Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr. Kronegger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision des W S in W, vertreten durch LTRA Rechtsanwälte in 1070 Wien, Lindengasse 38/3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 5. Februar 2024, Zl. VGW 107/042/10000/2023 5, betreffend Verhängung einer Zwangsstrafe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit zu Handen des Erwachsenenvertreters des Revisionswerbers ergangener Erledigung vom 20. April 2023 drohte die belangte Behörde dem Revisionswerber, dem mit Bescheid der belangten Behörde vom 9. März 2023 gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 Führerscheingesetz (FSG) die ihm für näher bezeichnete Klassen erteilte Lenkberechtigung unter Hinweis auf die Verpflichtung zur unverzüglichen Abgabe des Führerscheins (§ 29 Abs. 3 FSG) entzogen worden war, für den Fall der Nichtablieferung seines Führerscheins innerhalb von drei Tagen ab Zustellung eine Zwangsstrafe in der Höhe von € 500, an.
2 Zudem wurde der Erwachsenenvertreter des Revisionswerbers durch die belangte Behörde mit Schreiben vom 14. Juni 2023 aufgefordert, für die Ablieferung des Führerscheins Sorge zu tragen.
3 Mit (ebenfalls zu Handen des Erwachsenenvertreters des Revisionswerbers ergangenem) Bescheid vom 27. Juni 2023 verhängte die belangte Behörde gemäß § 5 VVG über den Revisionswerber eine Zwangsstrafe in Höhe von € 500, .
4 In der dagegen erhobenen Beschwerde führte der Revisionswerber, vertreten durch seinen Erwachsenenvertreter, aus, er leide an einer psychiatrischen Erkrankung, weshalb es ihm krankheitsbedingt nicht möglich sei, seine Unterkunft zu verlassen. Auch dem Erwachsenenvertreter sei es nicht möglich, den Führerschein abzuliefern, weil er keinen Zutritt zur Wohnung des Revisionswerbers habe. In Anbetracht dessen sei die Verhängung einer Zwangsstrafe rechtswidrig.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für unzulässig.
6 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, fallbezogen liege der erforderliche „Titelbescheid“ vor. Die Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern, stelle darüber hinaus eine unvertretbare Handlung dar. Für den Revisionswerber sei zwar mit Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 3. Juni 2016 ein Erwachsenenvertreter unter anderem für die Vertretung vor Behörden und Gerichten bestellt worden. Da es sich aber bei einer Zwangsstrafe um kein Instrument zur Sanktionierung deliktischen Verhaltens handle, sei es für deren Verhängung nicht erforderlich, dass der Verpflichtete deliktsfähig sei. Das diesbezügliche Beschwerdevorbringen gehe daher ins Leere. Der Revisionswerber sei der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins trotz Androhung einer Zwangsstrafe in der gegenständlichen Höhe nicht nachgekommen, weshalb die Zwangsstrafe zu Recht verhängt worden sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 10. Juni 2024, E 921/2024 5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
8 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden außerordentlichen Revision wird u.a. unter dem Blickwinkel einer Abweichung von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend gemacht, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Verhängung der gegenständlichen Zwangsstrafe rechtswidrig sei, weil der Revisionswerber nicht in der Lage sei, einen rechtserheblichen bzw. dem Willen der belangten Behörde entgegenstehenden Willen, der durch die Verhängung einer Zwangsstrafe beeinflusst werden könnte, zu bilden.
9 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revision erweist sich aus dem von ihr genannten Grund als zulässig; sie ist auch begründet.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zu einer Konstellation betreffend die Verhängung einer Zwangsstrafe wegen nicht fristgerechter Ablieferung eines Führerscheins festgehalten, dass es Sinn einer Zwangsstrafe ist, einen dem Willen der Behörde entgegenstehenden Willen einer Partei zu brechen. Die Verhängung einer Zwangsstrafe nach § 5 Abs. 1 VVG setzt daher jedenfalls voraus, dass die Person, gegen die das Zwangsmittel gerichtet ist, überhaupt fähig ist, einen rechtserheblichen Willen zu bilden, der durch die Verhängung des Zwangsmittels beeinflusst werden soll (vgl. VwGH 19.6.2007, 2007/11/0025, mwN; siehe zur Aufgabe von Zwangsstrafen ferner VwGH 15.4.2025, Ra 2025/02/0031, mwN).
13 Im Revisionsfall war sowohl der belangten Behörde als auch dem Verwaltungsgericht die Erwachsenenvertretung des Revisionswerbers bekannt. Der Erwachsenenvertreter brachte nicht nur in der Beschwerde, sondern auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vor, dass es dem Revisionswerber aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigung nicht möglich sei, der Aufforderung zur Ablieferung des Führerscheins nachzukommen. Dazu wurde auf ein vorgelegtes psychiatrisch-neurologisches Gutachten verwiesen.
14 Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts war das Vorbringen des Revisionswerbers zur ihm krankheitsbedingt nicht möglichen Ablieferung seines Führerscheins aus den dargelegten Gründen (vgl. die eingangs wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) nicht rechtlich unerheblich (siehe weiters zur Unzulässigkeit der Verhängung einer Zwangsstrafe bei Unmöglichkeit der Erfüllung der Leistung VwGH 17.6.1992, 92/01/0015; [im Zusammenhang mit § 10 VVG und der Ablieferung eines Waffenpasses] VwGH 26.9.2013, 2013/07/0083).
15 Da das Verwaltungsgericht somit insofern die Rechtslage verkannte, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
16 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. Juli 2025