JudikaturVwGhRa 2024/18/0043

Ra 2024/18/0043 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. Februar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und die Hofräte Dr. Sutter und Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des M A, vertreten durch Mag. Ralf Niederhammer und Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 2023, L532 2276427 1/6E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger arabischer Volksgruppenzugehörigkeit, stellte am 30. August 2022 als damals 15 jähriger einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu dessen Begründung brachte er vor, Syrien aus Angst vor dem Krieg, vor dem Militärdienst und vor Zwangsrekrutierung durch die Kurden verlassen zu haben.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Juli 2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 3 B VG nicht zulässig sei.

4 Das BVwG führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dem Revisionswerber drohe in seiner Herkunftsregion einem Gebiet unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) mangels Kontroll und Zugriffsmöglichkeiten des syrischen Regimes nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, zum Militärdienst in der syrischen Armee einberufen zu werden. Auch durch andere Gruppen oder Milizen, insbesondere kurdische Kräfte, drohe ihm im Falle einer Rückkehr keine Einziehung zum Militärdienst und auch keine sonstige asylrelevante Verfolgung. Ihm sei eine Einreise in seine Herkunftsregion über den Grenzübergang Semalka möglich, ohne in Kontakt mit den Sicherheitskräften der syrischen Regierung zu kommen.

5 Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision bringt vor, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob für die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten an einen Asylwerber, der in seiner Herkunftsregion keiner asylrelevanten Verfolgung unterläge (was im Übrigen bestritten wird, vgl. unten), die vom BVwG angenommene „grundsätzliche Möglichkeit der Einreise“ des Asylwerbers in seine Herkunftsregion über „einen sich in Betrieb befindlichen, allerdings vom Transit und Herkunftsstaat nicht anerkannten Grenzübergang“ ausreiche oder es darauf ankomme, dass die Rückkehr „legal zu erfolgen hat und auch tatsächlich möglich ist“; tatsächlich sei der Grenzübergang Semalka weder vom Irak noch von Syrien offiziell anerkannt und dem Revisionswerber der Grenzübertritt auch nicht möglich, weil er nicht über die (einem vom BVwG nicht ins Verfahren eingeführten Länderbericht zufolge) notwendigen Papiere verfüge. Außerdem beruhe die Annahme, dem Revisionswerber drohe in seiner kurdisch kontrollierten Herkunftsregion insbesondere im Fall der Weigerung, der dort geltenden „Selbstverteidigungspflicht“ nachzukommen, keine asylrelevante Verfolgung, auf einer mangelhaften Beweiswürdigung; dem Revisionswerber würde nämlich in diesem Fall auch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie seiner Herkunft aus einem ehemals vom IS kontrollierten Gebiet eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die Revision ist zur ergänzenden Klarstellung der Rechtslage mit Blick auf das hg. Erkenntnis vom 4. Juli 2023, Ra 2023/18/0108, zulässig.

7 Sie ist jedoch nicht begründet.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem angesprochenen Erkenntnis ausgeführt, dass die Behauptung, der Revisionswerber habe infolge einer (hypothetischen) Rückkehr beim Grenzübertritt asylrelevante Verfolgung zu erwarten, ehe er überhaupt in seine Herkunftsregion gelangen werde, im Zusammenhang mit der Beurteilung der Frage der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht ungeprüft bleiben darf (vgl. Rz 23 ff, mwN).

9 Ein solcher Vorwurf kann dem BVwG jedoch im gegenständlichen Fall nicht gemacht werden, hat es doch ausführlich dargestellt, dass dem Revisionswerber für die Einreise in das kurdisch dominierte Gebiet in Nord und Ostsyrien ein Grenzübergang zur Verfügung steht, der vom syrischen Regime nicht kontrolliert wird. Dabei gestand das BVwG zu, dass dieser Grenzübergang nach den vorhandenen Länderberichten nicht permanent offenstehe und sein Passieren durch bürokratische Hürden erschwert werde. Allerdings ändere das nichts „an der grundsätzlichen Durchlässigkeit“ dieses Übergangs.

