JudikaturBVwG

W299 2289824-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
23. April 2025

Spruch

W299 2289824-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Elisabeth NEUHOLD über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen - BBU GmbH, 1020 Wien, Leopold-Moses-Gasse 4, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.02.2024 Zl. 1362851206/231464778, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.03.2025, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 29.07.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 30.07.2023 fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache die Erstbefragung des Beschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er Syrien aufgrund des zu leistenden Militärdienstes und der vorherrschenden Probleme verlassen habe. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor dem Krieg.

3. Am 04.12.2023 erfolgte vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache. Auf die Frage nach seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er Syrien verlassen habe, weil er nicht für das Regime kämpfen wolle. Würde er zum Militär eingezogen, müsste er entweder selbst Menschen töten oder würde getötet werden. Im Mai 2016 sei das Regime zweimal zu ihm nach Hause gekommen. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben, zumal es in Syrien keine Sicherheit gebe und viele Luftangriffe stattgefunden hätten.

Weiters sei er im Jahr 2021 in XXXX von einer Gruppierung geschlagen worden, weil er sich den Bart abrasiert habe. Man habe ihm damals nachgesagt, dass er das nicht dürfe.

Im Rahmen seiner Einvernahme legte der Beschwerdeführer dem BFA eine Kopie seines Militärbuches, seines Personalausweises, der türkischen Kimlik seiner Tochter, seiner Schulzeugnisse sowie Fotos seiner Familie vor. Darüber hinaus übermittelte er Bildmaterial eines Luftangriffs auf seine Herkunftsregion aus dem Jahr 2019 sowie eine Kopie des unvollständigen Familienbuches seiner Ehefrau.

4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 01.02.2024 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde seitens des BFA im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer weder politische noch religiöse Überzeugungen vorbrachte, die eine Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung durch das syrische Regime vermuten ließen. Vielmehr habe er Syrien im Jahr 2022 aufgrund des Krieges und der Befürchtung, zum Militärdienst eingezogen zu werden, verlassen. Zudem werde nicht jedem Wehrdienstverweigerer automatisch eine oppositionelle Gesinnung unterstellt, weshalb die alleinige Entziehung vom Militärdienst in Syrien durch Flucht ins Ausland laut BFA im vorliegenden Fall keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlich relevanten Verfolgung durch den syrischen Staat begründe. Weiters bestehe für den Beschwerdeführer die Möglichkeit, sich vom Militärdienst freizukaufen.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, den verpflichtenden Militärdienst bislang nicht abgeleistet und diesen verweigert zu haben. Aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung sowie seiner Herkunft aus einem ehemals von oppositionellen Kräften kontrollierten Gebiet werde ihm von Seiten der syrischen Regierung eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien drohe ihm daher die Verhaftung an einem Grenzkontrollpunkt sowie die zwangsweise Einziehung zum Militärdienst, in dessen Rahmen er zur Beteiligung an Handlungen gezwungen werden könnte, die mit Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht und das Völkerstrafrecht einhergingen.

Darüber hinaus sei er durch seine illegale Ausreise und die Asylantragstellung im Ausland bei einer Rückkehr von Repressionen durch das syrische Regime bedroht.

Zudem schilderte der Beschwerdeführer, in XXXX von Kämpfern der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS, vormals Al-Nusra) geschlagen und gefoltert worden zu sein, nachdem er sich seinen Bart abrasiert habe.

6. Die belangte Behörde legte die Beschwerde am 04.04.2024 dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo diese samt Verwaltungsakten am 08.04.2024 einlangten.

7. Aufgrund der Unzuständigkeitsanzeige vom 11.04.2024 wurde die gegenständliche Rechtssache der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

8. Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts fand am 13.03.2025 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die arabische Sprache sowie der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung statt. Das BFA gab mit Schreiben vom 19.02.2025 die Nichtteilnahme an der Verhandlung bekannt. In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Lebensumständen in Syrien, seinen Fluchtgründen sowie zu seiner Situation im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befragt.

In der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer ein Konvolut an Integrationsdokumenten vor, darunter eine Zeitbestätigung über seine ehrenamtliche Tätigkeit im Rahmen des Hochwassereinsatzes beim Wiener Roten Kreuz, eine Dankes- und Anerkennungskarte der Freien Syrischen Gemeinde für den Hochwassereinsatz, Fotos des Beschwerdeführers während des Hochwassereinsatzes sowie Bestätigungen des ÖIF, insbesondere die Teilnahmebestätigungen für den Werte- und Orientierungskurs, den Alphabetisierungskurs sowie die A1- und A2-Sprachkurse. Diese Dokumente wurden als Anlage ./A zum Akt genommen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 13.03.2025 wurden weitere Länderberichte in das Verfahren eingebracht, allen voran die Anfragebeantwortung zur „Änderung des Gesetztes zur Selbstverteidigungspflicht in der Demokratischen Autonomieverwaltung Nord-und Ostsyrien (DAANES) aufgrund der Kämpfe zwischen den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und der Syrischen Nationalarmee (SNA); Änderungen der Strafen; Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht im kurdisch kontrollierten Teil von Deir-ez Zor, auch gegenüber Arabern; Intensivierung von Rekrutierungsbemühungen; Mobilisierung von Selbstverteidigungs-Einheiten und Heranziehen von Wehrpflichtigen zu Kampfeinsätzen; Aktueller Meinungsstande zur Verweigerung der Selbstverteidigungspflicht durch Araber [a-12555-2]“ vom 24. Februar 2025 und ein ORF Auszug zum Thema „Syriens Führung einigt sich mit Kurden im Nordosten“ als Anlage ./B zum Akt genommen. Dem Beschwerdeführer wurde eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme eingeräumt.

9. Mit Schreiben vom 25.03.2025 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme. Daraus ergibt sich im Wesentlichen, dass auch kurdische Kräfte in Nordsyrien – insbesondere in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers – verstärkt Männer für den Kampf gegen die Syrian National Army (SNA) rekrutieren würden. Der Beschwerdeführer werde zudem, auch nach dem Sturz des syrischen Regimes, aufgrund seiner grundsätzlichen Ablehnung jeglichen Militärdienstes als oppositionell eingestuft.

10. Mit Schreiben vom 28.03.2025 wurden der Bericht der EUAA Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025 sowie zwei Anfragebeantwortungen im Zuge des Parteiengehörs an die Parteien übermittelt, wobei eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme eingeräumt wurde. Eine gesonderte Stellungnahme hierzu wurde nicht erstattet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und wurde am XXXX geboren. Er ist Staatsangehöriger Syriens, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

Seine Erstsprache ist Arabisch, welches er in Wort und Schrift beherrscht. Weiters verfügt der Beschwerdeführer über Sprachkenntnisse in Türkisch und Deutsch.

1.1.2. Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX geboren und wuchs dort im Familienverband auf. Der Vater bestritt den Lebensunterhalt der Familie durch seine Tätigkeit als Fleischhauer.

Anfang Jänner 2016 begab sich der Beschwerdeführer aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen rund um XXXX nach XXXX , wo er bis Anfang 2022 in verschiedenen Flüchtlingscamps lebte.

Anfang 2022 verließ der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat in Richtung Türkei, konkret in die Stadt XXXX , wo er sich bis Sommer 2023 aufhielt.

1.1.3. In Syrien besuchte der Beschwerdeführer neun Jahre lang die Grundschule. Im Jugendalter war er als Fleischhauer bei seinem Vater tätig. Weiters besuchte er in Syrien ein Jahr lang das Gymnasium und drei Jahre die Gewerbeschule in XXXX , wo er eine Ausbildung zum Elektriker absolvierte. In der Türkei war er als Schuhfabrikarbeiter tätig.

1.1.4. Der Beschwerdeführer ist nach islamischem Ritus traditionell verheiratet und hat eine minderjährige Tochter und einen minderjährigen Sohn, die in der Türkei geboren sind.

Seine Eltern, zwei seiner Brüder XXXX sowie seine zwei Schwestern leben nach wie vor im Heimatdorf in Syrien. In der Türkei halten sich seine Ehefrau, die minderjährige Tochter, der minderjährige Sohn und ein weiterer volljähriger Bruder XXXX .

In Österreich leben zwei volljährige Brüder, XXXX und XXXX , seine mit ihm aus der Türkei mitgereiste Schwester XXXX und ein Onkel.

Der Beschwerdeführer steht wöchentlich in Kontakt mit seinen Angehörigen in Syrien.

1.1.5. Über Griechenland, Nordmazedonien, Serbien und Ungarn reiste der Beschwerdeführer von der Türkei aus unter Umgehung der Grenzkontrollen und schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 29.07.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid des BFA vom 01.02.2024 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

1.1.6. In Österreich ist der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten. Er leidet unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ist arbeitsfähig.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Herkunftsort des Beschwerdeführers, XXXX im Gouvernement XXXX befindet sich unter ausschließlicher Kontrolle der HTS.

Nach dem Sturz des Regimes unter Baschar al-Assad hat das Regime keine Zugriffsmöglichkeit auf die Herkunftsregion des Beschwerdeführers.

1.2.2. In Syrien bestand beim syrischen Regime unter Baschar al-Assad ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren.

Der Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt 29 Jahre alt, hat den staatlichen Militärdienst bei der (vormaligen) syrischen Armee nicht abgeleistet und war von diesem auch nicht befreit. Er wurde im Alter von 18 Jahren einer Musterung unterzogen, für den Wehrdienst tauglich erklärt und ließ sich ein Militärbuch ausstellen. Aufgrund seiner damaligen Gewerbeschulausbildung erhielt er für die Jahre 2014 und 2015 einen Aufschub, der bis zum 15.03.2016 gültig war. Die Herrschaft Baschar al-Assads ist Anfang Dezember 2024 im Zuge einer monatelang vorbereiteten Offensive unter Führung der oppsotionellen „Hay´at Tahrir ash-Sham“ (HTS) binnen weniger Tage zusammengebrochen; Baschar al-Assad ist mit seiner Familie nach Russland geflohen; die syrische Armee und der Geheimdienst wurden von der HTS nach der Machtübernahme aufgelöst (vgl. hierzu die Feststellungen unter Punkt II.1.3.2. sowie unter II.1.3.5.).

Der Beschwerdeführer kann nicht mehr vom vormaligen syrischen Regime zum Wehrdienst eingezogen werden. Ebenso ist die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr einer sonstigen, konkret und gezielt gegen seine Person gerichteten Verfolgung durch das vormalige Regime nicht gegeben.

Dem Beschwerdeführer droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung auf Grund seiner Herkunft, seiner Familienzugehörigkeit, seines Aufenthaltes in oppositionellen Gebieten, der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland oder aus sonstigen Gründen durch das vormalige syrische Regime.

Im Falle einer Rückkehr ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der BF durch Anhänger des vormaligen syrischen Regimes Verfolgung zu gewärtigen hat.

1.2.3. Für den Beschwerdeführer besteht auch keine konkrete Gefahr, von der derzeit herrschenden HTS zwangsrekrutiert zu werden. In seiner Herkunftsregion hatte er keinerlei Probleme mit der HTS und auch keine körperliche Gewalt durch diese erfahren.

1.2.4. Ebenso besteht für den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Syrien keine Gefahr, zur kurdischen „Selbstverteidigungspflicht“ oder anderen Gruppierungen eingezogen zu werden.

1.2.5. Der Beschwerdeführer lehnt die Ableistung eines Militärdienstes für eine Konfliktpartei aufgrund der damit einhergehenden notorischen Gefahren und Handlungen ab.

1.2.6. Der Beschwerdeführer wurde im Herkunftsstaat nicht von islamistischen Milizen verfolgt und hat auch keine körperliche Gewalt durch diese erfahren. Ihm droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung durch islamische Milizen.

1.2.7. Der Beschwerdeführer ist nicht in das Blickfeld einer der syrischen Konfliktparteien geraten. Weder der Beschwerdeführer selbst noch seine Familienangehörigen in Syrien sind als (politische) Gegner der derzeitigen Machthaber in Erscheinung getreten. Der Beschwerdeführer weist auch keine sonstige verinnerlichte oppositionelle politische Gesinnung auf. Er war in Syrien zu keinem Zeitpunkt politisch aktiv oder Mitglied einer politischen Partei bzw. einer bewaffneten Gruppierung und war weder in Syrien noch in Österreich eine politisch exponierte Person. Der Beschwerdeführer hat keine als oppositionell eingestuften Handlungen gesetzt und weist keine verinnerlichte politische Überzeugung gegen die HTS oder einen anderen Akteur in Syrien auf.

1.2.8. Auch auf Grund seiner Ausreise aus Syrien und seiner Asylantragstellung in Österreich droht dem Beschwerdeführer nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung auf Grund der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung oder aus sonstigen Gründen. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet in Syrien wegen seiner Ausreise oder der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in Österreich keine Lebensgefahr und kein Eingriff in seine körperliche Integrität.

1.2.9. Auch sonst ist der Beschwerdeführer nicht der Gefahr ausgesetzt, aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

1.2.10. Dem Beschwerdeführer steht für die Einreise nach Syrien grundsätzlich die Nutzung sämtlicher offener Grenzübergänge offen. Dies gilt insbesondere auch für jene ehemals vom syrischen Regime kontrollierten Flughäfen, die sich nunmehr unter der Kontrolle der HTS befinden und für den zivilen Personenverkehr zugänglich sind. Eine Weiterreise des Beschwerdeführers ist möglich, ohne dass ihm dabei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine konkret und gezielt gerichtete Verfolgung aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Aufgrund der jüngsten Ereignisse im Dezember 2024 in Syrien, insbesondere des Sturzes sowie der Flucht des Staatspräsidenten Baschar al-Assad und der Unklarheit über die weitere Entwicklung der Lage in Syrien, kann das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien mit Stand vom 27.03.2024 mangels Aktualität nur teilweise herangezogen werden. Im Folgenden werden Feststellungen aus der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformation der Staatendokumentation Version 11 vom 27.03.2024, insbesondere bezogen auf jene Teile, wo Feststellungen zur Lage vor dem Sturz des Assad-Regimes erforderlich sind, wiedergegeben:

1.3.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2024, Version 11:

1.3.1.1. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS)

Letzte Änderung 2024-03-12 13:44

Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vgl. DS 10.3.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF 6.12.2022; vgl. CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde (BAMF 6.12.2022). Der IS ernannte Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi zu seinem Nachfolger (CNN 30.11.2022; vgl. BAMF 6.12.2022). Im August 2023 wurde dieser bei Kampfhandlungen mit der HTS getötet und der IS musste zum dritten Mal innerhalb von zwei Jahren einen neuen Führer ernennen. Als Nachfolger wurde Abu Hafs al-Hashimi al-Qurayshi eingesetzt (WSJ 3.8.2023). Die Anit-Terror-Koalition unter der Führung der USA gibt an, dass 98 Prozent des Gebiets, das der IS einst in Syrien und Irak kontrollierte, wieder unter Kontrolle der irakischen Streitkräfte bzw. der SDF sind (CFR 24.1.2024).

Der Sicherheitsrat der VN schätzt die Stärke der Gruppe auf 6.000 bis 10.000 Kämpfer in ganz Syrien und im Irak, wobei die operativen Führer der Gruppe hauptsächlich in Syrien stationiert sind (EUAA 9.2022). Die Terrororganisation IS kann in Syrien selbst in ihren Rückzugsgebieten im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien weiterhin keine territoriale Kontrolle mehr ausüben. Mit mehreren Tausend Kämpfern sowie deren Angehörigen, die sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF befinden, sowie einer vermutlich dreistelligen Zahl von im Untergrund aktiven Kämpfern bleibt der IS jedoch ein relevanter asymmetrischer Akteur (AA 2.2.2024). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle und Attentate (DIS 29.6.2020). Der IS verübte immer wieder Angriffe und Anschläge, insbesondere auf Einheiten der SDF im Nordosten sowie auf Truppen des Regimes in Zentralsyrien (AA 2.2.2024). IS-Kämpfer sind in der Wüste von Deir ez-Zor, Palmyra und Al-Sukhna stationiert und konzentrieren ihre Angriffe auf Deir ez-Zor, das Umland von Homs, Hasakah, Aleppo, Hama und Raqqa (NPA 15.5.2023). In der ersten Jahreshälfte 2023 wurde von 552 Todesopfer durch Angriffe des IS berichtet (NPA 8.7.2023).

Trotz der starken Präsenz syrischer und russischer Streitkräfte in Südsyrien sind mit dem IS verbundene Kämpfer in der Region aktiv und das syrische Regime ist derzeit nicht in der Lage, IS-Aktivisten in Gebieten zurückzudrängen, die vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen (VOA 24.10.2022). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF (Zenith 11.2.2022). Nach Angaben der International Crisis Group verübten IS-Zellen Ende 2021 durchschnittlich zehn bis 15 Angriffe auf die Regierungsstreitkräfte pro Monat, die meisten davon im Osten von Homs und im ländlichen westlichen Deir Ez-Zour. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2022 fort (EUAA 9.2022). Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte auch von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).

1.3.1.2. Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Letzte Änderung 2024-03-11 06:50

Rechtliche Bestimmungen

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben (PAR 1.6.2011). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 2.2.2024). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022). Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 4.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.1.2023). Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 4.2023).

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind (ÖB Damaskus 12.2022). Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge sollen Männer auch unabhängig ihres Gesundheitszustandes eingezogen und in der Verwaltung eingesetzt worden sein (NMFA 8.2023).

Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB Damaskus 12.2022).

Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 2.2.2024). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 2.2.2024; vgl. ICWA 24.5.2022).

Männliche Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge, die zwischen 1948 und 1956 nach Syrien kamen und als solche bei der General Administration for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert sind (NMFA 5.2022), bzw. palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht (AA 13.11.2018; vgl. Action PAL 3.1.2023, ACCORD 21.9.2022). Ihren Wehrdienst leisten sie für gewöhnlich in einer Unterabteilung der syrischen Armee, die den Namen Palästinensische Befreiungsarmee trägt: Palestinian Liberation Army (PLA) (BAMF 2.2023, (AA 13.11.2018; vgl. ACCORD 21.9.2022). Es konnten keine Quellen gefunden werden, die angeben, dass Palästinenser vom Reservedienst ausgeschlossen seien (ACCORD 21.9.2022; vgl. BAMF 2.2023).

Die Umsetzung

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten (STDOK 8.2017; vgl. DIS 7.2023). Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).

Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen (NMFA 5.2022; vgl. AA 29.3.2022), wobei zuletzt von einer "Verkürzung" des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden (ÖB Damaskus 12.2022). Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (NMFA 5.2022).

Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten (EUAA 9.2022). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 2.2.2024).

[…]

Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle

Nach dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung Mitte Oktober 2019, das die Stationierung von Truppen der syrischen Regierung in zuvor kurdisch kontrollierten Gebieten vorsah, wurde berichtet, dass syrische Kurden aus dem Gebiet in den Irak geflohen sind, weil sie Angst hatten, in die SAA eingezogen zu werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Die Absolvierung des "Wehrdiensts" gemäß der "Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria (AANES)] befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung "Sicherheitsquadrate" (al-Morabat al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven bzw. "Sicherheitsquadraten" auseinander - auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven, welche die Enklaven betreten (DIS 6.2022). Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Selbstverwaltung dort rekrutieren kann, wo sie im "Sicherheitsquadrat" im Zentrum der Gouvernements präsent ist, wie z. B. in Qamishli oder in Deir ez-Zor (Rechtsexperte 14.9.2022). Dies wird auch von SNHR bestätigt, die ebenfalls angeben, dass die Rekrutierung durch die syrischen Streitkräfte an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden ist (ACCORD 7.9.2023). Ein befragter Militärexperte gab dagegen an, dass die syrische Regierung grundsätzlich Zugriff auf die Wehrpflichtigen in den Gebieten unter der Kontrolle der PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat] hat, diese aber als illoyal ansieht und daher gar nicht versucht, sie zu rekrutieren (BMLV 12.10.2022). Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und herbewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z.B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o. Ä.] anerkennt (EB 15.8.2022).

Das Gouvernement Idlib befindet sich außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung, die dort keine Personen einberufen kann (Rechtsexperte 14.9.2022), mit Ausnahme einiger südwestlicher Sub-Distrikte (Nahias) des Gouvernements, die unter Regierungskontrolle stehen (ACLED 1.12.2022; vgl. Liveuamap 17.5.2023). Die syrische Regierung kontrolliert jedoch die Melderegister des Gouvernements Idlib (das von der syrischen Regierung in das Gouvernement Hama verlegt wurde), was es ihr ermöglicht, auf die Personenstandsdaten junger Männer, die das Rekrutierungsalter erreicht haben, zuzugreifen, um sie für die Ableistung des Militärdienstes auf die Liste der "Gesuchten" zu setzen. Das erleichtert ihre Verhaftung zur Rekrutierung, wenn sie das Gouvernement Idlib in Richtung der Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung verlassen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus (ACCORD 20.3.2023).

