Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser sowie die Hofräte Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der B, vertreten durch die Oberhammer Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 30. September 2024, Zl. VGW 152/065/11916/2023 38, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis stellte das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlungin der Sache gemäß § 42 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) fest, dass die Revisionswerberin „durch Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit“ mit Wirkung vom 24. Mai 2012 die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG verloren hat. Eine Revision wurde für unzulässig erklärt.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, die Revisionswerberin habe mit Geburt die österreichische und ebenso die brasilianische Staatsbürgerschaft erworben. Am 25. Mai 2012 habe die Revisionswerberin auf ihren Antrag die US amerikanische Staatsbürgerschaft erworben. Sie habe zuvor nicht um die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft ersucht.
3 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Erwerb der US amerikanischen Staatsbürgerschaft sei auf Antrag der Revisionswerberin erfolgt. Der in § 27 StbG normierte ex lege Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft sei dadurch „automatisch“ eingetreten.
4 Entsprechend näher dargelegter Erwägungen sei der ex lege Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft „weder unionsrechtswidrig noch unverhältnismäßig“, wobei dass Verwaltungsgericht (mit Hinweis auf näher zitierte Rechtsprechung des VfGH und die Rechtsprechung EuGH 25.4.2024, C 684/22 ua, Stadt Duisburg [Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit] ) ausführte, die Revisionswerberin habe von der Möglichkeit der Antragstellung zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft vor Erwerb der US amerikanischen Staatsangehörigkeit nicht Gebrauch gemacht.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom 11. Dezember 2024, E 4341/2024 6, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab. Begründend führte der VfGH u.a. aus:
„[...]
Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäische Union (EuGH 12.3.2019, C 221/17, Tjebbes ua.; 25.4.2024, C 684/22 ua., Stadt Duisburg [Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit]) zu einer gebotenen Einzelfallprüfung der Folgen des Verlusts der Staatsbürgerschaft und zum effektiven Zugang zu einem Verfahren für die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft die Rechtswidrigkeit der die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtsvorschriften, insbesondere des § 27 Abs. 1 StbG, behauptet wird, lässt ihr Vorbringen angesichts dessen, dass § 27 Abs. 1 StbG den Verlust der Staatsbürgerschaft nur dann an den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit knüpft, wenn diese auf Initiative des Betroffenen erworben wird, und § 28 StbG die Möglichkeit eröffnet, die Beibehaltung der österreichischen Staatsangehörigkeit trotz Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen des Privat und Familienlebens zu beantragen, vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 17.6.2019, E 1832/2019; 17.6.2019, E 1302/2019, jeweils mwN) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Aus dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 25. April 2024, C 684/22 ua., Stadt Duisburg (Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit) , zum effektiven Zugang zu einem Verfahren für die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft und zur gebotenen Unterrichtung über dieses Verfahren ergibt sich insofern nichts anderes, als [durch] das Verfahren für die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft in § 28 StbG als Verwaltungsverfahren geregelt und § 28 StbG durch Kundmachung im Bundesgesetzblatt für jedermann ersichtlich ist.
[...]“
6 Über nachträglichen Antrag der Revisionswerberin trat der VfGH mit Beschluss vom 9. Jänner 2025, E 4341/2024 8, die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
7 Sodann erhob die Revisionswerberin die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
8Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Prüfung eines angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses eines Verwaltungsgerichts dem Revisionspunkt nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG entscheidende Bedeutung zu, denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht zu prüfen, ob irgendein subjektives Recht des Revisionswerbers verletzt worden ist, sondern nur, ob jenes verletzt worden ist, dessen Verletzung der Revisionswerber behauptet. Durch den Revisionspunkt wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses gebunden ist. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. für viele VwGH 16.1.2025, Ra 2024/01/0363, mwN).
9 Mit den als Revisionspunkte geltend gemachten, hier auf das Wesentliche zusammengefassten behaupteten Verletzungen, das Verwaltungsgericht habe „ohne eine hinreichende und ausführliche Verhältnismäßigkeitsprüfung“ den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft ausgesprochen, das Verwaltungsgericht habe die „unionsrechtlichen Vorgaben nicht hinreichend berücksichtigt“, das Verwaltungsgericht habe das Vorbringen der Revisionswerberin, wonach die Verhältnismäßigkeitsprüfung „ pro futura“ vorzunehmen sei, nicht berücksichtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts sei unschlüssig und unbegründet, werden keine tauglichen Revisionspunkte geltend gemacht (vgl. zum „Recht auf richtige Gesetzesauslegung“, zum „Recht auf ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren“, zur Geltendmachung von Verfahrens- bzw. Begründungsmängeln, insbesondere eines subjektiven Rechts „darauf, dass alle relevanten Umstände Berücksichtigung finden“, etwa wiederum VwGH 16.1.2025, Ra 2024/01/0363, und 17.12.2024, Ra 2024/01/0406 , jeweils mwN [beide ebenfalls im Kontext der Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG für den Verlust der Staatsbürgerschaft]; zur Behauptung einer unschlüssigen Beweiswürdigung vgl. z.B. VwGH 15.10.2019, Ra 2019/01/0379, 0380, mwN). Es handelt sich dabei vielmehr um die Geltendmachung von Revisionsgründen (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG).
10 Die Revision erweist sich daher bereits deshalb als unzulässig.
Im Übrigen begegnet die Vorgangsweise des Verwaltungsgerichts auf Grundlage der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union in EuGH 25.4.2024, C 684/22 bis C 686/22, Stadt Duisburg (Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit) und den im zitierten Beschluss des VfGH vom 11. Dezember 2024, E 4341/2024 6, dargelegten Erwägungen, keinen Bedenken.
So steht Art. 20 AEUV nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH Stadt Duisburg einer Regelung eines Mitgliedstaates nicht entgegen, die (wie § 27 StbG) vorsieht, dass im Fall des freiwilligen Erwerbs der Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats (und damit die Unionsbürgerschaft) kraft Gesetz verloren geht, sofern die unionsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen eines Verfahrens zur Beibehaltung der Staatsbürgerschaft erfolgen kann (vgl. zum Urteil des EuGH Stadt Duisburgbereits VwGH 17.12.2024, Ra 2024/01/0406).
Der VfGH hat in dem zitierten Beschluss auf seine ständige Rechtsprechung hingewiesen, wonach § 28 StbG die Möglichkeit eröffnet, die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft trotz Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen des Privat und Familienlebens zu beantragen. Zu dem vom EuGH geforderten effektiven Zugang zu einem Verfahren für die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft und zur gebotenen Unterrichtung über dieses Verfahren hat der VfGH im zitierten Beschluss klargestellt, dass das Verfahren für die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft in § 28 StbG als Verwaltungsverfahren geregelt und § 28 StbG durch Kundmachung im Bundesgesetzblatt für jedermann ersichtlich ist.
Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht bei (Wieder )Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit für den Fall, dass der Betroffene die ihm nach § 28 StbG eingeräumte Möglichkeit zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht wahrgenommen hat, davon ausgeht, dass die öffentlichen Interessen an der Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeiten überwiegen. In Verfahren zur Feststellung des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 27 StbG ist die Durchführung einer unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung in solchen Fallkonstellationen demnach nicht (mehr) erforderlich.
11 Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 14. August 2025