Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer Kober sowie Dr. Koprivnikar als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. aAndrés, über die Revisionen der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland vom 4. Dezember 2024, 1. E 157/09/2024.016/002 und 2. E 157/09/2024.017/002, jeweils betreffend Zwangsstrafe nach dem VVG (mitbeteiligte Parteien: 1. S S und 2. J S, beide in S, jeweils vertreten durch Dr. Josef Lagler, Rechtsanwalt in 7132 Frauenkirchen, Franziskanerstraße 62), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
1Jeweils mit Spruchpunkt 2. der im Berufungsverfahren ergangenen Bescheide des Gemeinderates der Marktgemeinde S vom 5. Oktober 2018 wurde dem Erstmitbeteiligten (Ra 2025/02/0031) als Liegenschaftseigentümer sowie dem Zweitmitbeteiligten (Ra 2025/02/0032) als Nutzungsberechtigtem von nach Grundstücksnummer, Einlagezahl und Katastralgemeinde umschriebenen Grundstücken gemäß § 7 Abs. 2 Bgld. Landes Polizeistrafgesetz iVm § 14 Abs. 3 lit. a Bgld. Raumplanungsgesetz (a) aufgetragen, die Tierhaltung auf diesen Grundstücken auf die maximale Stückzahl von sieben Hühnern, fünf Gänsen und sieben Enten einzuschränken, (b) die Haltung von diese eingeschränkte Stückzahl übersteigenden Tieren sowie die Haltung von Hähnen untersagt, und (c) aufgetragen, die Tiere während der Zeit der täglichen Nachtruhe (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) in einem verschlossenen Stall zu verwahren. Diese Maßnahmen seien binnen vier Wochen ab Zustellung der Bescheide bei sonstiger Vollstreckung vorzunehmen.
2 Mit Bescheiden der belangten Behörde und nunmehr revisionswerbenden Partei vom 21. Juni 2024 wurde über die Mitbeteiligten jeweils die Verhängung einer Zwangsstrafe in der Höhe von € 500, angeordnet; der Spruch lautete auszugsweise jeweils wie folgt (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof): „Mit Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde S vom 5.10.2018, Zahl [...], sind Sie zu folgender Leistung verpflichtet worden: 2 b): ‚Die Haltung von dieser eingeschränkten Stückzahl (Anm.: gem. Spruchpunkt 2 a) auf den Gst. Nr. [...] maximale Stückzahl von 7 Hühnern, 5 Gänsen und 7 Enten) übersteigenden Tieren ist untersagt; die Haltung von Hähnen ist untersagt.‘ Dieser Verpflichtung sind sie nicht nachgekommen [...].“ Zugleich wurde jeweils die Verhängung einer weiteren Zwangsstrafe in der Höhe von € 1.000, unter Setzung einer zweiwöchigen Frist „nach Erhalt des Schreibens“ angedroht.
3 Den dagegen erhobenen Beschwerden der Mitbeteiligten wurde mit den angefochtenen Erkenntnissen des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland (Verwaltungsgericht) stattgegeben und die Bescheide behoben. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht jeweils für unzulässig.
4 Unter dem Punkt „Verfahrensverlauf, Sachverhalt“ gab das Verwaltungsgericht jeweils den Verfahrensgang sowie den Beschwerdeinhalt wieder. In den Beschwerden sei u.a. vorgebracht worden, die Verhängung einer Zwangsstrafe sei nur dann zulässig, wenn eine unvertretbare Leistung angeordnet und diese nicht erbracht werde. Es liege eine vertretbare Leistung vor. Überzähliges Federvieh könne nicht nur vom Verpflichteten, sondern auch von Dritten entfernt werden, weshalb die Verhängung einer Zwangsstrafe ebenso wie die Androhung einer weiteren Zwangsstrafe bei Zuwiderhandeln rechtswidrig sei. Dies sei bereits in den vorgelagerten Verfahren gegen die Mitbeteiligten durch die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes vom 19. Juni 2023 festgestellt und durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 2023 bestätigt worden.
5Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Verwaltungsgericht auf seine Erkenntnisse vom 19. Juni 2023 und gab diese auszugsweise wieder. Mit diesen Erkenntnissen habe es über die Rechtmäßigkeit der Verhängung von Zwangsstrafen über die Mitbeteiligten zu entscheiden gehabt, weil diese ihrer Verpflichtung, die Tierhaltung auf die im Spruch der Bescheide des Gemeinderates der Marktgemeinde S vom 5. Oktober 2018 genannte Anzahl von Tieren einzuschränken, nicht nachgekommen seien. Die die Zwangsstrafe anordnenden Bescheide (jeweils vom 8. März 2023) seien zu beheben gewesen, weil keine unvertretbare Leistung iSd § 5 VVG vorgelegen habe. Die gegen diese Erkenntnisse erhobenen Amtsrevisionen seien vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 28. November 2023, Ra 2023/02/0166 bis 0167, zurückgewiesen worden. Der Verwaltungsgerichtshof habe in diesem Beschluss ausgeführt, dem Verwaltungsgericht sei darin zuzustimmen, dass den Mitbeteiligten mit Spruchpunkt 2a der Bescheide der revisionswerbenden Partei Einschränkung des Tierbestandes auf eine jeweils bestimmte Anzahl von Tieren insoweit ein positives Tun angeordnet worden sei. Ein solches Tun könne jedoch von einem Dritten durch Ersatzvornahme der Abnahme der überzähligen Tierejederzeit bewirkt werden. Den zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes und des Verwaltungsgerichtshofes liege derselbe Sachverhalt wie den nun zu beurteilenden Entscheidungen der amtsrevisionswerbenden Partei zugrunde. Aus den dargestellten Gründen seien die angefochtenen Bescheide vom 21. Juni 2024 nach § 5 VVG zu beheben.
6 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die außerordentlichen Amtsrevisionen jeweils mit den Anträgen, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, in eventu in der Sache selbst zu entscheiden und das Erkenntnis dahingehend abzuändern, dass die Beschwerde abgewiesen werde.
7Das Verwaltungsgericht machte bei der Vorlage der Revisionen weder Angaben zur Rechtzeitigkeit der Revisionen noch zu den von ihm durchgeführten Zustellungen (vgl. § 30a Abs. 7 VwGG), sondern verwies auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 2023, Ra 2023/02/0166 bis 0167.
8 Die Mitbeteiligten erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung und brachten vor, die Bescheide des Gemeinderates der Marktgemeinde S vom 5. Oktober 2018 seien in drei Etappen des Spruches (2a bis 2c), und zwar auch in chronologischer Hinsicht betreffend des Vollzuges, aufgebaut. Dies habe Sinn und Zweck darin, dass der jeweils unmittelbar nachfolgende Auftrag erst nach Vollzug des unmittelbar vorhergehenden Auftrages umzusetzen sei und umgesetzt werden könne, der jeweils unmittelbar nachfolgende Auftrag somit durch den Vollzug des jeweils unmittelbar vorangegangenen Auftrages bedingt sei. Die Untersagung der Haltung gemäß Spruchpunkt 2b beziehe sich ausdrücklich auf die die eingeschränkte Stückzahl übersteigende Anzahl von Tieren. Es müsse somit zuerst zur Einschränkung auf diese zulässige Stückzahl von Tieren kommen und sei diese Einschränkung zuallererst zu vollziehen. Dies sei aber durch Ersatzvornahme möglich, zulässig und daher durchzuführen. Die Behörde habe daher den Bescheid des Gemeinderates vorerst alleine hinsichtlich seines Punktes 2a zu vollziehen gehabt. Erst nach Vollzug durch Ersatzvornahme könne der Vollzug des Punktes 2b des Spruches des Bescheides angeordnet werden, auch deswegen, weil erst dann die zulässige Zahl von Tieren auf dem Grundstück vorhanden wäre, nicht schon vorher. Es werde daher die Zurückweisung der Revisionen unter Zuspruch von Aufwandersatz beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Revisionen in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG erwogen:
9 Die Revisionen erweisen sich als zulässig und begründet.
10§ 4 Abs. 1 VVG in der Stammfassung BGBl. Nr. 53/1991 und § 5 Abs. 1 VVG in der Fassung BGBl. I Nr. 14/2022 lauten:
„ Erzwingung anderer Leistungen und Unterlassungen
a) Ersatzvornahme
§ 4. (1) Wenn der zu einer Arbeits oder Naturalleistung Verpflichtete dieser Pflicht gar nicht oder nicht vollständig oder nicht zur gehörigen Zeit nachgekommen ist, so kann die mangelnde Leistung nach vorheriger Androhung auf Gefahr und Kosten des Verpflichteten bewerkstelligt werden.
[...]
b) Zwangsstrafen
§ 5. (1) Die Verpflichtung zu einer Duldung oder Unterlassung oder zu einer Handlung, die sich wegen ihrer eigentümlichen Beschaffenheit nicht durch einen Dritten bewerkstelligen lässt, wird dadurch vollstreckt, dass der Verpflichtete von der Vollstreckungsbehörde durch Geldstrafen oder durch Haft bis zur Gesamtdauer von einem Jahr zur Erfüllung seiner Pflicht angehalten wird.
[...]“
11Unter Vollstreckung im Sinne des VVG ist die zwangsweise Durchsetzung der durch individuelle Normen begründeten Pflichten zu verstehen (vgl. VwGH 21.11.2018, Ra 2017/17/0255, mwN).