[…]

Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung

Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Mit der COVID-19-Pandemie und der Beendigung umfangreicher Militäroperationen im Nordwesten Syriens im Jahr 2020 haben sich die groß angelegten militärischen Rekrutierungskampagnen der syrischen Regierung in den von ihr kontrollierten Gebieten jedoch verlangsamt (COAR 28.1.2021), und im Jahr 2021 hat die syrische Regierung damit begonnen, Soldaten mit entsprechender Dienstzeit abrüsten zu lassen. Nichtsdestotrotz wird die syrische Armee auch weiterhin an der Wehrpflicht festhalten, nicht nur zur Aufrechterhaltung des laufenden Dienstbetriebs, sondern auch, um eingeschränkt militärisch operativ sein zu können. Ein neuerliches "Hochfahren" dieses Systems scheint derzeit [Anm.: Stand 16.9.2022] nicht wahrscheinlich, kann aber vom Regime bei Notwendigkeit jederzeit wieder umgesetzt werden (BMLV 12.10.2022).

Als die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 5.2020). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Der syrische Präsident erließ einen ab Oktober 2022 geltenden Verwaltungserlass mit Blick auf die unteren Ebenen der Militärhierarchie, der die Beibehaltung und Einberufung von bestimmten Offizieren und Reserveoffiziersanwärtern, die für den obligatorischen Militärdienst gemeldet sind, beendete. Bestimmte Offiziere und Offiziersanwärter, die in der Wehrpflicht stehen, sind zu demobilisieren, und bestimmte Unteroffiziere und Reservisten dürfen nicht mehr weiterbeschäftigt oder erneut einberufen werden (TIMEP 17.10.2022; vgl. SANA 27.8.2022). Ziel dieser Beschlüsse ist es, Hochschulabsolventen wie Ärzte und Ingenieure dazu zu bewegen, im Land zu bleiben (TIMEP 17.10.2022). Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vgl. NMFA 5.2022). Ein weiterer Beschluss wurde im Dezember 2023 erlassen, wonach Reserveoffiziere, die mit 31.01.2024 ein Jahr oder mehr aktiv ihren Wehrdienst abgeleistet haben, ab 1.2.2024 nicht mehr einberufen werden. Dieser Beschluss beendet ebenfalls die Einberufung von Unteroffizieren und Reservisten, die mit 31.1.2024 sechs Jahre oder mehr aktiven Wehrdienst geleistet haben (SANA 4.12.2023).

Die Rekruten werden während des Wehrdienstes im Allgemeinen nicht gut behandelt. Der Umgang mit ihnen ist harsch. Nur wer gute Verbindungen zu höheren Offizieren oder Militärbehörden hat oder wer seine Vorgesetzten besticht, kann mit einer besseren Behandlung rechnen. Außerdem ist die Bezahlung sehr niedrig und oft ist es den Rekruten während des Wehrdienstes nicht gestattet, ihre Familien zu sehen (DIS 1.2024).

[…]

1.3.1.3. Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts

Letzte Änderung 2024-03-11 07:21

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Auch für Wehrpflichtige, die ins Ausland reisen möchten, ist ein Aufschub von bis zu 6 Monaten möglich und wird von Oppositionsangehörigen genützt, nachdem sie im Rahmen von Versöhnungsabkommen ihren „Status geregelt“ haben (DIS 1.2024). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017). 129 Als einziger Sohn der Familie kann man sich vom Wehrdienst befreien lassen. Mehrere Quellen des Danish Immigration Service haben angegeben, dass es keine Fälle gibt, in denen die einzigen Söhne einer Familie trotzdem zur Wehrpflicht herangezogen worden sind (DIS 1.2024

1.3.1.4. Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung 2024-03-12 16:09

Neben der Gefährdung durch militärische Entwicklungen, Landminen und explosive Munitionsreste, welche immer wieder zivile Opfer fordern, bleibt auch die allgemeine Menschenrechtslage in Syrien äußerst besorgniserregend (AA 2.2.2024). Von allen Akteuren agiert das Regime am meisten mit gewaltsamer Repression und die PYD am wenigsten - autoritär sind alle Machthaber nach Einschätzung der Bertelsmann-Stiftung (BS 23.2.2022). Die im August 2011 vom UN-Menschenrechtsrat eingerichtete internationale unabhängige Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Syrien (Commission of Inquiry, CoI) benennt in ihrem am 13.9.2023 veröffentlichten Bericht (Berichtszeitraum Januar bis Juni 2023) zum wiederholten Male teils schwerste Menschenrechtsverletzungen, identifiziert Trends und belegt diese durch die Dokumentation von Einzelfällen. Nach Einschätzung der CoI dürfte es im Berichtszeitraum in Syrien weiterhin zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekommen sein. Dazu gehörten u. a. gezielte und wahllose Angriffe auf Zivilisten und zivile Ziele (z. B. durch Artilleriebeschuss und Luftschläge) sowie Folter. Darüber hinaus seien willkürliche und ungesetzliche Inhaftierungen, „Verschwindenlassen“, sexualisierte Gewalt sowie willkürliche Eingriffe in die Eigentumsrechte, unter anderem von Geflüchteten, dokumentiert. Obwohl die UN-Kommission die Verantwortung in absoluten Zahlen betrachtet für die große Mehrzahl der Menschenrechtsverletzungen bei Kräften der syrischen Regierung und ihrer Verbündeten sieht, wurden erneut für alle Konfliktparteien und alle Regionen des Landes Menschenrechtsverstöße dokumentiert (AA 2.2.2024).

[…]

Nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen

Die Zahl der Übergriffe und Repressionen durch nichtstaatliche Akteure einschließlich der de-facto-Autoritäten im Nordwesten und Nordosten Syriens bleibt unverändert hoch. Bei Übergriffen regimetreuer Milizen ist der Übergang zwischen politischem Auftrag, militärischen bzw. polizeilichen Aufgaben und mafiösem Geschäftsgebaren fließend. In den Gebieten, die durch regimefeindliche bewaffnete Gruppen kontrolliert werden, kommt es auch durch einige dieser Gruppierungen regelmäßig zu Übergriffen und Repressionen (AA 2.2.2024). In ihrem Bericht von März 2021 betont der Bericht der UNCOI, dass das in absoluten Zahlen größere Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen durch das Regime und seine Verbündeten andere Konfliktparteien ausdrücklich nicht entlastet. Vielmehr ließen sich auch für bewaffnete Gruppierungen (u. a. Free Syrian Army, Syrian National Army [SNA], Syrian Democratic Forces [SDF]) und terroristische Organisationen (u.a. HTS - Hay'at Tahrir ash-Sham, bzw. Jabhat an-Nusra, IS - Islamischer Staat) über den Konfliktzeitraum hinweg zahlreiche Menschenrechtsverstöße unterschiedlicher Schwere und Ausprägung dokumentieren. Hierzu zählen für alle Akteure willkürliche Verhaftungen, Praktiken wie Folter, grausames und herabwürdigendes Verhalten und sexualisierte Gewalt sowie Verschwindenlassen Verhafteter. Im Fall von Free Syrian Army, HTS, bzw. Jabhat an-Nusra, sowie besonders vom IS werden auch Hinrichtungen berichtet (UNCOI 11.3.2021)

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie z. B. HTS, sind verantwortlich für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, darunter rechtswidrige Tötungen und Entführungen, rechtswidrige Inhaftierungen, körperliche Misshandlungen und Tötungen von Zivilisten und Rekrutierungen von Kindersoldaten (USDOS 20.3.2023). Personen, welche in Verdacht geraten, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu haben, sind in Gebieten extremistischer Gruppen der Gefahr von Exekutionen ausgesetzt (FH 9.3.2023).

HTS ging teils brutal gegen politische Gegner vor, denen z. B. Verbindungen zum Regime, Terrorismus oder die „Gefährdung der syrischen Revolution“ vorgeworfen würden. Weiterhin legen die Berichte nahe, dass Inhaftierten Kontaktmöglichkeiten zu Angehörigen und Rechtsbeiständen vorenthalten werden. Auch sei HTS, laut Berichten des SNHR, für weitere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, vor allem in den Gefängnissen unter seiner Kontrolle (AA 2.2.2024).

In der Region Idlib war 2019 ein massiver Anstieg an willkürlichen Verhaftungen und Fällen von Verschwindenlassen zu verzeichnen, nachdem HTS dort die Kontrolle im Jänner 2019 übernommen hatte. Frauen wurden bzw. sind in den von IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt. Angehörige sexueller Minderheiten werden exekutiert (ÖB Damaskus 1.10.2021). Berichtet wurden zudem Verhaftungen von Minderjährigen, insbesondere Mädchen. Als Gründe werden vermeintliches unmoralisches Verhalten, wie beispielsweise das Reisen ohne männliche Begleitung oder unangemessene Kleidung angeführt. Mädchen soll zudem in vielen Fällen der Schulbesuch untersagt worden sein. HTS zielt darüber hinaus auch auf religiöse Minderheiten ab. So hat sich HTS laut der CoI im März 2018 zu zwei Bombenanschlägen auf den schiitischen Friedhof in Bab as-Saghir bekannt, bei dem 44 Menschen getötet, und 120 verletzt wurden. Versuche der Zivilgesellschaft, sich gegen das Vorgehen der HTS zu wehren, werden zum Teil brutal niedergeschlagen. Mitglieder der HTS lösten 2020 mehrfach Proteste gewaltsam auf, indem sie auf die Demonstrierenden schossen oder sie gewaltsam festnahmen. Laut der UNCOI gibt es weiterhin Grund zur Annahme, dass es in Idlib unverändert zu Verhaftungen und Entführungen durch HTS-Mitglieder (AA 29.11.2021), auch unter Anwendung von Folter, kommt (AA 29.11.2021; vgl. AA 2.2.2024). Zusätzlich verhaftete HTS eine Anzahl von IDPs unter dem Vorwand, dass diese sich weigerten, in Lager für IDPs zu ziehen, und HTS verhaftete auch BürgerInnen für die Kontaktierung von Familienangehörigen, die im Regierungsgebiet lebten (SNHR 3.1.2023).

Auch in den von der Türkei bzw. von Türkei-nahen SNA kontrollierten Gebieten im Norden Syriens kam es laut CoI vielfach zu Übergriffen und Verhaftungen sowie Folter, die insbesondere die kurdische Zivilbevölkerung beträfen. Auch sei es zu sexuellen Übergriffen durch Angehörige der SNA gekommen (AA 2.2.2024). Die Festnahme syrischer Staatsangehöriger in Afrin und Ra's al 'Ayn sowie deren Verbringung in die Türkei durch die SNA könnte laut CoI das Kriegsverbrechen einer unrechtmäßigen Deportation darstellen (AA 29.11.2021). In vielen Fällen befänden sich Kurdinnen und Kurden laut der UN-Kommission in einer doppelten Opferrolle: Nach einer früheren Zwangsrekrutierung durch die kurdischen SDF in vorherigen Phasen des Konflikts mit der Türkei würden sie nun für eben diesen unfreiwilligen Einsatz von der SNA verfolgt und inhaftiert. Auch darüber hinaus sind in SNA-Gebieten Fälle von willkürlichen Verhaftungen, Isolationshaft ohne Kontakt zur Außenwelt sowie Fälle von Folter in Haft von der UN-Kommission verzeichnet. Der grundsätzlich bestehende Rechtsweg, um sich gegen ungerechtfertigte Inhaftierungen rechtlich zur Wehr zu setzen, ist laut UN-Einschätzung aufgrund langer Verfahrensdauern nicht effektiv (AA 29.3.2023).

Teile der SDF, einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen ebenfalls für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter Angriffe auf Wohngebiete, willkürliche Inhaftierungen, Misshandlungen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten sowie Einschränkungen der Versammlungs- und Redefreiheit wie auch die willkürliche Zerstörung von Häusern. Die SDF untersuchen die meisten gegen sie vorgebrachten Klagen, und einige SDF-Mitglieder werden wegen Misshandlungen angeklagt, wozu aber keine Statistiken vorliegen (USDOS 20.3.2023). Die SDF führten im Jahr 2023 willkürliche Verhaftungen von Zivilisten, darunter Journalisten durch (HRW 11.1.2024). Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt jedoch laut Einschätzung des Auswärtigen Amtes erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und dschihadistischer Gruppen befinden (AA 29.3.2023). Im Nordosten Syriens dokumentierte die CoI im Berichtszeitraum mehrere Todesfälle in den Zentralgefängnissen von Hasakeh und Raqqa und stellt fest, dass diese möglicherweise auf schlechte Behandlung oder Folter zurückzuführen sein könnten. Laut SNHR seien im Gewahrsam der SDF / Partei der Demokratischen Union (PYD) seit März 2011 insgesamt 96 Menschen durch Folter zu Tode gekommen. Kontakte der Botschaft berichteten zudem von Repressionen durch die kurdische sogenannte „Selbstverwaltung“ (AANES) gegen politische Gegner, wie z.B. Angehörige von Oppositionsparteien. Daneben kritisiert die CoI in ihrem jüngsten Bericht auch die, ihrer Einschätzung nach, menschenrechtswidrige Inhaftierung und Behandlung zehntausender IS-Affiliierter in nordostsyrischen Haftanstalten und lagerähnlichen Camps (AA 2.2.2024). Obwohl der Spielraum der Redefreiheit etwas größer ist, als in Gebieten unter Kontrolle der Regierung oder extremistischer Gruppierungen, schränkt die PYD und einige andere Oppositionsfraktionen Berichten zufolge auch die Redefreiheit ein. So suspendierte die PYD-geführte Verwaltung im Februar 2022 die Lizenz der im Nordirak ansässigen Rudaw-Mediengruppe unter dem Vorwurf der Falschinformation und Aufhetzung. Mitte März 2022 verlangte dieselbe Verwaltung von JournalistInnen den Beitritt zur Union of Free Media, welche sich unter ihrem Einfluss befindet (FH 9.3.2023).

1.3.2. Kurzinformation der Staatendokumentation SYRIEN „Sicherheitslage, politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht“ vom 10.12.2024:

1. Zusammenfassung der Ereignisse

Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. Die folgende Karte zeigt die Gebietskontrolle der einzelnen Akteure am 26.11.2024 vor Beginn der Großoffensive:

Wien, 10.12.2024

Quelle: AJ 8.12.2024

Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024).

Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).

Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).

Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).

Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch ر ال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).

Die folgende Karte zeigt die Gebietskontrolle der einzelnen Akteure nach der Machtübernahme durch die Oppositionsgruppierungen:

Quelle: AJ 8.12.2024

Die untere Karte zeigt die Gebietskontrolle der Akteure mit Stand 10.12.2024:

Quelle: Liveu 10.12.2024

Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).

In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024). Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).

2. Die Akteure

Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).

Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).

Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).

Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).

• Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).

Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).

• National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).

• Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).

• Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).

• Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).

• Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).

• Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).

• Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).

3. Aktuelle Lageentwicklung

Sicherheitslage:

Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).

Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).

Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024).

Sozio-Ökonomische Lage:

Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).

Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).

Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).

Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).

Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).

1.3.3. Anfragebeantwortung zu Syrien: Änderungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht in der Demokratischen Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) aufgrund der Kämpfe zwischen den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und der Syrischen Nationalarmee (SNA); Änderung der Strafen; Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht im kurdisch kontrollierten Teil von Deir-ez Zor, auch gegenüber Arabern; Intensivierung von Rekrutierungsbemühungen; Mobilisierung von Selbstverteidigungs-Einheiten und Heranziehen von Wehrpflichtigen zu Kampfeinsätzen; Aktueller Meinungsstand zur Verweigerung der Selbstverteidigungspflicht durch Araber [a-12555-2]

Muhsen Al-Mustafa, Forscher am Omran Center for Strategic Studies, erklärt in einer E-Mail an ACCORD vom Februar 2025, dass die Situation bezüglich des Selbstverteidigungsdienstes vorerst unverändert geblieben sei, wenngleich er darauf hinwies, dass die SDF am 18. Februar 2025 einer Integration ihrer Streitkräfte in die syrische Armee zugestimmt habe. Weiters führte er aus, dass nach dem Sturz der Assad-Regierung mehrere Desertionen innerhalb der SDF Truppen verzeichnet worden seien, darunter auch eine Anzahl von Militärangehörigen des Selbstverteidigungsdienstes (Al-Mustafa, 18. Februar 2025).

Änderungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht in der der Demokratischen Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) sowie Änderungen der Strafen bei Verweigerung aufgrund der Kämpfe zwischen Syrische Demokratische Kräfte (SDF) und Syrische Nationalarmee (SNA):

Es konnten im Rahmen der Recherche keine Änderungen des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht sowie der Strafen bei Verweigerung seit November 2024 gefunden werden. Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, DAANES, Nordost-Syrien, Selbstverteidigungspflicht, Selbstverteidigungsdienst, Strafe, Verweigerung, Verweigerer, Gesetz, Regulierung, Bestimmung, neu

Syria TV, ein syrischer Fernsehsender im Besitz des katarischen Fadaat Media Network, mit Hauptsitz in Istanbul, berichtet, dass die SDF mit Mitte Jänner den Prozess der Demobilisierung von Rekruten, die ihren Selbstverteidigungsdienst abgeleistet hätten, gestoppt habe. Ein Wehrpflichtiger habe gegenüber Syria TV berichtet, dass er sein Pflichtjahr des Selbstverteidigungsdienstes zwei Monate zuvor beendet habe, die SDF sich jedoch weigere, ihn - wie Hunderte andere Rekruten - zu entlassen (Syria TV, 31. Jänner 2025).

Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht im kurdisch kontrollierten Teil von Deir-ez Zor, auch gegenüber Arabern

Syria TV veröffentlicht im Februar 2025 einen Artikel über das Leben im Nordosten Syriens. Laut einem Interviewpartner aus Deir-ez Zor würden junge Männer in der Region von der SDF verhaftet und zwangsrekrutiert werden (Syria TV, 1. Februar 2025).

Es konnten keine weiteren Informationen zur Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht, insbesondere gegenüber Arabern, in Deir-ez Zor gefunden werden.

Intensivierung von Rekrutierungsbemühungen

Die kurdischen Nachrichtendienste Firat News Agency (ANF News) und Hawar News Agency (ANHA) berichten im Dezember 2024 und Jänner 2025 von einem Aufruf zur Generalmobilmachung („general mobilisation“) in Nordost-Syrien (ANHA, 18. Dezember 2024; ANF News, 10. Jänner 2025; ANF News, 11. Jänner 2025; ANF News, 14. Jänner 2025). Die Nachrichtendienste berichten von Bürger·innen aus unterschiedlichen Orten, die sich zusammenschließen würden, um die Region zu verteidigen (ANF News, 5. Jänner 2025; ANF News, 10. Jänner 2025; ANF News, 14. Jänner 2025; ANHA, 18. Dezember 2024; ANHA, 31. Dezember 2024; ANHA, 6. Jänner 2025). Laut ANF News seien diese Personen Freiwillige (ANF News, 11. Jänner 2025).

Laut Syria TV gebe es mit Stand Ende Jänner 2025 nur begrenzte Rekrutierungsmaßnahmen von Wehrpflichtigen, da die SDF in der derzeitigen Situation nicht zu derartigen Operationen in der Lage sei. Laut einer anonymen Quelle würde die SDF jedoch alle Optionen prüfen, um ihre Militär- und Sicherheitskräfte zu stärken, einschließlich der Vergrößerung der Anzahl ihrer Streitkräfte (Syria TV, 31. Jänner 2025).

Mobilisierung von Selbstverteidigungs-Einheiten und Heranziehen von Wehrpflichtigen zu Kampfeinsätzen

Syria TV schreibt in einem Artikel über die Desertion von SDF-Mitgliedern vom Jänner 2025, dass sich die SDF bei der Bewachung von öffentlichen Gebäuden, sowie Sicherheitszentren und Militärstützpunkten hauptsächlich auf Wehrpflichtige verlassen würden (Syria TV, 31. Jänner 2025).

Laut dem oben genannten Interviewpartner von Syria TV aus Deir-ez Zor würden Wehrpflichtige an die Front geschickt werden (Syria TV, 1. Februar 2025).

Laut The Century Foundation (TCF) würden Wehrpflichtige in Nordost-Syrien Gefahr laufen in den Kampf, um die Kontrolle in der Region, hineingezogen zu werden (TCF, 3. Februar 2025).

Es konnten keine weiteren Informationen zur Mobilisierung von Selbstverteidigungs-Einheiten und dem Heranziehen von Wehrpflichtigen zu Kampfeinsätzen gefunden werden.

Aktueller Stand der Meinungen zur Ablehnung der Pflicht zur Selbstverteidigung durch die Araber

Es konnten im Rahmen der Recherche keine Informationen zum aktuellen Stand der Meinungen zur Ablehnung der Pflicht zur Selbstverteidigung durch die Araber gefunden werden. Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, DAANES, Nordost-Syrien, Selbstverteidigungspflicht, Selbstverteidigungsdienst, Verweigerung, Verweigerer, Araber, Meinung, Sicht Informationen zum Stand der Meinungen zur Ablehnung der Pflicht zur Selbstverteidigung durch die Araber vor November 2024 finden Sie unter Punkt 2.2.1 des folgenden Themendossiers von ACCORD sowie in der folgenden Anfragebeantwortung von ACCORD.

