Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., MA, über die Revision der N, vertreten durch die MMag. Dr. Kazim Yilmaz Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 2. Juni 2025, Zl. VGW 152/108/7454/2025 2, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1Mit dem angefochtenen Erkenntnis stellte das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) in der Sache gemäß § 39 und § 42 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) fest, dass die Revisionswerberin die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit mit Wirkung vom 30. April 2018 verloren hat und nicht österreichische Staatsbürgerin ist. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerberin sei am 19. Februar 1996 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden; mit 30. Mai 1996 sei sie aus dem türkischen Staatsverband entlassen worden. Die Revisionswerberin sei „zumindest“ am 30. April 2018 im türkischen Wählerverzeichnis für die türkische Präsidentschafts und Parlamentswahl eingetragen und somit zu diesem Zeitpunkt im Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit gewesen, welche sie auf ihren Antrag wiedererworben habe. Dass der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nur auf eigenen Antrag der Revisionswerberin habe erfolgen können, ergebe sich eindeutig aus den Bestimmungen des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 vom 11. Februar 1964 bzw. Nr. 5901 vom 29. Mai 2009. Einen vollständigen analogen, nicht über das „eDevlet Portal“ ausgefertigten Nüfus Registerauszug im Original, der keine Zweifel über seine Richtigkeit und Authentizität aufkommen lasse und einen Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit ausschließe, habe die Revisionswerberin trotz mehrmaliger Aufforderung durch die belangte Behörde nicht vorgelegt.
3 Die Revisionswerberin habe vor dem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht beantragt. Der Verlust der Staatsbürgerschaft und somit des Unionsbürgerstatus seiaus näher dargelegten Erwägungen, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Revisionswerberin die ihr nach § 28 StbG eingeräumte Möglichkeit des Antrags auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht wahrgenommen habe nicht unverhältnismäßig.
4Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht näher mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 VwGVG.
5 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Abweisung der Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9Soweit sich die Revision in den Zulässigkeitsausführungen gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts wendet, ist sie darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 10.5.2024, Ra 2024/01/0143, mwN).
10Derartiges zeigt die Revision nicht auf (vgl. insbesondere zur Abfrage der von der „Hohen Wahlkommission“ der Türkei zur Verfügung gestellten Wählerevidenz als tauglichem Beweismittel etwa VwGH 19.7.2023, Ra 2023/01/0177, mit Hinweis auf VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0484).
11 Soweit zur Zulässigkeitinsbesondere unter Hinweis auf das Erkenntnis VwGH 22.3.2021, Ra 2020/01/0293, 0384 0385 weiters vorgebracht wird, das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ist dem Folgendes zu entgegnen:
12Durch die vorliegende Feststellung des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 StbG wird (auch) die unionsrechtlich geschützte Sphäre der Revisionswerberin berührt, weshalb der Anwendungsbereich des Art. 47 GRC eröffnet ist (vgl. etwa VwGH 10.5.2023, Ra 2022/01/0314, mwN, zur Entziehung der Staatsbürgerschaft nach § 34 Abs. 1 StbG).
13Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar wiederholt ausgesprochen, dass sich im Anwendungsbereich des Art. 47 GRC im Fall der Unterlassung einer nach dieser Bestimmung gebotenen mündlichen Verhandlung die Darlegung der Relevanz des in der Unterlassung der Durchführung der Verhandlung gelegenen Verfahrensmangels erübrigt. Das bedeutet aber nicht, dass im Anwendungsbereich des Art. 47 GRC in jedem Fall eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist (vgl. etwa VwGH 22.3.2022, Ra 2021/22/0239, mwN; vgl. dazu, dass der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung kein absoluter ist, VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0160, mwN, auch zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes).
14Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Die Akten lassen dann im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann. Dies ist der Fall, wenn in der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet wird und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre. Indessen hat ein Verwaltungsgericht im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG in Verbindung mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC auch ohne Antrag eine mündliche Verhandlung von Amts wegen durchzuführen, wenn es dies für erforderlich hält, wobei die Abhaltung der Verhandlung nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen steht. Dies ist unter anderem dann anzunehmen, wenn ein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet oder die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde substantiiert bekämpft wird. In einem solchen Fall hat das Verwaltungsgericht daher grundsätzlich eine Verhandlung abzuhalten, um eine unmittelbare Klärung der strittigen Fragen durch mündliche Erörterung und Vornahme der gebotenen Beweisaufnahmen herbeizuführen.
Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn wie hierzuvor ein Verwaltungsverfahren stattfand, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde (vgl. zum Ganzen abermals VwGH Ra 2021/22/0239, mwN).
15 Die Revision zeigt nicht auf, aus welchen Gründen fallbezogen am Boden des Beschwerdevorbringens eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache hätte erwarten lassen.
16 Die Revisionswerberin ist im vorliegenden Fall in der Beschwerde den Feststellungen und beweiswürdigenden Erwägungen der belangten Behörde nicht substanziiert entgegen getreten. Insbesondere wurde in der Beschwerde entgegen den Ausführungen im Zulässigkeitsvorbringen von der Revisionswerberin weder bestritten, dass sie eine auf den (Wieder)Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gerichtete Willenserklärung abgegeben habe, noch wurden konkrete Beweisanträge erstattet (vgl. demgegenüber die im zitierten Erkenntnis VwGH Ra 2020/01/0293, 0384 0385, unter Rn. 14 wiedergegebenen Beschwerdeausführungen).
17 Insbesondere kann auch der Argumentation der Revision, die beweiswürdigende Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts zu den Unterschieden der von der Revisionswerberin (an die belangte Behörde) übermittelten analogen Ausfertigungen des türkischen Personenstandsregisterauszugs vom 18. Dezember 2024 einerseits sowie des über das „eDevlet Portal“ generierten Registerauszugs vom 19. März 2025 andererseits hätte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht, nicht gefolgt werden, zumal die Beschwerde auch dazu keinerlei substanziiertes Vorbringen enthält und sich das Verwaltungsgericht auch in diesem Punkt im Wesentlichen den tragenden beweiswürdigenden Erwägungen der belangten Behörde angeschlossen hat. Zudem hat das Verwaltungsgericht wie bereits die belangte Behörde darauf verwiesen, dass die Revisionswerberin einen vollständigen, analogen und nicht über das „eDevlet Portal“ ausgefertigten NüfusRegisterauszug im Original, der einen Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit ausschließe, trotz mehrmaliger Aufforderung nicht vorgelegt hat (vgl. zum erheblichen Beweiswert von Ausfertigungen bzw. Auszügen aus dem türkischen Personenstandsregister [nüfus kütügü] für die Frage des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit zuletzt etwa VwGH 28.8.2025, Ra 2025/01/0242, mwN).
18Das Verwaltungsgericht hat sohin (auch) in diesem Punkt keine zusätzliche, die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzende Beweiswürdigung vorgenommen (die regelmäßig erst nach Durchführung einer Verhandlung hätte erfolgen dürfen; vgl. etwa VwGH 3.10.2017, Ra 2016/07/0002, mwN).
19 Soweit die Revision in den Zulässigkeitsausführungen schließlich moniert, dass das Verwaltungsgericht „nähere Nachforschungen zum Privat und Familienleben“ der Revisionswerberin (im Rahmen einer mündlichen Verhandlung) bei der Vornahme der unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterlassen habe, wird damit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aufgezeigt.
20 So ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass es nach der (jüngeren) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu beanstanden ist, wenn das Verwaltungsgericht bei (Wieder)Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit für den Fall, dass der Betroffene die ihm nach § 28 StbG eingeräumte Möglichkeit zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht wahrgenommen hat, davon ausgeht, dass die öffentlichen Interessen an der Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeiten überwiegen. In Verfahren zur Feststellung des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 27 StbG ist die Durchführung einer unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung in solchen Fallkonstellationen demnach nicht (mehr) erforderlich (vgl. VwGH 14.8.2025, Ra 2025/01/0097, mit Hinweis auf VfGH 11.12.2024, E 4341/2024 6, und EuGH 25.4.2024, C 684/22 bis C 686/22, Stadt Duisburg [Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit]; vgl. zu § 28 StbG auch VwGH 14.10.2025, Ra 2025/01/0217, mwN).
21 Auch vor diesem Hintergrund war die Durchführung einer mündlichen Verhandlung daher nicht erforderlich.
22 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
23Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.
24Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 6. November 2025
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