und kündigte die Bereitstellung jordanischer Leitungen zu diesem Zweck an. Es wird erwartet, dass diese Zusammenarbeit den Kern der regionalen Integration bildet und die Krise auf kurze Sicht lindert (OSS 21.1.2025). Tatsächlich hat sich Jordanien unmittelbar nach dem 8.12.2024 zu Stromlieferungen bereit erklärt – dies scheitert bis dato allerdings am Fehlen bzw. dem völlig desolaten Zustand der betreffenden Strukturen auf der syrischen Seite. Es müsse mithin eine Priorität sein, das Stromnetz in Syrien wiederherzustellen (ÖB Amman 6.2.2025). Türkische Unternehmen wie KarpowerShip haben ebenfalls angeboten, Syrien über schwimmende Kraftwerksschiffe mit Strom zu versorgen. Zwei Schiffe würden in den Häfen von Banias und Tartus anlegen und 800 Megawatt erzeugen, was 33 % der derzeitigen Stromproduktion entspricht. Die syrische Regierung arbeitet derzeit mit regionalen und internationalen Partnern zusammen, um beschädigte Anlagen zu reparieren, einschließlich der Reparatur von Hochspannungsleitungen und der Wiederinbetriebnahme von Schlüsselanlagen. Durch die teilweise Aufhebung der US-Sanktionen bis Juli 2025 wird die Regierung in der Lage sein, Ausrüstung und Ersatzteile zu importieren, die für die Instandsetzung von Kraftwerken und Übertragungsnetzen benötigt werden (OSS 21.1.2025). Die neuen Behörden Syriens haben versucht, die Stromkrise des Landes zu lindern, konnten jedoch die Ausfälle mit Notlösungen nicht stoppen. Selbst mit einem kürzlich abgeschlossenen Gasabkommen mit Katar und einer Vereinbarung mit den kurdisch geführten Behörden, die ihnen Zugang zu den Ölfeldern Syriens gewähren, verbringt das Land die meisten Tage praktisch ohne Strom (Independent 28.3.2025).
Die syrische Wirtschaft basiert auf den Sektoren Landwirtschaft, Industrie, Dienstleistungen und Bankwesen. Das Ackerland macht etwa 32 % der Landfläche Syriens aus. Der Agrarsektor trägt zu 28 % zum BIP bei (Sharq Bu 5.1.2025). Die Landwirte im Land leiden auch unter dem Niederschlagsmangel der letzten Monate, der zu einem fast vollständigen Ausfall der Regenfeldbaukulturen geführt hat. Einige Landwirte haben auf die Verwendung von Abwasser zur Bewässerung ihrer Pflanzen zurückgegriffen, wodurch das Risiko der Ausbreitung von Krankheiten entsteht (UNOCHA 30.1.2025). Russische und syrische Quellen sagten, dass Syrien unter al-Assad Lebensmittel aus Russland importiert hat, aber die russischen Weizenlieferungen wurden aufgrund der Unsicherheit über die neue Regierung und Probleme mit verspäteten Zahlungen eingestellt. Der ukrainische Präsident Selenskyj sagte der syrischen Übergangsregierung Nahrungsmittelhilfe mit Weizen, Mehl und Öl zu. Syrien ist auf Importe angewiesen, um die lebenswichtige Brotsubvention für die Bevölkerung aufrechtzuerhalten (AJ 15.12.2024b). Das Vereinigte Königreich wird fast vier Millionen US-Dollar für die Lieferung von Getreide und anderen Nahrungsmitteln aus der Ukraine nach Syrien bereitstellen, nachdem die Sanktionen für das Land im Jänner 2025 gelockert wurden (MEMO 5.2.2025). Die Unsicherheit und Vertreibungen im November und Dezember, die mit dem Ende der landwirtschaftlichen Anbausaison zusammenfielen, beeinträchtigen auch die landwirtschaftliche Existenzgrundlage. Nach Angaben der Verwalterbehörden wurden in dieser Saison in Teilen Syriens nur 40 % der üblichen Weizenmenge angebaut. Landwirtschaftliche Haushalte benötigen dringend landwirtschaftliche Betriebsmittel wie Saatgut, Düngemittel und Tierfutter, während die Niederschläge in den letzten Wochen unterdurchschnittlich und unregelmäßig ausfielen. Ohne zusätzliche Unterstützung werde die Weizen- und Gerstenproduktion im Jahr 2025 in einem Land, in dem bereits 15 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, stark beeinträchtigt werden (UNOCHA 7.1.2025). Nach Schätzungen der örtlichen Landwirte hat es in diesem Jahr in Idlib nicht mehr als 40 % des Jahresdurchschnitts geregnet, was zu weitreichenden Schäden an den Regenfeldfrüchten, insbesondere Weizen und Gerste, geführt hat. Die hohen Kosten für Anbau und Düngemittel und die fehlende Unterstützung haben die Landwirte in der Umgebung der Stadt Idlib schwer belastet. Der Preis für eine Tonne organischen Dünger stieg auf über 450 US-Dollar und der Preis für eine Tonne Weizensaatgut auf 500 US-dollar, sodass viele nicht mehr in der Lage waren, ihre Aussaat zu vollenden oder ihre Pflanzen zu bewässern (SOHR 22.4.2025).
Die syrische Zentralbank hat das Verbot von ausländischen Devisen aufgehoben. Importeure dürfen die Importe ihrer Waren mit ausländischen Devisen finanzieren, sofern dies nicht gegen internationale und lokale Gesetze und Vorschriften zur Geldwäsche verstößt. Außerdem wurde auch der Export von Waren vom "Exportpfand" befreit (CNBC Ara 15.12.2024b). Syriens neuer Wirtschaftsminister kündigte eine große Verschiebung hin zu einer wettbewerbsorientierten freien Marktwirtschaft an. Die Regierung wird an der Privatisierung staatlicher Industrieunternehmen arbeiten, von denen es 107 gibt und die größtenteils Verluste machen. Strategische Energie- und Transportanlagen sollen in öffentlicher Hand bleiben (REU 31.1.2025). Die Wirtschaft werde in der Zukunft offen sein. Die neuen Behörden würden sich auf fünf Sektoren fokussieren, kündigte der Außenminister an: Energie, Telekommunikation, Straßen und Flughäfen, Bildung und Gesundheit (Zeit Online 23.1.2025). Er erklärte außerdem, dass die neue syrische Regierung plant, staatliche Häfen und Fabriken zu privatisieren und versucht, ausländische Investitionen ins Land zu holen und den Außenhandel anzukurbeln. Experten warnen, die Privatisierung müsse mit dem Aufbau staatlicher Institutionen und Rechtsstaatlichkeit beginnen, insbesondere mit einer kompetenten und fairen Justiz und einer kompetenten und nicht korrupten Verwaltung (AlHurra 24.1.2025). Die Übergangsregierung hat festgestellt, dass 70 % der staatlichen Unternehmen mit wirtschaftlichem Charakter Verluste machen, obwohl sie exklusive Dienstleistungen für den Staat erbringen, wie die Elektrizitätsgesellschaft und die Unternehmen der Rüstungsindustrie (Sharq Bu 5.1.2025). Der Wiederaufbau der Wirtschaft wird sich laut Aussagen des syrischen Finanzministers Abazid auf mehrere Sektoren konzentrieren, darunter der Industriesektor, der durch den Krieg beschädigt wurde und etwa 70 % seiner Kapazität verloren haben soll. Der Ölsektor gilt laut Aussage des Finanzministers Abazid als eine der wichtigsten Säulen für die Wiederbelebung der syrischen Wirtschaft. Die Ölreserven des Landes liegen allerdings im Osten und Nordosten unter der Kontrolle der Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF). Die Reserven belaufen sich laut Statistiken der US Energy Information Administration (EIA) auf 2,5 Milliarden Barrel (Sharq Bu 5.1.2025). Die syrischen Behörden haben damit begonnen, die Infrastruktur von Ölraffinerien, Ölleitungen, Kraftwerken und Netzen wiederherzustellen, um die Treibstoff- und Stromproduktion zu steigern. Infolge des Krieges ist Damaskus für 95 % seines Ölbedarfs auf Importe angewiesen. Offiziellen Schätzungen zufolge importiert das Land etwa fünf Millionen Barrel pro Monat oder mehr als 160.000 Barrel pro Tag, nachdem es vor 2011 noch 150.000 Barrel Rohöl pro Tag exportiert hatte (Sharq Bu 29.1.2025). Vor dem Sturz al-Assads war Syrien bei seinen Öllieferungen stark von Iran abhängig. Doch Teheran hat die Rohöllieferungen nach Syrien eingestellt, seit HTS die Kontrolle übernommen hat, sodass die neue Übergangsregierung unter Druck steht, alternative Lieferanten zu finden. Regierungsabkommen sind eine mögliche Option (Argus 22.1.2025).
Die Kontrollpunkte und Zölle, die früher den Warenverkehr behinderten, sind verschwunden, was die Kosten senkt. Die syrischen Märkte haben einen erheblichen Zustrom türkischer Waren erlebt, was den Wettbewerb angekurbelt und zu niedrigeren Preisen beigetragen hat (Sharq Bu 2.3.2025). Ausländische Waren, die jahrelang nur eingeschränkt eingeführt werden durften, wurden im Jänner 2025 ins Land gelassen. Unter al-Assads Herrschaft wurden die meisten Waren im Inland produziert oder durch ein System exorbitanter Steuern, Zölle und Bußgelder eingeschmuggelt, was die Kosten in die Höhe trieb. Unternehmen in Teilen Syriens, die früher vom Assad-Regime kontrolliert wurden, haben Schwierigkeiten, ihre Waren zu verkaufen, da eine Flut von Billigimporten die lokalen Produzenten unterbietet. Die Rückkehr von Importen in ehemals von al-Assad kontrollierte Gebiete wurde zunächst mit Begeisterung aufgenommen, weil die Bewohner nun in der Lage waren, Artikel zu kaufen, die lange Zeit in den Geschäften fehlten, wie Coca-Cola und französischer Käse. Doch die Begeisterung war nur von kurzer Dauer, weil eine landesweite Bargeldknappheit und eine Verlangsamung der lokalen Geschäftstätigkeit die Kaufkraft der Menschen einschränkten. Die schnelle Lockerung der Importbeschränkungen durch HTS hat in den ehemals vom Regime kontrollierten Gebieten, einschließlich der Hauptstadt Damaskus im Süden, für Unmut gesorgt (FT 2.3.2025).
Die strengen internationalen Sanktionen gegen Syrien blieben vorerst aufrecht, denn auch die HTS unterlag internationalen Sanktionen aufgrund der Einstufung als Terrororganisation durch die Vereinten Nationen (VN) und die USA. Ohne eine Lockerung dieser Beschränkungen werden Investoren das vom Krieg verwüstete Land weiterhin meiden und Hilfsorganisationen könnten zögern, einzugreifen, um der syrischen Bevölkerung lebenswichtige humanitäre Hilfe zu leisten (DW 10.12.2024). Die HTS steht seit mehr als einem Jahrzehnt auf der al-Qaida- und IS-Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrats und unterliegt einem weltweiten Einfrieren von Vermögenswerten und einem Waffenembargo, obwohl es eine humanitäre Ausnahme gibt (Sky News 7.1.2025). Trotz einiger Forderungen im US-amerikanischen Kongress, die Sanktionen gegen Syrien zu lockern, insbesondere nach dem Sturz des Regimes von Bashar al-Assad, ist die vorherrschende Stimmung dagegen (AlHurra 15.12.2024a). Am 6.1.2025 wurden Ausnahmen durch die USA von den Syrien-Sanktionen verlautbart. Diese Ausnahmeregelung erlaubt bis zum 7. Juli u. a. bestimmte Energietransaktionen und persönliche Überweisungen nach Syrien (Sky News 7.1.2025). Das US-Finanzministerium hat die Erteilung einer allgemeinen auf Syrien bezogenen Lizenz bekannt gegeben, welche Transaktionen mit syrischen Regierungsinstitutionen und bestimmte Energietransaktionen ermöglicht. Die Lizenzen erlauben u. a. den Transfer von persönlichen Geldern nach Syrien, auch über die syrische Zentralbank. Damit sollen Finanztransaktionen mit Einzelpersonen und Institutionen erleichtert werden (AJ 6.1.2025). Transaktionen mit Syriens Regierungsinstitutionen sind erlaubt, außer Transaktionen, an denen Militär oder Geheimdienste beteiligt sind, sowie an sanktionierte Personen. Nach Angaben des US-Finanzministeriums bleiben die Sanktionen Washingtons gegen al-Assad und seine Verbündeten, die syrische Regierung, die syrische Zentralbank und HTS in Kraft (Sky News 7.1.2025). Diese Maßnahme ist Teil des Engagements der USA, sicherzustellen, dass die US-Sanktionen keine Auswirkungen auf Aktivitäten haben, die grundlegende humanitäre Bedürfnisse befriedigen, einschließlich der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen oder humanitärer Hilfe (Almodon 6.1.2025). Am 24.2.2025 hob die EU eine Reihe von Sanktionen gegen Syrien mit sofortiger Wirkung auf, darunter Beschränkungen in den Bereichen Energie, Banken, Verkehr und Wiederaufbau. Bei ihrem Treffen in Brüssel einigten sich die EU-Außenminister darauf, die Beschränkungen für Öl, Gas und Strom sowie die Sanktionen für den Transportsektor auszusetzen. Sie haben auch das Einfrieren von Vermögenswerten für fünf Banken aufgehoben, die Beschränkungen für die syrische Zentralbank gelockert und eine Ausnahmeregelung auf unbestimmte Zeit verlängert, um die Lieferung humanitärer Hilfe zu erleichtern (REU 24.2.2025). Der Leiter der syrischen Investitionsagentur hält die bisher ergriffenen Maßnahmen bezüglich Sanktionen für unzureichend. Er sagte, dass westliche Sanktionen gegen den syrischen Bankensektor weiterhin kritische Investitionen in die vom Krieg zerstörte Wirtschaft verhindern, obwohl syrische und ausländische Investoren seit dem Sturz von Bashar al-Assad großes Interesse daran haben (REU 10.2.2025). Die Wirkung der Sanktionslockerungen der EU ist durch die extraterritoriale Wirkung der US-Sanktionen eingeschränkt. Die USA sehen Ausnahmen für wesentliche Dienstleistungen vor, erlauben jedoch keine neuen Investitionen oder ein breiteres Engagement (Bourse Bazaar 1.4.2025). Es gibt immer noch Sanktionen im Zusammenhang mit dem Bankensystem, die den syrischen Handel mit Ländern in der ganzen Welt sowie den Zugang zu den Kapitalmärkten für die Kreditaufnahme behindern (Arabiya 27.1.2025). Die Sanktionen der Vereinten Nationen gegen wichtige Mitglieder der syrischen Übergangsregierung sind weiterhin aufrecht (ICG 28.2.2025), und die HTS ist weiterhin auf der Liste der Sanktionen. Dadurch sind internationale finanzielle und diplomatische Beziehungen eingeschränkt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen unterscheiden sich zwar, doch die Auswirkungen sind insgesamt ähnlich: Finanzinstitute, Hilfsorganisationen und der Privatsektor zögern, sich in Syrien zu engagieren, da sie Compliance-Risiken und politische Folgen befürchten (Bourse Bazaar 1.4.2025).
Simulationen des Wirtschaftswachstums zeigen, dass das syrische BIP erst im Jahr 2080, also in fast 55 Jahren, wieder das Niveau von 2010 erreichen wird, wenn das Land weiterhin mit der bescheidenen Rate wächst, die in den letzten Jahren beobachtet wurde – etwa 1,3 % jährlich zwischen 2018 und 2024 (UNDP 20.2.2025).
Die jordanisch-syrische Freihandelszone ist ein gemeinsames Wirtschaftsgebiet, das von Jordanien und Syrien eingerichtet wurde, um den bilateralen Handel zu stimulieren. Sie liegt an der Grenze zwischen Jordanien und Syrien, in der Nähe des Grenzübergangs al-Jaber/ Nassib. Nach einer siebenjährigen Unterbrechung war sie im Dezember 2021 wiedereröffnet, im Dezember 2024 aufgrund der unsicheren Lage in Syrien und von Kämpfen im Grenzgebiet aber wieder geschlossen worden. Die Aktivitäten der jordanisch-syrischen Freihandelszone haben sich wieder normalisiert. Zu den Gütern, die nach Syrien gebracht wurden, gehörten Lebensmittel, Solarzellen und Sterilisatoren aus Jordanien und den Mitgliedstaaten des Golf-Kooperationsrates (GCC). Obwohl die Reaktivierung der Freihandelszone Möglichkeiten bietet, den bilateralen Handel zu intensivieren und Investitionen zu fördern, bleiben Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf die Sicherheitslage und die Infrastruktur dieser Einrichtung bestehen (VB Amman 29.1.2025).
HTS bekämpft die Captagon-Produktion in Syrien, aber es fehlt ihr an Interesse und Fähigkeiten die Ausbreitung von Drogenproduktion und -handel in Länder, wie Irak, Syrien, Kuweit und Libanon zu verhindern (FR 20.1.2025a). Der Drogenhandel im industriellen Maßstab der Assad-Ära ist zwar vorbei, doch der grenzüberschreitende Schmuggel aus Syrien hat nicht vollständig aufgehört. ETANA Syria geht davon aus, dass Schmugglernetzwerke die laxen Grenzkontrollen, die anhaltende Nachfrage und die aus der Zeit vor dem Zusammenbruch des Regimes verbliebenen Drogenvorräte ausnutzen werden. Tatsächlich ist in Südsyrien seit Jahresbeginn bereits ein leichter Anstieg der grenzüberschreitenden Schmuggelaktivitäten nach Jordanien zu verzeichnen – wenn auch nur ein Bruchteil der Gesamtzahl der Schmuggelaktivitäten, die in der Saison 2023-2024 beobachtet wurden. Bislang wurden zwischen dem 8.12.2024 und Mitte Jänner 2025 25 Versuche registriert, verglichen mit 65 Versuchen im gleichen Zeitraum 2023–2024. Der Transport oder die Beförderung von Schmuggelware wird für junge Männer eine attraktive Einnahmequelle darstellen, insbesondere solange sich die syrische Wirtschaft nicht erholt. Da die neuen Übergangsbehörden Syriens ehemalige Captagon-Produktionsstätten durchsuchen, schwindet das Angebot auf dem Markt rapide – die Nachfrage jedoch nicht. Die Schmugglernetzwerke in Syrien haben zwar mit al-Assad ihren wichtigsten Gönner und Beschützer verloren, aber sie sind nicht ohne Ressourcen. Als sich die Militär- und Geheimdienstverbände des Regimes vor dem Fall al-Assads rasch nach Damaskus zurückzogen, drangen Schmuggler in verlassene Stützpunkte und Waffenlager ein, um Waffen und militärische Ausrüstung zu erbeuten. Obwohl viele der prominenten Schmugglerbosse des Südens aus der Region geflohen oder untergetaucht sind, ist es anderen gelungen, vor Ort zu bleiben und ihre Arbeit wieder aufzunehmen (Etana 29.1.2025). Die begrenzten Kapazitäten der neuen syrischen Behörden haben es Schmugglern weiter ermöglicht, die Sicherheitslücken auszunutzen. Vieles deutet darauf hin, dass der Sturz al-Assads zwar den Drogenhandel in Syrien gestört, aber die Rolle des Landes im regionalen Drogenhandel nicht geändert hat (Chatham 31.3.2025).
Quellen: […]
15.1 Arbeitsmarkt
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Die Informationen in diesem Kapitel stammen zwar überwiegend aus Quellen, die älter als Dezember 2024 sind, dennoch haben sich an der Arbeitsmarktsituation innerhalb dieser kurzen Zeit keine größeren Veränderungen ergeben. Einige Informationen zur aktuellen Lage wurden in den vorliegenden Text eingearbeitet. Weitere Informationen aus jüngeren Quellen zur wirtschaftlichen Lage in Syrien sind dem Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft zu entnehmen.]
In der syrischen Verfassung von 2012 war im Artikel 40 festgeschrieben, dass Arbeit Recht und Pflicht eines jeden Staatsbürgers ist, der Staat bestrebt ist, für alle Bürger Arbeit zu schaffen und das Gesetz die Arbeit, Arbeitsbedingungen und die Rechte der Arbeitnehmer regelt (SeG 24.2.2012). Das Gesetz sah einen nationalen Mindestlohn für alle Wirtschaftssektoren vor. Es teilte den monatlichen Mindestlohn im öffentlichen Dienst in fünf Stufen ein, die auf der Art der Tätigkeit oder dem Bildungsniveau basierten und die fast alle unter dem Armutsindikator der Weltbank lagen. Zu den Leistungen gehörten Entschädigungen für Mahlzeiten, Uniformen und Transport. Das Gesetz sah vor, dass der Mindestlohn schrittweise steigen sollte, um den Lebenshaltungskosten zu entsprechen, aber das Regime unternahm in dieser Hinsicht nichts (USDOS 22.4.2024).
Seit 2012 wurde gemäß dem syrischen Zentralamt für Statistik ein Rückgang der Arbeitskräfte bis zum Jahr 2022 um 9 % verzeichnet. Insgesamt wird die Zahl der Arbeitskräfte auf 26 % der Gesamtbevölkerung geschätzt (Syria TV 31.8.2024). Die wirtschaftliche Verschlechterung spiegelte sich in den anhaltend hohen Arbeitslosenquoten wider, die 2023 52 % erreichte und die Hälfte der arbeitsfähigen Personen in ihrer Teilnahme an der Wirtschaftstätigkeit hinderte, weil es angesichts des Mangels an Beschäftigungsmöglichkeiten und des dringenden Bedarfs an Arbeit keine angemessenen Arbeitsbedingungen gab (SCPR 6.2024). Vor dem Erdbeben im Jahr 2023 litt die syrische Wirtschaft unter einer hohen Arbeitslosigkeit, die 2022 42,9 % erreichte. Das Erdbeben führte zu erheblichen Verlusten bei den Beschäftigungsmöglichkeiten, was zu einem Anstieg der Arbeitslosenquote um etwa 1,8 Prozentpunkte im ganzen Land führte (was 90.000 Arbeitsplätzen entspricht) (SCPR/UniVie 8.2023). Das syrische Zentralamt für Statistik verzeichnete 2022 eine Arbeitslosenquote von 23,7 % (Syria TV 31.8.2024; vgl. NPA 29.8.2024). Die Weltbank kommt auf eine Arbeitslosenrate von 13,5 % für 2023 (WB o.D.; vgl. WKO 8.2024). Die Österreichische Botschaft in Damaskus führt eine Arbeitslosenrate von 50 % an (ÖB Damaskus 2023). Im Jahr 2022 lag die Arbeitslosenquote bei Frauen bei 24 % und damit 15 Prozentpunkte über der Arbeitslosenquote bei Männern (WB 2024). Laut syrischem Zentralamt für Statistik beträgt die Arbeitslosenquote bei Männern 47 % und bei Frauen 53 %. Ein großes Problem wird dabei darin gesehen, dass 83 % der Arbeitslosen noch nie zuvor gearbeitet haben (Syria TV 31.8.2024). In einem instabilen und unsicheren Umfeld hat sich die Kinderarbeit ausgebreitet (SCPR 6.2024). Die Jugendarbeitslosenquote lag laut der Wirtschaftskammer Österreich bei 33,5 % (WKO 8.2024). Obwohl die Arbeitslosenquote hoch war, gab es einen Mangel an qualifiziertem Personal in bestimmten Sektoren und Gebieten, u. a. bedingt durch Vertreibung, Flucht und Abwanderung (ÖB Damaskus 2023). Die Arbeitslosigkeit von Frauen hat sich bis 2023 mehr als verdoppelt, was die ohnehin schon geringe Erwerbsbeteiligung von Frauen, die 2010 nur ein Drittel derjenigen von Männern betrug, noch verschärfte (UNDP 20.2.2025).
Die Mehrheit der Syrer (68 %) arbeitete 2022 gemäß einer von der syrischen Regierung durchgeführten Studie im privaten Sektor. Im öffentlichen Sektor arbeiteten 31,8 %. Die Prozentzahl der Personen, die in anderen Sektoren arbeiteten, betrug weniger als 0.3 % (NPA 29.8.2024). Der öffentliche Sektor in Syrien war seit fast fünf Jahrzehnten das Rückgrat der syrischen Volkswirtschaft und umfasste eine Vielzahl von Ministerien, Institutionen und Unternehmen, die wichtige Sektoren abdeckten. Die Arbeitskräfte im öffentlichen Sektor ließen sich in zwei Hauptkategorien unterteilen: Angestellte des öffentlichen Dienstes und Angestellte von öffentlichen Organisationen. Angestellte des öffentlichen Dienstes waren diejenigen, die für den Staat in Verwaltungs- und Dienstleistungspositionen arbeiteten (wie z. B. im Gesundheits- und Bildungswesen, in den Kommunen usw.) und stellten das Rückgrat des Staates dar, wobei sie nach den Daten von 2018 etwa 56 % der Arbeitskräfte des öffentlichen Sektors stellten. Die Beschäftigten der öffentlichen Unternehmen arbeiten in den produktiven Sektoren (z. B. im Bergbau und in der verarbeitenden Industrie) und ihre Zahl belief sich 2018 auf etwa 700.000 Beschäftigte. Die Gesamtzahl der Beschäftigten des öffentlichen Sektors in den staatlichen Ministerien belief sich im Jahr 2022 auf 911.955 (OSS 20.1.2025). Alle Sektoren sind von einem massiven Brain Drain, einer Abwanderung von qualifiziertem bzw. ausgebildetem Personal, betroffen. Einer Schätzung zufolge leben mittlerweile mehr als 25.000 hoch qualifizierte Arbeitskräfte z. B. in Deutschland, insbesondere medizinische Arbeitskräfte und Ingenieure. Aufgrund der langen Tradition guter Ausbildung in Syrien sind aber nach wie vor viele im Land (UNRCHCSYR 22.9.2024). Aufgrund der wirtschaftlichen Lage kommt es zu Abwanderung. Beispielsweise sind qualifizierte Ärzte nach Europa abgewandert (GovHoms 17.9.2024). Der Gouverneur von Latakia wiederum gab an, dass es nicht an qualifiziertem Personal, wie im medizinischen Bereich oder im Ingenieurwesen, fehlen würde, der Staat aber nicht die finanziellen Kapazitäten hätte, um sie zu entlohnen. Insbesondere ohne die Einnahmen aus dem Ölsektor konnte der Staat nur bedingt für Löhne aufkommen. Die Arbeitsplatzkapazitäten des Hafens von Latakia beispielsweise waren auf 10 % des Niveaus vor der Krise gesunken. Wurden vor der Krise noch eine Mio. Container pro Monat bearbeitet, waren es 2024 lediglich zwischen 100.000 und 120.000 pro Monat. Es gab keine Arbeitsplätze, die man besetzen könnte. Die Arbeitslosigkeit nahm zu. Der Direktor des Hafens von Latakia wiederum gab an, dass er nicht genügend qualifiziertes Personal finden würde, um Leerstellen, die durch Pensionsabgänge oder Abwanderung entstehen, nachzubesetzen (GovLat/DirLatPort 15.9.2024). Die niedrigen Löhne und das Fehlen geeigneter Anreize in den Unternehmen des öffentlichen Sektors führten zu Kündigungen und zur Abwanderung von Mitarbeitern in die Privatwirtschaft oder ins Ausland. Die Unternehmen und Institutionen des öffentlichen Sektors verfolgten eine Einstellungspolitik, die zu einer Ballung von Mitarbeitern führte, die keine tatsächlichen Dienstleistungen erbringen, und zur Einstellung von Personen ohne angemessene Qualifikationen, insbesondere von aus der Armee demobilisierten Personen, was zu schlechter Arbeitsleistung, geringer Produktivität, erhöhter Korruption und verdeckter Arbeitslosigkeit führte (OSS 20.1.2025).
Die Mehrheit der Arbeitslosen (24 %) befanden sich 2022 in Rif Dimashq, gefolgt von Latakia (14 %) und Tartus (11 %). In der Stadt Damaskus betrug die Arbeitslosenquote 10 %, im Gouvernement Homs 9 %, im Gouvernement Hama 7 %, im Gouvernement Aleppo 6 % und in Dara'a und Suweida jeweils 5 %. In al-Hasaka waren 3 % der Bevölkerung arbeitslos, in ar-Raqqa 2 % und in Deir ez-Zour 1 %. Wobei in den Gouvernements Aleppo, al-Haska und ar-Raqqa nicht in allen Landesteilen Daten erhoben wurden (Syria TV 31.8.2024; vgl. NPA 29.8.2024). In den vom Erdbeben 2023 betroffenen Gebieten, Idlib, Aleppo, Latakia und Hama stieg die Arbeitslosenquote kurzzeitig in unterschiedlichem Ausmaß an. Besonders schwerwiegend waren die Auswirkungen im Gouvernement Idlib, wo die Arbeitslosenquote um ca. 14 % auf 59 % anstieg. Trotz des Ausmaßes der Schäden nahm die Wirtschaftstätigkeit in den betroffenen Städten aber allmählich wieder Fahrt auf, da die Arbeitnehmer aufgrund der großen Armut an ihre Arbeitsplätze zurückkehrten. Das Interesse der Bewohner an der Reparatur ihrer Häuser führte zu einem Anstieg der Beschäftigungsmöglichkeiten im Baugewerbe, in der Fassadenbranche und in verwandten Branchen. Auch die Nachfrage nach Berufen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Unterkünften, wie z. B. Zelten, stieg (SCPR/UniVie 8.2023). Im Nordwesten Syriens erreichte die Arbeitslosenquote 88 %. Unter den intern Vertriebenen ist die Quote sogar höher (TNA 17.2.2024). Im Mai verzeichnete ein syrisches, staatsnahes Medium, dass 88,97 % der Bevölkerung im Nordwesten Syriens von Arbeitslosigkeit betroffen sind (Syria TV 31.5.2024). Im Nord-Osten Syriens, insbesondere in der Stadt al-Hasaka bestand ein Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeiter und Handwerker, insbesondere im Baugewerbe, aufgrund von sich verschlechternder Infrastruktur, von Mangel an grundlegenden Dienstleistungen und infolge der ständigen Angriffe durch die Türkei (SOHR 13.7.2024). In einer Studie der Reach Initiative wird für Gemeinden in Nordaleppo und Idlib angegeben, dass die Suche nach einer Beschäftigung für Arbeitslose durch die geringe Nachfrage nach Arbeitskräften und den Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten, die den Fähigkeiten der Arbeitssuchenden entsprechen, erschwert wird (REACH 30.5.2024).