1.3.4. Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen (z.B. Yekîneyên Parastina Gel, YPG); Zwangsrekrutierungen [a-12592-v2] vom 21. März 2025

Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung; Zwangsrekrutierungen

Mehrere Quellen berichten im Februar 2025, dass der Präsident der syrischen Übergangsregierung, Ahmed Al-Scharaa, erklärt habe, dass er die Wehrdienstpflicht abgeschafft habe und stattdessen auf freiwillige Rekrutierung setze (Enab Baladi, 12. Februar 2025; France 24, 10. Februar 2025; siehe auch Markaz Al-Jazeera l-il-Dirasat, 30. Jänner 2025; FDD, 28. Jänner 2025). Anfang Februar 2025 wurde berichtet, dass sich Scharaa zufolge tausende Freiwillige der neuen Armee anschließen würden (France 24, 10. Februar 2025; Enab Baladi, 12. Februar 2025). Dem Online-Begleittext eines Videobeitrags des schwedischen Fernsehprogramms Svt nyheter von Jänner 2025 zufolge hätte die Hayat Tahrir Al-Scham (HTS) aktiv mit intensiven Rekrutierungen für die Reihen der Polizei und des Militärs begonnen (Svt nyheter, 18. Jänner 2025). In einem undatierten arabischsprachigen Artikel bezieht sich das Swedish Center for Information (SCI) auf den genannten Videobeitrag. Laut dem SCI-Artikel würden Berichten zufolge Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere mittels intensiver Programme rekrutiert, die von traditionellen akademischen Standards und Trainingsstandards abweichen würden. Dies habe den Zweck, die Ausbildung der Militär- und Sicherheitskräfte zu beschleunigen, um den Bedarf des neuen Staates zu decken (SCI, ohne Datum).

In einem arabischsprachigen Artikel von Februar 2025 berichtet Enab Baladi, die Rekrutierungsabteilung in Aleppo habe verkündet, dass die Anmeldungen für eine Militärausbildung begonnen hätten. Die Bedingungen für den Eintritt in die Reihen des Verteidigungsministeriums der Übergangsregierung seien festgelegt worden. Interessierte könnten sich bis 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Aleppo im Viertel Al-Furqan anmelden. Voraussetzung sei, dass Bewerber ledig, zwischen 18 und 22 Jahre alt seien, keine chronischen Erkrankungen hätten und nicht verletzt seien. Für eine Anmeldung seien zwei Fotos, eine Kopie des Personalausweises sowie, sofern vorhanden, eine Kopie des Nachweises über einen akademischen Abschluss vorzulegen (Enab Baladi, 12. Februar 2025). Ähnliche Informationen finden sich in den nachfolgend beschriebenen zwei Facebook-Beiträgen. In einem arabischsprachigen Facebook-Beitrag vom 12. Februar 2025 auf der Facebook-Seite „Al Arabiya Syria“ wird berichtet, dass das Gouvernement Aleppo verkündet habe, dass die Anmeldungen für die Aufnahme in die Reihen der Armee eröffnet seien. Die Anmeldungen würden im Offiziersclub im Viertel Al-Furqan entgegengenommen. Bewerber hätten ledig sowie zwischen 18 und 22 Jahre alt und gesund zu sein (Al Arabiya Syria, 12. Februar 2025). Auf der Facebook-Seite „Nachrichten des freien Syrien“ („Achbar Suriya al-Hurra“) findet sich ein Beitrag vom 6. Februar 2025, der eine Rekrutierungsanzeige der Rekrutierungsabteilung in Idlib veröffentlicht. Die Anmeldung zur Teilnahme am Militärkurs für jene, die unter dem Verteidigungsministerium dienen möchten, sei eröffnet. Interessierten sei es möglich, sich zwischen dem 9. Februar 2025 und dem 15. Februar 2025 in der Rekrutierungsabteilung in Idlib anzumelden. Bewerber hätten ledig und zwischen 18 und 22 Jahre alt zu sein. Sie dürften nicht chronisch krank oder verletzt sein. Vorzulegen seien ein Foto, eine Kopie des Personalausweises und eine Kopie des akademischen Nachweises, wenn vorhanden (Nachrichten des freien Syrien, 6. Februar 2025).

Syria TV, ein syrischer Fernsehsender mit Sitz in Istanbul, der im Besitz eines katarischen Mediennetzwerks ist und sich in Opposition zur Assad-Regierung positioniert hatte, berichtet in einem arabischsprachigen Artikel vom Februar 2025, dass sich der Rekrutierungsprozess für die neuen syrischen Militär- und Sicherheitsinstitutionen, wie die Polizei sowie Kriminal- und Geheimdienste, von Gouvernement zu Gouvernement unterscheide. Am 10. Jänner 2025 habe das Innenministerium der Übergangsregierung verkündet, dass Anmeldungen zum Eintritt in die Polizeiakademie begonnen hätten. Die Kurse, die einen Eintritt in die Reihen der Polizei und Dienste der öffentlichen Sicherheit ermöglichen sollen, hätten in fast allen Gouvernements, insbesondere in Damaskus, Rif Dimaschq, Homs, Tartus, Idlib, Sweida und Deir ez-Zor begonnen. Dem Artikel zufolge sei Idlib in dieser Hinsicht am aktivsten, gefolgt von Deir ez-Zor und Teilen von Rif Dimaschq, während der Rekrutierungsprozess in den Küstenregionen sowie in Homs eher verhalten verlaufe. Bewerber hätten zwischen 20 und 30 Jahre alt zu sein, einen Sekundarschulabschluss oder einen entsprechenden Abschluss vorzuweisen, die vorgeschriebenen Kurse absolviert zu haben, unbescholten sowie gesund und von guter Statur zu sein. Sie hätten zudem körperlich fit zu sein und müssten mindestens 168 cm groß sein. Einem für den Artikel interviewten 27-jährigen Mann zufolge stelle der freiwillige Beitritt zum Polizei- oder Geheimdienstapparat für ihn eine gute Beschäftigungsmöglichkeit dar. Das Gehalt betrage mindestens 200 US-Dollar, während ein Arbeiter in Idlib täglich nicht mehr als umgerechnet drei US-Dollar verdiene. Der Mann aus Süd-Idlib habe auf Facebook eine Rekrutierungsanzeige gesehen und sich daraufhin beeilt, sich zu bewerben. Er habe erklärt, dass für die Bewerbung ein Formular mit persönlichen Daten auszufüllen sei. Das Formular gebe an, dass Bewerber nicht älter als 30 Jahre sein dürften. Man dürfe im Formular angeben, ob man in die Reihen des Geheimdienstes oder der Polizei, darunter die Kriminalpolizei, die Verkehrspolizei und die Moralpolizei, aufgenommen werden wolle. Die Moralpolizei sei eine Abteilung, die in Idlib vor dem Sturz der Assad-Regierung hätte gegründet werden sollen, aber trotz der Verabschiedung eines Gesetzes mit dem Titel „Öffentliche Moral“, auf Eis gelegt worden sei (Syria TV, 21. Februar 2025).

In einem Artikel vom 19. Februar 2025 berichtet The National von einem Funktionär der HTS, der im Damaszener Außenbezirk Ost-Ghuta junge Männer rekrutieren solle. Die HTS benötige dem Artikel zufolge so viele Männer wie möglich, insbesondere für entlegenere Gegenden. An einem öffentlichen Platz im Vorort Ain Tarma habe der Funktionär ein kommunales Gebäude betreten und einen Zuständigen dort gefragt, ob er Personen kenne, die geeignet seien, der HTS beizutreten. Er habe eine Telefonnummer hinterlegt und sei zu einer ehemaligen Regierungskaserne weitergegangen, die sich auf dem Gebiet befinde, wo neue HTS-Rekruten ein dreiwöchiges Training absolvieren sollen. Dem Funktionär zufolge hätten sich seit dem Fall der Assad-Regierung tausende der HTS angeschlossen. Hunderte weitere würden bald in den Kasernen in Ost-Ghuta erwartet (The National, 19. Februar 2025).

Laut einem Artikel der Foundation for Defense of Democracies (FDD) von Jänner 2025 behaupte die syrische Übergangsregierung zwar, sich für religiöse Toleranz einzusetzen. Gleichzeitig werde die von der Regierung bevorzugte sunnitisch-islamische Glaubensströmung der Rekrutierung und der Ausbildung neuer Sicherheitskräfte zugrunde gelegt. Berichten zufolge würden neue Rekruten eine 21-tägige Scharia[1]-Ausbildung durchlaufen (FDD, 28. Jänner 2025). In einem Artikel von Jänner 2025 berichtet Reuters von der Rekrutierung von Polizisten durch die Übergangsregierung. Polizisten, die aus der ehemals HTS-regierten Enklave in Idlib nach Damaskus gebracht worden seien, würden Bewerber nach ihrem Glauben befragen. Die Ausbildung von Polizisten dauere zehn Tage und der Fokus liege Ausbildnern und Absolventen zufolge auf dem Umgang mit Waffen und der Vermittlung von islamischem Recht. Dem Leiter der Polizei in Aleppo zufolge sei geplant, die Ausbildung auf neun Monate auszuweiten, wenn sich die Sicherheitslage gebessert habe. Ihm zufolge würden den Polizeirekruten die Prinzipien der islamischen Rechtsprechung, die Biographie des Propheten Mohammed und Verhaltensregeln gelehrt. Die Bewerbungsformulare würden Reuters zufolge einen Abschnitt „Glaube, Orientierung und Standpunkte“ enthalten, in welchem Bewerber nach ihrer „Bezugsautorität“ („referential authority“[2]) befragt würden. Drei anonymen HTS-Beamten zufolge diene die Frage dazu, Bewerber zu identifizieren, die einer genaueren Prüfung unterzogen werden müssen, insbesondere Alawiten, die derselben Glaubensströmung wie die Assad-Familie angehören würden und möglicherweise Verbindungen zur Assad-Regierung gehabt hätten (Reuters, 23. Jänner 2025).

Dem von Reuters befragten Wissenschaftler Aron Lund zufolge fänden viele Syrer·innen die religiöse Komponente bei der Rekrutierung von Polizisten bedenklich. Das betreffe nicht nur Minderheiten wie Christ·innen, Alawit·innen und Druz·innen, sondern auch urbane, säkulare sunnitische Muslim·innen. Das Innenministerium der Übergangsregierung, welches für Polizeiangelegenheiten zuständig sei, habe Reuters Fragen zum religiösen Fokus bei der Rekrutierung und Ausbildung von Polizisten nicht beantwortet. Mehreren von Reuters interviewten führenden Polizeioffizieren zufolge diene dieser nicht dazu, der Allgemeinbevölkerung religiöse Inhalte aufzuzwingen, sondern dazu, Rekruten ethisches Verhalten zu vermitteln. Sieben Polizeioffiziere, die Polizeistationen verwalten oder im Rekrutierungsprozess involviert seien, hätten ausgesagt, dass die Polizei mehr Mitarbeiter benötige und Bewerbungen von Personen jeder Glaubensrichtung willkommen seien (Reuters, 23. Jänner 2025).

Einem Polizei-Ausbildner an einer Polizeiakademie in Damaskus zufolge hätten sich über 200.000 Personen gemeldet, die Teil des neuen Polizeidienstes werden wollen. Alle fünf von Reuters interviewten hochrangingen Offiziere seien davon ausgegangen, dass sich die Personalausstattung vor dem Hintergrund der Ausweitung von Rekrutierung und Training im Jahr 2025 verbessern werde. Die Anmeldung von Polizisten, die vor dem Sturz der Assad-Regierung zu den Rebellen übergelaufen seien, werde laut von Reuters befragten führenden Polizeioffizieren begrüßt (Reuters, 23. Jänner 2025; siehe auch Enab Baladi, 12. Februar 2025). Diejenigen, die nicht übergelaufen seien, hätten einen „Aussöhnungsprozess“ zu durchlaufen. Im Zuge dessen hätten sie ein Dokument zu unterzeichnen, worin sie den Regierungswechsel anerkennen würden, und sie hätten ihre Waffe abzugeben. Es sei noch unklar, ob sie dem neuen Polizeidienst beitreten dürften (Reuters, 23. Jänner 2025).

In einem Artikel von Ende Februar 2025 berichtet Syria TV von Gerüchten, denen zufolge die Übergangsregierung in den Gouvernements Tartus und Latakia Männer zum Militärdienst rekrutiert und zwangsverpflichtet hätte. Auf Facebook-Seiten, die der Quelle zufolge von Medienfachleuten betrieben würden, die der Assad-Regierung naheständen, sei berichtet worden, dass Sicherheitskräfte in den Städten Dschableh, Baniyas und Qardaha Checkpoints aufgestellt und Personen mit Statusregelungsausweisen[3] („Bidaqat Taswiya“) festgenommen hätten. Offizielle Quellen des Gouvernements Tartus hätten den Verantwortlichen der Rekrutierungsabteilung der Stadt Baniyas zitiert, der diese Gerüchte vehement abgestritten habe. Er habe darauf hingewiesen, dass der Militärdienst nunmehr auf Freiwilligkeit aufbaue und dazu aufgerufen, offizielle Quellen für Informationen zu konsultieren (Syria TV, 26. Februar 2025).

Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen; Zwangsrekrutierungen

SDF und SDF-nahe Kräfte

Mitte März 2025 berichten Quellen von einer zwischen Ahmad Scharaa und Mazloum Abdi, dem Leiter der SDF, getroffenen Einigung, die Ende 2025 umgesetzt werden solle (DW, 11. März 2025; CNN, 11. März 2025; The Guardian, 10. März 2025). Die Vereinbarung sehe vor, alle „zivilen und militärischen Einrichtungen“ in Nordost-Syrien der Verwaltung des syrischen Staates zu unterstellen (DW, 11. März 2025, siehe auch The Guardian, 10. März 2025). Der von CNN dazu interviewten Wissenschaftlerin am Center for Strategic and International Studies Natasha Hall zufolge sei zu dem Zeitpunkt unklar, wie die Integrierung der SDF in die Institutionen des syrischen Staates aussehen werde. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung sei es der SDF erlaubt, ihre Struktur und ihre Waffen zu behalten (CNN, 11. März 2025).

In einem arabischsprachigen Artikel von März 2025 von Al Jazeera wird ein Mann zitiert, der an den zu der Zeit bestehenden Protesten in Deir ez-Zor teilgenommen habe. Er habe unter anderem darauf hingewiesen, dass SDF-Kräfte Verhaftungskampagnen in den von der SDF kontrollierten Gebieten durchgeführt hätten, in deren Rahmen Dutzende junge Männer unter dem Vorwurf der Gruppe Islamischer Staat (IS) beitreten zu wollen, verhaftet und zwangsrekrutiert worden seien (Al Jazeera, 8. März 2025). In einem arabischsprachigen Artikel von Jänner 2025 zitiert Al Jazeera den Wissenschaftler Amir Al-Mithqal, dem zufolge die Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces, SDF) aufgrund eines Mangels an kurdischen Kräften ethnische Araber zwangsrekrutiert hätten (Al Jazeera, 29. Jänner 2025). Ende Jänner 2025 berichtet Syria TV, dass seit dem Sturz der Assad-Regierung über 5.000 Männer die SDF verlassen hätten, indem sie übergelaufen oder geflohen seien. Einer der SDF nahestehenden Quelle zufolge bestehe ein Mangel an Kräften in den Reihen der SDF und diese sei nicht imstande neue Rekrutierungskampagnen in der Region zu starten. Es würden nur begrenzt Rekrutierungsoperationen durchgeführt, und zwar hauptsächlich im Gouvernement Hasaka. Der Quelle zufolge prüfe die SDF sämtliche Optionen, um ihre Militär- und Sicherheitskräfte zu stärken, unter anderem durch den Aufbau neuer Kräfte. Mitte Jänner habe die SDF die Demobilisierung von Wehrpflichtigen, die ihre Wehrpflicht bereits abgeleistet hätten, aufgrund des bedeutenden Anstiegs an Desertionen und Überläufen in ihren Kreisen gestoppt. Die SDF sehe für jeden Mann, der das Alter von 18 Jahren erreicht habe und zwischen 1998 und 2006 geboren sei, eine einjährige Wehrpflicht vor. Ein von der SDF zwangsrekrutierter Mann habe Syria TV erzählt, dass er seinen Wehrdienst vor zwei Monaten erfüllt habe und die SDF sich ohne Angabe von Gründen weigern würde, ihn aus der Pflicht zu entlassen. Davon seien hunderte andere Personen betroffen (Syria TV, 31. Jänner 2025).

Mehrere Quellen berichten im Februar 2025 von der Entführung eines Minderjährigen durch SDF-nahe Kräfte im Viertel Scheich Maqsoud in Aleppo zum Zweck der Zwangsrekrutierung. Er sei den Quellen zufolge von der Revolutionären Jugend entführt worden. (REBAZ, 21. Februar 2025; Basnews, 22. Februar 2025; @HalabTodayTV, 28. Februar 2025). Einem Artikel von Basnews von Februar 2025 zufolge sei der Minderjährige zum Zweck der Zwangsrekrutierung durch die Volksverteidigungseinheiten (YPG) von der Revolutionären Jugend entführt worden. Zudem sei zuvor ein Minderjähriger in der Stadt Kobane von der Revolutionären Jugend entführt worden (Basnews, 22. Februar 2025). Ende Februar 2025 berichtet das syrische Netzwerk für Menschenrechte namens RASD Syria von der Entführung eines 12-jährigen Mädchens, ebenfalls aus dem Viertel Scheich Maqsud. Das Mädchen sei Mitte Februar von der SDF nahestehenden Kräften entführt und in ein Kinderrekrutierungslager gebracht worden. Obwohl die Eltern das Mädchen gesucht hätten, hätten sie es nicht finden können. Der Quelle zufolge würden SDF-Kräfte weiterhin Kinder festnehmen und sie unter Zwang in Kinderrekrutierungslagern festhalten. Diese und andere Übertretungen hätten in der Zeit, die der Berichterstattung vorangegangen sei, zugenommen. Auch Entführungen und Rekrutierungen von Kindern durch die der SDF nahestehenden Revolutionären Jugend hätten zugenommen (RASD Syria, 27. Februar 2025).

Gruppe Islamischer Staat (IS)

Laut einem Al-Monitor-Artikel von Dezember 2024 nutze der IS wahrscheinlich das durch den Sturz der Assad-Regierung entstandene Chaos, um neue Mitglieder zu rekrutieren, darunter möglicherweise auch militante Hardliner aus den Reihen der HTS, denen die moderate Linie von Ahmed Al-Scharaa nicht zusage (Al-Monitor, 28. Dezember 2024). Einem Artikel des Soufan-Center, ebenso von Dezember 2024, zufolge, könne es sein, dass der IS sich nach dem Sturz der Assad-Regierung nun mehr anstrengen müsse, um zu rekrutieren (The Soufan Center, 18. Dezember 2024). Anfang Jänner 2025 berichtet der Council on Foreign Relations (CFR), dass der IS zu einem Großteil zwar besiegt worden sei, er jedoch weiterhin in Syrien und darüber hinaus rekrutiere und operiere (CFR, 9. Jänner 2025).

In einem Artikel vom 13. Februar 2025 zitiert Al Arabiya den Co-Vorsitzenden des Büros der Angelegenheiten Vertriebener und Geflüchteter in der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES), der erklärt habe, dass der IS weiterhin im Lager Al-Hol[4] rekrutiere (Al Arabiya, 13. Februar 2025). Das US-Verteidigungsministerium (US Department of Defense, USDOD) schreibt im Februar 2025, dass die anhaltende Unterstützung des IS und Kontakte im Al-Hol-Lager zu IS-Mitgliedern es dem IS erlaubt hätten, weiterhin aus dem Lager zu rekrutieren (USDOD, 19. Februar 2025, S. 32).

In einem Artikel vom 30. Jänner 2025 berichtet das Middle East Media Research Institute (MEMRI), dass eine Plattform, die offizielles IS-Material veröffentliche, einen neuen Telegram-Bot beworben habe, der programmiert sei, abtrünnig gewordene HTS-Mitglieder, die dem IS beitreten wollen, zu beraten (MEMRI, 30. Jänner 2025).

Das Institute for the Study of War (ISW) und das Critical Threats Project (CTP) berichten im Jänner 2025, dass die Sicherheitslage in Syrien nach dem Sturz der Assad-Regierung dazu führen könne, dass die Fähigkeit des IS neue Kämpfer zu rekrutieren, gestärkt werde, sollte der Sektarismus im Land außer Kontrolle geraten (ISW CTP, 9. Jänner 2025; siehe auch The Soufan Center, 18. Dezember 2024). Dem oben erwähnten USDOD-Bericht von Februar 2025 zufolge werde der IS wahrscheinlich seinen Vorteil aus der geschwächten Sicherheitslage in Syrien ziehen, um seine Präsenz über die Wüste in Zentralsyrien hinaus auszuweiten und seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern. Die Gruppe werde der Quelle zufolge die politische Instabilität in Syrien für sich nutzen, um Rekrutierungen unter marginalisierten lokalen Gemeinschaften auszuweiten (USDOD, 19. Februar 2025, S. 11; siehe auch The Soufan Center, 18. Dezember 2024).“

1.3.5. Auszug aus dem EUAA, Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025:

Zur aktuelle Lage in Syrien wird anhand des Berichts der EUAA, Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025 folgendes festgestellt (Nummerierung der Überschriften des englischen Original-Berichts beibehalten):

„[….]

