JudikaturVwGH

Ra 2025/17/0084 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
06. Oktober 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger sowie die Hofräte Dr. Terlitza und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Schimpfhuber, über die Revisionen 1. des J A O, und 2. der O V O, beide vertreten durch MMag. Salih Sunar, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2025, 1. I412 2217437 2/26E und 2. I412 2217433 2/28E, betreffend Angelegenheiten nach dem Asylgesetz 2005 und dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

1 Der Erstrevisionswerber, geboren im Jahr 2003, und die Zweitrevisionswerberin, geboren im Jahr 2001, sind Geschwister und Staatsangehörige von Nigeria; sie halten sich seit Juli 2017 durchgehend im Bundesgebiet auf.

2Das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) wies mit Erkenntnis vom 4. Februar 2020 in der Sache die Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria jeweils zulässig sei, und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3Mit Beschluss vom 30. März 2022, Ra 2020/19/0212 bis 0213, wies der Verwaltungsgerichtshof den Antrag der Revisionswerber auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision zurück.

4Am 18. August 2022 stellten die Revisionswerber die für den Revisionsfall relevanten Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung „in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005.

5 Mit Bescheiden jeweils vom 13. Oktober 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der Revisionswerber auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 Asylgesetz“ jeweils zurück (Spruchpunkt I.), wies den Mängelheilungsantrag gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 iVm § 8 AsylG DV 2005 ab (Spruchpunkt II.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Zudem wurde den Revisionswerbern eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V.).

6 Dagegen erhoben die Revisionswerber gemeinsam Beschwerde, in der sie u.a. vorbrachten, sich nicht nur außerordentlich gut integriert, „sondern assimiliert“ zu haben. Dazu verwiesen sie (unter wörtlicher Wiedergabe) auf eine im Verfahren vor dem BFA erstattete Stellungnahme und auf schon bei der Antragstellung vorgelegte Dokumente, aus denen sich (gemeint: jeweils) ergebe, dass ein Arbeitsvorvertrag vorhanden sei, die „A2 Deutsch Qualifkation [...] bei weitem übererfüllt“ werde und ein Wohnplatz mit behördlicher Meldung vorhanden sei. Die Revisionswerber würden den künftigen Aufenthalt „durch die Berufstätigkeit sichern“. Sie beantragten die Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Begründung, es habe im Verfahren vor dem BFA „keine geeignete mündliche Befragung“ gegeben und eine mündliche Beschwerdeverhandlung sei die einzige Möglichkeit, das Verwaltungsgericht „durch den persönlichen Eindruck“ zu überzeugen.

7 Mit Erkenntnis vom 9. März 2023 wies das Verwaltungsgericht im ersten Rechtsgang „die Beschwerden“ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

8Mit Erkenntnis vom 19. März 2025, Ra 2023/17/0070 bis 0071, hob der Verwaltungsgerichtshof infolge der dagegen erhobenen Revisionen dieses Erkenntnis aufgrund der Missachtung der Verhandlungspflicht gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

9 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht „die Beschwerden“ im zweiten Rechtsgang nunmehr nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

10 Das Verwaltungsgericht stellte dabei u.a. und soweit für das Revisionsverfahren relevant fest, die Revisionswerber seien ihrer Mitwirkungspflicht im gegenständlichen Verfahren nicht in ausreichendem Maße nachgekommen und sie hätten „insbesondere kein gültiges Reisedokument im Original, keine Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument im Original, in Vorlage“ gebracht. Erst in der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2025 hätten die Revisionswerber ihre Geburtsurkunden ins Verfahren eingebracht. Der Antrag auf Heilung des Mangels der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise habe jedoch nicht nachweisen können, dass ihnen die Beschaffung eines Reisedokumentes nicht möglich oder zumutbar gewesen sei.

11 In beweiswürdigender Sicht begründete das Verwaltungsgericht die Feststellungen zur Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht der Revisionswerber im Wesentlichen damit, dass sie nicht den Nachweis erbracht hätten, dass ihnen die Vorlage der erforderlichen Urkunden oder Nachweise nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre.