Aus der von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen Studie, bei der im Juli 2024 Syrer im Alter von 16-35 Jahren befragt wurden, geht hervor, dass 28 % kontinuierlich arbeiten, während 15 % Gelegenheitsjobs haben. 30 % der Umfrageteilnehmer sind in der Ausbildung. 14 % sind Hausfrauen, während 13 % arbeitslos sind/derzeit nicht arbeiten. Ein Vergleich der Städte zeigt, dass 28 % in Damaskus kontinuierlich arbeiten, während dies in Aleppo auf 29 % und in Homs auf 25 % zutrifft. Der Anteil derjenigen, die gelegentlich arbeiten, ist in Homs am höchsten (19 %), gefolgt von Aleppo mit 17 % und Damaskus mit 9 %. Der Anteil derjenigen, die arbeitslos sind/derzeit nicht arbeiten, ist in Homs und Aleppo mit jeweils 16 % am höchsten, gefolgt von Damaskus mit 9 %. Es sollte auch angemerkt werden, dass der Anteil der Studierenden in der vorliegenden Stichprobe relativ hoch ist, wobei der höchste Anteil in Damaskus (33 %) zu verzeichnen ist, gefolgt von Aleppo (30 %) und Homs (29 %). 21 % der Befragten in Damaskus sind Hausfrauen, während dies in Homs für 11 % und in Aleppo für 8 % gilt. Ein Vergleich der Geschlechter zeigt, dass 42 % der männlichen Befragten kontinuierlich arbeiten, während dies nur auf 14 % der weiblichen Befragten zutrifft. 15 % der männlichen Befragten und 14 % der weiblichen Befragten arbeiten gelegentlich. 8 % der männlichen Befragten sind arbeitslos, während dies auf 19 % der weiblichen Befragten zutrifft. Der Anteil der Studierenden ist bei Männern (35 %) höher als bei Frauen (26 %). 27 % der weiblichen Befragten sind Hausfrauen (STDOK/SL 2024). Im Vergleich zum Jahr davor hat sich der Anteil der Arbeitslosen vergrößert. Bei der Studie, bei der im August und September 2023 600 16-35-jährige befragt wurden, gaben 30 % an, kontinuierlich zu arbeiten, während 19 % Gelegenheitsjobs hatten. 29 % der Umfrageteilnehmer verfolgten ihre Ausbildung. 14 % waren Hausfrau, während 9 % arbeitslos waren/nicht arbeiteten (STDOK/SL 14.2.2024).
Dem Patriarchen der syrischen orthodoxen Kirche zufolge liegt das Durchschnittsgehalt bei 25-30 US-Dollar im Monat (OrthoPatSYR 22.9.2024). Ähnliches berichtet auch Reuters, wonach das Durchschnittsgehalt im öffentlichen Sektor 300.000 Syrische Pfund beträgt (REU 14.12.2024). Einem Wirtschaftsexperten zufolge beträgt das Einkommen eines syrischen Bürgers im besten Fall 15 US-Dollar im Monat (BBC 16.12.2024). Die Menschen gehen meistens mehr als einer Beschäftigung nach (OrthoPatSYR 22.9.2024). Im Jahr 2023 lag das durchschnittliche Monatsgehalt eines Mitarbeiters mit Universitätsabschluss im öffentlichen Sektor zu Beginn seiner Anstellung bei etwa 370.000 syrische Pfund (SYP) (SCPR 6.2024). Das höchste Gehalt im Gesundheitswesen ist jenes eines Universitätsprofessors, der 100 US-Dollar im Monat verdient. Einem Arzt aus Damaskus zufolge verdienen Assistenzärzte im ersten Praktikumsjahr 15 US-Dollar im Monat. Eine Krankenschwester mit 20 Jahren Berufserfahrung verdient 20 US-Dollar im Monat (Arzt in Damaskus 23.9.2024). Die Löhne im privaten Sektor erreichten 2023 etwa 524.000 SYP, während sie im öffentlichen Sektor bei 1,5 Millionen SYP lagen. Beim Vergleich der Lohnniveaus zwischen den Kontrollgebieten in Syrien zeigte sich, dass die Löhne in den Gebieten der Selbstverwaltungsinstitutionen und der Sonderverwaltungsinstitutionen am höchsten waren, gefolgt von den Löhnen in den autonomen Regionen und zuletzt den Löhnen in den Gebieten der Regierung. Die Reallöhne gingen 2023 aufgrund steigender Inflationsraten weiter zurück und reichten nicht mehr aus, um die Mindestlebenshaltungskosten zu decken. Ein Vergleich der Gehälter von 2023 mit denen von 2022 zeigt einen Rückgang der Kaufkraft der Löhne im Privatsektor um 17 %, im öffentlichen Sektor um 15 % und im zivilen Sektor um 13 % (SCPR 6.2024). Unternehmen des privaten Sektors zahlten in der Regel viel höhere Löhne, wobei die Löhne am unteren Ende halboffiziell vom Regime und den Arbeitgeberverbänden festgelegt wurden (USDOS 22.4.2024). Im August 2023 erließ der Präsident zwei Gesetzesdekrete, mit denen die Gehälter und Pauschalvergütungen für zivile und militärische Angestellte sowie die Pensionen um 100 % angehoben wurden (PoCMSyr 16.8.2023). Die Demokratische Autonome Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) erließ im August 2023 ebenfalls ein Gesetzesdekret, wonach sie die Gehälter ihrer Angestellten um 100 % erhöhte (Ronahi TV 27.8.2023). In den von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierten Gebieten erhöhte die Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) die Gehälter ihrer Beschäftigten im Jänner 2023 um 25 % und erhöhte die Arbeitstage pro Woche. Die Syrische Interimsregierung (Syrian Interim Government - SIG) reagierte nicht auf den Kaufkraftrückgang und ergriff keine Maßnahmen zur Verbesserung der Lohnsituation in den von ihr kontrollierten Gebieten. Gemäß dem Syrian Center for Policy Research konnten die Lohnerhöhungen dem Preisanstieg nicht gerecht werden (SCPR 6.2024). Die Gehälter bewegten sich nach diesen Gehaltserhöhungen im Sommer 2023 um die 185.000 SYP, dies entspricht umgerechnet rund 15 bis 20 US-Dollar (Stand Frühling 2024) (ÖB Damaskus 2023). Obwohl die Durchschnittsgehälter im Jahr 2023 stiegen, erhöhten sich auch die Lebenserhaltungskosten und überstiegen teilweise die Lohnerhöhungen (UNOCHA 3.3.2024). In vielen Gemeinden in Idlib und Nord-Aleppo war das Ausleihen von Geld eine wichtige Einnahmequelle (REACH 30.5.2024).
Einer diplomatischen Quelle eines europäischen Staates zufolge kam es zur Beurlaubung aller Staatsbeamten (SYRDiplQ1 5.2.2025). In den ersten Monaten des Jahres 2025 haben die neuen Behörden in Damaskus Hunderte ehemalige Staatsbedienstete der Ba'ath-Partei entlassen. Ein Minister der Regierung deutete an, dass es weitverbreitete Korruption gegeben habe und bis zu 400.000 „Geisterangestellte“ auf der Gehaltsliste der Regierung stünden (Chatham 10.3.2025). Die Massenentlassungen von Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben Hunderttausende ohne Einkommen zurückgelassen (REU 26.3.2025). In den letzten Wochen wurde einer kleinen Anzahl von technischen Spezialisten des Militärs des ehemaligen Regimes die Rückkehr an ihren Arbeitsplatz gestattet, doch viele blicken weiterhin ungewiss in die Zukunft (Chatham 10.3.2025). Die syrische Ölgesellschaft in Banyas entließ 280 Mitarbeiter und gewährte 900 weiteren bezahlten Urlaub, ohne eine Begründung anzugeben. Einige behaupteten, die Entlassungen seien aus sektiererischen Motiven passiert und nicht dem Wunsch, die Institutionen des öffentlichen Dienstes zu reformieren, geschuldet. In den Küstenprovinzen kam es zu mehreren Protesten von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gegen die Entlassungen: In Latakia protestierten Dutzende vor dem Gebäude der Arbeitergewerkschaft, eine weitere Protestkundgebung versammelte sich vor dem Hafen- und Zollunternehmen von Latakia, und Dutzende Beschäftigte der syrischen Ölgesellschaft protestierten in Banyas. In Damaskus protestierten männliche und weibliche Aktivisten und Gewerkschafter gegen Entlassungen und Privatisierungspläne (SANA 18.4.2025).
Der syrische Finanzminister gab am 5.1.2025 bekannt, dass Damaskus die Gehälter vieler Beschäftigter im öffentlichen Sektor im nächsten Monat um 400 % erhöhen werde, nachdem die Umstrukturierung der Ministerien zur Steigerung der Effizienz und Rechenschaftspflicht abgeschlossen sei. Die Erhöhung, die schätzungsweise 1,65 Billionen Syrische Pfund oder etwa 127 Millionen US-Dollar zum aktuellen Kurs kosten wird, soll durch vorhandene staatliche Mittel sowie eine Kombination aus regionaler Hilfe, neuen Investitionen und Bemühungen zur Freigabe von im Ausland gehaltenen syrischen Vermögenswerten finanziert werden. Die Erhöhung würde, nach einer umfassenden Bewertung von bis zu 1,3 Millionen registrierten Beschäftigten im öffentlichen Sektor, um fiktive Mitarbeiter von der Gehaltsliste zu streichen, erfolgen. Sie würde diejenigen betreffen, die über ausreichende Fachkenntnisse, akademische Qualifikationen und die für den Wiederaufbau erforderlichen Fähigkeiten verfügen (TNA 5.1.2025). Anfang März 2025 war die Erhöhung noch nicht genehmigt, nicht nur, weil es am Budget mangelt, sondern auch, weil auf eine Zahlung der Bediensteten im öffentlichen Sektor gewartet wird, so Sharq Business, eine arabischsprachige auf Wirtschaft spezialisierte Online-Zeitung. Bei der Auszahlung von Gehältern gibt es sogar Verzögerungen (Sharq Bu 2.3.2025). Laut Aussagen von ash-Shara', die von Al Jazeera zitiert werden, sollen die Gehälter der Angestellten im öffentlichen Dienst weiterhin pünktlich ausbezahlt werden (AJ 15.12.2024c). Laut The Economist wurden die meisten Gehälter im öffentlichen Dienst seit dem Amtsantritt ash-Shara's aber nicht mehr gezahlt (Economist 2.4.2025). Ein syrischer Wirtschaftswissenschaftler kritisierte am 5.3.2025 die Übergangsregierung dafür, dass sie die versprochene 400-prozentige Gehaltserhöhung für Beamte nicht umgesetzt hat. Viele seien fast vier Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung noch immer unbezahlt (Rudaw 5.3.2025). Einige Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung wurden aufgrund von Ineffizienz in der Verwaltung und verdeckter Arbeitslosigkeit für drei Monate in bezahlten Urlaub geschickt. Manche Mitarbeiter berichten, dass die Anzahl der Beschäftigten, die als ehemalige Soldaten im Bürgerkrieg aufseiten al-Assads gekämpft hatten, reduziert werden würde. Teilweise führte dieses Vorgehen im Jänner 2025 bereits zu Protesten (REU 31.1.2025). Einem Wirtschaftswissenschaftler zufolge hat Syrien 1,3 Millionen Beamte, von denen 900.000 keine Gehälter erhalten, während weitere 400.000 unter verschiedenen Vorwänden von ihren Arbeitsplätzen entfernt wurden (Rudaw 5.3.2025). Die angekündigte Erhöhung um 400 % deckt nicht den Bedarf der Familien. Nicht allen Staatsangestellten wurde diese Erhöhung zugestanden (Enab 3.2.2025).
Almodon, einer arabischsprachigen Online-Zeitung zufolge, soll der syrische Rote Halbmond Hilfspakete, die er von arabischen Ländern zur Unterstützung der syrischen Bevölkerung erhalten hat, an Kämpfer des neuen syrischen Verteidigungsministeriums verteilt haben, um sie so anstelle mit regulären Gehältern zu entlohnen. Ein Teil der Hilfsgüter würde als Verpflegung für die Soldaten verwendet werden, die ihren Dienst versehen. Ein Angestellter einer lokalen syrischen Organisation erklärte gegenüber Almodon, dass nicht der Syrische Rote Halbmond dafür verantwortlich sei, dass die Kämpfer Lebensmittelkörbe erhalten, sondern die syrische Regierung (Almodon 22.2.2025).
Vor der Krise war die Assad-Regierung mit 2,3 Mio. Beschäftigten der größte Arbeitgeber. Der zweitgrößte Arbeitgeber war der Private Sektor (UNRCHCSYR 22.9.2024). Im Vergleich zur Zeit vor dem Konflikt hat sich das Beschäftigungsprofil der Syrer dramatisch verändert, wobei eine wachsende Zahl von Arbeitnehmern informell und im Dienstleistungssektor beschäftigt war. Die Zerstörung der sozioökonomischen Infrastruktur Syriens durch den mehr als zehn Jahre andauernden Konflikt hat zu einer dramatischen Veränderung des Berufsprofils der syrischen Arbeitnehmer geführt (WB 2024). Viele Firmen und Produktionslinien sind nicht mehr in Betrieb, weil es an Ressourcen und Rohmaterial fehlt. Das wiederum führt zu Problemen bei der Bereitstellung von Arbeitsplätzen (GovLat/DirLatPort 15.9.2024). Die Gehälter im Privatsektor sind zwar relativ gesehen höher als im öffentlichen Sektor, können aber mit den jüngsten Preissteigerungen nicht mithalten, weil Arbeitgeber es sich nicht leisten können, das Vierfache des Lohns ihrer Arbeitnehmer zu zahlen. Die meisten von ihnen sind einem Wirtschaftswissenschaftler zufolge von Insolvenz bedroht und haben Probleme im Zusammenhang mit dem Abheben von Geldern von ihren Konten (Enab 3.2.2025). Eine zufällig interviewte Firma gab an, dass vor der Krise 200 Personen beschäftigt wurden, mittlerweile nur mehr zehn. Als Gründe wurden der Mangel an Strom, die Abwanderung von qualifiziertem Personal und fehlende Absatzmärkte genannt. Die Produkte können nicht exportiert werden (UNRCHCSYR 22.9.2024). Es gab nur wenige Informationen über den Umfang des informellen Sektors im Land, aber viele Flüchtlinge fanden Arbeit im informellen Sektor als Wachleute, Bauarbeiter oder Straßenverkäufer und in anderen manuellen Tätigkeiten (USDOS 22.4.2024). Der Konflikt in Syrien hatte auch zu einer erheblichen Veränderung in der Struktur der Familieneinkommensquellen geführt, wobei die Abhängigkeit von Hilfe sowie von Überweisungen von Verwandten und Freunden im Ausland und vom Verkauf von Vermögenswerten nach dem Aufbrauchen der Ersparnisse und dem Verlust von Einkommensquellen zugenommen hat (SCPR/UniVie 8.2023). Derzeit verfügt die Regierung über keine zuverlässigen Aufzeichnungen über Regierungsangestellte. Sie baut eine Datenbank mit Mitarbeitern des öffentlichen Sektors auf und fordert die Mitarbeiter auf, ein Online-Formular auszufüllen (REU 31.1.2025).
Der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten und die niedrigen Löhne haben dazu geführt, dass immer mehr Syrer illegale Aktivitäten ausüben, die eine sicherere und lukrativere Einkommensquelle darstellen. In diesem Zusammenhang ist der Drogenhandel äußerst lukrativ geworden (OHCHR 1.2.2024). Der Drogenhandel im industriellen Maßstab der Ära al-Assad ist zwar vorbei, doch der grenzüberschreitende Schmuggel aus Syrien hat nicht vollständig aufgehört. Kurz- bis mittelfristig ist mit einem Rückgang der grenzüberschreitenden Schmuggelversuche zu rechnen. Gleichzeitig wird es lange dauern, bis sich die syrische Wirtschaft nach al-Assad erholt hat, und in dieser Übergangszeit wird der Transport oder die Beförderung von Schmuggelware für junge Männer eine attraktive Einnahmequelle darstellen, schätzt Etana Syria (Etana 29.1.2025).
Quellen: […]
15.2 Wohnsituation und Infrastruktur
Letzte Änderung 2025-05-08 20:40
[Die Informationen in diesem Kapitel stammen zwar überwiegend aus Quellen, die älter als Dezember 2024 sind, dennoch haben sich an der Wohnungssituation innerhalb dieser kurzen Zeit keine größeren Veränderungen ergeben. Einige Informationen zur aktuellen Lage wurden in den vorliegenden Text eingearbeitet. Weitere Informationen aus jüngeren Quellen zur wirtschaftlichen Lage in Syrien sind dem Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft zu entnehmen. Außerdem finden sich weitere Informationen über Besitz und Eigentum im Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und zu den Herausforderungen von Rückkehrern im Kapitel Rückkehr - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024). Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Die Massenvertreibungen in Syrien, die sich verschiebenden Frontlinien und der inkonsistente und nachteilige Rechtsrahmen haben zu einer komplexen Krise im Bereich Wohnen, Land und Eigentum geführt (GPC 3.4.2025). Der Konflikt verursachte erhebliche Schäden an der physischen Infrastruktur. Ein Drittel des Wohnungsbestandes wurde ganz oder teilweise zerstört (ÖB Damaskus 2023). Militäroperationen, die auf zivile Gebiete und Einrichtungen, darunter Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, abzielten, Plünderungen, Belagerungen und Zwangsumsiedlungen haben sich in vielen Gebieten Syriens direkt auf die Qualität und Sicherheit der Wohnverhältnisse ausgewirkt, was zu großen Unterschieden bei den Wohnbedingungen in den verschiedenen Gouvernements geführt hat (SCPR/UniVie 8.2023). Laut dem Syria 2024 Humanitarian Needs Overview der UN ist die Bereitstellung von Unterkünften nach wie vor ein dringender Bedarf, insbesondere für Binnenvertriebene in Lagern und Rückkehrer. Schätzungen zufolge haben im Jahr 2024 fast 6,8 Millionen Menschen Unterstützung bei der Unterbringung benötigt. Mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung lebt in minderwertigen, beschädigten und unzureichenden Unterkünften. Obwohl die Notunterkünfte nur als kurzfristige Notlösung gedacht sind, leben dort immer noch über zwei Millionen Menschen (ungefähr gleich viele Frauen und Männer) in prekären Unterkünften, insbesondere angesichts klimatischer und gesundheitlicher Schocks. Die meisten Notunterkünfte, darunter informelle Siedlungen/Lager, geplante Lager und Sammelzentren, sind durch fehlende Lagerverwaltungssysteme, schlechte Unterbringungsbedingungen, Überbelegung und unzuverlässigen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen gekennzeichnet. Die Zerstörung von Grundstücken und Standesämtern hat sich auf Immobilien, die Landverwaltung und die Erfassung/Aktualisierung von "Housing Land and Property (HLP)" - Transaktionen ausgewirkt (UNHCHR 18.7.2024). Millionen von Menschen in Syrien leben in beschädigten oder zerstörten Häusern. Finanzielle Engpässe hindern Familien daran, ihre Unterkünfte wiederherzustellen, und viele haben sich auf selbstfinanzierte Wiederaufbaumaßnahmen verlegt (IHH 10.1.2025). Programme für den frühzeitigen Wiederaufbau und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit – die nach vielen Sanktionsregelungen technisch zulässig wären – sind nach wie vor unterfinanziert und politisch verzögert (Bourse Bazaar 1.4.2025).
Die Kosten des Wiederaufbaus liegen laut Berichten der Weltbank und der Vereinten Nationen (VN) zwischen 250 und 300 Milliarden US-Dollar. Der Finanzminister wies darauf hin, dass der Schwerpunkt in der kommenden Zeit auf der Wiederherstellung der Infrastruktur, die während des Krieges zerstört wurde, einschließlich Energie, Verkehr, Wasser- und Abwassernetze und Telekommunikation liegen wird. Die Arbeiten in diesen Bereichen erfordern internationale Gelder und Hilfe, gemäß Aussagen des syrischen Finanzministers Abazid. Laut Aussagen des Wirtschaftsministers Hannan haben arabische und andere regionale Länder bereits Investitionsprojekte angeboten (Sharq Bu 5.1.2025). Andere Schätzungen gehen von 250 bis 400 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau in Syrien aus. Auf der Geberkonferenz in Brüssel im März 2025 wurden Zusagen in der Höhe von 6,5 Milliarden US-Dollar gemacht (Bourse Bazaar 1.4.2025). Die Zusagen auf dem Treffen in Brüssel fielen geringer aus als im Vorjahr, als 7,5 Milliarden Euro an Zuschüssen und Darlehen bewilligt worden waren. EU-Vertreter verwiesen auf die Kürzungen der US-Hilfe als einen wesentlichen Grund dafür (REU 18.3.2025). Der stellvertretende Generalsekretär des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme - UNDP) wies darauf hin, dass für den Wiederaufbau von fast zwei Millionen Häusern, die ganz oder teilweise zerstört wurden, Dutzende von Milliarden US-Dollar benötigt werden (Akhbar 19.4.2025).
Die Gruppe Wohnen, Wasser, Gas, Strom und andere Heizöle lieferte im Jahr 2023 den zweitgrößten Beitrag zur allgemeinen Inflationsrate in Syrien. Der Beitrag zur Inflationsrate war in den Gebieten des Syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government - SIG) und der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sehr hoch (46 %), dann in den Gebieten unter der Kontrolle der syrischen Regierung (25 %) und schließlich in den Gebieten der Demokratischen Autonomen Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) (20,6 %) (SCPR 6.2024).
Infolge des Verfalls der syrischen Wirtschaft sind die Wohnkosten in den meisten Städten immer unerschwinglicher geworden, insbesondere in den großen städtischen Zentren wie Damaskus und Aleppo, wo Häuser für hohe Summen verkauft werden, die für die große Mehrheit der Bewohner unerschwinglich sind. Unter solchen Bedingungen befinden sich Mieter auf einer ständigen Suche nach Wohnungen, die zu ihren schrumpfenden Einkommen passen (UNHCHR 18.7.2024). Bei einer von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen Studie zur sozio-ökonomischen Lage, im Zuge derer 600 Syrer im Alter von 16-35 Jahren im Juli 2024 in den Städten Damaskus, Homs, Aleppo befragt wurden, gaben auf die Frage nach den Auswirkungen der aktuellen Wohnkosten, einschließlich Miete, Heizung, Strom und Wasser 16 % an, dass sie sich die Wohnkosten leisten konnten. 43 % konnten sich die Wohnkosten gerade so leisten, 27 % konnten sie sich kaum leisten, und 14 % gaben an, dass sie sich die Wohnkosten nicht leisten können. 17 % der männlichen und 15 % der weiblichen Befragten konnten ihre Wohnkosten decken. Mehr als die Hälfte der männlichen Befragten (51 %) konnten ihre Wohnkosten gerade noch decken, während dies bei 39 % der weiblichen Befragten der Fall war. Im Gegensatz dazu schafften es 29 % der weiblichen Befragten kaum, die Wohnkosten zu tragen, während der Anteil bei den männlichen Befragten bei 26 % lag. Der Anteil derjenigen, die es nicht schaffen, die Wohnkosten zu tragen, war bei den weiblichen Befragten (19 %) deutlich höher als bei den männlichen Befragten (2 %). Im Vergleich zur Studie von 2023 zeigt sich, dass sich die Leistbarkeit für die Befragten verbessert hatte (STDOK/SL 2024). In der von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen Studie, bei der von August bis September 2023 600 Personen im Alter von 16-35 Jahren in denselben drei Städten befragt wurden, gaben nur 6 % an, dass sie sich die Wohnkosten (einschließlich Miete, Heizung, Strom und Wasser) leisten konnten, und 46 % die Wohnkosten gerade noch bezahlen konnten. 34 % der Befragten konnten die Wohnkosten kaum bezahlen, während 14 % die Wohnkosten nicht bezahlen konnten (STDOK/SL 14.2.2024). In der folgenden von der Staatendokumentation erstellten Grafik werden die Ergebnisse der beiden Studien im Städtevergleich dargestellt:

Quelle: STDOK/SL 2024
Die Wirtschaftskammer Österreich gibt den Prozentsatz der syrischen Gesamtbevölkerung mit Zugang zu Sanitäranlagen für das Jahr 2022 mit 95 % an (WKO 8.2024).
Der Wiederaufbau Syriens erfordert Stabilität, Sicherheit und internationale Unterstützung – all dies fehlt derzeit (NH 14.1.2025). NGOs fordern auch, dass Bombenräumung Teil des Wiederaufbaus sein muss (FR 20.1.2025b).
Die Besitzer von Immobilienbüros in verschiedenen syrischen Provinzen sind sich einig, dass die Immobilienpreise seit dem Sturz des Regimes des abgesetzten Präsidenten Bashar al-Assad im Dezember letzten Jahres weder gefallen noch gestiegen sind, aber es gibt einen fiktiven Anstieg im Zusammenhang mit dem Wertverlust des US-Dollars gegenüber dem syrischen Pfund (AJ 9.2.2025). Derzeit gibt es auf dem Immobilienmarkt eine Stagnation beim Kauf und Verkauf vor dem Hintergrund des schwankenden Wechselkurses des Syrischen Pfunds gegenüber ausländischen Währungen und der Aussetzung der Registrierung von Immobilien durch die Regierungsbehörden - die Transaktionen mit „Immobilienvakuum“ und Eigentumsübertragungen durchführen - seit dem 8.12.2024 (AJ 9.2.2025).
Die israelischen Streitkräfte sollen Straßen, Strom und Wasserleitungen in Quneitra durch Luftangriffe zerstört haben, nachdem die Menschen dort ihrer Aufforderung, die Gegend zu evakuieren, nicht nachgekommen waren (AJ 15.12.2024d).
Unklare Rechtsverhältnisse - Mietwohnungen, Eigentum, Besitz
Zurückkehrende Binnenvertriebene und Flüchtlinge finden ihre Häuser oft besetzt, enteignet oder zerstört vor, was ihre Rückkehr erheblich erschwert und Risiken für künftige Spannungen birgt, wenn konkurrierende Ansprüche ungelöst bleiben. Es fehlen die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich mit den Auswirkungen des Krieges auf Eigentum befassen, sowie Rückgabeverfahren, die die sekundäre Besetzung regeln und gleichzeitig die Rechte beider Haushalte wahren. Die Assad-Regierung nutzte zuvor rechtliche Mechanismen wie das Gesetz Nr. 10 (2018) zur Beschlagnahmung von Eigentum, während Oppositionsgruppen und Milizen ebenfalls verlassene Häuser besetzten. Seit dem Sturz des Regimes haben die Spannungen um Eigentumsrechte zugenommen. Einige zurückkehrende Familien sind mit Streitigkeiten mit den derzeitigen Bewohnern konfrontiert, während andere von Zwangsräumungen und vergeltungsmäßigen Beschlagnahmungen von Eigentum berichten, insbesondere in 'Afrin, 'Azaz, Jandiris, Saraqeb, Hama, der Umgebung von Damaskus und Latakia, wo es Berichten zufolge zu Racheräumungen aufgrund religiöser Zugehörigkeit gekommen ist (GPC 3.4.2025). In einigen Gebieten in Damaskus kam es nach dem Sturz des Assad-Regimes zu Verstößen gegen das Wohn- und Eigentumsrecht, insbesondere in Bezug auf Militärwohnungen, d. h. Wohneinheiten, die Offizieren der syrischen Armee zugewiesen wurden. Diese Verstöße deuten auf eine Verschiebung bei der Verteilung von Wohnraum im Zusammenhang mit der militärischen Einrichtung hin, wobei es eindeutig keine offiziellen Entscheidungen über das Schicksal dieser Wohnungen gibt. Es scheint sich jedoch eher um Einzelfälle zu handeln als um einen weitverbreiteten Trend der Vertreibung aus konfessionellen Gründen (HLP Syria 5.2.2025). Nach dem Sturz des Assad-Regimes wurden einige Bewohner von Sozialwohnungskomplexen, die für Angestellte und Arbeiter vorgesehen waren, insbesondere in Damaskus und Umgebung, entweder vorübergehend zum Verlassen der Wohnungen gezwungen oder dauerhaft vertrieben. Dies ist auf die weitverbreitete Überzeugung in der Bevölkerung zurückzuführen, dass ein erheblicher Teil der Bewohner dieser Komplexe Anhänger des ehemaligen Regimes waren und zu dessen sozialer Basis gehörten, insbesondere in Wohnungen, die Ärzten, Polizisten, Militärangehörigen oder Mitarbeitern in wissenschaftlichen Forschungszentren, die dem Verteidigungsministerium angegliedert sind, zugewiesen wurden. Bei den Bewohnern dieser Wohnkomplexe handelt es sich oft um Angestellte aus entfernten Gebieten, die in der Nähe dieser Komplexe arbeiten. Diese Immobilien werden in der Regel entweder als Mitarbeiter- oder als Arbeiterwohnungen bezeichnet und sind Teil der sozialen Wohnungsbauprogramme Syriens. Die Eigentumsverhältnisse sind aufgrund sich überschneidender Gesetze und der für die Wohnungen zuständigen Regierungsbehörde unklar. So sind beispielsweise Mitarbeiterwohnungen für eine vorübergehende Nutzung vorgesehen, wobei das Eigentum beim Staat verbleibt. Bewohner von Arbeitnehmerwohnungen werden als Mieter behandelt, die die Immobilie während ihrer Beschäftigung vom Staat mieten, bis sie kündigen oder in den Ruhestand gehen. Zu diesem Zeitpunkt endet der Mietvertrag und die Immobilie muss geräumt werden. Bei Sozialwohnungen hingegen müssen die Mieter 10 % ihres Einkommens als Miete zahlen, zusammen mit den Nebenkosten und den Kosten für die Instandhaltung, Verbesserungen und Reparaturen der Wohnung. Bewohner von Sozialwohnungen haben gemäß dem Gesetzesdekret Nr. 46 von 2002 Anspruch auf Eigentum, sofern sie die Immobilie in Raten bezahlen (HLP Syria 14.1.2025a). Nach Angaben der Bewohner wurden für manche geräumte Militärwohnungen keine offiziellen Räumungsbefehle ausgestellt. Einige Familien erwägen jedoch, aus Angst vor der Zukunft wegzuziehen. Aus lokalen Quellen kursieren Berichte, die darauf hindeuten, dass HTS und andere Fraktionen diese Immobilien kürzlich geräumt haben, obwohl es dafür keine offizielle Bestätigung gibt (HLP Syria 5.2.2025).
Nach dem Sturz des Assad-Regimes am 8.12.2024 versuchten die Eigentümer einiger Immobilien, die im Rahmen des Systems der Zwangsverlängerung vermietet worden waren, ihre Immobilien zurückzufordern und die Mieter zu vertreiben. In einigen Fällen beauftragten die Vermieter die Streitkräfte von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) mit der Räumung der Wohnungen, ohne den Rechtsweg zu beschreiten. Seit dem 8.12.2024 haben einige Immobilienbesitzer Immobilien, die einer Zwangsverlängerung unterlagen, gewaltsam zurückgefordert (HLP Syria 14.1.2025b). [Weiterführende Informationen zur aktuellen Gesetzeslage finden sich im Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen (Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024))].