1.2.2. Regierungsführung unter der Übergangsverwaltung (S. 20-23)

(a) Politischer Übergang (S. 20-21)

Nach dem Sturz der Regierung von Bashar Al-Assad am 8. Dezember 2024 wurde eine Übergangsverwaltung geschaffen. Der ehemalige Premierminister Mohammed Al-Jalali übertrug die Macht formell an Mohammed al-Bashir, den neu ernannten Übergangspremierminister, um die Fortführung der staatlichen Aufgaben einschließlich der Zahlung der Gehälter im öffentlichen Dienst zu gewährleisten, wie Al-Jalali erklärte.

Al-Sharaa erklärte, dass die Organisation nationaler Wahlen bis zu fünf Jahre dauern könnte, da die Wahlinfrastruktur erst wieder aufgebaut werden müsse. Er versicherte ferner, dass Syrien als „Republik mit einem Parlament und einer Exekutivregierung“ strukturiert sein werde.

Am 29. Dezember skizzierte Ahmad al-Sharaa einen mehrjährigen Fahrplan, der die Ausarbeitung einer neuen Verfassung innerhalb von drei Jahren und anschließende Wahlen vorsieht, sowie Pläne für eine Konferenz des nationalen Dialogs zur Förderung von Versöhnung und Inklusion. Als Teil des Übergangsprozesses betonte Al-Sharaa die Bedeutung der Bewahrung der nationalen Einheit und lehnte den Föderalismus ab. Erste Verhandlungen wurden mit den SDF und dem Kurdischen Nationalrat (KNC) geführt, um die kurdischen Gruppierungen in den politischen Prozess einzubeziehen. Die ursprünglich für Anfang Januar geplante Konferenz für den nationalen Dialog wurde jedoch verschoben, um ein breiteres Vorbereitungskomitee einzusetzen, in dem alle Teile der syrischen Gesellschaft vertreten sind. Die Konferenz fand schließlich am 25. Februar 2025 statt, der vorbereitende Workshops auf lokaler Ebene vorausgegangen waren. Sie trat in Damaskus mit rund 600 Teilnehmern zusammen und betonte in ihrer Abschlusserklärung die territoriale Integrität Syriens, verurteilte die israelischen Angriffe und forderte einen Rückzug. Ferner wurde die Annahme einer vorläufigen Verfassungserklärung, die Bildung eines vorläufigen Legislativrats und die Ausarbeitung eines Entwurfs für eine ständige Verfassung mit Schwerpunkt auf Menschenrechten und Freiheit festgelegt. In der Abschlusserklärung wurde ferner die Bedeutung der Beteiligung von Frauen, der friedlichen Koexistenz und der Einrichtung von Mechanismen für den laufenden nationalen Dialog hervorgehoben. Die Konferenz wurde jedoch als übereilt organisiert und unzureichend repräsentativ kritisiert.

Ende Januar erklärte die Übergangsregierung die Verfassung Syriens aus dem Jahr 2012 für ungültig und löste das Parlament, das Militär und die Sicherheitsorgane der früheren Regierung auf. Al-Sharaa erklärte, er werde einen legislativen Interimsrat einrichten, der die Regierung bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung unterstützen soll.

(b) Regierungsbildung (S.21-22)

Nach der Machtübernahme in Damaskus setzte die HTS eine geschäftsführende Regierung ein, die sich hauptsächlich aus Beamten der ehemaligen Syrischen Heilsregierung (SSG) in Idlib zusammensetzte, was Al-Sharaa als eine vorübergehende Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Stabilität und Wiederherstellung der wichtigsten Dienste bezeichnete. Zunächst übernahmen Minister der SSG nationale Ministerposten, wobei einige Beamte und Staatsbedienstete der früheren Regierung in ihren Positionen blieben, um die Kontinuität zu gewährleisten.

Am 10. Dezember 2024 wurde Mohammed Al-Bashir, ein Ingenieur aus dem Gouvernement Idlib und ehemaliger Leiter der SSG im Nordwesten Syriens, die zusammen mit der HTS gegründet wurde, zum Interimspremierminister ernannt. Seine Amtszeit und die der Übergangsregierung sollte am 1. März 2025 enden, aber Ende Januar 2025 gab es noch keinen Termin für Wahlen in Syrien. In der Zwischenzeit wurde Ahmad Al-Sharaa, der Anführer der HTS, zum De-facto-Führer Syriens ernannt. Am 29. Januar 2025 wurde Al-Sharaa zum Präsidenten für die Übergangszeit ernannt.

Am 21. Dezember ernannte die Übergangsregierung Asaad Hassan Al-Shibani zum Außenminister und Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister, die beide als Verbündete von Al-Sharaa bekannt waren. Weitere Ernennungen betrafen Mohamed Abdel Rahman als Innenminister, Mohammed Yaqoub Al-Omar als Informationsminister, Mohamed Taha Al-Ahmad als Minister für Landwirtschaft und Bewässerung, Nazir Mohammed Al-Qadri als Bildungsminister und Shadi Mohammed Al-Waisi als Justizminister, die alle zuvor in der Heilsregierung tätig waren. Darüber hinaus übernahmen Fadi Al-Qassem, Mohamed Abdel Rahman Muslim, Hossam Hussein und Basil Abdul Aziz das Amt des Ministers für Entwicklung, des Ministers für lokale Verwaltung und Dienstleistungen, des Ministers für Stiftungen und des Wirtschaftsministers. Anas Khattab (auch bekannt unter seinem Pseudonym Abu Ahmad Hudood), ein früherer Führer der Nusra-Front, wurde zum Leiter des Allgemeinen Nachrichtendienstes ernannt.

(c) Militärische Reformen (S.22-23)

Vor ihrem Einzug in Damaskus am 8. Dezember verpflichtete sich die HTS, den institutionellen Rahmen Syriens beizubehalten, und erklärte später eine Generalamnestie für die Soldaten der syrischen Armee. Die Übergangsregierung leitete daraufhin einen Beilegungsprozess ein, der die Wiedereingliederung zahlreicher ehemaliger Regierungs- und Militärangehöriger erleichterte, darunter auch hochrangige Beamte, von denen einige, wie z. B. Fadi Saqr, in schwerwiegende Übergriffe während des Krieges verwickelt waren. Neben den Verfahren zur freiwilligen Wiedereingliederung verfolgte die Military Operations Administration (MOA), die übergeordnete Kommandozentrale der neuen HTS-geführten Übergangsverwaltung, Personen, die sich der Wiedereingliederung entzogen. Im Rahmen dieser Kampagnen wurden frühere Offiziere verhaftet, während andere wieder freigelassen wurden, nachdem festgestellt worden war, dass sie nicht an Übergriffen beteiligt gewesen waren. Nach Angaben von Etana gab es Bedenken wegen fehlender Verfahren, da Berichten zufolge Hinrichtungen von Milizionären auf niedriger Ebene stattfanden, die von den Behörden als vereinzelte Racheakte der Gemeinschaft dargestellt werden. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), eine im Vereinigten Königreich ansässige Überwachungsorganisation, berichtete Mitte Januar, dass innerhalb weniger Tage 8.000 Personen in den MOA-Zentren in Sallamiyah, Hama, Versöhnungsabkommen geschlossen haben. Die Zahl der Offiziere und Angehörigen der Streitkräfte der früheren Regierung in Gefängnissen wie Adra, Hama und Harim stieg auf über 9.000, darunter 2.000, die aus dem Irak zurückgekehrt waren. Die meisten wurden verhaftet, nachdem sie bei Razzien oder an Checkpoints erwischt worden waren.

Die Übergangsregierung schaffte außerdem die Wehrpflicht ab, außer in Situationen wie dem nationalen Notstand. Laut Samir Saleh, Mitglied des Militärkommandos im Umland von Damaskus, wird die syrische Armee eine Freiwilligenarmee sein, an der sich die Bevölkerung beteiligen soll, um die Grenzen des Landes zu sichern. Frühere Überläufer, wie z. B. Offiziere der Freien Syrischen Armee (FSA), werden in der Struktur des Verteidigungsministeriums einen besonderen Status erhalten, je nach ihrer Expertise. Am 29. Dezember wurde eine Liste mit 49 neuen militärischen Befehlshabern veröffentlicht, darunter Mitglieder der HTS, übergelaufene Offiziere der syrischen Armee und mindestens sechs Nicht-Syrer, wobei die sieben höchsten Positionen Berichten zufolge mit HTS-Mitgliedern besetzt sind.

Schließlich verpflichtete sich die Übergangsregierung, alle Rebellengruppen in das Verteidigungsministerium zu integrieren. Zwischen Januar und Februar 2025 bemühten sich die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres, alle bewaffneten Gruppen in einer einzigen Militär- und Polizeitruppe zu vereinen. Das Verteidigungsministerium berichtete, dass über 70 Gruppierungen aus sechs Regionen der Integration zugestimmt hätten, und es wurde ein Oberster Ausschuss eingerichtet, der den Einsatz militärischer Mittel, einschließlich Personal, Stützpunkte und Waffen, steuern sollte.

[…]

1.3. Behandlung bestimmter „Profile“ und Gruppen der Bevölkerung (S.26-42) 1.3.1. Personen, die der Regierung von Bashar Al-Assad nahestanden (S.26-29)

Nach der Machtübernahme verfolgte die Übergangsregierung keinen umfassenden Entbaathifizierungsprozess nach dem Vorbild der Nachkriegspolitik des Irak, und die Büros der Baath-Partei wurden nicht systematisch ins Visier genommen. Im Dezember stellte die Führung der Baath-Partei ihre Aktivitäten ein.

Ende Januar wurde bekannt gegeben, dass die Partei aufgelöst wurde. Von Anfang an verkündeten die neuen Behörden, dass die Soldaten, die im Rahmen der Wehrpflicht rekrutiert worden waren, sicher seien und dass es verboten sei, sie anzugreifen. Am 9. Dezember erließ das MOA eine Generalamnestie für alle zwangsrekrutierten Militärangehörigen. Die neue Regierung richtete daraufhin so genannte „Versöhnungszentren“ ein, in denen ehemalige Angehörige der Polizei, des Militärs, der Nachrichtendienste und der Pro-Assad-Milizen, die ihre Waffen abgegeben haben, vorübergehend zivile Ausweise erhalten. Diese Versöhnungszentren überwachen den Prozess, bei dem ehemalige Regimeangehörige ihre Waffen abgeben und ihre persönlichen Daten im Austausch gegen vorläufige Personalausweise registrieren. Diese Karten gewähren einen begrenzten Rechtsschutz und sicheres Reisen, aber das Verfahren ist nicht transparent, folgt uneinheitlichen Kriterien und wird von den Sicherheitsbehörden beeinflusst, so dass viele Antragsteller vor komplexen bürokratischen Hürden stehen. Ende Dezember berichtete die BBC von einer großen Beteiligung, bei der Hunderte von Personen vor einem Versöhnungszentrum in Damaskus Schlange standen.

Im Januar und Februar berichteten lokale Medien und Organisationen, die die Ereignisse in Syrien verfolgten, dass die neue Regierung einigen hochrangigen Persönlichkeiten, die mit der Assad-Regierung in Verbindung stehen, Amnestie gewährte, wie z. B. Fadi Saqr, dem früheren Führer der Nationalen Verteidigungskräfte. Außerdem soll die MOA Kollaborateuren von Maher Al-Assad, wie Geschäftsleuten, die seine Aktivitäten unterstützten, sowie Generalmajor Talal Makhlouf, Anführer der Republikanischen Garde der Assad-Regierung, Versöhnung gewährt haben. Gleichzeitig veranlasste der Zusammenbruch der Regierung von Bashar Al-Assad zahlreiche hochrangige Beamte und Angehörige der Herrscherfamilie zur Flucht in den Libanon. Die libanesischen Behörden wiesen jedoch syrische Offiziere und Soldaten, die illegal eingereist waren, aus und schickten sie nach Syrien zurück, wo sie von der neuen Regierung inhaftiert wurden.

Ende Dezember intensivierte die Übergangsverwaltung ihre Bemühungen, Personen festzunehmen, die mit der gestürzten Regierung in Verbindung stehen. Die Behörden behaupteten, ihre Verhaftungsaktionen zielten nur auf Personen ab, die im Namen des Assad-Regimes Verbrechen begangen hatten. Die Kampagnen in Deir Ez-Zor, Aleppo und Tartous konzentrierten sich auf die Beschlagnahmung illegaler Waffen und die Festnahme von Verdächtigen, die an illegalen Aktivitäten beteiligt waren. Allein in einer Woche wurden in Damaskus, Latakia, Tartus, Homs, Hama und Deir Ez-Zor fast 300 Personen festgenommen, darunter ehemalige Regimeinformanten, pro-iranische Kämpfer und rangniedrige Militäroffiziere. Nach Angaben des SOHR wurden einige Gefangene, die beschuldigt wurden, der Assad-Regierung Informationen geliefert zu haben, Berichten zufolge unmittelbar nach ihrer Verhaftung hingerichtet. Am 10. Januar berichtete das SOHR, dass Kämpfer, die mit der Übergangsregierung verbunden sind, Mazen Kneneh, einen lokalen Beamten, der beschuldigt wird, als Informant für den gestürzten Präsidenten Assad zu arbeiten, öffentlich hinrichteten. Im Februar wurden weitere außergerichtliche Tötungen ehemaliger Mitglieder von Milizen, die Bashar Al-Assad unterstützten, gemeldet, wie die Ermordung von vier Mitgliedern der Familie Meido, die einer lokalen Miliz angehörten, die an der Seite der früheren Regierung gekämpft hatte. Nach Angaben des SOHR wurden zwischen Anfang 2025 und Mitte Februar 2025 287 Personen durch außergerichtliche Tötungen und Racheakte getötet.

Die Operationen wurden den ganzen Januar über fortgesetzt, wobei Mitglieder der allgemeinen Sicherheitsverwaltung Häuser inspizierten und nach Waffen und Personen suchten, die sich nicht mit der Übergangsverwaltung ausgesöhnt hatten. Bei umfangreichen Militär- und Sicherheitsoperationen in Schlüsselregionen wie den Küstenstädten, Homs, Hama, Aleppo und Damaskus kam es zu Razzien, Waffendurchsuchungen und der Festnahme weiterer Hunderter von Personen. Die Operationen konzentrierten sich auf ehemalige militärische Kämpfer und Ex-Regierungsangehörige und führten zur Beschlagnahmung erheblicher Mengen an Waffen und Munition. Die festgenommenen Personen wurden in die Zentralgefängnisse von Homs, Hama und Adra im ländlichen Damaskus gebracht. Darüber hinaus wurden Videos ins Internet gestellt, auf denen zu sehen ist, wie Häftlinge, die bei diesen Operationen festgenommen wurden, körperlich und verbal misshandelt werden, einschließlich Angriffen und erniedrigender Behandlung. Nach Angaben des Syria Justice and Accountability Center kam es bei diesen Sicherheitsoperationen zu verschiedenen Menschenrechtsverletzungen, darunter dem Tod von Inhaftierten und der Verhaftung von Angehörigen gesuchter Personen, von denen sowohl ehemalige Angehörige der Assad-Regierung als auch nicht verwandte Zivilisten betroffen waren. Mitte Januar meldete das SOHR, dass über 9 000 Kämpfer und Offiziere weiterhin inhaftiert seien, wobei Foltervorwürfe erhoben und der Kontakt zu den Familien eingeschränkt wurde. Informationen des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR) stimmten mit den Foltervorwürfen überein, die von Familien berichtet wurden, denen die Leichen ihrer Familienmitglieder nach ihrer Inhaftierung durch das Generaldirektorat für Sicherheit zurückgegeben wurden. Gleichzeitig berichtete das SOHR, dass 275 Häftlinge aus dem Zentralgefängnis von Homs freigelassen wurden, nachdem ihre Unschuld an Kriegsverbrechen gegen die syrische Bevölkerung festgestellt worden war. Im Januar 2025 ließ die Übergangsverwaltung rund 641 Personen, hauptsächlich aus den Gouvernements Homs, Hama und Latakia, frei, die zwischen einigen Tagen und einem Monat inhaftiert waren, wobei die meisten in kleinen Gruppen aus dem Zentralgefängnis von Homs entlassen wurden.

Anfang Februar verhängte das Informationsministerium ein Verbot, Interviews mit Personen zu führen oder Aussagen zu verbreiten, die mit der früheren Regierung in Verbindung gebracht werden.

Seit der Machtübernahme durch die Übergangsregierung haben die verbliebenen Pro-Assad-Gruppen in ganz Syrien kleinere, gezielte Anschläge auf die Sicherheitskräfte der Regierung verübt. Diese Angriffe haben die Behörden dazu veranlasst, Operationen zur Ergreifung der Täter einzuleiten, die manchmal zu Opfern unter der Zivilbevölkerung führten. Anfang März führten koordinierte Angriffe von Pro-Assad-Gruppen auf Sicherheitskräfte, insbesondere in den Küstengebieten, zu einer erheblichen Eskalation, die eine große Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung, vor allem unter den Alawiten, zur Folge hatte.

Neben den Operationen der Übergangsverwaltung wurden Vorfälle von mutmaßlichen Racheakten, einschließlich Tötungen, Entführungen und Brandstiftungen, durch nicht identifizierte Gruppen dokumentiert, deren Ausmaß jedoch unklar bleibt. Ende Dezember wurden drei alawitische Richter in Masyaf, die für Eigentumsstreitigkeiten zuständig waren, getötet, eine Tat, die von der Übergangsverwaltung verurteilt wurde. Im Januar meldete das SOHR die Hinrichtung von 15 Personen, darunter Beamte der ehemaligen Regierung, durch nicht identifizierte Bewaffnete im Gouvernement Homs. Außerdem wurden 53 Personen verhaftet und an unbekannte Orte gebracht.

1.3.2. Alawiten (S.29-31)

Nach ihrer Machtübernahme betonte die HTS ihr Engagement für die Integration der Alawiten in die syrische Staatsführung und nahm Gespräche mit lokalen Vertretern der Alawiten auf. HTS-Vertreter bekräftigten, dass die Rechenschaftspflicht für Verbrechen, die unter der Assad-Regierung begangen wurden, über das formelle Rechtssystem verfolgt werden würde. Trotz dieser Zusicherungen bleiben die Alawiten von den neuen politischen und militärischen Strukturen weitgehend ausgeschlossen, und es gibt keinen Plan für die Eingliederung entlassener Soldaten in die neue Armee, da die Differenzen aus der Kriegszeit fortbestehen. Das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber ehemaligen Offizieren und Beamten des Regimes behindert ihre Wiedereingliederung zusätzlich. Die wirtschaftliche Unsicherheit stellt eine große Herausforderung dar, wobei die Massenentlassungen im öffentlichen Sektor vor allem Alawiten betreffen, darunter ehemalige Sicherheitsbeamte und ihre Familien, von denen viele auch staatlich bereitgestellte Wohnungen verloren haben.

Die Behandlung der alawitischen Gemeinschaften, insbesondere in Regionen wie Homs, Hama und den Küstengouvernements, gibt weiterhin Anlass zu großer Sorge. In der Stadt Homs errichteten Männer in Militäruniformen Kontrollpunkte an den Eingängen der mehrheitlich von Alawiten bewohnten Stadtteile, was die Ängste der Bewohner schürt. Berichten zufolge wurden junge Männer, darunter ehemalige Soldaten und Wehrpflichtige, die ihre Waffen abgegeben hatten, festgenommen. Die Männer an einem Kontrollpunkt haben angeblich ein Sektenprofil erstellt, bevor der Kontrollpunkt nach Beschwerden aufgelöst wurde. Shihadi Mayhoub, ein ehemaliger Gesetzgeber, sagte, er habe bis Januar 2025 über 600 Verhaftungen im Bezirk Zahra (Gouvernement Homs) und mehr als 1.380 in der Stadt Homs dokumentiert, wobei es sich bei den meisten Verhafteten um Zivilisten und Wehrpflichtige sowie um pensionierte Offiziere gehandelt haben soll. Das SOHR schätzt, dass in der Stadt Homs und ihrem Gouvernement mindestens 1.800 Personen, überwiegend Alawiten, inhaftiert wurden. Darüber hinaus nahm die gegen Alawiten gerichtete Gewalt landesweit zu, und es wurden 150 Morde gemeldet, insbesondere in Homs und Hama.

In der Zwischenzeit verschärften nicht identifizierte extremistische Gruppierungen die Ängste, indem sie Aufrufe zur Gewalt gegen Alawiten verbreiteten, darunter auch Videos, die wahllose Angriffe befürworteten. Gezielte Tötungen von Alawiten, die mit der früheren Regierung in Verbindung standen, wurden aus den Küstenregionen gemeldet, während bewaffnete Gruppen, die Militäruniformen trugen, die denen der HTS oder anderer Oppositionsgruppen ähnelten, überfielen über 20 alawitische Dörfer im ländlichen Hama, was zu Vertreibung, Diebstahl und Todesfällen führte.