10 Wenn die Revision einen weiteren Länderbericht zu dieser Thematik anspricht, den das BVwG nicht verwertet habe, zeigt sie damit schon deshalb keinen relevanten Verfahrensmangel auf, weil sich diesem Bericht auch nach dem Revisionsvorbringen im Ergebnis nicht entnehmen lässt, dass ein dortiger Grenzübertritt für den Revisionswerber wenn auch aufwendig nicht in Betracht käme.

11 Ein dem Revisionsvorbringen vergleichbarer Einwand, die einzig legale Einreise nach Syrien müsse über den Flughafen Damaskus erfolgen, wurde vom Verwaltungsgerichtshof wenn auch nur in einer Revisionszurückweisung als ungeeignet angesehen, um eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung darzutun (VwGH 9.3.2023, Ra 2022/20/0211). Ergänzend ist dazu auszuführen, dass es aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf ankommen kann, ob die Einreise in einen verfolgungssicheren Landesteil aus der Sicht des potentiellen Verfolgers (hier: des syrischen Regimes) legal stattfindet, sondern nur, ob die den Grenzübergang beherrschenden Autoritäten eine Einreise in das sichere Gebiet zulassen.

12 Die Feststellung des BVwG, der Revisionswerber könne einer Rekrutierung durch die syrische Armee durch Rückkehr in seine Heimatregion entgehen, ist im Lichte dessen nicht zu beanstanden. Auf die weitere, in der Revision aufgeworfene Frage, ob ihm bei Kontakt mit den syrischen Behörden eine gegen das syrische Regime gerichtete politische Überzeugung unterstellt würde, kommt es deshalb nicht an.

13 Zum weiteren Fluchtvorbringen des Revisionswerbers (asylrelevante Verfolgung durch die kurdischen Truppen wegen seiner Weigerung, für sie zu kämpfen) stützte sich das BVwG tragend darauf, dass dem Revisionswerber im Falle der Weigerung, für die kurdischen Truppen zu kämpfen, keine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde und daher keine Verknüpfung mit einem Konventions bzw. Verfolgungsgrund vorliege. Insbesondere lasse sich den Länderberichten nicht entnehmen, dass der Volksgruppe der Araber angehörende Personen, die den Militärdienst verweigern, anders behandelt würden.

14 Dem hält die Revision entgegen, dass der UNHCR in seinen „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom März 2021 von schwerwiegenden Menschenrechtsverstößen durch die SDF gegen Personen aufgrund ihres arabisch ethnischen Hintergrunds und (unterstellter) Verbindungen zu oppositionellen Gruppen berichte. Die EUAA halte im Bericht „Syria: Targeting of Individuals“ vom September 2022 fest, dass es sich in vielen gemeldeten Fällen von Repression, Inhaftierung und gewaltsamen Verschwindenlassens von Kritikern der kurdisch geführten Autonomieverwaltung oder der SDF um ethnische Araber gehandelt habe.

15 Mit diesem Vorbringen legt die Revision deshalb keinen relevanten Ermittlungs- und Begründungsmangel dar, weil den angesprochenen Berichten des UNHCR und der EUAA, wie die Revision selbst zugesteht, zwar die Notwendigkeit einer Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalls, nicht aber ein allgemeines Verfolgungsrisiko für ethnische Araber, die den Wehrdienst in den SDF ablehnen, zu entnehmen ist. Dass dem Revisionswerber, der zwar ethnischer Araber ist, Syrien aber bereits in minderjährigem Alter verlassen hat, wegen der Wehrdienstverweigerung in Kombination mit seiner Volksgruppenzugehörigkeit eine Verbindung zu oppositionellen Gruppen unterstellt würde, die in Gegnerschaft zu den kurdischen Machthabern stehen, vermag die Revision nicht darzutun.

16 Da somit bereits der Inhalt der Revision erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 29. Februar 2024

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