Viele Flüchtlinge und Vertriebene sind nach dem Sturz des Regimes bei der Rückkehr in ihre Gebiete, Städte und Dörfer schockiert, wenn sie feststellen, dass andere in ihren Häusern wohnen. In einigen Fällen besitzen diese derzeitigen Bewohner Dokumente, die belegen, dass sie die Immobilien gekauft haben, aber Untersuchungen zeigen, dass diese Dokumente oft gefälscht sind, einschließlich gefälschter Eigentumsnachweise und Gerichtsurteile, die äußerst schwer aufzuspüren sind. Die betreffenden Immobilien befinden sich oft in informellen Siedlungen, in nicht lizenzierten Gebäuden in Zonen oder in Kollektiveigentum mit ungelösten Erbstreitigkeiten. Viele dieser Immobilien sind nicht im offiziellen Grundbuch eingetragen und erscheinen nur als unbebautes Land, was bedeutet, dass die darauf errichteten Gebäude nicht erfasst, ungeteilt und nicht auf die Namen ihrer rechtmäßigen Eigentümer eingetragen sind. Die Abwesenheit der rechtmäßigen Eigentümer, die oft auf Vertreibung oder Verfolgung aus Sicherheitsgründen zurückzuführen ist, hat es anderen erleichtert, sich diese Grundstücke anzueignen, indem sie sie unrechtmäßig in Besitz nahmen und sie später verkauften, wobei sie die Käufer täuschten, indem sie ihnen vorgaukelten, sie seien die rechtmäßigen Eigentümer. Darüber hinaus hat die weitverbreitete Übertragung von Eigentum ohne Einhaltung ordnungsgemäßer rechtlicher Verfahren in den von dem Regime kontrollierten Gebieten in den letzten Jahren in Verbindung mit einer schwachen Rechenschaftspflicht und Strafverfolgung bei Betrug und Fälschung das Problem verschärft. Dies wurde durch Korruption in Gerichten und Grundbuchämtern sowie den Einfluss der Sicherheitskräfte von Assad auf die Justiz, die korrupte Beamte und diejenigen, die Eigentum beschlagnahmt hatten, schützten, von denen viele dem Sicherheits- und Militärapparat angehörten, noch verschlimmert (HLP Syria 20.1.2025). Nach dem Sturz des Assad-Regimes am 8.12.2024 kehrten die meisten gewaltsam vertriebenen Menschen aus Lagern in Nordsyrien in ihre Heimatstädte und auf ihr Ackerland in den ländlichen Gebieten der Gouvernements Hama und Idlib zurück. Die Bauern fordern ihr Land einzeln zurück und verlassen sich dabei manchmal auf lokale Streitkräfte, um ihr Eigentum geltend zu machen und diejenigen zu entfernen, die ihr Land übernommen hatten. Viele dieser landwirtschaftlichen Flächen waren in den letzten Jahren über öffentliche Auktionen an Investoren vergeben worden. Bisher hat "The Syria Report" keine Fälle von Widerstand seitens dieser Investoren dokumentiert, möglicherweise aus Angst vor Repressalien, aus Akzeptanz der neuen Realität oder sogar aus impliziter Anerkennung der Rechte der Rückkehrer. Die Verwaltungen der Gouvernements Idlib und Hama, die zuvor dem Ministerium für lokale Verwaltung und Dienstleistungen des Assad-Regimes unterstanden, hatten diese Ländereien als unbewohnt eingestuft, weil ihre ursprünglichen Eigentümer gewaltsam in von der Opposition kontrollierte Gebiete im Nordwesten Syriens vertrieben worden waren. In einem systematischen und organisierten Prozess, der sich schrittweise von 2020 bis zum Sturz des Regimes Ende 2024 entwickelte, wurden alle diese brachliegenden Grundstücke, einschließlich unbebauter („saleekh“) und mit Obstbäumen bepflanzter Grundstücke, in öffentlichen Auktionen zum Kauf angeboten. Im Gegensatz zur Pistazienernte, die bereits vor dem Sturz des Regimes eingeholt worden war, fanden die Bauern, die in die Städte im westlichen ländlichen Hama – wie Kafr Nabuda, Hayalin al-Ghab und al-Jalma – zurückkehrten, ihre Felder mit Feldfrüchten bepflanzt vor, die noch auf die Ernte warteten, wie z. B. Kartoffeln. Diese Ländereien waren über öffentliche Auktionen für leerstehende Saleekh-Ländereien gepachtet worden, die von den Provinzbehörden von Hama für die Landwirtschaftssaison 2024–2025 organisiert worden waren. Die zurückkehrenden Landbesitzer ernteten die Kartoffeln, ohne dass die Investoren Einwände erhoben, und verkauften sie zu ihrem eigenen Vorteil. Einige von ihnen forderten auch eine Entschädigung von den früheren Investoren für die vergangenen Jahre (HLP Syria 3.2.2025a). [Weitere Informationen zu den Herausforderungen von Rückkehrern im Zusammenhang mit Wohnungen sind dem Kapitel Rückkehr - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Quellen: […]
15.2.1 Wohnsituation und Infrastruktur in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 20:42
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Im Sozialen Vertrag von 2023 ist im Artikel 70 geregelt, dass Privateigentum geschützt ist und nur im öffentlichen Interesse enteignet werden darf. Es muss eine angemessene Entschädigung gezahlt werden, die gesetzlich geregelt ist. Gemäß Artikel 71 ist der Besitz und die Schenkung von Eigentum zum Zwecke des demografischen Wandels verboten (RIC 14.12.2023).
Rückkehrer in die von den Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) kontrollierten Gebiete sehen sich der Herausforderung gegenübergestellt, ihr Eigentum zurückzufordern, insbesondere beim Nachweis der Echtheit ihrer Dokumente, die vor 2011 ausgestellt worden sind (OHCHR 1.2.2024). Im Jänner 2021 erließ die Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) einen Beschluss, der es ihren Gerichten untersagte, über Landbesitzstreitigkeiten zu entscheiden, bis ein neues Register erstellt werden konnte. Zwei Jahre später behinderte Beschluss 6 weiterhin den Zugang der Nordostsyrer zu Eigentumsrechten und ihre Fähigkeit, sich rechtliche Dokumente zu sichern, ohne dass ein alternatives Kataster in Sicht ist. Die Katasterregistrierung ist das wirksamste Rechtsinstrument zur Erfassung von Immobilientransaktionen und hat eindeutig Vorrang vor anderen Arten von Rechtsdokumenten, einschließlich gerichtlicher Entscheidungen von DAANES-Richtern. Da das offizielle Kataster jedoch in Damaskus verwaltet wird, kann nur das Regime Änderungen vornehmen (SYD 30.1.2023).
Rückkehrer prangerten zahlreiche Fälle von Beschlagnahmung und Aneignung von Eigentum durch von den SDF unterstützte Behörden an, insbesondere in Gebieten, in denen die Mehrheit der Bewohner Araber sind (OHCHR 1.2.2024).
Das Waffenstillstandsabkommen zwischen der Übergangsregierung und den SDF sieht vor, dass die SDF die Kontrolle über alle Grenzübergänge, Flughäfen sowie Öl- und Gasfelder in ihren Gebieten abgeben muss. [Details zu diesem Abkommen sind dem Kapitel Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) / Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) zu entnehmen.] Die syrische Übergangsregierung wird Berichten zufolge Ausschüsse einrichten, um die Kontrolle über die Ölfelder in den von der SDF kontrollierten Gebieten im Nordosten Syriens zu übernehmen. Diese Ausschüsse sollen die Felder untersuchen und ihre Produktionskapazitäten bewerten (ISW 24.3.2025). Diese wichtigen Ölfelder Syriens fielen in die Hände der Terrorgruppierung Islamischer Staat (IS), die von 2014 bis 2017 ein sogenanntes Kalifat in weiten Teilen Syriens und des Irak errichtete. Damals entstand ein Großteil der Schäden im Öl-Sektor. Nach dem Sturz des IS übernahmen die SDF die Kontrolle über wichtige Ölfelder. Die Felder produzieren nur noch einen Bruchteil ihrer früheren Menge. Das Rumeilan-Feld liefert nur 15.000 der etwa 100.000 Barrel, die es produziert, in andere Teile Syriens, um den Staat etwas zu entlasten (Independent 28.3.2025).
Quellen: […]
15.2.2 Wohnsituation und Infrastruktur (Stand Oktober 2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 20:49
Gebiete unter der Kontrolle der syrischen Regierung
Privateigentum wurde in der syrischen Verfassung von 2012 im Artikel 15 geschützt und durfte nur im öffentlichen Interesse gegen eine angemessene Entschädigung, nicht ohne rechtskräftiges Gerichtsurteil, im Kriegs- und Katastrophenfall gegen angemessene Entschädigung, beschlagnahmt werden (SeG 24.2.2012). Syrer griffen grundsätzlich auf vier Arten der Eigentumsdokumentation zurück. Die häufigste Variante war es, das Eigentum im Zivilregister eintragen zu lassen. Eine weitere Möglichkeit war es, den Besitz durch einen richterlichen Beschluss zu dokumentieren, der dann Eingang ins Zivilregister fand. Man konnte Eigentum auch notarisch begründen lassen. Dadurch erhielt man ein offizielles Dokument, dessen Wirksamkeit aber erst im Grundbuch eingetragen wurde, wenn die Übertragung der Eigentumsunterlagen abgeschlossen war. Aus diesem Grund war diese Methode weniger zuverlässig als die beiden vorherig genannten. Die letzte der vier Möglichkeiten war es, einen einfachen Vertrag zwischen Verkäufer und Käufer aufzusetzen, der mit Fingerabdrücken und Unterschriften von Zeugen rechtswirksam wurde. Diese galt als die rechtlich schwächste Methode (SNHR 25.5.2023). Das Gesetz Nr. 10 von 2018 erlaubte es dem Staat, Gebiete für den Wiederaufbau und Sanierung per Dekret zu widmen. Personen, die gewisse Kriterien, um ihr Eigentum zu beweisen, nicht erfüllen konnten, riskierten dieses zu verlieren (FH 2023).
Mitte des 20. Jahrhunderts trat das Phänomen informeller Siedlungen in Syrien auf, welches sich in den 1980ern ausbreitete. Es bildeten sich Wohngebiete, die eine große Anzahl erreichten. Der Prozentsatz an informellen Siedlungen wird auf 60 % der Wohngebiete in ganz Syrien geschätzt. Durch die Krise wurde die Zahl weiter erhöht. Zusätzlich zu den informellen Siedlungen in den bis Anfang Dezember 2024 von der Regierung kontrollierten Gebieten wurde die Anzahl der informellen Siedlungen in den Gebieten außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes auf etwa 200.000 informelle Unterkünfte geschätzt (TDA-SY 1.11.2024). UNHCR beschreibt informelle Siedlungen im Allgemeinen durch eine hohe Unsicherheit der Besitzverhältnisse, das Fehlen einer angemessenen Infrastruktur und von Dienstleistungen, prekäre Sicherheit und Schutz, einschließlich des Aussetzens gegenüber Umwelt- und Gesundheitsrisiken sowie sozioökonomische Marginalisierung gekennzeichnet. In der Regel stehen sie auf Land, das nicht für eine Unterbringung vorgesehen ist. Informelle Siedlungen befinden sich oft auf staatlichem, privatem oder kommunalem Land, mit oder ohne Verhandlungen mit der lokalen Bevölkerung und/oder den Landbesitzern (UNHCR 5.11.2024). Die Verbindung von informellen Siedlungen und dem Mangel an grundlegenden Einrichtungen ist nicht immer zutreffend. In Syrien wurden einige informelle Wohngebiete aufgrund einer politischen Entscheidung mit grundlegenden Dienstleistungen und Einrichtungen ausgestattet und blieben als informelle Siedlungsgebiete bekannt. "The Day After" definiert informelle Siedlungen als Ansammlungen von Häusern, die bei ihrer Errichtung, Planung oder Spezifikation nicht dem Immobilienrechtssystem entsprechen und auf Grundstücken gebaut werden, die dem Staat oder Einzelpersonen gehören, bei denen es sich um landwirtschaftliche Flächen oder nicht für Wohnzwecke vorgesehene Flächen handeln kann, und die sich meist außerhalb des Bebauungsplans oder innerhalb eines Bebauungsplans, aber unter Verstoß gegen die Bauvorschriften, nach nicht genehmigten Aufteilungen und ohne Lizenzen befinden. Unter den stabilen Umständen der Vergangenheit war der Nachweis des Eigentums an informellen Siedlungen bereits eine komplexe Angelegenheit, die das Rechtssystem nicht lösen konnte, da das Eigentum nicht im Grundbuch als Gebäude und Wohneinheiten eingetragen ist. Der größte Teil ist als landwirtschaftliches Gemeineigentum eingetragen, da er auf staatseigenem Land gebaut ist, das nicht in Wohnhäuser unterteilt ist, und nicht aufgeteilt oder übertragen werden kann, oder das Land ist im Besitz von Einzelpersonen und nicht im Grundbuch eingetragen und kann nicht in der Gemeinde lizenziert werden. Daher wird das Eigentum entweder durch ein Gerichtsurteil bestätigt, dessen letztendliches Ziel darin besteht, eine Belastung im Grundbuch einzutragen, oder durch ein Urteil, das den Verkauf bestätigt und auf die Notwendigkeit hinweist, die Beschreibungen zu sortieren und zu korrigieren, was nicht geschieht. Der Verkauf kann über einen Notar erfolgen, der eine unwiderrufliche Vollmacht für den Inhalt des Grundstücks ausstellt. Der Eigentümer kann auch Steuern an die Finanzbehörde zahlen oder einen Versorgungsvertrag (Strom, Wasser) abschließen und eine Quittung für die Zahlung der Versorgungsrechnungen in seinem Namen erhalten. Der Eigentümer einer Wohnung in informellen Siedlungen kann nicht mehr als die oben genannten Schritte unternehmen. Wenn kein Grundbuch erstellt wird, hat dies negative Folgen, einschließlich des mehrmaligen Verkaufs der Immobilie, was zu Überschneidungen zwischen den ursprünglichen Eigentümern führt, insbesondere wenn es sich um ein gemeinschaftliches Eigentum handelt. Unter den aktuellen Umständen und angesichts der Zerstörungen seit 2011 sowie der Sicherheitsherausforderung, die oben genannten Dokumente zu erhalten, wird der Nachweis des Eigentumsrechts noch weiter erschwert (TDA-SY 1.11.2024).
Es gab unter der Assad-Regierung keine öffentlichen Bemühungen, Privathäuser wiederaufzubauen. Der Wiederaufbau wurde größtenteils von den Hausbesitzern selbst durchgeführt. NGOs und UNHCR leisteten Unterstützung bei Land- und Eigentumsrechten. Viele Menschen hatten ihre Landbesitzurkunden verloren. Die UN konzentrierte sich auf die Wiederherstellung von Schulen und Gesundheitseinrichtungen, soweit diese nicht militärisch genutzt wurden (UNRCHCSYR 22.9.2024). Der Gouverneur von Latakia, der im Zuge der FFM 2024 der Staatendokumentation interviewt wurde, gab an, dass es aufgrund der Sanktionen im Land keinen Wiederaufbau gab (GovLat/DirLatPort 15.9.2024). Der UN Resident Coordinator and Humanitarian Coordinator for Syria kannte ebenfalls keine staatlichen Projekte der Assad-Regierung in größerem Ausmaß. Als Grund sah er, dass das Regime mit den Grundlagen zu kämpfen hatte (UNRCHCSYR 22.9.2024). Gemäß dem Gouverneur von Homs bei einem Gespräch im Rahmen der FFM 2024 der Staatendokumentation wurden viele Verfahren eingeleitet und Pläne für die Stadt aufgestellt. Das Problem für die Umsetzung aber war das mangelnde Geld (GovHoms 17.9.2024). In Latakia wurden acht Wohntürme errichtet mit 320 Wohnungen für diejenigen, deren Häuser durch das Erbeben zerstört wurden. Beim Erdbeben in Latakia wurden 105 Gebäude vollständig zerstört, 36.000 sind einsturzgefährdet, 1.200 müssen abgerissen und neu aufgebaut werden (GovLat/DirLatPort 15.9.2024).
Eine der Folgen des Konflikts und der daraus resultierenden territorialen, politischen und administrativen Fragmentierung ist das Fehlen wirksamer, funktionierender und unabhängiger Institutionen, die die Einhaltung von Regeln und Verfahren überwachen und Rechenschaftspflicht garantieren. So konnten sich in den Jahren des Konflikts diejenigen, die Machtpositionen innerhalb der militärischen oder politischen Strukturen der regierungsfreundlichen Kräfte oder der nicht staatlichen bewaffneten Gruppen innehatten, zunehmend willkürlich Eigentum aneignen oder beschlagnahmen. In einem solchen Kontext waren Rückkehrer und andere Syrer, die Opfer von Verletzungen ihrer Wohn-, Land- und Eigentumsrechte geworden sind, entweder nicht in der Lage oder zu ängstlich, um Rechtsmittel einzulegen, aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen durch lokale Behörden und bewaffnete Gruppen oder weil sie sich der Erfahrungen anderer bewusst sind und einfach kein Vertrauen in das Verwaltungs- und Justizsystem hatten (OHCHR 1.2.2024). Verstöße gegen das Recht auf Wohnraum, Land und Eigentum hatten in Gebieten, die die syrische Regierung durch Vereinbarungen mit Oppositionskräften im ganzen Land im Jahr 2018 wieder unter seine Kontrolle gebracht hat, sowie in Gebieten, die durch Militäroperationen im Süden Idlibs in den Jahren 2019 und 2020 erobert wurden, stark zugenommen. Zusätzlich zu Plünderungen und Zerstörungen wurde Land, das vertriebenen Bewohnern gehört, in öffentlichen Auktionen angeboten und Ernten wurden erpresst. Laut Medienberichten schritt die systematische Plünderung des Eigentums vertriebener Syrer durch regimenahe Gruppen oder mit deren Wissen und Zustimmung im ganzen Land weiter voran (SYD 26.5.2023). Syrian Network for Human Rights zufolge griff das Syrische Regime auf verschiedene Immobilien-Gesetze zurück, um insbesondere drei Hauptgruppen zu treffen: Zwangsvertriebene, Verschwundengelassene und Opfer, die gezielt getötet wurden (SNHR 25.5.2023; vgl. SYD 30.1.2023). Neben den Gesetzen griff die syrische Regierung auch auf andere Instrumente zurück, wie gezielte, weitläufige Zerstörung, unvollständige Zivilregister und das Erfordern einer Sicherheitsfreigabe (SNHR 15.3.2024). Einem Medienbericht zufolge gab es regimenahe Netzwerke, die Vertriebenen ihre Eigentümer wegnahmen. Ein Anwalt zählte 125 Fälle im ersten Halbjahr 2022 in Damaskus. Bis zu 20 Netzwerke operierten unter anderem auch in Hama und Aleppo, wo die Bevölkerung vor den Kämpfen geflohen war. Die Netzwerke hatten bis zu 50 Mitglieder, wie Anwälte, Richter und Offiziere der Armee. Sie fanden leerstehende Wohnungen und Häuser, fälschten Kaufdokumente und brachten diese bei Gericht durch, ohne dass der rechtmäßige Besitzer davon etwas mitbekam. Diese Fälschernetzwerke florierten während des Krieges, begünstigt durch den Verlust von Dokumenten durch Hausbesitzer, während Amtsgebäude, Gerichtsakten und Eigentumsurkunden zerstört wurden (Guardian 25.4.2023).
In Syrien gab es zwar schon vor 2011 strukturelle Probleme im Zusammenhang mit Grundbesitz und Eigentum, doch diese hatten sich durch konfliktbedingte Faktoren, wie die großflächige Zerstörung von Eigentum, Massenvertreibungen, die zunehmende Verbreitung informeller Siedlungen, den Verlust von zivilen Dokumenten über Wohnraum, Land und Eigentum, die Verabschiedung zusätzlicher Gesetze wie das Gesetz 10/2018 und das Gesetz 6/2023 sowie die Erdbeben vom 6.2.2023, noch verschärft. Der Syrienkonflikt war durch eine Reihe von Verletzungen der Rechte auf angemessenen Wohnraum, Land und Eigentum im ganzen Land gekennzeichnet. Diese Verstöße hatten sich oft besonders auf Flüchtlinge und Binnenvertriebene ausgewirkt, da sie aufgrund der Tatsache, dass sie aus ihren Herkunftsorten geflohen waren, oft nicht in der Lage waren, ihr Eigentum zu verwalten und zu schützen, während sie unter den Auswirkungen der politischen Maßnahmen zur demografischen Steuerung litten, die von den Konfliktparteien nach und nach eingeführt wurden, um die Kontrolle über jeweils ihre Teile des syrischen Territoriums zu festigen (OHCHR 1.2.2024). Die Sicherheitskräfte des Regimes vertrieben Personen aus ihren Wohnorten und beschlagnahmten, versteigerten oder zerstörten routinemäßig das Eigentum und die persönlichen Gegenstände von Inhaftierten ohne ein ordentliches Verfahren oder eine angemessene Rückgabe (USDOS 22.4.2024). Medienberichten zufolge kam es in den Gebieten, die von der syrischen Regierung zurückerobert wurden, zu Zerstörungen und Plünderungen von Häusern von Syrern, die aus den vom Regime kontrollierten Gebieten durch mit der syrischen Regierung verbundene Gruppierungen vertrieben wurden. Die Quellen von Syria Direct gaben an, dass die Zerstörungen in Dörfern und Kleinstädten zunahmen, insbesondere in solchen, die sich in der Nähe der Frontlinien zu den Oppositionskräften befanden. Diese Gebiete sind praktisch entvölkert, da das Regime ihren Bewohnern die Rückkehr nicht erlaubt hatte. Außerdem sind die Dächer der örtlichen Gebäude mit großen Mengen an Eisen verstärkt, was sie zu bevorzugten Zielen für Zerstörungen und Plünderungen machte. Eine Quelle spricht von Verträgen, die an Händler vergeben wurden, um beispielsweise Elektrogeräte, Haushaltsmöbel, Keramik und Fliesen, elektrische Leitungen und Eisen von Dächern, Treppen etc. zu plündern. Auf Sozialen Medien wurde sogar für den Beitritt zu Sicherheits- und Militärdiensten mit einer Aufbesserung des Monatsgehalts durch Abrissarbeiten geworben (SYD 26.5.2023). Das Regime beschlagnahmte Land, Häuser und Kapital von vermeintlichen Oppositionellen, die im Ausland lebten, und verteilte es an seine Anhänger (USDOS 22.4.2024).
Amnesty International berichtete, dass ein nach dem Erdbeben 2023 von den syrischen Behörden gebildetes Ingenieurskomitee Bewertungen über die Sicherheit von Gebäuden durchführte und dieses als Gefahr für die öffentliche Sicherheit eingestufte Gebäude zum Abriss freigab. Diese Bewertungen sollen möglicherweise nicht sorgfältig durchgeführt worden sein und die Abrisse ohne Einhaltung der Verfahrensanforderungen und ohne Schutzmaßnahmen gegen Zwangsräumungen gemäß internationalen Menschenrechtsstandards durchgeführt worden sein. Die Bewohner berichteten Amnesty International, dass Menschen, deren Häuser abgerissen wurden, weil sie als unbewohnbar eingestuft wurden, in vielen Fällen keine alternative Unterkunft oder Entschädigung angeboten wurde. Bewohner, deren Häuser durch die Erdbeben 2023 beschädigt wurden, berichteten Amnesty International, dass die Behörden sie nicht darüber informiert hätten, wie sie die Ausschüsse kontaktieren können, um sich nach der Sicherheit ihrer Häuser zu erkundigen. Sie haben keine finanzielle Unterstützung von den Behörden für die Reparatur ihrer beschädigten Häuser erhalten und die Behörden verlangten auch Genehmigungen, die für die Bewohner schwer zu bekommen waren, um Wohngebäude wieder instand zu setzen. Diese Genehmigungen sind besonders schwer zu erhalten, wenn es um die Reparatur informeller Gebäude geht, die den Großteil der Gebäude in den von den Erdbeben betroffenen Gebieten ausmachen (AI 5.9.2023). Die Anwohner konnten die Entscheidungen der Komitees nicht anfechten und hatten oft nicht genug Zeit, um ihr Hab und Gut vor den Abrissen zu entfernen (AI 24.4.2024). In den Gouvernements Aleppo, Hama, Idlib und Deir ez-Zour wurde ein informelles System öffentlicher Versteigerungen eingerichtet. Diese Versteigerungen wurden angeblich ins Leben gerufen, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, das Land in Abwesenheit der Eigentümer zu bewirtschaften. Aller Wahrscheinlichkeit nach war dies jedoch nur ein Vorwand, um sich das Land anzueignen. Im März 2022 wurden die Landauktionen systematischer, was darauf hindeutet, dass die Regierung die Politik bewusst so gestaltete, dass die Landaneignung legitimiert wurde. Die Eigentümer dieser Grundstücke wohnten in der Regel außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete oder außerhalb Syriens. Bei den Gewinnern der Auktionen handelte es sich häufig um hochrangige Mitglieder regierungsnaher Milizen oder um Personen mit engen Verbindungen zu Regierungsbehörden. In vielen Fällen besetzten die Auktionsgewinner das angeeignete Land bereits unrechtmäßig, wobei das Auktionssystem als Methode zur Legitimierung der Aneignung genutzt wurde (BS 19.3.2024). Konkrete Pläne für die Einrichtung von Entwicklungszonen deuteten auf Gebiete hin, die ehemals von der Opposition gehalten wurden, da es sich dabei häufig um ohne Baugenehmigung errichtete illegal housing areas handelte. Von den großflächigen Eigentumstransfers dürften regierungsnahe Kreise profitiert haben. Auf Druck von Russland und der Nachbarländer sowie der UN wurden einige Abänderungen vorgenommen, wie die Verlängerung des Fristenlaufes von 30 Tagen auf ein Jahr. Die grundsätzliche Stoßrichtung änderte sich aber nicht allzu sehr (ÖB Damaskus 2023).
Syrische Medien berichteten im Juni 2024, dass die syrische Regierung verstärkt Listen mit Namen von Syrern veröffentlichte, gegen die der Finanzminister die „präventive Beschlagnahme“ von beweglichem und unbeweglichem Vermögen angeordnet hatte. Der Grund für die Beschlagnahmung war laut den Beschlüssen die Verwicklung in „aktuelle Ereignisse im Land“. Die Beschlüsse stützten sich auf Dekrete, Gesetze und Bücher, die von der Generaldirektion des Geheimdienstes herausgegeben wurden. Die Mehrheit der Personen auf den an die Öffentlichkeit gelangten Listen sind Aktivisten der Anti-Regime-Bewegung, Überläufer aus den Regimekräften, Pflicht- und Reservedienstverweigerer, prominente Oppositionelle. Die Entscheidungen über die Präventivhaft waren so umfassend, dass sie sogar die Kinder und Ehefrauen der Betroffenen rückwirkend einschlossen, oft Personen betrafen, die in den ersten Jahren des Aufstandes unter verschiedenen Umständen gestorben waren, und einige „willkürlich“ angeführt waren, einschließlich Personen, die sich nicht an regimefeindlichen Aktivitäten beteiligt hatten, aber enge Verbindungen zu anderen Personen, die zu Wahrzeichen der Rebellion geworden waren, unterhielten (Syria TV 1.6.2024).
Frauen wurden in Bezug auf Besitz diskriminiert aufgrund des Personenstandsrechts, das auf der Scharia basierte, das sie in Erbschaften benachteiligte, aber auch aufgrund von sozialen Gepflogenheiten (FH 2024).
Gebiete unter der Kontrolle der Opposition
In den Oppositionsgebieten beschlagnahmten und besetzten die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) und die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) das Privateigentum von vertriebenen Zivilisten (BS 19.3.2024).
Gebiete unter der Kontrolle der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS)
In den Gebieten und der Kontrolle der HTS war die Infrastruktur ein wenig besser als in den Gebieten, die bis Anfang Dezember 2024 unter der Kontrolle der syrischen Regierung standen. Dort funktionierten Straßenbeleuchtung und Ampeln. Die als Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) bekannte Verwaltung war für die Wasser- und Stromversorgung, die Müllabfuhr und die Straßenbeläge zuständig. Die öffentlichen Dienstleistungen sowie die Militäroperationen wurden durch Steuern finanziert, die von Unternehmen, Landwirten und Grenzübergängen zur Türkei erhoben wurden (BBC 18.12.2024).
Gebiete unter der Kontrolle der Syrian National Army (SNA)
Der UN liegen Berichte vor, wonach in Gebieten unter der Kontrolle türkisch-verbündeter bewaffneter Gruppen im Nordwesten Syriens die örtlichen Behörden Eigentum von Personen beschlagnahmt und verkauft haben, die das Land verlassen oder in Gebiete unter der Kontrolle anderer Konfliktparteien gezogen waren. Solche Richtlinien und Maßnahmen wurden insbesondere in Gebieten durchgesetzt, in denen ursprünglich eine mehrheitlich kurdische Bevölkerung lebte. Die befragten Rückkehrer erklärten, dass in den meisten Fällen keine physischen Verkaufsurkunden als Ergebnis dieser Verfahren vorgelegt wurden. Es gab auch Fälle, in denen Rückkehrer, die versuchten, ihr Eigentum nach ihrer Rückkehr zurückzufordern, gezwungen wurden, Miete zu zahlen, um ihr Eigentum wieder zu betreten, entweder an den neuen Eigentümer oder an eine Fraktion der mit der Türkei verbundenen bewaffneten Gruppen (OHCHR 1.2.2024). In den Gebieten, die von den durch die Türkei unterstützten Rebellengruppierungen kontrolliert werden, kommt es täglich zu Plünderungen, Brandschatzungen und Beschlagnahmungen von Eigentum und Bewohner und Rückkehrer, die es wagen, sich den Fraktionen zu widersetzen, sind weiterhin der Gefahr von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung, Folter und Misshandlung, Entführung und erzwungenem Verschwinden ausgesetzt. An den Plünderungen sollen auch türkische Truppen beteiligt gewesen sein. Insbesondere bei den türkischen Militäroperationen in den Jahren 2018 und 2019 soll es zu Plünderungen von privaten Häusern, Geschäften und Grundstücken sowie von öffentlichem Eigentum, wie Stromkabel und Strommasten gekommen sein. Die Einrichtung von Militär- und Zivilpolizeikräften, denen Zivilisten Missbräuche und Verstöße melden können, sowie von lokalen Beschwerdekomitees, die von verschiedenen Fraktionen eingerichtet wurden, haben zu geringen Fortschritten bei der Rückgabe von Häusern, Land und Eigentum geführt, die von verschiedenen Elementen der SNA geplündert, gestohlen oder beschädigt wurden, nicht zuletzt, weil die oben genannten Fraktionen aus aktuellen oder ehemaligen Mitgliedern derselben Gruppierung bestehen, deren missbräuchliche Handlungen sie beheben sollen (HRW 29.2.2024). Obwohl einige Personen über Fälle von Eigentumsrückgabe berichteten, war die große Mehrheit nicht in der Lage, ihre Häuser und Grundstücke zurückzuerhalten. Aufgrund der Androhung von Haft im Laufe des Jahres und möglicher Repressalien vonseiten der SNA-Fraktionen, die sowohl in den Beschwerde- als auch in den Rückgabeprozess involviert waren, verzichteten viele darauf, bei informellen lokalen Beschwerdekomitees Beschwerden über Erpressung, Aneignung von Eigentum und die Erhebung von Abgaben einzureichen, oder zogen diese zurück (USDOS 22.4.2024). In Nord-Aleppo, Ra's al-'Ayn und Tall Abyad konfisziert die SNA weiterhin Land und Eigentum unter dem Vorwand von „Steuern“. Grundstückseigentümer, die versuchen, ihr Eigentum zurückzufordern, indem sie Beschwerde einlegen, riskieren verbale Drohungen, Schläge, Entführung und in mindestens einem Fall den Tod durch die Hände der SNA (BS 19.3.2024). Die UN nennen vor allem die Sultan Suleiman Shah Brigade, die Besitz von Eigentümern konfisziert und denen, die sich wehren, mit Inhaftierung und Gewalt entgegnen (UNGA 10.9.2024; vgl. UNGA 9.2.2024).