Berichte über Schikanen, Entführungen und Tötungen von Alawiten nahmen nach dem Sturz Assads zu, wobei in den sozialen Medien - wenn auch unbestätigte - HTS-Kämpfer für die Gewalt verantwortlich gemacht wurden. Ein ehemaliger syrischer Soldat berichtete, er sei an einem HTS-Kontrollpunkt in der Nähe von Khirbet al-Ma'zah im Gouvernement Tartus festgenommen und geschlagen worden, als er unterwegs war, um Amnestie zu beantragen. Er gab an, er sei gezielt wegen seiner alawitischen Herkunft angegriffen und fünf Stunden lang körperlich misshandelt worden, bevor er freigelassen wurde. Die Vereinten Nationen bemühten sich, diese Behauptungen zu überprüfen, um eine weitere sektiererische Eskalation zu verhindern, während das SOHR schätzungsweise 150 alawitische Tötungen innerhalb eines Monats durch ungenannte Täter verzeichnete.

In Zahra, einem Viertel in Homs mit einem hohen Anteil an alawitischer Bevölkerung, nahm die Unsicherheit zu, und die Bewohner hielten sich aufgrund der Präsenz von HTS-Kräften an eine informelle Ausgangssperre. Die HTS ergriff Sicherheitsmaßnahmen in dem Gebiet, darunter Kontrollpunkte und Hausdurchsuchungen bei Personen, die sie als Überbleibsel der früheren Regierung identifizierte. In Berichten von Anwohnern wurde von Zwangsräumungen, der Erstellung von Profilen anhand von Ausweisdokumenten sowie von Gewalt, Verhaftungen, körperlichen Angriffen und Schüssen berichtet.

Ende Januar meldete das SOHR mehrere Fälle, in denen bewaffnete Gruppen, von denen einige behaupteten, mit der MOA in Verbindung zu stehen, Zivilisten aus politischen und konfessionellen Gründen angriffen und töteten. Insbesondere in Gemeinden im Umland von Homs, in denen die alawitische und schiitische Bevölkerung überwiegt, kam es zu einer drastischen Eskalation von Übergriffen, Straftaten und außergerichtlichen Tötungen von Zivilisten. In einem Dorf im Nordwesten des Gouvernements Hama, das hauptsächlich von Alawiten bewohnt wird, haben Bewaffnete Zivilisten erschossen und getötet. Nach Angaben der Behörden befanden sich unter den Getöteten ehemalige Offiziere und Soldaten.

Anfang Februar wurden weitere Angriffe auf Alawiten gemeldet. Die neuen Behörden leiteten Ermittlungen wegen unrechtmäßiger Tötungen ein und kündigten gleichzeitig Sicherheitsoperationen gegen Loyalisten der früheren Regierung an. Interimspräsident Ahmad Al-Sharaa betonte die Notwendigkeit, den zivilen Frieden zu wahren, und warnte vor den Gefahren einer Vertiefung der konfessionellen Spaltung.

Gregory Waters, Experte für syrische Sicherheitsfragen, wies auf die sehr unterschiedlichen Bedingungen in ehemaligen Regierungshochburgen wie Tartous, Latakia, Homs und Hama hin. Während von Fällen konfessioneller Einschüchterung und Belästigung durch Sicherheitskräfte berichtet wurde, beschrieben einige Alawiten in diesen Regionen den Umgang mit den Behörden als höflich und respektvoll. Laut Waters scheinen die dokumentierten Verstöße eher auf unprofessionelles Verhalten bei Verhaftungen als auf explizite konfessionelle Ziele zurückzuführen zu sein, wobei viele der begangenen Straftaten Banden und Zivilisten zugeschrieben werden, die keine Verbindung zur Übergangsregierung haben. Er stellte ferner fest, dass Menschenrechtsverletzungen manchmal im Kontext einer instabilen Sicherheitslage oder eines Sicherheitsvakuums sowie als Reaktion auf bestimmte Vorfälle begangen wurden, wie beispielsweise, als ehemalige Regierungsmilizionäre Ende Dezember in den ländlichen Gebieten von Tartus einen Hinterhalt gegen Sicherheitskräfte legten. Die Streitkräfte leiteten daraufhin eine Operation ein, die Hausdurchsuchungen, die Errichtung von Kontrollpunkten und Schießereien gegen Dörfer umfasste, die im Verdacht standen, die Kämpfer zu beherbergen, wie z. B. Khirbet Maazah, wo zahlreiche ehemalige Kämpfer der Regierungsmiliz und ein hochrangiger Gefängnisbeamter lebten, der beschuldigt wurde, an der Ermordung von Hunderten von Gefangenen beteiligt gewesen zu sein. Waters ist der Ansicht, dass zahlreiche Verbrechen von Banden und Zivilisten verübt wurden, die nicht mit der neuen Regierung verbunden sind, während einige untergeordnete Soldaten und lokale Führer an sektiererisch motivierten Einschüchterungen und Entführungen von alawitischen Zivilisten beteiligt waren.

Anfang März wurden bei Zusammenstößen zwischen pro-Assad-Gruppen und Sicherheitskräften in Latakia, Tartus und Hama Hunderte von Zivilisten getötet, die meisten von ihnen Alawiten. Dabei kam es auch zu Hinrichtungen im Schnellverfahren durch Kräfte, die mit der Übergangsregierung verbunden sind.

1.3.3. Kurden (S.31)

In Bezug auf die kurdische Gemeinschaft hielt Al-Sharaa nach der Übernahme der Kontrolle ein erstes Treffen mit einer hochrangigen SDF-Delegation ab, um die Grundlage für künftige Gespräche zu schaffen. Seine Äußerungen deuteten darauf hin, dass die Übergangsverwaltung nicht mit dem Anti-SDF-Ansatz der von der Türkei unterstützten SNA übereinstimmte. Dennoch bezeichnete Mohammed A. Salih, ein auf kurdische und regionale Fragen spezialisierter Wissenschaftler, seine Äußerungen als unklar und nicht unterstützend für die kurdischen Ziele. Nach der raschen Einnahme von Aleppo durch die von der HTS geführte Offensive Ende November zwangen die SNA-Kräfte Tausende von kurdischen Zivilisten zur Flucht westlich des Euphrat. In Aleppo hatten die Kurden in erster Linie mit der HTS zu tun, die sich moderat und offen für einen Dialog gezeigt hat. Im Gegensatz dazu geriet die SNA in Manbij immer wieder in Konflikt mit den SDF. Die durchgehende Existenz der SDF wurde von den Organisatoren der Nationalen Dialogkonferenz als Grund für den Ausschluss der halbautonomen kurdischen Verwaltung und der ihr nahestehenden Einrichtungen von der Konferenz angegeben.

Während des gesamten Januars kam es zu weiteren Wohnraums- und Eigentumsverletzungen, als vertriebene kurdische Einwohner versuchten, nach Afrin, einer mehrheitlich kurdisch bewohnten Region im Umland von Aleppo, und in die umliegenden Gebiete zurückzukehren. Berichten zufolge wurden sie von den SNA-Kräften gezwungen, bis zu 10 000 USD für die Rückgabe ihrer Häuser zu zahlen. Gleichzeitig nahmen SNA-Gruppierungen im Januar mindestens 10 Kurden in Afrin fest, wobei die Lösegeldforderungen für die Freilassung auf über 1 000 USD pro Person anstiegen. Bis Mitte Februar hatte sich für die Kurden in Afrin trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften aus Damaskus in der Stadt am 7. Februar nur wenig geändert. Berichten zufolge hielten die Misshandlungen durch verschiedene Gruppierungen in Afrin an. Zurückkehrende Bewohner stellten fest, dass ihre Häuser von Kämpfern oder Zivilisten besetzt waren, die für ihre Abreise erhebliche Geldsummen verlangten, obwohl die früheren Bewohner von der Übergangsverwaltung förmliche Zusicherungen für ihre Rückkehr erhalten hatten. Gegen Ende Februar besuchte Al-Sharaa Afrin und traf sich mit lokalen kurdischen Vertretern, die ihre Beschwerden vortrugen; daraufhin sagte er zu, die Gruppierungen in der Stadt durch offizielle Sicherheitskräfte zu ersetzen und die gegen die kurdische Gemeinschaft gerichteten Übergriffe anzugehen.

1.3.4. Andere religiöse und ethnische Minderheiten (S.32-33)

Die neue syrische Führung hat zugesagt, die Rechte von Minderheiten zu wahren und die nationale Einheit zu fördern, in Anbetracht der Befürchtung, unter der islamistischen Herrschaft marginalisiert zu werden.

Im Rahmen seiner Bemühungen, die Minderheitengemeinschaften zu beruhigen, traf Ahmad Al-Sharaa am 22. Dezember mit dem libanesischen Drusenführer Walid Jumblatt zusammen. Später kam er nach einer Reihe von Angriffen auf religiöse Minderheiten mit christlichen Führern zusammen, darunter katholische, orthodoxe und anglikanische Geistliche. Dieses Treffen fand nach Protesten statt, die durch die Verbrennung eines Weihnachtsbaums durch mit der HTS verbundene ausländische Kämpfer am 23. Dezember in einer überwiegend christlichen Stadt in Hama ausgelöst worden waren, sowie nach weiteren Berichten über Schikanen. Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsbaum nahm die Übergangsregierung die ausländischen Kämpfer fest, die sie für diesen als Einzelfall bezeichneten Vorfall verantwortlich machte. Darüber hinaus blieben die Regierungsbüros an den Weihnachtsfeiertagen und am folgenden Tag, dem 23. Dezember, geschlossen. Unterdessen berichtete France24, dass in Damaskus zwar Weihnachtsfeiern stattfanden, die christlichen Einwohner sich jedoch zurückhielten und einige aus Angst und Unsicherheit keinen Alkohol kauften.

Berichten zufolge kam es vermehrt zu gezielten Übergriffen auf christliche Gemeinschaften, darunter ein Angriff unbekannter Bewaffneter auf eine griechisch-orthodoxe Kirche in Hama am 18. Dezember, sowie zu verstärkten Spannungen in christlichen Vierteln von Damaskus aufgrund von Drohungen wie öffentlich gesungenen dschihadistischen Liedern und einer Drohbotschaft auf einem gepanzerten Fahrzeug.

Menschenrechtsorganisationen haben verschiedene Einschränkungen der religiösen Freiheiten dokumentiert. Richard Ghazal, Geschäftsführer von In Defense of Christians, wies auf Maßnahmen wie Alkoholverbote und die Präsenz von Flaggen des Islamischen Staates in Gebieten nahe Damaskus hin. In ähnlicher Weise dokumentierte Nadine Maenza vom in Washington ansässigen Sekretariat für internationale Religionsfreiheit Ende Dezember mindestens ein Dutzend Augenzeugenberichte über Angriffe gegen religiöse und ethnische Minderheiten in der Region Shehba in der Nähe von Aleppo. Rafif Jouejati, Wissenschaftler am Middle East Institute, vertrat jedoch die Ansicht, dass diese Vorfälle als Einzelfälle und nicht als Beweis für ein breiteres Muster systematischer Intoleranz betrachtet werden sollten.

Im Stadtteil Al-Qassaa, Damaskus, verteilten bewaffnete Personen Flugblätter, in denen sie Beschränkungen für die Kleidung von Frauen, das Rauchen und soziale Interaktionen forderten. Die HTS entsandte daraufhin Patrouillen, schrieb die Vorfälle nicht identifizierten Personen zu und lehnte eine Befürwortung ab. Die Häufigkeit solcher Aktionen gibt jedoch weiterhin Anlass zur Sorge.

Die neue Regierung unterstrich ihr Bekenntnis zur Inklusivität durch das Versprechen der Nationalen Dialogkonferenz, die darauf abzielte, verschiedene Gemeinschaften, darunter Christen, Kurden, Künstler und Intellektuelle, in die Gestaltung der Zukunft Syriens einzubeziehen. Als die Nationale Dialogkonferenz stattfand, konnte sie die Bedenken hinsichtlich der Inklusivität nicht zerstreuen. Von den sieben Personen, die in das Vorbereitungskomitee berufen wurden, gehörte nur eine einer religiösen Minderheit an, die christliche syrische Aktivistin Hind Kabawat, während die anderen sunnitische Muslime waren, von denen einige enge Verbindungen zu Sharaa oder HTS hatten. Kurdisch geführte Behörden aus dem Nordosten waren von der Konferenz gänzlich ausgeschlossen. Einige Christen erklärten, sie hielten ihr Urteil zurück, bis eine neue Verfassung ausgearbeitet sei und allgemeine Wahlen stattfänden. In der Übergangsregierung sind die Christen nicht vertreten, und sie setzt sich hauptsächlich aus Ministern zusammen, die zuvor in der Regierung von Idlib tätig waren.

Vor allem nach der einseitigen Reform des nationalen Lehrplans hat sich die Skepsis fortgesetzt. Der neue Bildungsminister, Nazir Mohammad Al-Qadri, versicherte, dass sowohl der Islam als auch das Christentum als Unterrichtsfächer Teil des Lehrplans bleiben würden. Anfang Januar kündigte das Bildungsministerium der Übergangsregierung jedoch Lehrplanänderungen an, die eine stärker islamische Perspektive widerspiegeln und gleichzeitig Bezüge zur Assad-Ära beseitigen sollen. Zu den vorgeschlagenen Änderungen gehören die Streichung der Evolution und der Urknalltheorie aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht, die Streichung vorislamischer Gottheiten und ihrer Statuen aus dem Geschichtsunterricht und eine geringere Betonung der Königin Zenobia von Palmyra. Aktivisten der Zivilgesellschaft haben ihre Besorgnis darüber geäußert, dass diese Änderungen auf eine Missachtung unterschiedlicher Perspektiven hindeuten und das erklärte Engagement der Verwaltung für Inklusivität untergraben könnten. Das Ministerium wies jedoch diese Interpretationen der Änderungen zurück und betonte, dass die einzigen Änderungen „die Entfernung von Symbolen des früheren Regimes und dessen Verherrlichung sowie die Einführung von Bildern der neuen syrischen Flagge (der Flagge der Revolution) anstelle der früheren Flagge in allen Schulbüchern“ beträfen. Der Minister erläuterte, dass zu den Anpassungen auch die Korrektur „falscher“ Informationen gehörte, auf die sich die Vorgängerregierung bei der Erklärung einiger Koranverse gestützt hatte, und dass die in den Exegesebüchern für alle Bildungsstufen enthaltenen Informationen übernommen wurden.

1.3.5. Frauen (S.33-38)

a) Allgemeiner Überblick über Verstöße gegen Frauen

Laut eines SNHR Berichts wurden zwischen März 2011 und November 2024 mindestens 29.064 Frauen in Syrien getötet, und 11.268 Frauen wurden bei der Veröffentlichung des Berichts in Haft gehalten oder verschwanden gewaltsam. Im Zeitraum vom 1. Januar bis 27. Dezember 2024 dokumentierte das Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR) konfliktbezogene Vorfälle, bei denen 92 Frauen in ganz Syrien getötet wurden. Berichte über die Tötung von Frauen durch bewaffnete Akteure wurden im Bezugszeitraum fortgesetzt, und Frauen wurden auch weiterhin Opfer anderer Verstöße, darunter Todesfälle durch nicht explodierte Kampfmittel und Tötungen durch unbekannte Täter. Im Februar 2025 berichtete SOHR über eine erhöhte Zahl von Entführungsfällen von Frauen und Mädchen.

Die Krise in Syrien hatte unverhältnismäßige Auswirkungen auf Frauen, was zu Gewaltrisiken, negativen Bewältigungsmechanismen, einem eingeschränkten Zugang zu Dienstleistungen, einer erhöhten Anfälligkeit für sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt („sexual and genderbased violence – SGBV“), Diskriminierung und einem eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung und Rechtsbehelfen führte. Frauen und Mädchen waren beim Zugang zu humanitärer Hilfe benachteiligt und unverhältnismäßig stark von Ernährungsunsicherheit betroffen.

b) Legislative Entwicklungen und Maßnahmen, die Frauen betreffen

Quellen deuten darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts noch keine Klarheit über die Lage der Frauen in Syrien unter den HTS-Behörden besteht. Der neue Außenminister Assaad al-Shibani behauptete, dass die Behörden die Rechte der Frauen „voll und ganz unterstützen“ würden, und Ahmed al-Sharaa versprach, die Bildung von Frauen fortzusetzen. Zum 1. Januar 2025 wurden drei Frauen in offizielle Positionen unter der neuen Regierung in Syrien berufen. Die erste Frau, die ernannt wurde, war Aisha al-Dibs als Leiterin des Büros für Frauenangelegenheiten. Am 30. Dezember 2024 ernannten die neuen Behörden die erste weibliche Gouverneurin der syrischen Zentralbank, Maysaa Sabrine, die zuvor als stellvertretende Gouverneurin der Bank tätig war. Am 31. Dezember 2024 wurde Muhsina al-Mahithawi aus der drusischen Minderheit zur ersten weiblichen Gouverneurin der Provinz Sweida ernannt.

Auf nationaler Ebene ist der Regierungsansatz der Übergangsverwaltung nach wie vor unklar, insbesondere in Bezug auf die Rechte und die Vertretung von Frauen. Obaida Arnout, eine Regierungssprecherin, schlug vor, dass Frauen aufgrund ihrer inhärenten Merkmale für bestimmte Rollen in der Regierungsführung ungeeignet seien, während Aisha al-Dibs, die neu ernannte Ministerin für Frauen, sich gegen die Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft aussprach, die mit ihren Ansichten nicht einverstanden seien. Al-Dibs führte weiter steigende Scheidungsraten auf ein früheres Regierungsprogramm zurück und versprach, ähnliche Initiativen zu vermeiden.

Maßnahmen, die auf das öffentliche Engagement von Frauen abzielen, wurden auf Pläne für die Geschlechtertrennung in öffentlichen und privaten Bussen in Damaskus ausgeweitet. Im Januar kündigte die General Company for Internal Transport, „Zajal Transport“, an, dass in der Hauptstadt innerhalb weniger Tage, nach früheren Versuchen in Idlib, Aleppo, Hama und Homs, geschlechtergetrennte Transporte durchgeführt würden.

In Bezug auf die Arbeit von Richterinnen erklärte Obaida Arnout, dass dies „von Sachverständigen“ untersucht werden müsse, was die Situation von Richterinnen unklar lasse. Im Januar 2025 wurde berichtet, dass Shadi al-Waisi, der Justizminister in der derzeitigen Regierung, in zwei Videos gesehen wurde, in denen die Hinrichtung von zwei Frauen überwacht wurde, die 2015 im Raum Idlib wegen „Korruption und Prostitution“ verurteilt wurden. In Homs erschienen Beschilderungen, die die Geschlechtertrennung bewerben, in Bussen. In Damaskus wurden Plakate mit den „Bedingungen des schariakonformen Hijab“ im öffentlichen Raum gesehen. Laut Al-Dibs wird die Regierung syrischen Frauen jedoch keine Kleiderordnung auferlegen. In einem Interview vom 25. Dezember 2024 erklärte Ahmed al-Sharaa, dass „christliche Frauen nicht gezwungen würden, den Schleier einzuhalten“, ohne jedoch muslimischen Frauen zu erwähnen.

c) Frauen ohne männliche Unterstützung (weiblich geführter Haushalt/einzeln/verwitwet)

Der Konflikt in Syrien hat zu einem demografischen Wandel geführt, der zu mehr weiblichen Haushaltsvorständen/Familienoberhäuptern und Frauen die in die Berufswelt einsteigen geführt hat. Die Zahl der von Frauen geführten Haushalte hat aufgrund der Vertreibung zusätzlich zugenommen. Laut einer Analyse der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom Oktober 2024 wird in ganz Syrien „fast jede dritte Familie von einer Frau geleitet.“ Haushalte mit weiblichem „Oberhaupt“ gehören schutzbedürftigen Gruppen an, die unverhältnismäßig stark von dem Konflikt betroffen waren und deren Grundbedürfnisse wie Gesundheitsversorgung, Ernährung und Bildung nicht erfüllt wurden. Frauen wurden am Arbeitsplatz schikaniert und diskriminiert, insbesondere Frauen ohne Ehemänner, einschließlich Witwen. Die Arbeitslosenquote von Frauen in Syrien erreichte 2024 62,2 %, so das syrische Zentralamt für Statistik. Kinder von weiblichen Haushaltsvorständen waren einem erhöhten Risiko der Staatenlosigkeit ausgesetzt, da sie ihre Geburten nicht registrieren konnten. Geschiedene Frauen und Witwen waren dem Risiko von Zwangsverheiratung ausgesetzt. Schwierigkeiten bei der Rückforderung von Eigentum wurden in Bezug auf Witwen, zurückkehrende Frauen aus dem Libanon (mehr als die Hälfte dieser Haushalte waren weiblich geführt) und vertriebene Frauen im Nordosten Syriens gemeldet. Geschiedene Frauen im Nordwesten Syriens waren mit gesellschaftlicher Stigmatisierung, sozialer Ausgrenzung und mangelnder Unterstützung konfrontiert.