12 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht u.a., nachdem die Revisionswerber „den Reisepass iSd § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG DV 2005 nicht in Vorlage bringen konnten und auch der Antrag auf Heilung des Mangels der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 AsylGDV 2005 unbegründet war, [seien] ihre verfahrensgegenständlichen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen gemäß § 56 AsylG 2005 seitens der belangten Behörde zu Recht auf Grundlage des § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen“ worden.

13 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden, zwar in getrennten Schriftsätzen eingebrachten, aber weitestgehend wortidenten Revisionen.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revisionsverfahren wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

15 Die belangte Behörde erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof keine Revisionsbeantwortung.

16 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

18Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

19Die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision erfolgt ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN).

20Den wiedergegebenen Feststellungen zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht (vgl. oben Rn. 10) treten die Revisionen nicht entgegen. Vielmehr beschränken sich deren Zulässigkeitsvorbringen jeweils darauf, dass die Revisionswerber Anträge gemäß § 56 AsylG 2005 gestellt hätten, die durch das Verwaltungsgericht aber „nicht korrekt überprüft und entschieden“ worden seien. Vielmehr habe sich dessen Erkenntnis „auf Erwägungen i.S. von § 55 AsylG“ gestützt, und sei „materiellrechtlich keinerlei Begründung der Zurückweisung“ der Anträge der Revisionswerber gemäß § 56 AsylG 2005 erfolgt.

21 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses grundsätzlich, wenn es nicht zu einer Heilung nach § 4 AsylGDV 2005 zu kommen hat, eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung rechtfertigt und eine inhaltliche Entscheidung über den beantragten Aufenthaltstitel nicht in Betracht kommt (vgl. für viele VwGH 16.12.2024, Ra 2024/17/0156, mwN, betreffend einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005, sowie VwGH 3.6.2024, Ra 2023/17/0022, mwN, betreffend einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005).

22 Die Heilung eines Mangels auf begründeten Antrag kann gemäß § 4 Abs. 1 AsylG DV 2005, BGBl. II Nr. 448/2005, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 492/2013, nur unter einer der folgenden Bedingungen zugelassen werden:

„1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

2. zur Aufrechterhaltung des Privatund Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.“

23Weder der Tatbestand von Z 1 noch von Z 3 leg. cit. ist vorliegend erfüllt. Die von den Revisionswerbern vermisste inhaltliche Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen des jeweils beantragten Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005 war aber aufgrund des klaren Wortlauts von Z 2 leg. cit. ebenfalls ausgeschlossen (vgl. zur Rechtfertigung einer Zurückweisung nach § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 bei Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0214, mwN).

24Soweit die Revisionswerber der Sache nach noch die durch das Verwaltungsgericht angestellte Interessenabwägung bekämpfen, ist lediglich ergänzend auszuführen, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG ist (vgl. für viele VwGH 25.6.2025, Ra 2025/17/0049, mwN).

25 In den Revisionen wird nicht aufgezeigt, dass das Verwaltungsgericht bei der Durchführung der Interessenabwägung nach § 9 BFAVG die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien missachtet oder unvertretbar angewendet hätte. So hat es die Integrationsbemühungen der Revisionswerber, ihre sehr guten Deutschkenntnisse, den Besuch einer österreichischen Fachhochschule und die Beschäftigungen der Revisionswerber gewürdigt. Ebenso hat sich das Verwaltungsgericht mit den Bindungen der Revisionswerber zu ihrem Herkunftsland auseinandergesetzt. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht aber auch betont, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht akzeptiert werden muss, dass ein Fremder wie hier die Revisionswerber, deren Aufenthalt in Österreich stets unsicher war mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf den Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa konkret zum zweiten Asylantrag des ErstrevisionswerbersVwGH 24.2.2025, Ra 2025/20/0036, mwN).

26 In den Revisionen werden daher in der jeweils allein maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

27Von der jeweils beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 6. Oktober 2025