Laut Nichtregierungsorganisationen gibt es im Nordwesten Syriens Bauprojekte zur Unterbringung von Syrern aus anderen Gouvernements, und die nicht auf die Bedürfnisse der vertriebenen kurdischen Einwohner, die aufgrund der Operation Olivenzweig und ihrer Nachwirkungen gezwungen waren, ihr Land zu verlassen, eingingen und so zu ihrer weiteren Marginalisierung beitrugen. Die Vertreibung der kurdischen Einwohner hat sich verschärft, da die anhaltenden Feindseligkeiten in Nordsyrien mehr vertriebene Syrer aus Idlib, Ghouta, Nord-Hama und dem ländlichen Damaskus in die Region 'Afrin gezwungen haben. In einigen Fällen haben Gruppierungen der SNA den Bau ganzer Dörfer übernommen, oft unter dem Vorwand, dass sie der Zivilbevölkerung zugutekommen, während die Projekte in Wirklichkeit in erster Linie den Wohnbedürfnissen der Kämpfer und ihrer Familien dienen. In der Tat wurden viele kurdische Einwohner gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben, um Platz für den Bau neuer Siedlungen zu schaffen. Der Bau dieser Siedlungen führt häufig zur Zwangsumsiedlung der lokalen kurdischen Bewohner, was die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung in der Region veranlasst, ihre Heimat zu verlassen (CCR/YASA 5.2024).
Quellen: […]
15.3 Grundversorgung und Wirtschaft in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 22:36
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Im kurdisch-kontrollierten Nordostsyrien liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024). Im Gouvernement Deir ez-Zour befinden sich 40 % dieser Reserven sowie mehrere Gasfelder (DW 10.12.2024). Laut dem britischen Unternehmen Gulfsands fördern die Kurden in etwa 80.000 Barrel Öl pro Tag. Das entspricht nach den aktuellen Preisen einem täglichen Wert von ungefähr 5,6 Millionen US-Dollar. Damit kontrollieren die Kurden einen großen Teil der syrischen Einnahmequellen (WiWo 9.12.2024). Darüber hinaus war die internationale Koalition bestrebt, sie jährlich finanziell zu unterstützen, und einige Länder haben ein Budget von Hunderten von Millionen Dollar bereitgestellt, um die Löhne der Kämpfer zu zahlen und andere finanzielle Ausgaben zu sichern. Die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) nutzen diese finanzielle Unterstützung vor allem, um die Gehälter und Löhne ihrer Kämpfer und Verwaltungsangestellten zu zahlen, die zwischen 100 und 800 US-Dollar liegen. Diese Löhne sind die höchsten im Vergleich zu anderen lokalen bewaffneten Gruppen in Syrien, einschließlich der ehemaligen Regimetruppen (AJ 29.1.2025). Ein Beamter des syrischen Ölministeriums gab am 22.2.2025 bekannt, dass die kurdisch geführte Verwaltung im Nordosten des Landes (DAANES) zum ersten Mal seit dem Sturz von Bashar al-Assad die Öllieferungen in die von der Regierung kontrollierten Gebiete wieder aufgenommen hat. Hunderte Tankwagen transportierten hauptsächlich Rohöl auf dem Landweg zur Raffinerie in Homs in Zentralsyrien. Das Abkommen zwischen der kurdischen Autonomieverwaltung und dem syrischen Ölministerium sieht den Transfer von 15.000 Barrel Öl pro Tag vor, zusätzlich zu dem Transfer von einer Million Kubikmeter Gas mittels Tanker. Die Pipelines für den Transport von Öl und Gas sind außer Betrieb. Die neuen Verträge sind zunächst für drei Monate gültig (Arabiya 23.2.2025; vgl. Nashra 22.2.2025).
Mitte 2022 befreiten die Vereinigten Staaten die SDF-Gebiete von den Sanktionen gegen ausländische Investitionen, was die SDF als Unterstützung für ihre Bemühungen um den Wiederaufbau der Infrastruktur in ihren Kontrollgebieten interpretierten, wie eine frühere Studie von Jusoor for Studies zeigt (AJ 29.1.2025).
Die humanitäre Lage im Nordosten Syriens ist durch eingeschränkten Zugang für humanitäre Hilfe, anhaltende Unsicherheit und schwindende Unterstützung gekennzeichnet. Über 413.000 Menschen sind seit Wochen ohne Wasser und Strom, nachdem der Tishrin-Damm am 10.12.2024 beschädigt wurde. Darüber hinaus müssen Märkte und kleine Unternehmen, die in der vergangenen Woche durch Feindseligkeiten beschädigt wurden, dringend repariert und die Existenzgrundlage wiederhergestellt werden (UNOCHA 30.1.2025).
Lebensmittel, Wasser- und Stromversorgung
Erste Ergebnisse im Bereich des wirtschaftlichen Wohlergehens vom März 2024 zeigten einen hohen Bedarf in ganz Nordsyrien. Die Ernährungssicherheit war ein großes Problem. 59 % der Befragten gaben an, dass Lebensmittel oder Geld zur Bezahlung von Lebensmitteln der größte ungedeckte Bedarf waren. 60 % der Haushalte kauften ihre Lebensmittel Berichten zufolge auf Kredit/Schulden. Die Verschuldung ist nach wie vor hoch. Die größte Herausforderung für Haushalte, die Zugang zu Nahrungsmitteln haben, waren den Berichten zufolge die hohen Lebensmittelpreise (41 %) und der Mangel an Geld für den Kauf von Lebensmitteln (36 %) (IRC 14.3.2024). Vertrauliche Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass insbesondere das an den Irak grenzende Gebiet regelmäßig (humanitäre) Hilfslieferungen aus diesem Land erhielt, wodurch die Lage dort etwas besser war als im Rest Syriens. In diesem Gebiet, in dem Öl gefördert und viel Nahrung produziert wurde, waren die Preise auch niedriger als im Regierungsgebiet (MBZ 8.2023). Durch die Eskalation der Sicherheitslage im Oktober 2024 wurde die Bewegungsfreiheit humanitärer Organisationen eingeschränkt, wodurch der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen sowohl für Mitarbeiter als auch für Kinder und Betreuer, die Hilfe benötigen, eingeschränkt wurde. Die Auswirkungen der Schäden an wichtigen Infrastrukturen und Versorgungsleistungen wie Strom, Treibstoff, Silos und Mühlen sowie Fabriken beeinträchtigen die Fähigkeit der Bevölkerung, ihren Ernährungsbedarf zu decken, weiter. Im Januar 2024 hatten 70 % der Haushalte in Nordostsyrien Schwierigkeiten, die Grundbedürfnisse (d. h. Unterkunft, Lebensmittel und Medikamente) aller Familienmitglieder zu decken, was hauptsächlich auf die hohen Kosten für lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen und den fehlenden Zugang zu Einkommen zurückzuführen ist. Für die meisten Menschen ist die Ernährung der größte Posten bei den monatlichen Haushaltsausgaben (NES 20.11.2024).
In den folgenden von der Staatendokumentation erstellten Grafiken werden die Entwicklungen von Lebensmittelpreisen und Löhnen für nicht qualifizierte Arbeit dargestellt. Die Daten beruhen auf Erhebungen des World Food Programmes jeweils am Monats 15. von Februar 2024 bis Februar 2025. Ausgewählt wurden die Städte Qamishli und al-Hasaka. [Weitere Grafiken für die Städte, wie Damaskus, Aleppo, Idlib und Homs finden sich im Kapitel Grundversorgung und Wirtschaft.] Nicht für alle Monate standen Daten zur Verfügung. Angaben in Kilogramm bzw. Liter und Preis- bzw. Lohnangaben in Syrischen Pfund (SYP):

Quelle: WPF 24.3.2025

Quelle: WPF 24.3.2025
Begrenzte finanzielle Mittel und die Abwanderung von qualifiziertem Personal schränkt die Qualität und Verfügbarkeit von Wasser- und Sanitärsystemen sowie Gesundheitsdiensten ein (UNOCHA 3.3.2024). Im Oktober 2023 begannen türkische Drohnen Monate andauernde Angriffe gegen zivile Infrastruktur in Nordostsyrien. Mehrere Menschen kamen dabei ums Leben und über eine Million Menschen waren ohne Strom und mehr als doppelt so viele ohne zuverlässigen Zugang zu Wasser. Die Zerstörung der Infrastruktur betraf fast alle Lebensbereiche, von Häusern, Restaurants über Tankstellen, Bussen und Bäckereien bis hin zu Gesundheitseinrichtungen, Straßen und Kraftwerken. Viele Personen sind seither auf private Generationen angewiesen, die aber für einige finanziell nicht leistbar sind (NH 21.2.2024). Die wiederholten Luftangriffe der türkischen Streitkräfte in der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyrien (DAANES), die kritische Ölinfrastrukturen wie Auffangtanks, Gasproduktionsstätten, in denen Rohöl gelagert wird, und Transportleitungen beschädigt haben, führten zu einer Verschlimmerung der Ölsättigung von landwirtschaftlichen Feldern und Wasserquellen, so das NES NGO Forum. Schon zuvor hat die ineffiziente Entsorgung von Ölabfällen seit 2014 zu wiederholten Öllecks geführt, welche die Wasserquellen der Region kontaminierten. Die Verschmutzung des Oberflächen- und Grundwassers durch Öl bedroht auch den Zugang zu sauberem Trinkwasser für die Bevölkerung in der DAANES (USAID 9.4.2024). Seit Januar 2024 ist die Stromverbindung zu den Versorgungsleitungen in al-Hasaka teilweise wiederhergestellt, was die ansonsten katastrophale Situation leicht verbessert. Die jüngste Eskalationsrunde im Oktober 2024 führte zu Stromausfällen in den Unterbezirken Kobane, Qahtaniya, 'Amouda und Darbasiya. Die Gemeinden stehen vor großen Herausforderungen, um ihren Wasserbedarf zu decken. Da das Grundwasser in den meisten betroffenen Gebieten trinkbar ist, sind viele Dörfer in ländlichen Gebieten nicht mit Wassersystemen ausgestattet und auf private Bohrlöcher angewiesen. Einige Familien hatten die Möglichkeit, Solarmodule bereitzustellen oder verfügten über private Generatoren, während die Mehrheit auf Strom aus dem Netz angewiesen war, der nicht mehr verfügbar ist. Die Luftangriffe von Oktober 2023 bis Oktober 2024 führten dazu, dass 87.306 Menschen in den Unterbezirken 'Amouda und Darbasiya nur schwer Zugang zu ausreichend Trinkwasser haben. Schäden an Kraftwerken in Kobane und 'Ain Issa im Oktober 2024 haben zu einer kritischen Unterbrechung der Wasserversorgung geführt. Die betroffene Infrastruktur umfasst 13 Wasserwerke, die nun von ihrer Hauptstromquelle getrennt sind, was den Zugang zu sauberem Wasser für 55.740 Menschen beeinträchtigt. Die Behörden konnten Lösungen zur Überbrückung der Versorgungslücke umsetzen, um die Stromversorgung in diesen Gebieten teilweise wiederherzustellen. Die kritische Wasserstation Alouk ist seit der Eskalation der Feindseligkeiten im Oktober 2023 nicht mehr in Betrieb. Dadurch ist die Wasserversorgung von über 610.000 Menschen im Gouvernement al-Hasaka ernsthaft gefährdet. Der Zugang zu Elektrizität für 1,05 Millionen Einwohner in 1.322 Gemeinden, 1.937 Schulen und zwölf medizinischen Einrichtungen ist stark gefährdet. Die Umspannwerke 'Amuda, Qahtaniya und Kobane wurden alle ins Visier genommen und bei Luftangriffen beschädigt. Insgesamt ist der Zugang zu Elektrizität für 1,05 Millionen Einwohner in 1.322 Gemeinden in Nordostsyrien derzeit stark eingeschränkt (NES 20.11.2024). Infolge der Schäden am Tishrin-Damm sind seit Dezember 2024 mehr als 413.000 Einwohner in Manbij und Kobane ohne Strom und fließendes Wasser (IMC 16.4.2025). In einigen Wohngebieten in der DAANES gibt es keine Wasserversorgung, sodass die Bewohner auf Wasser aus Brunnen angewiesen sind, was zu gesundheitlichen Problemen für Darm und Nieren führen kann (Enab 21.2.2024; vgl. Enab 11.9.2024). Außerdem ist das Wasser aus gebohrten Brunnen teuer aufgrund der Bohrkosten und des Mangels an geeigneten Maschinen für die Grundwassergewinnung, wodurch das Wasser nicht allen Bewohnern zur Verfügung steht. Auch die Betriebszeiten der Wasserpumpengeneratoren reicht in manchen Gemeinden nicht aus, um die weiter entfernt liegenden Häuser zu erreichen (Enab 21.2.2024). Die humanitäre Hilfe bleibt für die von Wasserknappheit betroffenen Gemeinden lebenswichtig. Die Hilfsorganisationen sorgen für eine kontinuierliche Instandhaltung der Wassernetze und -stationen, für die Versorgung mit Elektrizität, da die Region auf Wasserkraftwerke angewiesen ist, und für Wassertransporte. Das fehlende Abwassermanagement in NES hat auch das Risiko erhöht, sich mit durch Wasser übertragenen Krankheiten wie Cholera anzustecken (USAID 10.1.2024).
In Gebieten unter autonomer Verwaltung im Osten von Deir ez-Zour kommt es immer wieder zu Krisen im Dienstleistungssektor, die sich in wiederkehrenden Unterbrechungen der Trinkwasser- und Stromversorgung äußern. Mehrere Trinkwasserstationen im östlichen Umland von Deir ez-Zour stellten im September die Wasserversorgung der Bewohner ein, was in den von diesen Stationen versorgten Gebieten zu einer Trinkwasserkrise führte. Lokale Quellen berichteten Enab Baladi, dass die Wasserstationen aufgrund eines Mangels an dem für ihren Betrieb notwendigen Treibstoff und fehlender Stromversorgung stillgelegt wurden. Etwa eine Woche nachdem die meisten Stationen die Wasserförderung eingestellt hatten, verdoppelte sich der Preis für Wasser, das mit Tankwagen transportiert wurde aufgrund der gestiegenen Nachfrage, der steigenden Temperaturen und des Mangels an Elektrizität und alternativen Trinkwasserquellen. Der Verkauf von Trinkwasser durch Tankwagen auf dem Land in Deir ez-Zour hat sich zu einem beliebten Geschäft entwickelt, das durch die wiederkehrende Krise aufgrund von Stromausfällen beflügelt wird und viele Menschen dazu veranlasst, den Beruf des Wasserverkaufs und der Wasserverteilung in Dörfern und Städten auszuüben. (Enab 11.9.2024).
Nichtregierungsorganisationen, die im Nordosten Syriens tätig sind, haben seit Mitte Dezember keinen Zugang mehr zu Manbij und 'Ain al-'Arab, da ein interner Grenzübergang geschlossen wurde, wodurch der Personen- und Warenverkehr behindert wird (UNOCHA 30.1.2025).
Arbeitsmarkt
Gebiete unter der Kontrolle der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) - Demokratische Autonome Administration Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Die Arbeitslosenquote unter der Zivilbevölkerung im Nordwesten Syriens liegt im Durchschnitt bei 88,82 %. Der Wirtschaftsforscher Hayan Hababa sagte, die Hauptgründe für die hohe Arbeitslosigkeit seien die Überbevölkerung im Vergleich zu der kleinen geografischen Fläche in der Region und das Fehlen von Investitionsprojekten, zusätzlich zu anderen Gründen, darunter die Zurückhaltung vieler Kapitalgeber, im Nordwesten Syriens zu investieren, wobei auch das niedrige Bildungsniveau eine Rolle spielt. Weitere Gründe für den Anstieg der Arbeitslosigkeit sind fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten, der Mangel an ausreichender Erfahrung, mangelhafte Ausbildung und nationale Kompetenzen, fehlende praktische Erfahrung für die meisten Hochschulabsolventen und fehlende Betreuung und Unterstützung vor Ort, wo sie ihren Abschluss gemacht haben (Syria TV 27.8.2024).
Quellen: […]
16 Medizinische Versorgung - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 20:57
[Die Informationen in diesem Kapitel stammen zwar überwiegend aus Quellen, die älter als Dezember 2024 sind, dennoch haben sich an der Medizinischen Versorgung innerhalb dieser kurzen Zeit keine größeren Veränderungen ergeben. Einige Informationen zur aktuellen Lage wurden in den vorliegenden Text eingearbeitet.]
Die katastrophalen Folgen des Konflikts forderten weiterhin ihren Tribut von der öffentlichen Gesundheit der syrischen Bevölkerung. Hunderttausende wurden getötet und Millionen verletzt, darunter Soldaten und Zivilisten, Männer und Frauen, wobei das Recht auf Leben und das Recht auf Gesundheit eklatant missachtet wurden. Dies führte zu einer erhöhten Sterblichkeitsrate und einer geringeren Lebenserwartung bei der Geburt sowie zu einer Verdoppelung der Krankheitsraten, darunter Infektionskrankheiten wie Cholera, Masern, Leishmaniose und COVID-19 sowie nicht übertragbare Krankheiten wie Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Krebs, Behinderungen und Unterernährung (SCPR/UniVie 8.2023). Wiederkehrende Krankheitsausbrüche, durch Wasser übertragene Krankheiten, eine anhaltende Dürre und Wasserkrise, durch Impfung vermeidbare Krankheiten und Ernährungsunsicherheit tragen zu einer steigenden Sterblichkeit und Morbidität bei, einschließlich einer Zunahme der Unterernährung und eines erhöhten Bedarfs an humanitärer Hilfe (UNOCHA 12.2023). Gemäß der World Health Organisation (WHO) sind 15 Millionen Menschen - das sind 65 % der Bevölkerung - auf medizinische Hilfe angewiesen (WHO 16.3.2024). Fast sechs Millionen Syrer (28 % der Bevölkerung), darunter viele Kinder, sind aufgrund der Auswirkungen des Konflikts auf die Gesundheitsversorgung dauerhaft behindert und haben oft keinen Zugang zu angemessener Pflege. Das bedeutet, dass etwa jeder sechste Bürger mit einer Form von Beeinträchtigung konfrontiert ist, die seine Fähigkeit einschränkt, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und sich uneingeschränkt an den Wiederaufbauarbeiten zu beteiligen. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach psychologischer, medizinischer und finanzieller Unterstützung stark gestiegen, was die ohnehin schon knappen staatlichen Mittel zusätzlich belastet (UNDP 20.2.2025).
Der Konflikt hat die sozialen Bestimmungsfaktoren der öffentlichen Gesundheit systematisch zerstört und zu einer Fragmentierung und einem Rückschritt des Gesundheitssystems geführt, wie z. B. durch direkte militärische Angriffe auf die Bevölkerung, medizinische Einrichtungen und medizinisches Personal und durch die Untergrabung der Regierungsführung im Gesundheitssektor (SCPR/UniVie 8.2023). Öffentliche Krankenhäuser forderten Patienten sogar auf, ihre Medikamente, Spritzen, Verbandsmaterial und medizinisches Klebeband selbst mitzubringen (FT 25.3.2025). Die Arbeit des privaten Gesundheitssektors hat sich während des Konflikts in allen Regionen Syriens ausgebreitet. Der Privatsektor besteht aus formellen und informellen Gesundheitsdienstleistern, darunter Apotheken und Fachkrankenhäuser, zu denen auch gewinnorientierte Einrichtungen gehören, sowohl lokale als auch ausländische. Ergebnisse von sozioökonomischen Umfragen, die vom Syrian Center for Policy Research in den Jahren 2020 und 2021 durchgeführt wurden, zeigen einen deutlichen Rückgang der öffentlichen Gesundheitsdienste und eine Zunahme der Bereitstellung privater Gesundheitsdienste. Mit der Rolle des privaten Gesundheitssektors sind viele Herausforderungen verbunden, wie z. B. mangelnde Rechenschaftspflicht und Qualitätsüberwachung sowie steigende Kosten für Dienstleistungen. Daneben ist auch die Zivilgesellschaft ein wichtiger Akteur bei der Bereitstellung von Gesundheitsdiensten. Dies kommt in verschiedenen Formen von Nichtregierungsorganisationen und gemeindebasierten Organisationen zum Ausdruck, seien es zivilgesellschaftliche, religiöse, wohnortbasierte oder professionelle Organisationen bzw. Initiativen. Die Unterschiede auf der Ebene der organisierten Arbeit zwischen den Gemeinden, innerhalb und zwischen den Kontrollbereichen, sind sehr groß. Dies ist auf verschiedene Grade der Selbstorganisation zurückzuführen, die von den sehr unterschiedlichen sozialen Strukturen, der Führung, den Ressourcen der lokalen Gemeinschaft, der Berufserfahrung und der internationalen Unterstützung, sei es durch Diasporagemeinschaften oder andere Geber, abhängen. In den Gebieten Syriens ist die Abhängigkeit von solchen Gemeinschaftsorganisationen, die den Rückgang der staatlichen Gesundheitsdienste ausgleichen, je nach Aktivität der internationalen Gesundheitsorganisationen, die diese Lücke füllen, sehr unterschiedlich. Internationale medizinische Nichtregierungsorganisationen, die in operativer und finanzieller Hinsicht viel weiter fortgeschritten sind, sind wichtige Versorger im Nordosten und Nordwesten Syriens, nicht jedoch in den von der Assad-Regierung kontrollierten Gebieten, in denen gemeinnützige Organisationen der Zivilgesellschaft eine größere Rolle bei der Schließung dieser Lücke im öffentlichen Gesundheitswesen spielen (SCPR 2023). Auch in Aleppo und Idlib, den am stärksten betroffenen Gouvernements haben zivilgesellschaftliche Organisationen eine führende Rolle eingenommen und entscheidend zur Verbesserung der Verwaltung des Gesundheitssektors in den ländlichen Gebieten der beiden Provinzen beigetragen und den Zugang der Menschen zu Gesundheitsdiensten erweitert (SCPR/UniVie 8.2023). Die Mittel für humanitäre Gesundheitsmaßnahmen sind von 2022 bis 2023 um mehr als 27 % zurückgegangen und werden 2024 voraussichtlich um mindestens 30 % weiter sinken (WHO 16.3.2024).
Im Gegensatz zu dem allgemeinen Rückgang der gemeldeten Gewalt in Syrien nahmen die Vorfälle von Gewalt gegen oder Behinderung der Gesundheitsversorgung im Jahr 2023 zu. Dies war vor allem auf den vermehrten Einsatz von Sprengstoffwaffen im Oktober zurückzuführen. Die Zahl der Fälle, in denen Gesundheitseinrichtungen beschädigt oder zerstört wurden, hat sich 2023 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt, und mit einer Ausnahme wurden in allen Fällen Sprengstoffwaffen eingesetzt. Im Jahr 2023 wurden ähnlich viele Mitarbeiter des Gesundheitswesens getötet, entführt und verhaftet wie im Jahr 2022. Wie in den Vorjahren betraf auch 2023 die Mehrzahl der Vorfälle Gesundheitsdienstleister, die in nationalen Gesundheitsstrukturen arbeiten. Die meisten Vorfälle von Gewalt gegen oder Behinderung der Gesundheitsversorgung wurden den syrischen Streitkräften und den türkischen Streitkräften zugeschrieben, die in Aleppo, Idlib und al-Hasaka Sprengstoffwaffen einsetzten. Mindestens elf Mitarbeiter des Gesundheitswesens, darunter Ärzte, Krankenschwestern, Apotheker, Krankenhauspersonal und Sicherheitspersonal, wurden 2023 bei acht Vorfällen festgenommen oder inhaftiert, verglichen mit 20 bei neun Vorfällen im Jahr 2022 (II 22.5.2024).
Die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit sind enorm, denn die Zahl der Depressionen und stressbedingten Störungen ist um schätzungsweise 200 % bzw. 600 % gestiegen (WHO 16.3.2024). Die Häufigkeit der erfassten psychischen Erkrankungen in Syrien ist zwischen 2022 und 2023 stark angestiegen, mit einem Anstieg von fast 570 % der stressbedingten Erkrankungen, einschließlich akuter Belastungsstörungen und posttraumatischer Belastungsstörungen, so ein im Februar veröffentlichter Bericht des Health Cluster der Vereinten Nationen. Die Depressions- und Selbstmordraten stiegen im gleichen Berichtszeitraum um mehr als 80 % (USAID 9.4.2024).
Die Wachstumsverzögerungsrate ist in ganz Syrien kontinuierlich gestiegen, von 12,6 % im Jahr 2019 auf 16,1 % im Jahr 2023. Alarmierenderweise melden fünf von 14 Gouvernements inakzeptabel hohe Wachstumsverzögerungsraten von über 20 %, darunter die Gouvernements Aleppo, Idlib, Deir ez-Zour, al-Hasaka und ar-Raqqa. In bestimmten Gebieten von Deir ez-Zour, al-Hasaka und ar-Raqqa werden katastrophale Wachstumsverzögerungsraten von über 30 % gemeldet (UNOCHA 3.3.2024).
Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Die Bedingungen in den Krankenhäusern in verschiedenen syrischen Provinzen haben sich seit dem Sturz des gestürzten Regimes verschlechtert. Einige Krankenhäuser arbeiten ohne ausreichende medizinische Versorgung oder ohne Strom (AJ 1.1.2025b). Der Gesundheitssektor in Syrien befindet sich in einem katastrophalen Zustand. Die öffentlichen Krankenhäuser in Damaskus leiden unter einem beschleunigten Zusammenbruch der medizinischen Versorgung inmitten eines schweren Mangels an Medikamenten und Ausrüstung. Nur 35 % der Gesundheitseinrichtungen und -kapazitäten des Landes sind noch funktionsfähig. Trotz der laufenden Bemühungen deuten offizielle Berichte darauf hin, dass die gesundheitliche Belastung in absehbarer Zeit nicht nachlassen wird und dass die gesundheitliche Lage in Syrien von Tag zu Tag komplexer wird (Sky News 3.2.2025). Infolge des Krieges sind 38 % der Krankenhäuser und 47 % der Zentren für die primäre Gesundheitsversorgung in der Arabischen Republik Syrien entweder teilweise oder gar nicht mehr funktionsfähig (UNESCWA 26.1.2025). Nur 57 % der Krankenhäuser und 37 % der primären Gesundheitszentren sind voll funktionsfähig (IMC 16.4.2025). Doch selbst diese leiden unter gravierenden Engpässen, sodass Millionen Menschen keinen Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdienstleistungen haben (AN 6.3.2025). Die Unterfinanzierung der Hilfsmaßnahmen führt zu schwerwiegenden humanitären Folgen. Im Nordwesten Syriens waren die Mittel von 102 Gesundheitseinrichtungen bereits seit Anfang 2025 aufgebraucht (UNOCHA 30.1.2025). Vertreibung, Tod und Verletzungen haben zu einem gravierenden Mangel an medizinischem Personal geführt (UNESCWA 26.1.2025). Neben der zerstörten Infrastruktur, Finanzierungslücken und Versorgungsengpässen hat die Abwanderung von medizinischem Fachpersonal das Gesundheitssystem Syriens schwer getroffen. Der Verlust an medizinischem Personal in Syrien beträgt mehr als 70 %. Syrische Ärzte erhalten ein durchschnittliches Gehalt von etwa 25 US-Dollar pro Monat – kaum genug, um drei Tage lang Essen und Transport zu bezahlen. Die Krankenhäuser sind veraltet, den primären Gesundheitszentren fehlen grundlegende Dienstleistungen, die Technologie ist veraltet, und es gibt keine Krankenversicherung, keine Finanzierung und keine Digitalisierung, wie der Leiter der in den USA ansässigen medizinischen Hilfsorganisation MedGlobal gegenüber Arab News erklärt (AN 6.3.2025).
Der Gesundheitsminister der Interimsregierung beschrieb den Zustand des syrischen Gesundheitssektors als nicht gut. Er sagte, dass der Gesundheitssektor unter zwei Hauptproblemen leide: 1. Korruption und 2. administrative Aufgeblähtheit. Das Gesundheitsministerium verfüge über mehr als 82.000 Mitarbeiter. Es gäbe eine große Anzahl von fiktiven Angestellten, Fahrern und Geisterangestellten, die zwar registriert sind, aber nicht existieren. Während es an qualifiziertem Personal fehle, gäbe es viele Personen ohne entsprechende medizinische Ausbildung, die gemäß Aussage des Ministers von der Assad-Regierung beschäftigt wurden, um ihre Anhänger zufriedenzustellen. Das Gesundheitsministerium verfügt über mehr als 1.700 Gesundheitszentren und Ambulanzen in Syrien, aber nur 15 bis 20 % davon sind funktionsfähig (Stand 19.12.2024). Die Schäden umfassen vollständige bis teilweise Zerstörung, Einstellung der Arbeit und Mangel an geeignetem Personal. Das Ministerium hat einen abgestuften Aktionsplan für das Gesundheitswesen erstellt, der Ziele für drei, sechs, neun Monate, ein Jahr, zwei Jahre und vier Jahre enthält (Sharq 19.12.2024). Das Land leide unter einem kritischen Mangel an lebenswichtigen medizinischen Gütern, Brennstoff und sogar Lebensmitteln für Patienten und Personal, so der Direktor für Planung und internationale Zusammenarbeit im syrischen Gesundheitsministerium (AN 6.3.2025).
Im Nordosten Syriens sind etwa drei Millionen Menschen von einem Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung bedroht, da die lokalen Behörden nicht in der Lage sind, die Lücken zu schließen, die durch Kürzungen der Finanzmittel entstanden sind. Dort wird erwartet, dass die Hälfte der 200 Gesundheitseinrichtungen mit Engpässen bei der medizinischen Versorgung konfrontiert sein werden und wichtige Einrichtungen möglicherweise geschlossen werden müssen (IMC 16.4.2025).