Ab Januar 2025 wurden etwa 40 000 Menschen im Lager al-Hol im Nordosten Syriens festgehalten, Berichten zufolge hauptsächlich Frauen und Kinder, Familienangehörige von ISIL-Mitgliedern, darunter Tausende von Ausländern. Die Bedingungen in den Lagern wurden als „unmenschlich“ und „lebensbedrohlich“ bezeichnet. Am 27. Januar ordnete die US-Regierung an, die „ausländische Entwicklungshilfe“ auszusetzen, woraufhin am nächsten Tag eine vorübergehende Ausnahmeregelung für „lebensrettende humanitäre Hilfe“ erlassen wurde. Quellen berichteten, dass das Einfrieren der humanitären Hilfe die Lebensbedingungen im Lager al-Hol weiter verschlechtert hat.

d) Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt

Der im November 2024 veröffentlichte Jahresbericht der SNHR verzeichnete seit März 2011 11.553 Fälle sexueller Gewalt gegen Frauen. Die Haupttäter sexueller Gewalt, die von der SNHR dokumentiert wurden, wurden als ehemaliges syrisches Regime (8.024 Vorfälle) und ISIL (3.487 Vorfälle) identifiziert, während HTS für zwei Vorfälle verantwortlich gemacht wurde. Das OHCHR berichtete von einem Anstieg „aller Arten sexueller Gewalt und anderer geschlechtsspezifischer Gewalt“ in Syrien während des Konflikts. Misshandlungen gegen Frauen wurden unterschätzt, auch wegen gesellschaftlicher Stigmatisierung und Angst. Der Konflikt in Syrien hat zu vermehrten Fällen von Früh- und Zwangsheiraten geführt, auch als Bewältigungsmechanismus. Eine Studie der internationalen Organisation PAX ergab, dass die Verlagerung der Geschlechterrollen zu einem Anstieg häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt beigetragen hat.

Im Januar 2025 berichtete der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), dass Frauen und Mädchen in Syrien aufgrund institutionalisierter Ungleichheit der Geschlechter und des Patriarchats sowohl im öffentlichen als auch im privaten Leben mit „allgegenwärtigen Formen“ von SGBV konfrontiert waren. Die Situation war durch einen Mangel an Unterstützungsdiensten, sicheren Räumen und Rechtsschutz gekennzeichnet. Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) sind 93 % der rund 8,5 Millionen Menschen, die in Syrien Hilfe bei geschlechtsspezifischen Gewalttaten benötigen, Frauen und Mädchen. Sie sahen sich einer Vielzahl von Missbräuchen ausgesetzt, darunter „Gewalt durch intime Partner, häusliche Gewalt, wirtschaftliche und emotionale Gewalt sowie sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und sexueller Belästigung.“ Ab Januar 2025 waren im Nordwesten Syriens 67 sichere Räume für Frauen und Mädchen, die SGBV-Dienste anbieten, funktionsfähig. In Idlib wurden Ende 2024 Gesundheitseinrichtungen einschließlich einer Entbindungsklinik erheblich beschädigt. Frauen und Mädchen in Aleppo sahen sich beim Zugang zu Dienstleistungen für Opfer des SGBV mit „erheblichen Schwierigkeiten“ konfrontiert, einschließlich solcher, die den Transport und den Mangel an weiblichem Personal betrafen. Das Risiko von SGBV war Berichten zufolge für Frauen in Binnenvertriebenenlagern und in den Notunterkünften höher.

1.3.6. Kinder (S.38-41)

a) Auswirkungen von Gewalt auf Kinder

Nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) wurden in den 13 Jahren des Konflikts rund 25.500 Verstöße gegen Kinder verzeichnet, darunter die Tötung und Verstümmelung von Kindern und die Rekrutierung von Kindern. SNHR gab an, dass in der Zeit vom März 2011 bis zum 10. November 2024 30.293 Kinder getötet wurden, und ab dem 20. November 2024 wurden 5.298 Kinder verhaftet, inhaftiert oder verschwanden gewaltsam. Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 27. Dezember 2024 dokumentierte das OHCHR Vorfälle, bei denen 212 Kinder in ganz Syrien getötet wurden. Nach dem Regimewechsel gab es weiterhin Berichte über die Tötung von Kindern durch bewaffnete Akteure. Kinder wurden auch weiterhin durch nicht explodierte Kampfmittel verletzt, die mindestens 116 im Dezember und 136 im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 17. Februar töteten oder verletzten. Im Januar 2025 warnte das UNOCHA, dass schwerwiegende Verstöße gegen Kinder nach wie vor ein großes Problem darstellen, einschließlich der Gefahr, getötet, verletzt, rekrutiert und bei Feindseligkeiten eingesetzt zu werden.

Im Dezember 2024 waren schätzungsweise 7,5 Millionen Kinder in Syrien auf humanitäre Hilfe und rund 6,4 Millionen auf psychologische Hilfe angewiesen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) berichtete, dass Ernährungsunsicherheit und Unterernährung bei Kindern die Gesundheitsrisiken erhöhen. Etwa 506.000 Kinder unter fünf Jahren in Idlib und Aleppo litten unter akuter Unterernährung und über 609.000 unter „Stunting“ (Wachstumsverzögerung durch z.B. schlechte Ernährung, wiederholte Infektionen, mangelnder Zugang zu sauberen Trinkwasser, magelnde Gesundheitsversorgung). Die WHO stellte fest, dass in einigen Gouvernements das Stunting ein „alarmierend hohes Niveau“ erreicht hat. UNOCHA berichtete, dass Krankenhäuser überfüllt seien und dass psychische Belastungen bei Kindern weit verbreitet seien.

b) Negative Bewältigungsmechanismen

Nach Angaben des UNOCHA sind Kinderarbeit und Kinderehen nach wie vor „weitgehend akzeptierte“ Bewältigungsmechanismen für syrische Familien und die Tragweite wird nach wie vor nicht ausreichend erfasst. Kinder in Straßensituationen waren Ausbeutung ausgesetzt und standen „in Kontakt mit dem Gesetz wegen geringfügiger und schwerer Straftaten“.

Ein im Januar 2025 veröffentlichter UNOCHA-Bericht wies darauf hin, dass die Wirtschaftskrise in Syrien das Risiko von geschlechtsspezifischer Gewalt bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, auch bei jugendlichen Mädchen, sowie das Risiko von Kinderarbeit, Kinderheirat und sexueller Ausbeutung weiter erhöht hat.

Ein Bericht der internationalen NGO Welthungerhilfe über die Gouvernements Aleppo und Idlib zur Bewertung des Schutzbedarfs auf der Grundlage der im August 2024 erhobenen Daten ergab, dass Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder, insbesondere jugendliche Mädchen, in verschiedenen Umgebungen auftraten unter anderem auch zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz und in Binnenvertriebenenlagern. In dem Bericht wurde festgestellt, dass Kinderehen sowohl in Binnenvertriebenenlagern als auch in Aufnahmegemeinschaften nach wie vor „vorherrschend“ sind, wobei die Hauptgründe in erster Linie die Armut in Aleppo und die Bräuche und Traditionen in Idlib sind.

Nach Angaben des USDOS gab es unter der Assad-Regierung Unterkünfte für Waisenkinder. In Syrien gab es schätzungsweise 1,2 Millionen Waisenkinder, und nach einem Regierungserlass wurden Kinder als „muslimisch angenommen, sofern nichts anderes nachgewiesen wurde“, und sie konnten nur angenommen werden, „wenn das Paar und das Kind dieselbe Religion teilen“. Ein Bericht des Global Protection Cluster (GPC), eines Netzwerks von NRO, internationalen Organisationen und UN-Agenturen, der im Dezember 2024 veröffentlicht wurde, stellte fest, dass Kinder besonders von einem Mangel an zivilen Dokumenten betroffen waren.

c) Zwangsrekrutierung durch bewaffnete Gruppen

In einem am 20. November 2024 veröffentlichten Bericht erklärte die SNHR, dass im Zeitraum von März 2011 bis 10. November 2024 2.395 Kinder in Syrien zwangsrekrutiert wurden. Im Juni 2024 unterzeichnete der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Kinder in bewaffneten Konflikten einen Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes sowie der Tötung und Verstümmelung von Kindern mit der SNA und abgestimmten Fraktionen. Darüber hinaus wurde ein Fahrplan zur Umsetzung eines Aktionsplans von 2019 zwischen den Vereinten Nationen, den SDF und den Verwaltungen in Nord- und Ostsyrien angenommen, der die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern in bewaffneten Konflikten verbietet. Dennoch wurden weiterhin Fälle von Rekrutierung von Kindern gemeldet, auch von SDF und einer kurdischen Jugendbewegung im Nordosten Syriens. Ende November 2024 dokumentierte die SNHR Operationen des ehemaligen Regimes zur Einberufung junger Männer und Jungen mit dem Ziel, sie nach Nordsyrien zu entsenden.

d) Zugang zu Bildung

Ab Januar 2025 gab es in Syrien etwa 2,4 Millionen Kinder, die die Schule verlassen hatten, und eine weitere Million, die vom Schulabbruch bedroht war. Seit Ende November 2024 wurde die Schulbildung für rund 230.000 Kinder im Nordosten Syriens aufgrund anhaltender Konflikte unterbrochen. Außerhalb der Schule waren Kinder einem erhöhten Risiko von Kinderarbeit und Kinderehen sowie Menschenhandel und Rekrutierung ausgesetzt. In einem Bericht des UNOCHA vom Januar 2025 heißt es, dass mehr als 5.200 Schulen beschädigt sind und keine Ausrüstung haben. Während die Bildung kostenlos ist, haben einige Familien negativen Bewältigungsmechanismen, die sich auf den Schulbesuch von Kindern auswirken, Priorität eingeräumt. Im Dezember 2024 berichteten die Vereinten Nationen, dass die Schulen zwar in ganz Syrien wiedereröffnet wurden, die „volatile Sicherheitslage“ jedoch den Schulbesuch in einigen Gebieten beeinträchtigte. Der Zugang zu den Schulen wurde durch nicht explodierte Kriegsreste erschwert. Einige Schulen sind nach der Offensive gegen Präsident Baschar al-Assad am 8. Dezember 2024 zu Unterkünften für neu Vertriebene geworden. Etwa 68.000 Kinder in Aleppo und anderen Gouvernements konnten keine Schule besuchen, da viele Schulen als Sammelunterkünfte für Vertriebene genutzt wurden.

Nach Angaben der International Crisis Group „setzten Interimsbeamte im Eiltempo Änderungen des Lehrplans für islamische Bildung durch.“ Im Januar 2025 wiesen Quellen darauf hin, dass die Behörden Änderungen des Lehrplans für Schulen einführten, ohne die Gesellschaft in den Prozess einzubeziehen, und in einigen Fällen Verweise auf das Assad-Regime durch religiöse Texte ersetzten.

1.3.7. LGBTIQ-Personen (S.41-42)

a) Rechtsrahmen

Nach Artikel 520 des Strafgesetzbuchs von 1949 ist „unnatürlicher Geschlechtsverkehr“ eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht ist und sowohl für Männer als auch für Frauen gilt. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts deuten Quellen darauf hin, dass noch nicht klar ist, wie die neuen Behörden zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen stehen. Bei einem Treffen mit Journalisten im Dezember 2024 wies Mohamed Khaled vom politischen Büro des HTS darauf hin, dass die Behandlung von LGBTIQ-Personen eines der Themen ist, die von der neuen Regierung erörtert werden. BBC News berichtete, dass die neuen Behörden „in Gewalt und Verfolgung gegen Schwule verwickelt sind“, und ILGA wies darauf hin, dass „einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen weiterhin kriminalisiert werden“.

b) Behandlung durch staatliche Behörden, Familie und Gesellschaft

Quellen haben Missbrauch von LGBTIQ-Personen während des syrischen Konflikts durch staatliche und nichtstaatliche Akteure dokumentiert. Darüber hinaus besteht laut Freedom House die Gefahr, dass Personen, die im Verdacht stehen, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu haben, in Gebieten hingerichtet werden, die von extremistischen Gruppen gehalten werden. Quellen deuten darauf hin, dass Homophobie in der syrischen Gesellschaft weit verbreitet ist, auch unter Familienmitgliedern, religiösen Gruppen und der Gesellschaft insgesamt.

Im Jahr 2024 wurde eine syrische Transgender-Frau aus der Türkei in den Nordwesten Syriens deportiert und von türkisch unterstützten bewaffneten Gruppen in Zusammenarbeit mit ihrer Familie getötet. Im Februar 2025 berichteten Quellen über Angriffe auf Transgender-Personen in Syrien. Videos, die online kursierten, zeigten Berichten zufolge eine Kampagne der syrischen Behörden, die sich gegen Transgender-Personen zur Verhaftung richtete. Laut „einer anonymen Sicherheitsquelle in der Regierung von Damaskus“, die von der Jerusalem Post befragt wurde, bestand das Ziel der Operation darin, „diesen Menschen zu vermitteln, dass sie nicht ungezwungen in Erscheinung treten und ihre Aktivitäten in der Öffentlichkeit einstellen sollten.“ Laut einem Artikel der Guardians of Equality Movement (GEM), der ersten syrischen LGBTIQ-Organisation, wurden seit Dezember 2025 bewaffnete Gruppen, die mit den neuen Behörden verbunden sind, sowie nichtstaatliche Akteure in schwere Verstöße gegen LGBTIQ-Personen verwickelt, darunter „Vergewaltigung durch Dating-Apps, Hausdurchsuchungen, Entführungen, willkürliche Festnahmen, Folter, Demütigung, Androhung körperlicher Gewalt und Entstellung sowie andere gefährliche Praktiken wie erzwungenes Filmen und öffentliche Beschämung“. Die GEM wies auch darauf hin, dass „die Gesellschaft zu einer Hauptquelle der Gewalt gegen LGBTQIA+-Personen geworden ist“, während die Behörden sie nicht unterstützt haben.

[…]

4.5.5. Vertreibung und Rückkehr (S.89-91)

Die Zahl der Personen, die seit dem 27. November 2024 durch Konflikte neu vertrieben wurden, verzeichnete eine anfängliche große Welle, die am 12. Dezember mit 1,1 Millionen Menschen ihren Höhepunkt erreichte. Diese anfänglichen Vertreibungen, die von der Angst vor dem eskalierenden bewaffneten Konflikt getrieben wurden, wurden hauptsächlich in Hama und Aleppo, einschließlich der Stadt Aleppo, im Westen Aleppos und insbesondere in Tall Rifaat und Manbij, nach der Übernahme der beiden Städte durch von der Türkei unterstützte bewaffnete Fraktionen verzeichnet.

UN-Quellen schätzten anschließend die Zahl der seit Ende November 2024 neu vertriebenen Flüchtlinge, die am 18. Dezember 2024 auf 859.460, am 10. Januar 2025 auf rund 627.000 und am 5. Februar 2025 auf 650.000 zurückblieben. Anfang 2025 stellte das UNOCHA zusätzliche Wellen von konfliktbedingten Vertreibungen aus dem Gebiet von Manbij fest, mit bis zu 15.000 Vertreibungen Mitte Januar 2025, gefolgt von mehr als 25.000 Vertreibungen im selben Monat. Quellen schätzten die Zahl der Menschen, die Anfang Dezember 2024 vor der SNA-Offensive in Nordsyrien geflohen waren, auf 100.000 bis 120.000.

Nach dem Sturz Assads zogen zurückkehrende Binnenvertriebene in Gebiete, die zuvor von der ehemaligen Regierung kontrolliert wurden, darunter Aleppo, Hama, Homs und Damaskus. UN-Quellen schätzen, dass die Zahl der neu vertriebenen Menschen, die in ihre Heimatbasen zurückkehren, bis zum 10. Januar 2025 auf mehr als 522.000 gestiegen ist. Gleichzeitig blieben die Rückführungsbewegungen aus Binnenvertriebenenlagern „stabil, aber minimal“, wobei der Cluster „Camp Coordination and Camp Management“ (CCCM) Ende Januar 2025 angab, dass seit dem 3. Dezember 2024 rund 57 000 Menschen aus den Lagern abgereist seien. Diese Rückkehrer bestanden hauptsächlich aus einzelnen Familien oder Männern, die zurückkehrten, um sich mit ihren Familien zu vereinigen oder den Zustand ihrer Häuser zu beurteilen.

Schätzungen des UNHCR zufolge waren bis zum 26. Februar 2025 schätzungsweise 885.294 Binnenvertriebene zurückgekehrt, während etwa 7,4 Millionen Binnenvertriebene blieben. Die Gouvernements mit dem größten Anteil an Binnenvertriebenen waren Aleppo mit 425.705 Binnenvertriebenen, gefolgt von Hama mit 155.561 und Idlib mit 116.053 Binnenvertriebenen.

Wie das UNOCHA feststellte, betrafen die gemeldeten Bedenken, die die Rückkehrentscheidungen von Binnenvertriebenen beeinflussten, die Zerstörung von Eigentum, unzureichende Infrastruktur, Unsicherheit sowie den Zugang zu Zivildokumenten und Justizdiensten, einschließlich Dokumenten zu Wohn-, Grundstücks-und Eigentumsrechten (nicht alle Zivilregister und Gerichte waren Ende Januar 2025 in Betrieb). Ein weiteres kritisches Problem, das aufgeworfen wurde, war die Kontamination mit nicht explodierten Kriegsresten.

4.5.6. Rückkehr aus dem Ausland (S.91-92)

Nach Schätzungen des UNHCR kehrten zwischen dem 8. Dezember 2024 und Ende Februar 2025 etwa 297.292 Syrer aus dem Ausland nach Syrien zurück. Von diesen Flüchtlingen kehrten 53 % aus dem Libanon, 25 % aus der Türkei und 14 % aus Jordanien zurück. Bei der freiwilligen Rückkehr aus der Türkei, die sich nach Angaben der türkischen Regierung zum 30. Dezember 2024 auf 35.114 belief, handelte es sich hauptsächlich um Syrer, die allein zurückkehrten, einschließlich Personen, die vor der Wiedervereinigung mit ihren Familien die Lage in Syrien beurteilen wollten.

Nach Angaben des UNHCR waren von Anfang 2024 bis Ende Februar 2025 die Gouvernements, in welche Rückkehrer hauptsächlich heimkehrten Aleppo (mit schätzungsweise 143.680 Rückkehrern) und Raqqa (112.951 Rückkehrern), gefolgt von Dar’a (72.007), Homs (69.624), Rural Damascus (62.738) und Idlib (46.273).

Es ist nicht klar, ob jede Rückkehr dauerhaft ist. Laut einem Bericht von Refugees International kehren viele Syrer zurück, um ihre Grundstücke zu begutachten, die Sicherheit und die wirtschaftlichen Bedingungen nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes zu bewerten oder sich mit ihrer Familie wieder zu vereinigen. Für andere ist die Rückkehr eher eine Notwendigkeit als eine Wahl, da die sich verschlechternden Bedingungen in den Aufnahmeländern – gekennzeichnet durch wirtschaftliche Not, steigende Lebenshaltungskosten und begrenzte Möglichkeiten – das Leben zunehmend untragbar gemacht haben.

[…]“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

2.1.1. Die Identität des Beschwerdeführers wurde aufgrund seiner übereinstimmenden Angaben im Verfahren sowie seines vorgelegten syrischen Personalausweises in Kopie festgestellt (Aktenseite [in Folge: AS] 3, AS 27, AS 33, Verhandlungsprotokoll [in Folge: VHP] 7).

Seine Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie seine Sprachkenntnisse wurden auf Grundlage seiner Aussagen in der Erstbefragung, vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht sowie den vorgelegten Sprachkursbestätigungen festgestellt. Das Gericht sieht keinen Anlass, diese Angaben in Zweifel zu ziehen (AS 2, AS 4, AS 31, AS 77, VHP S. 3, Beilage /A).

2.1.2. Vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer durchgehend gleichbleibend an, im Dorf XXXX zur Welt gekommen und aufgewachsen zu sein. Auch vermochte der Beschwerdeführer auf Aufforderung durch die erkennende Richterin im Rahmen der mündlichen Verhandlung den Heimatort auf der vorgezeigten Landkarte anzuzeigen (AS 1, AS 27, AS 81, VHP S.7).

Die Feststellungen zu seinen Aufenthaltsorten in Syrien und der Türkei beruhen auf seinen Schilderungen in der Einvernahme durch das BFA und in der Beschwerdeverhandlung (AS 3, AS 27, AS 81, VHP S. 10, VHP S. 12).

Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2016 nach seinem Aufenthalt in XXXX einen Monat im Nebendorf XXXX gewesen sei, bevor er nach XXXX reiste. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer dies in der Beschwerdeverhandlung selbst anführte (VHP S 9), jedoch erscheint es nicht plausibel, weshalb er diesen Aufenthalt nicht vor dem BFA auf die Frage nach seinen Lebensumständen in Syrien dargelegt hat. Vielmehr gab er an, nach der Bombardierung seiner Schule durch den IS direkt nach XXXX geflohen zu sein (AS 81).

2.1.3. Die Feststellungen zur Schulbildung und der Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglichen Angaben in der Erstbefragung, der Einvernahme sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht (AS 2, AS 31, AS 81, VHP S. 0) sowie den vorgelegten Schulzeugnissen in Kopie (AS 65, AS 69, AS 71, AS 73).

2.1.4. Die Feststellungen zum Personenstand und zur familiären Situation des Beschwerdeführers in Syrien und in der Türkei stützen sich auf seine getätigten Aussagen in der Erstbefragung, vor dem BFA und in der Beschwerdeverhandlung sowie den vorgelegten Personalausweis des Beschwerdeführers, welcher im Rahmen der Beschwerdeverhandlung von der bestellten Dolmetscherin übersetzt wurde (AS 3, AS 29, AS 31, VHP S. 13ff.).