12 Mit Spruchpunkt 2. der Bescheide des Gemeinderates der Marktgemeinde S vom 5. Oktober 2018 wurden den Mitbeteiligten verschiedene Pflichten auferlegt. Zum einen wurde ihnen gemäß lit. a aufgetragen, die Tierhaltung auf den Grundstücken auf eine bestimmte maximale Stückzahl von Hühnern, Gänsen und Enten einzuschränken. Zum anderen wurde ihnen gemäß lit. b untersagt, mehr als die genannten Tiere sowie Hähne zu halten. Schließlich wurde ihnen gemäß lit. c aufgetragen, die Tiere während der Nachtruhe in einem verschlossenen Stall zu verwahren.
13 Es ist daher bei der Vollstreckung dieser Bescheide zwischen diesen unterschiedlichen Verhaltenspflichten zu unterscheiden. Anders als die Mitbeteiligten vermeinen, sind die drei Spruchpunkte dieses Bescheides voneinander unabhängig und stehen nicht in einem chronologischen Verhältnis, das den Vollzug in einer gewissen Abfolge bedingt. Jeder dieser Spruchpunkte kann von der Behörde in einer beliebigen Reihenfolge vollzogen werden, sofern die Mitbeteiligten die auferlegten Verhaltenspflichten missachten. Dies folgt schon daraus, dass unterschiedliche Verhaltenspflichten auferlegt werden. Im Übrigen betrifft Spruchpunkt 2c die Verwahrung der Tiere in der Nacht, sodass auch nicht ersichtlich ist, inwiefern der vorherige Vollzug der Spruchpunkte 2a und 2b Voraussetzung für den Vollzug dieses Spruchpunktes sein soll, wenn die Mitbeteiligten die Tiere während der Zeit der täglichen Nachtruhe (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) nicht in einem verschlossenen Stall unterbringen.
14 Ob bei der Vollstreckung eines der Spruchpunkte des Bescheides mittels Ersatzvornahme oder Zwangsstrafe vorzugehen ist, hängt von der Natur der durchzusetzenden Verpflichtung ab.
15 Wurden wie hier im Titelbescheid mehrere Verpflichtungen auferlegt, kommt es daher darauf an, welche dieser Verpflichtungen konkret zwangsweise durchgesetzt werden soll.
16Im VVG stellt die Ersatzvornahme das zur Erbringung vertretbarer Leistungen ausdrücklich vorgesehene Zwangsmittel dar. Zur Erzwingung von Duldungen und Unterlassungen sowie von unvertretbaren Handlungen sieht das Gesetz in § 5 VVG hingegen Zwangsstrafen vor (vgl. VwGH 28.11.2023, Ra 2023/02/0166 bis 0167, mwN), deren Aufgabe es ist, einen dem Willen der Behörde entgegenstehenden Willen einer Partei zu brechen (vgl. erneut VwGH 21.11.2018, Ra 2017/17/0255, mwN).
17Das Verwaltungsgericht verwies zur Begründung der angefochtenen Entscheidungen jeweils auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.11.2023, Ra 2023/02/0166 bis 0167, in welchem in Bezug auf die mit Bescheiden vom 5. Oktober 2018 den Mitbeteiligten gemäß lit. a der Bescheide auferlegte Verpflichtung zur Einschränkung des Tierbestandes auf eine jeweils bestimmte Anzahl von Tieren ausgesprochen wurde, dass hierdurch ein positives Tun angeordnet wurde, das auch von Dritten jederzeit bewirkt werden kann.
18 Mit den Bescheiden vom 21. Juni 2024 sollte jedoch nicht die Verpflichtung zur Einschränkung des Tierbestandes zwangsweise durchgesetzt werden, sondern die ebenfalls mit Bescheiden vom 5. Oktober 2018 untersagte Haltung von über den eingeschränkten Tierbestand hinausgehenden weiteren Tieren sowie von Hähnen gemäß lit. b dieser Bescheide. Bei dieser in Vollstreckung gezogenen Verpflichtung handelt es sich im Gegensatz zum Auftrag, den Tierbestand einzuschränken, dem auch durch die Abnahme der überzähligen Tiere durch Dritte und somit unabhängig vom Willen der Mitbeteiligten entsprochen werden kannnicht um eine vertretbare Leistung, sondern um einen Auftrag zur Unterlassung. Die Verpflichtung zu einer Unterlassung ist aber nach § 5 VVG durch Zwangsstrafen durchzusetzen (vgl. zur Vollstreckung einer untersagten Verwendung baulicher Anlagen zum Betrieb eines Tierheims: VwGH 28.2.2012, 2010/05/0106; zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Unterlassung von die Bringungsrechtsausübung beoder verhindernden Maßnahmen vgl. VwGH 27.4.2006, 2005/07/0137; zur Verhängung eines Tierhaltungsverbotes vgl. VwGH 23.2.1996, 95/02/0311, wonach ein solches einer Vollstreckung nach § 5 VVG zugänglich ist).
19Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und die angefochtenen Bescheide behob, belastete es die angefochtenen Erkenntnisse mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes, weshalb diese gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.
Wien, am 15. April 2025