Im Nordwesten Syriens ist die Gesundheitskrise von erheblichen Herausforderungen geprägt (WHO 27.12.2024). Gesundheitspartner schlagen Alarm wegen schwerer Treibstoffknappheit im Manbij National Hospital, das etwa 100.000 Menschen versorgt. Das Krankenhaus ist seit mehreren Tagen vollständig auf Generatoren angewiesen, um Dialysegeräte, Brutkästen für Neugeborene und andere lebensrettende Geräte auf der Intensivstation und in den Operationssälen zu betreiben. Die Nierenabteilung des Krankenhauses musste ihre Dienste aufgrund des kombinierten Mangels an Strom und Treibstoff vollständig einstellen. Im Nordosten Syriens sind die mobilen medizinischen Einheiten mit einem Personalmangel konfrontiert, während die Sorgen um die psychische Gesundheit von Kindern, die in Sammelunterkünften Anzeichen von psychischem Stress zeigen, zunehmen (UNOCHA 7.1.2025). Blutbanken sind einem kritischen Risiko ausgesetzt, da fünf von elf Blutversorgungseinrichtungen ihre Mittel aufgebraucht haben. Tuberkulosezentren sind in ähnlicher Weise betroffen, da eines von vier seinen Betrieb eingestellt hat. Darüber hinaus sind vier von 16 Dialysezentren nicht in Betrieb, was sich auf Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen auswirkt (WHO 27.12.2024). Die höchste Prävalenz von Menschen mit Behinderungen ist im Bezirk Nord-Aleppo zu verzeichnen, wo 63 % der Gesamtbevölkerung (ab zwei Jahren) Schwierigkeiten bei der Ausführung alltäglicher Aufgaben haben oder eine Art von Behinderung aufweisen. Darüber hinaus haben 59 % der Menschen in Nord-Aleppo Schwierigkeiten bei der Ausführung alltäglicher Aufgaben oder Behinderungen, gefolgt von 58 % in Idlib. Gemäß Studie der Assistance Coordination Unit in Nordsyrien ist in allen Regionen, die in dieser Studie erfasst wurden, die Prävalenz von Behinderungen bei Frauen höher als bei Männern. Die Rate von Behinderungen ist bei älteren Menschen wahrscheinlich höher, unabhängig vom Geschlecht. Die Ergebnisse sind besorgniserregend, da Menschen, insbesondere Menschen mit Behinderungen, seltener Zugang zu ausreichender Beschäftigung haben und eher von Familienmitgliedern abhängig sind. Ebenso geben Haushalte mit einem behinderten Mitglied nur halb so häufig an, über ein ausreichendes Einkommen zu verfügen, um ihre Bedürfnisse zu decken. Die Fähigkeit, eine humanitäre Krise zu überleben, hängt sowohl mit der Gesundheit, einschließlich der psychischen Gesundheit, als auch mit der finanziellen Sicherheit zusammen, die mit zunehmendem Alter immer unwahrscheinlicher werden. Auch die chronisch hohe Rate von Kindern mit Behinderungen ist besorgniserregend. 18 % der Menschen in Nordsyrien haben Probleme beim Gehen oder Klettern. 17 % der Menschen in Nordsyrien haben Sehprobleme, selbst wenn sie eine korrigierende Sehhilfe verwenden. 8 % der Menschen in Nordsyrien haben Hörprobleme, selbst wenn sie Hörgeräte verwenden. 11 % der Menschen in Nordsyrien haben Schwierigkeiten, einen Behälter mit zwei Litern Wasser von der Hüfte auf Augenhöhe zu heben. 12 % der Menschen in Nordsyrien haben Schwierigkeiten, sich selbst zu versorgen, einschließlich des Badens oder Anziehens. 8 % der Menschen in Nordsyrien haben Schwierigkeiten bei der Kommunikation, z. B. beim Verstehen oder Verstandenwerden in der Alltagssprache (Slang). 17 % der Menschen in Nordsyrien haben Schwierigkeiten beim Erinnerungsvermögen oder bei der Konzentration. 23 % der Menschen in Nordsyrien haben kognitive Schwierigkeiten. 15 % der Menschen in Nordsyrien haben Schwierigkeiten, ihr Verhalten zu kontrollieren. 16 % der Menschen in Nordsyrien haben Schwierigkeiten, eine neue Beziehung aufzubauen. 26 % der Menschen in Nordsyrien leiden unter ständiger Angst. 28 % der Menschen in Nordsyrien leiden unter anhaltender Traurigkeit. 13 % der Schwierigkeiten oder Behinderungen waren auf Krieg oder terroristische Aktivitäten zurückzuführen. 3 % wurden durch Misshandlung (physisch und psychisch) verursacht. 1 % wurden durch Naturkatastrophen verursacht, wobei Erdbeben am häufigsten waren (ACU 27.11.2023).
Das US-Außenministerium kündigte an, die von der US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID) finanzierten Auslandshilfen für 90 Tage auszusetzen. Die US-Hilfe sei einem Aktivisten zufolge von entscheidender Bedeutung für die Bemühungen des Zivilschutzes gewesen, Leben zu retten, und zwar durch Notfalleinsätze, Such- und Rettungseinsätze, Ambulanz- und medizinische Dienste sowie die Beseitigung von Kriegsresten. Die Ausnahmeregelungen, die auf die US-Entscheidung folgten und die lebenswichtige lebensrettende Medikamente, medizinische Leistungen, Nahrungsmittel, Unterkünfte und Hilfe zum Lebensunterhalt umfassen, sind unklar, weil nicht spezifiziert wurde, auf welche Programme sich die Ausnahmen beziehen. Daneben gibt es medizinische Leistungen für Syrer, die nicht unter die Ausnahmeregelungen fallen, weil sie nicht lebensrettend sind, sagte er. Dazu gehören Impfungen, psychologische Unterstützung, Schutz für gefährdete Gruppen, psychologische Unterstützung und Krankentransporte (Almodon 4.2.2025). Nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg in Syrien soll jetzt eine deutsch-syrische Klinikpartnerschaft helfen, Krankenhäuser und Arztpraxen wieder auf Vordermann zu bringen, durch Fortbildungen, medizinische Apparate, eine stabile Stromversorgung. Ende Januar fand sich im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags eine Mehrheit für das Projekt, das mit 15 Millionen Euro finanziert werden soll (SZ 12.2.2025).
Es zeichnet sich eine Krise im Bereich der psychischen Gesundheit ab. Diese wird durch Folteropfer, Familienangehörige von Verschwundenen, Opfer von Gewalt und Vertreibung, zurückkehrende Flüchtlinge und Drogenabhängigkeit im Zusammenhang mit der Herstellung des amphetaminartigen Stimulans Captagon verschärft. Syrien ist außerdem mit einer Epidemie nicht übertragbarer Krankheiten konfrontiert, darunter Herzerkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck, Fettleibigkeit, chronische Nierenerkrankungen, Krebs und chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (AN 6.3.2025).
Medizinische Versorgung (Stand November 2024)
Gebiete unter der Kontrolle der syrischen Regierung
Die Grundlagen der medizinischen Versorgung waren in der syrischen Verfassung festgehalten. Nach Artikel 22 schützte der Staat die Gesundheit der Bürger und stellte ihnen die Mittel zur Vorbeugung, Behandlung und Medikation zur Verfügung und sollte für jeden Bürger im Falle von Notfällen, Krankheit, Behinderung, Verwaisung oder Alter haften. Gemäß Artikel 25 soll die Entwicklung der Gesundheitsdienstleistungen in den jeweiligen Gebieten ausgewogen sein (SeG 24.2.2012).
Der Konflikt hat zur systematischen Zerstörung der sozialen Grundlagen der öffentlichen Gesundheit und zur Fragmentierung des Gesundheitssystems geführt. Einzelpersonen stehen vor vielen Hindernissen, wenn sie Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen wollen, da es an spezialisierten Diensten mangelt, Medikamente knapp sind und Infrastruktur und Ausrüstung zerstört wurden (SCPR 6.2024). Mehr als 80 % der Indikatoren, die sich auf die Gesundheit auswirken, liegen außerhalb des Gesundheitsbereichs, wie Bildung, sanitäre Einrichtungen, Wasser, Ernährung, Strom usw. Wasser spielt eine große Rolle bei Krankheiten (IntOrgSYR1 21.9.2024). Im von der Assad-Regierung kontrollierten Gebiet leitete das Gesundheitsministerium den Sektor. Seine Rolle war jedoch geschrumpft, während die Rolle der humanitären internationalen und lokalen Akteure, der Zivilgesellschaft und des Privatsektors dramatisch zugenommen hatte. Das Gesundheitssystem war durch Diskriminierung, Korruption und Ineffizienz gekennzeichnet. Darüber hinaus wurde das Gesundheitssystem Teil des Krieges, als Mittel, um den Konflikt anzuheizen, Rechte zu verletzen und Menschen zu unterdrücken. Die Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen und -personal führten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Einsatzbereitschaft, Effizienz und Fairness des Gesundheitssystems (SCPR 2023). Der Zugang zu und die Funktionsfähigkeit von grundlegenden Gesundheitsdiensten stellten nach wie vor eine große Herausforderung dar. Fast 40 % der Gesundheitseinrichtungen für die primäre und sekundäre Gesundheitsversorgung, die über 4,8 Millionen Menschen mit lebensrettenden Gesundheitsdiensten versorgen, waren entweder teilweise oder gar nicht funktionsfähig (UNOCHA 3.3.2024). Im Allgemeinen war der Zugang zu Gesundheitsleistungen wie Impfungen, Medikamenten, Besuchen beim Hausarzt oder bei Fachärzten wie Zahnärzten, Augenärzten, Gynäkologen, Urologen und Kinderärzten bei allen Befragten, die an einer Umfrage in den drei Städten Damaskus, Homs, Aleppo im Juli 2024 unter 16-35-Jährigen, die von der Staatendokumentation in Auftrag gegeben wurde, teilgenommen haben, eingeschränkt (STDOK/SL 2024). In der folgenden von der Staatendokumentation erstellten Grafik werden die Ergebnisse dieser Studie, sowie der Studie vom Vorjahr dargestellt:

Quelle: STDOK/SL 2024
In den Krankenhäusern ist ein Großteil der medizinischen Geräte alt oder kaputt und es gibt keine Ersatzteile, um sie zu reparieren, z. B. Computertomografen. Zwar gibt es bei den Sanktionen Ausnahmen für Medikamente, aber das reicht nicht aus (GovLat/DirLatPort 15.9.2024). Es herrscht ein großer Mangel an Medikamenten, medizinischem Verbrauchsmaterial bzw. Nachschubmaterial, CT-Scans, Apparaten und MRTs. Medikamente fehlen vor allem in den öffentlichen Spitälern, die insgesamt nicht gut ausgestattet sind. Auch in Universitätskliniken mangelt es an Medikamenten. Probleme dabei sind künstliche Verknappung und Overcompliance bei den Sanktionen (Arzt in Damaskus 23.9.2024). Vor dem Krieg wurden 80 % der benötigten Medikamente im Land hergestellt. Man musste zwar privat dafür bezahlen, aber die Medikamente waren erschwinglich. Während des Kriegs haben sich Menge, Qualität und die Anzahl der hergestellten Medikamente verschlechtert. Man war auf NGOs (UNICEF, WHO, UNDPFA usw.) angewiesen. Die Pharmaunternehmen konnten das Material nicht importieren, wiederum aufgrund von Liquiditätsproblemen und den Sanktionen. Gesundheit und humanitäre Hilfe waren nicht sanktioniert, aber niemand wollte mit Syrien Geschäfte machen – das war die abschreckende Wirkung der Sanktionen (IntOrgSYR1 21.9.2024). Der UN Resident Coordinator and Humanitarian Coordinator gab an, dass vor der Krise sogar 97 % der benötigten Medikamente in Syrien hergestellt wurden und Syrien Medikamente in 50 andere Länder exportierte. Bei den 3 %, die Syrien nicht selbst herstellte, handelte es sich um hoch entwickelte Medikamente, beispielsweise gegen Krebs. Der pharmazeutische Sektor war eine der vom Konflikt am stärksten betroffenen Branchen. Die Wiederherstellung der Fabriken erforderte den Import von Ersatzteilen, die aufgrund der übermäßigen Einhaltung des Sanktionssystems durch die Lieferanten nicht einfach zu beschaffen waren. Der Mangel an Elektrizität war ein weiteres Problem. Einige der für die Herstellung von Medikamenten benötigten Materialien konnten nicht einfach importiert werden. Die meisten Medikamente waren von geringer Qualität oder unerschwinglich, wenn sie aus dem Libanon geschmuggelt wurden (UNRCHCSYR 22.9.2024). Im Juli 2024 wurden im Zuge einer von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen Studie in den drei Städten Damaskus, Homs, Aleppo 16-35-Jährigen mittels computergestützten Telefoninterviews befragt. Dabei gaben 43 % der Umfrageteilnehmer an, immer Zugang zu Medikamenten und Arzneimitteln zu haben und sich diese auch leisten zu können, während 43 % zwar Zugang haben, sich diese aber nicht leisten können. 14 % haben überhaupt keinen Zugang zu Medikamenten oder Arzneimitteln. Verglichen mit dem Vorjahr hat sich der Zugang zu Medikamenten verschlechtert (STDOK/SL 2024). In der einer von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen Studie von 2023, in der ebenfalls 16.35-Jährige in den drei Städten Damaskus, Homs und Aleppo befragt wurden, hatten 60 % der Teilnehmer immer Zugang zu Medikamenten und Arzneimitteln und konnten sich diese leisten, während 31 % zwar Zugang hatten, sich diese aber nicht leisten konnten. 9 % hatten keinen Zugang zu Medikamenten oder Arzneimitteln (STDOK/SL 14.2.2024). Ein weiterer Aspekt war die Integration einiger Dienste in die primäre Gesundheitsversorgung (wie Ernährung, psychologische Unterstützung usw.). Die Menschen erhielten Behandlungsempfehlungen, aber die Medikamente waren nicht vorhanden, das Ministerium konnte sie nicht bereitstellen. Die Assad-Regierung versuchte, ihre Empfehlungen auf Dinge zu beschränken, die sich die Menschen tatsächlich leisten konnten (IntOrgSYR1 21.9.2024). Laut Gouverneur von Latakia fehlte es an Rettungswagen. Während des Erbebens gab es nur 20 Rettungswagen. Die Menschen mussten in Pick-ups transportiert werden (GovLat/DirLatPort 15.9.2024).
Die Impfrate ist gesunken. Früher hat die Assad-Regierung Impfstoffe selbst eingekauft, aber jetzt kann sie sich das aufgrund des Geldflusses und der Sanktionen nicht mehr leisten. Sie sind auf internationale Akteure angewiesen (IntOrgSYR1 21.9.2024). 64 % der Befragten, die im Zuge einer von der Staatendokumentation in Auftrag gegebenen Studie im Juli 2024 in den drei Städten Damaskus, Homs und Aleppo mittels computergestütztem Telefoninterview (CATI) befragt wurden, hatten immer Zugang zu Impfungen und konnten sich diese auch leisten, während 26 % zwar Zugang hatten, sich diese aber nicht leisten konnten. 9 % hatten keinen Zugang zu Impfungen. 1 % hatten nicht geantwortet. Gegenüber dem Vorjahr hatte sich die Situation für die Befragten verbessert (STDOK/SL 2024). Was die medizinische Grundversorgung durch einen Hausarzt betrifft, hatten 44 % der Befragten im Jahr 2024 immer Zugang und konnten sich einen Besuch leisten, während 29 % zwar Zugang hatten, sich aber keinen Hausarztbesuch (medizinische Grundversorgung) leisten konnten. 27 % hatten keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. 28 % der Teilnehmer hatten immer Zugang zu einem Facharzt (Zahnarzt, Augenarzt, Gynäkologe, Urologe und Kinderarzt) und konnten sich dies leisten, während 62 % Zugang zu einem Facharzt hatten, sich den Besuch aber nicht leisten konnten. 10 % hatten überhaupt keinen Zugang zu einem Facharzt. Nur 4 % der Teilnehmer hatten immer Zugang zu fortschrittlichen Behandlungen wie Operationen oder Krebsbehandlungen und konnten sich diese auch leisten. 58 % hatten Zugang zu fortschrittlichen Behandlungen, konnten sich diese aber nicht leisten, während 32 % überhaupt keinen Zugang hatten. Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass 6 % der Befragten keine Antwort auf diese Frage gegeben hatten. 20 % der Teilnehmer hatten immer Zugang zu medizinischer Diagnostik (Radiologen, Labore) und konnten sich diese auch leisten, während 70 % zwar Zugang hatten, sich diese aber nicht leisten konnten. 10 % hatten überhaupt keinen Zugang zu medizinischer Diagnostik (STDOK/SL 2024). Der Zugang zu Dienstleistungen für nicht übertragbare Krankheiten und der begrenzte Zugang zu spezialisierten Dienstleistungen wie Krebs, Nierendialyse und Behandlung von Verbrennungen wurden ebenfalls als wesentliche Lücken identifiziert (WHO 27.5.2024). Das Verhältnis von öffentlichen Ärzten pro 10.000 Einwohner erreichte in Damaskus, Latakia und Tartus 24, 22 bzw. 20, verglichen mit nur 6, 5 und 2 in Aleppo, im ländlichen Damaskus und in Dara'a (SCPR 2023). Schätzungen zufolge benötigen im Jahr 2024 über 14,9 Millionen Menschen in Syrien lebensrettende medizinische Grund- und Sekundärversorgung, was einem leichten Rückgang von etwa 400.000 Menschen gegenüber dem Vorjahr entspricht (UNOCHA 3.3.2024). Es gibt Kliniken in den kleineren Städten am Land, aber dort fehlt es an Personal (Arzt in Damaskus 23.9.2024).
Es gibt einen Mangel an medizinischem Personal. 40 % haben das Land verlassen, sie sind die Crème de la Crème. Deutschland ist das beliebteste Zielland. Viele gehen nach Deutschland. Viele bereiten sich jetzt auf den Umzug vor. Ärzte und Krankenschwestern lernen Deutsch, weil sie das Land verlassen wollen. Es handelt sich sowohl um legale als auch um illegale Migration. Die aktuelle Situation ist die perfekte Formel für eine Zunahme von Gewalt und Migration. In den letzten zwölf Monaten ist die Zahl der Asylbewerber und der Anträge auf Migration gestiegen. Eine ganze Generation geht verloren. Es wird Zeit brauchen, das wieder gutzumachen. Der Zusammenhalt der Gesellschaft wird nicht sofort wiederhergestellt sein. Das Gesundheitssystem ist ziemlich anfällig. Unterstützung ist nötig, um es zu stabilisieren und zu modernisieren (IntOrgSYR1 21.9.2024). Problematisch sind die zu niedrigen Gehälter. Das höchste Gehalt im Gesundheitswesen ist das von einem Universitätsprofessor, der 100 USD pro Monat verdient. Nach dem ersten Jahr Praktikum bekommt man als Assistenzarzt 15 US-Dollar im Monat. Eine Krankenschwester mit 20 Jahren Erfahrung verdient 20 US-Dollar im Monat. Die meisten Ärzte haben eine eigene Privatpraxis, wo sie sich ihr Gehalt aufbessern. Manche arbeiten vormittags in öffentlichen Krankenhäusern und nachmittags in einem privaten. Viele Ärzte haben den öffentlichen Bereich verlassen und arbeiten im privaten Bereich oder sie haben das Land verlassen. Ab dem fünften Jahr des Medizinstudiums lernen die Studenten spätestens auch Deutsch (Arzt in Damaskus 23.9.2024).
Die primäre Gesundheitsversorgung ist kostenlos, aber in Wirklichkeit ist sie nicht kostenlos. Sie müssen immer noch für Medikamente und in vielen Fällen für Verbrauchsmaterialien bezahlen (IntOrgSYR1 21.9.2024). Es gibt keine öffentliche Krankenversicherung. Es gibt eine private Krankenversicherung, die kann sich aber nur 1 % der Bevölkerung leisten. Der Großteil der Menschen geht in öffentliche Spitäler. In privaten Krankenhäusern kann man alle Eingriffe machen, aber man muss dafür bezahlen. Bei niedergelassenen Ärzten muss man auch zahlen. Es gibt Apparate für Dialyse in öffentlichen Krankenhäusern, aber einzelne Dialysemittel muss man außerhalb kaufen, was sehr teuer ist. Eine einzelne Dialysebehandlung kostet mindestens 100 US-Dollar. NGOs und karitative Einrichtungen übernehmen 50-70 % der Kosten, aber nicht 100 % (Arzt in Damaskus 23.9.2024). Medienberichten im Juni 2024 zufolge hat das syrische Gesundheitsministerium die Gebühren für Konsultationen von Ärzten unabhängig der Fachrichtung, um fast 600 % erhöht (Enab 27.6.2024b; vgl. al-Watan 27.6.2024). […]
16.1 Medizinische Versorgung in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 21:01
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
In den von der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) kontrollierten Gebieten hat die politische Behörde eine Gesundheitskommission eingerichtet, die die Gesundheitseinrichtungen überwacht und die Gehälter der Beschäftigten im Gesundheitswesen zahlt. Grenzüberschreitende Partner unterstützten die Einsätze in der Region. Die Regierung der Republik Syrien war jedoch weiterhin in der Region tätig, weil die DAANES aufgrund der beschädigten Infrastruktur, der schwachen Verwaltung sowie des Mangels an Personal, medizinischer Ausrüstung und Finanzmitteln nicht in der Lage war, den Bedarf an Gesundheitsdiensten und Medikamenten zu decken (SCPR 2023).
Es besteht ein hoher Bedarf an gesundheitlicher Unterstützung, insbesondere im Nordosten, wo die Möglichkeiten der öffentlichen Gesundheitsversorgung begrenzt sind. 14 % der Haushalte gaben den medizinischen Bedarf als ihr größtes ungedecktes Bedürfnis an. In 22 % der Haushalte leidet mindestens ein Haushaltsmitglied an einer chronischen Krankheit (15 % in der DAANES und 28 % in Nordwestsyrien), wobei nur 34 % angeben, dass sie die erforderlichen Medikamente regelmäßig finden können (IRC 14.3.2024). Im September 2024 warnte ein Apotheker in Qamishli, dass es in der Stadt seit über vier Monaten einen gravierenden Mangel an Medikamenten für chronische Krankheiten gibt. Mittlerweile sind sogar Ersatzmedikamente nicht mehr erhältlich. Zu den fehlenden Medikamenten gehören wichtige Behandlungen für Diabetes, Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Augentropfen, wobei die meisten Medikamente für chronische Krankheiten weitgehend nicht verfügbar sind. Der Import ausländischer Medikamente ist nicht möglich, da sie oft über illegale Kanäle eintreffen und nicht den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen (NPA 29.9.2024).
Durch die Stromausfälle, die durch die türkischen Luftangriffe in dieser Region verursacht werden, ist die Qualität der Versorgung in Gesundheitseinrichtungen in betroffenen Gebieten beeinträchtigt, auch wenn die türkischen Luftangriffe nicht direkt medizinische Einrichtungen treffen. Stromausfälle führen zur Unterbrechung der Kühlkette für Impfungen und Medikamente und haben Auswirkungen auf die Funktionalität von medizinischem Gerät, wie Röntgengeräten, MRTs etc. (NES 20.11.2024).
In Nordsyrien haben 52 % der Personen ab zwei Jahren Schwierigkeiten bei der Ausführung alltäglicher Aufgaben oder sind behindert. Behinderungen können den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Wasser, Bildung oder Marktplätzen erschweren, während Haushalte mit behinderten Mitgliedern aufgrund des erschwerten Zugangs zu wirtschaftlichen Ressourcen oder erhöhter Gesundheitsausgaben mit größerer Wahrscheinlichkeit von wirtschaftlicher Benachteiligung betroffen sind. In ganz Nordsyrien tragen Behinderungen sowohl zur bestehenden Verwundbarkeit von Millionen von Menschen und ihren Haushalten bei als auch verstärken diese (ACU 27.11.2023).
Quellen: […]
17 Rückkehr - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-08 21:23
[Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Mit dem Sturz al-Assads kehrten Tausende Syrer aus dem Libanon und der Türkei nach Syrien zurück. Für viele war das Assad-Regime das Haupthindernis für die Rückkehr in ihre Heimat. Die Aufnahmeländer haben diese Begeisterung genutzt, um weitere Rückkehrer zu ermutigen (CSIS 11.12.2024). Zehn Tage nach dem Sturz des syrischen Regimes am 8.12.2024 erklärte die Europäische Union (EU), sie schätze, dass zwischen Januar und Juni 2025 etwa eine Million syrische Flüchtlinge in ihr Land zurückkehren würden. Das wurde durch die Direktorin des Büros des UNHCR für den Nahen Osten und Nordafrika bestätigt. Ahmad ash-Shara', der Befehlshaber der Militäroperationen in Syrien, der später zum Übergangspräsidenten des Landes wurde, betonte bei einem Treffen mit dem UN-Sondergesandten Geir Pedersen, dass eine seiner ersten Prioritäten darin bestehe, zerstörte Häuser wieder aufzubauen und die Vertriebenen in das letzte Zelt zurückzubringen, während er gleichzeitig sehr wichtige wirtschaftliche Entscheidungen treffe (Almodon 13.2.2025).
Bis August 2024 waren schätzungsweise 34.000 Flüchtlinge zurückgekehrt, aber nach der Invasion Israels im Libanon im Oktober 2024 flohen weitere 350.000 aus dem Libanon zurück nach Syrien, um dem Konflikt zu entkommen. Mit weiteren 125.000 Rückkehrern seit dem Sturz al-Assads Anfang Dezember erreichte die Gesamtzahl der Rückkehrer im Jahr 2024 fast eine halbe Million (FA 11.2.2025). Laut UNOCHA wurden bis 15.12.2024 225.000 Rückkehrer in ganz Syrien registriert. Die Mehrheit ist in die Gouvernements Hama und Aleppo zurückgekehrt. Das bedeutet, dass die Zahl der Menschen, die neu vertrieben wurden, von 1,1 Millionen, wie am 12.12.2024 gemeldet, auf 882.000 Menschen am 15.12.2024 gesunken ist. Von dieser Zahl wurden mindestens 150.000 Menschen mehr als einmal vertrieben. Viele Familien sind in frühere Lager in ihren Herkunftsgebieten zurückgekehrt, weil es in ihren Heimatstädten an grundlegenden Versorgungsleistungen mangelt oder die Infrastruktur beschädigt ist. Einige Familien gaben auch an, dass sie auf die Räumung von Kampfmittelrückständen in ihren Herkunftsgebieten warten, bevor sie zurückkehren (UNOCHA 16.12.2024). UNHCR schätzt, dass von 8.12.2024 bis 2.1.2025 über 115.000 Syrer nach Syrien zurückgekehrt sind, basierend auf öffentlichen Erklärungen von Aufnahmeländern, Kontakten mit Einwanderungsbehörden in Syrien und dem UNHCR sowie der Grenzüberwachung durch Partner (UNHCR 2.1.2025). Insgesamt sind nach Angaben des UNHCR 800.000 vertriebene Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt, darunter 600.000 Binnenvertriebene (Internal Displaced Persons - IDPs) (Stand 31.1.2025) (AlHurra 31.1.2025). Die Zahl der Personen, die in das Gouvernement Aleppo zurückkehren, ist am höchsten, wobei die Rückkehrer die verbesserte Sicherheitslage und die Abschaffung des Wehrdienstes als Hauptgründe für ihre Rückkehr nennen (UNHCR 2.1.2025). Grundsätzlich verzeichnen die UN einen Anstieg an rückkehrwilligen Syrern, die im Nahen Osten leben. Fast 30 % geben an, in ihre Heimat zurückzuwollen. Als großes Hindernis für die Rückkehr sieht UNHCR-Chef Grandi die Sanktionen (Zeit Online 26.1.2025). Die syrischen Behörden gaben an, dass innerhalb von zwei Monaten nach der Befreiung Syriens 100.905 Bürger über die Grenzübergänge der Türkei zurückgekehrt sind. Der Grenzübergang Jdaydat Yabous/ Masna' zum Libanon fertigte in zwei Monaten 627.287 Reisende ab, darunter 339.018 syrische Staatsbürger und arabische und ausländische Gäste, und 288.269 Ausreisende. Im gleichen Zeitraum wurden am Grenzübergang Nassib/ al-Jaber zu Jordanien 174.241 Passagiere syrischer Staatsbürger und arabischer und ausländischer Gäste abgefertigt, davon 109.837 bei der Einreise und 64.404 bei der Ausreise. Am Grenzübergang al-Bu Kamal/ al-Qa'im wurden 5.460 syrische Staatsbürger abgefertigt, die im Irak leben und zurückkehren, um sich dauerhaft in Syrien niederzulassen (Nashra 11.2.2025). Bei den Angaben zu Rückkehrern sind die zuständigen Behörden und Forschungszentren nicht in der Lage festzustellen, ob diese Menschen lediglich zurückgekehrt sind, um ihre Familien zu besuchen und zu treffen, oder ob sie freiwillig und dauerhaft zurückgekehrt sind (Almodon 13.2.2025).
Die Karte von UNHCR zeigt die Aufteilung der seit Anfang 2025 zurückgekehrten Syrer nach Gouvernements:

Quelle: UNHCR 20.2.2025
CNN zufolge gab es nicht nur einen Strom von Rückkehrern, sondern auch zahlreiche Familien, die - meist aufgrund ihrer Konfession - aus Angst vor der neuen Regierung das Land verlassen wollten (CNN 12.12.2024).
Im Jänner 2025 führte UNHCR eine Befragung zu Wahrnehmungen und Absichten von Flüchtlingen in Jordanien, Libanon, Irak und Ägypten durch. Ein zunehmender Anteil erklärte die klare Absicht, zurückzukehren. Insgesamt hoffen 80 % der Flüchtlinge, eines Tages nach Syrien zurückkehren zu können. Dies stellt eine deutliche Veränderung der Rückkehrabsichten der Flüchtlinge im Vergleich zur letzten Umfrage im April 2024 dar, bei der nur 57 % der Flüchtlinge die Hoffnung äußerten, eines Tages zurückkehren zu können. Viele Flüchtlinge weisen auf erhebliche Hindernisse für eine Rückkehr hin, darunter Schulden in den Aufnahmeländern und Schäden an ihren Häusern in Syrien (UNHCR 23.1.2025). In der erwähnten Umfrage gab ein Viertel der Befragten an, in den nächsten zwölf Monaten zurückkehren zu wollen. Mehr als die Hälfte der Befragten, die nicht innerhalb der nächsten zwölf Monate zurückkehren möchte, hat vor, innerhalb der nächsten fünf Jahre zurückzukehren. Fast alle möchten in ihre Herkunftsregion zurückkehren. Über 60 % der Befragten erachten einen "go and see"-Besuch für essenziell, bevor sie eine endgültige Rückkehrentscheidung treffen. 52 % gaben an, dass al-Assads Sturz ihre Rückkehrentscheidung beeinflusst hat. Aus dem Feedback, das UNHCR durch direkte Kommunikation mit Flüchtlingen erhalten hat, geht hervor, dass die Hauptanliegen derjenigen, die an einer Rückkehr interessiert sind, die Bereitstellung von Transportmitteln und Bargeldzuschüssen zur Deckung der Grundbedürfnisse sowie Unterstützung innerhalb Syriens beim Wiederaufbau ihrer Häuser und ihres Lebens sind. Während immer mehr Syrer ihre Absicht bekundeten, in den nächsten zwölf Monaten zurückzukehren, zeigt die Umfrage auch, dass 55 % der Flüchtlinge noch nicht beabsichtigen, zurückzukehren. Von den 61 % der Flüchtlinge, die ein Haus/Eigentum in Syrien besitzen, geben 81 % an, dass es entweder vollständig zerstört oder teilweise beschädigt und unbewohnbar ist, was nach wie vor ein großes Hindernis für ihre Rückkehr darstellt (UNHCR 6.2.2025). Einer Umfrage zufolge, bei der 1.100 in der Türkei ansässige Syrer zwischen 9. und 11.12.2024 befragt wurden, wollten 70 % nach Syrien zurückkehren, im Vergleich zu 45 % vor dem Sturz al-Assads. Die Studie ergab, dass 45,5 % der Syrer bereit sind, in ihre Heimat zurückzukehren, wenn sich die Lage in Syrien verbessert, während 26,7 % "so schnell wie möglich" zurückkehren möchten (DS 27.12.2024). Das Journal "Just Security" führte zwischen Februar und April 2024 eine Umfrage unter 87 zurückgekehrten Syrern in verschiedenen Regionen Syriens durch. In den von der Türkei kontrollierten Gebieten ist das Misstrauen unter den arabischen Rückkehrern besonders ausgeprägt. 60 % von ihnen haben überhaupt kein Vertrauen in die örtlichen Behörden. Auch unter den turkmenischen Rückkehrern herrscht große Skepsis. 55 % von ihnen haben wenig oder gar kein Vertrauen in diese Behörden (35 % haben wenig Vertrauen und 20 % gar kein Vertrauen). 50,6 % der befragten Rückkehrer aus allen Regionen Syriens berichteten von Erfahrungen mit Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Gewalt. Während in den von Kurden kontrollierten Gebieten der höchste Anteil der Befragten angab, sich in der Lage zu fühlen, ihre Rechte uneingeschränkt auszuüben, berichteten arabische Rückkehrer in den von der Türkei kontrollierten Gebieten am wenigsten, sich in der Lage zu fühlen, ihre Rechte auszuüben (JS 29.1.2025). Das Norwegian Refugee Council führte eine Befragung von 4.206 Vertriebenen im Nordwesten Syriens zu ihren Zukunftsplänen durch und sprach mit Hunderten von Familien, die Jahre nach ihrer Flucht zurückgekehrt sind. In Vertriebenenlagern im Nordwesten gaben nur 8 % der Befragten an, dass sie innerhalb der nächsten drei Monate in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren wollen (NRC 13.2.2025).