Der Beschwerdeführer führte außerdem in der Einvernahme und vor dem Bundesverwaltungsgericht an, mit seiner Familie in Syrien in Kontakt zu stehen (A 81, VHP S. 10, VHP S. 12).

2.1.5. Die Ausreise sowie Fluchtroute des Beschwerdeführers wurde auf Basis seiner Angaben in der Erstbefragung und in der Einvernahme durch das BFA festgestellt (AS 6, AS 83).

Die Feststellung zu den Kosten der Ausreise sowie der Finanzierung beruhen auf den diesbezüglich konkreten Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (VHP S. 8).

Der Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz geht aus dem Protokoll der Erstbefragung hervor (AS 2). Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer in Österreich subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, gründet sich auf den verfahrensgegenständlichen Bescheid (AS 101).

2.1.6. Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich kann dem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug entnommen werden. Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründet sich auf seine gleichlautenden und unwiderlegt gebliebenen Angaben in der Einvernahme und in der Beschwerdeverhandlung und stützt sich zusätzlich auf den Umstand, dass keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, aus denen Gegenteiliges hervorgehen würde (AS 4, AS 77, VHP S. 5 und VHP S. 7).

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Die Feststellungen zu den Einfluss- und Kontrollverhältnissen im Herkunftsort des Beschwerdeführers stützen sich auf dessen diesbezügliche Angaben sowie auf die Informationen aus einschlägigen Länderberichten. Ergänzend wurde Einsicht in die tagesaktuelle Karte von SyriaLive Map (https://syria.liveuamap.com/) genommen (vgl. VHP S. 12). Diese Erkenntnisse stehen im Einklang mit den aktuellen Entwicklungen nach dem Zerfall des Assad-Regimes im Dezember 2024, die durch die mediale Berichterstattung als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können.

Die Feststellung, dass nach dem Sturz des Regimes unter Baschar al-Assad das Regime keine Zugriffsmöglichkeit auf die Herkunftsregion des Beschwerdeführers hat, beruht auf dem Umstand, dass betreffendes Regime nach dem Sturz keine Gebiets- und Herrschaftsgewalt mehr in Syrien hat (vgl. unter Punkt II.1.3.2. sowie II.1.3.5.). Auch die SyriaLive Map weist keinerlei Gebiete unter der Führung der vormaligen syrischen Regierung unter Baschar al-Assad mehr auf.

Eingangs ist festzuhalten, dass das Gericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund des persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers davon ausgeht, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens insgesamt keine Glaubwürdigkeit zukommt. Der Beschwerdeführer präsentierte im gesamten Verfahren lediglich vage Rahmengeschichten, ohne auf konkrete Vorfälle spezifisch einzugehen. Es ist wenig glaubhaft, dass der Beschwerdeführer die Ereignisse in solch unspezifischer Weise vorbringen würde, hätten sich diese tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität.

Ein weiterer Mangel hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Tatsache, dass er sich in Bezug auf seinen Aufenthaltszeitraum in der Türkei widersprach. Während der Beschwerdeführer vor dem BFA angab, sich in XXXX von Anfang 2022–Juni 2023 aufgehalten zu haben (vgl. AS 27 und AS 79), konnte er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht den genauen Ausreisemonat – einen einschneidenden Zeitpunkt – nicht schlüssig und konsistent benennen. Er nannte als Ausreisedatum den Juli 2023 (vgl. VHP S. 8, VHP S. 19), was in direktem Widerspruch zu seinen früheren Angaben steht. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich keine Einwendungen erhob, zeigt sich auch daran, dass er sowohl vor dem BFA als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben jeweils ausdrücklich bestätigte, ohne Änderungen oder Korrekturen vorzunehmen (vgl. AS 31, AS 91, VHP S. 31).

„F: Wann war sie in der Türkei zuletzt aufhältig? – A: Im Juni 2023.“ (AS 27, AS 79)

„R: Wann haben Sie sich zuletzt in der Türkei aufgehalten?

BF: Im Juli 2023.“ (VHP S. 8, VHP S. 19)

2.2.2. Zur Verfolgung durch das Regime:

Aus den in das Verfahren einbezogenen und der gegenständlichen Entscheidung als Sachverhalt zu Grunde gelegten Länderberichten ergibt sich, dass in Syrien beim syrischen Regime unter Baschar al-Assad für männliche, syrische Staatsangehörige im Alter zwischen 18 und 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes gesetzlich verpflichtend war (vgl. Punkt II.1.3.1.).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bislang keinen Wehrdienst in der syrischen Armee abgeleistet hat und dass keine Befreiungsgründe vorliegen, stützt sich auf seine gleichbleibenden Angaben im Verfahren. Er gab an, mit 18 Jahren in XXXX einer Musterung unterzogen worden zu sein und ein Wehrbuch erhalten zu haben (AS 81, VHP S. 15). Zudem führte er aus, aufgrund einer noch nicht abgeschlossenen Ausbildung zum Elektriker im Jahr 2014 und 2015 einen Aufschub erhalten zu haben. Diese Angaben erscheinen vor dem Hintergrund des Militärbuches und der relevanten Länderberichte plausibel (VHP S. 15).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nicht zum Wehrdienst beim vormaligen syrischen Regime eingezogen werden kann, beruht auf dem Umstand, dass nach dem Sturz des syrischen Regimes unter der Führung von Baschar al-Assad betreffendes Regime keine Gebiets- und Herrschaftsgewalt in Syrien mehr hat (vgl. Punkt II.1.3.2. sowie II.1.3.5.). Auch die SyriaLiveMap weist keinerlei Gebiete unter der Führung der vormaligen syrischen Regierung unter Baschar al-Assad mehr aus. Wie oben dargelegt, liegt zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers unter der Kontrolle der HTS; eine gegenteilige Annahme ist anhand der zur Verfügung stehenden Länderinformationen nicht möglich. Ausgehend von den oben zitierten Länderfeststellungen zeichnet sich in der zu treffenden Prognose eine zeitnahe und großflächige Rückeroberung der Herkunftsregion des Beschwerdeführers durch das vormalige syrische Regime aktuell nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ab. Zudem wurden die syrische Armee und der Geheimdienst von der HTS nach der Machtübernahme aufgelöst (vgl. hierzu die Feststellungen unter Punkt II.1.3.2. sowie II.1.3.5.).

Ebenso beruht die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung auf Grund seiner Herkunft, seinem Aufenthalt in oppositionellen Gebieten, seiner Familienzugehörigkeit, seiner illegalen Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland oder aus sonstigen Gründen durch das vormalige syrische Regime droht, auf der Berichtslage, wonach der syrische Präsident Baschar al-Assad nach seinem Sturz am 08.12.2024 aus Syrien geflüchtet ist und dessen Regime seither nicht mehr existiert. Vor diesem Hintergrund lässt sich aus diesen Vorbringen keine Gefährdung im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr in den Herkunftsstaat ableiten und ist eine reale Gefahr einer sonstigen, konkret und gezielt gegen seine Person gerichteten Verfolgung durch das Regime nicht gegeben.

Die Feststellung, dass es im Falle einer Rückkehr nicht maßgeblich wahrscheinlich ist, dass der Beschwerdeführer durch Anhänger des vormaligen syrischen Regimes Verfolgung zu gewärtigen hat, beruht auf den Länderberichten, wonach Angehörige des syrischen Regimes massenweise flohen oder desertierten (vgl. unter Punkt II.1.3.5.). Zudem wurde die syrische Armee und der Geheimdienst des vormaligen syrischen Regimes aufgelöst und ist eine grundlegende Neuorganisation angekündigt worden. Neueren Berichten ist ebenso zu entnehmen, dass die neuen Machthaber rigoros gegen Assad-treue Milizen vorgehen. Wie aus der ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025 zu entnehmen ist, haben Polizisten die vor dem Sturz des Assad-Regimes nicht zu den Rebellen übergelaufen sind, einen „Aussöhnungsprozess“ zu durchlaufen. In diesem haben sie den Regierungswechsel anzuerkennen und müssen ihre Waffe abgeben (vgl. ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025, siehe unter Punkt II.1.3.4.). Insgesamt war somit festzustellen, dass der Beschwerdeführer nicht Gefahr läuft im Falle einer Rückkehr Verfolgung durch Anhänger des vormaligen syrischen Regimes ausgesetzt zu sein.

Im Übrigen ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers in Verbindung mit den amtswegig herangezogenen Länderberichten auch keine Gefährdung von Seiten anderer syrischer Konfliktparteien, insbesondere der aktuellen Machthaber (HTS):

2.2.3. Zur Verfolgung durch die HTS:

In der Beschwerdeverhandlung führt der Beschwerdeführer an, dass er im Falle einer Rückkehr eine Zwangsrekrutierung durch die HTS bzw. die Inhaftierung durch diese befürchte. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer ein diesbezügliches Vorbringen in Form einer oppositionellen Gesinnung in keinerlei Weise vorgebracht hat.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, in XXXX durch die HTS mehrmals gedrängt und schikaniert worden zu sein, unter anderem weil er seinen Bart nicht wachsen ließ (VHP S. 17). Die Angaben des Beschwerdeführers stellen sich jedoch als zu vage und detaillos dar, zumal der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren keinerlei konkrete Schilderungen zu den Vorfällen in Zusammenhang mit den vermeintlichen Übergriffen durch die HTS tätigen konnte.

Weiters erweist sich der geschilderte Vorfall durch die HTS als unglaubhaft, da der Beschwerdeführer vor dem BFA den Akteur bzw. die Gruppierung nicht benennen konnte und lediglich angab, 2021 in XXXX von einer Gruppierung einmal geschlagen worden zu sein, weil er seinen Bart abrasiert hatte (AS 85). Es erscheint daher wenig plausibel, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nun den vermeintlichen Akteur der Übergriffe konkret benennen und zuordnen konnte und zudem von mehreren Übergriffen berichtete. Es wirkt vielmehr so, als habe der Beschwerdeführer sein Vorbringen in dieser Hinsicht modifiziert, um es glaubhafter erscheinen zu lassen.

„F: Waren sie sonst irgendwelchen Bedrohungen oder Verfolgungen ausgesetzt?

A: In XXXX wurde ich im Jahr 2021 von einer Gruppierung einmal geschlagen, da ich mir meinen Bart abrasiert habe. Sie haben mir gesagt, dass ich das nicht machen darf. […]“ (vgl. AS 85)

„R: Welcher Umstand hat unmittelbar zur Ihrer Ausreise geführt? Warum sind Sie 2022 aus Syrien ausgereist?

[…] Als ich ins HTS-Gebiet eingereist bin, war es nicht besser. Ich wurde des Öfteren angehalten und geschlagen, weil ich mich nicht entsprechend verhalten habe. Ich hätte meinen Bart rauswachsen lassen müssen, ich wurde beschimpft, gedemütigt, geschlagen und neben dem Ganzen haben sie mir immer veranschaulicht, dass ich mich ihnen anschließen soll, das habe ich aber immer abgelehnt.“ (vgl. VHP S. 17)

Der Beschwerdeführer steigerte sein Fluchtvorbringen in der mündlichen Verhandlung auch dahingehend, dass er erstmals anführte, von HTS-Mitgliedern an Checkpoints bezüglich einer Rekrutierung angesprochen worden zu sein. Ihm sei nachgesagt worden, dass er sich der HTS anschließen und am Jihad teilnehmen müsse (VHP S. 9). Auffallend ist, dass der Beschwerdeführer die Rekrutierungsversuche seitens der HTS weder in der Erstbefragung noch vor dem BFA ansatzweise darlegte. Dieses Aussageverhalten erweckt den Eindruck, dass es konstruiert und von einer Steigerung geprägt ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer, wäre er tatsächlich mehrmals an Checkpoints bezüglich einer Rekrutierung verfolgt worden, dies bereits bei der ersten Gelegenheit, jedoch spätestens vor dem BFA, erwähnt hätte. Das Verhalten des Beschwerdeführers erweckt den Eindruck, dass er das Fluchtvorbringen in dieser Hinsicht konstruiert hat und nicht über tatsächlich Erlebtes berichtet. Ungeachtet dessen bestätigte er die Richtigkeit und Vollständigkeit der Einvernahmen mit seiner Unterschrift, ohne Ergänzungen oder Korrekturen vorzunehmen (AS 7, AS 91).

Den bisherigen Angaben des Beschwerdeführers ist zu entnehmen, dass es nie direkt gegen ihn gerichtete Verfolgungsmaßnahmen gegeben habe und dass ihn neben dem Regime niemand aufgefordert hätte, den Militärdienst zu leisten oder dass nach ihm gesucht worden sei.

Ungeachtet dessen erlegt die HTS, die nunmehr die Kontrolle über die Herkunftsregion des Beschwerdeführers und weite Teile Syriens ausübt, den Zivilisten in den von ihr kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf und führt auch keine Zwangsrekrutierungen durch. In den von ihr kontrollierten Gebieten herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich der HTS anzuschließen. Dass sich die Lage zwischenzeitlich geändert hätte, hat der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht und ist auch ansonsten nicht ersichtlich. Zu bedenken ist, dass die HTS auch ohne Wehrpflicht/Zwangsrekrutierung über ausreichend Kräfte für die Machtübernahme in weiten Teilen Syriens verfügt(e). Anhaltspunkte, dass die HTS einen personellen Bedarf an Rekruten hat, sind derzeit nicht bekannt. Im Gegenteil: Die Notwendigkeit zwangsweiser Rekrutierungen scheint nach dem Sturz des Regimes weiter gesenkt worden zu sein, mögen auch noch örtliche Auseinandersetzungen mit Assad-Anhängern oder anderen Gegnern der HTS stattfinden. Zudem ist es unwahrscheinlich, dass die nun stark unter internationaler Beobachtung stehende HTS – samt dem damit einhergehenden finanziellen Druck – zu in den Augen der internationalen Gemeinschaft unlauteren Mitteln wie Zwangsrekrutierungen greifen wird. In diesem Zusammenhang ist auch auf die ACCORD-Anfragebeantwortung vom 21.03.2025 zur Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierung durch anderen bewaffnete Gruppen sowie den EUAA Syria Country Focus Bezug zu nehmen, wonach die Wehrpflicht durch die Übergangsregierung abgeschafft wurde und die syrische Armee eine Freiwilligenarmee sein soll, an der sich die Bevölkerung beteiligen soll, um die Grenzen des Landes zu sichern (vgl. unter Punkt II.1.3.4. und II.1.3.5.). zu verweisen.

Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass seine Kernfamilie, insbesondere seine Eltern, größtenteils in der Herkunftsregion geblieben sei und dort ein unbehelligtes Leben führe. Angesichts der aufrechten familiären Bindungen zu seinen weiterhin im Herkunftsstaat lebenden Angehörigen ist anzunehmen, dass der Beschwerdeführer von etwaigen aktuellen Verfolgungsbedrohungen oder -handlungen gegen ihn oder seine Familie Kenntnis haben müsste, zumal er regelmäßig in Kontakt mit ihnen steht (AS 99, VHP S. 25).

Aus diesem Anhaltspunkt lässt sich schließen, dass der Beschwerdeführer als Wehrdienstverweigerer der syrischen Armee nicht im Visier der HTS oder sonstiger syrischer Gruppierungen geraten sein könnte. Medienberichten zufolge sind bereits einige geflüchtete Syrer nach Syrien zurückgekehrt und auch der Anführer der HTS hat Syrer zur Heimkehr aufgerufen. Eine aktuelle und reale Gefährdung des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang erscheint daher nicht ersichtlich.

2.2.4. Zur Verfolgung durch die Kurden:

In der Stellungnahme vom 25.03.2025 führte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers einmalig aus, dass aufgrund der Kampfhandlungen zwischen den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und der von der Türkei unterstützten Rebellengruppe Syrian National Army (SNA) die kurdische Armee verstärkt Truppen mobilisiere und Männer für den Kampf zwangsweise rekrutiere.

Im Gebiet der Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES) besteht eine verpflichtende „Selbstverteidigungspflicht“ für alle männlichen Personen, die nach dem Jahr 1998 geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Der Beschwerdeführer unterliegt gemäß Dekret Nr. 3 vom 04.09.2021 der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ nicht der „Selbstverteidigungspflicht“, weil er sich außerhalb der Alterskategorien befindet, die von diesem Dekret betroffen sind.

Darüber hinaus liegt das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers, das unter der Kontrolle der HTS steht, außerhalb des Geltungsbereichs dieses Dekrets, weil die kurdischen Streitkräfte keinen Zugriff auf HTS-kontrollierte Gebiete haben.

Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass eine Integration der kurdischen Selbstverteidigungskräfte in die Armee der Übergangsregierung vereinbart wurde (siehe unter Punkt II.1.3.4.).

Es ist ebenfalls festzustellen, dass der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nie eine Verfolgung oder eine Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Streitkräfte vorgebracht hat. Vielmehr konzentrierte er sich ausschließlich auf die Verfolgung durch das syrische Regime und nach dem Sturz des Regimes durch die HTS-Gruppierung. Erst auf ergänzende Nachfrage seines Rechtsvertreters gab er an, dass die Kurden nach dem Sturz des Regimes zwei Monate lang die Kontrolle über sein Dorf hatten und während dieser Zeit das Motorrad seines 16-jährigen Bruders beschlagnahmten (VHP S. 20). Es ergeben sich jedoch keine konkreten Hinweise oder plausiblen Gründe, die darauf hindeuten, dass dem Beschwerdeführer aufgrund des von ihm geschilderten Vorfalls mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr durch die kurdischen Streitkräfte drohen würde.

„RV: Wer hat seit dem Sturz von Assad die Kontrolle in Ihrem Dorf?

BF: Für zwei Monate die Kurden und danach sind sie wieder weg. Als die Kurden dort waren, haben sie von meinem 16-jährigen Bruder das Motorrad weggenommen. Sie wollten ihn eigentlich mitnehmen, aber er ist vom Motorrad abgestiegen, weggelaufen, und sie haben nur das Motorrad mitgenommen.“ (vgl. VHP S. 20)

2.2.5. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer die Ableistung eines Militärdienstes für eine Konfliktpartei aufgrund der damit einhergehenden notorischen Gefahren und Handlungen ablehnt, beruht auf folgenden Erwägungen:

So vertritt der Beschwerdeführer keine verinnerlichte politische oder religiöse Überzeugung gegen den Dienst an der Waffe.

Der Beschwerdeführer konnte im Verfahren zunächst nicht glaubhaft machen, dass ihm im Falle einer Rekrutierung oder Wehrdienstverweigerung durch das syrische Regime eine Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen droht.

Hinsichtlich der vorgebrachten Ablehnung des Wehrdienstes durch den Beschwerdeführer aus Gewissensgründen ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer im Verfahren keine näheren, individuellen Gründe nannte, die einer Ableistung des Militärdienstes entgegenstehen. In der Einvernahme gab er hierzu allgemein an, dass er nicht für das Regime kämpfen und niemanden töten wolle (AS 84). In der Beschwerdeverhandlung bestätigte er diese Aussagen, indem er anführte, dass er sich keiner bewaffneten Gruppierung anschließen und keine Waffe gegen andere richten wolle (VHP S. 16). Auch hinsichtlich seiner Wertehaltung gegenüber dem Regime beschränkte sich der Beschwerdeführer stets auf pauschale Aussagen, wie dass das Regime „sehr viele Verbrechen begangen“ habe (VHP S. 19).

„R: Schildern Sie so genau wie möglich, wann und warum Sie Syrien verlassen haben! Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Syrien verlassen haben bzw. warum Sie nicht nach Syrien zurückkehren können (Fluchtgründe). Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.

BF: Ich bin damals aus Syrien ausgereist, weil ich den verpflichtenden Dienst nicht ableisten wollte beim syrischen Regime. Ich wollte aber auch nicht bei irgendeiner anderen bewaffneten Gruppe kämpfen bzw. eine Waffe gegen andere richten. Ich hatte Angst um mein Leben, ich wollte keine Unschuldigen töten bzw. getötet werden, ich wollte an keinen Kriegshandlungen teilnehmen. Bezüglich der Rückkehrbefürchtungen gibt es einige. Wie Sie wissen, hat die HTS mehrere Gebiete in Syrien eingenommen, die HTS wird in allen Länderberichten als terroristische, extrem radikale und islamistische Gruppe angesehen und angeführt. Ich wollte mich dieser Gruppe nicht anschließen, mein Leben wäre sonst in Gefahr. Ich habe auch Länderberichte der UNHCR im Internet gelesen und in diesen Länderberichten geht hervor, dass diese bewaffnete Gruppe bewusst an Kampfhandlungen teilnimmt und Rachehandlungen vornimmt. Es herrscht in Syrien derzeit ein Bürgerkrieg, die Zivilisten sind in Gefahr […].” (VHP S. 16)

„R: Wie stehen sie zu den aktuellen Geschehnissen und dem Sturz des Assad-Regimes? Wie ist denn Ihre persönliche Meinung, wenn Sie denn eine haben?