Das Land, in das die Menschen zurückkehren, unterscheidet sich grundlegend von jenem, das sie verlassen haben. Die Zerstörung von Häusern und wichtiger Infrastruktur, vermisste Angehörige, weitverbreitete Armut, das Risiko wieder aufflammender Gewalt und die Unsicherheit über die unerfahrenen neuen Staats- und Regierungschefs des Landes – zusätzlich zu der anhaltenden humanitären Krise des letzten Jahrzehnts – sind zu nennen (FA 11.2.2025). Die anhaltende Unsicherheit – einschließlich bewaffneter Zusammenstöße, zunehmender krimineller Aktivitäten und nicht-explodierter Kampfmittel – stellt die Zivilbevölkerung weiterhin vor Herausforderungen und wird wahrscheinlich die potenzielle Entscheidung der außerhalb des Landes lebenden Syrer, nach Hause zurückzukehren, beeinflussen (UNHCR 2.1.2025). Neben den Sicherheitsbedenken beeinflussen auch die Zerstörung von Eigentum und eine unzureichende Infrastruktur die Rückkehrentscheidungen von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen (UNOCHA 30.1.2025). Viele wollen auch wegen des Mangels an Arbeitsplätzen und grundlegenden Dienstleistungen nicht zurückkehren. Viele Flüchtlinge haben auch kein Zuhause, in das sie zurückkehren können. Einige Häuser wurden während des Krieges zerstört, in anderen leben neue Bewohner und viele Flüchtlinge haben keine Dokumente, die ihre Besitzansprüche belegen (CSIS 11.12.2024). Viele Flüchtlinge und Vertriebene sind nach dem Sturz des Regimes bei der Rückkehr in ihre Gebiete, Städte und Dörfer schockiert, wenn sie feststellen, dass andere in ihren Häusern wohnen. In einigen Fällen besitzen diese derzeitigen Bewohner Dokumente, die belegen, dass sie die Immobilien gekauft haben, aber Untersuchungen zeigen, dass es sich oft um Fälschungen handelt, einschließlich gefälschter Eigentumsnachweise und Gerichtsurteile, die äußerst schwer aufzuspüren sind (HLP Syria 20.1.2025). [Weitere Informationen zu Problemen im Zusammenhang mit Besitz- bzw. Wohnverhältnissen finden sich auch in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen (Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024)) und Grundversorgung und Wirtschaft / Wohnsituation und Infrastruktur]. Die Rückkehr im Winter ist besonders schwierig, da die Flüchtlinge nicht wissen, ob ihre Häuser Schutz vor der Kälte bieten oder nicht. Es ist unklar, an wen sich Flüchtlinge wenden können, wenn sie nach ihrer Rückkehr Probleme mit Wohnraum oder Eigentumsrechten haben, und ob die Übergangsregierung in der Lage sein wird, grundlegende Dienstleistungen bereitzustellen (CSIS 11.12.2024). Partnerorganisationen von UNOCHA betonen auch, dass der Zugang zu zivilen Dokumenten und Rechtsdienstleistungen, einschließlich solcher im Zusammenhang mit Fragen zu Wohnraum, Land und Eigentum, entscheidende Hindernisse für die Rückkehr darstellt. Gegenwärtig sind nicht alle Standesämter und Gerichte im ganzen Land funktionsfähig oder teilweise funktionsfähig, was den Zugang erschwert (UNOCHA 30.1.2025). Es ist unrealistisch zu erwarten, dass die bestehenden Probleme allein durch die Absetzung al-Assads gelöst werden. Es gibt kaum Anhaltspunkte dafür, dass Syrien einen einzigartigen oder anderen Weg einschlagen wird als andere vergleichbare Fälle (JS 29.1.2025). Einem Wirtschaftswissenschaftler zufolge ist das größte Hindernis für die Rückkehrer das Fehlen staatlicher Institutionen, die in der Lage sind, grundlegende Dienstleistungen wie Strom und Wasser bereitzustellen, was das tägliche Leben kostspielig und schwierig macht. Das Fehlen von organisierten Märkten, die grundlegende Waren anbieten, und das Fehlen einer Angebotskontrolle haben zu einem wirtschaftlichen Chaos geführt, wodurch sich die Rückkehrer in einem finanziell instabilen Umfeld wiederfinden. Der dramatische Anstieg der Preise, sowohl bei den Mieten als auch bei den Grundversorgungsleistungen, stellt eine zusätzliche Belastung für die Rückkehrer dar, da sie bei begrenztem Einkommen hohe Lebenshaltungskosten zu tragen haben. Zusätzlich zu den wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen erleben viele Rückkehrer aufgrund der großen Kluft zwischen ihren Hoffnungen und der Realität, die sie vorgefunden haben, eine psychische Krise (AlHurra 11.2.2025). Die meisten Flüchtlinge, die sich in die neuen Gesellschaften im Ausland integriert und Arbeitsmöglichkeiten und ein angemessenes Einkommen gefunden haben, wollen nicht zurückkehren, andere fürchten sich vor der Sicherheitslage, dabei zögern die Minderheiten am meisten, zurückzukehren (Almodon 13.2.2025). Eine schlecht organisierte Massenrückkehr werde die bereits begrenzten Ressourcen des Landes belasten und die syrischen Übergangsbehörden, die UN-Organisationen und die syrische Zivilgesellschaft unter enormen Druck setzen, schreibt das Magazin Foreign Affairs (FA 11.2.2025). Es gibt derzeit vor Ort moderate UN-Hilfen, etwa zum Wiederaufbau der Häuser (ÖB Amman 6.2.2025).
Viele vertriebene Familien, die sich auf die Rückkehr vorbereiten, äußerten auch Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit der Kontaminierung durch explosive Kampfmittel. Seit November 2024 wurden in Idlib, Aleppo, Hama, Deir ez-Zour und Latakia insgesamt 136 Landminenfelder und Minenpräsenzpunkte neu identifiziert. Allein in den ersten drei Januarwochen wurden bei 87 Vorfällen mit explosiven Kampfmitteln im ganzen Land nach Angaben von Partnerorganisationen von UNOCHA mindestens 51 Menschen getötet und 75 weitere verletzt (UNOCHA 30.1.2025).
Die neue Regierung hat die Zollgebühren vereinheitlicht. Diese Entscheidung dient nicht den Interessen der Syrer, sondern belastet ihren Lebensunterhalt. Diese Maßnahme soll zum einen so schnell wie möglich den Weg für die Rückkehr Hunderter syrisches Fabriken und Unternehmen in den Nachbarländern zu ebnen, damit diese wieder auf syrischem Territorium arbeiten können. Zum anderen möchte man syrische Auswanderer und ausländische Investoren einladen, Fabriken und Unternehmen in Syrien zu gründen, mit dem Ziel, das Rad der Wirtschaft in Bewegung zu setzen, Tausende von Arbeitsplätzen für Syrer zu schaffen und so eine integrierte Volkswirtschaft aufzubauen. Dadurch werden syrische Produkte nun mit Zollgebühren nach Syrien eingeführt, um es für und syrische Händler und Unternehmen im Ausland attraktiver zu machen, wieder nach Syrien kommen. Die neue Regierung hat viele Vorteile angeboten, um Investitionen nach Syrien zu locken (AJ 10.2.2025b).
Rückkehrer nach Aufnahmeland
[Informationen zu Grenzübergängen bzw. weitere Informationen zu Ein-und Ausreise und zu Rückkehrern finden sich im Kapitel Bewegungsfreiheit - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]
Libanon
Der Libanon beherbergt über 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge (HRW 16.1.2025). Seit dem 8.12.2024 bis 16.12.2024 sind weniger als 10.000 Syrer aus dem Libanon zurückgekehrt. Einige dieser Bewegungen zurück nach Syrien scheinen „temporär“ zu sein, hauptsächlich um nach dem Eigentum und den Familienmitgliedern zu sehen (UNOCHA 16.12.2024). Einem Bericht von CNN zufolge war die Einreise nicht immer reibungslos. Teilweise kam es zu Problemen mit Dokumenten bzw. wegen illegaler Ausreisen und Kindern, die außerhalb Syriens geboren wurden (CNN 12.12.2024). Die Zahl der Syrier, die den Libanon über offizielle Grenzübergänge verlassen, ist laut der UN niedrig, aber konstant (UN News 2.1.2025) und liegt im Durchschnitt bei 1.000- 1.500 Flüchtlingen pro Tag (UNHCR 23.1.2025). Syrische Flüchtlinge, die versuchen, vom Libanon aus nach Europa zu gelangen, wurden von den libanesischen und zyprischen Behörden abgefangen und zurückgeschickt, wobei viele von der libanesischen Armee gewaltsam nach Syrien zurückgebracht wurden (HRW 16.1.2025). Am 19.2.2025 berichtete "The New Arab", dass die libanesischen Behörden eine neue Richtlinie erlassen haben, die es Syrern, die aus Europa abgeschoben werden, erlaubt, auf dem Rückweg nach Syrien den Flughafen Beirut zu passieren. Das Rundschreiben, das am 17.2.2025 vom Leiter der Flughafensicherheit unterzeichnet wurde, wies die Fluggesellschaften an, den Transport von Syrern zu erleichtern, die auf irregulären Wegen nach Europa eingereist waren und vor der Weiterreise nach Syrien durch den Libanon reisen wollten (TNA 19.2.2025).
Türkei
Die Türkei beherbergt fast 3,3 Millionen syrische Flüchtlinge (HRW 16.1.2025). Vor dem Hintergrund der flüchtlingsfeindlichen Stimmung schob die Türkei im Jahr 2024 Tausende ab oder übte anderweitig Druck auf sie aus, das Land in Richtung Nordsyrien zu verlassen, darunter auch nach Tall Abyad, einem abgelegenen, von der Türkei besetzten Bezirk, in dem Gesetzlosigkeit herrscht und die humanitäre Lage katastrophal ist (HRW 16.1.2025). Aus der Türkei sind laut türkischem Innenminister zwischen 9. und 13.12.2024 7.621 Syrer unter temporärem Schutz nach Syrien zurückgekehrt (VB Istanbul 18.12.2024). Obwohl sich die Zahl der Rückkehrer unmittelbar nach dem Sturz al-Assads verdoppelt hatte (VB Istanbul 11.12.2024), gab es insgesamt nur einen geringen Anstieg der Anzahl an tatsächlichen Rückkehrern. Geändert hat sich vor allem das Profil der Rückkehrer, nämlich alleinreisende Männer. Die meisten stammen aus der Region rund um Idlib und Aleppo. Meist wird ein Mitglied von Familienverbänden vorausgeschickt, um die Lage vor Ort (Sicherheit, Lebensbedingungen etc.) zu beurteilen, bevor der Rest der Familie nachziehen würde (VB Istanbul 13.12.2024). Zwischen 8.12.2024 und 9.1.2025 sind 52.622 Syrer aus der Türkei nach Syrien zurückgekehrt. Die Mehrheit davon, 41.000 Personen, reisten als Familien zurück. Die Restlichen waren Einzelreisende (T24 9.1.2025; vgl. CNN Türk 9.1.2025). UNHCR wiederum verzeichnet v. a. Einzelpersonen, die allein zurückkehren, oft, weil keine unterhaltsberechtigten Familienmitglieder in der Türkei leben oder weil sie die Bedingungen in Syrien prüfen wollen, bevor sie sich mit ihren Familien wiedervereinigen. Zu den Hauptgründen für die Rückkehr gehören verbesserte Sicherheit, politische Veränderungen und Familienzusammenführung, wobei einige auch Heimweh oder wirtschaftliche Erwägungen anführen. Die meisten Rückkehrer möchten in ihre Herkunftsprovinzen zurückkehren, wobei Aleppo, Idlib, Damaskus und Hama die häufigsten Ziele sind (UNHCR 23.1.2025). Die Rückkehr von 40.000 Syrern aus der Türkei in kurzer Zeit habe eine grenzüberschreitende und interne Krise ausgelöst, die sich auf die Ressourcen auswirkt, die für die bestehende Bevölkerung ohnehin nicht ausreichten, so ein Experte für Flüchtlingsfragen gegenüber der arabischsprachigen Zeitung Almodon (Almodon 13.2.2025). Mittlerweile berichtet der Flüchtlingsverband in der Türkei von einigen Fällen, in denen die Rückkehrer ihre Entscheidungen bereuten. Es werden v. a. Beschwerden, wie der Mangel an Bildungs- und Gesundheitsdiensten angeführt. Der türkische Innenminister Yerlikaya verkündete, dass zwischen al-Assads Sturz am 8.12.2024 und Ende Jänner 2025 insgesamt 81.576 Syrer nach Syrien aus der Türkei zurückgekehrt sind (REU 5.2.2025a). Die türkische Direktion für Migrationsmanagement kündigte an, Büros in Syrien einrichten, um die Ein- und Ausreise von Syrern in die Türkei mit den neuen syrischen Beamten zu koordinieren und sicherzustellen, dass die Flüchtlinge keine Probleme mit der Identifizierung haben (DS 27.12.2024). Die zerstörte Infrastruktur, die erdrückenden wirtschaftlichen Bedingungen und die Unsicherheit brachten enorme Herausforderungen mit sich, die es für einen großen Teil der Rückkehrer fast unmöglich machten, sich zurechtzufinden. Während einige das Recht verloren haben, in die Türkei zurückzukehren, haben andere, insbesondere diejenigen mit türkischem Wohnsitz und türkischer Staatsbürgerschaft, begonnen, ihre Entscheidung zu überdenken und ernsthaft in Betracht zu ziehen, in das „Land der Zuflucht“ zurückzukehren (AlHurra 11.2.2025). Vom 1.1. bis zum 1.7.2025 werden den syrischen Flüchtlingen in der Türkei, genauer den Haushaltsvorständen, vorübergehende Besuche (Go-and-See-Visits) in Syrien erlaubt. Dementsprechend kann dasselbe Familienmitglied innerhalb von sechs Monaten maximal dreimal nach Syrien reisen, und die Abreise wird über zwei Grenzübergänge organisiert. Syrer, die die Möglichkeit eines vorübergehenden Besuchs nutzen, behalten ihren vorübergehenden Schutzstatus (UNHCR 27.12.2024).
Jordanien
In Jordanien sollen sich allein in Irbid 400.000 syrische Flüchtlinge aufhalten, die seit 2011 geflohen waren (VB Amman 9.12.2024). UNHCR registrierte zwischen 8. und 13.12. insgesamt 340 Ausreisen von Syrern aus Jordanien nach Syrien. In den Medien wurden hohe Zahlen an Rückkehrern aus Jordanien beschrieben, die aber nicht bestätigt werden konnten (VB Amman 17.12.2024). Zwischen 8.12.2024 und 11.1.2025 sind laut jordanischem Innenministerium 52.406 syrische Staatsbürger nach Syrien ausgereist. 11.315 davon waren Flüchtlinge (VB Amman 12.1.2025). Mit Stichtag 24.1.2025 sind laut UNHCR seit dem 8.12.2024 bisher 20.100 registrierte Flüchtlinge, welche sich zuvor in Jordanien aufhielten, nach Syrien ausgereist (VB Amman 30.1.2025). Bis 6.2.20205 sind ca. 30.000 syrische Flüchtlinge aus Jordanien zurückgekehrt und weitere 60.000 sind über Jordanien zurückgereist (ÖB Amman 6.2.2025). Die Rückkehr aus Jordanien erfolgt Angaben des jordanischen Innenministers al-Faraya zufolge freiwillig und ohne Zwang. Für diejenigen, die zurückkehren möchten, werden die notwendigen Erleichterungen zur Verfügung gestellt, einschließlich des Gepäcktransports. Es gibt keine Hindernisse für syrische Flüchtlinge beim Verlassen Jordaniens. Selbst diejenigen, die aufgrund von Arbeitserlaubnissen mit Geldstrafen belegt sind (Overstay), können gehen. Die Rückkehrverfahren wurden vereinfacht und einige zuvor erforderliche Sicherheitsüberprüfungen vor der Ausreise wurden abgeschafft. Syrer aus dem Ausland können nach Jordanien einreisen, Syrien besuchen und an ihren ursprünglichen Wohnort zurückkehren (VB Amman 6.2.2025).
Irak
Ali Abbas, Sprecher des irakischen Migrationsministeriums, erklärte, dass seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 Syrer in den Irak gekommen seien, wobei sich die Mehrheit in der Region Kurdistan niedergelassen habe, wo im Einklang mit internationalen Abkommen Lager errichtet worden sind. Nach Angaben der Regionalregierung Kurdistan (Kurdistan Regional Government - KRG) leben derzeit etwa 260.000 syrische Flüchtlinge in der Region Kurdistan, sowohl in als auch außerhalb von Lagern (Bas 25.1.2025). Auch aus dem Irak kehrten bereits Syrer zurück (Rudaw 15.12.2024). Ihre Anzahl ist unbekannt (VB Bagdad 20.12.2024). Die Behörden im Irak in Bagdad und Erbil haben ebenfalls willkürlich Syrer inhaftiert und nach Damaskus und in Teile Nordost-Syriens, die unter der Kontrolle kurdisch geführter Streitkräfte stehen, deportiert (HRW 16.1.2025). Das irakische Ministerium für Migration und Flüchtlinge hat indes bestätigt, dass die im Land lebenden syrischen Flüchtlinge freiwillig nach Syrien zurückkehren können und nicht unter Druck gesetzt werden, das Land zu verlassen. Offizielle Statistiken über die Anzahl der syrischen Flüchtlinge, die nach dem Sturz des Assad-Regimes zurückgekehrt sind, gibt es nicht, weil die Entscheidung zur Rückkehr ausschließlich bei den Flüchtlingen liegt und sie das Ministerium nicht benachrichtigen, wenn sie das Land verlassen (Bas 25.1.2025). Am 11.2.2025 schrieb UNHCR, dass seit dem 8.12.2024 über 5.000 Syrer aus dem Irak nach Syrien zurückgekehrt sind, darunter fast 400 registrierte Flüchtlinge (UNHCR 11.2.2025). Seit dem 8.12.2024 sind am Grenzübergang Faysh Khabour 948 Syrer im Rahmen offizieller Rückführungsverfahren dauerhaft nach Syrien zurückgekehrt, darunter 105 (11 %) syrische Flüchtlinge, die bei UNHCR registriert sind (Stand 2.1.2025) (UNHCR 2.1.2025).
Ägypten
Zwischen dem 8.12.2024 und dem 21.1.2025 wurden von syrischen Flüchtlingen in Ägypten über 3.700 Anträge auf Verfahrenseinstellung, die über 7.050 Personen betrafen, bei UNHCR eingereicht. Das entspricht einem Durchschnitt von 125 Anträgen pro Tag, verglichen mit einem Durchschnitt von nur sieben Anträgen pro Tag im November 2024. Am 20.1.2025 bestätigte der amtierende Leiter der ägyptischen Botschaft in Damaskus, Berichten zufolge gegenüber der Zeitung al-Watan, dass Ägypten das Visumverfahren für mehrere Kategorien von Syrern wiedereröffnet hat, darunter für syrische Studenten, die in verschiedenen Bildungsstufen eingeschrieben sind, für syrische Investoren und ihre Familien sowie Ehepartner ägyptischer Staatsbürger. Damit wird eine im vergangenen Monat von den ägyptischen Behörden eingeführte Vorschrift aufgehoben, nach der Syrer, die aus allen Ländern nach Ägypten einreisen, eine Sicherheitsüberprüfung erhalten mussten (UNHCR 23.1.2025). In Ägypten äußerten viele Syrer ihre Abneigung gegen eine Rückkehr, wobei eine kleine Minderheit Interesse bekundete, jedoch größtenteils nicht innerhalb der nächsten zwölf Monate (UNHCR 19.12.2024).
Quellen: […]
17.1 Rückkehr in die Gebiete unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 21:23
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Die Situation der Vertriebenen im Nordosten Syriens ist dramatisch. Dort leben über 44.000 Menschen in 250 Sammelunterkünften, die in städtischen Gebäuden, Schulen, Moscheen, Stadien und anderen Einrichtungen eingerichtet wurden. Seit dem 4.12.2024 sind Familien aufgrund der Kämpfe in Tall Ref'at und Aleppo in diese Sammelunterkünfte geflohen (UNOCHA 16.12.2024).
Quellen: […]
17.2 Rückkehrunterstützung des österreichischen Staates
Letzte Änderung 2025-01-09 14:36
[Dieses Kapitel basiert auf Informationen, die von der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) mit Stand Dezember 2024 zur Verfügung gestellt worden sind (BMI 6.12.2024). Im Bereich der Rückkehrunterstützung kann es zu kurzfristigen Änderungen kommen. Für weitere Informationen sei auf die entsprechende Seite der BBU verwiesen].
Die Mitarbeiter der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) informieren individuell über die Möglichkeiten der freiwilligen Rückkehr bzw. die verfügbaren Unterstützungsleistungen.
Die Rückkehrunterstützung umfasst folgende Leistungen:
Kostenlose individuelle Beratung zur freiwilligen Rückkehr einschließlich Antragsstellung auf finanzielle Unterstützung durch die BBU
Organisatorische Unterstützung bei der Reisevorbereitung
Übernahme der Heimreisekosten
Finanzielle Starthilfe in Höhe von bis zu € 900
Reintegrationsprogrammteilnahme nach der Rückkehr im Zielland
Ein Rechtsanspruch auf diese Unterstützungsleistungen besteht nicht. Die Bewilligung erfolgt durch das österreichische Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA). Weitere Informationen zu den aktuellen Unterstützungsangeboten (Rückkehrunterstützung inkl. Reintegrationsunterstützung) sind auf der Webseite www.returnfromaustria.at verfügbar.
Die BBU unterstützt sowohl bei der Reiseplanung und der Flugbuchung als auch bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten, einer ggf. notwendigen medizinischen Versorgung sowie mit der Übernahme der Rückreisekosten. Organisatorische Unterstützung kann grundsätzlich in jeder Verfahrenskonstellation gewährt werden. Voraussetzung für die Gewährung der Übernahme der Heimreisekosten ist die Mittellosigkeit der rückkehrenden Person.
Finanzielle Starthilfe
Die Höhe der finanziellen Starthilfe ist in einem degressiven Modell geregelt und staffelt sich nach dem Zeitpunkt der Antragstellung auf unterstützte freiwillige Rückkehr:
Während des laufenden asyl- oder fremdenrechtlichen Verfahrens bis ein Monat nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung: € 900,00 pro Person; ab einem Monat nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung: € 250,00 pro Person
Kernfamilien: Maximalbetrag von € 3.000 pro Familie
Sonderkonstellation: Für vulnerable Rückkehrende, die grundsätzlich von der finanziellen Starthilfe ausgeschlossen wären, kann nach individueller Einzelfallprüfung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein einmaliger Betrag von € 250,00 pro Person gewährt werden.
Kriterien für den Erhalt der finanziellen Starthilfe und der Reintegrationsunterstützung (Ausnahmen im Einzelfall möglich):
Freiwillige Ausreise
Finanzielle Bedürftigkeit bzw. Mittellosigkeit
Erstmaliger Bezug der Unterstützungsleistung
Nachhaltigkeit der Ausreise
Keinerlei Evidenz eines Sicherheitsrisikos durch die freiwillige Rückkehr
Keine schwere Straffälligkeit
Ausgeschlossen vom Bezug der finanziellen Starthilfe sind EWR-Bürger, Personen aus den Westbalkan-Staaten sowie Staatsangehörige von Ländern mit visumsfreier Einreise nach Österreich (z. B. Georgien, Moldawien). Sonderkonstellation: Für vulnerable Rückkehrende aus diesen Regionen, die grundsätzlich von der finanziellen Starthilfe ausgeschlossen wären, kann nach individueller Einzelfallprüfung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein einmaliger Betrag von € 250,00 pro Person gewährt werden
Reintragrationsunterstützung
Für 42 Herkunftsländer können freiwillige Rückkehrer im Sinne des Leitgedankens "Rückkehr mit Perspektiven" Reintegrationsunterstützung im Wert von bis zu € 3.500 beantragen.
Die Abwicklung des Reintegrationsangebots erfolgt mit den Kooperationspartnern:
Frontex (EU Reintegrationsprogramm EURP)
IOM Österreich (Reintegrationsprogramm RESTART IV)
Caritas Österreich (Reintegratonsprogramm IRMA plus III)
OFII (französische Migrationsbehörde „French Office for Immigration and Integration“)
ETTC (im Irak tätige NGO „European Technology and Training Centre“)
Im Rahmen der Reintegrationsprogramme erhalten Rückkehrende umfassende Unterstützung bei der Wiedereingliederung in ihrem Herkunftsland. Dazu gehören individuelle, persönliche Beratung und vorwiegend Sachleistungen z. B. wirtschaftliche, soziale und psychosoziale Hilfen. Die Programme bieten ein breites Spektrum an Leistungen, um einen optimalen Einsatz der Mittel zu gewährleisten.
Weitere Informationen zu den jeweiligen Programmen bzw. für welche Herkunftsländer diese angeboten werden, sind den oben angeführten Seiten zu entnehmen (BMI 6.12.2024).
Quellen: […]
18 Dokumente - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Letzte Änderung 2025-05-06 17:11
[Das gesamte Staatswesen in Syrien befindet sich derzeit im Umbruch. Viele Fragen der Verwaltung sind derzeit ungeklärt und zu vielen Themen liegen keine Informationen vor. Im Folgenden wird der aktuelle Stand dargelegt, wie er sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ergibt. Teilweise werden Falschinformationen, insbesondere auf Social-Media Kanälen verbreitet, die in weiterer Folge auch Eingang in andere Berichte finden. Die Vorgehensweise der Recherche und Ausarbeitung der vorliegenden Länderinformation entspricht den in der Methodologie der Staatendokumentation festgeschriebenen Standards. Weder wird ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit der vorliegenden Informationen erhoben. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Hindernisse bei der Erlangung einer rechtlichen Identität und zivilrechtlichen Dokumenten, darunter Geburtsurkunden für Kinder, drohen Millionen Menschen den Zugang zu Dienstleistungen, Bewegungsfreiheit und Rechtsansprüchen zu verwehren, da lückenhafte Register, nicht funktionsfähige Zivilbehörden und nicht anerkannte Dokumente die Rechtspflege, Regierungsführung und soziale Inklusion behindern (GPC 3.4.2025).
Reisedokumente
Auf der offiziellen Website des syrischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten und Expats wurde am 17.12.2024 eine Erklärung veröffentlich, in der das Ministerium erklärt, dass diese und seine diplomatischen Vertretungen im Ausland sich weiterhin für die syrischen Mitbürger einsetzen und sich um ihre Angelegenheiten kümmern (MoFAExSYR 17.12.2024).
Wenige Stunden nach dem Sturz des Regimes flogen die Israelischen Luftstreitkräfte Luftangriffe auf strategische und militärische Ziele, darunter die Abteilung für Pässe und Auswanderung in Damaskus (SRIL Guardian 9.12.2024), welche in Flammen aufging (Independent 9.12.2024). Aufgrund von Schäden am Gebäude hatte die Einwanderungs- und Passbehörde ihre Arbeit eingestellt (Jarida 14.12.2024). Einige Botschaften ermöglichten es Syrern daraufhin, abgelaufene Pässe kostenlos für sechs Monate zu verlängern (Jarida 14.12.2024; vgl. Khaleej 11.12.2024; MasrYoum 12.11.2024; KhalT 10.12.2024; Seyassah 8.12.2024). Andere Dienstleistungen, wie die Legalisierung von Bildungsdokumenten und Pässen oder die Ausstellung von Vollmachten konnten weiterhin durchgeführt werden (Turkpress 14.12.2024). Die syrischen Personenstandsdatenbanken, mit denen Personenstandsdokumente (Zivilregisterauszug, Familienregister, Heiratsregister etc.) anhand des QR-Codes auch vom Ausland her verifiziert werden konnten, waren offline (Auskunft 18.12.2024) (VB Amman 18.12.2024). Es konnten keine Personenstandsurkunden ausgestellt werden (Turkpress 14.12.2024). Das Hauptproblem bei der Arbeit der Einwanderungs- und Passbehörden war, dass sie alle mit dem Hauptzentrum in az-Zabaltani, das im vergangenen Jahr abgebrannt ist, verbunden sind. Das hat den Einwanderungs- und Passdienst für die Menschen und die gesamte syrische Bevölkerung, sowohl im Inland als auch in der Diaspora, unterbrochen. Daneben waren einige Einwanderungszentren von Diebstählen und Bränden betroffen, wodurch sich die Auslieferung der Pässe verzögerte. Die Daten auf den Servern sind sicher, aber die Server haben elektronische Schäden und müssten gewartet werden (Asharq 8.1.2025). Ein Angestellter der Einwanderungsbehörde sagte am 3.1.2025, dass die Geräte für die Ausstellung der Pässe und die Computer in dem Zentrum im Umland von Damaskus gestohlen wurden. Manche Pässe wurden noch vor dem Umsturz fertiggestellt und könnten bereits ausgehändigt werden, die Angestellten aber warten auf Anweisungen der neuen Regierung (TNA 3.1.2025). Der Außenminister der neuen syrischen Regierung kündigte an, dass die Übergangsregierung eine Verlängerung der Gültigkeit der Pässe für ihre im Ausland lebenden Bürger in Betracht zieht (Asharq 8.1.2025; AlMon 2.1.2025). Die syrische Behörde für Einwanderung und Pässe versicherte all jenen, die sich vor dem Sturz des Assad-Regimes auf der Plattform zur Ausstellung neuer Pässe oder zur Verlängerung abgelaufener Pässe registriert hatten, ob im Land oder in der Diaspora, dass ab Mitte Jänner 2025 mit der Auslieferung ihrer Pässe begonnen wird, was auf die Verfügbarkeit von etwa einer halben Million neuer Pässe hinweist. Pässe, die davor ausgehändigt werden, sind fertige, die bereits vor dem Sturz des Regimes gedruckt wurden. Der Zeitraum für die Ersetzung der Pässe liegt zwischen sechs Monaten und einem Jahr (Quds 7.1.2025). Am 13.1.2025 gab die Abteilung für Einwanderung und Pässe des syrischen Innenministeriums die Wiederaufnahme der Ausstellung von Pässen bekannt, die seit dem Sturz des abgesetzten Regimes am 8.12.2024 ausgesetzt worden war (Enab 28.1.2025). Am 27.1.2025 bestätigte der Direktor der Abteilung für Einwanderung und Pässe im syrischen Innenministerium, dass die Abteilung damit begonnen hat, neue Pässe auszustellen, nachdem sie die Registrierung dafür geöffnet hatte. Er wies darauf hin, dass die Registrierung vorerst nur für den sofortigen Pass erfolgt und in Kürze auch die Registrierung für beschleunigte und reguläre Pässe geöffnet wird. Antragsteller für sofortige Pässe haben Vorrang. Derzeit gibt es keine Änderungen in den Preisen für die Ausstellung der Reisepässe. Die voraussichtliche Dauer für die Ausstellung eines sofortigen Passes beträgt 48 Stunden, die Ausstellung für einen beschleunigten Reisepass 10 Tage und die Ausstellung eines regulären Reisepasses 45 Tage. Der Direktor wies darauf hin, dass es keine Änderungen am Reisepass gibt, dass aber die Gültigkeitsdauer der Pässe auf 6 Jahre für alle ohne Ausnahme geändert wurde und dass ein Paket von Änderungen am Reisepass geprüft wird (SANA 27.1.2025). Die Registrierung wird durch die Anmeldung auf der Registrierungsplattform, die Eingabe persönlicher Daten und eines Fotos des Personalausweises sowie die elektronische Zahlung der Registrierungsgebühren über ein Bankkonto erfolgen. Personen, die außerhalb des Landes leben, haben das Recht, sich in den syrischen Gouvernements über ihre Eltern oder einen gesetzlichen Vertreter für den Pass registrieren zu lassen, wobei sie darauf hinweisen, dass von der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ausgestellte Ausweise bei der Registrierung akzeptiert werden und dass alte Pässe bis zum Ablauf der angegebenen Frist gültig sind. Anfang Februar hatte die Abteilung für Einwanderung und Pässe alle Gebäude der Einwanderungs- und Passbehörde in den Provinzen wieder geöffnet, mit Ausnahme von Suweida, Quneitra, al-Hasaka und ar-Raqqa, weil dort die Infrastruktur der Gebäude beschädigt und die notwendige Ausrüstung gestohlen wurde. Die Kosten für einen regulären Pass betragen 312.700 Syrische Pfund (SYP), für einen beschleunigten Pass 432.700 SYP und für einen sofortigen Pass 2.010.700 SYP. Ein regulärer Pass für Bürger außerhalb des Landes kostet 300 US-Dollar und ein Eilpass kostet 800 Dollar. Laut Aussage des Ministeriums soll die Plattform für die Registrierung bald öffnen (SANA 2.2.2025). Der Webseite NPA Egypt zufolge muss der Antragsteller sich während des Erneuerungsprozesses in Syrien aufhalten (NPAEgy 12.2.2025).
Das Konsulat in Wien erklärte in einer E-mail-Auskunft an das Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) Mitte März 2025, dass eine Verlängerung der Gültigkeit abgelaufener Reisepässe möglich ist, aber neue Pässe nicht in der Botschaft ausgestellt werden können. Ein syrischer Staatsbürger in Wien berichtete Anfang März 2025 gegenüber ACCORD, dass ihm sein seit zwei Jahren abgelaufener syrischer Reisepass auf der syrischen Botschaft in Wien um neun Monate verlängert wurde, weil die Webseite des Onlinekonsulats noch nicht funktionierte. Die Verlängerung erfolgte ohne Gebühr und mittels eines Aufklebers im nicht mehr gültigen Reisepass. Alle in Europa lebenden syrischen Staatsbürger, somit auch in Österreich lebende, können sich laut Auskunft des syrischen Konsulats in Brüssel über die Plattform des elektronischen Konsularzentrums einen Termin vereinbaren und sich über die Botschaft in Brüssel einen Reisepass ausstellen lassen. Laut YouTube-Videos, die von ACCORD aufgerufen wurden, können über ein Onlineportal Termine in ausgewählten Botschaften in Europa, nämlich Athen, Brüssel oder Stockholm, vereinbart werden, um dort persönlich einen Pass zu beantragen (ACCORD 19.3.2025).
Die Abteilung für Einwanderung und Pässe des Innenministeriums hat die Schritte zur Beantragung des syrischen Passes bekannt gegeben, die Zeit und Mühe sparen sollen, ohne dass ein offizieller Standort aufgesucht werden muss. Diese Entwicklung erfolgt im Rahmen der Digitalisierung der staatlichen Dienstleistungen, um die Verfahren zu vereinfachen, die Transaktionen zu beschleunigen und die Belastung der Bürger zu verringern. Die Antragsstellung erfolgt über die Seite ecsc.gov.sy. [Diese Seite ist mit Stand 25.4.2025 nicht aufrufbar Anm.] (NPAEgy 16.2.2025).
Das Polizeikommando des Gouvernements Suweida kontaktierte die Einwanderungs- und Passbehörde in Damaskus, um Reisepässe nachzudrucken, die vor dem Sturz des früheren Regimes fertiggestellt und gestohlen worden waren. Eine erste Charge an Pässen traf am 29.1.2025 in Suweida ein. Bei den Pässen handelt es sich um Reisepässe für Bürger außerhalb Syriens, deren Angehörige die erforderlichen Passpapiere zwischen dem 8.11.2024 und dem 5.12.2024 bei der Abteilung für Einwanderung und Pässe in Suweida eingereicht haben, sowie um Bürger innerhalb Syriens, die ihre Originalpapiere am 4. und 5.12.2024 bei der Abteilung für Einwanderung und Pässe in Suweida eingereicht haben (SANA 29.1.2025).
Auch in Zukunft wird der Mechanismus der elektronischen Plattform zur Ausstellung von Reisepässen beibehalten werden, möglicherweise werden die Gebühren gesenkt (Quds 7.1.2025), wobei dieser Schritt noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird (Asharq 8.1.2025).
Der Geschäftsträger der syrischen Botschaft in Jordanien teilte mit, dass die Botschaft seit dem 9.12.2024 fast 30.000 Pässe ausgestellt hat und dass alle Antragsteller gemäß der Entscheidung der neuen syrischen Regierung eine sechsmonatige Frist zur kostenlosen Verlängerung ihrer Pässe erhalten haben (TNA 3.1.2025). Medienberichten zufolge druckt die Türkei neue Personalausweise, Reisepässe und Führerscheine syrischer Staatsbürger, um die syrischen Behörden zu unterstützen (DS 27.12.2024). El Nashra berichtete am 17.2.2025, dass Reisepässe nicht ohne Genehmigung der zuständigen Behörden in der syrischen Hauptstadt Damaskus ausgestellt werden können. Die Beantragung eines Reisepasses erfolgt über eine elektronische Plattform, die von Damaskus aus überwacht wird. Die Rolle der Botschaft beschränkt sich auf die Entgegennahme und Bearbeitung des Antrags und das Warten auf die Genehmigung aus der syrischen Hauptstadt. Die Botschaft ist ein Vermittler zwischen dem syrischen Bürger und der Abteilung für Einwanderung und Pässe (Nashra 17.2.2025).
Möglicherweise werden in Zukunft Pässe in einer anderen Form als bisher ausgestellt. Quellen der online Zeitung al-Quds vertreten die Ansicht, dass die Zeit der Korruption bei der Ausstellung von Pässen vorbei ist (Quds 7.1.2025).
Quellen: […]
18.1 Dokumente in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES)
Letzte Änderung 2025-05-08 21:24
[Im vorliegenden Dokument wurde auf die allgemeine Lage nach dem Umbruch am 8.12.2024 fokussiert. Die Lage in von den Kurden dominierten Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF – Demokratische Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat sich bisher nicht wesentlich verändert und wurde daher aufgrund zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen nicht in der gewohnten Tiefe bearbeitet. Für Fragestellungen dazu, bitten wir auf die Vorversion der Länderinformation zurückzugreifen bzw. uns mittels einer Anfrage zu kontaktieren. Die Einarbeitung aktueller Quellen und Informationen zur Lage in der DAANES wird zeitnah mittels Aktualisierung erfolgen. Weitere Informationen zur vorliegenden Länderinformation finden sich im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen.]
Identitätsnachweise (Arabisch: Shahadat at-Ta'rif - شهادة التعرف; Kurdisch: Nesnameh) sind für Verwaltungsaufgaben, wie die Beantragung von Führerscheinen, Arbeitsplätzen, Aufenthaltsgenehmigungen für die Gebiete der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) und Mietverträgen in den von der DAANES kontrollierten Gebieten unerlässlich. Obwohl es sich nicht um ein offizielles Ausweisdokument handelt, bestätigt dieses Zertifikat die Identität und den Wohnsitz einer Person, die Angaben zu den Eltern und den Grund für die Ausstellung, wie z. B. die Rekrutierung in die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) oder eine Anstellung. Allerdings wird diese Bescheinigung nicht nach einem standardisierten Muster ausgestellt. Der Hauptgrund für die Ausstellung dieses Dokuments ist die vorherrschende Sicherheitslage in Nordost-Syrien, die es erforderlich macht, die Identität der Person durch den örtlichen Komeen [= Verwaltungseinheit s. Kapitel Politische Lage (Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024)) / Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF - Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) Anm.] bestätigen zu lassen (DIS 8.2024).
Die Behörden der DAANES stellen eine Vielzahl von Dokumenten aus, darunter gerichtliche Dokumente im Zusammenhang mit Eheschließung und Scheidung, Führerscheine, Bildungsnachweise von der Grundschule bis zur Universität, Fahrzeugzulassungsbescheinigungen und Mietverträge für Wohnimmobilien. Besucherkarten werden von der Assayish, der kurdischen Behörde für innere Sicherheit und Polizei, an Personen aus anderen Gebieten Syriens ausgestellt, die in die DAANES einreisen und sich dort aufhalten möchten. Führerscheine werden von den Behörden der DAANES in der gesamten DAANES ausgestellt. In jeder Stadt innerhalb der DAANES gibt es ein Büro, in dem Personen die theoretische und praktische Fahrprüfung ablegen und einen Führerschein erwerben können. DAANES-Dokumente sind nur innerhalb der DAANES gültig. Die DAANES stellt auch Familienregistrierungsdokumente aus, die in den von der DAANES kontrollierten Gebieten und für die Einreise in die Kurdische Region im Nordirak gültig sind (DIS 8.2024).
Quellen: […]
1.3.2. Die rechtliche Vertretung des BF1 verwies in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 03.06.2025 (Akt BF1: OZ 10) zusätzlich auf die ACCORD-Anfragebeantwortung [a-12555-2] vom 24.02.2025, die daher ebenfalls der Entscheidung zugrunde gelegt werden.
1.3.3. Zu den früheren und aktuellen Kontrollverhältnissen in der Herkunftsregion wurden die Kartendienste von Syria Livemap (https://syria.liveuamap.com/) und The Carter Center (https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html) herangezogen.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des BFA sowie der Gerichtsakte des BVwG, insbesondere aus der mündlichen Verhandlung am 06.12.2024 (VHS 1) und dem persönlichen Eindruck, den der erkennende Richter dort gewinnen konnte, sowie den mündlichen Verhandlungen am 14.07.2025 (VHS 2) und 22.07.2025 (VHS 3).
2.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Die Feststellung zu den von den BF geführten Identitäten (Name, Staatsangehörigkeit und Geburtsdatum) beruht auf ihren gleichbleibenden und glaubhaften Angaben im Verfahren. Der BF1 legte darüber hinaus einen syrischen Reisepass im Original vor, der BF2 einen syrischen Führerschein, der im Zuge einer Dokumentenüberprüfung für authentisch befunden wurde.
Die Feststellungen zu Volksgruppenzugehörigkeit, Religionsbekenntnis und den Sprachkenntnissen der BF ergeben sich aus den gleichbleibenden und unbedenklichen Ausführungen während des Verfahrens. Ferner konnten die Einvernahmen der BF jeweils unter Beiziehung eines Dolmetschers in arabischer Sprache durchgeführt werden. Der Familienstand der BF steht aufgrund ihrer gleichbleibenden und glaubhaften Angaben fest, der BF2 legte zudem einen Auszug aus dem syrischen Familienregister vor, sodass die Feststellung zu seiner Ehe und den daraus entstandenen Kindern getroffen werden konnte.
Der BF1 gab in seinen Einvernahmen im verwaltungsbehördlichen Verfahren an, in XXXX geboren zu sein (vgl. Akt BF1: EB, AS 19), er nannte die Stadt auch als Herkunftsort (vgl. Akt BF1: EV BFA, AS 191). Auch in der mündlichen Verhandlung gab er an, in XXXX geboren worden zu sein, die Familie sei erst später nach XXXX geflohen (vgl. VHS 1, S 6) und bestätigte er, in der Stadt XXXX gelebt zu haben (vgl. VHS 1, S 9). Auf Vorhalt des in seinem Reisepass eingetragenen Geburtsortes XXXX , konnte der BF1 dies nicht erklären: „Ich weiß es nicht. Meine Eltern haben die Registrierung durchgeführt. Ich bin in XXXX geboren und in XXXX registriert.“ (vgl. VHS 1, S 7). Auch wenn er den Bezirk nennen konnte und beteuerte, die Wahrheit zu sagen, wird dem BF1 diesbezüglich nicht geglaubt, da sich aus den übrigen Angaben zum Leben der BF in Syrien Widersprüche bezüglich der Aufenthaltsorte ergeben. Der BF1 brachte in der Verhandlung auch vor, dass seinem Bruder während die Familie in XXXX gelebt habe, der Arm gebrochen worden sei (vgl. VHS 1, S 17 f). Auf Vorhalt seiner bisherigen Angaben antwortete der BF1: „Wir sind im Jahr 2021 nach XXXX gegangen. Im Jahr 2013 nach XXXX . Was war die Frage noch mal?“ (vgl. VHS 1, S 18). Kurz darauf gab er wiederum anderslautend an, sein Bruder habe immer in XXXX gelebt (vgl. VHS 1, S 19). Auch durch die Befragung des BF2 brachte keine stimmige Erklärung, da dieser angab, dass die Eltern ab 2007 zwischen XXXX gependelt seien. Erst auf Nachfrage, wieso sein Bruder in XXXX geboren sei, gab er an, die Familie habe dort vier Jahre lang gewohnt, es sei vor seinem Wehrdienst (Anm.: im Jahr 2010, vgl. VHS 1, S 22) gewesen und könne er nur ungefähre Angaben machen, er glaube von 2009 bis 2010 (vgl. VHS 1, S 22 f). Zuletzt gab der BF1 in der mündlichen Verhandlung vage an, die Familie sei „aber 2010, 2013“ mit ihm nach XXXX gezogen (vgl. Akt BF1: VHS 2, S 4). In Berücksichtigung des Geburtsjahres des BF1 XXXX sind all diese Angaben zum behaupteten Aufenthalt der Familie in XXXX nicht schlüssig und daher nicht glaubhaft. Für den erkennenden Richter entstand durch das widersprüchliche und nicht nachvollziehbare Vorbringen der BF in der mündlichen Verhandlung der Eindruck, dass der BF1 XXXX aus verfahrenstaktischen Gründen als Herkunftsregion angab. Im Gegensatz zu XXXX damals noch vom ehemaligen Assad-Regime kontrolliert, sodass sich unter Zugrundelegung dieses Herkunftsortes eine Verbindung zu einer möglichen Verfolgungsgefahr durch das ehemalige syrische Regime in Zusammenhang mit dem Militärdienst und somit einem asylrelevanten Fluchtgrund ergeben hätte. Aufgrund der Eintragung im Reisepass wird auch für den BF1 XXXX als Geburts- und Herkunftsort festgestellt. Der BF2 hat für sich nie etwas Anderes behauptet, er gab auch an, bis zum Jahr 2021 in der XXXX gelebt zu haben (vgl. VHS 1, S 22), sodass für beide BF die Abstammung aus und somit als Herkunftsort XXXX im gleichnamigen Gouvernement festzustellen war. An dieser Stelle wird ergänzend auf einen weiteren Widerspruch zwischen den BF zum Aufenthaltsort der Familie des BF2 hingewiesen, der erste Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Angaben, die in Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen stehen, weckte. Der BF1 gab nämlich in der mündlichen Verhandlung an: „Unsere Familie und die meines Bruders sind alle in XXXX “ (vgl. VHS 1, S 9), wohingegen der BF2 angab, seine Frau und die Kinder seien bei ihrem Vater, der in XXXX lebe (vgl. VHS 1, S 23). Der BF2 gab glaubhaft an, dass seine Frau und die Kinder bei seinen Schwiegereltern leben würden (vgl. VHS 1, S 23; VHS 3, S 4 f). Ebenso glaubhaft waren seine Angaben, dass der Vater seiner Ehefrau der Sheik des Familienstammes in XXXX sei (vgl. VHS 1, S 23; VHS 3, S 8). Er gab an, dass der Schwiegervater aufgrund seiner Position „gute Beziehungen zu allen“ habe, auch zu den Kurden. Seit er ihn kenne, sei der Schwiegervater in dieser Position (vgl. Akt BF2: VHS 3, S 8), deshalb stünden seine Frau und die Kinder auch unter seinem Schutz (vgl. Akt BF2: EV BFA, AS 95). Auch dies spricht dafür, dass die Ehefrau und die Kinder des BF2 sich gemeinsam mit der Familie der Ehefrau in XXXX aufhielten und auch jetzt dort leben. Die Familie der Ehefrau versorgt die Familie des BF2 auch, der Schwiegervater betreibt eine Fleischerei und besitzt ein Restaurant (vgl. Akt BF2: VHS 3, S 8; VHS 1, S 23).
Die Feststellungen zur Schulbildung und den beruflichen Tätigkeiten der BF in Syrien beruhen auf ihren Angaben im Verfahren. Die BF gaben an, dass ihre Familie abwechselnd in XXXX gelebt habe, in XXXX besitze die Familie zwei Häuser (vgl. VHS 1, S 22), zuletzt seien die Eltern und der Bruder wieder nach XXXX zurückgekehrt (vgl. Akt BF1: VHS 2, S 4). Die Feststellung zur Erwerbstätigkeit des Vaters, der den Lebensunterhalt der Familie erwirtschaftet, beruht auf den Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung (vgl. VHS 1, S 12 und 22). Die BF gaben gleichbleibend und glaubhaft an, regelmäßig Kontakt zu ihren Familienangehörigen in Syrien und keine weiteren Familienangehörigen in Österreich zu haben.
Aufgrund der übereinstimmenden Angaben der BF steht fest, dass sie Syrien gemeinsam im September 2022 in die Türkei verlassen haben. Die weitere Reiseroute und das Datum der Einreisen in das österreichische Bundesgebiet ergeben sich aus den jeweiligen Protokollen der Erstbefragung.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF ergeben sich aus ihren Angaben in den mündlichen Beschwerdeverhandlungen und wurden zudem bis zum Entscheidungszeitpunkt keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, aus welchen körperliche oder psychische Beeinträchtigungen, regelmäßige medizinische Behandlungen oder eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit abzuleiten wären. Dementsprechend war festzustellen, dass die BF gesund und arbeitsfähig sind.
Die Unbescholtenheit der BF geht aus den amtswegig eingeholten Strafregisterauszügen hervor. Die diversionelle Erledigung des gegen den BF1 geführten Strafverfahrens wegen Diebstahls ergibt sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt und hat er dies in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt. Ihr aufrechter Status als subsidiär Schutzberechtigte ergibt sich unstrittig aus der Aktenlage.
2.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Die Feststellungen zur Einreise sowie zur Antragstellung ergeben sich aus den Erstbefragungsprotokollen.
Die Feststellung zur Kontrollsituation in der Herkunftsregion beruht auf aktuellen Auszügen der Kartendienste SyriaLivemap und The Carter Center (vgl. eingefügte Screenshots – Akt BF1: VHS 2, S 5 f und Akt BF2: VHS 3, S 6 f). Auch die beiden BF gaben an, dass ihr Herkunftsort unverändert unter Kontrolle der kurdischen SDF steht.
Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde sowie dem vor dem BVwG geführten Verfahren und im Besonderen den mündlichen Verhandlungen am 06.12.2024, 14.07.2025 und 22.07.2025 ergibt sich, dass die BF ausreichend Zeit und Gelegenheit hatten, eventuelle Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel und geeignete Nachweise zur Untermauerung ihres Vorbringens vorzulegen. Sie wurden auch mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung ihrer Fluchtgründe und ausdrücklich zur Vorlage von Beweismitteln aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt. Der erkennende Richter geht davon aus, dass die BF in Syrien im Fall einer (hypothetischen) Rückkehr nicht individuell und konkret bedroht oder verfolgt würden. Dies ergibt sich aus nachstehenden Erwägungen:
Eingangs ist zu erwähnen, dass der BF1 in seiner Erstbefragung zu seinen Fluchtgründen lediglich angab: „Ich habe Syrien verlassen, da es dort keine Arbeit, kein Essen und keine Zukunft gibt. Meine Eltern sind alte Leute und sind krank. […]“ Im Falle einer Rückkehr fürchte er Armut, Arbeitslosigkeit und keine gute Zukunft (vgl. Akt BF1: EB, AS 29). Der BF2 gab im Zuge seiner Erstbefragung an: „In meiner Heimat ist Bürgerkrieg, ich sollte zum Militär einrücken, ich will aber nicht am Krieg teilnehmen. Daher bin ich nach Europa gekommen.“ Im Falle einer Rückkehr befürchte er festgenommen und vor das Militärgericht gestellt zu werden (vgl. Akt BF2: EB, AS 6).
Das erkennende Gericht hält den BF zwar grundsätzlich zu Gute, dass eine Erstbefragung in einem fremden Land eine für jeden Asylwerber außergewöhnliche Situation darstellt. Eine gewisse, anfängliche Verlegenheit in der Erzählung persönlicher Erlebnisse erscheint daher im Allgemeinen nachvollziehbar. Ebenso ist klar, dass im Rahmen einer Erstbefragung in keine allzu große Detailtiefe bei der Schilderung des eigentlichen Fluchtgrundes vorgestoßen werden kann. Trotzdem trifft auch den Schutzsuchenden im Asylverfahren eine Mitwirkungspflicht an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, über welche die BF im Rahmen der Erstbefragung auch nachweislich aufgeklärt wurden. Das von den BF im Rahmen der Erstbefragung erfolgte Weglassen sämtlicher Aspekte der in weiterer Folge vorrangig geltend gemachten Fluchtgründe – nämlich einer individuellen Verfolgung durch die Kurden und eine Bande von Verbrechern, die von ihnen als „Mafia“ bezeichnet wird – steht dieser Mitwirkungspflicht eindeutig entgegen. Nach Ansicht des erkennenden Gerichtes kann es einem erwachsenen Menschen durchaus zugemutet werden, bei den Behörden jenes Landes, von dem er sich Schutz und Hilfe vor behaupteter Verfolgung und Tod erwartet, möglichst zeitnahe zum Antrag auf internationalen Schutz zumindest ansatzweise Angaben zu den eigentlichen Gründen der behaupteten, gegenständlichen Verfolgung im Heimatland zu tätigen.
Die niederschriftliche Einvernahme des BF1 vor dem Bundesamt war mit einer Befragungsdauer von 25 Minuten knapp gehalten, der BF1 wurde allgemein zu seinen Fluchtgründen befragt (vgl. Akt BF1: Befragung, EV BFA, AS 189 bis 192). Der BF1 gab jedoch an, Syrien wegen der drohenden Einziehung zum Wehrdienst der Regierung und der Kurden verlassen zu haben. Er sei daher ausgereist, bevor er einen Einberufungsbefehl erhalten habe und sei er auch nicht anderweitig kontaktiert worden. Als weitere Gründe nannte er „generell wegen dem Krieg“ sowie dass ihm sein Land „überhaupt keine Rechte“ gegeben habe, „keine Schulbildung, nichts“ (vgl. Akt BF1: EV BFA, AS 190 f). In der mündlichen Verhandlung brachte der BF1 ergänzend zur Furcht vor der Einberufung zum Wehrdienst durch das syrische Regime und die Kurden vor, er sei auch wegen der Drohungen, die sein Bruder und die Familie erhalten hätten, geflohen (vgl. VHS 1, S 15).
Der BF2 brachte in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt ergänzend vor, dass es im Herkunftsort eine Gruppierung gegeben habe, die Menschen, darunter seine kleine Cousine mütterlicherseits, gekidnappt hätten, um sie gegen Lösegeld wieder freizulassen. Er sei dem nachgegangen und habe die Gruppierung entlarvt. Er sei dann bedroht worden, dass er damit aufhören und verschwinden solle, das habe er aber nicht getan. Daraufhin sei in seinem Haus ein „starker Explosionskörper“ explodiert, seine Tochter habe damit gespielt und sei durch die Explosion schwer verletzt worden, dies sei im März oder April 2021 gewesen. Er habe sich dennoch nicht abschrecken lassen und an Demonstrationen teilgenommen, um zu verhindern, dass die Kidnapper unbestraft in die Türkei fliehen. Ihm sei deshalb vorgeworfen worden, gegen die kurdische Regierung zu hetzen, es habe ihm ein Haftbefehl gedroht und habe er deshalb die Stadt verlassen. Zusammengefasst werde er daher von den Kidnappern, den Kurden und wegen des Reservemilitärdienstes gesucht (vgl. Akt BF2: EV BFA, AS 98 f). Er selbst sei auch wegen Demonstrationen gegen das syrische Regime im Jahr 2013 oder 2014 verhaftet und 15 Tage lang inhaftiert worden. Für seine Entlassung sei Geld bezahlt worden (vgl. Akt BF2: EV BFA, AS 100).
Zum Vorbringen der drohenden Einberufung zum (Reserve-)Militärdienst des vormaligen Regimes ist auszuführen, dass vor dem Hintergrund der Lageänderung in Syrien durch den Sturz des Regimes von Bashar Al Assad Anfang Dezember 2024 und der nunmehr bestehenden Übergangsregierung eine Verfolgung im Entscheidungszeitpunkt unwahrscheinlich ist. Die Wehrdienstpflicht wurde abgeschafft und die Rekrutierung für die neue syrische Armee erfolgt aus Freiwilligen. Auch der bisherige Geheimdienstapparat und die bisherige Militärpolizei wurden aufgelöst (vgl. LI, Version 12: 3. Politische Lage, 4. Sicherheitslage, 6. Sicherheitsbehörden, 9. Wehr- und Reservedienst). Eine zwangsweise Rekrutierung der BF ist für den Fall der Rückkehr nach Syrien daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten.
Die Feststellung, dass der BF2 den verpflichtenden Wehrdienst des ehemaligen Assad-Regimes als einfacher Rekrut vollständig abgeleistet hat und nie an Kampfhandlungen beteiligt war, beruht auf seinen glaubhaften Angaben und den Eintragungen im vorgelegten Militärbuch. Aus den aktuellen Länderinformationen geht hervor, dass der Präsident der Übergangsregierung eine strafrechtliche Verfolgung wegen Kriegsverbrechen gegen die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte angekündigt hat. Einer Quelle von Anfang Jänner 2025 zufolge sei aber unklar, wo diesbezüglich Grenzen gezogen werden und wie sich dies auf Fußsoldaten auswirke (vgl. LI, Version 12: S 140). Diese strafrechtliche Verfolgung bedeutet eine Aufarbeitung der Vergangenheit und ist zwangsläufig mit dem Aufbau des neuen Systems verbunden. Die Eröffnung von „Versöhnungszentren“ ist eines der Instrumente zu diesem Zweck, sie sind Teil eines umfassenden Prozesses (vgl. LI, Version 12: S 72). Ehemalige Militärangehörige der Syrischen Arabischen Armee können dort einen Ausweis mit dem Vermerk „desertiert“ erhalten, der besagt, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben (vgl. LI, Version 12: S 140 f). Weiteren Quellen zufolge gingen seit der Einrichtung bereits Zehntausende auf die Initiative der Versöhnungsprozesse ein, auch weil das Fehlen eines zivilen Ausweises, der unter dem Assad-Regime bei Einberufung gegen Ausstellung eines Militärausweises eingezogen wurde, im Alltag zu Schwierigkeiten führen kann (vgl. LI, Version 12: S 45 und 141). Zumal der BF2 den Wehrdienst bei der ehemaligen syrischen Armee als einfacher Rekrut abgeleistet hat, ohne an Kampfhandlungen teilgenommen zu haben, besteht aufgrund der vorliegenden Länderinformationen keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch die neuen Machthaber. Aus den vorliegenden Länderberichten lässt sich keine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit begründen; die bloße Möglichkeit einer Verfolgung genügt nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung (siehe dazu Ausführungen zur diesbezüglichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Pkt. II.3.1.2.) nicht.
Zum weiteren Beschwerdevorbringen mit Bezug zum früheren syrischen Regime, insbesondere einer Verfolgung aufgrund der illegalen Ausreise und Stellung eines Asylantrages in Österreich, die zu einer zumindest unterstellten oppositionellen Gesinnung führen würden (vgl. Akt BF1: Beschwerdeschriftsatz, AS 264; Akt BF2: Beschwerdeschriftsatz, AS 349 und 373), ist in Hinblick auf die vorigen Feststellungen und Ausführungen darauf zu verweisen, dass das vormalige Regime durch die Kontrollerlangung oppositioneller Kräfte jedwede Möglichkeit zur Ausübung hoheitlicher Gewalt eingebüßt hat. Zur Entscheidung der gegenständlichen Beschwerdeangelegenheiten bedarf es daher auch keiner über den festgestellten Sachverhalt hinausreichenden Tatsachenfeststellungen mit Bezug zu Gefahrenaspekten in Ansehung des vormaligen syrischen Regimes.
Wie die folgenden Erwägungen zeigen, stehen die BF einem Militärdienst nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, insbesondere würden sie einen solchen nicht als Ausdruck einer politischen oder religiösen Überzeugung verweigern: Der BF1 hat Syrien vor Erreichen des wehrpflichtigen Alters verlassen, er hat weder einen Einberufungsbefehl noch eine Aufforderung zur Stellung bekommen und sich daher nicht geweigert, den verpflichtenden Wehrdienst bei der ehemaligen syrischen Armee zu leisten. Er gab in seinen Einvernahmen nur allgemein an, keine Waffe tragen und nicht kämpfen zu wollen. (vgl. Akt BF1: EV BFA, AS 190) Das Regime sei kriminell und habe ihm sein Vater erzählt, dass der Militärdienst jetzt nicht mehr so sei wie früher. Jetzt sei es so, dass man gezwungen werde, eine Waffe in die Hand zu nehmen und unschuldige Menschen zu töten. Er sei nicht bereit, seine Landsleute zu töten und sei er auch gegen das Tragen einer Waffe (vgl. VHS 1, S 10). Mit diesen floskelhaften Aussagen vermochte der BF1 nicht zu überzeugen. Vielmehr entstand für den erkennenden Richter der persönliche Eindruck, dass der BF1 vorwiegend Angst vor dem Krieg und dem Risiko, durch Kampfhandlungen getötet oder verletzt zu werden hat. Dies alles ist zwar nachvollziehbar, jedoch nicht geeignet, eine Ablehnung des Wehrdienstes aus politischen oder religiösen Gründen glaubhaft zu machen und enthält dieses allgemeine Vorbringen für sich genommen keinen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, dass er den Militärdienst grundsätzlich aus politischen oder religiösen Gründen verweigern würde (siehe dazu Ausführungen zur diesbezüglichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Pkt. II.3.1.2.). Beim BF2 tritt dies noch deutlicher hervor, da er den verpflichtenden Militärdienst bei der ehemaligen syrischen Armee geleistet hat und hat er im Zuge seiner Einvernahmen vor dem Bundesverwaltungsgericht nichts vorgebracht, dass Ansätze für politische oder religiöse Gründe in Hinblick auf die Verweigerung des Reservewehrdienstes erkennen ließe.