BF: Natürlich bin ich sehr froh darüber, dass die Regierung geputscht wurde. Wir konnten eine 50-jährige diktatorische Regierung loswerden, die sehr viele Verbrechen begangen hat. Ich hoffe, dass Syrien in der Zukunft demokratisch wird, friedlich und Zusammenarbeit mit anderen Ländern besteht.“ (VHP S. 19)

Auch in der Beschwerde wird lediglich oberflächlich angeführt, dass der Beschwerdeführer sich weigere, für das syrische Regime zu kämpfen und den Wehrdienst abzuleisten. Er lehne eine Beteiligung an Kampfhandlungen generell ab und sei daher als Wehrdienstverweigerer anzusehen, was ihn einer Verfolgung aufgrund einer (unterstellten) oppositionellen Gesinnung aussetze (AS 197).

Diese vagen und allgemein gehaltenen Aussagen vermögen jedoch keine verinnerlichte, persönliche Gewissenshaltung des Beschwerdeführers darzulegen, die gegen eine Wehrdienstableistung sprechen würde. Dass der Beschwerdeführer nie politisch tätig war, ergibt sich auch aus der Tatsache, dass er vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht stets eine Verfolgung aufgrund seiner politischen Gesinnung verneint hat, sodass eine erhöhte Gefährdungslage, um ins Blickfeld des Regimes zu geraten, entfällt (AS 85, VHP S. 18).

Gegenteiliges lässt sich im Übrigen auch nicht aus den vormaligen UNHCR-Erwägungen ableiten. So vertrat UNHCR die Auffassung, dass Personen, die sich dem Pflichtwehrdienst oder dem Reservewehrdienst aus Gewissensgründen entzogen haben, wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls auf der Grundlage einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder ihrer Religion (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien, fliehen, 6. aktualisierte Fassung, S. 138).

Der Umstand, dass seine Eltern sowie zwei seiner Brüder und Schwestern unbehelligt in Al- XXXX lebten, ohne dass es Hinweise auf etwaige Repressalien gab, lässt darauf schließen, dass weder er noch seine Familie in Syrien als (politisch) missliebige Personen ins Blickfeld der syrischen Behörden geraten sind bzw. jemals als oppositionell oder regierungsfeindlich wahrgenommen wurden. Dies steht auch im Einklang mit der Tatsache, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA angab, dass das Regime im Mai 2016 zwar zweimal zu ihm nach Hause kam, aber nichts vorgefallen sei (AS 85).

„F: Wann hätten Sie einrücken sollen?

A: Im Mai 2016. Das syrische Regime kam zweimal zu uns nach Hause und forderte mich auf, einzurücken.

F: Was ist passiert, nachdem Sie nicht eingerückt sind?

A: Nichts ist passiert.” (vgl. AS 85)

Selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht machte der Beschwerdeführer von sich aus keine Angaben zu etwaigen Rekrutierungsversuchen. Das Fehlen von Details zu solch einschneidenden Erlebnissen, wie beispielsweise Rekrutierungsversuchen, wirft in diesem Zusammenhang Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Schilderungen auf.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt auch nicht, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung erstmals angab, an Demonstrationen im Jahr 2011 teilgenommen zu haben. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer diesen Demonstrationen selbst keine Relevanz beimaß, zumal er lediglich als einfacher Teilnehmer an diesen teilgenommen habe und diesen Vorfall bis zur Beschwerdeverhandlung in keinerlei Weise vorbrachte (VHP S. 18). Demzufolge sind die Demonstrationen an sich nicht geeignet, eine etwaige oppositionelle politische Gesinnung zu untermauern. Ebenso ist es dem Beschwerdeführer mit seinen allgemeinen Angaben nicht gelungen, darzulegen, dass die syrischen Behörden in irgendeiner Form Kenntnis von diesen Demonstrationen erlangt haben.

„R: Haben Sie an Demonstrationen teilgenommen und wenn ja, hatten Sie bei diesen eine exponierte Stellung, etwa, weil Sie diese organisiert haben, oder haben Sie nur an diesen teilgenommen?

BF: Ja, Anfang der Revolution, ich glaube, das war Anfang 2011 in meinem Dorf.

R: War das eine oder mehrere Demonstrationen?

BF: Es waren zwei. Ich war einfacher Teilnehmer.” (vgl. VHP S. 18)

Zusammenfassend ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, dass er sich – nachvollziehbar – schlicht nicht am Krieg beteiligen und keine Menschen töten will. Dies reicht jedoch nicht aus, um eine tatsächliche oppositionelle Einstellung anzunehmen, zumal seine Aussagen keine aktuellen, religiösen oder politischen Hintergründe belegen. Der Beschwerdeführer konnte daher im Verfahren insgesamt nicht substantiiert darlegen, dass er den Wehrdienst in der syrischen Armee aus politischen oder aus Gewissensgründen ablehnt.

2.2.6. Zur Verfolgung durch die IS bzw. islamische Milizen:

Bezüglich einer Verfolgung seitens des IS bzw. islamische Milizen ist festzuhalten, dass den aktuellen Länderinformationen nicht zu entnehmen ist, dass der IS in XXXX noch über maßgeblichen Einfluss verfügt. Der Islamische Staat hat demzufolge seine letzte Bastion in Baghouz Ende März 2019 an die kurdischen SDF (Syrian Democratic Forces) verloren. Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie auf asymmetrische Methoden, wie gezielte Angriffe, Autobomben, Überfälle und Attentate. Der IS verübt immer wieder Angriffe und Anschläge, insbesondere auf Einheiten der SDF im Nordosten und auf Truppen des Regimes in Zentralsyrien. Selbst in seinen Rückzugsgebieten an der syrisch-irakischen Grenze und in Zentralsyrien kann der IS keine territoriale Kontrolle mehr ausüben. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage in Syrien haben sich jedenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr einem erhöhten Risiko ausgesetzt wäre, ins Blickfeld des IS zu kommen (vgl. ACCORD Anfragebeanwortung vom 21.03.2025).

Angesichts dieses Umstands ist es daher nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr eine Gefahr durch den IS drohen würde.

Der Hinweis, dass sein Onkel vom IS inhaftiert und getötet wurde (VHP S. 9), sowie die Angabe, dass der IS vor seiner Ausreise die Ortschaft rund um XXXX umzingelt habe (VHP S. 17), liefern keine asylrelevanten Anhaltspunkte, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch den IS begründen könnten. Zudem hat der Beschwerdeführer in Bezug auf den IS keine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung dargelegt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der IS, basierend auf den aktuellen Länderberichten, nicht über die nötige Kapazität und Präsenz in Syrien verfügt, um eine aktuell bestehende, konkret und individuell auf den Beschwerdeführer bezogene Verfolgungsgefahr anzunehmen.

2.2.7. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergeben sich keine Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen würden, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit in das Blickfeld einer der syrischen Konfliktparteien geraten wäre oder ein Verhalten gesetzt hätte, auf Grund dessen er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat von einer Konfliktpartei (insbesondere der HTS) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als politischer Gegner wahrgenommen würde.

Sofern er behauptet, dass er an Demonstrationen teilgenommen hätte, waren diese gegen das syrische Regime gerichtet.

Dass er oder seine Familie demgegenüber öffentlich gegen die HTS oder einen anderen Akteur in Syrien in Erscheinung getreten wären, wurde vom Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nicht ansatzweise behauptet.

Die Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Syrien sind nicht mit Bedrohungen durch HTS oder andere bewaffnete Gruppierungen konfrontiert. Zu diesen steht der Beschwerdeführer seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht nach in Kontakt. Aufgrund der aufrechten familiären Bindung zu seinen nach wie vor im Herkunftsstaat lebenden Angehörigen ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer von etwaigen gegen diese gerichteten Verfolgungsbedrohungen oder –handlungen Kenntnis haben müsste. Im Verfahren sind allerdings vonseiten des Beschwerdeführers keine derartigen Schilderungen getätigt worden (VHP S.13): „R: Werden Ihre Familienangehörigen in Syrien verfolgt oder persönlich bedroht?

BF: Sie werden nicht persönlich bedroht, aber die Lage ist umstritten. Unser Gebiet ist nämlich bekämpftes Gebiet, es finden Kämpfe zwischen der neuen Regierung und den Kurden statt.“

Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen verwiesen. Sohin finden sich keine ausreichend validen Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit unmittelbar konkret gefährdet ist, im Falle der (hypothetischen) Rückkehr in den Herkunftsstaat in das Blickfeld von HTS oder einer sonstigen Konfliktpartei zu geraten und von dieser wegen einer ihm zugeschriebenen oppositionellen Gesinnung unmittelbar und konkret persönlich verfolgt zu werden.

2.2.8. Hinsichtlich des Vorbringens, wonach der Beschwerdeführer aufgrund seiner Ausreise aus Syrien oder der Asylantragstellung in Österreich in Syrien gezielt gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen zu gewärtigen hätte, ist festzuhalten, dass sich seine diesbezüglichen Ausführungen auf eine potentielle Verfolgung durch das Regime von Baschar al-Assad beziehen, welches – wie bereits ausgeführt – nicht mehr existent ist. Im Übrigen ergaben sich aus den Länderberichten auch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Annahme, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsort seitens der aktuellen Machthaber wegen seiner Flucht aus Syrien, der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine feindliche politische Gesinnung zugeschrieben wird. Auch lässt es sich den Länderinformationen nicht entnehmen, dass Rückkehrende in Gebiete, die unter Kontrolle der HTS stehen, von dieser verübten systematischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wären. Ein Eingriff in die psychische und/oder körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers allein auf Grundseiner Ausreise und Asylantragstellung im Ausland ist nicht maßgeblich wahrscheinlich.

Überdies geht aus den Länderinformationen hervor, dass die aktuellen Machthaber an einer Rückkehr aller Syrer aus dem Ausland interessiert sind für einen Aufbau des Landes nach dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad.

Darüber hinaus kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz einer syrischen Konfliktpartei bekannt geworden ist, da es den österreichischen Behörden verboten ist, Daten über Asylwerber an Behörden aus deren Herkunftsstaat zu übermitteln. Ein Vorbringen, aus welchem abgeleitet werden könnte, dass die Asylantragstellung im Herkunftsstaat dennoch bekannt geworden wäre, wurde von dem Beschwerdeführer nicht erstattet und sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, die auf einen solchen Sachverhalt schließen lassen würden.

2.2.9. Im Übrigen ergibt sich aus den Vorbringen des Beschwerdeführers in Verbindung mit den amtswegig herangezogenen Länderberichten auch keine sonstige Gefährdung aufgrund seiner ethnischen, religiösen, staatsbürgerlichen Zugehörigkeit oder wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.

So sind keine konkreten Anhaltspunkte hervorgekommen, die darauf hindeuten würden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr von asylrelevanter Verfolgung bedroht wäre. Insbesondere gab er vor dem BFA und in der Beschwerdeverhandlung an, keiner Verfolgung aus Gründen der Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit ausgesetzt zu sein (AS 85, VHP S. 18).

Es war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht hat, dass er im Falle einer Rückkehr nach Syrien einer konkret und individuell gegen ihn gerichteten Gefahr von Verfolgung aufgrund seiner ethnischen, religiösen oder staatsbürgerlichen Zugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung ausgesetzt wäre. Auch sonst sind keine konkreten Anhaltspunkte erkennbar, die darauf hindeuten, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter konkret bedroht wäre.

2.2.10. Zur Erreichbarkeit der Herkunftsregion:

Dem Beschwerdeführer steht für eine Rückreise sämtliche offene Grenzübergänge des Landes zur Verfügung, unter Umgehung der zuvor genannten (vergleichsweise) flächenmäßig kleinen regimekontrollierten Gebietsteile in den Gouvernements Latakia und Tartus, die vor allem den Flughafen von Latakia und den Hafen von Tartus betreffen, auch wenn derzeit fraglich ist, ob das syrische Regime in diesen Teilen aktuell überhaupt noch zur Verfolgung potenzieller Regimegegner fähig und willens ist.

So ist insbesondere eine Einreise und Weiterreise über die Türkei möglich, ohne dass dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Es wird zwar nicht verkannt, dass es an der syrisch-türkischen Grenze zu temporären Einschränkungen und Sperren kommen kann, diese sind jedoch Teil der allgemeinen (Bürgerkriegs-)Situation und ändern nichts daran, dass Zivilpersonen grundsätzlich in der Lage sind, über Grenzübergänge wie Bab al-Hawa nach Syrien zu reisen, ohne einer Verfolgung durch das Regime ausgesetzt zu sein. Für den Fall einer Rückkehr wäre es dem Beschwerdeführer als subsidiär Schutzberechtigtem zumutbar, einen Fremdenpass gemäß § 88 Fremdenpolizeigesetz 2005 zu beantragen.

Zusammengefasst bleibt hervorzuheben, dass der Beschwerdeführer im Laufe des Asylverfahrens keine konkreten und glaubhaften Bedrohungsszenarien seine Person betreffend vorgebracht hat, sondern lediglich pauschale Befürchtungen ins Treffen geführt hat. Aus dem verwaltungsbehördlichen Verfahren und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ergibt sich, dass der Beschwerdeführer ausreichend Zeit und Gelegenheit hatte, eventuelle Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel oder Belege vorzulegen.

2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht ebenfalls kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Syrien zugrunde gelegt werden konnten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) lautet auszugsweise:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z. 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht

oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

[…]“

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).

Unter „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie; vgl. VwGH 27.09.2022, Ra 2021/01/0305).

Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.05.2021, Ra 2019/19/0428 mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss; auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist demnach zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde beziehungsweise des Verwaltungsgerichtes) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).

Geht die auf einem Konventionsgrund beruhende Verfolgung von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen aus, kommt ihr nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden ist dabei grundsätzlich daran zu messen, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die betroffenen Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0126, mwN).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).

Glaubhaftmachung bedeutet, die Behörde davon zu überzeugen, dass der behauptete Sachverhalt wahrscheinlich verwirklicht oder nicht verwirklicht worden ist (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I², Anm. 1 zu § 45, S. 640). Die „Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 29.04.1992, 90/13/0201; 22.12.1992, 91/04/0019; 11.06.1997, 95/01/0627; 19.03.1997, 95/01/0466).

3.2. Subsumiert man den vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt den relevanten und im Lichte der zitierten Judikatur auszulegenden Rechtsvorschriften, ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

3.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 22.01.2024, Ra 2023/14/0437, Rz 10; mwN).

Im Erkenntnis vom 28.02.2023, Ra 2023/20/0619, hielt der Verwaltungsgerichtshof zur – im Wesentlichen unverändert gebliebenen – Berichtslage weiters fest, dass sich aus den Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und aus dieser Berichtslage nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werde. Ferner verwies der Verwaltungsgerichtshof darauf, dass sich nach dieser Berichtslage gerade kein Automatismus dahingehend als gegeben annehmen lasse, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde (vgl. 28.02.2023, Ra 2023/20/0619, Rz 32; mwN).

Wie in der Beweiswürdigung näher ausgeführt, hat der Beschwerdeführer seinen verpflichtenden Wehrdienst bei der syrischen Armee bislang nicht abgeleistet und befindet sich im wehrpflichtigen Alter. Das Regime unter Baschar al-Assad hat nach seinem Sturz in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, dem Dorf XXXX im Gouvernement XXXX weder Einfluss noch Zugriffsmöglichkeiten auf ihn. Die Region steht mittlerweile unter Kontrolle der HTS, die die syrische Übergangsregierung repräsentiert.

Ungeachtet dessen hat der Beschwerdeführer keine glaubhaften Umstände dargelegt, die darauf hindeuten, dass er im Fall einer Wehrdienstverweigerung vom Assad-Regime als politischer Gegner wahrgenommen würde. Ebenso wenig hat er substantiierte Angaben gemacht, welche politische oder religiöse Überzeugung er vertreten könnte, die der Ableistung des Wehrdienstes entgegensteht. Der Beschwerdeführer hat auch keine (als oppositionell angesehene) Handlungen begangen, die ihn mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in den Fokus des Regimes oder anderer Gruppierungen gerückt hätten.

Zusammengefasst lässt das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer drohenden Einziehung zum Wehrdienst keinen kausalen Zusammenhang zu einem Konventionsgrund erkennen.

3.2.2. Bezüglich der vom Beschwerdeführer geäußerten Furcht vor Verfolgung durch andere oppositionelle Gruppierungen ist festzuhalten, dass – wie in der Beweiswürdigung ausgeführt – ihm keine Zwangsrekrutierung oder sonstige Verfolgung durch andere bewaffnete Gruppierungen im Herkunftsstaat droht.

3.2.3. Im Übrigen ist es dem Beschwerdeführer auch nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass ihm aufgrund seiner Religions- bzw. Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe eine gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung droht.

Ebenso wenig ergibt sich aus den Länderberichten eine Verfolgung aller Rückkehrer, die im Ausland um Asyl angesucht haben (vgl. auch VwGH 11.11.2020, Ra 2020/18/0147).

Der Beschwerdeführer konnte auch nicht glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat seitens einer der syrischen Konfliktparteien aufgrund einer tatsächlichen oder unterstellten politischen Gesinnung – oder aus anderen Gründen – Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht. Auch haben sich im Verfahren ansonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen.

Dem Beschwerdeführer ist es daher nicht gelungen, eine individuelle, konkrete und nachvollziehbare Verfolgungsgefahr seiner Person in seinem Herkunftsland darzulegen. Es ist im vorliegenden Fall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien aus in der GFK genannten Gründen (ethnische Zugehörigkeit, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) Eingriffen von erheblicher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre ausgesetzt wäre.

3.2.3. Eine Einreise und Weiterreise ins Herkunftsgebiet ist dem Beschwerdeführer über sämtliche offene Grenzübergänge möglich, ohne dass ihm dabei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine konkret und gezielt gegen seine Personen gerichtete Verfolgung aus in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht (vgl. VfGH 29.06.2023, E 3450/2022: „Im fortgesetzten Verfahren wird daher auch zu prüfen sein, ob die Herkunftsregion für den Beschwerdeführer erreichbar ist, ohne dass ihm am Weg dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung iSd § 3 AsylG 2005 droht.“). Zur Rückkehr in die Herkunftsregion ist auf eine aktuelle Entscheidung des VwGH hinzuweisen, wonach es aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf ankommen kann, ob die Einreise in einen verfolgungssicheren Landesteil aus der Sicht des potentiellen Verfolgers (hier: des syrischen Regimes) legal stattfindet, sondern nur, ob die den Grenzübergang beherrschenden Autoritäten eine Einreise in das sichere Gebiet zulassen (vgl. VwGH 29.02.2024, Ra 2024/18/0043). Davon ist nach den getroffenen Feststellungen (und der dazugehörigen Beweiswürdigung) im Fall des Beschwerdeführers jedenfalls auszugehen.

3.2.4. Zudem lässt sich aus der allgemeinen Lage in Syrien für den Beschwerdeführer kein Status als Asylberechtigter ableiten. Um asylrelevante Verfolgung im Kontext einer Bürgerkriegssituation geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die allgemeinen Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Eine solche zusätzliche Gefährdung konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen.

3.2.5. Der Vollständigkeit halber wird schließlich festgehalten, dass der allgemeinen Gefährdung der Beschwerdeführer durch die derzeitige Lage in Syrien im gegenständlichen Verfahren bereits mit der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 durch die belangte Behörde Rechnung getragen wurde.

In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass die im Dezember 2024 veröffentlichte Position der UNHCR der vorliegenden Entscheidung nicht entgegensteht:

Die von UNHCR thematisierten Fragen der freiwilligen Rückkehr („Voluntary Returns“) sowie des Moratoriums zwangsweiser Rückführungen („Moratorium on Forced Returns“) sind mit Blick auf den Gegenstand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht relevant.

Des Weiteren plädiert die UNHCR dafür, dass vorerst keine negativen Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen und Staatenlosen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, erlassen werden. Zutreffend weist UNHCR zunächst darauf hin, dass das Risiko einer Verfolgung durch die einstige Regierung, also das Assad-Regime, geendet habe. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit den Informationen, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung stützt. Soweit UNHCR allerdings vermeint, dass andere Risiken fortbestehen oder zunehmen könnten, ist festzuhalten, dass das Vorbringen einer asylrelevanten Verfolgung infolge der Lageänderung in Syrien ab Ende November/Anfang Dezember 2024 eine entsprechende Glaubhaftmachung an dem – rechtskundig vertretenen und über seine Mitwirkungspflicht mehrfach belehrten – Beschwerdeführer liegt. Zum für die Beurteilung und Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt ist jedenfalls von keiner asylrelevanten Verfolgung des BEschwerdeführers durch einen der Akteure in Syrien auszugehen. Im Übrigen ist beachtlich, dass auch UNHCR keine neuen Verfolgungsrisken ins Treffen führt, sondern sich allgemein auf die in Syrien vorherrschende Unsicherheit und Instabilität bezieht. Vor diesem Hintergrund sei abschließend noch einmal daran erinnert, dass dem BEschwerdeführer ohnedies bereits den Status der subsidiär Schutzberechtigten innehaben.

3.2.6. Der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten durch das BFA war daher der Erfolg zu versagen.

Zu B)

Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die unter Punkt II.3. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen, die bei den jeweiligen Erwägungen wiedergegeben wurde. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Daher war spruchgemäß zu entscheiden.