Bezüglich einer politischen Gesinnung der BF ist auszuführen, dass der BF1 angab, weder in Syrien noch in Österreich politisch aktiv gewesen zu sein, „Ich kenne mich mit Politik auch nicht aus.“ (vgl. VHS 1, S 15). Der BF2 brachte sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor, einerseits an Demonstrationen gegen das frühere Assad-Regime teilgenommen, als auch Demonstrationen für eine Strafverfolgung der „Kidnapper“ organisiert zu haben. Wegen der Demonstrationen gegen das ehemalige Regime sei er auch 15 Tage lang in Haft gewesen (vgl. Akt BF2: EV BFA, AS 98 ff; VHS 1, S 20 f). Weder vor dem Bundesamt noch in der Beschwerde erwähnte der BF2, dass er während der Haftzeit gefoltert bzw. geschlagen oder ihm der rechte Arm gebrochen worden wäre. Befragt, wie lange er an Demonstrationen in der Stadt XXXX teilgenommen habe, gab er an: „Ja. Ca. ein Jahr, oder vielleicht länger. Ab Beginn der Demonstrationswelle bis zum Abzug des syrischen Regimes.“ und auf nochmalige Nachfrage, wann genau „Im Jahr 2013, also das gesamt Jahr.“ (vgl. VHS 1, S 21). Genauer zur Festnahme befragt gab der BF2 an (Auszug aus der VHS 1, S 24):
„BF2: Es passierte an einem Freitag. An dem Tag wurde eine Demonstration aufgerufen. Ich habe auch teilgenommen. Die Sicherheitskräfte sind auf uns losgegangen. Ich und sieben weitere Personen sind geflohen. Ich wurde am Eingang zum Markt von mehreren Sicherheitskräften umzingelt. Einer wollte mich zwingen, in das Fahrzeug einzusteigen. Ich habe mich gewehrt, es kamen weitere Sicherheitsbeamte. Sie haben mich zu Boden geworfen und meinen Arm gebrochen. Nachdem sie meinen Arm gebrochen hatten, konnten sie mich in das Fahrzeug bringen. Möchten Sie über die Zustände im Gefängnis wissen?
R: Warum wurden Sie festgenommen und wie ist das abgelaufen? Was wollten sie von Ihnen wissen?
BF2: Der Grund meiner Verhaftung war meine Teilnahme an Demonstrationen. Nachdem ich verhaftet wurde, wurde mir vorgeworfen, andere Personen durch Bestechung zum Protestieren zu bringen. Unter anderem warfen sie mir vor, 500 bis 1.000 syrische Lira an Protestierende weitergegeben zu haben. Ich hatte einen Geldbetrag bei mir, als sie mich verhaftet haben. Ich sagte ihnen, dass das mein privates Geld ist und für meinen Gebrauch ist. Sie haben mir dies aber nicht geglaubt. Danach habe ich unterschreiben müssen, dass ich das tatsächlich getan habe, aber das habe nur getan, weil sie mich sehr heftig geschlagen hatten.“
Selbst in Berücksichtigung der Länderberichte zur Korruption und willkürlichen Verhaftungen unter dem ehemaligen Assad-Regime gelangt es dem BF2 nicht, diesen Vorfall glaubhaft zu machen. Einerseits gab er an, dass er unterschreiben habe müssen, dass er andere Personen durch Bestechung zum Protestieren gebracht habe (vgl. VHS 1, S 24), andererseits sei er durch eine Geldzahlung freigekommen, obwohl das Verfahren noch aufrecht gewesen sei (vgl. VHS 1, S 20). Abgesehen davon, dass er erstmals vorbrachte, dass ihm bei der Festnahme der Arm gebrochen worden sei, schilderte er keine weiteren Eindrücke, die ein eigenes Erleben glaubwürdig erscheinen lassen würden, z. B. auch nicht, ob bzw. wie der gebrochene Arm versorgt worden sei. Der BF2 konnte mit seinem wenig detailreichen und zudem gesteigerten Vorbringen nicht glaubhaft machen, an Demonstrationen gegen das ehemalige Regime teilgenommen zu haben.
Die Feststellungen zum Dienst der Selbstverteidigungspflicht in Gebieten der DAANES beruhen auf der aktuellen Länderinformation und der einbezogenen Anfragebeantwortung von ACCORD. Den Länderinformationen zufolge sind Personen, die zwischen dem 01.01.1998 und dem 31.12.2005 geboren wurden, wehrpflichtig für den Dienst der Selbstverteidigung (vgl. LI, Version 12: S 146). Alle männlichen Bewohner werden nach Vollendung des 18. Lebensjahres im Gebiet der DAANES wehrpflichtig, sofern sie mehr als drei Jahre dauerhaft in dem Gebiet ansässig sind und die syrische Staatsbürgerschaft besitzen, wobei der zwölfmonatige Dienst bis zum 40. Lebensjahr vollendet werden muss (vgl. LI, Version 12: S 145 f). Der BF2 gehört aufgrund seines Geburtsjahrganges XXXX nicht zur Gruppe der wehrpflichtigen Männer in den Gebieten der DAANES, ihm droht daher im Falle einer hypothetischen Rückkehr weder eine Einberufung noch Zwangsrekrutierung zur Selbstverteidigungspflicht. Der BF1 fällt aufgrund seines Geburtsjahrganges XXXX in die Gruppe jener jungen Männer, die in den Gebieten der DAANES wehrpflichtig sind. Es ist daher im Falle einer hypothetischen Rückkehr aufgrund dieser Berichte unter Annahme der Beibehaltung der aktuellen Regelungen maßgeblich wahrscheinlich, dass der BF1 zur Selbstverteidigungspflicht einberufen wird.
Den aktuellen Länderberichten der Staatendokumentation (LI, Version 12: 9.1. Wehr- und Reservedienst in den Gebieten unter der Kontrolle SDF – DAANES) ist zu entnehmen, dass Wehrdienstverweigerer der kurdischen Selbstverteidigungspflicht durch die Verlängerung des Militärdienstes um ein Monat bestraft würden, nicht aber etwa durch eine Gefängnisstrafe und einer damit verbundenen Folter. Maximal kann es vor der Absolvierung des Wehrdienstes einen ein- bis zweiwöchigen Gefängnisaufenthalt geben, wobei es zu keinen Misshandlungen während der Haftzeit komme. Aus den Länderinformationen lässt sich darüber hinaus auch keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit zur Beteiligung an Kampfhandlung des BF1, Fronteinsätzen oder der Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen feststellen, da die Rekruten normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz eingesetzt werden (vgl. LI, Version 12: S 146 f). Es wird nicht verkannt, dass von einzelnen Fällen berichtet wird, bei denen Wehrpflichtige in Kampfsituationen verwickelt waren (vgl. LI, Version 12: S 147), eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Es wird nicht verkannt, dass die aktuelle ACCORD-Anfragebeantwortung vom 24.02.2025 widersprüchliche Berichte bezüglich des Heranziehens von Wehrpflichtigen zu Kampfeinsätzen enthält: Einerseits würde sich die SDF bei der Bewachung von öffentlichen Gebäuden, sowie Sicherheitszentren und Militärstützpunkten hauptsächlich auf Wehrpflichtige verlassen, andererseits werde aus Deir-ez Zor berichtetet, dass Wehrpflichtige an die Front geschickt würden. Einer weiteren Quelle zufolge würden Wehrpflichtige Gefahr laufen, in den Kampf um die Kontrolle in der Region hineingezogen zu werden (vgl. Anfragebeantwortung [a-1255-2]). Zudem ist die Kontrollsituation in der Region im Wesentlichen seit März 2025 stabil (vgl. allgemein zugänglicher Kartendienst The Carter Center). Es liegen auch keine Berichte vor, wonach Wehrpflichtige der Selbstverteidigungspflicht im Allgemeinen an die Front geschickt würden, sodass das Vorbringen nicht über eine bloße Vermutung hinausgeht. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit eines Kampfeinsatzes besteht den aktuellen Länderinformationen zufolge für den BF1 nach Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts nicht. Den zitierten Länderinformationen ist ebenso zu entnehmen, dass ein Experte berichte, arabische Wehrdienstverweigerer könnten Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt sein. Zwei weitere Quellen berichten hingegen, dass gegenüber Arabern mehr Flexibilität und Vorsicht bei der Umsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigung gezeigt werde (vgl. LI, Version 12: S 146). Gerade unter Berücksichtigung dessen, dass von einer etwaigen Andersbehandlung nicht einheitlich berichtet wird, vermag daher auch dieser Umstand nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht jenen Schweregrad zu erreichen, welcher für eine asylrelevante Verfolgung relevant wäre. Nicht zuletzt besteht für junge Männer, die nicht dienen wollen, nach den aktuellen Länderinformationen nach wie vor die Möglichkeit, alternative Wege in Betracht zu ziehen, um die Vorschriften des Gesetzes über die Selbstverteidigungspflicht zu erfüllen. Eine Möglichkeit besteht darin, drei Jahre lang bei der Verkehrspolizei zu dienen, wodurch sie sich für eine Befreiung von der Selbstverteidigungspflicht qualifizieren würden (vgl. LI, Version 12: S 148). Wie bereits zuvor ausgeführt, konnte der BF1 eine Ablehnung des Militärdienstes aus Gewissensgründen oder einer politischen Gesinnung nicht glaubhaft machen, sodass aus diesem Vorbringen heraus auch in Bezug auf den Selbstverteidigungsdienst der kurdischen Einheiten kein Konnex zu einem Konventionsgrund besteht.
Der BF2 brachte bereits vor dem Bundesamt vor, dass er daran beteiligt gewesen sei, eine Gruppierung von Entführern der Strafverfolgung zuzuführen. Konkret hätten diese seine kleine Cousine entführt, er sei dem nachgegangen und habe die Gruppierung entlarvt. Er sei dann bedroht worden, dass er verschwinden und aufhören solle. Wenige Tage später habe seine Tochter in einem „Aufbewahrungsraum“ seines Hauses mit einem Gegenstand gespielt, der dann explodiert sei, wodurch seine Tochter schwer verletzt worden sei. Dennoch habe er sich nicht abschrecken lassen und für drei Tage an Demonstrationen teilgenommen um zu verhindern, dass die Kidnapper in die Türkei flüchten wollten. Von einem Freund, der Detektiv sei, habe er dann erfahren, dass er die Stadt schnell verlassen müsse, weil ein Haftbefehl gegen ihn erlassen würde. Ihm werde vorgeworfen, gegen die kurdische Regierung zu hetzen. Am selben Tag, als er die Stadt verlassen habe, habe es eine Razzia in seinem Haus gegeben, sein Cousin sei verhaftet und zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden, dasselbe sei auch gegen ihn verhängt worden (vgl. Akt BF2: EV BFA, AS 98 f). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF2 zu diesem Fluchtvorbringen befragt und gab er an, dass er selbst eine Demonstration organisiert habe, „um ein faires Gerichtsverfahren für diese Mafia-Bande einzuleiten“. Deshalb sei ihm Verhetzung vorgeworfen worden (vgl. VHS 1, S 25). Abweichend von seinem Vorbringen vor dem Bundesamt gab er auf weitere Nachfrage an: „Nach der Straftat sind sie zu mir nachts nach Hause gekommen. Ich war bei meinem Schwiegervater. Sie sind in das Haus eingedrungen und haben einen Sprengsatz Zuhause deponiert. Als wir nach Hause gekommen sind, vom Haus meines Schwiegervaters, ist meine Tochter in das Haus rein und die Explosion hat sie erwischt. […] Ich habe die Detonation nur gehört. Ich habe sie nicht mit eigenen Augen gesehen. Diese Bombe wurde am Dachboden deponiert. Sie ist hochgegangen und wurde von der Explosion getroffen.“ (vgl. VHS 1, S 25 f). Der BF2 schilderte damit zwei verschiedene Versionen, wie es zur Explosion und der Verletzung der Tochter, die aufgrund von vorgelegten Fotos (vgl. Akt BF2: AS 121 f) und medizinischen Unterlagen (vgl. Akt BF2: Kopie samt Übersetzung in OZ 13) außer Zweifel steht, gekommen ist. Der erkennende Richter verkennt nicht, dass eine derart schwere Verletzung des eigenen Kindes und die sich daraus ergebenden Folgen für die Eltern in jeglicher Hinsicht eine erhebliche Belastung darstellt. Auch kann eine derartige Verletzung unzweifelhaft aus der Explosion eines Sprengkörpers resultieren. Dem BF2 ist es aber aufgrund der widersprüchlichen Angaben zum Vorfall nicht gelungen, eine Verbindung zwischen der Explosion, bei der seine Tochter schwer verletzt wurde, und seinem Fluchtvorbringen glaubhaft zu machen.
Der BF2 verwies auch auf ein XXXX , mit dem dokumentiert worden sei, dass er federführend an der Strafverfolgung der verbrecherischen Bande der Entführer beteiligt gewesen sei (vgl. VHS 1, S 25). Noch in der mündlichen Verhandlung wurde Einsicht in das Video genommen, die anwesende Dolmetscherin den Inhalt zusammen. Der BF2 erzählte in dem Video, dass er der Nachbar des vermissten Mädchens sei und was nach dem Zeitpunkt, in dem das Mädchen vermisst wurde, alles geschehen sei. Es seien auch Anzeigen bei den Sicherheitskräften gemacht worden. Auch der Sheik eines Familienstammes ergriff in dem Video das Wort und forderte Gerechtigkeit (vgl. VHS 1, S 26 f). Das Video zeigt lediglich, dass sich der BF2 – wie auch die andere Bevölkerung – für eine Strafverfolgung der Entführer eingesetzt hat. Aus dem Video ergab sich somit für den erkennenden Richter kein Anhaltspunkt, weshalb der BF2 vonseiten der kurdischen Verwaltung verfolgt werden sollte. Der BF2 gab auf Vorhalt dazu Folgendes an (Auszug aus der VHS 1, S 29):
„R: Ich konnte aus dem Video keine Schlüsse ableiten, warum die kurdische Verwaltung Sie verhaften will. Können Sie mir ganz konkret beschreiben, wieso Sie wegen diesem Video Probleme mit den Kurden bekommen sollen?
BF2: Ich habe eigentlich nichts gegen die Kurden protestiert. Ich habe diesen Protest organisiert und gemacht, weil ich ein Gerichtsverfahren haben wollte, weil diese Bande für diese Tat bestraft werden wollte. Nur hat diese Bande Macht im Ort. Sie hat auch Verbindungen, das haben sie ausgenutzt, um die kurdischen Behörden gegen mich zu mobilisieren. Die Kurden sprachen dann von Verhetzung.
R: Ich konnte keinerlei Hetze gegen die Kurden aus diesem Video erkennen. Wieso sollte dann ein Cousin deswegen für fünf Jahre inhaftiert worden seien?
BF2: Ja, das stimmt. Es gab ja auch keine Verhetzung. Das wurde mir vorgeworfen und dieser Vorwurf hat dazu geführt, dass mein Cousin eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren bekommen hat. Es war nicht nur Verhetzung. Mir wurde vorgeworfen, Unruhe in der Bevölkerung zu stiften. Es ist natürlich auch die Angst, dass sich jemand gegen sie wendet und ihre Macht in Frage stellt. Es ist auch so, dass Geld dort eine große Rolle spielt. Es sind bestimmt große Summen an die Menschen gegangen, innerhalb der Behörde, um die Verhaftung in die Wege zu leiten.“
Dem BF2 ist es mit diesem Vorbringen nicht gelungen, eine Verfolgung durch die Kurden bzw. einer „Entführungsmafia“ glaubhaft zu machen, vor allem, weil seine Familie, sowohl seine Ehefrau und die Kinder, als auch seine Eltern und Schwiegereltern alle in XXXX leben können und der BF2 auch auf Nachfrage, ob es zusätzlich zu den medizinischen Problemen der Tochter anderweitige Probleme gebe, von denen die Familie ihm erzähle, antwortete: „Es gibt keine anderen Probleme.“ Er habe aber Angst davor, dass seine Familie gekidnappt werde (vgl. Akt BF2: VHS 3, S 7). Er gab nur pauschal an, dass die Situation „noch chaotischer“ geworden sei, die „Mafia-Gruppe“ sei nun noch aktiver als früher. Die Behörden würden keine Maßnahmen ergreifen. Vor kurzem sei ein Dieb im Haus seines Vaters erwischt worden, die Behörden hätten aber nichts dagegen unternehmen können und würden die Täter davonkommen lassen (vgl. Akt BF2: VHS 3, S 7 f). Auf Nachfrage gab der BF2 an, dass sein Schwiegervater zwar ein relativ gutes Verhältnis zu den Kurden habe und eine einflussreiche Person sei (vgl. Akt BF2: VHS 3, S 8 und 10). Dennoch könne er den BF2 und die Familie nicht schützen, weil er sich nicht in die Politik einmischen könne. Er könne nur ein Problem lösen, z. B. wenn es eine Auseinandersetzung zwischen zwei Stämmen gebe (vgl. Akt BF2: VHS 3, S 10). Dieses Vorbringen erscheint insbesondere in Hinblick darauf, dass die Familie des BF2 ohne Probleme in XXXX leben kann, nicht glaubhaft. Der BF2 brachte nicht vor, dass seine Familie nach seiner Ausreise bedroht worden wäre, eine Verfolgung durch eine „Mafia-Bande“ erscheint daher nicht maßgeblich wahrscheinlich. Wie bereits zuvor ausgeführt, konnte in seinem Vorbringen unter Berücksichtigung des Videos auch kein Anhaltspunkt für eine Verfolgung durch die kurdische Verwaltung erkannt werden. Dem BF2 ist es daher nicht gelungen, mit seinem Vorbringen eine Verfolgung durch eine „Mafia“ bzw. die kurdische Verwaltung und eine drohende Inhaftierung wegen Verhetzung glaubhaft zu machen, dies gilt auch für die behauptete Verurteilung seines Cousins. Da dem BF2 dieses Fluchtvorbringen nicht geglaubt wird, besteht für den BF1 auch keine Gefahr einer Reflexverfolgung.
Zusammengefasst haben die BF bislang kein Verhalten gesetzt, weshalb ihnen von den kurdischen Kräften eine oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellt werden sollte. Auch der BF1 konnte mit seinen allgemein gehaltenen Floskeln, die Kurden seien für ihn Verbrecher und außerdem würden die Kurden Araber hassen (vgl. Akt BF1: VHS 2, S 8), keine oppositionelle Gesinnung gegenüber den Kurden glaubhaft machen, die mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung führen würde. In einer Gesamtbetrachtung besteht daher nach Ansicht des erkennenden Richters für die BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine reale Gefahr einer Verfolgung wegen einer (unterstellten) oppositionellen Gesinnung durch die kurdischen Kräfte.
Die BF haben im Verfahren auch kein Vorbringen dahingehend erstattet, dass sie aus irgendeinem Grund von anderen Konfliktparteien, insbesondere der ehemaligen HTS, als oppositionell angesehen werden könnten oder dass sie in deren Blickfeld geraten wären, sodass ihnen eine oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellt werden könnte (vgl. VHS 1, S 10 und 24).
Die BF haben in Syrien keine Straftaten begangen und wurden nie verhaftet. Die vorgebrachten Probleme von Familienmitgliedern beziehen sich entweder auf das ehemalige Assad-Regime (vgl. VHS 1, S 12, 16 und 20 f) und besteht in diesem Zusammenhang aufgrund des Machtumbruchs keine aktuelle Verfolgungsgefahr, oder stehen in Zusammenhang mit dem nicht als glaubhaft erachteten Fluchtvorbringen des BF2 betreffend die ihm und dem Cousin vorgeworfene Verhetzung gegen die Kurden bzw. eine deshalb (unterstellte) oppositionelle Gesinnung. Die BF haben eine ablehnende Haltung gegenüber der HTS oder den Kurden im Verfahren somit weder ausreichend substantiiert vorgebracht, noch haben sie je Handlungen gesetzt, die eine solche, verinnerlichte Einstellung erkennen ließen. Es besteht demnach keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass ihnen im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr von der nunmehrigen Übergangsregierung oder einer anderen vormals oppositionellen Gruppierung eine politisch gegnerische Gesinnung unterstellt wird und sie deshalb der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt wären. Der BF2 brachte am Schluss der mündlichen Verhandlung noch Folgendes vor: „Im Falle einer Rückkehr kann ich nicht ausschließen, dass ich zurück nach XXXX kehren kann und darf. Ich könnte zurück in das Gebiet wo die neue Übergangsregierung die Macht hat. Das ist aber auch nicht möglich. Weil der neue Machthaber ist Extremist. Die Extremisten schreiben Frauen vor, wie sie sich kleiden und wie sie auf der Straße gehen.“ (vgl. Akt BF2: VHS 3, S 10). Einerseits ist aufgrund der Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens und der vorangegangenen Beweiswürdigung nicht nachvollziehbar, weshalb er nicht in seine Herkunftsregion zurückkehren können bzw. dürfen sollte und er sich in einem Gebiet der neuen Übergangsregierung ansiedeln müsste. Abgesehen davon finden die angeblichen Vorschriften betreffend Frauen in Syrien keine Deckung in den Länderberichten (vgl. LI, Version 12: S 209 ff; EUAA, Country Focus, Pkt. 2.6.); dem aktuellsten Länderbericht vom Juli 2025 zufolge stellte die Regierung zuletzt klar, dass die Anweisungen nur als Leitlinie gedacht sind und bei Nichteinhaltung keine rechtlichen Sanktionen verhängt würden (vgl. EUAA, Country Fokus, Pkt. 1.5.). Eine Verfolgung, deren Gründe in der Genfer Flüchtlingskonvention gelegen wären und die einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien entgegenstehen könnten, wurden mit diesem Vorbringen nicht dargetan.
Zusammengefasst konnten die BF weder durch die Beschwerden, noch durch ihr persönliches Vorbringen in den Einvernahmen vor dem BFA und in den mündlichen Verhandlungen eine drohende Verfolgung in Syrien glaubhaft machen.
Im Verfahren sind auch keine Hinweise hervorgekommen, aus denen sich eine Bedrohung oder Verfolgung der BF aus einem sonstigen Grund ergeben könnte. Somit steht fest, dass die BF im Fall einer Rückkehr nach Syrien aus Gründen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, ihrer Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter keiner konkreten Gefährdung oder Bedrohung ausgesetzt sind.
2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den aktuellen Länderinformationen zu Syrien, insbesondere auf der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA zu Syrien, Version 12 vom 08.05.2025, den Berichten der EUAA, Syria: Country Focus vom März 2025 und Interim Country Guidance: Syria vom Juni 2025 sowie den ACCORD-Anfragebeantwortungen zu Syrien [a-12555-2] vom 24.02.2025 und [a-12592-v2] vom 21.03.2025. Es handelt sich um Berichte anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der entscheidungswesentlichen Situation in Syrien ergeben. Angesichts der Seriosität der Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben und an ihrer Aktualität zu zweifeln und wurde den herangezogenen Berichten nicht substantiiert entgegengetreten. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass deren Heranziehung zur Beurteilung des Vorbringens der BF in Zusammenhang mit dem ehemaligen Assad-Regime erforderlich war.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten :
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2011/95/EU (in der Folge: Status-RL) verweist).
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN). Auf den Entscheidungszeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 18.03.2021, Ra 2020/18/0450, mwN).
Der VwGH hat auch ausgesprochen, dass die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden grundsätzlich daran zu messen ist, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die revisionswerbenden Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0126, mwN).
3.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der BF, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:
Die von den BF bislang angegebene Furcht vor Verfolgung durch die Assad-Regierung stellt keine „begründete Furcht vor Verfolgung“ dar, da es an der maßgeblichen Verfolgungswahrscheinlichkeit in Sinne der oben angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes mangelt. Denn die Assad-Regierung ist in Syrien nicht mehr an der Macht, auch die Herkunftsregion der BF und die Rückkehrwege dorthin sind der Kontrolle der Assad-Regierung entzogen. Diese ist nicht in der Lage, auf die BF zu greifen, und zwar auch dann nicht, wenn ein Verfolgungsinteresse der Assad-Regierung zu bejahen gewesen wäre. Denn von der maßgeblichen Gefahr einer Verfolgung ist nicht auszugehen, wenn der Verfolger keinen Zugriff auf die betroffene Person hat (vgl. VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055). Da in Syrien auch keine Wehrpflicht mehr besteht und die bisherige Militärpolizei und der bisherige Geheimdienstapparat der Assad-Regierung aufgelöst wurden, ist es auch insofern nicht wahrscheinlich, dass die BF von Verfolgungshandlungen seitens der Assad-Regierung und ihrer Organe betroffen ist. Die BF haben keine Umstände dargelegt, die eine andere Sichtweise nahelegen würden.
Bezüglich der neuen Machthaber ist auszuführen, dass die BF eigene Probleme mit den neuen Machthabern in Syrien in der Vergangenheit nicht behauptet haben. Die BF waren bzw. sind nicht (exilpolitisch) gegen die neue syrische Regierung bzw. die ehemalige HTS (oder andere Gruppierungen) tätig. Die BF sind bisher nicht in das Blickfeld der neuen syrischen Machthaber geraten und es gibt keine konkreten Hinweise, dass dies im Falle einer Rückkehr der BF nach Syrien der Fall sein wird. Eine den BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung im Sinne der oben dargestellten Judikatur ergibt sich daraus jedenfalls nicht.
Wie zuvor festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt ist es dem BF2 auch nicht gelungen, eine Verfolgung durch eine „Mafia“ bzw. Gruppierung, die Entführungen zu verantworten haben soll, und eine damit in Zusammenhang stehende Verfolgung durch die kurdische Verwaltung glaubhaft zu machen. Infolge ergibt sich aus diesem Vorbringen auch keine Gefahr einer Reflexverfolgung für den BF1.
Eine individuelle Bedrohung der BF durch die kurdischen Kräfte aus Gründen des Art. 10 Statusrichtlinie ist im gegebenen Zusammenhang nicht zu erkennen, als subsidiär Schutzberechtigte haben die BF keine konkreten Integritäts- oder Lebensgefahren zu gewärtigen. Dass die Eingliederung kurdischer Militärkräfte in ein militärisches Gesamtgefüge des syrischen Zentralstaates Auswirkungen auf die individuelle Verfolgungssituation der BF zu zeitigen vermochte, ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht zu erkennen.
Wie zuvor festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, geht das Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall des BF2 davon aus, dass dieser aufgrund seines Geburtsjahrgangs nicht mehr wehrpflichtig für die Selbstverteidigungspflicht ist. Für den konkreten Fall des BF1 geht das Bundesverwaltungsgericht hingegen davon aus, dass dieser im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach der geltenden Rechtslage wehrpflichtig für den Dienst der Selbstverteidigungspflicht ist. Für den Fall einer Einziehung zum Selbstverteidigungsdienst der kurdischen Kräfte ist auf die Rechtsprechung des VwGH zu verweisen, wonach von der - nicht asylrelevanten - Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei jene Verfolgung zu unterscheiden ist, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht an. Entscheidend ist daher, mit welchen Reaktionen durch die Milizen der Betroffene auf Grund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen müsste und ob in seinem Verhalten eine - sei es auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (vgl. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0079, Rn. 15, mwN; VfGH 25.02.2019, E 4032/2018, Pkt. 3.3. betreffend Zwangsrekrutierung durch die Taliban in Afghanistan).
Allerdings würde dem BF1 selbst unter hypothetischer Annahme seiner Einberufung und anschließenden Weigerung keine oppositionelle politische Gesinnung durch kurdische Behörden unterstellt. Der BF1 wäre aufgrund einer Weigerung auch keiner exzessiven Bestrafung ausgesetzt und würde nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an die Front eingesetzt werden. Daran ändert auch nichts, dass der BF1 zur Volksgruppe der Araber gehört. Passend dazu führte der VwGH auch aus, dass kein allgemeines Verfolgungsrisiko für ethnische Araber besteht, die der Wehrdienst in den SDF/YPG ablehnen (vgl. VwGH 29.02.2024, Ra 2024/18/0043). In diesem Kontext sind auch in Berücksichtigung der aktuellen Lage und der Länderberichte keine Hinweise hervorgekommen, dass dem BF1 mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wegen der (allfälligen) Wehrdienstverweigerung in Kombination mit seiner Volksgruppenzugehörigkeit eine Verbindung zu oppositionellen Gruppen unterstellt würde, die in Gegnerschaft zu den kurdischen Machthabern stehen.
Die für die Asylanerkennung geforderte „maßgebliche Wahrscheinlichkeit“ der Verfolgung im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt nicht vor. Es bestehen keine konkreten, überzeugenden Hinweise, dass die BF (nicht nur möglicherweise, sondern) mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen im Herkunftsstaat betroffen sind (vgl. etwa zuletzt VwGH 24.04.2024, Ra 2024/20/0111). Die im Entscheidungszeitpunkt zu erstellende Prognose über die Situation der BF im Herkunftsstaat ergibt, dass sie gegenwärtig mit keiner maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen erheblicher Intensität in ihrem Herkunftsstaat rechnen müssen. Bei Berücksichtigung der Gesamtsituation der BF (zum Erfordernis einer Gesamtbetrachtung vgl. etwa VwGH 27.04.2006, 2003/20/0181) kann deren Furcht vor einer Verfolgung in Syrien nicht als „wohlbegründet“ im Sinne der GFK angesehen werden.
Bezüglich der problematischen, insbesondere von Kriminalität, Gesetzlosigkeit, konfessioneller Gewalt sowie Tötungen geprägten Sicherheitslage und der prekären Versorgungslage in Syrien bzw. im Herkunftsgebiet der BF ist eine individuelle Gefährdung der BF aus den Verfolgungsgründen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw. Art. 10 Statusrichtlinie nicht ersichtlich, dies wurde von den BF auch nicht konkret dargetan. Ein auf die BF konkret bezogenes, über die allgemein schlechte Lage in Syrien hinausgehendes und damit zumindest vordergründig asylrelevantes Substrat ist dem Vorbringen der BF nicht zu entnehmen. Ein aus Willkür und der allgemeinen Sicherheitslage resultierendes Gefahrenpotenzial findet vollumfängliche Abdeckung in der rechtskräftigen Zuerkennung subsidiären Schutzes. Die hinter dem (nachvollziehbaren) Wunsch, in Frieden und Sicherheit leben zu wollen, stehenden Ursachen, die mit dem Fluchtvorbringen in Verbindung gebracht wurden, lassen sich nicht im Rahmen der Art. 9 und 10 der Statusrichtlinie abbilden. Fehlt aber ein kausaler Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen, kommt die Asylgewährung nicht in Betracht (vgl. VwGH 26.7.2022, Ra 2022/20/0023, mwN).
3.1.3. Zur Entscheidungsreife der gegenständlichen Rechtssache ist auszuführen, dass es gemäß § 37 AVG Zweck des Ermittlungsverfahrens ist, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach § 39 Abs. 2 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG hat das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes amtswegig vorzugehen, einen zentralen Bestandteil der asylrechtlichen Ermittlungstätigkeit bildet gemäß Art. 4 Abs. 3 lit. a der Statusrichtlinie die Berücksichtigung aller mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden (vgl. auch § 18 Abs. 1 AsylG).
Das Bundesverwaltungsgericht hat die BF umfassend gehört und die eingetretenen Veränderungen im Herkunftsstaat zur Kenntnis genommen. Es hat die zur Verfügung stehenden, die aktuelle Lage im Herkunftsstaat wiederspiegelnden Beweismittel in das Verfahren eingebracht und berücksichtigend verwertet.
Entsprechend den oben getätigten Ausführungen ist es den BF nicht gelungen, darzutun, dass ihnen im Herkunftsstaat Syrien asylrelevante Verfolgung droht, weshalb die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der jeweils angefochtenen Bescheide gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen waren.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Frage, ob eine aktuelle Verfolgungsgefahr vorliegt, ist eine Entscheidung im Einzelfall, die grundsätzlich nicht revisibel ist (vgl. VwGH 11.10.2024, Ra 2024/20/0580, mwN). Die Entscheidung in der vorliegenden Rechtssache hing im Wesentlichen von der Beurteilung sich aus den Länderberichten ergebender allgemeiner Gefahrenpotentiale, der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens sowie der Gründe der vorgebrachten Wehrdienstverweigerung – und somit von Tatsachenfragen – ab. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten im Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des BVwG auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.